Titel:
Erstattungsfähigkeit eines Stehgeräts (Schrägliegebrett) als Stützapparat in der Krankheitskostenversicherung
Normenkette:
BGB § 133, § 157
Leitsätze:
1. Stützapparate iSd Leistungskatalogs einer Krankheitskostenversicherung sind nicht nur solche Vorrichtungen, die Teile des Körpers abzustützen geeignet sind (vgl. OLG Köln BeckRS 2015, 18320 Rn. 19 f.), sondern auch solche, die den Körper in seiner Gänze abzustützen geeignet sind. (Rn. 13 – 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Stehgerät (Schrägliegebrett) ist ein Stützapparat iSd Leistungskatalogs einer Krankheitskostenversicherung. (Rn. 10 – 11) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein Stehgerät (Schrägliegebrett) ist nicht als pflegerisches Hilfsmittel aus dem Leistungskatalog der Krankheitskostenversicherung ausgenommen. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
private Krankenversicherung, Krankheitskostenversicherung, Leistungskatalog, Tarifbedingungen, Stützapparat, Stehgerät, Schrägliegebrett, pflegerisches Hilfsmittel, Teilhabe
Fundstelle:
BeckRS 2022, 44242
Tenor
I. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 973,04 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit 11.06.2022 zu bezahlen.
II. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin die Kosten für die Folgeversorgung eines Stehgeräts in einem Umfang von 20% der anfallenden Kosten zu erstatten.
III. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
V. Der Streitwert wird auf 2.000 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten um Ansprüche aus dem Leistungskatalag einer Privaten Krankenversicherung, konkret um die Erstattungsfähigkeit der Aufwendungen für ein Schrägliegebrett.
2
Die Klägerin ist bei der Beklagten in der Tarifstufe BEBAY privat krankenversichert, und zwar – hier nur streitgegenständlich – insoweit, dass der am ...2016 geborene Sohn der Klägerin einen Versicherungsschutz von 20% genießt, während der Rest durch die Beihilfe gedeckt ist. Der Sohn der Klägerin wurde schwerstbehindert geboren und hat Pflegegrad 5. Er kann sich aus eigener Kraft nicht nur nicht fortbewegen, er kann auch nicht stehen. Zur Verbesserung seiner Entwicklung, Erleichterung der Pflege insbesondere auch zur körpereigenen Aktivierung der Darmentleerung wurde dem Sohn der Klägerin ein Gerät verordnet, für das die Begriffe Stehgerät und Schrägliegebrett verwendet werden. Die Kosten für die Anschaffung des Geräts betrugen 4.865,21 Euro. Da der Sohn der Klägerin noch nicht ausgewachsen ist, wird er im Laufe seiner Jugend noch ein weiteres Gerät dieser Art benötigen; zudem sind im Zuge des Wachstums Nachjustierungen des Geräts von einem Fachmann vorzunehmen, um die Größe anzupassen; auch können Reparaturen nicht ausgeschlossen werden. Zum Zwecke der Benutzung im Kindergarten hat die Klägerin für das Kind eine weitere gleichartige Vorrichtung angeschafft, diese jedoch nicht gegenüber der Beklagten geltend gemacht.
3
Die Klägerin vertritt die Ansicht, die Kosten für das Stehgerät seien in Höhe von 20% von der Beklagten zu tragen.
4
Die Klägerin beantragt,
- 1.
-
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 973,04 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.
- 2.
-
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin die Kosten für die Folgeversorgung eines Stehgeräts zu erstatten.
5
Die Beklagte beantragt,
Die Klage wird abgewiesen.
6
Sie trägt vor, das Gerät sei im Versicherungsumfang nicht umfasst. Soweit im Leistungskatalog Stützapparate aufgeführt seien, seien diese auf Vorrichtungen beschränkt, die das Gewicht oder einzelne Körperteile des Versicherungsnehmers stützen, weil dieser wegen des Verlusts oder der Störung der Funktion einzelner Gliedmaßen dazu nicht selbst in der Lage sei. Geräte, die den ganzen Körper aufrechterhalten, seien dagegen keine Stützapparate.
7
Eine Beweisaufnahme hat nicht stattgefunden. Es wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung am 24.10.2022.
Entscheidungsgründe
8
Die zulässige Klage ist begründet.
9
Unstreitig ist zwischen den Parteien der Abschluss und das Bestehen eines privaten Krankenversicherungsvertrags mit einer Quote von 20%, die medizinische Verschreibung des streitgegenständlichen Gerätes, die Notwendigkeit von Folgekosten und einer Ersatzbeschaffung sowie die Höhe der geltend gemachten Forderung.
10
Streitig und entscheidungserheblich ist nur die Frage, ob es sich bei dem Gerät um einen Stützapparat handelt.
11
Das Gericht bejaht diese Frage.
12
Verträge, einschließlich des Leistungskatalogs eines Versicherungsvertrages sind nach §§ 133, 157 BGB auszulegen nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte unter Berücksichtigung des Empfängerhorizonts, wobei es hier auf den Empfängerhorizont der Klägerin ankommt. Hierzu ist zunächst festzustellen, dass der Leistungskatalog, der für den Sohn der Klägerin gilt, dem entspricht, der für die Klägerin selbst gilt, als sie – vor der Geburt des Sohnes – ihren eigenen Vertrag über eine Private Krankenversicherung geschlossen hat. Es bestand in der mündlichen Verhandlung Einigkeit darüber, dass die Beklagte eine Versicherung des Sohnes nicht vorgenommen hätte, wenn sie nicht aufgrund des schon vorher mit der Klägerin als versicherter Person geschlossenen Vertrages dazu gezwungen gewesen wäre. Vor der Geburt ihres Sohnes hatte die Klägerin, die keine vergleichbaren gesundheitlichen Einschränkungen wie ihr Sohn aufweist, keine Veranlassung, nähere Erkundigungen über den genauen Umfang der Ersatzleistungen für Stützvorrichtungen zu befassen, weswegen es letztlich allein darauf ankommt, wie die Klägerin den Wortlaut des § 4 Abs. 2 f der Tarifbestimmungen verstehen durfte.
13
Nach dem Wortlaut sind Stützapparate Vorrichtungen, die dazu dienen, den menschlichen Körper oder einzelne Glieder in einer bestimmten Position zu halten.
14
Die Lesart, dass es sich hier nur Vorrichtungen handelt, die Teile des Körpers, nicht aber den Körper in seiner Gänze, abzustützen geeignet nicht, findet entgegen der Ansicht der Beklagten keinen Widerhall im Wortlaut. Es ist sicher zutreffend, dass die wenigsten Menschen im Laufe ihres Lebens auch nur zeitweise die Notwendigkeit einer so umfassenden Abstützung trifft wie den Sohn der Klägerin, das kann aber nicht der Maßstab sein.
15
Dieser Auslegung steht auch nicht die von der Beklagten zitierte Entscheidung des OLG Köln vom 12.06.2015, Az. 20 U 220/14 entgegen. Bei vollständiger Betrachtung dieser Entscheidung wird deutlich, dass der Streitgegenstand dieser Entscheidung lediglich eine Vorrichtung zur Abstützung einzelner Gliedmaßen ist. Das OLG Köln bringt weder zum Ausdruck, dass nur solche Vorrichtungen zur Abstützung einzelner Gliedmaßen gemeint sind, noch hat es Anlass, sich zur Notwendigkeit der Abstützung des ganzen Körpers zu äußern.
16
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Erwägung, dass die Vorrichtung den Eltern zur Erleichterung der Pflege ihres Sohnes dient, so dass in Erwägung gezogen werden könnte, dass es sich um ein pflegerisches Hilfsmittel handeln würde, das aus diesem Grunde nicht dem Leistungskatalog der Krankenversicherung zugeordnet werden kann. Das Gerät dient nicht nur der Pflege, sondern ermöglicht auch die Teilnahme des Kindes am Familienleben und am sozialen Leben im Kindergarten. Damit ist es nicht anders zu bewerten als der ebenfalls in § 4 Abs. 2 f aufgeführte Krankenfahrstuhl, der ebenfalls nicht dazu geeignet ist, eine Krankheit zu heilen, sondern die Teilhabe des Patienten am Familien- und sozialen Leben ermöglicht. Dass das dem Kind mögliche Maß an Teilhabe nicht dem des erwachsenen Durchschnittsbürgers entspricht, kann und darf kein Maßstab sein.
17
Eine Teilabweisung war nicht erforderlich. In der mündlichen Verhandlung war zwar erkennbar versehentlich der Antrag aus dem Schriftsatz vom 24.05.2022, nicht aber der aus dem Schriftsatz vom 01.08.2022 mit der Beschränkung des Feststellungsantrags auf 20% gestellt, wie sich aus der direkt anschließenden Diskussion über den Streitwert ergibt (der sonst bei ca. 6000,00 Euro liegen müsste) war die Beschränkung auf 20% für die Klägerin deutlich und auch gewollt.
18
Das Gericht geht insoweit von einem offensichtlichen Versehen aus.
19
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 91 Abs. 1 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.
20
Da bereits Folgekosten in Höhe von über 1000,00 Euro (20% von über 4.000,00 Euro + Justierung und Wartung) absehbar sind, war der Streitwert auf 2.000 Euro festzusetzen.