Titel:
Unbegründeter Anspruch auf Entschädigung
Normenkette:
AGG § 1, § 3 Abs. 2, § 7 Abs. 1, § 13, § 15 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, Abs. 4 S. 2
Leitsätze:
1. Haftungsbegründendes Verschulden nach § 15 Abs. 3 AGG liegt nur dann vor, wenn der Arbeitgeber bei der Anwendung kollektivrechtlicher Vorschriften von deren benachteiligenden Wirkung weiß oder darum wissen muss. (Rn. 44 – 46)
2. § 2 Ziffer 1 TV über Entgeltsätze und Ausbildungsvergütungen für die Arbeitnehmer der Schuh- und Sportartikelindustrie vom 04.09.2019 berücksichtigt bei der Stufenvorrückung keine Zeiten des Ruhens eines Arbeitsverhältnisses und damit keine Elternzeiten. Damit wird an die Möglichkeit des Erwerbes von Erfahrungswissen angeknüpft, nicht an das Geschlecht. (Rn. 47 – 49)
Das Recht, Elternzeit zu nehmen, ist nicht auf Frauen beschränkt und wird auch nicht nur von diesen ausgeübt. Somit kann hieraus keine unmittelbare Benachteiligung auf Grund eines Merkmales iSd § 1 AGG, hier des Geschlechtes, abgeleitet werden. (Rn. 62) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Entschädigung, Stufenvorrückung, Kollektivverträge, Elternzeit, Benachteiligungsverbot, Geschlecht, Stellenbesetzung
Vorinstanz:
ArbG Nürnberg, Endurteil vom 26.01.2022 – 13 Ca 2381/21
Fundstelle:
BeckRS 2022, 44223
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Endurteil des Arbeitsgerichtes Nürnberg vom 26.01.2022 – 13 Ca 2381/21 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
II. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten um Entschädigung wegen Benachteiligung.
2
Die am ...1980 geborene und verheiratete Klägerin war bei der Beklagten von 2004 bis 2006 beschäftigt. Mit Arbeitsvertrag vom 20.09.2011 (Bl. 4 ff der Akte) begründeten die Parteien wieder ein Arbeitsverhältnis mit einer Beschäftigung der Klägerin in der Abteilung „Global newsroom“ mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden. Die Tarifverträge zwischen der Vereinigung der bayerischen Schuhfabriken e.V. M. und ... Bergbau, Chemie und Energie fanden kraft arbeitsvertraglicher Vereinbarung Anwendung. Dazu zählt auch der Tarifvertrag über Entgeltsätze und Ausbildungsvergütungen vom 04.09.2019 (Bl. 133 ff der Akte). Dieser sieht für die nur zeitabhängige Stufenvorrückung innerhalb einer Entgeltgruppe in § 2 Ziffer 1 letzter Absatz vor:
„… Als Tätigkeitsjahre gelten alle im Unternehmen geleisteten Beschäftigungszeiten für die zum 1. Juli 2018 beschäftigten Arbeitnehmer. Bei Höhergruppierung gelten dann die Jahre in der Entgeltgruppe, die zu erreichen sind. Eine Anrechnung bisher geleisteter Tätigkeitsjahre erfolgt in diesen Zusammenhang nicht. …“
3
Die Klägerin nahm im Jahr 2013 Elternzeit ab dem 27.05.2013. Eine danach angebotene Beschäftigung als Teamassistentin lehnte sie ab und verlängerte die Elternzeit im Einvernehmen mit der Beklagten um zwei Monate bis 27.03.2014. Anschließend wurde sie als „Produktmanagerin BU interaktiv“ beschäftigt. Ab 1.10.2014 erfolgte eine Beschäftigung als „Manager Social Media“ in der Abteilung „Digital“.
4
Die Klägerin nahm in der Zeit vom 29.11.2015 bis 18.08.2016 erneut Elternzeit anlässlich der Geburt des zweiten Kindes. In dieser Zeit fiel ihre Stelle im Zuge einer seit 2014 über mehrere Jahre laufende Umstrukturierung namens „Brand Leadership Project“ weg. Sie wurde deshalb nach der Rückkehr aus der Elternzeit in der Abteilung „Global newsroom“ als „Manager Social Strategy & Community Management“ beschäftigt. Diese Aufgaben fielen ebenfalls im Laufe der genannten Umstrukturierung 2017 weg und die Klägerin arbeitete in der Folgezeit als „content creator“ unter Beibehaltung der formalen Position eines „Manager Social Strategy & Community Management“.
5
Mit Schreiben vom 08.01.2020 (Bl. 92 ff der Akte) unterrichtete die Beklagte den bei ihr bestehenden Betriebsrat über beabsichtigte Kündigungen im Rahmen des Projektes „Brand Leadership 3.0“ nach § 17 Abs. 2 KSchG. Im Bereich Marketing, „Brand Communications“ waren mehrere Stellen betroffen, darunter die der Klägerin.
6
Im Februar 2020 wurde der Klägerin dies mitgeteilt. Im Rahmen eines „Employee Integration Process“ wurde eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit gesucht. Im März wurden ihr in diesem Zusammenhang mehrere Stellen vorgestellt. Von April bis August 2020 war die Klägerin an Long Covid erkrankt. In der Folgezeit arbeitete die Klägerin in dem Stellenfindungsprozess nicht mit. Im August 2020 begehrte die Klägerin eine Höherstufung aufgrund ihrer Beschäftigungszeit, die rückwirkend zum 01.06.2020 erfolgte. Mit E-Mail vom 10.09.2020 (Bl. 142 f der Akte) wurden ihr die Einzelheiten in diesem Zusammenhang erläutert.
7
Nach ihrer Erkrankung nahm die Klägerin die Beschäftigung im Herbst 2020 nicht mehr auf. Anberaumte Gespräche zur Personalentwicklung der Klägerin am 26.11.2020 und 26.01.2020 wurden von der Klägerin nicht wahrgenommen. Sie hatte bereits im Juli erneut Elternzeit mit Teilzeit begehrt. Der Antrag war von der Beklagten anfangs nicht, später abweichend bearbeitet worden. Zu einem weiteren Antrag auf Elternzeit vom 07.12.2020 für die Zeit vom 01.01. bis 31.03.2021 wurde ihr mit E-Mail vom gleichen Tag (Bl. 132 der Akte) mitgeteilt, sie solle ihn bei der richtigen Stelle und mit einer digitalen Signatur einreichen.
8
Nach Anhörung des Betriebsrates vom 20.04.2021 (Bl. 129 ff der Akte) kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis betriebsbedingt und fristgerecht mit Schreiben vom 29.04.2021 (Bl. 22 f der Akte) zum 31.07.2021. Dagegen wandte sich die Klägerin mit Kündigungsschutzklage vom 20.05.2021. Mit Schreiben vom 30.06.2021 (Bl. 52 f der Akte) machte sie Ansprüche auf Entschädigung nach dem AGG geltend. Die Beklagte wies den Anspruch mit E-Mail vom 08.07.2021 (Bl. 54 der Akte) zurück.
9
Mit Klageerweiterung vom 23.09.2021, bei Gericht eingegangen am 30.09.2021, machte die Klägerin Entschädigungsansprüche in Höhe von 18.025,47 € geltend.
10
Die Klägerin trug vor dem Arbeitsgericht vor:
11
Die Beklagte habe im Stellenfindungsprozess unnötig einen Lebenslauf der Klägerin gefordert. Ihre Stationen bei der Beklagten seien dieser bekannt gewesen. Sie sei seit 2011 bei der Beklagten beschäftigt gewesen und im März 2020 sei ihr die Stelle eines „Social Media Manager Originals“ vorgestellt worden.
12
Der erste Antrag auf Elternzeit und Teilzeitbeschäftigung vom 03.07.2020 für die Zeit vom 01.09.2020 bis 15.01.2021 sei anfangs nicht bearbeitet worden. Ende August sei ihr ein Arbeitsvertrag in Teilzeit für 12 Monate anstatt der beantragten 4 Monate vorgelegt worden. Am 07.12.2020 habe sie einen weiteren Antrag auf Elternzeit und Teilzeit gestellt. Dieser sei nicht beantwortet worden.
13
Sie habe die Erfahrung gemacht, dass in ihrer jeweiligen Elternzeit jeweils die Stelle wegstrukturiert worden sei, die sie innegehabt habe. Sie sei auch jedes Mal gefragt worden, mit wieviel Stunden sie an den Arbeitsplatz zurückkehren wolle. Männlichen Kollegen sei es in vergleichbarer Position nicht so ergangen.
14
Nach den Elternzeiten für die beiden älteren Kinder habe sie feststellen müssen, dass ihr für eine gebotene Gehaltsanpassung noch 605 Tage Beschäftigungszeit fehlten. Dies entspreche den genommenen Elternzeiten. Sie werde durch die tariflichen Regelungen zur Stufenvorrückung ungünstiger behandelt als vergleichbare Arbeitnehmer oder Arbeitnehmerinnen, die keine oder kürzere Elternzeiten nähmen. Darin liege eine mittelbare Benachteiligung als Mutter.
15
Der Entschädigungsanspruch sei fristgerecht geltend gemacht worden. Die Frist sei nicht mit dem Ende der Elternzeit am 27.03.2021, sondern mit Zugang der Kündigung am 30.04.2021 angelaufen. Die Frist des § 15 Abs. 4 AGG sei gewahrt mit der Geltendmachung am 30.06.2020. Die Frist des § 61b Abs. 1 ArbGG sei gewahrt mit gerichtlicher Geltendmachung am 30.09.2020.
16
Die Klägerin beantragte vor dem Arbeitsgericht:
1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung vom 29. April 2021 nicht aufgelöst ist.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 18.025,47 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.
17
Die Beklagte beantragte,
die Klage abzuweisen und hilfsweise, für den Fall der Abweisung des Beendigungsschutzantrages widerklagend:
18
Die Klägerin wird verurteilt, an die Beklagte 128.279,87 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.
19
Das Arbeitsgericht gab der Kündigungsschutzklage mit Urteil vom 26.01.2022 statt und wies die Entschädigungsklage ab. Das Arbeitsgericht meinte zur Begründung, der Entschädigungsanspruch sei nicht fristgerecht geltend gemacht worden. Die Frist beginne in dem Zeitpunkt, zu dem die Klägerin von der Benachteiligung erfahre. Diese Benachteiligung mache sie daran fest, dass ihr nach der Rückkehr aus der Elternzeit stets nicht mehr die vorherige Stelle angeboten worden sei. Die letzte Elternzeit habe am 27.03.2021 geendet. Die Frist zur Geltendmachung von Entschädigung sei daher am 28.03.2021 angelaufen und am 27.05.2021 abgelaufen.
20
Das Urteil wurde der Klägerin am 03.02.2022 zugestellt. Sie legte dagegen am 28.02.2022 Berufung ein und begründete diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis 03.05.2022 am 03.05.2022.
21
Die Klägerin trägt vor dem Berufungsgericht vor:
22
Die Frist sei jedenfalls nicht mit dem eventuellen Ende der Elternzeit am 27.03.2021 angelaufen. Zu diesem Zeitpunkt sei überhaupt nicht bekannt gewesen, dass man ihr keine oder eine andere Stelle anbieten wolle. Abgesehen davon habe formal gar keine Elternzeit vorgelegen, da der entsprechende Antrag vom 07.12.2020 nicht bzw. abgeändert verbeschieden worden sei.
23
In einem Personalgespräch am 24.11.2020 sei es um die bereits im März 2020 angebotene Stelle als „Manager Social Media“ gegangen. Sie habe in diesem Gespräch im Hinblick auf ihre Sorge vor weiteren pandemiebedingten Schulschließungen offen ihre Absicht erläutert, noch einmal kurz in Elternzeit zu gehen. Danach habe die Beklagte kein Interesse mehr an einer Besetzung der Stelle mit ihrer Person gehabt. Nach dem eigenen Vorbringen der Beklagten in der ersten Instanz sei die Stelle am 15.12.2020 anderweitig besetzt worden. Der neue Stelleninhaber habe eine kürzere Beschäftigungsdauer als sie gehabt. Er habe eine kürzere Managementerfahrung als in der Stellenbeschreibung gefordert gehabt.
24
Von der Stellenbesetzung habe sie nicht erfahren. Erst mit der Kündigung sei ihr klargeworden, dass sie nicht für die Stelle vorgesehen sei.
25
Eine Benachteiligung liege vor. Sie ergebe sich zum einen daraus, dass die Beklagte in ihrer Organisationsstruktur nicht so aufgestellt sei, wie sie, die Klägerin, hätte es erwarten können. Die Beklagte hätte eine gleichwertige Stelle freihalten müssen, was sie nicht getan habe.
26
Sie ergebe sich zum anderen daraus, dass sie die erste Elternzeit unfreiwillig in Absprache mit der Beklagten um zwei Monate verlängert habe mangels adäquater Stelle bei der Beklagten und die tarifliche Regelung nun dazu führe, dass ihr diese zwei Monate bei der Stufenzuordnung fehlten.
27
Die Klägerin und Berufungsklägerin stellt folgende Anträge:
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Endurteil des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 26.01.2022, Az.: 13 Ca 2381/21 abgeändert, soweit es die Klage abgewiesen hat.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 18.025,47 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.
II. Die Kosten beider Instanzen trägt die Beklagte.
28
Die Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt,
Die Berufung zurückzuweisen.
29
Die Beklagte trägt in der Berufung vor:
30
Der Klägerin seien verschiedene mögliche Stellen angeboten worden. Daran sei sie jedoch nicht interessiert gewesen, sie habe höherwertige Aufgaben übernehmen wollen. Nachdem eine einvernehmliche Stellenbesetzung nicht mehr erfolgversprechend gewesen sei, habe man der Klägerin einen Aufhebungsvertrag angeboten. Nachdem auch eine einvernehmliche Trennung nicht möglich gewesen sei, habe die Beklagte gekündigt.
31
Entschädigungsansprüche bestünden nicht. Auch in dem in der Berufung erwähnten Personalgespräch, das tatsächlich nur ein „chat“ gewesen sei, habe sich die Klägerin für die angebotene Stelle nicht interessiert. Der in dem „chat“ geäußerte Elternzeitwunsch stehe in keinem Zusammenhang mit der Stellenbesetzung. Dieser sei nicht weiter in den Prozess der Stellenvergabe getragen worden.
32
Der Anspruch sei verfristet. Die Klägerin trage selbst vor, dass über den letzten Antrag auf Elternzeit nicht entschieden worden sei. Deshalb könne für das Ende der Elternzeit nur auf den 15.01.2021 abgestellt werde, weil deren Verlängerung bis 27.03.2021 eben nicht bewilligt worden sei. Damit sei der Anspruch erst recht verfristet.
33
Eine Benachteiligung sei nicht ersichtlich aus dem Vorbringen der Klägerin. Dies gelte sowohl für den Stellenfindungsprozess und den dabei geforderten Lebenslauf wie auch für das Stellenbesetzungsverfahren für die Position des „Manager Social Media“.
34
Auch bei der Gehaltsanpassung sei eine Benachteiligung nicht ersichtlich. Die tarifliche Regelung sei zulässig. Auch hier liege Verfristung vor, da bereits am 10.09.2020 die Nichtberücksichtigung der Elternzeiten mitgeteilt worden sei.
35
Am 14.11.2022 haben beide Parteien weitere Schriftsätze eingereicht.
36
In der mündlichen Verhandlung vom 15.11.2022 hat die Klägerin darauf hingewiesen, dass sie eine Kompensation für die wirtschaftlichen Verluste aus der entgangenen Stelle wolle.
37
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf tatbestandliche Feststellungen des erstinstanzlichen Urteils Bezug genommen. Ferner wird Bezug genommen auf die Berufungsbegründung der Klägerin vom 02.05.2022 und die Berufungserwiderung vom 15.06.2022.
Entscheidungsgründe
38
Die Berufung ist zulässig.
39
Sie ist statthaft nach §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 2b ArbGG, § 511 Abs. 1 ZPO. Sie ist auch form- und fristgerecht eingelegt und ausreichend begründet worden nach § 66 Abs. 1 ArbGG, §§ 519, 520 ZPO.
40
Die Berufung ist nicht begründet. Die Klägerin hat keine Ansprüche gegen die Beklagte auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG.
41
1. Die Klägerin macht in der Berufung geltend, die Anwendung der tariflichen Regelung zur Stufenvorrückung benachteilige sie generell, aber jedenfalls im Hinblick auf die einvernehmliche zweimonatige Verlängerung der ersten Elternzeit, um der Beklagten Gelegenheit zu geben, eine adäquate Stelle für sie zu finden. Dies könne keinesfalls zu ihren Lasten gehen.
42
a. Mit Entschädigungsansprüchen aus diesem Vorgang ist die Klägerin wegen Verfristung ausgeschlossen.
43
Die Kenntnis eines benachteiligenden Sachverhaltes setzt nach § 15 Abs. 4 Satz 2 AGG die Frist von zwei Monaten zur schriftlichen Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen aus diesem Sachverhalt in Gang.
44
Die Nichtberücksichtigung ihrer Elternzeiten bei der Stufenvorrückung nach den einschlägigen tariflichen Vorschriften wurde der Klägerin mit der E-Mail der Beklagten vom 10.09.2020 erläutert. Damit hatte sie ausreichende Kenntnis von dem aus ihrer Sicht benachteiligenden Verhalten der Beklagten. Etwaige sich daraus ergebende Ansprüche hätte die Klägerin deshalb bis 10.11.2020 geltend machen müssen.
45
b. Es sind auch dem Grunde nach keine Entschädigungsansprüche ersichtlich.
46
Nach § 15 Abs. 3 AGG kann sich eine Pflicht zur Entschädigung aus Benachteiligung nur ergeben, wenn der Arbeitgeber dabei grob fahrlässig oder vorsätzlich handelt. Der Wortlaut der Vorschrift begrenzt die Entschädigungspflicht des Arbeitgebers auf Fälle, in denen er vorsätzlich oder grob fahrlässig einen Nachteil durch die Anwendung von Kollektivverträgen verursacht. Das Verschuldenserfordernis kann sich nicht auf die Anwendung des Kollektivvertrages als solchen beziehen, denn diesen wendet der Arbeitgeber stets absichtlich an. Verschulden liegt nur vor, wenn der Arbeitgeber in Anwendung bestehender kollektivrechtlicher Vorschriften einen Arbeitnehmer benachteiligt, obwohl ihm die benachteiligende Wirkung bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht bekannt ist. An grobem Verschulden fehlt es, wenn sich der Arbeitgeber dabei einer vertretbaren Rechtsansicht anschließt, ErfK, 22. Auflage 2022, § 15 AGG, Rn. 15.
47
Die Beklagte hat hier die tarifliche Vorschrift zur Stufenvorrückung nach § 2 Ziffer 1 TV über Entgeltsätze und Ausbildungsvergütungen angewandt. Es ist weder aus dem Vorbringen der Klägerin noch aus der Akte ersichtlich, inwieweit die Beklagte hier eine benachteiligende Wirkung der Vorschrift kannte oder hätte kennen müssen.
48
Abgesehen davon ist auch wegen des Geschlechtes benachteiligende Wirkung der Tarifvorschrift nicht ersichtlich. Die Tarifvorschrift differenziert für die berücksichtigungsfähigen Zeiten bei der Stufenvorrückung zwischen Beschäftigungszeiten und Nichtbeschäftigungszeiten. Dabei wird erkennbar nicht an das Geschlecht angeknüpft, sondern an Erfahrungswissen, das in der aktiven Beschäftigung gesammelt werden kann. Damit geht von der angewendeten tariflichen Vorschrift zur Nichtberücksichtigung der Elternzeiten bei der Stufenvorrückung keine Benachteiligung wegen des Geschlechtes aus nach den Wertungen des BAG, Urteil vom 27.01.2011 – 6 AZR 526/09 -.
49
Abgesehen davon geht die Klägerin selbst davon aus, dass sie ursprünglich neun Monate Elternzeit beantragt hatte und diese dann ausweislich der Berufungsbegründung, dort Ziffer 4.2,. um zwei Monate in Absprache mit der Beklagten verlängerte auf elf Monate. Nach der Mitteilung der Beklagten mit E-Mail vom 10.09.2020 wurde aber nur eine Elternzeit vom 27.05.2013 bis 27.03.2014, also zehn Monate, nicht berücksichtigt bei der Stufenvorrückung, nicht die von der Klägerin behaupteten elf Monate.
50
2. Die Klägerin macht in der Berufung geltend, die Organisationsstruktur der Beklagten habe ihren Erwartungen nicht entsprochen, eine gleichwertige Stelle sei für sie nach der Elternzeit nicht freigehalten worden. Dies zeigten die Vorgänge nach Ende der jeweiligen Elternzeit. Die Beklagte habe ihr nach der Elternzeit nach der Geburt des ersten Kindes nur eine unterwertige Tätigkeit als Team-Assistentin angeboten. Nach der Elternzeit nach der Geburt des zweiten Kindes sei ein vertragsgerechter Einsatz erst erfolgt nach mehrmaligen Anfragen der Beklagten, ob sie weiter Elternzeit nehmen wolle. Nach der Elternzeit nach Geburt des dritten Kindes sei keine Stelle mehr angeboten worden, sondern die Kündigung erfolgt.
51
a. Mit Entschädigungsansprüchen aus diesen Vorgängen ist die Klägerin entgegen der Auffassung des Erstgerichtes nicht wegen Verfristung ausgeschlossen.
52
Die Kenntnis eines benachteiligenden Sachverhaltes setzt nach § 15 Abs. 4 Satz 2 AGG die Frist von zwei Monaten zur schriftlichen Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen aus diesem Sachverhalt in Gang.
53
Hier gibt der Sachverhalt nichts für die Anahme des Erstgerichtes her, dass die Klägerin mit Ende der beantragten und stillschweigend hingenommenen Elternzeit der Klägerin nach der Geburt des dritten Kindes bis 27.03.2021 positive Kenntnis davon erlangte oder erlangen konnte, dass die Beklagte ihr nach Ablauf der dritten Elternzeit weder die alte Stelle noch eine andere eine adäquate Stelle anbieten würde. Nach Aktenlage sagte die Klägerin wiederholt zu, die für den internen Prozess der Stellenbesetzung erforderlichen Unterlagen auszufüllen und einzureichen, beispielsweise („I`ll forward all of the docs requested, directly.“) mit E-Mail vom 10.11.2020 (Bl. 439 der Akte) oder („I`m Updating the docs as requested and will send them shortly.“) mit E-Mail vom 12.11.2020 (Bl. 437 der Akte). Die Beklagte erläuterte ihr in diesem Zusammenhang den Bewerbungsprozess sowohl für eine Beförderungsstelle als auch für eine Stelle auf dem bisherigen Niveau. Nach Aktenlage erfolgte aber in der Folgezeit keine Absage einer Stelle für die Klägerin durch die Beklagte. Auf den 27.03.2021 als letzten Tag der beantragten Elternzeit konnte daher für den Anlauf der Ausschlussfrist nicht abgestellt werden.
54
b. Es sind jedoch auch hier keine Entschädigungsansprüche ersichtlich.
55
(1) Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 AGG ist der Arbeitgeber bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot verpflichtet, den hierdurch entstehenden Schaden zu ersetzen. Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann der oder die Beschäftigte eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen nach § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG.
56
Hier begründet die Klägerin in der mündlichen Verhandlung ihr Entschädigungsbegehren damit, dass sie durch das Verhalten der Beklagten gegen Ende der Elternzeiten und die Tarifregelung einen wirtschaftlichen Schaden erlitten hat und dafür einen Ausgleich begehrt. In diesem Zusammenhang macht sie auch geltend, dass die mit ihr besprochene Stelle eines „Manager Social Media“ in der Abteilung „Originals“ mit einem im Vergleich zu ihr weniger qualifizierten Mitarbeiter besetzt wurde.
57
Ein Entschädigungsverlangen kann mit diesem Vortrag zu einem materiellen Schaden nicht begründet werden. Ein wirtschaftlicher Schaden nach § 15 Abs. 1 Satz 1 AGG wurde zu keinem Zeitpunkt geltend gemacht, etwaige Ansprüche sind jedenfalls verfristet. In der Klageerweiterung mit Schriftsatz vom 23.09.2021 ist ausdrücklich von einem Entschädigungsanspruch von jedenfalls nicht unter drei Bruttomonatsgehältern die Rede.
58
(2) Arbeitnehmer dürfen nicht wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes benachteiligt werden nach § 7 Abs. 1 AGG. Benachteiligungen aus einem in § 1 AGG genannten Grund sind insbesondere unzulässig in Bezug auf die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen einschließlich Arbeitsentgelt und Entlassungsbedingungen, insbesondere in individual- und kollektivrechtlichen Vereinbarungen und Maßnahmen der Durchführung und Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 ArbGG.
59
Eine unmittelbare Benachteiligung liegt nach § 3 Abs. 1 AGG vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts liegt nach § 3 Abs. 1 Satz 2 AGG in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 AGG auch im Falle einer ungünstigeren Behandlung einer Frau wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft vor.
60
Hier begründet die Klägerin ihr Entschädigungsbegehren mit einer ungünstigeren Behandlung als vergleichbare Personen, die keine oder eine kürzere Elternzeit genommen haben.
61
Eine unmittelbare Benachteiligung auf Grund eines Merkmales iSd § 1 AGG, hier des Geschlechtes, liegt danach nicht vor. Das Recht, Elternzeit zu nehmen, ist nicht auf Frauen beschränkt und wird auch nicht nur von diesen ausgeübt. Es ist auch aus der Akte wie aus dem Vorbringen der Klägerin nichts dafür ersichtlich, dass ein Mann mit vergleichbaren Elternzeiten wie die Klägerin nach deren Beendigung sofort die vorher innegehabte Stelle oder eine vergleichbare Stelle oder eine Beförderungsstelle von der Beklagten angeboten bekommen hätte.
62
(3) Unter das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG fällt auch die mittelbare Benachteiligung nach § 3 Abs. 2 AGG. Diese liegt vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Arbeitnehmer wegen eines in § 1 genannten Grundes gegenüber anderen Arbeitnehmern in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich. Es handelt sich hier um die Fälle, in denen durch die angewandten Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Träger eines der Merkmale des § 1 AGG zahlenmäßig wesentlich stärker benachteiligt werden als Arbeitnehmer, bei denen dieses Merkmal nicht vorliegt. Es geht um Situationen, in denen die nachteilige Auswirkung typischerweise überwiegend gruppenangehörige Arbeitnehmer trifft. Neutral iSv § 3 Abs. 2 AGG sind die bezeichneten Regelungen stets dann, wenn sie nicht an einen verbotenen Anknüpfungsgrund nach § 1 AGG unmittelbar oder verdeckt zwingend anknüpfen.
63
Hier wird eine mittelbare Benachteiligung erst geltend gemacht mit Schriftsatz vom 14.11.2022, bei Gericht eingegangen am Tag vor der mündlichen Verhandlung. In tatsächlicher Hinsicht wird dort geltend gemacht, dass eine Umfrage bei den Mitarbeitern der Beklagten im Jahr 2016 und 2017 ergeben hätte, dass Unternehmenskultur und HR-Prozesse nicht als geschlechtsneutral betrachtet werden können. Als Beleg wird dazu eine Anlage in englischer Sprache vorgelegt, die aus sich heraus nicht verständlich ist.
64
Dieses Vorbringen war als verspätet zurückzuweisen, da seine Berücksichtigung die Erledigung des Verfahrens verzögert hätte und im Hinblick auf den Zeitpunkt der Umfrage auch von der Klägerin verschuldet verspätet vorgebracht wurde iSd § 67 Abs. 4 Satz 2 ArbGG.
65
Abgesehen davon lässt sich dem Vorbringen nicht entnehmen, dass die Prozesse der Beklagten zur Besetzung freier Stellen gerade bei Rückkehr aus der Elternzeit in weit überwiegender Zahl weibliche Arbeitnehmer wesentlich stärker benachteiligen würden als männliche Arbeitnehmer in vergleichbarer Situation.
66
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
67
Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin nach § 97 Abs. 1 ZPO.
68
Die Revision war nicht zuzulassen nach § 72 Abs. 1 und 2 Nr. 1 ArbGG.