Inhalt

Anwaltsgerichtshof München, Beschluss v. 24.11.2022 – BayAGH III - 4 - 2/22
Titel:

Erfolgsloser Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung - Veranstaltungshinweis durch Rechtsanwaltskammer

Normenketten:
BRAO § 73 Abs. 1
VwGO § 123 Abs. 1
Leitsätze:
1. Rechtsanwaltskammern haben kein allgemein politisches Mandat. Die Kammeraufgaben um fassen jedoch gemäß der Generalklausel des § 73 Abs. 1 S. 1, S. 3 BRAO alle Angelegenheiten, welche von allgemeiner – nicht nur reinwirtschaftlicher – Bedeutung für die Rechtsanwaltschaft sind. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei der Bestimmung ihres Aufgabenbereichs kommt der Rechtsanwaltskammer ein Ermessensspielraum zu. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Rechtsanwaltskammer, Aufgaben, Aufgabenbereich, Veranstaltungshinweis, Allgemeine Bedeutung, Ermessensspielraum
Fundstellen:
BRAK-Mitt 2023, 65
BeckRS 2022, 44139
LSK 2022, 44139

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 5.000,- EURO festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin ist als Rechtsanwaltsgesellschaft Mitglied der Rechtsanwaltskammer Nürnberg, der Antragsgegnerin. Diese informierte ihre Mitglieder mit E-Mail vom 19. Oktober 2022 auf Bitte des Präsidenten des Oberlandesgerichts Nürnberg über eine Veranstaltung im OLG Nürnberg. Diese war Bestandteil der "Veranstaltungsreihe Unsere Verantwortung als Juristen" und war mit der Überschrift "Rechte Richter, Staatsanwälte und Schöffen - Gefahr für den Rechtsstaat?" versehen. Der Wortlaut der E-Mail lautete:
"Liebe Kolleginnen und Kollegen, auf Bitte des Präsidenten des Oberlandesgerichts Nürnberg möchte ich Sie auf eine Veranstaltung in der kommenden Woche hinweisen:
Am Donnerstag, den 27. Oktober 2022 um 17.00 Uhr wird der Jurist, Autor und freie Journalist  kompetent und profund in das Thema, Rechte Richter, Staatsanwälte und Schöffen - Gefahr für den Rechtsstaat?' einführen. Ist die Unabhängigkeit der Justiz heute stärker von innen als von außen bedroht? Sind Politik und Justiz ihrer Verantwortung im Kampf gegen den Rechtsextremismus bisher gerecht geworden? Angesichts der besorgniserregenden Meldungen über AfDnahe Richter und Staatsanwälte ist dies ein Thema, das für Gerichte und Anwaltschaft gleichermaßen interessant ist. Die Veranstaltung mit einem anschließenden geselligen Austausch findet im Säulengang des 3. Obergeschosses im Oberlandesgericht Nürnberg statt.
Näheres entnehmen Sie bitte dem beigefügten Flyer.
Da nicht unbegrenzt Plätze zur Verfügung stehen, ist eine Anmeldung per E-Mail unter  erforderlich.
Mit freundlichen kollegialen Grüßen"
2
Die Antragstellerin wandte sich daraufhin mit E-Mail vom 20. Oktober 2022 an die Antragsgegnerin und rügte die Bewerbung der aus ihrer Sicht "rein politischen" Veranstaltung". Die Antragsgegnerin habe unzulässig Werbung für diese Veranstaltung betrieben und dies mit einer eigenen Stellungnahme verbunden, nämlich zu "besorgniserregende(n) Meldungen über AfDnahe Richter und Staatsanwälte". Daher forderte die Antragstellerin die Antragsgegnerin auf, weitere Maßnahmen durch eine formale Entschuldigung an alle angeschriebenen Mitglieder zu vermeiden. Wörtlich heißt es dort:
"Es ist aber völlig indiskutabel, dass eine mit Zwangsgebühren finanzierte öffentlichrechtliche Körperschaft, deren Zwangsmitglied u.a. auch der AfD angehörende Rechtsanwälte sind, zu derartigen parteipolitischen Veranstaltungen auch nur einlädt, geschweige denn eigene, die AfD diffamierende Stellungnahmen trifft. Um es auch für Sie, Frau [.], nachvollziehbar zu machen: Ersetzen Sie in der Einladung ,rechte' durch ,linke' Richter usw., und AfD durch Grüne. Ich bezweifle, dass Sie einen solchen Text versandt hätten ."
3
Die Antragsgegnerin versandte daraufhin am 26. Oktober 2022 eine E-Mail mit dem Betreff "Stellungnahme zu unserer Email vom 19.10.2022 (Veranstaltungsreihe zum Thema,Verantwortung der Juristen',Rechte Richter, Staatsanwälte und Schöffen - Gefahr für den Rechtsstaat?'" mit folgendem Wortlaut:
"Sehr geehrte Frau Kollegin, sehr geehrter Herr Kollege, Sie haben am 19. Oktober per Email einen Veranstaltungshinweis des Präsidenten des Oberlandesgerichts Nürnberg, , weitergeleitet erhalten zum Thema ,Rechte Richter, Staatsanwälte und Schöffen - Gefahr für den Rechtsstaat?'. Im Begleittext findet sich ein dem Veranstaltungsflyer entlehnter Satz, der wie folgt lautet: ,Angesichts der besorgniserregenden Meldungen über AfDnahe Richter und Staatsanwälte ist dies ein Thema, das für Gerichte und Anwaltschaft gleichermaßen interessant ist.' Die Intervention zweier Kammermitglieder veranlasst mich zu folgender Feststellung:
Die Rechtsanwaltskammer Nürnberg ist parteipolitisch neutral.
Der Vorstand und das Präsidium der Rechtsanwaltskammer Nürnberg treten jedweder extremen Gesinnung insbesondere im justiziellen Umfeld, gleich welcher politischen Couleur, mit Entschiedenheit entgegen.
Mit freundlichen kollegialen Grüßen"
4
Die Antragstellerin forderte danach am 28. Oktober 2022 die Antragsgegnerin zur Abgabe einer Unterlassungserklärung auf, was nicht erfolgte. Daraufhin beantragte die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 4. November 2022 den Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO mit den Anträgen:
"1. Der Antragsgegnerin wird untersagt, Werbung für die in Anlage K 1 angekündigte Veranstaltung zu betreiben.
2. Der Antragsgegnerin wird untersagt, in Schreiben an Kammermitglieder von,besorgniserregenden Meldungen über AfDnahe Richter und Staatsanwälte' zu berichten.
3. Der Antragsgegnerin wird untersagt, sich in Schreiben an die Kammermitglieder gegen,jedwede extremen Gesinnung insbesondere im justiziellen Umfeld, gleich welcher politischen Couleur' zu wenden."
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Zur Begründung hat die Antragstellerin ausgeführt, dass derartige Veranstaltungen nicht vom Aufgabenbereich einer Rechtsanwaltskammer umfasst seien. Die Antragsgegnerin habe sich auf die ihr gesetzlich zugewiesenen Aufgaben zu beschränken (§§ 62 Abs. 1, 73 BRAO). Weder politische Bildung noch abstrakte Diskussionen über (angebliche) politische Rechtsprechung gehörten zu den Aufgaben der Antragsgegnerin. Auch die Aussage, (die Antragsgegnerin) "wolle sich gegen,extremistische Bestrebungen' wenden", gehören nicht zum Aufgabenbereich einer Rechtsanwaltskammer. Zudem verstoße sie gegen die Neutralitätspflicht. Ihr stehe daher als Kammermitglied ein individueller Unterlassungsanspruch zu.
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Die Antragsgegnerin hat mit Schriftsatz vom 22. November 2022 beantragt, den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.
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Es fehle bereits an einem Anordnungsgrund, da die Veranstaltung bereits durchgeführt worden sei. Es sei auch nicht ersichtlich, dass weitere Schreiben an die Kammermitglieder gerichtet würden. Auch sei nicht mit weiteren E-Mails an die Kammermitglieder zu rechnen, dass jedweder extremen Gesinnung entgegengetreten werde.
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Zudem fehlt es auch an einem Anordnungsanspruch. Die Antragsgegnerin habe die durch Gesetz zugewiesenen Aufgaben zu erfüllen. Alle Aufgaben mit Anwaltsbezug, die von Bedeutung für die Rechtsanwaltschaft seien, lägen im Aufgabenbereich der Kammer. Rechtsanwälte seien unabhängige Organe der Rechtspflege. Nach § 7 Nr. 6 BRAO sei die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu versagen, wenn die antragstellende Person die freiheitliche demokratische Grundordnung in strafbarer Weise bekämpfe. Die Mitwirkung einer Rechtsanwaltskammer am Funktionieren des Rechtsstaates sei daher originäre Kammeraufgabe. Auch sei es die Aufgabe der Antragsgegnerin, gemeinsame Belange der Mitglieder zu fördern, wozu auch gehöre, die Öffentlichkeit über aktuelle Fragen der Rechtspolitik zu informieren. Die Antragsgegnerin habe auch entgegen der Behauptung der Antragstellerin nicht allgemein zu etwaig der AfD nahestehenden Rechtsanwälte und Staatsanwälte Stellung genommen, sondern sich nur mit "besorgniserregenden Meldungen" befasst. Die beworbene Veranstaltung sei geeignet, die Besorgnis entweder zu nehmen oder zu vertiefen.
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Bezüglich weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten Bezug genommen.
II.
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1. Der Antrag zu 1. ist bereits unzulässig. Denn er hat sich bereits erledigt, da die Veranstaltung bereits stattgefunden hat. Insoweit fehlt es an einem Rechtsschutzbedürfnis.
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2. Zudem sind die Anträge zu 1. bis 3. unbegründet.
12
Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auch schon vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung des Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach Satz 2 des § 123 Abs. 1 VwGO sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, notwendig erscheint, um insbesondere wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern. § 123 Abs. 1 VwGO setzt daher sowohl einen Anordnungsgrund, d. h. ein Bedürfnis für die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes in Form der Gefährdung eines eigenen Individualinteresses, als auch einen Anordnungsanspruch voraus, d. h. die bei summarischer Überprüfung der Sach- und Rechtslage hinreichende Aussicht auf Erfolg oder zumindest auf einen Teilerfolg des geltend gemachten Begehrens in der Hauptsache. Die Antragstellerin hat die hierzu notwendigen Tatsachen glaubhaft zu machen.
13
Wird der Antragsgegnerin ein begehrtes Unterlassen im Wege der einstweiligen Anordnung aufgegeben, würde sich die Hauptsache bereits erledigen (vgl. BVerwGE 109, 258 (261 f.) = NJW 2000, 160; BVerwG, Urt. v. 10.2.2011 -7 VR 6/11, BeckRS 2011, 47891; Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 123 Rn. 14). Solchen, die Hauptsache vorwegnehmenden Anträgen ist im Verfahren nach § 123 Abs. 1 VwGO nur ausnahmsweise dann stattzugeben, wenn das Abwarten in der Hauptsache für die Antragstellerin schwere und unzumutbare, nachträglich nicht mehr zu beseitigende Nachteile zur Folge hätte (st. Rspr., vgl.: BVerfGE 46, 166 (180 f.) = NJW 1978, 693; BVerwG, Beschluss vom 10.2.2011 -7 VR 6/11, BeckRS 2011 47891).
14
Im Hinblick auf diese Voraussetzungen hat die Antragstellerin bereits einen Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht, insbesondere nicht, dass ihr bei einem Abwarten auf die Entscheidung in einem etwaigen Hauptsacheverfahren unzumutbare, auch nach einem Erfolg in diesem Verfahren nicht mehr zu beseitigende Nachteile drohen.
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Es ist bereits nicht erkennbar, welche unwiderruflichen, nicht mehr rückgängig zu machenden Nachteile der Antragstellerin streitgegenständlich entstehen würden. Die alleinige Tatsache, dass sich Gerichtsverfahren über mehrere Jahre hinziehen können und ein Kläger gegebenenfalls einen längeren Zeitraum bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung abwarten muss, führt jedoch nicht zu einem Anordnungsgrund. Andernfalls wäre ein solcher bei jedem Klageverfahren anzunehmen, was jedoch dem Sinn und Zweck der Regelung zuwiderlaufen würde. Erforderlich ist ein über das allgemeine Interesse an einem zügigen Verfahren hinausgehendes besonderes Dringlichkeitsinteresse. Auch die Tatsache, dass die Veranstaltung bereits vorbei ist und keine konkrete Wiederholungsgefahr auf der Hand liegt, spricht gegen einen Anordnungsgrund.
16
Zudem ist auch zweifelhaft, ob ein Anordnungsanspruch besteht. Zwar haben Rechtsanwaltskammern kein allgemein politisches Mandat (Weyland, BRAO, § 73, Rn. 11; Henssler/Prütting, BRAO, § 73, Rn. 26 m.w.N.). Jedoch umfassen die Kammeraufgaben gemäß der Generalklausel des § 73 Abs. 1 S. 1, S. 3 BRAO alle Angelegenheiten, welche von "allgemeiner - nicht nur rein wirtschaftlicher - Bedeutung für die Rechtsanwaltschaft sind" (BGH, NJW 2005, 1710 m.w.N.). Hierzu zählt z.B. auch die Finanzierung von Öffentlichkeitsarbeit (Niedersächsischer AGH, B.v. 27.08.1996 - AGH 3/96, BRAK-Mitteilung 1996, 208). Bei der Bestimmung des Aufgabenbereichs kommt der Rechtsanwaltskammer auch ein Ermessensspielraum zu (Weyland, BRAO, § 73, Rn. 8). Bei einer summarischen Prüfung ist demnach nicht von überwiegenden Erfolgsaussichten für ein etwaiges Hauptsacheverfahren auszugehen (Kopp/Schenke, VwGO, § 123, Rn. 25). Auch bei einer zumindest offenen Rechtslage sind strenge Anforderungen an den Anordnungsgrund zu stellen (Kopp/Schenke, VwGO, § 123, Rn. 26), der somit auch aus diesem Grunde nicht gegeben ist.
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3. Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG.
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4. Dieser Beschluss ist gemäß §§ 112 c Abs. 1 BRAO, 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.