Titel:
Unfallversicherung, Leistungen, Berufung, Verletzung, Versicherungsbedingungen, Versicherungsleistung, Gutachten, Versicherungsnehmer, Ausschluss, Anspruch, Versicherungssumme, Gliedertaxe, Anlage, Verlust, Aussicht auf Erfolg, keine Aussicht auf Erfolg
Schlagworte:
Unfallversicherung, Leistungen, Berufung, Verletzung, Versicherungsbedingungen, Versicherungsleistung, Gutachten, Versicherungsnehmer, Ausschluss, Anspruch, Versicherungssumme, Gliedertaxe, Anlage, Verlust, Aussicht auf Erfolg, keine Aussicht auf Erfolg
Vorinstanz:
LG München II, Endurteil vom 27.05.2021 – 10 O 3814/20
Fundstelle:
BeckRS 2022, 44022
Tenor
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München II vom 27.05.2021, Az. 10 O 3814/20 Ver, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.
Entscheidungsgründe
1
Der Senat ist übereinstimmend der Auffassung, dass das Landgericht die Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen hat. Auch das Vorbringen in der Berufung rechtfertigt keine andere Entscheidung.
2
Der Kläger macht gegen die Beklagte Leistungen aus einer Unfallversicherung wegen einer Verletzung des Mittelfingers seiner linken Hand geltend. Unstreitig ist zwischen den Parteien, dass für den Kläger als Berufsmusiker eine erhöhte Gliedertaxe vereinbart ist. Streitig ist jedoch, ob für die Frage, ob ein Funktionsverlust oder nur eine Funktionsbeeinträchtigung des Fingers gegeben ist, auf die allgemeine körperliche Leistungsfähigkeit abzustellen ist oder darauf, inwieweit der Kläger in seinem Beruf als Musiker beeinträchtigt ist.
3
Nach § 1 der M. Bedingungen 2008 für die Unfallversicherung für den Fall der Invalidität (U_025_0711), vorgelegt als Anlage K9, entsteht ein Anspruch auf Leistung, wenn der Unfall zu einer dauerhaften Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit der versicherten Person führt. In § 3 Nr. 1 dieser Bedingungen sind für den Verlust oder die Funktionsunfähigkeit bestimmter Gliedmaßen feste Invaliditätsgrade vorgesehen, für den Teilverlust bzw. Funktionsbeeinträchtigungen ist ein entsprechender Prozentsatz des festen Invaliditätsgrades anzusetzen. In den M. Besondere Bedingungen 2008 für die Erweiterung des Unfallversicherungsschutzes für Berufsmusiker (Sinfonima BB-Unfall '08), Anlage K7, ist in § 1 unter der Überschrift „Erhöhte Gliedertaxe für Berufsmusiker“ folgende Regelung vorgesehen:
„In Abänderung von § 3 Nr. 1 M. VB-Unfall Invalidität '08 gelten als feste Invaliditätsgrade für Streicher und Gitarristen (…) unter Ausschluss des Nachweises einer höheren oder geringeren Invalidität
a) bei Verlust oder Funktionsunfähigkeit (…) eines anderen Fingers 100%,
b) bei Teilverlust oder Funktionsbeeinträchtigung eines der vorstehenden Körperteile oder Sinnesorgane der entsprechende Teil des Prozentsatzes nach Nr. 1a).“
4
Der von der Beklagten beauftragte Sachverständige Dr. H. stellte eine Bewegungseinschränkung mit begleitender Fehlstellung an Mittel- und Endglied fest (Gutachten Dr. H. vom 22.06.2020, Anlage K6). Die Beweglichkeit des Grundgelenks sah er als nicht beeinträchtigt an. Er bemaß die dauernde Gebrauchsbeeinträchtigung nach anatomisch-funktionellen Gesichtspunkten mit 5/20 und gab an, zur Frage, ob der betroffene Finger beim Geigespielen einzusetzen sei, wegen fehlender Sachkunde keine Angaben machen zu können. Die Beklagte zahlte an den Kläger auf Grundlage des Gutachtens eine Invaliditätsleistung von 25%, was 5/20 bezogen auf 100% entspricht, sowie die Übergangsentschädigung aus.
5
Der vom Landgericht beauftragte Sachverständige Prof. G. gab in seinem Gutachten vom 18.01.2021 (Bl. 58/81 d.A.) an, dass Mittelfingerend- und Grundgelenk unverletzt seien und einen normalen Bewegungsumfang in Bezug auf Extensions- und Flexionsbewegungen hätten. Auch sei die Sensibilität der Fingerbeeren uneingeschränkt. Daher könnte aus medizinischer Sicht keine 100% Funktionsunfähigkeit des linken Mittelfingers wie etwa bei einer Amputationsverletzung, einer vollständigen Einsteifung aller drei Gelenke eines Fingers oder einem Sensibilitätsverlust gesehen werden. Das Landgericht wies daraufhin die Klage mit der Begründung ab, dass die Beurteilung der Funktionsfähigkeit nicht auf den Beruf des Klägers als Musikers und Violinlehrers bezogen, sondern allgemein-medizinisch zu beurteilen sei.
6
Mit der Berufung macht der Kläger geltend, dass die Funktionsfähigkeit des Fingers nicht allgemein-medizinisch, sondern bezogen auf den Beruf des Klägers als Musiker zu beurteilen sei. Der Kläger sei als Musiker zu 100% invalide. Aus den Vertragsunterlagen ergebe sich, dass der Kläger einen Anspruch auf 100% der Versicherungsleistung habe, wenn er nicht mehr in der Lage sei zu musizieren. Der Kläger habe keine normale Unfallversicherung abgeschlossen, sondern eine besondere Unfallversicherung für Musiker. Dabei habe der Kläger den Vertragsinhalt so verstehen dürfen, dass er bei einer unfallbedingten Verletzung eines Fingers, die zum Ende der Musikertätigkeit führte, Anspruch auf die volle Versicherungssumme erhalte. Dies ergebe sich auch aus dem vorgerichtlichen Schreiben (Anlage K13).
7
Das Landgericht hat zu Recht entschieden, dass die Funktionsfähigkeit des Fingers allgemein-medizinisch und nicht bezogen auf die Tätigkeit des Klägers als Berufsmusiker zu beurteilen ist. Auf die zutreffende und ausführliche Begründung des Landgerichts wird Bezug genommen. Die vorliegenden Versicherungsbedingungen sehen zwar eine erhöhte Gliedertaxe vor, nicht aber eine gesonderte Definition der Invalidität oder der Funktionsfähigkeit der Gliedmaßen oder Sinnesorgane bezogen auf die Tätigkeit als Musiker.
8
1. Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an. In erster Linie ist vom Bedingungswortlaut auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind (BGH, Urteile vom 9. Mai 2018 – IV ZR 23/17, r+s 2018, 373 Rn. 16; vom 12. Juli 2017 – IV ZR 151/15, r+s 2017, 478 Rn. 26; vom 6. Juli 2016 – IV ZR 44/15, BGHZ 211, 51 Rn. 17; vom 23. Juni 1993 – IV ZR 135/92, BGHZ 123, 83, 85 [juris Rn. 14]; st. Rspr.).
9
2. Grundsätzlich gilt, dass die Bestimmung der Invalidität an die normale körperliche und geistige Leistungsfähigkeit des Versicherten anknüpft. Sind jedoch in der Gliedertaxe aufgeführte Glieder betroffen, ist die Invalidität allein nach der Gliedertaxe zu bestimmen (Prölss/Martin, Knappmann, VVG, 30. Auflage, 810 AUB 2010 Ziff.2 Rz. 35). Dies ergibt sich für die Allgemeinen Bedingungen aus dem Wortlaut des § 3 Nr. 1 wonach als feste Invaliditätsgrade „unter Ausschluss des Nachweises einer höheren oder niedrigeren Invalidität“ die dort genannten Grade gelten. Dasselbe gilt aber auch für die hier vereinbarten Besonderen Bedingungen für Berufsmusiker. Zwar ist insoweit vereinbart, dass im Falle des Verlustes oder der Funktionsunfähigkeit eines Mittelfingers in diesem Tarif ein Invaliditätsgrad von 100%, statt – wie in den allgemeinen Bedingungen vorgesehen – von 5% gilt. Aber auch insoweit handelt es sich um einen festen Invaliditätsgrad, unter Ausschluss des Nachweises einer höheren oder geringeren Invalidität, wie auch in dieser Regelung ausdrücklich festgelegt. Eine Änderung der Definition des Begriffs der Funktionsunfähigkeit oder -beeinträchtigung ist in den Versicherungsbedingungen dabei nicht vorgesehen. Insbesondere nehmen die besonderen Versicherungsbedingungen auch nicht darauf Bezug, ob und inwieweit im konkreten Fall die Berufsausübung noch möglich ist. Insoweit verbleibt es daher bei der generellen Gebrauchsfähigkeit nach allgemein-medizinischer Beurteilung (vgl. auch OLG Hamm, VersR 1985, 729). Eine Berücksichtigung der besonderen Situation eines Berufsmusikers ergibt sich allein aus der angepassten Gliedertaxe, die höhere feste Invaliditätsgrade vorsieht. Auch aus dem Sinnzusammenhang mit der Regelung unter b) kann der Versicherungsnehmer ersehen, dass es nicht auf die Funktionsbeeinträchtigung bezogen auf die Ausübung des Berufs ankommt: Die Regelung unter b) sieht auch für den Teilverlust eines Fingers einen entsprechenden Prozentsatz des festen Invaliditätsgrades vor, obwohl in diesem Fall ein Musizieren auf dem Niveau eines Berufsmusikers ebenfalls in der Regel nicht mehr möglich ist.
10
3. Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus dem als Anlage K13 vorgelegten Schreiben. Dort wird korrekt darauf verwiesen, dass die Spezialunfallversicherung bei Verlust des kleinen Fingers 100% leistet, während übliche Unfallversicherungen nur 5% leisten würden. Wie vom Landgericht bereits zutreffend dargelegt, hat die Beklagte das hier geleistete Werbeversprechen durch die bereits erfolgte Zahlung eingehalten.
11
4. Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt der Senat aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).