Inhalt

OLG Bamberg, Hinweisbeschluss v. 21.11.2022 – 10 U 106/22
Titel:

Keine Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem Motor EA 288 (hier: VW Passat)

Normenketten:
BGB § 443, § 823 Abs. 2, § 826
VO (EG) Nr. 715/2007 Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2
RL 2007/46/EG Art. 18, Art. 46
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
ZPO § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2, § 522 Abs. 1
Leitsätze:
1. Zu – jeweils verneinten – (Schadensersatz-)Ansprüchen von Käufern eines Fahrzeugs, in das ein Diesel-Motor des Typs EA 288 eingebaut ist, vgl. auch BGH BeckRS 2022, 11891; BeckRS 2022, 18404; OLG Bamberg BeckRS 2022, 32236; OLG Nürnberg BeckRS 2021, 52232; OLG Koblenz BeckRS 2022, 25180; BeckRS 2022, 25178; BeckRS 2022, 25176; BeckRS 2022, 25174; BeckRS 2022, 25157; BeckRS 2022, 25155; BeckRS 2022, 25138; BeckRS 2022, 25151; BeckRS 2022, 25075 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1); OLG Bamberg BeckRS 2021, 55750 mit zahlreichen weiteren Nachweisen (auch zur aA) im dortigen Leitsatz 1; anders durch Versäumnisurteil OLG Köln BeckRS 2021, 2388. (redaktioneller Leitsatz)
2. Hat das Landgericht sein (klageabweisendes) Urteil tragend auf mehrere Erwägungen gestützt, bleibt eine Berufung unzulässig, wenn die Berufungsbegründung die selbständig tragende Erwägung des Landgerichts, der Klagepartei sei kein Vermögensschaden entstanden nicht angreift. (Rn. 17 – 18) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Umstand, dass VW im Motortyp EA 189 eine unzulässige Abschalteinrichtung nebst Fahrstanderkennung („Umschaltlogik“) verwendet hat, stellt noch keinen greifbaren Anhaltspunkt dafür dar, dass dies auch beim Motortyp EA 288 der Fall ist. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
4. Beim Inverkehrbringen eines Fahrzeugs kommt durch die bloße Ausgabe der EG-Übereinstimmungsbescheinigung kein Garantievertrag zwischen dem Hersteller und dem Erwerber zustande. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, EA 288, unzulässige Abschalteinrichtung, sittenwidrig, Umschaltlogik, NEFZ, Prüfstandserkennungssoftware, Fahrkurvenerkennung, EG-Übereinstimmungsbescheinigung, Schlussanträge des Generalanwaltes
Vorinstanz:
LG Bayreuth, Urteil vom 16.09.2022 – 32 O 237/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 43996

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Bayreuth vom 16.09.2022 im Beschlussverfahren nach § 522 Abs. 1 Satz 3 ZPO als unzulässig zu verwerfen und den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 18.354,56 € festzusetzen.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis längstens 12.12.2022.

Entscheidungsgründe

I.
1
Die Klagepartei nimmt die beklagte Fahrzeugherstellerin auf Schadensersatz wegen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasreinigung in Anspruch.
2
Die Klagepartei erwarb am 10.01.2017 von einem Autohaus einen Gebrauchtwagen der Marke VW, Typ Passat zum Kaufpreis von 24.738,52 € (Anlage K 1). Zum Zeitpunkt des Kaufs betrug der Kilometerstand des Fahrzeugs 25.100 km, zum 05.08.2022 betrug er 96.637 km. Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor des Typs EA 288 (2,0 l 110 kW Euro 6) ausgestattet (vgl. Anlage K 2) und verfügt über einen NOx-Speicherkatalysator (NSK). Es ist nicht von einem Rückruf durch das Kraftfahrtbundesamt betroffen. Die Beklagte bietet lediglich eine sog. „freiwillige Servicemaßnahme“ für das Fahrzeug an.
3
Die Klagepartei hat in erster Instanz vorgetragen, in dem von ihr erworbenen Fahrzeug kämen mit Wissen und Wollen des Vorstands der Beklagten unzulässige Abschalteinrichtungen zum Einsatz (Zykluserkennung, Fahrkurve, Thermofenster). Sie ist deshalb der Auffassung, die Beklagte habe sie im Wege des Schadensersatzes so zu stellen, als habe sie den Kaufvertrag für das Fahrzeug nicht abgeschlossen. Auf dieser Grundlage hat die Klagepartei in erster Instanz zuletzt beantragt,
1.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerschaft 24.738,52 €, abzüglich eines Nutzungsersatzes i.H.v. 6.383,96 €, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jew. Basiszinssatz seit 06.01.2022, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des gegenständlichen Fahrzeugs VW Passat mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer zu zahlen.
2.
Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme des VW Passat mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer seit spätestens 06.01.2022 in Annahmeverzug befindet.
3.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 1.214,99 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 06.01.2022 zu zahlen.
4
Die Beklagte ist dem Vortrag der Klagepartei in erster Instanz entgegengetreten und hat Klageabweisung beantragt.
5
Das Landgericht hat die Klage mit Endurteil vom 16.09.2022 abgewiesen.
6
Wegen des Sach- und Streitstands in erster Instanz im Übrigen wird Bezug genommen auf die Feststellungen im angegriffenen Ersturteil (§ 522 Abs. 2 Satz 4 ZPO).
7
Gegen das vorgenannte Endurteil wendet sich die Berufung der Klagepartei, die sie im Wesentlichen wie folgt begründet:
8
Die Beklagte habe, indem sie im Fahrzeug der Klagepartei eine „Fahrkurvenerkennungsstrategie“ und ein Thermofenster zum Einsatz kommen lasse, jedenfalls fahrlässig gegen das Verbot aus Art. 5 Abs. 2 i.V.m. Art. 3 Nr. 10 der VO 715/2007 verstoßen, sodass der Klagepartei – da die vorgenannten Vorschriften Schutzgesetze seien – ein Anspruch auf Kaufpreiserstattung nach § 823 Abs. 2 BGB zustehe.
9
Zudem habe die Beklagte eine fehlerhafte EG-Übereinstimmungsbescheinigung (CoC) ausgestellt und hafte – da diese eine Garantie darstelle – auch aus diesem Grund, zum einen verschuldensunabhängig aus dem Garantieversprechen, zum anderen nach § 823 Abs. 2 BGB.
10
Sie habe schließlich eine prüfstandsbezogene unzulässige Abschalteinrichtung (Zykluserkennung, Manipulation des KSK mittels Fahrkurvenerkennungsstrategie) schlüssig dargelegt und bewiesen. Es bestehe somit auch ein Anspruch aus § 826 BGB.
11
Die Klagepartei beantragt,
1.
Unter Abänderung des am 13.10.2022 verkündeten Urteils des Landgerichts Bayreuth, Aktenzeichen: 32 O 237/22, wird die Berufungsbeklagte verurteilt, an den Kläger 24.738,52 € abzüglich einer Nutzungsentschädigung i.H.v. 6.383,96 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 06.01.2022 Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des VW Passat mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer zu zahlen.
2.
Unter Abänderung des am 13.10.2022 verkündeten Urteils des Landgerichts Bayreuth, Aktenzeichen: 32 O 237/22, wird festgestellt, dass sich die Berufungsbeklagte mit der Annahme des VW Passat mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer seit spätestens 06.01.2022 in Annahmeverzug befindet.
3.
Unter Abänderung des am 13.10.2022 verkündeten Urteils des Landgerichts Bayreuth, Aktenzeichen: 32 O 237/22, wird die Berufungsbeklagte verurteilt, an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 1.214,99 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 06.01.2022 zu zahlen.
12
Zudem hat die Klagepartei einen „Antrag nach § 538 Abs. 2 ZPO gestellt.“
13
Wegen des Vorbringens der Klagepartei im Berufungsverfahren im Übrigen wird Bezug genommen auf die Berufungsbegründung vom 16.11.2022 samt Anlagen.
II.
14
1. Nach der einstimmigen Auffassung des Senats ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen.
15
a) Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich nach Ansicht des Berufungsklägers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt. Dazu gehört eine aus sich heraus verständliche Angabe, welche bestimmten Punkte des angefochtenen Urteils der Berufungskläger bekämpft und welche tatsächlichen oder rechtlichen Gründe er ihnen im Einzelnen entgegensetzt. Hat das Erstgericht die Abweisung der Klage auf mehrere voneinander unabhängige, selbständig tragende rechtliche Erwägungen gestützt, muss die Berufungsbegründung in dieser Weise jede tragende Erwägung angreifen. Andernfalls ist das Rechtsmittel unzulässig (BGH, Beschluss vom 16.03.2021, VI ZB 97/19, NJW-RR 2021, 789 Rn. 5 m.w.N.; Beschluss vom 23.06.2021, VII ZB 4/21, juris Rn. 10; Beschluss vom 13.10.2021, VII ZB 33/21, juris Rn. 6; Beschluss vom 21.06.2022, VI ZB 87/21, juris Rn. 6; Beschluss vom 23.06.2022, VII ZB 43/21, juris Rn. 6). Der Grund hierfür liegt darin, dass in derartigen Fällen jede der gleichwertigen Begründungen des Erstgerichts seine Entscheidung trägt. Selbst wenn die gegen einen Grund vorgebrachten Angriffe durchgreifen, ändert sich nichts daran, dass die Klage aus einem anderen Grund weiterhin abweisungsreif (BGH, Beschluss vom 19.08.2021, III ZB 23/21, juris Rn. 8) die geltend gemachte Rechtsverletzung somit nicht entscheidungserheblich ist (vgl. BGH, Beschluss vom 25.07.2022, VIa ZB 2/21, juris Rn. 8).
16
b) Diesen Anforderungen wird die Berufungsbegründung der Klagepartei nicht gerecht.
17
Das Landgericht hat sein Urteil tragend auf mehrere Erwägungen gestützt. Außer auf die fehlende Substanz des Vortrags zu einer im Klägerfahrzeug verbauten unzulässigen Abschalteinrichtung hat es die Abweisung auch darauf gestützt, dass der Klagepartei kein Vermögensschaden entstanden sei. Wörtlich führt das Landgericht aus (LGU, Seite 8, dort unter Ziffer I. 1. lit. c):
„Da auch fünf Jahre nach dem Bekanntwerden von „Abgasmanipulationen“ und trotz umfangreicher Überprüfungen durch das KBA bislang kein Rückruf für das Fahrzeug des Klägers erfolgt ist, und auch keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass dieser in der Zukunft droht, bestand zur Überzeugung des Gerichts weiterhin zu keinem Zeitpunkt die Gefahr einer Betriebsuntersagung bzw. Betriebsbeschränkung für das Fahrzeug des Klägers und besteht eine solche auch jetzt nicht. Vor diesem Hintergrund ist nach Auffassung des Gerichts weder von einer arglistigen Täuschung des KBA als zuständiger Typengenehmigungsbehörde, noch vom Eintritt eines Schadens auszugehen.“
18
Diese – offensichtlich alle deliktischen Anspruchsgrundlagen betreffende – selbständig tragende Erwägung des Landgerichts greift die Berufungsbegründung nicht an. Mit keinem Wort verhält sie sich zur Frage, ob der Klagepartei ein Vermögensschaden entstanden ist.
19
2. Die Berufung hat überdies auch in der Sache keine Aussicht auf Erfolg.
20
a) Ein Anspruch der Klagepartei gegen die Beklagte nach § 826 BGB wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Form einer „Zykluserkennung anhand verschiedenster Umgebungs- und Fahrzeugparameter“ (vgl. Seite 11 der Berufungsbegründung) besteht nicht. Dieser Vortrag der Klagepartei ist prozessual unbeachtlich (zum Prüfungsmaßstab vgl. BGH, Urteil vom 13.07.2021, VI ZR 128/20, juris Rn. 21; Urteil vom 16.09.2021, VII ZR 190/20, juris Rn. 23; Urteil vom 26.04.2022, VI ZR 435/20, juris Rn. 12 f.).
21
Für das Vorhandensein einer dem Motor EA 189 vergleichbaren „Umschaltlogik“ fehlt jeder greifbare Anhaltspunkt. Der Umstand, dass die Beklagte im Motortyp EA 189 eine unzulässige Abschalteinrichtung nebst Fahrstanderkennung („Umschaltlogik“) verwendet hat, stellt noch keinen greifbaren Anhaltspunkt dafür dar, dass dies auch beim Motortyp EA 288 der Fall ist (OLG Dresden, Urteil vom 04.12.2020, 9a U 2074/19, juris Rn. 30). Aus dem Umstand, dass es sich bei dem Motorentyp EA 189 um den Vorgängermotor zum streitgegenständlichen Motorentyp EA 288 gehandelt hat, kann nicht geschlossen werden, dass auch in dem Nachfolgemodell eine unzulässige Abschalteinrichtung enthalten ist (OLG Stuttgart, Urteil vom 19.01.2021, 16a U 196/19, juris Rn. 54).
22
Auch die Abweichung der Messwerte im Realbetrieb von den Messwerten nach NEFZ ist als Indiz für eine Abschalteinrichtung, und noch dazu für eine Manipulationssoftware, die die Voraussetzungen des § 826 BGB erfüllen könnte, angesichts der unstreitigen gravierenden Unterschiede der Bedingungen, unter denen die Messung erfolgt, ungeeignet (BGH, Urteil vom 13.07.2021, VI ZR 128/20, juris Rn. 23; Beschluss vom 15.09.2021, VII ZR 2/21, juris Rn. 30; Urteil vom 26.04.2022, VI ZR 435/20, juris Rn. 15).
23
b) Ein solcher Anspruch besteht auch nicht mit Blick auf die im Fahrzeug der Klagepartei unstreitig verbaute Fahrkurve. Der Bundesgerichtshof hat eine Haftung der Beklagten für die – so wörtlich – „prüfzyklusabhängige NSK-Steuerung“ abgelehnt, weil die Steuerung der Vermeidung verzerrter NEFZ-Testergebnisse und damit einem nicht-manipulativen, grundsätzlich anerkennenswerten Zweck gedient habe und die Beklagte zudem alle Vorgaben zur NSK-Steuerung in der Entscheidungsvorlage vom 18. November 2015 ausdrücklich unter den Vorbehalt gesetzmäßigen Handels gestellt habe (BGH, Beschluss vom 21.03.2022, VIa ZR 334/21, juris Rn. 20).
24
c) Der Klageanspruch ergibt sich auch nicht aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 Satz 1 EG-FGV, weil es sich bei den Vorschriften der EG-FGV nicht um Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB handelt (BGH, Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 5/20, NJW 2020, 2798 Rn. 10 ff.; Beschluss vom 18.05.2021, VI ZR 486/20, juris Rn. 21; Urteil vom 16.09.2021, VII ZR 190/20, juris Rn. 35; Urteil vom 23.09.2021, III ZR 200/20, juris Rn. 14). Entsprechendes gilt für einen Anspruch nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 5 VO 715/2007/EG (BGH, Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 5/20, NJW 2020, 2798 Rn. 15; Urteil vom 08.12.2020, VI ZR 244/20, ZIP 2021, 84 Rn. 20; Beschluss vom 09.03.2021, VI ZR 889/20, Rn. 10, juris; Urteil vom 23.03.2021, VI ZR 1180/20, juris Rn. 19; vgl. auch BGH, Urteil vom 23.09.2021, III ZR 200/20, juris Rn. 14).
25
aa) Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Gesetz- und Verordnungsgeber an die (auch fahrlässige) Erteilung einer inhaltlich unrichtigen Übereinstimmungsbescheinigung einen gegen den Hersteller gerichteten Anspruch auf (Rück-)Abwicklung eines mit einem Dritten geschlossenen Kaufvertrags hätte knüpfen wollen. Anderes ergibt sich nicht aus dem Gesichtspunkt, dass die Übereinstimmungsbescheinigung gemäß Erwägungsgrund 0 des Anhangs IX der RL 2007/46/EG in der Fassung der VO 385/2009/EG eine Erklärung des Fahrzeugherstellers darstellt, in der dem Fahrzeugkäufer versichert wird, dass das von ihm erworbene Fahrzeug zum Zeitpunkt seiner Herstellung mit den in der Europäischen Union geltenden Rechtsvorschriften übereinstimmt. Auch wenn der genannte Erwägungsgrund, ebenso wie Erwägungsgrund 3 VO 385/2009/EG, wonach die Angaben auf der Übereinstimmungsbescheinigung für die beteiligten Verbraucher verständlich sein sollen, in persönlicher Hinsicht auch den Fahrzeugkäufer im Blick hat, erfasst sie in sachlicher Hinsicht das hier geltend gemachte Interesse nicht. Eine Einbeziehung dieses Interesses ergibt sich schließlich entgegen der Ansicht der Revision nicht daraus, dass die in Art. 46 RL 2007/46/EG vorgesehenen Sanktionen auch gewährleisten sollen, dass der Käufer eines Fahrzeugs im Besitz einer Übereinstimmungsbescheinigung ist, die es ihm erlaubt, das Fahrzeug gemäß Anhang IX dieser Richtlinie in jedem Mitgliedstaat zuzulassen, ohne zusätzliche technische Unterlagen vorlegen zu müssen (BGH, Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 5/20, ZIP 2020, 1715 Rn. 11).
26
bb) Soweit der Generalanwalt Rantos in seinen Schlussanträgen vom 02.06.2022 in der Rechtssache C-100/21 (ECLI:ECLI:EU:C:2022:420) eine von der vorgenannten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs abweichende Ansicht vertritt, ist diese zum jetzigen Zeitpunkt weder für die deutschen Gerichte noch für den Gerichtshof rechtsverbindlich (ebenso OLG München, Beschluss vom 01.07.2022, 8 U 1671/22, juris Rn. 29). Vielmehr erteilt der Gerichtshof von sich aus den Hinweis: „Die Schlussanträge sind für den Gerichtshof nicht bindend. Aufgabe der Generalanwältin oder des Generalanwalts ist es, dem Gerichtshof in völliger Unabhängigkeit einen Entscheidungsvorschlag für die betreffende Rechtssache zu unterbreiten. Die Richterinnen und Richter des Gerichtshofs treten nunmehr in die Beratung ein. Das Urteil wird zu einem späteren Zeitpunkt verkündet“.
27
d) Die Klage lässt sich nicht auf Ansprüche aus einer selbständigen Garantie gemäß § 443 BGB stützen. Zwar verwendet Generalanwalt Rantos mit Blick auf die Übereinstimmungsbescheinigung in seinem Schlussantrag vom 02.06.2022 das Wort „Garantie“ (vgl. ECLI:ECLI:EU:C:2022:420 Rn. 47). Beim Inverkehrbringen des Fahrzeugs kommt jedoch durch die bloße Ausgabe der EG-Übereinstimmungsbescheinigung kein Garantievertrag zwischen dem Hersteller und dem Erwerber zustande. Bei der Übereinstimmungsbescheinigung im Sinn von Art. 18 RL 2007/46/EG, §§ 6, 27, 37 EG-FGV, die der Hersteller eines Fahrzeuges erstellt und mit der er bestätigt, dass das konkrete auf den Markt gebrachte Fahrzeug den Vorgaben der EG-Typgenehmigung entspricht, und mittels derer der Hersteller die Voraussetzungen für die (Erst-)Zulassung des Fahrzeugs schafft, handelt es sich bei der gebotenen Beurteilung nach §§ 133, 157 BGB nicht um eine Garantieerklärung im Sinn von § 443 BGB. Denn mit der Erstellung der Übereinstimmungsbescheinigung, mit der bestätigt wird, dass das konkrete auf den Markt gebrachte Fahrzeug den Vorgaben der EG-Typgenehmigung entspricht, erfüllt der Hersteller eine gesetzliche Verpflichtung und schafft die Voraussetzungen der (Erst-)Zulassung des auf den Markt gebrachten Fahrzeugs (§ 6 Abs. 3 FZV). Dass der Hersteller über diese gesetzliche Pflichterfüllung hinaus in besonderem Maße Vertrauen in Anspruch nehmen oder eine Zusicherung abgeben will, erschließt sich weder nach dem Text der Bescheinigung noch nach deren Zweck (OLG Karlsruhe, Urteil vom 26.01.2022, 6 U 128/20, juris Rn. 43 f.; KG, Beschluss vom 28.07.2022, 4 U 1/22, juris Rn. 88; OLG Hamm, Urteil vom 18.08.2022, I-28 U 98/21, juris Rn. 55; OLG Dresden, Beschluss vom 12.09.2022, 4 U 386/22, juris Rn. 7).
III.
28
Aufgrund der Unzulässigkeit der Berufung sieht der Senat keinen Anlass, das Verfahren auszusetzen, da eine Sachentscheidung ohnehin nicht ergehen könnte.
IV.
29
Die Berufungsangriffe erfordern keine Erörterung in mündlicher Verhandlung.
30
Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
31
Der Senat regt daher – unbeschadet der Möglichkeit zur Stellungnahme – die kostengünstigere Rücknahme der Berufung an, die zwei Gerichtsgebühren spart (vgl. Nr. 1220, 1222 Kostenverzeichnis GKG). gez.
Bamberg, 21.11.2022