Inhalt

LG München I, Beschluss v. 14.12.2022 – 36 S 6500/22 WEG
Titel:

Kein Anspruch der Wohnungseigentümer auf Mitgebrauch des Gemeinschaftsvermögens

Normenkette:
WEG § 5 Abs. 2, § 16 Abs. 1 S. 2, § 47
Leitsätze:
1. Ein Recht der Wohnungseigentümer zum Mitgebrauch besteht gem. § 16 Abs. 1 S. 2 WEG nur am Gemeinschaftseigentum, nicht auch am Gemeinschaftsvermögen. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ausgeschlossen als Gegenstand des Sondereigentums sind gem. § 5 Abs. 2 WEG Gebäudeteile, die für den Bestand und die Sicherheit des Gebäudes erforderlich sind sowie Anlagen und Einrichtungen, die dem gemeinschaftlichen Gebrauch der Wohnungseigentümer dienen, selbst wenn sie sich im Bereich der im Sondereigentum stehenden Räume oder Teile des Grundstücks befinden. Die Bestimmung des § 5 Abs. 2 WEG findet hierbei über ihren Wortlaut hinaus nicht nur Anwendung auf Gebäudebestandteile, sondern auch auf Räume. Räume, die dem gemeinschaftlichen Gebrauch der Wohnungseigentümer dienen, können mithin kein Sondereigentum sein. (Rn. 11 und 12) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine in einer reinen Gesetzeswiederholung bestehende Regelung in einer Teilungserklärung führt in der Regel bei einer späteren Gesetzesänderung nicht dazu, dass diese gegenüber der späteren Gesetzesänderung Vorrang genießt. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Wohnungseigentümergemeinschaft, Gemeinschaftseigentum, Gemeinschaftsvermögen, Mitgebrauch, Sondereigentum, Rezeption, Kiosk, Teilungserklärung, Auslegung
Vorinstanzen:
LG München I, Hinweisbeschluss vom 08.11.2022 – 36 S 6500/22 WEG
AG Sonthofen, Urteil vom 03.05.2022 – 4 C 304/20 WEG
Fundstellen:
ZWE 2023, 204
BeckRS 2022, 43867
ZMR 2024, 413
LSK 2022, 43867

Tenor

1. Die Berufung der Klagepartei gegen das Urteil des Amtsgerichts Sonthofen vom 03.05.2022, Aktenzeichen 4 C 304/20 WEG, wird zurückgewiesen.
2. Die Klagepartei hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Amtsgerichts Sonthofen ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 5.000,00 € festgesetzt.

Gründe

1
Die Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts Sonthofen vom 03.05.2022, Aktenzeichen 4 C 304/20 WEG, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung der Kammer das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
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Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweis der Kammer vom 08.11.2022 Bezug genommen.
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Auch die Ausführungen in der Gegenerklärung geben zu einer Änderung keinen Anlass:
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1. Die rechtlichen Ausführungen der Klagepartei bzgl. der Einheit Nr. 101 b sind unzutreffend.
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1.1. Es trifft zwar zu, dass in der GO vom 04.03.1980 in § 1 „Sondernutzungsrechte“ unter Ziffer 1 geregelt ist, dass „dem jeweiligen Eigentümer der Einheit Nr. 101 (Restaurant) in der Eingangshalle Kiosk und Rezeption“ zur „ausschließlichen Nutzung zugewiesen“ werden, wobei in Ziffer 3 weiter formuliert ist „(…) Die Begründung der Sondernutzungsrechte erfolgt nur vorsorglich für den Fall, dass die betroffenen Flächen entgegen den Vorstellungen der AWG aus Rechtsgründen nicht Sondereigentum werden sollten“. Die Rezeptionsfläche stand zunächst im Gemeinschaftseigentum, wenngleich sie von Anfang an mit einem Sondernutzungsrecht (nur) zugunsten des Eigentümers der Einheit Nr. 101 belegt war und die übrigen Sondereigentümer mithin von Anfang an von dem an sich nach § 13 Abs. 2 WEG a.F. (§ 16 Abs. 1, S. 2 WEG) gegebenen Mitgebrauch dieses Teils des gemeinschaftlichen Eigentums ausgeschlossen waren.
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1.2. Die betreffende Fläche „Rezeption und Kiosk“ bildet aber mittlerweile, wie sich aus dem von der Klagepartei selbst vorgelegten Grundbuchauszug aus dem Grundbuch von Wilhams vom 21.02.2020 eindeutig ergibt, die neue Sondereigentumseinheit Nr. 101 b (Kiosk und Rezeption), deren Eigentümerin die (rechtsfähige) WEG W, Nr. 1, ... M2. ist. An der Fläche, die im Gemeinschaftseigentum stand, wurde (neues) Sondereigentum begründet, wofür – da dem gemeinschaftlichen Eigentum ohne das Einverständnis aller Miteigentümer nichts weggenommen werden darf (vgl. Hügel/Elzer, 3. Aufl. 2021, WEG § 4 Rn. 5) – neben einem neuen behördlich bestätigten Aufteilungsplan nebst neuer Abgeschlossenheitsbescheinigung eine Einigung sämtlicher Wohnungseigentümer als Miteigentümer in der Form der Auflassung und der Eintragung in das Grundbuch erforderlich war. Warum das neue Sondereigentum 101b gebildet wurde, ist sachenrechtlich nicht relevant. Von Bedeutung ist insoweit nur, dass das neue Sondereigentum 101b tatsächlich gebildet wurde und dass es im (Sonder-)Eigentum der WEG steht.
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1.3. Ein Sondernutzungsrecht (das ohnehin nur zugunsten des Eigentümers der Einheit Nr. 101 bestand) besteht nicht mehr; Sondernutzungsrechte können nur an gemeinschaftlichem Eigentum bestehen (BGH, Beschluss v. 20.2.2014 − V ZB 116/13, ZWE 2014, 211, beck-online).
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1.4. Ein Recht zum Mitgebrauch besteht gem. § 16 Abs. 1, S. 2 WEG nur am Gemeinschaftseigentum. Die Einheit 101 b „Kiosk und Rezeption“ steht aber nicht im Gemeinschaftseigentum. Sie zählt zum Gemeinschaftsvermögen, auf das § 16 Abs. 1, S. 2 WEG gerade nicht anwendbar ist. Auf den Hinweisbeschluss vom 08.11.2022 wird Bezug genommen.
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2. Die Kammer teilt nicht die Auffassung der Klagepartei, wonach die (neue) Einheit 101 b gem. § 5 Abs. 2 WEG nicht sondereigentumsfähig ist, sondern zum zwingenden Gemeinschaftseigentum zählt.
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2.1. § 5 Abs. 2 WEG regelt eine absolute Grenze für die Bildung von Sondereigentum, die nicht durch Billigkeitserwägungen relativiert werden kann.
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Wird dennoch Sondereigentum in der Teilungserklärung zugewiesen, ist die Zuweisung insoweit nichtig. Ausgeschlossen als Gegenstand des Sondereigentums sind gemäß § 5 Abs. 2 WEG Gebäudeteile, die für den Bestand und die Sicherheit des Gebäudes erforderlich sind sowie Anlagen und Einrichtungen, die dem gemeinschaftlichen Gebrauch der Wohnungseigentümer dienen, selbst wenn sie sich im Bereich der im Sondereigentum stehenden Räume oder Teile des Grundstücks befinden (Hügel/Elzer, 3. Aufl. 2021, WEG § 5 Rn. 21).
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Über seinen Wortlaut hinaus findet § 5 Abs. 2 WEG nicht nur Anwendung auf Gebäudebestandteile, sondern auch auf Räume. Räume, die dem gemeinschaftlichen Gebrauch der Wohnungseigentümer dienen, können kein Sondereigentum sein (vgl. Hügel/Elzer, 3. Aufl. 2021, WEG § 5 Rn. 21f.).
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2.2. Die Frage nach einem gemeinschaftlichen Gebrauch beurteilt sich nach der Art der betreffenden Anlage oder Einrichtung, nach ihrer Funktion und Bedeutung für die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer. Hierfür genügt nicht schon, dass sich eine Anlage zur gemeinsamen Nutzung eignet und anbietet; ihr Zweck muss vielmehr darauf gerichtet sein, der Gesamtheit der Wohnungseigentümer einen ungestörten Gebrauch ihrer Wohnungen und der Gemeinschaftsräume zu ermöglichen und zu erhalten. Die Anlage oder Einrichtung muss so auf die gemeinsamen Bedürfnisse der Wohnungseigentümer zugeschnitten sein, dass eine Vorenthaltung der gemeinschaftlichen Verfügungsbefugnis durch Bildung von Sondereigentum deren schutzwürdigen Belangen zuwiderlaufen würde (BGH NJW 1981, 455; OLG München ZWE 2017, 175 Rn. 22). Das trifft vornehmlich auf Anlagen und Einrichtungen zu, die als Zugang zu den Wohnungen und Gemeinschaftsräumen bestimmt sind, wie etwa in der Regel Fahrstühle, Treppenaufgänge und dergleichen, oder die zur Bewirtschaftung und Versorgung der Wohnungen und des Gemeinschaftseigentums dienen, wie z.B. Wasserleitungen, Gas- und Heizungsanlagen (BGH NJW 1981, 455; OLG München ZWE 2019, 263). Gemeinschaftseigentum sind weiterhin alle Räume mit Versorgungseinrichtungen (OLG München ZWE 2020, 276) Hierzu zählen Heizungs- und Tankräume. Auch Fahrradräume für die Wohnungseigentümer und ein gemeinschaftlicher Waschraum sind zum gemeinschaftlichen Eigentum zu rechnen (Hügel/Elzer, 3. Aufl. 2021, WEG § 5 Rn. 30).
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2.3. Diese Voraussetzungen sind hier bzgl. der Rezeption nicht erfüllt. Es ist nicht ersichtlich, dass eine Vorenthaltung der gemeinschaftlichen Verfügungsbefugnis an der Rezeption und dem Kiosk – die wegen des bereits in der TE von 1980 beinhalteten Sondernutzungsrechts zugunsten der Einheit Nr. 101 von Anfang an ersichtlich nicht vorgesehen war – durch die Bildung von Sondereigentum den schutzwürdigen Belangen der Appartementeigentümer an einem ungestörten Gebrauch ihres Sondereigentums und des Gemeinschaftseigentums zuwiderliefe. Vielmehr erscheint es nach der Verkehrsanschauung ohne Weiteres möglich, auch ohne die Funktionsräume Rezeption/Kiosk die Appartements als Sondereigentum zweckgerecht zu gebrauchen, zu vermieten und Schlüsselübergaben an Mieter vorzunehmen. Abgesehen davon bieten sich, um den schutzwürdigen Belangen von Teileigentümern Rechnung zu tragen, vielfältige schuldrechtliche Absprachen an (vgl. OLG München, Beschluss vom 9.2.2017 – 34 Wx 333/16, NJW-RR 2017, 659).
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3. Auch die weiteren von der Klagepartei in Bezug genommenen Regelungen der TE vom 04.30.1980 rechtfertigen keine abweichende Beurteilung der Erfolgsaussichten der Berufung.
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3.1. § 1 der GO weist dem jeweiligen Teileigentümer zwar u.a. „das Recht der Mitbenutzung der zum gemeinschaftlichen Gebrauch bestimmten Räume, Anlagen und Einrichtungen der Gesamtanlage und des Gesamtgrundstücks zu“. Bereits durch den unmittelbar anschließenden Satz „Im einzelnen ist für den Gebrauch des gemeinschaftlichen Eigentums die vom Verwalter aufzustellende Hausordnung maßgebend (Hervorhebungen durch Unterzeichner)“ wird bei der gebotenen objektiv-normativen Auslegung der GO allerdings deutlich, dass mit den „zum gemeinschaftlichen Gebrauch bestimmten Räumen, Anlagen und Einrichtungen“ das Gemeinschaftseigentum gemeint ist, zu dem die Rezeption gerade nicht (mehr) zählt.
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3.2. Es ist zwar zutreffend, dass in der TE von 1980 unter Ziffer IV (“Gegenstand von Sonder- und Gemeinschaftseigentum“) Nr. 2 formuliert ist: “Gemeinschaftliches Eigentum sind a) das Grundstück; b) die Teile, Anlagen und Einrichtungen des Gebäudes, die nicht im Sondereigentum oder im Eigentum Dritter stehen; c) Anlagen und Einrichtungen, die dem gemeinschaftlichen Gebrauch der Bewohner dienen; d) das jeweils vorhandene Gemeinschaftsvermögen“. Diese Regelung bedingt jedoch nicht, dass die zum Verwaltungsvermögen zählende Einheit 101b sachenrechtlich als gemeinschaftliches Eigentum einzuordnen wäre.
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a) Nach der ursprünglichen Konzeption des WEG war die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer als Bruchteilsgemeinschaft iSd. §§ 741 ff. BGB konzipiert (BayObLGZ 1984, 239 (242); Emmerich in Bärmann/Pick § 10 Rn. 31). Dementsprechend standen die Wohnungseigentümer im Zentrum der wohnungseigentumsrechtlichen Beziehungen im Innen- und Außenverhältnis (BayObLGZ, aaO). Das änderte sich erst sukzessive mit Anerkennung der Rechtsfähigkeit der Wohnungseigentümergemeinschaft als Verband durch den V. Zivilsenat des BGH (BGH, Beschl. V. 2. 6. 2005 – V ZB 32/05, NJW 2005, 2061, beck-online) und deren gesetzlichen Verankerung durch die Novelle 2007 in § 10 Abs. 6 WEG a.F.
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Erst mit der Anerkennung der Rechtsfähigkeit wurde das Verwaltungsvermögen der WEG als Rechtssubjekt zugewiesen (vgl. Bärmann/Suilmann, 14. Aufl. 2018, WEG § 10 Rn. 332).
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b) Die Regelung in der TE aus dem Jahr 1980 erschöpft sich in der Wiedergabe der damaligen Rechtslage.
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Dies entspricht der in der Praxis der Vertragsgestaltung verbreiteten Unsitte, den Wortlaut zum Zeitpunkt ihres Abschlusses bestehender gesetzlicher Vorschriften in Verträgen zu wiederholen. Dies geschieht in der Regel zur vermeintlichen „Klarstellung“, aus Sicht der Ersteller angeblich um einen aus sich heraus verständlichen und damit „transparenten“ Text herzustellen. Entsprechend finden sich auch in Gemeinschaftsordnungen – die als Vereinbarungen i.S.d. § 10 Abs. 3 WEG einzuordnen sind – nicht selten einige Bestimmungen, in denen der bei ihrer Abfassung geltende Gesetzestext wiederholt wurde. Ob eine Vereinbarung nur den damaligen Gesetzwortlaut als „Lesehilfe“ wiederholen oder eine eigenständige, gerade den damaligen Gesetzesstand bewahrende Versteinerung bewirken wollte, ist nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen zu ermitteln (MüKoBGB/Krafka, 8. Aufl. 2021, WEG § 47 Rn. 2, 3).
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c) Grundsätzlich wird man in einer reinen Gesetzeswiederholung – bzw. (wie hier) in der Darstellung der damaligen Rechtslage bzw. Rechtsauffassung – keine Vereinbarung im wohnungseigentumsrechtlichen Sinne sehen können. Dies kann sich jedoch bei einer späteren Gesetzesänderung verändern und zu der Frage führen, ob die frühere Gesetzeslage durch die entsprechende Vereinbarung perpetuiert werden sollte. In der Regel dürfte durch solche Vereinbarungen nicht bezweckt sein, dass diese Vorschriften auch gegenüber späteren Gesetzesänderungen Vorrang genießen. Vielmehr soll die Wiederholung gesetzlicher Vorschriften in der Gemeinschaftsordnung in der Regel nur den Wohnungseigentümern und dem Verwalter die Lektüre des Gesetzes ersparen (BT-Drs. 19/18791, 84). Letztlich lässt sich diese Frage nur durch Auslegung der Altvereinbarungen beantworten. § 47 WEG enthält für eine solche Auslegung eine Auslegungshilfe (vgl. Hügel/Elzer, 3. Aufl. 2021, WEG § 10 Rn. 45), kommt vorliegend aber nicht direkt zum Tragen, da die hier betroffene Regelung der GO nicht von solchen Vorschriften des WEG abweichen, die (erst) durch das WEMoG geändert wurden.
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d) Vorliegend gibt es bei der gebotenen objektiv-normativen Auslegung keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Regelung in IV.2 der GO über die Darstellung der damaligen Rechtslage (vor Anerkennung der Teilrechtsfähigkeit der WEG) bzgl. des Verwaltungsvermögens hinaus eine sachenrechtliche Regelung i.S. einer Zuweisung des gesamten Verwaltungsvermögens zum Gemeinschaftseigentum treffen wollte, und sich nicht in der rein deskriptiven Wiedergabe der damaligen Rechtsauffassung erschöpft.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
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5. Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß § 708 Nr. 10 ZPO.
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6. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG bestimmt.