Titel:
rechtmäßige Ausweisung nach wiederholter Straffälligkeit
Normenketten:
AufenthG § 53 Abs. 1, Abs. 2, § 54, § 55
EMRK Art. 8
ENA Art. 3 Abs. 3
Rückführungs-RL Art. Art. 3 Nr. 4, Art. 6
Leitsätze:
1. Solange eine auslandsbezogene Ausweisung noch nicht bestandskräftig geworden ist, kann die Ausländerbehörde eine erneute Abschiebungsandrohung im Wege des Änderungsbescheids erlassen und ein Einreise- und Aufenthaltsverbot neu anordnen und befristen, mithin eine „Rückkehrentscheidung“ im Sinne von Art. 3 Nr. 4 und Art. 6 RL 2008/115/EG treffen. (Rn. 51) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Abschiebungsandrohung muss als „Rückkehrentscheidung“ im Sinne von Art. 3 Nr. 4 und Art. 6 RL 2008/115/EG nach Art. 11 RL 2008/115/EG mit einem Einreiseverbot im Sinne von Art. 3 Nr. 6 RL 2008/115/EG einhergehen, das insbesondere für „faktische Inländer“ eine Rückkehrperspektive eröffnet. (Rn. 56) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ghanaischer Staatsangehöriger, Wiederholte Körperverletzungsdelikte und Widerstandshandlungen gegen Vollstreckungsbeamte (Polizeivollzugsbeamte im Einsatz), Rückfalltäter trotz mehrfacher Hafterfahrung, Verlust einer Niederlassungserlaubnis durch die Ausweisung, Rechtswidrigkeit einer Abschiebungsandrohung ohne Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, Rechtswidrigkeit einer Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ohne seinen Erlass, Ghana, Ausweisung, Niederlassungserlaubnis, faktischer Inländer, Rückkehrentscheidung
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 06.02.2023 – 10 ZB 23.18
Fundstelle:
BeckRS 2022, 43753
Tenor
I. Der Bescheid des Beklagten vom 1. September 2022 wird in Ziffern 2. bis 5. aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens tragen der Kläger und der Beklagte je zur Hälfte.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch den jeweiligen Vollstreckungsgläubiger durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn der Vollstreckungsgläubiger nicht zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung.
2
Der am ... 1994 in …Ghana geborene Kläger ist ghanaischer Staatsangehöriger und reiste im Wege des Kindesnachzugs am 26. November 2004 im Alter von zehn Jahren zu seiner bereits im Jahr 2001 nach Deutschland eingewanderten Mutter nach. Sein Vater lebt in Ghana; nach den Angaben im Visumverfahren hätten sich seine Eltern vor seiner Geburt getrennt und er sei bei einer Großtante und einer Tante aufgewachsen; seinen leiblichen Vater kenne er nicht (Behördenakte des Beklagten Bl. 13, 28, 309). Seine Halbgeschwister leben in Deutschland. Der Kläger ist ledig ohne Kinder.
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Nach seiner Einreise setzte der Kläger seine in Ghana begonnene Schulausbildung (ebenda Bl. 103) fort, absolvierte von 2009-2013 eine Ausbildung zum Anlagenmechaniker für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik, war danach teils erwerbstätig und von 2019-2021 im Sozialhilfebezug.
4
Der Kläger hielt sich bis zuletzt im Bundesgebiet auf, seit dem 25. Februar 2010 aufgrund einer Niederlassungserlaubnis nach § 35 AufenthG (ebenda Bl. 77). Vom 30. November 2018 bis zum 4. März 2020 stand der Kläger unter einer gerichtlich angeordneten Betreuung (ebenda Bl. 274 f.), weil der Verdacht einer schizophrenen Symptomatik besteht; da der Kläger eine genauere Untersuchung verweigert, liegt keine belastbarere Diagnose vor und ist auch keine Therapie in Aussicht.
5
Der Kläger ist mehrfach strafrechtlich auffällig geworden und befand sich vom 3. Oktober 2018 bis zum 2. April 2019, vom 15. März 2021 bis zum 11. März 2022 sowie seit dem 29. März 2022 wiederum in Strafhaft; der Ablauf von 2/3 der Haftzeit wurde auf den 26. November 2022 berechnet, das Datum der voraussichtlichen Haftentlassung auf den 28. März 2023. Im Einzelnen ist der Kläger straffällig geworden:
6
- AG, U.v. 23.9.2010 – ... – Behördenakte des Beklagten Bl. 100 ff.: Verwarnung wegen vorsätzlicher Körperverletzung. Zu Gunsten des Klägers wurde u.a. sein Geständnis gewertet.
7
- AG, U.v. 29.1.2014 – ... – Behördenakte des Beklagten Bl. 123 ff.: Verwarnung wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr in Tateinheit mit fahrlässigem Anordnen des Fahrens ohne Fahrerlaubnis, Sperre für die Fahrerlaubnis.
Der Kläger hatte am 18. August 2013 auf einem Parkplatz sein Fahrzeug mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,70 Promille geführt und einer anderen ebenfalls erheblich alkoholisierten Person für eine „Parkplatzrunde“ zur Verfügung gestellt. Zugunsten des Klägers wurden sein Geständnis und die geringere abstrakte Verkehrsgefahr auf dem Parkplatz gewertet; zu seinen Lasten seine strafrechtliche Vorahndung und die ganz erhebliche Alkoholisierung.
8
- AG, U.v. 24.11.2016 – ... – ebenda Bl. 179, 188 ff.: Freiheitsstrafe von 6 Monaten wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung und Beleidigung.
Der Kläger und ein Begleiter wurden am 28. Oktober 2015 nachts einer Personenkontrolle unterzogen wegen eines in der Nähe stattgefundenen Aufbruchs eines Pkw. Der Kläger gab hierzu an, keinen Ausweis mitzuführen und schlug die Hand eines ihn daraufhin durchsuchen wollenden Polizeivollzugsbeamten zur Seite, der dadurch eine Kapselverletzung erlitt. Der Kläger blieb auch nach Darlegung der Gründe für die Durchsuchung uneinsichtig, sodass polizeiliche Verstärkung geholt werden und unmittelbarer Zwang angedroht werden musste. Der Kläger riss sich jedoch wieder los und wehrte sich mit Händen und Füßen und konnte erst auf der Polizeidienststelle durchsucht werden. Am 21. Mai 2016 sollten der Kläger und eine Begleiterin vormittags aufgrund alkoholisierten Zustands und Anhaltspunkten für einen vorangegangenen Drogenkonsum durchsucht werden, was der Kläger verweigerte. Durch Abwehr- und eigene Angriffsbewegungen verletzte der Kläger einen Polizeivollzugsbeamten an den Kapseln zweier Finger und beleidigte später noch die Polizeivollzugsbeamten. Zugunsten des Klägers wurden bei der zweiten Tat eine alkoholbedingte Enthemmung und bei der ersten Tat die zwischenzeitlich verstrichene Zeit berücksichtigt. Zulasten des Klägers wurden die einschlägige strafrechtliche Vorahndung (vorsätzliche Körperverletzung) und die nicht unerheblichen Verletzungen der Polizeivollzugsbeamten sowie die einschlägige strafrechtliche Auffälligkeit des Klägers erst sieben Monate zuvor berücksichtigt. Die zunächst zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe wurde nach Widerruf der Strafaussetzung vollstreckt und am 2. April 2019 erledigt.
9
- AG, U.v. 22.10.2019 – ... – ebenda Bl. 257 ff., 340 ff.: Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit tätlichem Angriff gegen Vollstreckungsbeamte, vorsätzlicher und versuchter Körperverletzung.
Am 14. August 2017 versuchten Polizeivollzugsbeamte in der Wohnung des Klägers, einen Unterbringungsbescheid des Landratsamts ... zu vollstrecken. Gegen die zuvor angedrohte Festnahme wehrte sich der Kläger mit massiver körperlicher Gewalt mit Sperren, Treten und Herauswinden sowie Tritten und Bissversuchen gegen die Beamten.
10
- AG, U.v. 5.11.2019 – ... – ebenda Bl. 237 ff., 322 ff.: Gesamtfreiheitsstrafe von 9 Monaten wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in zwei Fällen, Beleidigung und Bedrohung sowie vorsätzlicher Körperverletzung.
Der Kläger geriet am 15. Juli 2018 in einem Bordell in ... in Streit mit einer Prostituierten, wurde vom hausinternen Wachdienst gefesselt und ging beim Eintreffen der Polizei erneut auf den Wachdienst los, was die Polizeivollzugsbeamten zu unterbinden suchten. Hiergegen wehrte sich der Kläger, indem er sich ihnen zu entwinden suchte, mit den Füßen nach ihnen trat und sie massiv beleidigte sowie auf dem Weg zum Einsatzfahrzeug durch Körpereinsatz erneut versuchte, sich der Maßnahme zu entziehen. Auch auf dem Polizeirevier beleidigte er die Polizeivollzugsbeamten massiv und bedrohte sie und ihre Familien mit dem Tod.
Das Strafgericht konnte beim Kläger nach gutachterlicher Einschätzung (ebenda Bl. 336 ff., 349 ff.) eine schizophrene Psychose und eine Einschränkung seiner Steuerungsfähigkeit zur Tatzeit infolge des Einflusses dieser psychotischen Erkrankung nicht ausschließen. Gleichwohl konnte es umgekehrt auch eine vollständige Aufhebung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Klägers nicht feststellen. Zugunsten des Klägers wurde berücksichtigt, dass er über knapp zwei Jahre hinweg straffrei geblieben war und eine verminderte Schuldfähigkeit nicht auszuschließen war; zulasten des Klägers wurden die einschlägigen Vorstrafen, die damals noch offene einschlägige Bewährung und der Rückfall nur gut acht Monate nach der Rechtskraft der vorangegangenen Verurteilung berücksichtigt. Eine erneute Strafaussetzung zur Bewährung komme mangels guter Sozialprognose und wegen einschlägiger Rückfälligkeit trotz Bewährung nicht in Betracht. Für eine positive Sozialprognose fehle dem Kläger jede Einsicht in das Unrecht seiner Tat, es fehle ebenso an tragfähigen sozialen Bindungen sowie einem aktuellen Beschäftigungsverhältnis. Dem Kläger müsse mit spürbaren Sanktionen deutlich gemacht werden, dass solche Straftaten nicht akzeptiert würden.
Aus beiden Verurteilungen wurde eine nachträgliche Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr gebildet (ebenda Bl. 261 ff.).
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- AG, U.v. 21.7.2020 – ... – ebenda Bl. 370 ff.: Freiheitsstrafe von einem Jahr wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte.
Am 20. Oktober 2019 kontrollierten Polizeivollzugsbeamte einen Freund des Klägers. Als dieser aggressiv wurde, stieg auch der Kläger aus seinem Pkw aus und begann aggressiv zu schreien und schlug mehrfach die Hände des Polizeivollzugsbeamten weg, als dieser ihn durchsuchen wollte. In der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht habe der Kläger keinerlei Einsicht gezeigt und die Gelegenheit zu Fragen genutzt, einen im Zuschauerraum anwesenden Zeugen zu beleidigen. Der Kläger habe jeden Tatvorwurf bestritten. Zugunsten des Klägers sei der geringe Umfang der Widerstandshandlung zu werten. Einsicht und Reue oder ein Geständnis hingegen hätten sich nicht feststellen lassen. In erheblichem Maße strafschärfend seien aber die einschlägigen Vorverurteilungen des Klägers, die Hafterfahrung nur wenige Monate vor der neuen Tat und der offenbar fehlende Hafteindruck zu werten. Eine Strafaussetzung zur Bewährung sei ausgeschlossen, da der Kläger schon in der Vergangenheit durch Bewährungsstrafen nicht habe beeindruckt werden können und die letzte Bewährung nicht durchgestanden habe, sondern sie habe widerrufen werden müssen und sogar die letzte Haft keinen nachhaltigen Eindruck hinterlassen habe.
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Der Beklagte holte Stellungnahmen der Justizvollzugsanstalt ein. Die Justizvollzugsanstalt ... teilte mit Schreiben vom 21. Dezember 2021 mit (ebenda Bl. 277 f.), der Kläger habe sich am 15. März 2021 freiwillig zum Strafantritt gestellt und sei mit hoher Rückfallgeschwindigkeit erneut straffällig geworden ausweislich des Auszugs aus dem Bundeszentralregister. Er trete innerhalb der Haftanstalt sachlich, zugänglich, ruhig und friedlich auf und befolge die Vorschriften; ein Strafeindruck sei aber nicht erkennbar. Er arbeite in der Elektroabteilung gut mit, private Besuche hätten nicht stattgefunden, mit seinen Eltern seien ihm vier Telefonate bewilligt worden. Für Vollzugslockerungen sowie Hafturlaub sei er ungeeignet. Er sei bisher frei von einer disziplinarischen Ahndung. Aufgrund seiner psychiatrischen Diagnose solle der Kläger nach der Entlassung regelmäßig Kontakt zu einer psychiatrischen Behandlung halten; eine Wiederholungsgefahr könne mangels Teilnahme am Behandlungsprogramm nicht beurteilt werden. Die Justizvollzugsanstalt ... teilte mit Schreiben vom 3. August 2022 und 12. September 2022 mit (ebenda Bl. 284 f., 412 f.), der Kläger sei zuletzt am 11. März 2022 aus der Haft entlassen worden und habe sich bereits am 29. März 2022 erneut freiwillig zum Haftvollzug gestellt. Er habe sich in der Vergangenheit als Bewährungsversager erwiesen. Sein Verhalten sei beanstandungsfrei. Besuche habe er nicht erhalten, aber zwei Telefonate mit seinem Vater als Besuchsersatz. Für Vollzugslockerungen sowie Hafturlaub sei er nicht geeignet. Er verhalte sich beanstandungsfrei. Am Behandlungsprogramm nehme er nicht teil.
13
Der Beklagte hörte den Kläger vor Erlass des streitgegenständlichen Bescheids an. Der Kläger führte aus, er habe seine schulische und berufliche Ausbildung in Deutschland durchlaufen und daher in einem anderen Staat keine Perspektiven. Die Haftstrafen sei nur geringfügig anzusehen und die Ausländerbehörde solle daher von der Ausweisung absehen.
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Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 1. September 2022, dem Kläger übergeben am 5. September 2022, wies der Beklagte den Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland aus (Nr. 1 des Bescheids), befristete die Wirkungen der Ausweisung und einer eventuell durchzuführenden Abschiebung auf die Dauer von drei Jahren ab dem Zeitpunkt der Ausreise (Nr. 2), ordnete die Abschiebung des Klägers aus der Haftanstalt bzw. Therapieeinrichtung nach Ghana oder in einen anderen Staat an, in denen die Einreise erlaubt werde oder der zur Zurücknahme des Klägers verpflichtet sei (Nr. 3) und forderte den Kläger im Falle einer nicht aus der Haft oder Therapieeinrichtung durchgeführten Abschiebung auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb eines Monats nach Eintritt der Bestandskraft dieses Bescheids zu verlassen und drohte ihm anderenfalls die Abschiebung nach Ghana oder in einen anderen Staat, in welchen er erlaubt einreisen dürfe oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei, an (Nr. 4). Zur Begründung führte der Beklagte zunächst aus, schwerwiegende Gründe rechtfertigten die Annahme, dass der Kläger aufgrund der von ihm begangenen Straftaten (Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, tätliche Angriffe auf Vollstreckungsbeamte, Körperverletzung, Bedrohung und Beleidigung) eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstelle. Besonderer Ausweisungsschutz komme dem Kläger nicht zu; auch Art. 3 Abs. 3 des Europäischen Niederlassungsabkommens (ENA) greife zwar zugunsten des Klägers, da er seit mehr als 10 Jahren seinen ordnungsgemäßen Aufenthalt aufgrund Aufenthaltserlaubnis und Niederlassungserlaubnis im Bundesgebiet habe, doch liege ein besonders schwerwiegender Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung vor und sei die Ausweisung auch nicht unverhältnismäßig, da der Kläger sich mit seinem Fehlverhalten nicht auseinandergesetzt habe, weshalb eine Wiederholung hinreichend sicher erscheine. In der Abwägung zwischen dem Ausweisungsinteresse nach § 54 AufenthG und dem Bleibeinteresse des Klägers nach § 55 AufenthG sei zu berücksichtigen, dass sich die Ausweisung auf ein besonders schweres Ausweisungsinteresse nach § 53 i.V.m. § 54 Abs. 1 Nr. 1a Buchst. b und Buchst. e AufenthG stütze aufgrund der Verurteilung des Klägers zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr wegen mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit und wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte. Auf der anderen Seite stehe ihm ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG zur Seite, da er eine Niederlassungserlaubnis besitze und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten habe. In der Abwägung zwischen dem besonders schweren Ausweisungsinteresse und dem besonders schweren Bleibeinteresse überwiege das Ausweisungsinteresse das gegenläufige Bleibeinteresse des Klägers erheblich. Der Kläger habe einerseits schwerwiegende Straftaten begangen und werde sowohl aus generalpräventiven Gründen ausgewiesen, um andere Ausländer von vergleichbaren Straftaten abzuschrecken, als auch aus spezialpräventiven Gründen. Der Kläger habe ausweislich der mehrfachen einschlägigen strafgerichtlichen Verurteilungen keine Einsicht in seine Delinquenz gezeigt, auch die Rückfälligkeit in gleichartige Straftaten bereits nach einer Haftentlassung zeige, dass dem Kläger die Einsicht in das von ihm verwirklichte Unrecht fehle und eine etwa zugrundeliegende Erkrankung wegen seiner Weigerung auch nicht näher diagnostiziert und behandelt werden könne. Eine nicht therapierte schizophrene Symptomatik begründe ausweislich einer im strafgerichtlichen Verfahren eingeholten gutachterlichen Stellungnahme vom 9. August 2018 zwar nicht die Annahme, dass dem Kläger die Einsichtsfähigkeit in das Unrecht seiner Taten fehle, aber wohl die Steuerungsfähigkeit und daher eine weitere Rückfallgefahr und Wiederholungsgefahr anzunehmen sei. In Ghana finde zwar nur eine rudimentäre psychiatrische Behandlung statt, aber da der Kläger selbst jede Behandlung verweigere, könne er auf die dortige Behandlung in psychiatrischen Kliniken verwiesen werden einschließlich der etwaigen Ansprüche auf kostenfreie Behandlung, sollte er dort keine Krankenversicherung haben. Demgegenüber wögen die Bleibeinteressen des Klägers geringer; bis zu seiner Inhaftierung am 14. März 2021 habe er zuletzt über ein dreiviertel Jahr Leistungen vom Jobcenter erhalten. Sein letztes Arbeitsverhältnis sei noch in der Probezeit vom Arbeitgeber gekündigt worden und seit der Aufnahme einer Beschäftigung im Juli 2009 ergebe sich beim Kläger nur eine vollzeitige Beschäftigung in den Zeiträumen vom 1. März 2013 bis 31. Dezember 2014, vom 30. Juni 2015 bis 15. Juni 2017 und vom 29. Juni 2020 bis 30. Dezember 2020; hinzu komme die bezeichnete Ausbildung. In den Zeiträumen dazwischen sei er geringfügig beschäftigt oder im Leistungsbezug gewesen. Wirtschaftliche Bindungen habe er aktuell keine und nur in der Vergangenheit gehabt. Da beim Kläger mangels Therapie eine Wiederholungsgefahr bestehe, überwiege das Ausweisungsinteresse das gegenläufige Bleibeinteresse des Klägers unter Berücksichtigung des von Art. 8 EMRK geschützten Privatlebens des Klägers im Bundesgebiet erheblich. Der Kläger habe seit seiner Einreise sein Privatleben im Bundesgebiet geführt und eine persönliche Bindung an seine im Bundesgebiet lebende Mutter, den Stiefvater und die Halbgeschwister, die noch Kontakt untereinander hätten. Art. 8 EMRK sei aber nicht verletzt. Die Ausweisung sei ein legitimes Mittel zur Bekämpfung schwerer Kriminalität, die einem Grundinteresse der Gesellschaft diene und sie sei das mildeste angemessene Mittel, um den beabsichtigten Zweck durchzusetzen. Die Ausweisung sei auch verhältnismäßig, selbst wenn der Kläger etwa faktisch zum Inländer geworden sei, da er im Alter von 10 Jahren nach Deutschland eingereist und seither sein Privatleben in Deutschland geführt habe. Der Kläger sei allerdings bis zum 10. Lebensjahr in Ghana aufgewachsen, kenne das Land und spreche Englisch und die Sprache Tvi, auch wenn er dort bis auf den leiblichen Vater keine Familienangehörigen habe. Allerdings sei er auf die Hilfe seines Vaters dort für die erste Zeit der Rückkehr zu verweisen. Im Übrigen sei der Kläger als erwachsener und gut ausgebildeter Mann in der Lage, sich selbst eine neue Existenz in Ghana aufzubauen. Umgekehrt verliere er in Deutschland keine wirtschaftliche Existenz, die er sich aufgebaut hätte, sondern werde sich in die Lebensverhältnisse in Ghana wieder einfinden können. Die Androhung der Abschiebung folge aus der Ausreisepflicht des Klägers und die Abschiebung werde nach Ghana erfolgen. In der Befristung werde dem öffentlichen Interesse der Vorrang gegeben gegenüber dem privaten Interesse des Klägers, da dieser während seines Aufenthalts im Bundesgebiet erheblich straffällig geworden sei, hier zwar seine Familie habe, aber umgekehrt keine positive Sozialprognose ersichtlich sei mangels begonnener, geschweige denn erfolgreich beendeter Therapie und daher aktuell eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstelle. Hierfür sei die Befristung auf drei Jahre angemessen.
15
Der Kläger erhob Klage gegen den Bescheid mit am 27. September 2022 eingegangenem Schreiben (Au 6 K 22.1907) und mit am 4. Oktober 2022 eingegangenem weiteren Schreiben (Au 6 K 22.1920) zuletzt mit dem Antrag,
16
den Bescheid des Beklagten vom 1. September 2022 aufzuheben.
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Zur Klagebegründung führte er aus, die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots sei ohne eine behördliche Anordnung rechtswidrig, ebenso deswegen auch die Abschiebungsandrohung und insgesamt die Ausweisung unverhältnismäßig.
18
Der Beklagte beantragt
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Das zweite Verfahren wurde nach Klagerücknahme in der mündlichen Verhandlung eingestellt (VG Augsburg, B.v. 16.11.2022 – Au 6 K 22.1920).
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Gerichts- und die beigezogenen Behördenakten und das Protokoll über die mündliche Verhandlung.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist im tenorierten Umfang begründet und im Übrigen unbegründet, da die Ausweisung im angefochtenen Bescheid vom 1. September 2022 rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die dazu ergangenen Nebenentscheidungen (Abschiebungsandrohung, Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots) sind aber rechtswidrig und daher aufzuheben.
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1. Die Ausweisung in Nr. 1 des angefochtenen Bescheids ist rechtmäßig.
24
Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung, der Befristungsentscheidung und der noch nicht vollzogenen Abschiebungsandrohung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (vgl. BVerwG, U.v. 22.2.2017 – 1 C 3.16 – juris Rn. 18).
25
Die Ausweisung ist nach § 53 Abs. 1 und Abs. 2 AufenthG gerechtfertigt, weil vom Aufenthalt des Klägers eine besonders schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Unter Berücksichtigung aller Umstände und nach Abwägung des hier besonders schwerwiegenden öffentlichen Ausweisungsinteresses (§ 54 AufenthG) mit seinem besonders schwerwiegenden privaten Bleibeinteresse (§ 55 AufenthG) ist das Verwaltungsgericht der Überzeugung, dass hier das öffentliche Interesse an einer rechtlichen Aufenthaltsbeendigung des Klägers durch seine Ausweisung und später an seiner tatsächlichen Aufenthaltsbeendigung durch eine Ausreise oder Abschiebung sein Interesse an einem weiteren rechtlichen und tatsächlichen Verbleib im Bundesgebiet überwiegt und die Ausweisung auch nicht gegen höherrangige Normen verstößt, auch wenn der Kläger nach Art. 8 EMRK in seinem seit Jahren im Bundesgebiet geführten Privatleben geschützt ist.
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a) Die Rechtmäßigkeit der Ausweisung des Klägers beurteilt sich nach §§ 53 ff. AufenthG. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird nach § 117 Abs. 5 VwGO auf die zutreffende Begründung im angefochtenen Bescheid verwiesen, insbesondere auch dazu, dass die Ausweisung auch nicht gegen Art. 3 Abs. 3 ENA verstößt.
27
b) Da der Kläger die zutreffenden Ausführungen des Beklagten zum besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG einerseits und zum besonders schwerwiegenden Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG andererseits nicht substantiiert in Zweifel gezogen hat, wird auch hierauf verwiesen und lediglich aktuell ergänzt:
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aa) Der Aufenthalt des Klägers gefährdet die öffentliche Sicherheit und Ordnung der Bundesrepublik Deutschland, weil er besonders schwerwiegende Straftaten begangen hat und sowohl ein spezialpräventives Interesse an der Ausweisung des untherapierten aber wohl behandlungsbedürftigen Klägers als auch ein generalpräventives Interesse (vgl. zum Ganzen BVerwG, U.v. 12.7.2018 – 1 C 16/17 – juris Rn. 15 ff., 20 m.w.N.; so auch BayVGH, B.v. 20.8.2018 – 10 C 18.1361 – juris Rn. 13) zur Abschreckung anderer Ausländer ebenfalls von Straftaten wie Widerstand gegen Polizeivollzugsbeamte und Körperverletzungen bestehen. Solche – sogar wiederholt begangenen – Taten verletzen ein Grundinteresse der Gesellschaft am Schutz der körperlichen Integrität ihrer Mitglieder (vgl. BVerwG, U.v. 10.7.2012 – 1 C 19.11 – BVerwGE 143, 277/282 Rn. 15) und hier insbesondere ihrer für die Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit eingesetzten Amtsträger.
29
(1) Im Kläger liegt auf Grund seines persönlichen Verhaltens eine gegenwärtige schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses auch unerlässlich macht.
30
Die Ausweisung setzt als gebundene und gerichtlich voll überprüfbare Abwägungsentscheidung nach § 53 Abs. 1 und Abs. 2 AufenthG (vgl. BVerwG, U.v. 22.2.2017 – 1 C 3.16 – Rn. 22) tatbestandlich voraus, dass der Ausländer durch sein persönliches Verhalten oder seinen weiteren Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitlich demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gegenwärtig schwerwiegend gefährdet, diese Gefahr ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung zur Wahrung der gefährdeten Interessen in der unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmenden Abwägung unerlässlich ist. Erforderlich ist die Prognose, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch die weitere Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet ein Schaden an einem dieser Schutzgüter eintreten wird (vgl. BVerwG, U.v. 22.2.2017 – 1 C 3.16 – Rn. 23). Dies ist hier der Fall.
31
(2) Ein hinreichender Ausweisungsanlass ist die Straffälligkeit des Klägers (vgl. soeben).
32
Für eine ausnahmsweise abweichende Gewichtung bieten Tat, Täter und Nachtatverhalten keine Anhaltspunkte (vgl. zur Berücksichtigung von Sondersituationen BVerfG, B.v. 25.8.2020 – 2 BvR 640/20 – InfAuslR 2020, 424 ff. Rn. 27). Auch nach strafgerichtlicher Bewertung rechtfertigten die Tatumstände und die Täterpersönlichkeit keine abweichende Gewichtung. Insbesondere wurde zwar eine Minderung der Schuldfähigkeit des Klägers nicht ausgeschlossen, aber auch nicht positiv festgestellt; erst recht nicht eine Tatprovokation. Im Gegenteil stellte sich die Tatbegehung für das Strafgericht als vorsätzliches Vorgehen dar; der Kläger sei fähig, das Unrecht seiner Taten einzusehen, aber nicht auch nach dieser Einsicht zu handeln (vgl. AG, U.v. 5.11.2019 – ...).
33
(3) Eine Wiederholungsgefahr der Begehung vergleichbarer Delikte durch den Kläger liegt vor.
34
Bei der Ausweisungsentscheidung haben die Verwaltungsgerichte auf der Grundlage aller Umstände des Einzelfalls unter Berücksichtigung der Tat und der Tatumstände, des Täters und seiner Persönlichkeitsstruktur sowie seines Nachtatverhaltens und ggf. einer therapeutischen Aufarbeitung des Geschehenen eine eigene Beurteilung und Prognoseentscheidung vorzunehmen, ob das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt (vgl. BayVGH, B.v. 29.5.2018 – 10 ZB 17.1739 – Rn. 8; BVerwG, U.v. 10.7.2012 – 1 C 19.11 – BVerwGE 143, 277/283 f. Rn. 17). Allein ein positives Verhalten in der Haft oder Unterbringung lässt noch nicht mit der notwendigen Sicherheit auf einen dauerhaften Einstellungswandel und eine innerlich gefestigte Verhaltensänderung schließen, die ein Entfallen der Wiederholungsgefahr rechtfertigen könnte (BayVGH, B.v. 16.2.2018 – 10 ZB 17.2063 – juris Rn. 10). Denn solange sich der Ausländer nicht außerhalb des Straf- bzw. Maßregelvollzugs bewährt hat, kann nicht mit der notwendigen Sicherheit auf einen dauerhaften Einstellungswandel und eine innerlich gefestigte Verhaltensänderung geschlossen werden, die eine Wiederholungsgefahr entfallen ließe (BayVGH, B.v. 29.5.2018 – 10 ZB 17.1739 – Rn. 9). Wohlverhalten kommt insbesondere dann nur begrenzte Aussagekraft zu, wenn es unter der Kontrolle des Strafvollzugs und unter dem Druck eines Ausweisungsverfahrens gezeigt wird (BayVGH, B.v. 13.10.2017 – 10 ZB 17.1469 – juris Rn. 12).
35
Bei bedrohten Rechtsgütern von hervorgehobener Bedeutung sind im Rahmen der tatrichterlichen Prognose der Wiederholungsgefahr umso geringere Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zu stellen, je größer und folgenschwerer der mögliche Schaden ist (vgl. BVerwG, U.v. 10.7.2012 – 1 C 19.11 – BVerwGE 143, 277 Rn. 16; BayVGH, B.v. 16.2.2018 – 10 ZB 17.2063 – juris Rn. 9). Die vom Kläger wiederholt verletzte körperliche Unversehrtheit Dritter ist ein nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG besonders geschütztes Rechtsgut von hervorgehobener Bedeutung, dessen Verletzung zu besonders schweren Schäden führen kann und dessen Schutz zu den Kernaufgaben der innerstaatlichen Friedensordnung gehört. Die körperliche Integrität anderer Menschen und insbesondere jener Polizeivollzugsbeamten, die unmittelbar zur Durchsetzung der innerstaatlichen Friedensordnung berufen sind, zählt mithin zu den wichtigsten Rechtsgütern. Genau dieses Rechtsgut hat der Kläger wiederholt vorsätzlich, also bewusst und gewollt, verletzt. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind daher hier geringere Anforderungen zu stellen.
36
Die im Rahmen der eigenständigen ausländerrechtlichen Prognose der Wiederholungsgefahr auf der Grundlage aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Beurteilung, ob das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft darstellt, führt unter Berücksichtigung der Tat und der Tatumstände, des Täters und seiner Persönlichkeitsstruktur sowie seines Nachtatverhaltens und ggf. einer therapeutischen Aufarbeitung des Geschehenen (vgl. BVerwG, U.v. 10.7.2012 – 1 C 19.11 – BVerwGE 143, 277/283 f. Rn. 17; BayVGH, B.v. 4.4.2017 – 10 ZB 15.2062 – Rn. 14) hier zur Annahme einer erheblichen Wiederholungsgefahr:
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Der Kläger ist erstens Wiederholungstäter, da er gleichartige Delikte wiederholt bei verschiedenen Anlässen polizeilicher Vollzugsmaßnahmen begangen hat.
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Der Kläger leidet zweitens nach den strafgerichtlichen Feststellungen (AG, U.v. 5.11.2019 – ...) an einer psychischen Störung aus dem schizophrenen Formenkreis, ohne dass Krankheitseinsicht oder eine mehr als nur verbale Therapiebereitschaft bestünden. Einen Nachweis über eine erfolgreich durchlaufene Therapie hat er nicht vorgelegt; nach aktuellem Stand dauert die Strafhaft noch an, ohne dass der Kläger an Behandlungsangeboten teilnähme. Eine Bewährung des Klägers nach erfolgreichem Abschluss der Therapie und auf freiem Fuß ist erst recht nicht erfolgt.
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Wegen des hohen Rangs der von ihm verletzten und bei einem Rückfall erneut bedrohten Rechtsgüter, insbesondere der körperlichen Integrität anderer Personen, ist zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit seiner Ausweisung davon auszugehen, dass der Kläger nach wie vor nicht erfolgreich therapiert ist, geschweige denn sich ohne den Druck der drohenden Aufenthaltsbeendigung auf freiem Fuß auch nachhaltig bewährt hätte. Sind aber die Ursachen seiner Straftaten nicht beseitigt, ist weiter von einer konkreten Rückfallgefahr wie zuvor auszugehen.
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Der Kläger ist drittens Bewährungsversager und Rückfalltäter, was seine fehlende Steuerungsfähigkeit in vergleichbaren Situationen unterstreicht.
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bb) Zudem liegt eine Wiederholungsgefahr der Begehung vergleichbarer Delikte durch andere Ausländer bei polizeilichen Vollzugsmaßnahmen vor. Auch generalpräventive Gründe können wie hier ein Ausweisungsinteresse begründen (vgl. BayVGH, B.v. 20.8.2018 – 10 C 18.1361 – juris Rn. 13).
42
c) Die Ausweisung ist unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls nach § 53 Abs. 1, Abs. 2 AufenthG gerechtfertigt, weil das öffentliche Ausweisungsinteresse nach § 54 AufenthG das Bleibeinteresse nach § 55 AufenthG überwiegt.
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aa) Das Ausweisungsinteresse wiegt nach § 53 Abs. 1 in Verbindung mit § 54 Abs. 1 Nr. 1a Buchst. b und Buchst. e AufenthG besonders schwer.
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Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Abs. 1 AufenthG wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer wegen vorsätzlicher Straftaten gegen die körperliche Integrität oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist. Beides ist beim Kläger der Fall.
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Zwar können die in § 54 Abs. 1 und Abs. 2 AufenthG typisierten Interessen im Einzelfall bei Vorliegen besonderer Umstände auch weniger oder mehr Gewicht entfalten, doch liegen hierfür unter umfassender Würdigung des Einzelfalles keine hinreichenden Anhaltspunkte vor. Insbesondere das Strafgericht hat keine Anhaltspunkte für einen minderschweren Fall oder gar für schuldmindernde oder schuldausschließende Umstände festgestellt.
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bb) Demgegenüber liegt ein besonders schweres Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 AufenthG vor, denn der volljährige Kläger ist im Besitz eines Aufenthaltstitels (Niederlassungserlaubnis) und hält sich seit mehr als fünf Jahren erlaubt im Bundesgebiet auf. Zugleich handelt es sich bei dem im Alter von 10 Jahren eingereisten und sowohl von der Kultur seines Herkunftsstaates als auch des heutigen Aufenthaltsstaats geprägten Kläger mit Blick auf seinen vergleichsweise längeren Aufenthalt in Deutschland um einen faktischen Inländer. Er lebte hier rund 18 Jahre erlaubt. Gleichwohl wurde er erstmals im Alter von rund 20 Jahren straffällig und verbrachte sechs, knapp zwölf und zuletzt bereits mehr als sieben Monate und damit insgesamt knapp zwei Jahre in Strafhaft. Diese beseitigen zwar nicht die bis zur ersten Inhaftierung erfolgte schulische, berufliche und wirtschaftliche Integration, wie sie für die Annahme eines faktischen Inländers kennzeichnend ist; eine Lockerung seiner entsprechenden Bindungen ist allerdings zu verzeichnen (Verlust des Arbeitsplatzes, keine vollzeitige Erwerbstätigkeit vor der Inhaftierung, stattdessen Sozialhilfebezug). Wesentliche Bindungen des Klägers in die Bundesrepublik sind daher ersichtlich, gleichwohl nicht so schwer, dass sie das Ausweisungsinteresse von vornherein aufwögen.
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d) In der nach § 53 Abs. 1 und Abs. 2 AufenthG gebotenen Gesamtabwägung von Ausweisungs- und Bleibeinteresse unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles wie insbesondere der Dauer des Aufenthalts, der persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat sowie der Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich ein Ausländer rechtstreu verhalten hat, überwiegt das Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse des Klägers daher deutlich.
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e) Die Ausweisung erweist sich im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung auch unter Berücksichtigung von Art. 8 Abs. 1 und Abs. 2 EMRK als verhältnismäßig.
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Die Abwägung aller Umstände des Einzelfalles führt zu dem Ergebnis, dass der Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatlebens durch die Ausweisung gerechtfertigt im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK und als verhältnismäßig anzusehen ist. Er ist geeignet, die vom Kläger ausgehende – und mangels Krankheitseinsicht und mehr als nur verbaler Therapiebereitschaft auch nicht anderweitig verringerbare – gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu mindern, da er einen weiteren Aufenthalt des Klägers in der Bundesrepublik Deutschland rechtlich beendet und einer weiteren Verfestigung entgegensteht. Er ist auch geeignet, andere Ausländer von der Begehung gleichartiger Taten abzuhalten. Er ist erforderlich, da der genannten Gefahrenlage ausländerrechtlich nur durch eine Aufenthaltsbeendigung wirksam begegnet werden kann. Dass eine bloße Verwarnung ausreichen würde, ist in der Gesamtschau des wiederholt rückfälligen und selbst durch Haftvollstreckung nicht nachhaltig beeindruckten Klägers nicht zu erwarten. Der Eingriff ist auch verhältnismäßig im engeren Sinn, denn dem Kläger ist unter Würdigung seiner schützenswerten Bindungen im Inland und seiner Prägung durch das Herkunftsland letztlich eine Rückkehr nach Ghana zumutbar, wo er mehr als die Hälfte seiner Kindheit verbracht hat, wo sein Vater lebt, wo er die Alltagssprachen spricht und auf Grund seines hohen in Deutschland erworbenen Ausbildungsstandes auch eine wirtschaftliche Existenz zu sichern imstande sein wird. Wie weit dort therapeutische Angebote bestehen, braucht nicht näher aufgeklärt zu werden, da eine Grundversorgung gewährleistet ist, wie der Beklagte herausgearbeitet hat, andererseits aber mangels tatsächlich gezeigter Therapiebereitschaft auch kein konkreter Behandlungsbedarf besteht. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf obige Abwägung verwiesen.
50
f) Die auslandsbezogene Ausweisung erweist sich im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung auch unter Berücksichtigung der fehlenden Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht als unverhältnismäßig oder sonst rechtswidrig.
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Es handelt sich um eine auslandsbezogene Ausweisung, da der Beklagte nicht nur den rechtlichen, sondern auch den tatsächlichen Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet beenden will und hieran auch nicht durch zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote gehindert ist. Im Gegenteil kann der Beklagte eine erneute Abschiebungsandrohung erlassen und ein Einreise- und Aufenthaltsverbot neu anordnen und befristen, mithin eine „Rückkehrentscheidung“ im Sinne von Art. 3 Nr. 4 und Art. 6 RL 2008/115/EG (vgl. EuGH, U.v. 3.6.2021 – C-546/19 – NVwZ 2021, 1207 Rn. 53) erlassen. Solange die Ausweisung nicht bestandskräftig geworden ist, kann der Beklagte diese Rückkehrentscheidung sogar noch durch einen Änderungsbescheid mit ihr verbinden und damit seiner Verpflichtung aus Art. 6 Abs. 1 RL 2008/115/EG nachkommen (vgl. EuGH, U.v. 3.6.2021 – C-546/19 – NVwZ 2021, 1207 Rn. 55 f.). Es handelt sich also gerade nicht um eine inlandsbezogene Ausweisung.
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2. Die in Nr. 2 des angefochtenen Bescheids enthaltene Befristung der Wirkung der Ausweisung bzw. einer Abschiebung auf die Dauer von drei Jahren ab dem Zeitpunkt der Ausreise ist rechtswidrig, weil dem Bescheid keine erforderliche Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots zu entnehmen ist.
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Der Beklagte zitiert im Bescheid zwar die Befugnisnorm des § 11 Abs. 1 AufenthG, ohne sie aber zur gesetzlich vorgesehenen Anordnung zu nutzen. Jedenfalls nach der Novelle des § 11 Abs. 1 AufenthG kann auch im Wege der Auslegung in einer bloßen Befristung nicht zugleich ein konstitutiver Erlass eines Einreise- und Aufenthaltsverbots gesehen werden (noch zur Vorgängerfassung des § 11 Abs. 1 AufenthG BVerwG, U.v. 7.9.2021 – 1 C 47.20 – NVwZ 2021, 1842 ff. Rn. 10), da der Wortlaut der Norm die Grenze der Auslegung markiert.
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Ob die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots rechtsfehlerfrei bestimmt ist, ist daher nicht entscheidungserheblich. Als Annex zur unbedingten Rückkehrentscheidung ist die Befristung rechtstechnisch zwar aufschiebend bedingt bis zur Ausreise und erlangt daher derzeit noch keine Wirkung. Dies ist mit Unionsrecht vereinbar, eine Rückkehrentscheidung kann oder muss nach Art. 11 RL 2008/115/EG mit einem Einreiseverbot im Sinne von Art. 3 Nr. 6 RL 2008/115/EG einhergehen (vgl. EuGH, U.v. 3.6.2021 – C-546/19, NVwZ 2021, 1207/1209 f. Rn. 55 f.). Einen fehlenden Erlass aber kann die Befristung nicht ersetzen.
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3. Die in Nr. 3 des angefochtenen Bescheids enthaltene Abschiebungsandrohung aus der Haft heraus und die mit einer Ausreiseaufforderung verbundene Abschiebungsandrohung im Falle einer nicht rechtzeitigen freiwilligen Ausreise in Nr. 4 des angefochtenen Bescheids sind daher ebenfalls rechtswidrig.
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Die Abschiebungsandrohung kann oder muss als „Rückkehrentscheidung“ im Sinne von Art. 3 Nr. 4 und Art. 6 RL 2008/115/EG (vgl. EuGH, U.v. 3.6.2021 – C-546/19 – NVwZ 2021, 1207 Rn. 53) nach Art. 11 RL 2008/115/EG mit einem Einreiseverbot im Sinne von Art. 3 Nr. 6 RL 2008/115/EG einhergehen (vgl. EuGH, U.v. 3.6.2021 – C-546/19, NVwZ 2021, 1207/1209 f. Rn. 55 f.), das insbesondere für „faktische Inländer“ wie den Kläger eine Rückkehrperspektive eröffnet (vgl. BVerwG, U.v. 7.9.2021 – 1 C 47.20 – NVwZ 2021, 1842 Ff. Rn. 21). Daran fehlt es hier jedoch mangels Erlass eines Einreise- und Aufenthaltsverbots (vgl. oben).
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II. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.