Titel:
Unterschiedliche Würdigung der Rechtslage in Parallelverfahren vor verschiedenen Spruchkörpern
Normenkette:
ZPO § 148 Abs. 1
Leitsatz:
Schon im Hinblick auf die durch Art. 97 Abs. 1 GG garantierte Unabhängigkeit der Gerichte und ihre Bindung nur an das Gesetz kann nicht sichergestellt werden, dass nicht verschiedene Gerichte gleichen Sachvortrag unterschiedlich würdigen oder Rechtsfragen unterschiedlich beurteilen. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Aussetzung, Parallelverfahren, Sachverständigengutachten, abweichende rechtliche Würdigung
Vorinstanz:
LG München I, Endurteil vom 12.05.2021 – 22 O 12728/20
Fundstelle:
BeckRS 2022, 43728
Tenor
1. Der Antrag der Klagepartei, das Verfahren bis zum Eingang eines im Verfahren des Landgerichts München I (Az.: 28 O 12881/20) derzeit erholten schriftlichen Sachverständigengutachtens auszusetzen, wird zurückgewiesen.
2. Die Berufung der Klagepartei gegen das Endurteil des Landgerichts München I vom 12.05.2021, Aktenzeichen 22 O 12728/20, wird zurückgewiesen.
3. Die Klagepartei hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
4. Das in Ziffer 2 genannte Urteil des Landgerichts München I ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klagepartei kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
5. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis 25.000,00 € festgesetzt.
Gründe
1
Die Klagepartei begehrt vom Beklagten Schadensersatz im Zusammenhang mit dem Erwerb von Containern von der P. C. L. GmbH und der P. G. V. Verwaltungs GmbH. Der Beklagte ist Wirtschaftsprüfer und war seit 2006 als Jahresabschlussprüfer der deutschen P. Gesellschaften tätig.
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Auf den Tatbestand des Endurteils des Landgerichts München I vom 12.05.2021 (Az.: 22 O 12728/20) wird gemäß § 522 Abs. 2 Satz 4 ZPO Bezug genommen.
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In dem klageabweisenden Endurteil wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Klagepartei stünden gegen den Beklagten keinerlei Schadensersatzansprüche zu. Ein Anspruch aus Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter sei nicht gegeben, da die Klagepartei nicht in den Schutzbereich des zwischen den streitgegenständlichen P. Gesellschaften und dem Beklagten bestehenden Prüfvertrags einbezogen gewesen sei. Ferner sei nicht vorgetragen, welche Prüfberichte genau die Klagepartei wann und auf welche Weise jeweils vor Abschluss der Kauf- und Verwaltungsverträge ihren Kaufentscheidungen zur Grundlage gemacht habe. Schadensersatzansprüche aus § 826 BGB wegen vorsätzlich sittenwidriger Schädigung stünden der Klagepartei ebenfalls nicht zu. Es fehle bereits an substantiiertem Sachvortrag für ein nachlässiges Verhalten des Beklagten.
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Jedenfalls scheitere auch der deliktische Schadensersatzanspruch an der fehlenden Kausalität der Testate des Beklagten für die einzelnen Kaufentscheidungen der Klagepartei. Auch Schadensersatzansprüche nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 332 Abs. 1 HGB seien nicht ersichtlich. Die Klagepartei habe weder zu einem unrichtigen Berichten noch zu einem Verschweigen erheblicher Umstände substantiiert vorgetragen. Dass der konkrete Bestätigungsvermerk nach dem Prüfungsergebnis, wie es sich für den Prüfer subjektiv darstellte, nicht hätte erteilt werden dürfen, werde ebenfalls nicht behauptet. Zu den Einzelheiten wird auf das Endurteil des Landgerichts München I vom 12.05.2021 (= Bl. 184/198 d.A.) verwiesen.
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Gegen dieses an ihre anwaltlichen Vertreter am 14.05.2021 zugestellte Endurteil legte die Klagepartei mit Schriftsatz vom 27.05.2021, eingegangen per beA beim Oberlandesgericht München am 28.05.2021, Berufung ein, die sie mit Schriftsatz vom 14.07.2021, eingegangen per beA beim Oberlandesgericht München am selben Tag, begründete. Hierzu wurde im Wesentlichen ausgeführt, das Erstgericht habe rechtsfehlerhaft eine Haftung aus Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter mit der fehlerhaften Begründung verneint, vorliegend handle es sich um obligatorische bzw. freiwillige Jahresabschlussprüfungen. Tatsächlich handle es sich hier jeweils um eine Pflichtprüfung nach § 316 HGB. Auch die Ausführungen des Erstgerichts zur deliktischen Haftung seien unzutreffend. Das Erstgericht habe hier bereits einen überhöhten Vorsatzmaßstab zugrunde gelegt. Tatsächlich genüge für eine Haftung aus § 826 BGB bereits bedingter Vorsatz des Prüfers. Das wirtschaftliche und rechtliche Umfeld der Gesellschaften werde grob falsch dargestellt. Der Lagebericht sei grob irreführend und unwahr. Der Beklagte habe gegen seine Pflicht aus § 332 Abs. 1 HGB verstoßen. Entgegen der Rechtsansicht des Erstgerichts sei auch eine Kausalität gegeben. Der Beklagte hafte der Klagepartei auf Schadensersatz nach § 826 BGB. Zu den Einzelheiten wird auf die Berufungsbegründungsschrift vom 14.07.2021 (Bl. 213/224 d.A.) Bezug genommen.
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Die Klagepartei beantragt,
unter Abänderung des am 12.05.2021 verkündeten Urteils des LG München I, Az. 22 O 12728/20, wie folgt zu erkennen:
1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin EUR 9.319,73 zu zahlen, nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit, Zug um Zug gegen Abtretung sämtlicher Rechte aus dem Kauf- und Verwaltungsvertrag mit der P. C. L. GmbH (Vertragsnummer ...) vom 15.12.2014.
2. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin EUR 5.576,12 zu zahlen, nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit, Zug um Zug gegen Abtretung sämtlicher Rechte aus dem Kauf- und Verwaltungsvertrag mit der P. Gebrauchtcontainer Vertriebs- und Verwaltungs-GmbH (Vertragsnummer ...) vom 26.08.2013.
3. Der Beklagte wird verurteilt, die Klägerin von der Zahlung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von EUR 1.430,38 freizustellen.
4. Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, die Klägerin von etwaigen Rückforderungen erhaltener Mietzahlungen bezüglich des Kauf- und Verwaltungsvertrag mit der P. C. L. GmbH (Vertragsnummer ...) vom 15.12.2014., freizustellen.
5. Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, die Klägerin von etwaigen Rückforderungen erhaltener Mietzahlungen bezüglich des Kauf- und Verwaltungsvertrag mit der P. Gebrauchtcontainer Vertriebs- und Verwaltungs-GmbH (Vertragsnummer ...) vom 26.08.2013, freizustellen.
6. Es wird festgestellt, dass sich der Beklagte mit der Annahme der Abtretung der Rechte am und aus dem Kauf- und Verwaltungsvertrag mit der P. C. L. GmbH (Vertragsnummer ...) vom 15.12.2014., in Verzug befindet.
7. Es wird festgestellt, dass sich der Beklagte mit der Annahme der Abtretung der Rechte am und aus dem Kauf- und Verwaltungsvertrag mit der P. G. V. Verwaltungs GmbH (Vertragsnummer ...) vom 26.08.2013, in Verzug befindet.
8. Es wird festgestellt, dass die Klageforderung zu 1. und 2. auf einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung des Beklagten beruht.
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Hilfsweise wird beantragt,
das Urteil des LG München I, Az. 22 O 12728/20, nebst dem zugrundeliegenden Verfahren aufzuheben und das Verfahren zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Gericht des ersten Rechtszugs zurückzuverweisen.
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Der Beklagte beantragt,
die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.
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Der Beklagte trägt vor, die Berufung sei unbegründet. Das Erstgericht habe zutreffend eine Haftung des Beklagten aus Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter abgelehnt. Eine konkrete Kausalität sei nicht dargelegt. Eine Auswirkung der Bestätigungsvermerke des Beklagten auf den Willensentschluss der Klagepartei habe diese weder erstinstanzlich noch in der Berufungsbegründung substantiiert dargelegt, geschweige denn bewiesen. Es werde bestritten, dass die Geschäftsführung der P. Gesellschaften einen etwaigen Versagungsvermerk des Beklagten veröffentlicht und Insolvenzantrag gestellt hätte, um sich nicht nach § 331 HGB strafbar zu machen.
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Die Nichtveröffentlichung eines Bestätigungsvermerks oder Versagungsvermerks sei nach § 331 HGB nicht strafbar. Zudem werde bestritten, dass ein publizierter Versagungsvermerk von der Klagepartei zur Kenntnis genommen worden wäre. Zutreffend habe das Erstgericht auch eine deliktische Haftung aus § 826 BGB abgelehnt. Zu den Einzelheiten wird auf die Berufungserwiderungsschrift des Beklagten vom 19.08.2021 (Bl. 229/244 d.A.) Bezug genommen.
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Der Senat hat am 02.02.2022 Hinweise gemäß § 522 Abs. 2 ZPO erteilt (Bl. 246/266 d.A.).
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Hierzu nahm die Klagepartei mit Schriftsatz vom 03.02.2022 (Bl. 268/271 d.A.) Stellung und beantragte das Verfahren auszusetzen, bis im Verfahren des Landgerichts München I (Az.: 28 O 12881/20) ein Sachverständigengutachten vorliegt.
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Ergänzend wird auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.
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Der Antrag der Klagepartei auf Seite 2 des Schriftsatzes vom 03.02.2022 (= Bl. 269 d. A), den Rechtsstreit auszusetzen, bis im Verfahren des Landgerichts München I (Az.: 28 O 12881/20) das derzeit erholte Sachverständigengutachten vorliegt, ist als Antrag auf Aussetzung gemäß § 148 Abs. 1 ZPO auszulegen. Der Antrag war zurückzuweisen, da die im dortigen Verfahren mit Hilfe des derzeit erholten Sachverständigengutachtens zu klärende Fragestellung für den Ausgang des vorliegenden Rechtsstreits nicht vorgreiflich ist. Auf die Ausführungen unter III. 1. wird verwiesen.
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III. Die Ber uf u ng de r Klag epar t e i gege n das E ndur t ei l des L and ger ic ht s M ünc he n I v om 12. 05. 202 1 (Az.: 22 O 12728/20) ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert. Auch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung ist nicht geboten.
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Zur Begründung wird auf den Hinweis des Senats vom 02.02.2022 (Bl. 246/266 d.A.) Bezug genommen. Auch der Schriftsatz der Klagepartei 03.02.2022 (Bl. 268/271 d.A.) rechtfertigt keine andere Entscheidung.
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Im Einzelnen ist Folgendes zu bemerken:
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1. Zutreffend ist, dass der 13. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München mit Beschluss vom 19.07.2021 die sofortige Beschwerde des Beklagten gegen den Beweisbeschluss des Landgerichts München I vom 30.03.2021 (Az.: 28 O 12881/20) verworfen hat (Az.: 13 W 753/21). Mit vorgenanntem Beweisbeschluss hat das Landgericht München I die Erholung eines Sachverständigengutachtens zur Behauptung der dortigen Klagepartei angeordnet, der Beklagte hätte die Bestätigungsvermerke für die P. Gebrauchtcontainer Vertriebs- und Verwaltungs-GmbH ab dem 30.11.2012 wegen Insolvenzreife der Gesellschaft versagen müssen; dies sei für den Beklagten auch offensichtlich erkennbar gewesen.
19
Das Landgericht München I will durch die Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens somit im dortigen Verfahren klären, ob der Beklagte pflichtwidrig Bestätigungsvermerke erteilte. Ob der Beklagte pflichtwidrig gehandelt hat, lässt der Senat im vorliegenden Verfahren ausdrücklich offen. Nach der Rechtsansicht des Senats scheidet ein Anspruch der Klagepartei gegen den Beklagten aus § 826 BGB aus, weil nicht nachgewiesen ist, dass ein konkretes Testat oder mehrere konkrete Testate des Beklagten für Kaufentscheidungen der Klagepartei kausal gewesen seien. Die Rechtsansicht der Klagepartei, es sei mit dem Rechtsstaatsprinzip nicht vereinbar, dass die Berufung der Klagepartei im vorliegenden Fall mangels Kausalitätsnachweises zurückgewiesen werde, während in einem Parallelverfahren das dort erkennende Gericht ein schriftliches Sachverständigengutachten zur möglichen Pflichtverletzung des Beklagten erholt habe, ist nicht zutreffend.
20
Zwar ist die Rechtssicherheit ein Element des Rechtsstaatsprinzips (s. hierzu nur BVerfGE 7, 89, 92; BVerfGE 49, 148, 164, jeweils zitiert nach juris). Schon im Hinblick auf die durch Art. 97 Abs. 1 GG garantierte Unabhängigkeit der Gerichte und ihre Bindung nur an das Gesetz kann nicht sichergestellt werden, dass nicht verschiedene Gerichte gleichen Sachvortrag unterschiedlich würdigen oder Rechtsfragen unterschiedlich beurteilen. Die Sachentscheidungskompetenz des Erstgerichts im Parallelverfahren war gerade tragender Grund für die Verwerfung der sofortigen Beschwerde gegen den vom Erstgericht erlassenen Beweisbeschluss im Verfahren 13 W 753/21 durch den Senat.
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2. Entgegen der Auffassung der Klagepartei hat der Senat auf Seite 15 des vorliegenden Hinweisbeschlusses Verspätung nicht hinsichtlich der klägerischen (Rechts)Ausführungen gerügt, wonach die Verweigerung des Bestätigungsvermerks nach § 325 HGB zu veröffentlichen gewesen sei, sondern hinsichtlich einer darin etwa enthaltenen (Tatsachen-)Behauptung, dass ein Versagungsvermerk veröffentlicht worden wäre. Der Beklagte habe in der Berufungserwiderung jedoch bestritten, dass eine Veröffentlichung des Versagungsvermerks erfolgt wäre. Im Übrigen sei die Behauptung seitens der Klagepartei nicht unter Beweis gestellt worden. Eine Vermutung rechtmäßigen Verhaltens greife nicht (S. 15 vorletzter Absatz des Hinweises gemäß § 522 Abs. 2 ZPO des Senats vom 02.02.2022 = Bl. 260 d.A.). Daran hält der Senat fest.
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3. Die Ausführungen auf den Seiten 2 bis 4 des Schriftsatzes vom 03.02.2022 (= Bl. 269/271 d. A.) zur Abgrenzung eines eingeschränkten Bestätigungsvermerks zum Versagungsvermerk sind allgemeiner Natur, ohne dass erkennbar ist, was sie mit dem vorliegenden Fall zu tun haben.
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1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
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2. Die Feststellungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit erfolgen gemäß §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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3. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wurde in Anwendung der §§ 47 f. GKG, 3 ff ZPO bestimmt.