Titel:
Regelungen in alten Teilungserklärung über Baumaßnahmen
Normenkette:
WEG § 20 Abs. 1 S. 2, § 47
Leitsatz:
Sieht eine alte Teilungserklärung vor, dass eine Baumaßnahme mit 3/4 Mehrheit beschlossen werden kann, gilt nun § 20 Abs. 1 WEG, denn der Regelung in der Teilungserklärung kommt der Zweck zu, die damals gültigen gesetzlichen Regelungen zu baulichen Veränderungen durch Vereinbarungen in der Gemeinschaftsordnung abzusenken und zu erleichtern, da der mit Wirkung zum 1.12.2020 eingeführte § 20 WEG ggü. den Regelungen in der Teilungserklärung jedoch noch milder ist, gilt nunmehr diese Regelung. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
bauliche Veränderungen, Teilungserklärung, Auslegung, Ermessen, Wohnungseigentümer
Fundstellen:
ZWE 2023, 209
BeckRS 2022, 43687
LSK 2022, 43687
ZMR 2023, 158
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist in Ziff. 2. vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Tatbestand
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Gegenstand der Klage ist die Anfechtung von Beschlüssen einer Wohnungseigentümergemeinschaft. Die Klägerin ist als Eigentümerin eines Miteigentumsanteils von 185,180/Tausendstel verbunden mit dem Sondereigentum an der im Aufteilungsplan mit der Nummer 3 bezeichneten Wohnung Mitglied der Beklagten. Die Rechtsbeziehungen der Mitglieder der Beklagten sind im wesentlichen geregelt durch die Teilungserklärung nebst Gemeinschaftsordnung vom 10.10.1994 (Anlage K 2).
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Gemäß Ziffer II. Paragraf 2.3 der Teilungserklärung bedürfen Durchbrüche durch Mauern und Decken, die im gemeinschaftlichen Eigentum stehen, der schriftlichen Zustimmung des Verwalters, die erst nach Einholung eines Gutachtens eines Sachverständigen (Architekten, Statiker) darüber erteilt wird, ob die Stabilität des Gebäudes gefährdet ist oder sonstige Nachteile zu befürchten sind. Ist dies nicht der Fall, so hat der Verwalter die Zustimmung zu erteilen. Gemäß Ziffer II. Paragraf 11 der Teilungserklärung können bauliche Veränderungen und Aufwendungen mit einer Mehrheit von 3/4 aller vorhandenen Stimmen beschlossen werden.
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Ohne einen Beschluss der Wohnungseigentümer oder die Zustimmung der Hausverwaltung einzuholen und ohne eine Statik oder Baugenehmigung vorzulegen, ließen die Eigentümer der im Aufteilungsplan mit Nummer 2 bezeichneten Wohnung Mitte Januar 2021 im räumlichen Bereich ihrer Sondereigentumseinheit ein Außenfenster ausbauen, die Öffnung zumauern und verputzen. Ferner ließen sie innerhalb ihrer Sondereigentumseinheit einen Durchbruch durch die im Gemeinschaftseigentum stehende Decke und den Fußboden vergrößern.
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In der Eigentümerversammlung vom 20.12.2021 wurde unter TOP 10 folgender Beschluss gefasst:
„Die Eigentümergemeinschaft beschließt die durchgeführten Umbaumaßnahmen der Wohnungseigentümer der Nummer 2,, im Bereich ihrer Wohnung (Änderung des Deckenausschnitts vom EG zum UG, Verschließen eines Fensters in der Außenwand nach Süden und Erneuerung weiterer Fenster in dieser Wand) werden genehmigt.“
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Unter TOP 11 wurde der Antrag der Klägerin, wonach die Familie sämtliche vorgenommenen Baumaßnahmen, die das Gemeinschaftseigentum betreffen, rückgängig zu machen und das Gebäude insofern in den Zustand zu versetzen habe, wie es vor Durchführung der Maßnahmen bestanden hat, mehrheitlich abgelehnt.
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Die Klägerin trägt vor, die Stimmen der Wohnungen Nummer 1 und 2 seien ungültig und nicht zu berücksichtigen. Wirksam für den Beschluss hätten 294,290/1000 Miteigentumsanteile gestimmt, dagegen 185,180 Miteigentumsanteile. 274,300 Miteigentumsanteile hätten sich enthalten.
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Mit am 11.01.2022 beim Amtsgericht München eingegangenem Schriftsatz vom 10.01.2022 hat die Klägerin Anfechtungsklage beim Amtsgericht München eingereicht. Mit Beschluss und Verfügung des Amtsgerichts München vom 10.02.2022, den Prozessvertretern der Klägerin ausweislich des Empfangsbekenntnisses zugestellt am 11.02.2022, wurde der Streitwert auf € 25.000,00 festgesetzt und von der Klägerin der Gerichtskostenvorschuss angefordert.
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Am 11.03.2022 veranlasste die Rechtsschutzversicherung der Klägerin die Einzahlung des Gerichtskostenvorschusses, welcher am 15.03.2022 bei der Landesjustizkasse B. eingegangen ist.
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Mit Verfügung des Amtsgerichts München vom 31.03.2022 wurde die Durchführung des schriftlichen Vorverfahrens angeordnet und Zustellung von Klage und Klagebegründung veranlasst. Diese wurden der gesetzlichen Vertreterin der Beklagten am 05.04.2022 zugestellt.
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Die Klägerin beantragt,
1. Die Beschlüsse der Wohnungseigentümerversammlung vom 20.12.2021 zu den Tagesordnungspunkten 10 und 11 werden für unwirksam erklärt.
2. Der Beschluss zum Tagesordnungspunkt 11 wird durchgerichtliches Urteil wie folgt ersetzt:
Es wird beschlossen, dass die Eigentümer der Wohnung mit der Nummer 2 im Objekt und als Gesamtschuldner sämtliche vorgenommenen Baumaßnahmen, die das Gemeinschaftseigentum betreffen, rückgängig machen und das Gebäude insofern in den Zustand versetzt, wie es vor Durchführung der Maßnahmen bestanden hat.
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Die Beklagte beantragt,
Die Klage wird abgewiesen.
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Zur Ergänzung des Tatbestands wird im Übrigen Bezug genommen auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der öffentlichen Sitzung vom 06.10.2022. Beweis wurde nicht erhoben.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig, jedoch unbegründet.
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1. Das Amtsgericht München ist örtlich und sachlich ausschließlich zuständig, §§ 43 Nr. 4 WEG, 23 Nr. 2 c GVG. RSB
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2. Der angegriffene zu TOP 10 gefasste Beschluss ist weder nichtig, noch widerspricht er aus den innerhalb der materiellen Ausschlussfrist des § 45 WEG vorgetragenen Gründen ordnungsgemäßer Verwaltung.
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Gem. § 20 Abs. 1 Alt. 2 WEG können Maßnahmen, die über die ordnungsgemäße Erhaltung des gemeinschaftlichen Eigentums hinausgehen (bauliche Veränderungen) einem Wohnungseigentümer durch Mehrheitsbeschluss gestattet werden.
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(1) Bei der gestatteten Änderung des Deckenausschnitts vom EG zum UG, dem Verschließen eines Fensters in der Außenwand nach Süden und Erneuerung weiterer Fenster handelt es sich um derartige bauliche Veränderungen, da es sich um auf Dauer angelegte gegenständliche Veränderungen des Gemeinschaftseigentums handelt, die auf Veränderung des vorhandenen Zustandes gerichtet sind und zwar dadurch, dass Gebäudeteile oder das Grundstück verändert, Einrichtungen oder Anlagen neu geschaffen oder geändert werden, vom Aufteilungsplan oder früheren Zustand des Gebäudes nach Fertigstellung abgewichen wird und die und über die ordnungsgemäße Instandhaltung und Instandsetzung hinausgehen.
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(2) Zwar bedürfen gemäß Ziffer II. Paragraf 11 der Teilungserklärung bauliche Veränderungen und Aufwendungen einer Mehrheit von 3/4 aller vorhandenen Stimmen. Allerdings hat diese Vereinbarung mit Inkrafttreten des WEMoG zum 01.12.2020 gem. § 47 WEG ihre Wirksamkeit verloren. Denn im Vergleich zum „alten“ Recht, d. h. im Vergleich zum bis zum 30.11.2020 geltenden § 22 Abs. 1 WEG a. F. enthält die Teilungserklärung „mildere“ Regelungen, da nach der in der Teilungserklärung getroffenen Vereinbarung bauliche Veränderungen und Aufwendungen mit einer Mehrheit von 3/4 aller vorhandenen Stimmen beschlossen werden können, während der „alte“ § 22 Abs. 1 WEG sog. Allstimmigkeit erforderte. Da der Wille des Verfassers der Teilungserklärung dahingehend auszulegen ist, die damals gültigen gesetzlichen Regelungen zu baulichen Veränderungen durch Vereinbarungen in der Gemeinschaftsordnung abzusenken und zu erleichtern, der mit Wirkung zum 01.12.2020 eingeführte § 20 WEG ggü. den Regelungen in der Teilungserklärung jedoch noch milder ist, da danach bauliche Veränderungen mit einfacher Mehrheit beschlossen bzw. genehmigt werden können, richtet sich die Rechtmäßigkeit des angegriffenen Beschlusses nach § 20 WEG n. F..
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(3) Der Genehmigungsbeschluss wurde nach klägerischen Vortrag mit der erforderlichen, aber auch ausreichenden einfachen Mehrheit gefasst, nämlich mit 294,290/1000 Ja-Stimmen ggü. 185,180 Nein-Stimmen. Soweit die Klägerin der Ansicht ist, die Stimmen der Wohnungen Nummer 1 und 2 seien ungültig und nicht zu berücksichtigen, kommt es darauf daher nicht an.
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(4) Dass die genehmigten Maßnahmen einen für sie nicht hinnehmbaren Nachteil mit sich bringen, zu einer grundlegenden Umgestaltung der Wohnanlage geführt hätten oder die Klägerin ohne ihr Einverständnis gegenüber anderen unbillig benachteiligen, also die Veränderungssperre des § 20 Abs. 4 WEG nicht beachtet worden wäre, hat die Klägerin innerhalb der materiellen Ausschlussfristen des § 45 WEG nicht gerügt.
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Eine grundlegende Umgestaltung der Wohnanlage liegt vor, wenn das charakteristische Aussehen der Wohnungseigentumsanlage maßgeblich umgestaltet oder die bisherige typische Nutzung der Wohnungseigentumsanlage aufgegeben wird (vgl. Hügel/Elzer, 3. Aufl. 2021, WEG § 20 Rn. 149).
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Eine Benachteiligung liegt vor, wenn einem Wohnungseigentümer Nachteile zugemutet werden, die bei wertender Betrachtung nicht durch die mit der baulichen Veränderung verfolgten Vorteile ausgeglichen werden (BT-Drs. 168/20, 72; s. a. BGH NJW-RR 2018, 1165 Rn. 29). Die bauliche Veränderung muss ferner zu einer treuwidrigen Ungleichbehandlung der Wohnungseigentümer führen, indem die Nachteile einem oder mehreren Wohnungseigentümern in größerem Umfang zugemutet werden als den übrigen Wohnungseigentümern (BT-Drs. 168/20, 72), sie also zu einer treuwidrigen Ungleichbehandlung führt (s. a. BGH NJW 2011, 1220 Rn. 13; LG Frankfurt a. M. NJOZ 2019, 1467 Rn. 22; Hogenschurz MietRB 2011, 197 (200)). Bei der Abwägung sind insbesondere die Belange behinderter Wohnungseigentümer zu berücksichtigen (BT-Drs. 168/20, 72). Der Begriff „Benachteiligung“ ist erheblich restriktiver auszulegen als eine bloße Beeinträchtigung i. S. v. § 20 Abs. 3 WEG (s. a. LG Frankfurt a. M. NJOZ 2019, 1467 Rn. 21) (Hügel/Elzer, 3. Aufl. 2021, WEG § 20 Rn. 154).
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Soweit die Klägerin erstmals mit Schriftsatz vom 20.06.2022 bestreitet, dass das Zumauern des Fensters ohne eine Baugenehmigung erfolgen könne, und vorträgt, die neue einsehbare Optik des Objekts sei für die Klägerin störend, die sich ihre Wohneinheit auch unter dem Gesichtspunkt der Optik des Gesamtobjektes von außen erworben habe, zusätzlich werde auch vermutet, dass eine Baugenehmigung für den Deckendurchbruch im Sondereigentum erforderlich sei, erfolgte der Vortrag zum einen nach Ablauf der materiellen Ausschlussfristen des § 45 WEG, zum anderen ist damit weder eine grundlegende Umgestaltung der Wohnanlage oder eine unbillige Benachteiligung der Klägerin dargetan.
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3. Auch der angegriffene zu TOP 11 gefasste Negativbeschluss ist weder nichtig, noch widerspricht er aus den innerhalb der materiellen Ausschlussfrist des § 45 WEG vorgetragenen Gründen ordnungsgemäßer Verwaltung.
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Die Wohnungseigentümergemeinschaft hat bei der Beschlussfassung über Verwaltungsmaßnahmen als Ausfluss der Privatautonomie einen Ermessensspielraum, der einer Überprüfung durch das Gericht weitgehend entzogen ist. Hinzunehmen sind vom Gericht dabei alle vertretbaren Mehrheitsentscheidungen, da es nicht darauf ankommt, ob eine Regelung in jeder Hinsicht notwendig und zweckmäßig ist. Kommen im Rahmen ordnungsgemäßer Verwaltung mehrere Möglichkeiten in Betracht, besteht ein Auswahlermessen. Vor diesem Hintergrund widerspricht der angegriffene Negativbeschluss nur dann ordnungsgemäßer Verwaltung, wenn allein die positive Beschlussfassung ordnungsgemäßer Verwaltung entsprochen hätte, das diesbezügliche Ermessen der Wohnungseigentümer also auf Null reduziert wäre. Dies ist weder dargetan, noch ersichtlich, vielmehr hätte der beantragte Beschluss ordnungsgemäßer Verwaltung widersprochen, weil er die Eigentümer dazu verpflichten sollte, sämtliche vorgenommenen Baumaßnahmen, die das Gemeinschaftseigentum betreffen, rückgängig zu machen und das Gebäude insofern in den Zustand zu versetzen, wie er vor Durchführung der Maßnahmen bestanden hat, ihnen somit eine Handlungspflicht auferlegt hätte, wofür die Eigentümer keine Beschlusskompetenz haben.
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4. Aus den unter 3. dargelegten Gründen besteht auch ein Anspruch der Klägerin auf die mit dem Klageantrag 2 beantragte Beschlussersetzung nicht.
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5. Da die Klage bereits aus anderen Gründen unbegründet ist, kommt es auf die Frage der Wahrung der materiellen Klagefrist nicht entscheidend an.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO. Die Streitwertfestsetzung erfolgte in der öffentlichen Sitzung vom 06.10.2022.