Titel:
Nötigung durch "Klimakleber"
Normenketten:
StGB § 240
GG Art. 8
Leitsätze:
1. Bei einer zielbewussten Anwendung unmittelbaren Zwangs gegenüber einem bestimmten Rechtsgut eines Dritten ist dem Täter in der Regel die Berufung auf die Versammlungsfreiheit als Rechtfertigungsgrund verwehrt. Die instrumentalisierende Beeinträchtigung Unbeteiligter ist ein generell inakzeptables Mittel der Meinungskundgabe. (Rn. 49) (redaktioneller Leitsatz)
2. Verwerflich ist eine Nötigung, wenn die Verquickung von Nötigungsmittel und Nötigungszweck mit den Grundsätzen eines geordneten Zusammenlebens unvereinbar, sie also sozial unerträglich ist. (Rn. 54) (redaktioneller Leitsatz)
3. Bei Demonstrationen und Sitzblockaden sind verfolgte Fernziele allein im Rahmen der Strafzumessung und nicht im Rahmen der Verwerflichkeitsprüfung zu berücksichtigen. (Rn. 55) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Klimakleber, Nötigung, Festkleben, mittelbare Täterschaft, Verkehrsteilnehmer, Gewalt, Versammlung, Demonstration, Sitzblockade, Verwerflichkeit
Fundstelle:
BeckRS 2022, 43646
Tenor
1. Die Angeklagten J… P… Schm… C… Schw… und L… N… W… sind schuldig der Nötigung in 2 Fällen.
2. Die Angeklagten J… P… Schm… und Ch… Schw… werden jeweils zur Gesamtgeldstrafe von 25 Tagessätzen zu je … EUR verurteilt.
3. Der Angeklagte L… N… W… wird zur Gesamtgeldstrafe von 25 Tagessätzen zu je … EUR verurteilt.
4. Die Angeklagten tragen die Kosten des Verfahrens und ihre notwendigen Auslagen.
Angewendete Vorschriften: §§ 240 Abs. 1, Abs. 2, 25 Abs. 1 2. Alt, Abs. 2, 53 StGB
Entscheidungsgründe
1
Zur Errichtung einer symbolischen Blockade für ein konsequenteres Einschreiten der politischen Akteure setzten sich die Angeklagten mit 14 weiteren, anderweitig verfolgten Personen am 03.11.2022 gegen 10:30 Uhr jeweils auf einen der insgesamt sieben Fahrstreifen der beiden Fahrbahnen der Ortsstraße direkt vor dem K.platz in M. auf Höhe des dortigen Fußgängerüberwegs.
2
Die Angeklagten sowie 13 weitere Personen dieser Gruppe klebten sich sodann aufgrund eines zuvor gemeinsam gefassten Tatentschlusses entweder direkt an jeweils einem der insgesamt sieben Fahrstreifen oder an den Händen dort festgeklebter Personen fest, sodass die Angeklagten sich – wie ihnen bewusst war – jeweils nicht mehr von dem Ort entfernen konnten und letztlich an jedem Fahrstreifen Personen festgeklebt waren.
3
Der Angeklagte Schm… klebte hierbei mit seinen beiden Händen an dem mittleren Fahrstreifen der östlichen, den Verkehr nach Norden führenden Fahrbahn.-
4
Die Angeklagte Schw… klebte ihre linke Hand an der rechten Hand der anderweitig Verfolgten B., welche wiederum mit ihrer linken Hand an dem linken-mittleren Fahrstreifen der westlichen, den Verkehr nach Süden führenden Fahrbahn klebte.
5
Der Angeklagte W… klebte derweil mit seiner rechten Hand an dem rechten Fahrstreifen der östlichen, den Verkehr nach Norden führenden Fahrbahn.
6
Um nicht auf die am Boden klebenden Personen aufzufahren und diese möglicherweise zu verletzen, hielten unmittelbar im Anschluss hieran zunächst auf beiden Fahrbahnen die diese jeweils in erster Reihe befahrenden Kraftfahrzeuge vor der Reihe der am Boden sitzenden Personen an.
7
Diese Fahrzeuge wirkten als körperliche Barrieren für die nachfolgend auf beiden Fahrbahnen jeweils eintreffenden Personen beziehungsweise deren Kraftfahrzeuge, sodass diese letztlich zu einem kompletten Stillstand gezwungen wurden und ihre Fahrt auf der dortigen Fahrbahn nicht fortsetzen konnten. Ein Befahren des Fußgängerwegs beziehungsweise des Grünstreifens oder der Straßenbahnschienen war den Verkehrsteilnehmern jeweils nicht zuzumuten. Dies hatten die Angeklagten zumindest als mögliche Folge ihres Handelns erkannt und billigend in Kauf genommen.
8
Im weiteren Verlauf leitete die Polizei mittels quergestellten Dienstfahrzeugen den Verkehr an den Kreuzungen zur S1.straße und E1.straße jeweils um, um die durch die Tat herbeigeführten Folgen zu reduzieren.
9
Die Möglichkeit, dass die Versammlung von Seiten der Polizei – wie tatsächlich gegen 10:56 Uhr geschehen – dahingehend, beschränkt werden würde, dass der K.platz als alternative Versammlungsörtlichkeit zugewiesen würde, und – wie gegen 11:15 Uhr tatsächlich geschehen – formell und materiell rechtmäßig aufgelöst werden würden und dass die Angeklagten sowie die 13 weiteren dort festgeklebten Personen dem aufgrund ihres Klebens an der Fahrbahn nicht nachkommen können würde, hatten die Angeklagten zum Zeitpunkt ihres Festklebens an die Fahrbahn jeweils zumindest billigend in Kauf genommen.
10
Letztlich entstand – wie von den Angeklagten zumindest billigend in Kauf genommen – ein Rückstau mit einer unbekannten Länge sowie einer unbekannten Anzahl geschädigter Personen.
11
Nach erfolgter Entfernung der Angeklagten Schm… und W… sowie der dortigen weiteren Personen um circa 12:42 Uhr, konnte sich der Verkehr sodann wieder in Fahrtrichtung Norden – zunächst zähfließend – in Bewegung setzen.
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Nach erfolgter Entfernung der Angeklagten Schw… sowie der dortigen weiteren Personen um circa 13:10 Uhr, konnte sich der Verkehr sodann auch wieder in Fahrtrichtung Süden – zunächst zähfließend – in Bewegung setzen.
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Sodann wurden die Angeklagten und die weiteren, anderweitig verfolgten Personen zum Zwecke der Identitätsfeststellung in die Räumlichkeiten des Polizeipräsidiums M. in der E2.straße verbracht.
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Nachdem die Angeklagten sowie 12 der weiteren bei Tat Ziffer 1 beteiligten Personen am Abend wieder entlassen wurden, begaben diese sich erneut zum K.platz in M.. Zur Errichtung einer symbolischen Blockade für ein konsequenteres Einschreiten der politischen Akteure setzten sich die Angeklagten mit den 12 weiteren, anderweitig verfolgten Personen am 03.11.2022 gegen 18:45 Uhr jeweils erneut auf einen der insgesamt sieben Fahrstreifen der beiden Fahrbahnen der Ortsstraße direkt vor dem K.platz in M. auf Höhe des dortigen Fußgängerüberwegs.
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Die Angeklagten sowie 10 weitere Personen dieser Gruppe klebten sich sodann aufgrund eines zuvor gemeinsam gefassten Tatentschlusses entweder direkt an jeweils einem der insgesamt sieben Fahrstreifen oder an den Händen dort festgeklebter Personen fest, sodass die Angeklagten sich – wie ihnen bewusst war – jeweils nicht mehr von dem Ort entfernen konnten und letztlich an jedem Fahrstreifen Personen festgeklebt waren. Eine weitere Person der Gruppe klebte sich nach vorheriger Verhinderung der Tat erst später an der Fahrbahn fest.
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Der Angeklagte Schm… klebte hierbei mit seiner linken Hand, der Angeklagte W… mit seiner rechten Hand jeweils an dem mittleren Fahrstreifen der östlichen, den Verkehr nach Norden führenden Fahrbahn.
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Die Angeklagte Schw… klebte derweil mit ihrer rechten Hand an dem rechten Fahrstreifen der westlichen, den Verkehr nach Süden führenden Fahrbahn.
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Um nicht auf die am Boden klebenden Personen aufzufahren und diese möglicherweise zu verletzen, hielten unmittelbar im Anschluss hieran zunächst auf beiden Fahrbahnen die diese jeweils in erster Reihe befahrenden Kraftfahrzeuge vor der Reihe der am Boden sitzenden Personen an.
19
Diese Fahrzeuge wirkten als körperliche Barrieren für die nachfolgend auf beiden Fahrbahnen jeweils eintreffenden Personen beziehungsweise deren Kraftfahrzeuge, sodass diese letztlich zu einem kompletten Stillstand gezwungen wurden und ihre Fahrt auf der dortigen Fahrbahn nicht fortsetzen konnten. Ein Befahren des Fußgängerwegs beziehungsweise des Grünstreifens oder der Straßenbahnschienen war den Verkehrsteilnehmern jeweils nicht zuzumuten. Dies hatten die Angeklagten zumindest als mögliche Folge ihres Handelns erkannt und billigend in Kauf genommen.
20
Im weiteren Verlauf leitete die Polizei mittels quergestellten Dienstfahrzeugen den Verkehr an den Kreuzungen zur S1.straße und E1.straße jeweils um, um die durch die Tat herbeigeführten Folgen zu reduzieren.
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Die Möglichkeit, dass die Versammlung von Seiten der Polizei – wie tatsächlich gegen 19:25 Uhr geschehen – dahingehend beschränkt werden würde, dass der K.platz als alternative Versammlungsörtlichkeit zugewiesen würde, und – wie gegen 19:55 Uhr tatsächlich geschehen – formell und materiell rechtmäßig aufgelöst werden würde und dass die Angeklagten sowie die 11 weiteren dort festgeklebten Personen dem aufgrund ihres Klebens an der Fahrbahn nicht nachkommen können würden, hatten die Angeklagten zum Zeitpunkt ihres Festklebens an die Fahrbahn jeweils zumindest billigend in Kauf genommen.
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Letztlich entstand – wie von den Angeklagten zumindest billigend in Kauf genommen – ein Rückstau mit einer unbekannten Länge sowie einer unbekannten Anzahl geschädigter Personen.
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Nach erfolgter Entfernung der Angeklagten sowie der dortigen weiteren Personen um 23:50 Uhr konnte sich der Verkehr sodann wieder in Bewegung setzen.
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1. Die Feststellungen zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen der Angeklagten beruhen auf deren eigenen Angaben, denen das Gericht gefolgt ist.
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Zur Verlesung kamen darüber hinaus gemäß § 249 StPO die Auszüge aus dem Bundeszentralregister.
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2. Der festgestellte Sachverhalt beruht auf den eigenen Angaben der Angeklagten, soweit diesen gefolgt werden konnte sowie auf der durchgeführten Beweisaufnahme.
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Die Angeklagten haben sämtlich eingeräumt, in beiden Fällen jeweils an den Straßenblockaden beteiligt gewesen zu sein.
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Sie haben darüber hinaus übereinstimmend angegeben, so an der Straße bzw. an ihrem Sitznachbarn angeklebt gewesen zu sein, dass jederzeit eine Rettungsgasse hätte gebildet werden können.
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In der Hauptverhandlung wurden insbesondere die Lichtbilder Bl. 63 bis 73, 90 bis 97, 181 und 287 in Augenschein genommen. Die Lichtbilder zeigen die Blockaden und teilweise die Angeklagten auf der Straße sitzend. Die Videoaufzeichnungen zeigen ebenfalls verschiedene Sequenzen der Blockaden und insbesondere auch, wie einzelne Blockierer von der Straße befreit werden.
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Der Zeuge POR G… hat angegeben, er habe gegen 10:40 Uhr über Funk erfahren, dass am St. eine Fahrbahn von Personen blockiert werde. Er habe sich dann zum St. begeben. Es habe sich ihm das Bild geboten, dass auf der östlichen Seite mehrere Personen gesessen seien; auf der gegenüberliegenden Fahrbahn, Richtung S. Tor, habe sich das gleiche Bild geboten. Die Polizeibeamten hätten vor den Personen schon eine Absperrung gebildet. Fahrzeuge seien schon in beide Richtungen gestanden; es seien jeweils mehrere Reihen gewesen; es hätten sich Schlangen von jeweils mehreren hundert Metern gebildet. Die Personen hätten auf der Straße gekniet und hätten Warnwesten in orangener Farbe angehabt. Er habe zuerst die Personen auf der östlichen Seite angesprochen. Er habe ihnen einen Platz im Rahmen einer beschränkenden Verfügung zugewiesen und zwar vor dem St.brunnen, mit dem Hinweis, dass sie sich bei Nichtbefolgung einer Nötigung strafbar machen würden. Diese Verfügung habe er kurz vor 11:00 Uhr ausgesprochen. Er habe sich dann auf die westliche Seite begeben und habe dort im Bereich des Gehwegs des Justizpalastes im Rahmen einer beschränkenden Verfügung einen Ort zugewiesen und ebenfalls eine Belehrung dahingehend ausgesprochen, dass die Nichtbefolgung eine Nötigung darstellen würde. Beide Gruppen habe er nochmals gebeten, der Verfügung Folge zu leisten. Sämtliche Personen seien nach der Belehrung sitzen geblieben. Gegen 11:50 Uhr habe er dann die Versammlung aufgelöst. Es seien dann die Kollegen gekommen und hätten begonnen, die Personen, die sich festgeklebt hätten, zu lösen. Das Ganze habe ungefähr eine Stunde gedauert. Die westliche Fahrbahn hätten sie gegen 13:00 Uhr wieder frei gegeben. Die Personen seien zum Teil mit einer Hand, teilweise auch mit zwei Händen festgeklebt gewesen. Zwei Personen hätten sich aneinandergeklebt, ohne auf der Fahrbahn angeklebt gewesen zu sein. Diese zwei Personen seien in der Mitte gewesen. Selbst wenn sie diese Personen entfernt hätten, hätte er kein Fahrzeug durchgelassen. Es wäre zu eng gewesen. Er habe nicht festgestellt, dass immer vier Personen in Form eines Tores hätten weggenommen werden können.
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Er schätze ab 10:00 bis 10:50 Uhr seien von den Kollegen Umleitungen eingeleitet worden, seines Wissens am L.platz und in die B.strasse. Es hätten sich Rückstauungen bis nach S2. gebildet. Die blockierte Straße sei eine der meist frequentierten Straßen in M..
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Bei einer Ableitung verursache man weitere Staus.
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Die Blockierer seien sehr ruhig und sehr kooperativ gewesen. Es sei kein Widerstand geleistet worden.
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3. Die Zeugin PRin R… hat angegeben, sie habe gegen 18:50 Uhr davon Kenntnis erlangt, dass sich Personen auf der Straße festgeklebt hätten. Vom Präsidium aus habe sie die ersten Maßnahmen vorgenommen. Vor Ort habe sich kein Versammlungsleiter zu erkennen gegeben. Teilweise seien Personen auf der Fahrbahn festgeklebt gewesen. Sie habe eine beschränkende Verfügung erlassen. Dies sei den Personen mehrfach über Megaphon mitgeteilt worden. Da der Verfügung nicht nachgekommen worden sei, sei die Versammlung aufgelöst worden. Gegen 20:20 Uhr sei mit dem Lösen der Personen von der Straße begonnen worden. Es wäre genügend Zeit gewesen, der Beschränkung nachzukommen. Die letzte Person sei sehr stark festgeklebt gewesen. Die Feuerwehr habe herangezogen werden müssen. Danach habe die Verkehrssperrung gegen 23:50 Uhr aufgelöst werden können. Als sie vor Ort gewesen sei, seien bereits Verkehrssperrungen in Kraft gewesen. Letzte Fahrzeuge hätten noch gewendet. Als sie am Versammlungsort angekommen sei, seien keine Fahrzeuge mehr in mehreren Reihen gestanden. Es habe sich an den Verkehrssperren gestaut. Die S2.straße habe nicht genutzt werden können. Es habe über kleinere Straßen umgeleitet werden müssen. Die Verfügungen seien um 19:24 Uhr und 19:27 Uhr und um 19:42 Uhr und 19:45 Uhr via Megaphon ausgesprochen worden. Die Versammlung sei dann um circa 19:47 Uhr aufgelöst worden.
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Ein Rettungswagen sei gekommen und in südliche Richtung gefahren. Die Teilnehmer hätten die Sperrung geöffnet, so dass der Rettungswagen, auch wenn verlangsamt, habe passieren können. Die Person in der Mitte sei nicht festgeklebt gewesen. Die neben der nicht angeklebten Person befindliche Person sei am Nebenmann festgeklebt gewesen, aber nicht auf der Straße. Am Rande hätten weitere Personen geklebt. Der Rettungswagen habe durchgepasst. Ein Rettungswagen sei auf seiner Route über die S2.straße nicht durchgekommen. Sie könne nicht sagen, ob dieser Rettungswagen gewendet habe oder eine Umleitung gefahren sei.
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Umleitungen hätten an der Ecke E1.straße/S2.straße und an der Ecke S3.straße/B.straße bestanden. Der Verkehr werde an günstigen Örtlichkeiten, so dass keine Staus entstehen würden, abgeleitet. Als sie eingetroffen sei, seien die letzten Autos am Wenden gewesen. Die Sperrung sei um 23:50 Uhr aufgehoben worden. Bei der Straße handele es sich um eine Verkehrsader. Gegen 19:00 Uhr herrsche dort immer noch ordentlicher Feierabendverkehr.
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Der Zeuge KK W… hat zum Fall 1 angegeben, er sei gegen 10:50 Uhr verständigt worden, dass sich im Bereich S2.straße/K.platz wieder Leute festgeklebt hätten. Direkt vor Ort seien die Autos bereits umgeleitet worden. Ein Reisebus sei noch vor Ort gewesen, die Insassen hätten aussteigen müssen. Aufgrund der Sperrungen sei die Verkehrslage noch angespannt gewesen. Er sei vielleicht eine halbe Stunde nach seiner Verständigung angekommen. Es seien sämtliche Fahrbahnen blockiert gewesen. Bei der Aktion, wie auch bei der am Abend, sei eine Person mit ihrem Nachbarn nur an der Hand zusammengeklebt gewesen, die Nachbarperson dann wieder auf der Straße. Fahrzeuge hätten durchgelassen werden können. Der Angeklagte W… sei auf der östlichen Seite Richtung K.platz, vom K.platz her auf der rechten Seite, mit der rechten Hand angeklebt gewesen. Er habe ein Plakat mit „100 km/h“ von der letzten Generation bei sich gehabt. Er habe mit der Person neben ihm die äußere rechte Fahrbahn blockiert. Die dritte Person sei Herr Schm… gewesen, er sei mit zwei weiteren Personen auf die Straße geklebt gewesen, die mittlere Fahrbahn blockierend. Auf der Fahrbahn Richtung P.straße sei die Angeklagte Schw… auf der linken Fahrbahn mit ihrer Hand an die Nachbarin geklebt gewesen. Er könne sich auf jeder Fahrbahn an eine solche Durchlassstelle erinnern.
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Hinsichtlich des Falles 2 hat der Zeuge angegeben, abends verständigt worden zu sein. Es hätten mehr Fahrzeuge als nur in der ersten Reihe gestanden.
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Bei Fall 1 habe es mehrere Auffälligkeiten gegeben. Es sei von zwei Notfahrzeugen berichtet worden, die zumindest über die Trambahnschienen hätten ausweichen müssen. Eines habe wegen der Aktion am S4. Tor umdrehen müssen. Eine Person, die eine Augen-OP gehabt habe, habe ausgeleitet werden müssen. Ein eiliger Medikamenten- und Bluttransport sei noch vor Ort gewesen und auch über den Gehweg ausgeleitet worden. Bei der Abendaktion wisse er von einem Rettungswagen, der auf der Höhe B.straße/S3.straße nicht weitergekommen sei. Auf Aufforderung hin hätten die Teilnehmer die Sperrung aufgemacht. Es sei aber trotzdem zu Verzögerungen gekommen. Die Problematik mit den Rettungswägen habe er vor Ort nicht wahrgenommen. Er habe es einem Aktenvermerk entnommen. Bei der Vormittagsaktion sei er vor Ort gewesen, als die Fahrzeuge bereits ausgeleitet worden seien.
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Die erste Möglichkeit zum Abfahren sei in nördlicher Richtung die E1.straße gewesen. Südlich sei es unmittelbar nach der Blockade die P.straße gewesen. Er meine aber, dass es sich dabei um eine Einbahnstraße handele. In Fahrtrichtung sei dies hinter der Blockade gewesen. Vor der Blockade sei es die E1.straße gewesen, in einer Entfernung von vielleicht 200 bis 300 Metern. In die andere Richtung komme in ungefähr gleicher Entfernung eine Seitenstraße. Sie seien um 18:45 Uhr verständigt worden und fünf bis zehn Minuten später vor Ort gewesen. Bei der Abendaktion sei zu diesem Zeitpunkt noch ein Stau vorhanden gewesen.
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An der Glaubwürdigkeit dieser Zeugen bestanden für das Gericht keinerlei Zweifel.
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Die Zeugen haben ihre Angaben widerspruchsfrei und ohne übertriebenen Belastungseifer vorgetragen.
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Die Angeklagten haben sich damit der gemeinschaftlichen Nötigung in mittelbarer Täterschaft in zwei Fällen gemäß §§ 240 Abs. 1, Abs. 2, 25 Abs. 1 2. Alt, Abs. 2, 53 StGB schuldig gemacht.
44
1. Die Angeklagten haben jeweils Gewalt im Sinne des § 240 Abs. 1 1. Alt. StGB angewendet.
45
Die Angeklagten haben durch ihre Sitzblockaden zwar möglicherweise auf die in erster Reihe anhaltenden Fahrzeugführer eine nur psychische Kraft entfaltet, nachdem diese rein tatsächlich die Durchfahrt hätten erzwingen können. Auf die in zweiter Reihe nachfolgenden Fahrzeuge wurde jedenfalls bis zu deren Umleitung durch die Polizei dann aber auch rein physisch eingewirkt, in dem diese aufgrund der vor ihnen haltenden Fahrzeuge ihren Weg nicht fortsetzen konnten (vgl. BHG 1 StR 126/95, BVerfGE 104, 92 ff). Aber auch nach der Straßensperrung und Ableitung des Verkehrs durch die Polizei wurde in zweiter Reihe für nachfolgende Fahrzeuge jeweils ein unüberwindliches Hindernis geschaffen, da die Polizei jeweils die Zufahrt gesperrt hat, um eine Konfrontation zwischen nachfolgenden Fahrzeugführern mit den Aktivisten zu verhindern und Leib und Leben der am Boden sitzenden Demonstranten zu schützen. Ein solches Vorgehen ist durch die gesetzlichen Aufgaben der Polizei geboten und entsprach auch der für alle vorhersehbaren polizeilichen Praxis, so dass der Kausalverlauf nicht unterbrochen wurde (BGHSt 37, 350).
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Der für eine Nötigung mit Gewalt erforderliche spezifische Zusammenhang zwischen Nötigungshandlung und Nötigungserfolg ist damit gegeben und der Nötigungserfolg ist jeweils den Blockierern zuzurechnen.
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2. Alle Angeklagten haben mittäterschaftlich gemäß § 25 Abs. 2 StGB gehandelt, da jeder der Angeklagten ein eigenes Interesse am Erfolg der Tat hatte, die Tat auf einem gemeinschaftlichen Tatentschluss beruhte und der Umfang der Tatbeteiligung jeweils erheblich war. Alle Angeklagten besaßen zu Beginn der Blockadeaktion Tatherrschaft und auch die nicht festgeklebten Angeklagten wollten Teil einer gemeinsamen Aktion sein und nicht etwa nur eine fremde Tat unterstützen.
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3. Das Handeln der Angeklagten war rechtswidrig.
49
a) Die Angeklagten können sich zur Rechtfertigung nicht auf das Grundrecht der Versammlungsfreiheit nach Artikel 8 Abs. 1 GG berufen. Der Schutzbereich des Artikels 8 GG war vorliegend zwar jeweils eröffnet, Behinderungen und Zwangswirkungen werden grundsätzlich aber nur dann durch Artikel 8 GG gerechtfertigt, wenn sie als sozialadäquate Nebenfolge mit rechtmäßigen Demonstrationen verbunden sind. Bei einer zielbewussten Anwendung unmittelbaren Zwangs gegenüber einem bestimmten Rechtsgut eines Dritten ist dem Täter entgegen in der Regel die Berufung auf die Versammlungsfreiheit als Rechtfertigungsgrund verwehrt (BVerfGE 73, 206, 250; 82, 236, 264; BGHSt 23, 46, 56 f.; BGHSt 44, 34-42). Die instrumentalisierende Beeinträchtigung Unbeteiligter ist ein generell inakzeptables Mittel der Meinungskundgabe (vgl. Münchner Kommentar/Sinn, StGB, § 240, Rn 145 m.w.N.). Dies ist vorliegend jeweils gegeben. Die Angeklagten haben jeweils zielgerichtet nötigenden Zwang gegen die Verkehrsteilnehmer angewendet. Es entsprach ihrem Tatplan, durch die Errichtung einer Sitzblockade Verkehrsteilnehmer am Fortkommen zu hindern und dadurch mediale Aufmerksamkeit für das Demonstrationsanliegen zu erhöhen.
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Zudem haben die Angeklagten jeweils auch gegen materiell versammlungsrechtliche Vorschriften verstoßen, so dass die Demonstration jeweils nicht mehr rechtmäßig war. Die zuständigen polizeilichen Einsatzleiter haben jeweils bereits kurz nach ihrem Eintreffen formell und materiell rechtmäßige beschränkende Verfügungen erlassen und den Angeklagten jeweils einen nahegelegenen Platz als Versammlungsort zugewiesen. Diesen Verfügungen haben die Angeklagten jeweils keine Folge geleistet und verblieben auch noch auf der Straße, was von ihnen vorhergesehen und zumindest billigend in Kauf genommen war, nachdem durch die polizeilichen Einsatzleiter jeweils nachfolgend die formell und materiell rechtmäßige Auflösung verkündet worden war.
51
b) Das Handeln der Angeklagten ist auch nicht gemäß § 34 StGB gerechtfertigt.
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Das Handeln der Angeklagten war jeweils weder durch einen rechtfertigenden Notstand gemäß § 34 StGB noch durch zivilen Ungehorsam gerechtfertigt. Sitzblockaden haben keinen unmittelbaren Einfluss auf den Klimawandel. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Gefahr eines Klimawandels nicht anders als durch die Begehung von Straftaten abgewendet werden könnte. Die Sitzblockaden sind auch nicht durch „zivilen Ungehorsam“ gerechtfertigt. Niemand ist berechtigt, in die Rechte anderer einzugreifen, um auf diese Weise die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zu erregen und eigenen Auffassungen Geltung zu verschaffen. Wer auf den politischen Meinungsbildungsprozess einwirken möchte, kann dies in Wahrnehmung seiner Grundrechte auf Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit, seines Petitionsrechts und seines Rechts auf Bildung politischer Parteien tun, nicht aber durch die Begehung von Straftaten. Würde die Rechtsordnung einen Rechtfertigungsgrund akzeptieren, der allein auf der Überzeugung des Handelnden von der Überlegenheit seiner eigenen Ansicht beruht, liefe dies auf eine grundsätzliche Legalisierung von Straftaten zur Erreichung politischer Ziele hinaus (vgl. OLG Zelle, Beschluss vom 29.07.2022). Nach vorherrschender Auffassung in Rechtsprechung und Literatur wird Widerstand in Form von Sitzstreiks oder Verkehrsblockaden gegen politische Maßnahmen und Entscheidungen nur unter den Voraussetzungen von Artikel 20 Abs. 4 GG für zulässig erachtet (vgl. Schönke/Schröder/Eisele, StGB, § 240, Rn 26 m.w.N.). Die Voraussetzungen für ein solches Widerstandsrecht liegen hier unzweifelhaft nicht vor.
53
c) Die Anwendung von Gewalt zu dem angestrebten Zweck ist als verwerflich i.S.d. § 240 Abs. 2 StGB anzusehen.
54
Verwerflich ist eine Nötigung, wenn die Verquickung von Nötigungsmittel und Nötigungszweck mit den Grundsätzen eines geordneten Zusammenlebens unvereinbar, sie also sozial unerträglich ist (vgl. nur BGH NJW 2014, 401).
55
Bei Demonstrationen und Sitzblockaden sind verfolgte Fernziele nach herrschender Meinung allein im Rahmen der Strafzumesssung und nicht im Rahmen der Verwerflichkeitsprüfung zu berücksichtigen (vgl. nur Fischer StGB § 240 Rn 44 m.w.N.)
56
Nach der für das Gericht maßgeblichen und bindenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bestehen bei Blockadeaktionen, bei denen mit allgemeinpolitischer Zielsetzung ein kommunikatives Anliegen verfolgt wird, zum Schutz des Grundrechts der Versammlungsfreiheit vor übermäßiger und unangemessener Sanktion besondere Anforderungen für die Anwendung und Auslegung der Verwerflichkeitsklausel des § 240 Abs. 2 StGB (BVerfGE 104, 92, 109 ff; 73, 206, 255 ff). Bei dieser am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierten Zweck-Mittel-Relation sind insbesondere die Art und das Maß der Auswirkungen auf betroffene Dritte und deren Grundrechte zu berücksichtigen. Wichtige Abwägungselemente sind hierbei die Dauer und die Intensität der Aktion, deren vorherige Bekanntgabe, Ausweichmöglichkeiten über andere Zufahrten, die Dringlichkeit des blockierten Transports, aber auch der Sachbezug zwischen den in ihrer Fortbewegungsfreiheit beeinträchtigten Personen und dem Protestgegenstand. Das Gewicht solcher demonstrationsspezifischer Umstände ist mit Blick auf das kommunikative Anliegen der Versammlung zu bestimmen, ohne dass dem Strafgericht eine Bewertung zusteht, ob es dieses Anliegen als nützlich und wertvoll einschätzt oder es missbilligt. Stehen die äußere Gestaltung und die durch sie ausgelösten Behinderungen in einem Zusammenhang mit dem Versammlungsthema oder betrifft das Anliegen auch die von der Demonstration nachteilig Betroffenen, kann die Beeinträchtigung ihrer Freiheitsrechte unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände möglicherweise eher sozial erträglich und dann in größerem Maße hinzunehmen sein, als wenn dies nicht der Fall ist. Demgemäß ist im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen, ob und wie weit die Wahl des Versammlungsortes und die konkrete Ausgestaltung der Versammlung sowie die von ihr betroffenen Personen einen auf die Feststellung der Verwerflichkeit einwirkenden Bezug zum Versammlungsthema haben (vgl. BVerfGE 104, 92).
57
Unter Berücksichtigung all dieser Kriterien fällt die Gesamtabwägung hinsichtlich der durchgeführten Sitzblockaden jeweils zu Lasten der Angeklagten aus.
58
Zugunsten der Demonstrationsfreiheit der Angeklagten war anzuerkennen, dass die Angeklagten in beiden Fällen und auf jeder Straßenseite für etwaige Notfälle jederzeit eine Rettungsgasse hätten freimachen können. Zugunsten der Angeklagten war auch ein Sachbezug zwischen handelnden und betroffenen Personen anzuerkennen. Ausweislich der mitgeführten Plakate haben die Angeklagten für eine allgemeine Geschwindigkeitsbegrenzung von 100 km/h und für ein 9 Euro-Zugticket und letztendlich wegen des Klimawandels protestiert, so dass die durch sie ausgelösten Behinderungen sowohl hinsichtlich der Wahl des Versammlungsortes als auch hinsichtlich der von der Aktion betroffenen Kraftfahrzeugführern in eine inhaltliche Beziehung gebracht werden können.
59
Demgegenüber war im Rahmen der Abwägung zulasten der Angeklagten zu werten, dass sie die S2.straße, bei welcher es sich um eine der meist frequentierten Straßen in M. handelt, vor dem K.platz auf Höhe des dortigen Fußgängerüberwegs in beiden Fahrtrichtungen auf insgesamt sieben Fahrstreifen blockiert haben, so dass eine hohe Zahl an Personen im Stau stand und Umwege und erhebliche Verzögerungen in Kauf nehmen musste. Im Fall 1 dauerte die Sperrung circa drei Stunden an und im Fall 2 circa fünf Stunden. Zulasten der Angeklagten war auch zu werten, dass Ausweichmöglichkeiten über andere Zufahrten nur eingeschränkt, relativ weit entfernt und teilweise kaum oder nur umständlich zu erreichen waren. Negativ war auch zu berücksichtigen, dass dringliche Transporte (Medikamenten-, Krankentransporte) zeitweise blockiert und teilweise umgeleitet werden mussten. Nachteilig musste sich auch auswirken, dass weder eine vorherige Anmeldung der Sitzblockaden noch eine vorherige Bekanntgabe stattgefunden hat.
60
Art und Ausmaß der Auswirkung auf betroffene Dritte sowie Dauer und Intensität der beiden Sitzblockaden waren daher so erheblich, dass sie zu dem angestrebten Versammlungszweck nach einer Gesamtabwägung nicht mehr verhältnismäßig und nicht mehr mit den Grundsätzen eines geordneten Zusammenlebens vereinbar sind.
61
1. Bei der Strafzumessung war ein Strafrahmen zugrunde zu legen, der Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren vorsieht (§ 241 StGB).
62
Innerhalb dieses Strafrahmens konnte zugunsten sämtlicher Angeklagter berücksichtigt werden, dass sie in der Hauptverhandlung jeweils zumindest den äußeren Sachverhalt eingeräumt haben. Zugunsten der Angeklagten war auch zu berücksichtigen, dass sie friedlich demonstriert haben und die Blockaden so gestaltet waren, dass jeweils eine Rettungsgasse für Notfälle hätte sofort freigemacht werden können. Zugunsten der Angeklagten war auch zu sehen, dass ein Verfolgungsinteresse der beeinträchtigten Fahrzeugführer nicht verbrieft ist. Zu Gunsten der Angeklagten war des Weiteren zu werten, dass sie die Sitzblockaden zur Erreichung billigenswerter Ziele durchgeführt haben, nämlich zum Zwecke der Erregung medialer Aufmerksamkeit für ihr nachvollziehbares Anliegen, der unverzüglichen Einleitung nachhaltiger Maßnahmen gegen den Klimawandel. Zudem haben die Angeklagten mildere Mittel für sich selber offensichtlich nicht gesehen. Zugunsten der Angeklagten war auch zu berücksichtigen, dass sie sich wegen der gegenständlichen Sitzblockaden in polizeilichem Präventivgewahrsam befunden haben.
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Zulasten der Angeklagten war zu berücksichtigen, dass sie eine vielbefahrene Straße im Zentrum M. mit hohem Verkehrsaufkommen jeweils über mehrere Stunden und zudem an einer Stelle, die nur schwer umfahrbar ist, blockiert haben, wodurch zwangsläufig eine Vielzahl von Autofahrern erheblich beeinträchtigt wurde, was von den Angeklagten von Anfang an auch so geplant war. Zulasten sämtlicher Angeklagter war auch zu werten, dass sie die zweite Sitzblockade unmittelbar nach der ersten noch am selben Tag durchgeführt haben. Ganz erheblich zulasten der Angeklagten war zudem zu berücksichtigen, dass Kranken- und Medikamententransporte behindert und teilweise umgeleitet werden mussten.
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Unter Berücksichtigung all dieser Umstände hielt das Gericht hinsichtlich sämtlicher Angeklagter für Fall 1 die Verhängung einer Geldstrafe von jeweils 10 Tagessätzen und für Fall 2 die Verhängung einer solchen von jeweils 20 Tagessätzen für tat- und schuldangemessen, erforderlich, aber auch ausreichend.
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Unter nochmaliger Berücksichtigung all dieser für und gegen die Angeklagten sprechenden Umstände und unter angemessener Erhöhung einer Einsatzstrafe von 20 Tagessätzen war für sämtliche Angeklagte eine Gesamtgeldstrafe in Höhe von jeweils 25 Tagessätzen angemessen.
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2. Die Tagessatzhöhe wurde gemäß § 40 Abs. 2 StGB hinsichtlich der Angeklagten Schm. und Schw. auf jeweils … Euro und hinsichtlich des Angeklagten W… auf … Euro festgesetzt.
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Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 464, 465 StPO.