Titel:
Nötigung durch "Klimakleber"
Normenketten:
StGB § 240
GG Art. 8
BayVersG Art. 24 Abs. 2
Leitsätze:
1. Bei einer zielbewussten Anwendung unmittelbaren Zwangs gegenüber einem bestimmten Rechtsgut eines Dritten ist dem Täter in der Regel die Berufung auf die Versammlungsfreiheit als Rechtfertigungsgrund verwehrt. Die instrumentalisierende Beeinträchtigung Unbeteiligter ist ein generell inakzeptables Mittel der Meinungskundgabe. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Verwerflich ist eine Nötigung, wenn die Verquickung von Nötigungsmittel und Nötigungszweck mit den Grundsätzen eines geordneten Zusammenlebens unvereinbar, sie also sozial unerträglich ist. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
3. Bei Demonstrationen und Sitzblockaden sind verfolgte Fernziele allein im Rahmen der Strafzumessung und nicht im Rahmen der Verwerflichkeitsprüfung zu berücksichtigen. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Klimakleber, Nötigung, Festkleben, Verkehrsteilnehmer, Gewalt, Versammlung, Demonstration, Sitzblockade, Verwerflichkeit
Fundstelle:
BeckRS 2022, 43645
Tenor
1. Der Angeklagte S. L…, geboren am …1997 ist schuldig der Nötigung.
2. Der Angeklagte wird deshalb zur Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je … € verurteilt.
3. Der Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens und seine eigenen notwendigen Auslagen.
Angewendete Vorschriften: §§ 240 Abs. 1, Abs. 2, 25 Abs. 1, Abs. 2 StGB
Entscheidungsgründe
1
Zur Errichtung einer symbolischen Blockade für eine sparsamere Produktion von Nahrungsmitteln und gegen Lebensmittelverschwendung, klebte sich der Angeklagte am 04.02.2022 um 13:20 Uhr mittels Sekundenklebers der Marken UHU und Pattex mit dem Stoff Cyanacrylat seine linke Hand genau wie die anderweitig Verfolgte T… aufgrund eines zuvor gemeinsam gefassten Tatentschlusses jeweils auf einem der beiden in Richtung S. Tor führenden Fahrstreifen an der Fahrbahn der F.straße auf Höhe der Hausnummer 1 am I.platz in M. fest, sodass der Angeklagte sich – wie ihm bewusst war – nicht mehr von dem Ort entfernen konnte. Entsprechend dem gemeinsamen Tatentschluss stellten beziehungsweise setzten sich auch die anderweitig Verfolgten S…, L… und O… auf die Fahrbahn. Diese geplante Aktion war nicht angemeldet und wurde von dem Angeklagten geleitet. Um nicht auf die auf der Fahrbahn befindlichen Personen aufzufahren und diese möglicherweise zu verletzen, hielten unmittelbar im Anschluss hieran zunächst die beiden Fahrer der Kraftfahrzeuge: Kleinbus, Mercedes sowie Pkw, Dodge Ram mit dem amtlichen Kennzeichen … vor der Reihe der am Boden sitzenden Personen an. Eine Umfahrung der Personen durch die beiden Kraftfahrzeugführer unter Nutzung anderer Teile der Fahrbahn war hierbei nicht möglich. Deren Fahrzeuge wirkten sodann als körperliche Barrieren für die nachfolgend eintreffenden Personen mit deren Kraftfahrzeugen in unbekannter Anzahl, welche hierdurch entweder zu einem kompletten Stillstand oder zu einer Umfahrung des Bereichs auf einer anderen Strecke gezwungen wurden. Dies hatte der Angeklagte als Folge seines Handelns beabsichtigt.
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Im späteren Verlauf leitete die Polizei den Fahrzeugverkehr durch Sperrung der beiden Fahrstreifen mittels Dienstfahrzeugen am I.tor um, wozu sie aufgrund des Verhaltens des Angeklagten zu seinem Schutz und zum Schutz der anderweitig Verfolgten vor Auseinandersetzungen mit Verkehrsteilnehmern auch verpflichtet war. Die Möglichkeit, dass die Versammlung von Seiten der Polizei – wie tatsächlich gegen 13:45 Uhr geschehen – formell und materiell rechtmäßig dahingehend beschränkt werden würde, dass der anliegende Gehweg als alternative Versammlungsörtlichkeit zugewiesen wird, und dass die Versammlung sodann – wie tatsächlich um 15:10 Uhr geschehen – formell und materiell rechtmäßig aufgelöst werden würde, da der Angeklagte der Versammlungsbeschränkung aufgrund seines Klebens an der Fahrbahn nicht nachkommen können würde, hatte er zum Zeitpunkt seines Festklebens an die Fahrbahn erkannt und zumindest billigend in Kauf genommen. Nach erfolgter Entfernung des Angeklagten und dem anderweitig Verfolgten T… durch Entfernung des Sekundenklebers mittels Spachteln gegen 15:45 Uhr durch die Polizei, konnte die F.straße in Richtung S. Tor wieder befahren werden. Letztlich waren – wie von dem Angeklagten zumindest billigend in Kauf genommen – im Zeitraum von 13:20 bis 15:45 Uhr leichte Verkehrsbehinderungen mit einer gewissen Zeitverzögerung für die umgeleiteten Fahrzeugführer entstanden.
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Die Feststellungen unter I. zu den persönlichen Verhältnissen beruhen auf den eigenen glaubhaften Angaben des Angeklagten und der verlesenen Auskunft aus dem Bundeszentralregister.
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Die Feststellungen unter II. beruhen auf der Einlassung des Angeklagten und der durchgeführten Beweisaufnahme.
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Der Angeklagte hat den Sachverhalt – wie unter II. festgestellt – im Wesentlichen eingeräumt und die Auffassung vertreten, sein Handeln sei nicht strafbar.
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Die Angaben der glaubhaften Zeugen M… und D… bestätigten die Einlassung des Angeklagten. Zudem schilderten die Zeugen schlüssig und nachvollziehbar den zeitlichen Ablauf sowie die Auswirkungen der Blockade auf den Verkehrsfluss. Diesbezüglich schilderten die Beamten, dass die Blockade nicht angekündigt war und die Polizei von Verkehrsteilnehmern hierauf aufmerksam gemacht worden sei. In der Folge seien dann Polizeisperren installiert worden, um u.a. den Verkehr abzuleiten, was in Richtung Tal – aufgrund der engen Straßen – nur schlecht möglich gewesen sei. Letztlich seien über einen Zeitraum von ca. 2,5 Stunden immer wieder Staus entstanden. Die Verkehrsbehinderungen dürften im leichten bis mittleren Bereich gelegen haben. Zudem schilderte der Zeuge M…, dass kurz nach Eintreffen der Beamten den Versammlungsteilnehmern eine neue Versammlungsörtlichkeit, nämlich der nahegelegene Gehweg, mitgeteilt worden sei. Dieser beschränkenden Verfügung sei der Angeklagte nicht nachgekommen.
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Ferner belegen die in Augenschein genommenen asservierten Videoaufzeichnungen sowie die Lichtbilder die Errichtung der Blockade.
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Der Angeklagte hat sich daher der Nötigung gem. §§ 240 Abs. 1, Abs. 2, 25 Abs. 1, Abs. 2 StGB schuldig gemacht.
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Insbesondere hat der Angeklagte Gewalt i.S.d. § 240 Abs. 1 S. 1 1. Alt. StGB angewendet.
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Der Angeklagte hat durch seine Sitzblockade auf öffentlicher Straße nach Maßgabe obergerichtlicher Rechtsprechung (vgl. nur BGH 1 StR 126/95, BVerfGE 104, 92 ff.) jedenfalls auf die in zweiter Reihe nachfolgenden Fahrzeuge bis zu deren Umleitung durch die Polizei unmittelbar und danach – mittelbar durch die Polizeisperre – physisch eingewirkt, indem diese aufgrund der vor ihnen haltenden Fahrzeuge ihren Weg nicht fortsetzen konnten. Die Polizei hatte die Zufahrt gesperrt und auf der Straße Einsatzfahrzeuge quergestellt, um eine Konfrontation zwischen nachfolgenden Fahrzeugführern mit den Aktivisten zu vermeiden und Leib und Leben der am Boden sitzenden Demonstranten zu schützen. Ein solches Vorgehen ist durch die gesetzlichen Aufgaben der Polizei geboten und entsprach auch der für alle vorhersehbaren polizeilichen Praxis, sodass der Kausalverlauf nicht unterbrochen wurde (BGHSt. 37, 350).
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Das Handeln des Angeklagten war auch rechtswidrig.
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Der Angeklagte kann sich nicht zur Rechtfertigung auf das Grundrecht der Versammlungsfreiheit berufen, Art. 8 Abs. 1 GG. Grundsätzlich besteht der Schutz des Art. 8 GG unabhängig davon, ob eine Versammlung angemeldet ist und endet erst mit rechtmäßiger Auflösung der Versammlung (BVerfG 1 BVR 388/05). Der Schutzbereich des Art. 8 GG war damit hier eröffnet, da es dem Angeklagten darum gegangen ist, Aufmerksamkeit zu erregen und so einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung zu leisten.
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Behinderungen und Zwangswirkungen werden grundsätzlich aber nur dann durch Art. 8 GG gerechtfertigt, wenn sie als sozialadäquate Nebenfolge mit rechtmäßigen Demonstrationen verbunden sind (BVerfGE 73, 206, 250). Bei einer zielbewussten Anwendung unmittelbaren Zwangs gegenüber einem bestimmten Rechtsgut eines Dritten ist dem Täter hingegen in der Regel die Berufung auf die Versammlungsfreiheit als Rechtfertigungsgrund verwehrt (BVerfGE 73, 206, 250; 82, 236, 264; BGHSt. 23, 46, 56 f.; BGHSt 44, 34-42). Die instrumentalisierende Beeinträchtigung Unbeteiligter ist ein generell inakzeptables Mittel der Meinungskundgabe (vgl. Münchner Kommentar/Sinn StGB § 240 Rn. 145 m.w.N.).
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So liegt es hier. Der Angeklagten hat – gemeinschaftlich mit den anderweitig Verfolgten, § 25 Abs. 2 StGB – zielgerichtet nötigenden Zwang gegen die Verkehrsteilnehmer angewendet. Es entsprach dem Tatplan, durch die Errichtung einer Sitzblockade Verkehrsteilnehmer am Fortkommen zu hindern und dadurch mediale Aufmerksamkeit für das Demonstrationsanliegen zu erhöhen.
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Darüber hinaus hat der Angeklagte auch gegen materielle versammlungsrechtliche Vorschriften verstoßen, so dass die Versammlung nicht mehr rechtmäßig war. Der zuständige polizeiliche Einsatzleiter, Art. 24 Abs. 2 BayVersG, hat bereits kurz nach seinem Eintreffen eine formell und materiell rechtmäßige beschränkende Verfügung erlassen und u.a. dem Angeklagten einen nahegelegenen Platz auf dem Gehweg als Versammlungsort zugewiesen. Dem ist der Angeklagte nicht nachgekommen.
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Das Handeln des Angeklagten ist auch nicht gem. § 34 StGB gerechtfertigt.
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Sofern man die Klimakrise als Notstandslage i.S.d. § 34 StGB ansieht, ist das Festkleben auf einer Straße zum Protest gegen Lebensmittelverschwendung in jedem Fall kein geeignetes Mittel, dieser zu begegnen. Auch die Unfähigkeit des Angeklagten, sich rechtsstaatlicher Mittel zu bedienen, führt nicht dazu, dass sein Vorgehen ein angemessenes Mittel zur Gefahrenabwehr ist.
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Die Anwendung von Gewalt zu dem angestrebten Zweck ist als verwerflich i.S.d. § 240 Abs. 2 StGB anzusehen.
19
Verwerflich ist eine Nötigung, wenn die Verquickung von Nötigungsmittel und Nötigungszweck mit den Grundsätzen eines geordneten Zusammenlebens unvereinbar, sie also sozial unerträglich ist (vgl. nur BGH NJW 2014, 401).
20
Bei Demonstrationen und Sitzblockaden sind verfolgte Fernziele nach herrschender Meinung allein im Rahmen der Strafzumessung und nicht im Rahmen der Verwerflichkeitsprüfung zu berücksichtigen. (vgl. nur Fischer StGB § 240 Rn. 44 m.w.N.).
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Nach der für das Gericht maßgeblichen und bindenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bestehen bei Blockadeaktionen, bei denen mit allgemeinpolitischer Zielsetzung ein kommunikatives Anliegen verfolgt wird, zum Schutz des Grundrechts der Versammlungsfreiheit vor übermäßiger und unangemessener Sanktion besondere Anforderungen für die Anwendung und Auslegung der Verwerflichkeitsklausel des § 240 Abs. 2 StGB (BVerfGE 104.92, 109 ff; 73, 206, 255 ff). Bei dieser am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierten Zweck-Mittel-Relation sind insbesondere die Art und das Maß der Auswirkungen auf betroffene Dritte und deren Grundrechte zu berücksichtigen. Wichtige Abwägungselemente sind hierbei die Dauer und die Intensität der Aktion, deren vorherige Bekanntgabe, Ausweichmöglichkeiten über andere Zufahrten, die Dringlichkeit des blockierten Transports, aber auch der Sachbezug zwischen den in ihrer Fortbewegungsfreiheit beeinträchtigten Personen und dem Protestgegenstand. Das Gewicht solcher demonstrationsspezifischer Umstände ist mit Blick auf das kommunikative Anliegen der Versammlung zu bestimmen, ohne dass dem Strafgericht eine Bewertung zusteht, ob es dieses Anliegen als nützlich und wertvoll einschätzt oder es missbilligt. Stehen die äußere Gestaltung und die durch sie ausgelösten Behinderungen in einem Zusammenhang mit dem Versammlungsthema oder betrifft das Anliegen auch die von der Demonstration nachteilig Betroffenen, kann die Beeinträchtigung ihrer Freiheitsrechte unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände möglicherweise eher sozial erträglich und dann in größerem Maße hinzunehmen sein, als wenn dies nicht der Fall ist. Demgemäß ist im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen, ob und wie weit die Wahl des Versammlungsortes und die konkrete Ausgestaltung der Versammlung sowie die von ihr betroffenen Personen einen auf die Feststellung der Verwerflichkeit einwirkenden Bezug zum Versammlungsthema haben (vgl. BVerfGE 104, 92).
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Bei Anlegung dieser Kriterien geht die Abwägung zulasten des Angeklagten aus.
23
Zugunsten der Demonstrationsfreiheit des Angeklagten erkennt das Gericht an, dass die Intensität der ausgelösten Behinderungen sich im geringen bis mittleren Bereich befunden hat.
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Andererseits betrug die Dauer der Blockade etwa zweieinhalb Stunden an einem Freitag am frühen Nachmittag, einem Wochentag und einer Uhrzeit mit hohem Verkehrsaufkommen. Die Aktion fand auf einer viel frequentierten Straße in der M. Innenstadt statt; eine im Versammlungsrecht vorgesehene Anmeldung oder auch nur Vorwarnung war nicht erfolgt. Ausweichmöglichkeiten für bestimmte Fahrziele wie beispielsweise die Straße „Tal“ waren kaum und nur für besonders Ortskundige vorhanden. Zusätzlich fehlte es hier auch am Sachbezug zwischen handelnden und betroffenen Personen. Die Demonstranten haben ausweislich ihre Plakate und des auf der Straße ausgelegten Obsts und Gemüses im Kern gegen Lebensmittelverschwendung demonstriert. Die durch sie ausgelösten Behinderungen standen weder hinsichtlich der Wahl des Versammlungsortes noch hinsichtlich der willkürlich von der Aktion betroffenen Kraftfahrzeugführern in einer inhaltlichen Beziehung.
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Die Verquickung von Nötigungsmittel und Nötigungszweck waren damit nach einer Gesamtabwägung nicht mehr mit den Grundsätzen eines geordneten Zusammenlebens vereinbar.
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Der Strafrahmen des § 240 Abs. 1 StGB sieht Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren vor.
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Zugunsten des Angeklagten sprechen seine geständige Einlassung, der Umstand, dass er strafrechtlich noch nicht in Erscheinung getreten ist und die Tatsache, dass die Verkehrsbehinderungen im unteren bis mittleren Bereich lagen.
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Zulasten des Angeklagten war zu berücksichtigen, dass die Blockadeaktion mehr als zwei Stunden andauerte und eine Vielzahl von Verkehrsteilnehmern hiervon betroffen waren.
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Bei Berücksichtigung dieser Umstände erachtet das Gericht eine Geldstrafe von 40 Tagessätzen für tat- und schuldangemessen.
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Die Tagessatzhöhe war entsprechend der wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten auf … EUR festzusetzen.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 464, 465 StPO.