Titel:
keine Antragsbefugnis der Gemeinde mangels Drittbetroffenheit
Normenketten:
VwGO § 42 Abs. 2, § 80, § 80a
BayWG Art. 15
WHG § 6, § 13 Abs. 1
AEG § 17, § 18
Leitsatz:
Die Zulässigkeit vorbeugenden Rechtsschutzes setzt bei dem Rechtsschutzsuchenden ein entsprechend qualifiziertes, nämlich auf die Inanspruchnahme gerade vorbeugenden Rechtsschutzes gerichtetes Rechtsschutzinteresse voraus. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Bohrungen zur Vorbereitung des Neu- bzw. Ausbaus einer Eisenbahnstrecke (sog. Brenner-Nordzulauf), Vorbeugender vorläufiger Rechtschutz einer Gemeinde gegen eine beschränkte Erlaubnis nach Art. 15 BayWG u.a. zur Grundwasserbenutzung durch Niederbringung einer Bohrung, Wasserrechtliches Gebot der Rücksichtnahme, Qualifizierte Betroffenheit der Gemeinde in ihrem Recht als kommunaler Träger der öffentlichen Wasserversorgung, Antragsbefugnis, Brenner-Nordzulauf, wasserrechtliche Erlaubnis, Untergrunderkundung, Grundwassererkundung, Erlaubnis zur Niederbringung einer Bohrung, wasserrechtliches Rücksichtnahmegebot
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 06.03.2023 – 8 CS 22.2607
Fundstelle:
BeckRS 2022, 43627
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Die Antragstellerin ist eine kreisangehörige Gemeinde und wendet sich gegen die der Beigeladenen erteilte beschränkte wasserrechtliche Erlaubnis zur Niederbringung einer Bohrung.
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Die Beigeladene ist Vorhabenträgerin des Neu- bzw. Ausbaus einer Eisenbahnstrecke (sog. Brenner-Nordzulauf). Sie hat den Antrag auf Durchführung eines Planfeststellungsverfahrens noch nicht gestellt, bereitet derzeit aber die Planungen vor und hat in diesem Zusammenhang den Antrag auf wasserrechtliche Erlaubnis hinsichtlich einer Untergrund- und Grundwassererkundung gestellt.
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Mit Bescheid vom 25. Oktober 2022 wurde ihr nach §§ 8, 10 WHG i.V.m. Art. 15 BayWG die widerrufliche beschränkte Erlaubnis zur Niederbringung einer Bohrung (Rotations- oder Rammbohrkernverfahren mit durchgehender Kerngewinnung mit einer Tiefe von 65 m und einem Durchmesser von 146 mm) mit Ausbau zu einer Piezometermessstelle bzw. Teilausbau zu einer Grundwassermessstelle (DN 125) auf dem Grundstück FI.-Nr. 341, Gemarkung und Gemeinde S* … erteilt (vgl. Nr. I des Bescheidstenors). Zur Begründung heißt es, dass die erlaubte Benutzung der Untergrund- und Grundwassererkundung diene und die Bohrkampagne von 2021 für den Planungsraum östlich von Rosenheim und für das südöstliche Gemeindegebiet von S* … ergänze. Bei dem Vorhaben handele es sich um Gewässerbenutzungen im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. Abs. 2 Nr. 2 WHG, die geeignet seien, dauernd oder in einem nicht unerheblichen Ausmaß schädliche Veränderungen der Beschaffenheit des Grundwassers herbeizuführen. Die Bohrung werde voraussichtlich bindige Seesedimente durchörtern und gegebenenfalls tiefere Grundwasserleiter mit unterschiedlichen Druckpotentialen und verschiedenem Chemismus erschließen, für die nach § 8 WHG i.V.m. Art. 15 BayWG eine behördliche Gestattung erforderlich sei. Die Erlaubnis habe erteilt werden können, da Versagungsgründe nach § 12 WHG nicht vorlägen. Des Weiteren liege das Vorhaben im Geltungsbereich einer Landschaftsschutzgebietsverordnung; die wasserrechtliche Genehmigung nach Nr. I ersetze zugleich die erforderlichen naturschutzrechtlichen Entscheidungen über eine Befreiung von den dortigen Verboten und Beschränkungen (vgl. Nr. II des Bescheidstenors).
4
Der Antragsgegner verfügte außerdem verschiedene Inhalts- und Nebenbestimmungen und ordnete die sofortige Vollziehbarkeit der mit dem streitgegenständlichen Bescheid erteilten Gestattungen an (vgl. Nr. III, IV des Bescheidstenors).
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Die Antragstellerin erhob gegen diesen Bescheid mit Schriftsatz vom 23. November 2022 Klage (M 31 K 22.5825). Sie beantragte zugleich,
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die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage gegen den gegenüber der Beigeladenen erlassenen Bescheid vom 25. Oktober 2022 wiederherzustellen.
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Sie trug vor, dass die streitgegenständliche Bohrung der Vorbereitung einer rechtswidrigen Baumaßnahme – der beabsichtigten Trassenführung des Brenner-Nordzulaufs – diene, und deshalb selbst rechtswidrig sei. Die Trassenführung führe zu einer massiven Gefährdung der Trinkwasserversorgung der Gemeindebürger der Antragstellerin und beeinträchtige auch die Wasserversorgung der Stadt Rosenheim. Die Antragstellerin habe in der Vergangenheit bereits über eine Millionen Euro investiert, um neue leistungsfähige Trinkwasservorkommen, insbesondere das Vorkommen Brunnen Ödenwald zu erschließen; ein Wasserschutzgebiet sei in Vorbereitung. Die nunmehr geplante Trasse führe unmittelbar durch dieses Grundwasservorkommen und gefährde es. Eine Alternative, die eine Sicherung der Trinkwasserversorgung der Gemeindebürger in anderer Weise erlauben würde, sei nicht ersichtlich.
8
Die Beigeladene verteidigt den Bescheid und beantragt,
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Der Antragsgegner äußerte sich nicht. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte des Eil- und des Hauptsacheverfahrens verwiesen.
11
Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ist bereits unzulässig, im Übrigen ist er auch unbegründet.
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A. Der Antragstellerin fehlt die Antragsbefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO, der im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes nach §§ 80, 80a VwGO analog anzuwenden ist (vgl. BayVGH, B.v. 15.7.2010 – 8 CS 10.1527 – juris Rn. 5).
13
I. Die Antragstellerin benennt zwar keine ausdrückliche Rechtsposition, macht aber deutlich, dass sie sich durch das Bauvorhaben des Brenner-Nordzulaufs in der künftigen Erfüllung ihrer kommunalen Aufgabe der Trinkwasserversorgung der örtlichen Bevölkerung beeinträchtigt sieht und sie deshalb bereits das hier streitgegenständliche Bohrvorhaben in diesem Recht verletze.
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Mit diesem Vortrag zeigt die Antragstellerin keine Umstände auf, wonach die Verletzung eigener Rechte durch den streitgegenständlichen Bescheid zumindest möglich erscheint. Die durch den Vortrag hergestellte Rechtmäßigkeitsverknüpfung zwischen dem vorliegenden streitgegenständlich-wasserrechtlichen Vorhaben und dem Neu- bzw. Ausbau des Brenner-Nordzulaufs besteht nicht und kann deshalb auch keine Antragsbefugnis gegen das Bohrvorhaben begründen. Die Existenz bzw. Rechtmäßigkeit eines Planfeststellungsbeschlusses nach § 18 Abs. 1 AEG ist, ebenso wie auch die anderer, gegebenenfalls erforderlicher fachgesetzlicher Erlaubnisse (vgl. z. B. § 17, § 18 Abs. 2 AEG), keine Voraussetzung der Rechtmäßigkeit für die streitgegenständliche wasserrechtliche Erlaubnis. Die hier in der Sache vorgetragenen Einwände können nur Gegenstand eines gegen den auf das Vorhaben bezogenen Planfeststellungsbeschluss gerichteten Rechtsschutzverfahrens sein, weil andernfalls die Voraussetzungen für eine vorbeugende Unterlassungsklage bzw. einen vorbeugenden einstweiligen Rechtsschutz gegen ein sich noch im Stadium der Planung befindliches (planfeststellungsbedürftiges) Vorhaben unterlaufen würde (vgl. BVerwG, B.v. 21.11.2022 – 7 VR 3/22 – Rn. 10; BVerwG, B.v. 21.3.2022 – 7 VR 1/22 – juris Rn. 10).
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Vorbeugender Rechtsschutzes ist nur zulässig, wenn die Antragstellerin ein entsprechend qualifiziertes, nämlich auf die Inanspruchnahme gerade vorbeugenden Rechtsschutzes gerichtetes Rechtsschutzinteresse aufweisen könnte (vgl. BVerwG, GB v. 9.7.2020 – 7 A 1/20 – juris Rn. 10). Dies ist nicht der Fall, weil nicht ersichtlich ist, dass die Antragstellerin zur Wahrung ihrer Rechte auf die Inanspruchnahme gerade vorbeugenden Rechtsschutzes angewiesen wäre und ihr deshalb die von der Verwaltungsgerichtsordnung als grundsätzlich angemessen und ausreichend angesehenen nachträglichen – auch vorläufigen – Rechtsschutzformen nicht zumutbar wären. Vollendete Tatsachen, die der Gewährung effektiven Rechtsschutzes entgegenstehen, werden mit den hier in Rede stehenden Bohrarbeiten der Vorhabenträgerin nicht geschaffen.
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II. Eine anderweitige eigenständige Rechtsverletzung aus dem Bohrvorhaben wird weder behauptet noch ist sie anderweitig ersichtlich, insbesondere fehlt es an einer auch nur möglichen Verletzung des Rücksichtnahmegebots. Das in § 6 Abs. 1 Nr. 3, § 13 Abs. 1 WHG verankerte wasserrechtliche Rücksichtnahmegebot gebietet, im Rahmen der Ermessensbetätigung bei Erteilung einer beschränkten Erlaubnis nach Art. 15 BayWG Belange Privater einzubeziehen, deren rechtlich geschützte Interessen von der beantragten Gewässerbenutzung in individualisierter und qualifizierter Weise betroffen werden können. Dieser Personenkreis hat einen Anspruch auf ermessensgerechte – d.h. insbesondere rücksichtnehmende – Beachtung und Würdigung seiner Belange (vgl. nur BayVGH, B.v. 11.2.2020 – 8 ZB 19.1481 – juris Rn. 12 m.w.N.).
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Zwar kann sich die Antragstellerin in individueller Hinsicht als kommunaler Träger der öffentlichen Wasserversorgung, dessen Aufgabe die örtliche Wasserversorgung ist (Art. 83 Abs. 1 BV, Art. 57 Abs. 2 Satz 1 GO i.V.m. § 50 Abs. 1 WHG), auf das in § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, § 13 Abs. 1 WHG verankerte wasserrechtliche Rücksichtnahmegebot stützen.
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Jedoch fehlt es von vornherein an einer auch nur möglichen qualifizierter Betroffenheit der Antragstellerin. Als Rechtsposition kommt insoweit nur das Selbstverwaltungsrecht aus Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG und Art. 11 Abs. 2 BV in Betracht, dessen Verletzung in Fällen wie diesen voraussetzt, dass die Wasserversorgung als gemeindliche Einrichtung erheblich gefährdet wäre, indem entweder in die bauliche Anlage der Einrichtung selbst eingegriffen würde oder diese in ihrer Funktionsfähigkeit entweder zerstört oder erheblich beeinträchtigt würde; dies kann auch durch Einwirken auf das Grundwasser in unmittelbarer Nähe der Brunnen geschehen (vgl. BayVGH U.v. 20.5.2021 – 8 B 19.1587 – juris Rn. 37). Unabhängig hiervon kann sie sich aber nicht zum Sachwalter von Belangen der Allgemeinheit machen.
19
Diese Voraussetzungen nicht sind erfüllt. Es ist weder dargetan noch ersichtlich, auf welche Weise die von der Erlaubnis umfassten Maßnahmen auf einem Grundstück, das nicht im Eigentum der Antragstellerin steht, diese verletzen kann. Die vorgelegten gutachterlichen Äußerungen haben ersichtlich nur eine im Gemeindegebiet geplante Eisenbahntrasse, nicht aber die vorliegende Bohrung und Gewässerbenutzung zur Untergrund- und Grundwassererkundung zum Gegenstand.
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B. Ungeachtet dessen ist der Antrag auch unbegründet.
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I. Der Antragsgegner hat die Anordnung der sofortigen Vollziehung der mit dem streitbefangenen Bescheid erteilten beschränkten wasserrechtlichen Erlaubnis, der dort ebenfalls gewährten Befreiungen von naturschutzrechtlichen Verboten und der zudem verfügten Anordnung von Inhalts- und Nebenbestimmungen zugunsten der Beigeladenen in Nr. IV des Tenors des streitbefangenen Bescheids gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO angeordnet und unter Beachtung von § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung schriftlich unter Nr. 3.2.3 der Bescheidsbegründung dargelegt.
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II. Im Rahmen der nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO gebotenen summarischen Prüfung erweist sich die angegriffene beschränkte wasserrechtliche Erlaubnis als rechtmäßig, wobei auch ein besonderes Vollzugsinteresse i.S.d. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO besteht.
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Wie vorstehend bereits ausgeführt, begegnen der streitbefangenen beschränkten wasserrechtlichen Erlaubnis mit Blick auf den Drittschutz der Antragstellerin keine Bedenken. Es ist weder dargetan noch ersichtlich, auf welche Weise die zugelassene Gewässerbenutzung eine Verletzung drittschützender Rechte der Antragstellerin im Vollzug des konkreten wasserrechtlichen Erlaubnisverfahrens auslösen könnte. Weder die Existenz einer eisenbahnrechtlichen Planfeststellung noch das Vorliegen etwaiger sonstiger öffentlicher Erlaubnisse für die Realisierung des Brenner-Nordzulaufes noch das Durchlaufen vorgängiger Verfahrensschritte hierzu (vgl. § 17 AEG) ist Rechtmäßigkeitsvoraussetzung der hier streitigen wasserrechtlichen Erlaubnis.
24
Schließlich besteht auch ein besonderes Vollzugsinteresse i.S.d. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO. Zutreffend geht der Antragsgegner davon aus, dass sich dieses maßgeblich daraus ergibt, dass die streitgegenständliche wasserrechtliche Erlaubnis den von der Beigeladenen vorgesehenen Baugrunduntersuchungen zur Vorbereitung der Planung für den Brenner-Nordzulauf dient und dies im besonderen öffentlichen Interesse liegt, da es sich bei der Erkundung möglicher Trassen um ein Vorhaben von überragender Bedeutung sowohl im regionalen, nationalen als auch internationalen Zusammenhang handelt. Damit rekurriert der Antragsgegner zutreffend maßgeblich auf die Indizwirkung für ein besonderes Vollzugsinteresse, die sich normativ für dieses eisenbahnrechtliche Vorhaben aus § 18e Abs. 2 Satz 1 AEG ergibt und auch hier wirkt.
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C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Es entspricht billigem Ermessen im Sinne von § 162 Abs. 3 VwGO, der Antragstellerin die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen, da diese einen Sachantrag gestellt und sich somit auch einem Kostenrisiko ausgesetzt hat (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO). Die Streitwertfestsetzung orientiert sich an § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.