Titel:
Ausbildungsförderung für eine Unionsbürgerin bei einem ehemaligen Stiefkindverhältnis
Normenketten:
BAföG § 8 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 3, Abs. 3 Nr. 1, Nr. 2
FreizügG/EU § 3 Abs. 2, § 4a Abs. 4
VO (EWG) 1612/68 Art. 10
VwGO § 86, § 88, § 113 Abs. 1, Abs. 5, § 124 Abs. 2 Nr. 3, § 124a Abs. 1 S. 1
Leitsätze:
1. Gegen die Berücksichtigung des (ehemaligen) Stiefkindverhältnisses iRd § 8 Abs. 1 Nr. 3 BAföG spricht, dass bei der Berechnung eines BAföG-Anspruchs das Einkommen des Stiefvaters nicht berücksichtigt wird (§ 11 Abs. 2 BAföG). (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Nach Art. 2 Nr. 2 lit. c Freizügigkeits-RL bezeichnet der Ausdruck "Familienangehöriger" die Verwandten in gerader absteigender Linie des Unionsbürgers und des Ehegattens (…). Dieser Anknüpfungspunkt fällt jedoch durch eine rechtskräftige Scheidung weg, da es sich danach nicht mehr um einen Ehegatten handelt. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ausbildungsförderungsberechtigung als EU-Ausländer, Ehemaliges Stiefkindverhältnis, Aufenthaltsrecht, Auslegung, Beiordnung, Daueraufenthaltsrecht, Einkommen, Hinterlegung, Ausbildungsförderung, Gleichbehandlungsgrundsatz, Stiefkindverhältnis, Vertrauensschutz, Unterhaltspflicht, Scheidung, Ehegatten, RL 2004/38/EG
Fundstelle:
BeckRS 2022, 43496
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klagepartei darf die Vollstreckung durch die Beklagtenseite durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 v.H. des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagtenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
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Die Klägerin begehrt die Gewährung von Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) seit September 2018.
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Die Klägerin besitzt die kroatische sowie die slowenische Staatsangehörigkeit. Sie kam im Juli 2014 mit Ihrer Mutter, welche die kroatische Staatsangehörigkeit besitzt, und deren Ehemann, einem slowenisch-kroatischen Staatsangehörigen, nach Deutschland und besuchte in Deutschland ein Gymnasium, welches sie im Juni 2018 mit der allgemeinen Hochschulreife abschloss. Unter dem 15.07.2018 stellte die Klägerin einen Antrag auf Ausbildungsförderung für ein Studium in den Niederlanden an der … mit der Fachrichtung … Management.
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Mit Bescheid der Bezirksregierung … vom 10.12.2018 lehnte der Beklagte die Bewilligung dieser Ausbildungsförderung ab. Zur Begründung wurde im Wesentlichen angeführt, dass die Klägerin die Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 Nr. 3 BAföG nicht erfülle. Sie sei im Juli 2014 mit ihrer Mutter nach Deutschland eingereist und habe bis zum Sommer 2018 ein Gymnasium in Deutschland besucht. Im Jahre 2016 habe sich die Mutter der Klägerin von ihrem Ehemann getrennt und sei wieder zurück nach Slowenien gezogen. Die Klägerin selbst sei bei dem Ex-Ehemann ihrer Mutter geblieben. Zum Zeitpunkt des Zuzugs in die Bundesrepublik Deutschland habe sie als Familienangehörige nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 Freizügigkeitsgesetz/EU (im Folgenden: FreizügG/EU) nur ein von ihrer Mutter abgeleitetes Freizügigkeitsrecht gem. § 3 Abs. 1 FreizügG/EU gehabt. Im Jahr 2016 habe die Mutter der Klägerin Deutschland wieder verlassen und die Klägerin habe ihre bereits begonnene Ausbildung unter Anwendung von § 3 Abs. 4 (a.F. Abs. 4 mit Wirkung zum 24.11.2020 wortlautidentisch in Abs. 3 überführt) FreizügG/EU abschließen können. Da sich die Klägerin im Zeitpunkt der Aufnahme ihres Studiums nicht bereits 5 Jahre ununterbrochen rechtmäßig in Deutschland aufgehalten habe, habe sie kein (eigenes) Daueraufenthaltsrecht erworben und gehöre damit nicht zum Personenkreis des § 8 Abs. 1 Nr. 2 BAföG. Da auch die übrigen Voraussetzungen des § 8 BAföG nicht erfüllt seien, bestehe kein Förderungsanspruch.
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Mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 10.01.2019, eingegangen bei Gericht am selben Tag, ließ die Klägerin Klage zum Verwaltungsgericht … erheben, mit dem Antrag,
„den Bescheid der Beklagten vom 10.12.2018, Az.: …, aufzuheben und der Klägerin ab September 2018 Leistungen nach dem BAföG in gesetzlicher Höhe zu gewähren.“
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Zur Begründung der Klage wird ausgeführt, die Klägerin sei Unionsbürgerin und sei im …2014 mit ihrer Mutter zu deren Ehemann nach Deutschland gezogen, wo sie auch heute noch ihren Wohnsitz habe. Entgegen den Ausführungen im Bescheid leite die Klägerin ihr Freizügigkeitsrecht nicht nur von der Mutter, sondern auch von ihrem Stiefvater ab. Auch wenn § 8 Abs. 1 Nr. 3 BAföG und § 3 Abs. 2 FreizügG/EU explizit nur Ehegatten, Lebenspartner und Kinder bzw. Verwandte in gerader Linie als Familienangehörige bezeichne, so sei auch das Stiefkind als Familienangehöriger im Sinne dieser Vorschrift anzusehen. Es würde dem Sinn und Zweck der europäischen Freizügigkeitsrichtlinie wie auch der deutschen Gesetzgebung zuwiderlaufen, der Klägerin die Ausbildungsförderung zu verweigern, nur weil zwar nicht mehr ihre Mutter, wohl aber ihr Stiefvater, mit dem der Zuzug in die Bundesrepublik Deutschland ebenfalls erfolgt sei, weiterhin in Deutschland leben würde. Insbesondere sei zu berücksichtigen, dass die Schwägerschaft zwischen der Klägerin und ihrem Stiefvater gem. § 1590 Abs. 2 BGB als Fall der qualifizierten Schwägerschaft auch über die Scheidung hinaus fortbestehe. Die Scheidung der Mutter der Klägerin und ihrem damaligen Ehemann sei im … 2018 erfolgt. Darüber hinaus würde die Klägerin im Falle der Ablehnung einer Ausbildungsförderung wesentlich schlechter stehen als Nicht-EU-Bürger, die aufgrund einer entsprechenden Aufenthaltserlaubnis, welche der Klägerin als Unionsbürgerin von vornherein versagt bliebe, entsprechende Leistungen erhalten würden. Zudem sei der Klägerin seitens der Behörde während des Antragsverfahrens eine Bewilligung der Ausbildungsförderung klar in Aussicht gestellt worden, woraufhin diese ihr Studium auch begonnen habe. Die Klägerin habe darauf vertraut und auch darauf vertrauen dürfen, dass sie Leistungen erhalten würde.
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Auf ihren Antrag hin, wurde der Klägerin mit Beschluss des Verwaltungsgerichts … vom 08.04.2020 Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihrer Bevollmächtigten gewährt.
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Mit Schriftsatz vom 26.03.2019 beantragt der Beklagte,
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Zur Begründung wird ausgeführt, dass die Voraussetzungen des § 8 BAföG nicht erfüllt seien. Die Klägerin habe ein Freizügigkeitsrecht nur bis zum Abschluss ihrer Ausbildung im Rahmen des § 3 Abs. 4 a.F. FreizügG/EU gehabt. Dadurch, dass es sich bei dem Ex-Ehemann ihrer Mutter nicht um den leiblichen Vater der Klägerin handele und auch eine Adoption nicht erfolgt sei, ergebe sich nach dem Wortlaut des Gesetzes kein Aufenthaltsrecht; dieses könne tatsächlich nur von den Eltern, Ehegatten oder Lebenspartnern abgeleitet werden. Allein das Zusammenleben mit einem Menschen, der kein Elternteil sei, der Klägerin gesetzlich nicht zum Unterhalt verpflichtet sei und nur freiwillig Unterhalt leiste, reiche nicht aus, um einen entsprechenden Rechtsanspruch im Sinne der o.g. Vorschriften und einen Familienstatus im Sinne des Gesetzes zu begründen. Insbesondere dürfe keine Gleichstellung mit einem Adoptivkind vorgenommen werden. Auch ein Anspruch nach § 8 Abs. 3 BAföG sei nicht gegeben. Die erforderliche Mindestaufenthaltszeit des § 8 Abs. 3 Nr. 1 BAföG werde von der Klägerin und die des § 8 Abs. 3 Nr. 2 BAföG von beiden Elternteilen der Klägerin nicht erfüllt. Die von der Prozessbevollmächtigten der Klägerin angeführte, „in Aussichtstellung einer Bewilligung“ könne nicht nachvollzogen werden, da es sich bei den in den Akten befindlichen Eingabeprotokoll (Bl. 69 – 70 d.A.) nur um einen internen Vorgang handele, der der Klägerin nicht zur Kenntnis gelangt sei und demnach auch nicht zu Vertrauensschutz habe führen können. Gerade durch das Vier-Augen-Prinzip werde gewährleistet, dass eine abschließende Bearbeitung eines Förderungsantrages nach Maßgabe des Gesetzes sichergestellt sei. Zudem fehle es bereits an jeglichem Nachweis über den Aufenthaltsstatus des Ex-Ehemanns der Mutter der Klägerin.
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Mit gerichtlichem Hinweis vom 02.05.2019 wurde seitens des Verwaltungsgerichts … auf die Entscheidung des VG Darmstadt vom 25.05.2007 – 5 E 1049/06 (3) –, juris, hingewiesen: „Dort ging es u.a. um die Auslegung des Begriffs „Familienangehörige“ mit Bezug zum Artikel 10 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68. Das Gericht stützte seine Entscheidung, dass der Familienbegriff nicht auf Blutsverwandte beschränkt sei, sondern auch ein Stiefkind unter die Regelung falle, auf eine Entscheidung des EuGH (Urteil vom 30. September 2004 – Rs. C-275/02 (Ayaz); juris).“
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Zu diesem Hinweis wurde durch den Beklagten mit Schriftsatz vom 27.06.2019 ausgeführt, in den genannten Entscheidungen werde auf Artikel 10 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 in Verbindung mit Artikel 7 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80, wonach günstige Voraussetzungen für die Familienzusammenführung im Aufnahmemitgliedstaat geschaffen werden sollen, Bezug genommen. Die Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 sei durch die Verordnung (EU) Nr. 492/2011 aufgehoben und ersetzt worden. Die neue Verordnung beinhalte nach wie vor Regelungen der alten Verordnung, der hier wesentliche Artikel 10, auf welchen sich das VG Darmstadt berufen habe, finde sich in der nunmehr gültigen Verordnung jedoch nicht wieder. In der aktuellen Regelung werde nach dem Wortlaut auf die Kinder eines Unionsbürgers abgestellt und eben nicht mehr auf seine Verwandten oder die Verwandten des Ehegatten. Daher fände nach Auffassung des Beklagten die Rechtsprechung des VG Darmstadt keine Anwendung mehr.
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Mit Schriftsatz vom 16.08.2019 wurde klägerseits hierauf erwidert, dass sich auch aus Art. 10 der VO (EWG) Nr. 492/2011 nichts Anderes ergebe. Entgegen der Ansicht des Beklagten, sei die Vorschrift weit gefasst und schließe daher Stiefkinder mit ein; insbesondere erfolge keine Einschränkung auf leibliche Kinder oder auf solche für die eine Unterhaltspflicht bestehe. Die neue Fassung des Art. 10 der VO (EWG) Nr. 492/2011 stütze somit die Auffassung, dass der Begriff des Familienangehörigen nicht auf Blutsverwandte beschränkt sei, sondern auch auf Stiefkinder zutreffe.
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Mit Beschluss vom 12.11.2021 erklärte sich das zunächst angerufene Verwaltungsgericht … für örtlich unzuständig und verwies das Verfahren an das Verwaltungsgericht Bayreuth. Hier ging das Verfahren am 03.12.2021 ein.
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Mit Schriftsatz vom 20.07.2022 erklärte der Beklagte, auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu verzichten. Klägerseits wurde mit Schriftsatz vom 01.08.2022 ebenfalls das Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Mit Zustimmung der Beteiligten vom 20.07.2022 (Beklagter) bzw. 01.08.2022 (Klägerin) konnte das Gericht nach § 101 Abs. 2 VwGO über die Verwaltungsstreitsache ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
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Der unmittelbar auf Gewährung von BAföG gestellte Klageantrag ist dahingehend zu verstehen, dass die Verpflichtung des Beklagten zur Gewährung von Ausbildungsförderung nach dem BAföG an die Klägerin begehrt wird, §§ 86, 88 VwGO.
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1. Die so verstandene Klage ist zulässig aber unbegründet und hat daher keinen Erfolg.
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Der streitgegenständliche Bescheid erweist sich als rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Bewilligung von Ausbildungsförderung, (§ 113 Abs. 1 und Abs. 5 VwGO). Weder erfüllt sie die persönlichen Voraussetzungen zur Begründung eines Anspruchs auf Ausbildungsförderung (1.1), noch ist ihr aufgrund des Gleichbehandlungsgrundsatzes (1.2) oder eines gebildeten schutzwürdigen Vertrauens (1.3) Ausbildungsförderung zu gewähren.
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1.1 Die Klägerin fällt nicht unter den ausbildungsförderungsberechtigten Personenkreis, da sie die persönliche Anspruchsvoraussetzung des § 8 BAföG nicht erfüllt.
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Die persönlichen Voraussetzungen für einen Anspruch auf Ausbildungsförderung richten sich nach den §§ 8 bis 10 BAföG. § 8 BAföG schränkt den Anspruch auf Ausbildungsförderung für ausländische Staatsangehörige ein, da diese nur förderungsberechtigt sind, wenn sie die normierten Voraussetzungen erfüllen. Da die Klägerin unter keine der in § 8 BAföG enumerativ aufgezählten Fallgruppen fällt, scheidet ein Anspruch auf Ausbildungsförderung für sie aus. Die Klägerin kann sich weder auf § 8 Abs. 1 Nr. 2 (1.1.1), noch Nr. 3 (1.1.2) oder Abs. 3 Nr. 2 (1.1.3) BAföG berufen.
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Nach § 8 Abs. 1 Nr. 2 BAföG wird Ausbildungsförderung an Unionsbürgern, die ein Recht auf Daueraufenthalt im Sinne des Freizügigkeitsgesetzes/EU besitzen sowie anderen Ausländern, die eine Niederlassungserlaubnis oder eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU nach dem Aufenthaltsgesetz besitzen, geleistet. Eine Förderungsberechtigung nach dieser Norm scheidet aus, da die Klägerin kein Daueraufenthaltsrecht im Sinne des Freizügigkeitsgesetzes/EU besitzt. Im Zeitpunkt der Antragstellung im Juli 2018 befand sich die Klägerin, welche mit ihrer Mutter und dem Ehemann ihrer Mutter im Jahr 2014 eingereist ist, noch nicht 5 Jahre im Bundesgebiet. Aus diesem Grund scheidet auch ein mögliches Daueraufenthaltsrecht nach § 4a Abs. 4 FreizügG/EU aus, da die gesamte Familie der Klägerin gemeinsam eingereist ist und damit auch für den Stiefvater der Klägerin in diesem Zeitpunkt noch kein Daueraufenthaltsrecht entstanden sein kann. Zudem würde der Nachweis eines Daueraufenthaltsrechts durch Vorlage einer Bescheinigung nach § 5 Abs. 5 FreizügG/EU erfolgen. Lediglich das Vorliegen bzw. Nichtvorliegen einer entsprechenden Bescheinigung wäre vom Beklagten zu würdigen. Ob die Klägerin einen Anspruch auf Erteilung einer entsprechenden Bescheinigung hat, ist (nur) von der zuständigen Ausländerbehörde zu prüfen (vgl. VG des Saarlandes U.v. 8.8.2019 – 3 K 149/18 – juris Rn. 23).
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Auch § 8 Abs. 1 Nr. 3 BAföG scheidet als Anknüpfungspunkt für die Gewährung von Ausbildungsförderung aus, da die Klägerin nicht unter den Begriff des Kindes eines Unionsbürgers zu fassen ist. Nach § 8 Abs. 1 Nr. 3 BAföG wird Ausbildungsförderung geleistet an Unionsbürger, die nach § 2 Absatz 2 des Freizügigkeitsgesetzes/EU als Arbeitnehmer oder Selbständige unionsrechtlich freizügigkeitsberechtigt sind, sowie deren Ehegatten, Lebenspartnern und Kindern, die unter den Voraussetzungen des § 3 Absatz 1 und 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU unionsrechtlich freizügigkeitsberechtigt sind oder denen diese Rechte als Kinder nur deshalb nicht zustehen, weil sie 21 Jahre oder älter sind und von ihren Eltern oder deren Ehegatten oder Lebenspartnern keinen Unterhalt erhalten. Da die Klägerin nicht als Selbständige oder Arbeitnehmerin freizügigkeitsberechtigt ist, scheidet die erste Alternative bereits von vornherein aus. Damit könnte die Klägerin allenfalls als Kind eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers anspruchsberechtigt nach dem BAföG sein. Da die Mutter der Klägerin bereits im Jahr 2016 und damit deutlich vor der Stellung des Antrags auf Ausbildungsförderung das Bundesgebiet verlassen hat und es sich bei der erstmaligen Aufnahme eines Studiums nicht um den Abschluss einer (bereits begonnenen) Ausbildung im Sinne des § 3 Abs. 3 a.F. bzw. Abs. 4 n.F. FreizügG/EU handelt, käme nur der ehemalige Stiefvater der Klägerin als Anknüpfungspunkt für das Erfüllen der persönlichen Anspruchsvoraussetzungen durch die Klägerin in Betracht. Dies ist jedoch abzulehnen.
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Gegen die Berücksichtigung des (ehemaligen) Stiefkindverhältnisses im Rahmen des § 8 Abs. 1 Nr. 3 BAföG spricht, dass bei der Berechnung eines BAföG-Anspruchs das Einkommen des Stiefvaters nicht berücksichtigt wird, § 11 Abs. 2 BAföG (vgl. VG Würzburg, U.v. 7.10.2014 – W 1 K 13.192 – juris). Die Klägerin würde damit ihre Ausbildungsförderungsberechtigung dem Grunde nach von einer Person ableiten, welche nicht zur Berechnung des Umfangs des BAföG-Anspruchs herangezogen wird. So könnte es in Fällen wie dem Vorliegenden dazu kommen, dass allein das (ehemalige) Stiefkindverhältnis überhaupt einen Anspruch auf BAföG dem Grunde nach begründet, dieser aber in seiner Höhe nur besteht, da eben gerade nicht das Einkommen des Stiefvaters, sondern das des leiblichen Vaters berücksichtigt wird.
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Auch unter Berücksichtigung des EU-Rechts ergibt sich – zumindest für den vorliegenden Fall – kein anderes Ergebnis. Insbesondere lässt sich dem Urteil des EuGH vom 15.12.2016 – C-401/15 bis C-403/15 – nichts Gegenteiliges entnehmen. Darin ist zwar entschieden, dass unter Art. 7 Abs. 2 und Art. 10 der VO (EU) 492/2011 (in Fortführung der EuGH-Entscheidung zu Art. 10 VO (EWG) 1612/68) auch Kinder des Ehepartners oder des eingetragenen Ehepartners dieses im EU-Ausland lebenden erwerbstätigen Grenzgängers fallen, wenn dieser zum Unterhalt beiträgt.
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Der entscheidende Unterschied zu vorliegendem Fall liegt allerdings darin, dass in den vom EuGH entschiedenen Fällen die Ehe mit dem jeweiligen leiblichen Elternteil noch Bestand hatte. Im vorliegenden Fall war die Ehe des Stiefvaters allerdings bereits vor der Antragstellung und vor Beginn des beantragten Förderzeitraums offiziell geschieden worden und die Familie bestand sogar bereits seit dem Wegzug der leiblichen Mutter der Klägerin im Jahr 2016 nicht mehr. Aus diesem Grund fehlt die notwendige familiäre Verbindung zwischen dem leiblichen Elternteil und dem erwerbstätigen EU-Ausländer, von dem die Auszubildende ihren Förderanspruch ableiten möchte.
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Es spricht nichts dafür, die europarechtlichen Vorschriften und die hierzu ergangene EuGH-Rechtsprechung derart extensiv anzuwenden, dass sich eine BAföG-Berechtigung bereits daraus ergeben soll, dass die Auszubildende weiterhin bei ihrem ehemaligen Stiefelternteil lebt und von diesem freiwillig Unterhalt gewährt bekommt – was vorliegend angeführt, jedoch nicht durch die Vorlage von Unterlagen belegt wurde. Gegen die Annahme über die bisherige EuGH-Rechtsprechung hinaus auch das ehemalige Stiefkind unter den Kinderbegriff zu fassen spricht zudem, dass im europarechtlichen Kontext zur Bestimmung dieses Begriffes – soweit ersichtlich – immer maßgeblich auf die Herstellung der Familieneinheit abgestellt wird und daher bei einem Zusammenleben als Familie nicht zwischen leiblichen und Stiefkindern unterschieden werden soll. Nach Art. 2 Nr. 2c) RL 2004/38/EG bezeichnet der Ausdruck „Familienangehöriger“ die Verwandten in gerader absteigender Linie des Unionsbürgers und des Ehegattens (…). Es wird hierbei immer auf die Verwandten des Ehegatten abgestellt. Dieser Anknüpfungspunkt fällt jedoch durch eine rechtskräftige Scheidung weg, da es sich danach nicht mehr um einen Ehegatten handelt. Hierüber kann auch § 1590 BGB, der ein Fortbestehen der Schwägerschaft – und damit einer sehr schwachen Rechtsposition – zwischen den Verwandten des einen ehemaligen Ehegattens mit den Verwandten des anderen ehemaligen Ehegattens auch über die Auflösung der Ehe hinaus anordnet, nicht hinweghelfen. Zum einen kann diese rein nationale zivilrechtliche Regelung schon nicht zur (ausschließlichen) Bestimmung eines im EU-Recht verwendeten Begriffs herangezogen werden. Zum anderen vermittelt diese Norm lediglich ein Fortbestehen der Schwägerschaft. Sie ändert jedoch nichts daran, dass es sich nach der Auflösung der Ehe nicht mehr um Verwandte des Ehegattens handelt.
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Selbst der Ehegatte genießt ein abgeleitetes Freizügigkeitsrecht lediglich bis zur rechtskräftigen Scheidung und darüber hinaus nur unter den zusätzlichen Voraussetzungen des § 3 Abs. 5 n.F. FreizügG/EU. Denn die Freizügigkeit der Familienangehörigen ist auf die Herstellung der Familieneinheit ausgerichtet und in Bestand und Dauer mit dem Aufenthaltsrecht des freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers verknüpft. Daher knüpft das Aufenthaltsrecht des Ehegatten an die bestehende Ehe an (siehe hierzu Dienelt in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 3 FreizügG/EU, 3.1.0). Damit würde im Ergebnis das Recht, welches ein ehemaliges Stiefkind von seinem ehemaligen Stiefelternteil ableiten könnte, weiter gefasst als das Recht seines leiblichen Elternteils als geschiedener Ehegatte. Dieses widersprüchliche Ergebnis gilt es zu vermeiden.
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Auch aus § 8 Abs. 3 Nr. 2 BAföG, wonach zumindest ein Elternteil während der letzten sechs Jahre vor Beginn des förderungsfähigen Teils des Ausbildungsabschnitts sich insgesamt drei Jahre im Inland aufgehalten haben muss und rechtmäßig erwerbstätig gewesen sein muss, ergibt sich keine andere Beurteilung. Auch hier ist unter Elternteil im Sinne der Norm jedenfalls nicht der ehemalige Ehemann der Mutter der Klägerin zu fassen. Insoweit kann sich keine andere Beurteilung wie bei § 8 Abs. 1 Nr. 3 BAföG ergeben (s. 1.1.2).
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1.2 Die pauschal und ohne nähere Ausführungen angeführte Ungleichbehandlung zu Nicht-EU-Ausländern, welche aufgrund von Aufenthaltstiteln, die der Klägerin als Unionsbürgerin von vornherein versagt blieben, entsprechende Leistungen enthalten würden, kann nicht nachvollzogen werden. Sämtliche (ausbildungsförderungsberechtigende) Aufenthaltstitel sind an weitere Voraussetzungen als die bloße Eigenschaft als Nicht-EU-Ausländer geknüpft und es ist nicht ohne Weiteres ersichtlich, gegenüber welcher Gruppe von Nicht-EU-Ausländern die Klägerin schlechter gestellt sein sollte.
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1.3 Auch der von der von der Klägerin angeführte Vertrauensschutz verhilft ihrer Klage nicht zum Erfolg. Für einen solchen fehlt es bereits an einer Grundlage, da kein nach außen manifestierter Rechtsbindungswille der Behörde im Sinne einer Zusicherung oder ähnlichem vorliegt. Mangels Schriftform kann in den mit Behördenmitarbeitern geführten Telefonaten keine Zusicherung gesehen werden, § 38 Abs. 1 Satz 1 VwVfG NRW. Auch der von der Klägerbevollmächtigten angeführte Aktenvermerk auf Seite 31 f. der Behördenakte wurde nicht nach außen gegenüber der Klägerin bekanntgegeben und stellt schon seiner Form nach lediglich eine vorläufige Rechtseinschätzung für den internen Gebrauch und keine Zusage, einen bestimmten Verwaltungsakt später zu erlassen, dar.
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2. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Als unterlegene Beteiligte hat die Klägerin die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden gemäß § 188 Satz 2 i.V.m. Satz 1 VwGO in Angelegenheiten der Ausbildungsförderung nicht erhoben.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. der Zivilprozessordnung – ZPO -.
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3. Die Berufung war aufgrund der grundsätzlichen Bedeutung zuzulassen, §§ 124a Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Die – soweit ersichtlich in der obergerichtlichen Rechtsprechung noch nicht geklärte – Frage, ob auch das ehemalige Stiefkindverhältnis eine Förderberechtigung nach dem BAföG begründet, kann auch über den Einzelfall hinaus entscheidungserheblich werden.