Titel:
Entschädigung einer Selbstständigen nach dem IfSG wegen Corona-Quarantäne
Normenketten:
IfSG § 56, § 58
BGB § 138 Abs. 1, § 288 Abs. 1, § 291
Leitsätze:
1. Dem Anspruch nach § 58 S. 1 IfSG steht eine abgeschlossene „gebundene gewerbliche Sachversicherung“ mit dem Baustein einer Betriebsschließungsversicherung nicht entgegen, wenn diese eine Einstandspflicht der Versicherung ausschließt, soweit ein Anspruch auf staatliche Entschädigung ua nach dem Infektionsschutzgesetz. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Verdienstausfallentschädigung nach § 56 Abs. 3 IfSG bemisst sich bei Selbstständigen nach dem zuletzt nachgewiesenen Einkommen eines Kalenderjahres, nicht nach Teilzeiträumen unterschiedlicher Jahre oder des Quarantäne-Jahres. (Rn. 43 – 47) (redaktioneller Leitsatz)
3. Auch dann, wenn der Selbständige im maßgeblichen Steuerjahr wegen Abschreibungen o.ä. eine „verzerrtes“ Arbeitseinkommen zu verzeichnen haben sollte, kommt mangels einer Rechtsgrundlage eine Schätzung oder das Abstellen auf einen anderen Zeitraum der Einkommenserzielung nicht in Betracht. (Rn. 52) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Verdienstausfallentschädigung bei Selbstständigen, Bemessungszeitraum für die Berechnung, keine Schätzung des Arbeitseinkommens, Betriebsschließungsversicherung, Erstattung der Aufwendungen für soziale Sicherung, Prozesszinsen, Verdienstausfallentschädigung, Corona, selbstständig, Bemessungszeitraum, Schätzung
Rechtsmittelinstanzen:
VGH München, Beschluss vom 16.10.2023 – 20 BV 23.90
VGH München, Urteil vom 07.12.2023 – 20 BV 23.90
Fundstelle:
BeckRS 2022, 43489
Tenor
1. Der Beklagte wird – unter entsprechender Aufhebung des Bescheids … vom 02.06.2022 – verpflichtet, der Klägerin eine Aufwendungserstattung für soziale Sicherung in Höhe von 1.506,22 EUR zu gewähren, zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 08.09.2022 aus einem ersten Teilbetrag von 796,54 EUR, seit dem 11.11.2022 aus einem zweiten Teilbetrag von 615,54 EUR und seit dem 22.11.2022 aus einem dritten Teilbetrag von 94,14 EUR.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Von den Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin 7/8 und der Beklagte 1/8.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 v.H. des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
4. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
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Die Beteiligten streiten über die Frage, ob und ggf. in welcher Höhe die Klägerin eine Entschädigung nach § 56 und § 58 IfSG im Zusammenhang mit der „Corona-Pandemie“ beanspruchen kann.
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Die Klägerin betreibt seit dem 01.04.2020 als Selbständige eine Zahnarztpraxis in …, nachdem sie zuvor einer nichtselbständigen Arbeit nachgegangen war. In Bezug auf ihre selbständige Tätigkeit hat sie eine „Betriebsschließungsversicherung“ bei der … abgeschlossen, die im Hinblick auf das Verhältnis zu staatlichen Leistungen folgende Klausel enthält (vgl. vorgelegten „Baustein Betriebsschließung“, Stand 5.2020):
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4.3. Die Entschädigung darf nicht zu einer Bereicherung führen. Eine Entschädigung wird nur in dem Umfang geleistet, soweit dies rechtlich notwendig oder wirtschaftlich begründet ist. Staatliche Entschädigungsleistungen oder sonstige staatliche Zuwendungen gem. Ziff. 5.3.1 werden auf die Entschädigung angerechnet.
5.3. Anrechnung staatlicher Zuwendungen
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5.3.1 Eine Entschädigungsleistung entfällt, wenn und soweit dem Versicherungsnehmer oder einem Betriebsangehörigen aus Anlass des versicherten Schadensereignisses ein Anspruch auf staatliche Entschädigung (z. B. nach den Bestimmungen des Infektionsschutzgesetzes, des Sozialgesetzbuch (SGB) Drittes Buch (III) – Arbeitsförderung –, den Vorschriften über Amtshaftung oder Aufopferung) oder sonstige staatliche Zuwendungen zusteht. Ziff. 4.3 bleibt hiervon unberührt. Der Versicherungsnehmer ist verpflichtet unverzüglich entsprechende Anträge bei der zuständigen Behörde zu stellen.
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5.3.2 Der Versicherungsnehmer kann in diesem Fall verlangen, dass ihm der Versicherer eine Vorauszahlung in Höhe von bis zu 100% der staatlichen Entschädigungen oder sonstige staatliche Zuwendungen nach Ziff. 5.3.1 zur Verfügung stellt, maximal jedoch 50% der Entschädigungsleistung gem. Ziff. 4.2.
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5.3.3 Der Versicherer ist berechtigt, die Abtretung der Amtshaftungs- oder Aufopferungsansprüche oder, soweit zulässig, staatliche Entschädigungen und Zuwendungen bis zur Höhe der gewährten Vorauszahlung zu fordern.
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5.3.4 Wegen dieser Ansprüche von staatlicher Seite geleistete Zahlungen an den Versicherungsnehmer stehen bis zur Höhe der gewährten Vorauszahlung dem Versicherer zu und sind sofort nach Erhalt an ihn abzuführen, zuzüglich der auf die Entschädigung gezahlten Zinsen. In Höhe der an den Versicherer abgeführten staatlichen Zahlungen gilt die Vorauszahlung an den Versicherungsnehmer als zurückgezahlt.
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Nicht zurückgezahlte Vorauszahlungen werden auf die Entschädigungsleistung des Versicherers angerechnet.
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5.3.5 Wenn und soweit die staatliche Entschädigung ganz oder teilweise rechtskräftig aberkannt wird, wird die insoweit gewährte Vorauszahlung unbeschadet etwaiger Rechte des Versicherungsnehmers auf die Versicherungsleistung zur Rückzahlung fällig. Gleiches gilt für über die Entschädigungsleistung des Versicherers hinaus gehende Vorauszahlungen.
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Die Klägerin befand sich in der Zeit vom 03.04.2021 bis 18.04.2021 zunächst als Kontaktperson einer mit dem Coronavirus infizierten Person und sodann als positiv getestete Person ohne Symptome in behördlich angeordneter Quarantäne. In dieser Zeit ruhte der Betrieb ihrer Zahnarztpraxis vollständig.
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Die … zahlte der Klägerin am 16.04.2021 ohne Anerkennung einer Rechtspflicht und unter ausdrücklichem Rückforderungsvorbehalt einen Betrag von 6.820,57 EUR aus, was 50% des „Gesamtschadens“ entspreche. Es wurde darauf hingewiesen, dass in dem Umfang, in dem die Klägerin Leistungen nach dem IfSG erhalte, eine Leistung aus dem versicherten Baustein „Betriebsschließung“ entfalle. Um Übersendung des entsprechenden Bescheids wurde gebeten.
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Mit am 18.05.2021 eingegangenem Schreiben des Steuerberaters der Klägerin und entsprechend ausgefülltem Formblattantrag ließ die Klägerin eine Verdienstausfallentschädigung in Höhe von 5.530,64 EUR beantragen. Dabei wurde die Auffassung vertreten, dass für die Berechnung des Anspruchs auf das Betriebsergebnis des ersten Quartals 2021 abzustellen sei, da bei der Klägerin im Jahr 2020 sog. Anlaufverluste entstanden seien, so dass 2020 kein geeigneter Referenzzeitraum sei.
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Ein Antrag nach § 56 Abs. 4 Satz 1 und/oder Satz 2 IfSG wurde ausdrücklich nicht gestellt.
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Mit Bescheid vom 02.06.2022 lehnte die die Regierung von … den Antrag auf Verdienstausfallentschädigung ab.
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Zur Begründung wurde ausgeführt, soweit die Klägerin nach anderen gesetzlichen oder vertraglichen Grundlagen einen Anspruch auf Ausgleich ihres ausgefallenen Entgelts habe, liege kein Verdienstausfall vor. Die Klägerin habe im geltend gemachten Zeitraum Leistungen von der … erhalten. Der Vorrang der Versicherungsleistung gegenüber dem Entschädigungsanspruch folge aus dem subsidiären Charakter der Entschädigung nach §§ 56 ff. IfSG. Daher könne für diesen Zeitraum keine zusätzliche Entschädigung bzw. Erstattung des Verdienstausfalls nach § 56 Abs. 1 IfSG geltend gemacht werden.
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Nach außergerichtlichem Schriftverkehr ließ die Klägerin am 04.07.2022 durch ihren Bevollmächtigten Klage gegen den Bescheid vom 02.06.2022 erheben.
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Zur Begründung wurde geltend gemacht, die materiellen Voraussetzungen von §§ 56, 58 IfSG seien erfüllt. Die Vorschusszahlung der … führe nicht zu einem Entfallen des Verdienstausfalls. Vielmehr habe die Klägerin aufgrund der bestehenden Ansprüche nach dem IfSG gerade keine Leistungsansprüche gegen die Versicherung. Ihr Versicherungsschutz reiche nur soweit, wie das infektionsbezogene Wirtschaftsrisiko nicht anderweitig abgedeckt sei. Der Versicherungsschutz erstrecke sich also nicht auf Fälle, in denen eine staatliche Entschädigung zu zahlen sei. Schäden, die durch staatliche Leistungen kompensiert würden, seien nach dem vertraglich vereinbarten Schutzumfang per se nicht vom Versicherungsschutz umfasst (wurde näher begründet). § 56 IfSG verlange vom Bürger nicht, eine einschränkungslose Versicherung abzuschließen. Die Klägerin müsse sich die staatlich zu gewährende Entschädigung auf die erhaltene Vorschussleistung der Versicherung anrechnen lassen. Insoweit diene der Vorschuss lediglich der temporären Absicherung des Versicherungsnehmers.
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Für die Höhe des Anspruchs aus § 56 IfSG sei wegen der einmaligen Anlaufverluste im Jahr 2020, die das Arbeitseinkommen der Klägerin erheblich verzerrten, auf das Gesamtjahr 2021 abzustellen; im Kalenderjahr 2021 sei nach der „Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG“ durch den Steuerberater der Klägerin ausgehend von Betriebseinnahmen in Höhe von 970.307,03 EUR und Betriebsausgaben in Höhe von 666.163,24 EUR ein steuerlicher Gewinn von 304.143,79 EUR angefallen. Auf entsprechende „FAQ“ des Freistaats … wurde ebenso näher eingegangen, wie auf einen Hinweis auf der Homepage der Regierung von … Bei der konkreten Berechnung seien Abschreibungen (72.858,66 EUR) und Zinsaufwendungen (6.216,85 EUR) zum Praxisüberschuss (304.143,79 EUR) zu addieren (wurde näher begründet). Ferner sei bei der (fiktiven) Berechnung der in Abzug zu bringenden Steuerlast auf den „typisierten Ertragssteuersatz von 35% gem. IDW PS1“ abzustellen und nicht etwa der im Internet angebotene Lohn- und Einkommensteuerrechner des Bundesministeriums der Finanzen zu bemühen (wurde weiter ausgeführt).
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Nach § 58 IfSG seien die tatsächlich auf den Quarantänezeitraum entfallenden Aufwendungen für soziale Sicherung in Höhe von 1.506,22 EUR zu erstatten. Die diesbezügliche Höhe des geltend gemachten Anspruchs hat die Klägerseite nach Vorlage einer Probeberechnung der Regierung von … und einem Hinweis des Gerichts von ursprünglich geforderten 1.412,08 EUR geringfügig auf den o.g. Betrag von 1.506,22 EUR angepasst.
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Der von der Klägerin geltend gemachte Zinsanspruch ergebe sich aus einer entsprechenden Anwendung von § 291 BGB von dem Eintritt der Rechtshängigkeit an.
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Die Klägerin beantragt zuletzt,
- 1.
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den Beklagten unter Aufhebung seines Versagungsbescheids vom 02.06.2022 mit dem Az. … zu verpflichten, der Klägerin eine Verdienstausfallentschädigung in Höhe von 10.119,96 EUR nebst Aufwendungen für soziale Sicherung in Höhe von 1.506,22 EUR, mithin eine Gesamtentschädigung in Höhe von 11.626,18 EUR zu gewähren und
- 2.
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den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin diesen Betrag nebst Prozesszinsen auszuzahlen.
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Der Beklagte beantragt,
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Der Klägerin stehe aufgrund der abgeschlossenen Betriebsschließungsversicherung schon tatbestandlich kein Anspruch auf Verdienstausfallentschädigung nach § 56 Abs. 1 IfSG zu. Es fehle an einem Verdienstausfall, da ein solcher nur dann angenommen werden könne, wenn die abgesonderte Person quarantänebedingt daran gehindert werde, durch ihre ansonsten ausgeübte Tätigkeit Einnahmen zu erwirtschaften und dieses Einnahmendefizit nicht anderweitig ausgeglichen werde. Einen solchen Ausgleich stelle jedoch gerade der Anspruch aus der Versicherung dar. Die damit gegebene wechselseitige Voraussetzung des Nichtbestehens des jeweils anderen Anspruchs sei nach Ansicht des Beklagten im Sinne einer Nachrangigkeit des Entschädigungsanspruchs nach § 56 Abs. 1 IfSG aufzulösen. Dies folge aus dem Wesen des Anspruchs als einer dem Gedanken der Aufopferung entspringenden Billigkeitsentschädigung, deren alleiniges Ziel es sei, den Berechtigten vor existenzieller Not zu schützen. Die damit einhergehende Belastung der Solidargemeinschaft sei nur vor diesem Hintergrund zu rechtfertigen. Auf eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 19.05.2021 – B 7 K 21.80 – wurde hingewiesen.
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Zur Höhe des hypothetischen Anspruchs auf Erstattung von Verdienstausfall wurde angemerkt, dass aus Sicht des Beklagten der Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2020 nicht als Grundlage für die Ermittlung des Verdienstausfalls geeignet sei, da hier für die Klägerin negative Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit ausgewiesen seien. Insoweit erscheine es zum jetzigen Zeitpunkt – auch vor dem Hintergrund der Regelung in § 56 Abs. 3 Satz 5 IfSG – sachgerecht, auf die Gewinnermittlung für das gesamte Jahr 2021 abzustellen, ohne jedoch dem Gewinn Finanzierungszinsen und Abschreibungen hinzuzurechnen.
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Im Übrigen wird auf die Gerichts- und Behördenakte verwiesen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO).
Entscheidungsgründe
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I. Über die Klage kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid, der als Urteil wirkt, entschieden werden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Beteiligten wurden entsprechend angehört und haben sich mit dem Erlass eines Gerichtsbescheids einverstanden erklärt bzw. ausdrücklich keine Einwände erhoben.
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II. Die Klage hat nur zu einem geringen Teil Erfolg. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Gewährung einer Aufwendungserstattung für soziale Sicherung nach § 58 Satz 1 IfSG in Höhe von 1.506,22 EUR (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der dem Grunde nach ebenfalls gegebene Anspruch auf Verdienstausfallentschädigung nach § 56 Abs. 5 Satz 4 i.V.m. § 56 Abs. 1, 2 und 3 IfSG in der zum Zeitpunkt der Quarantäne geltenden Fassung bemisst sich vorliegend mit null, da die Klägerin im maßgeblichen Jahr 2020 kein positives Arbeitseinkommen, sondern einen „Verlust“ erzielt hat.
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1. Die Klägerin kann vom Beklagten die Gewährung einer Aufwendungserstattung für soziale Sicherung nach § 58 Satz 1 IfSG in Höhe von 1.506,22 EUR verlangen (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der Höhe nach hat die Klägerin die ihr anteilig im Quarantänezeitraum – eben auf diesen Zeitraum ist im Rahmen des § 58 Satz 1 IfSG abzustellen – entstandenen derartigen Aufwendungen im Zuge des gerichtlichen Verfahrens schlüssig dargelegt und hinreichend nachgewiesen. Die Regierung von … hat insoweit (zuletzt) auch keine Bedenken gegen die angesetzten Positionen erhoben.
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Dem Anspruch nach § 58 Satz 1 IfSG – und dies ist ein zentraler Punkt im vorliegenden Verfahren – steht die von der Klägerin abgeschlossene „gebundene gewerbliche Sachversicherung“ mit dem Baustein einer Betriebsschließungsversicherung nicht entgegen.
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Die Regierung von … hat zwar zu Recht auf die Rechtsprechung der Kammer hingewiesen, wonach es sich bei der Konzeption des § 56 IfSG um eine „Billigkeitsregelung“ handele, nämlich eine Maßnahme der sozialen Sicherung, die sich auf das vom Gesetzgeber für notwendig Erachtete beschränke und keinen vollen Schadensausgleich gewähre. Die Entschädigung solle auch nicht Arbeitgeber und Versicherungen entlasten, indem deren Verpflichtung zu Versicherungsleistungen oder zur Lohnfortzahlung auf die Allgemeinheit abgewälzt werde (Gb.v. 19.05.2021 – B 7 K 21.80 – juris).
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Vorliegend geht es jedoch nicht darum, dass eine „Verpflichtung zu Versicherungsleistungen“ auf die Allgemeinheit abgewälzt würde, denn die hier in Rede stehende Versicherung ist ihrerseits so konzipiert, dass sie für den Fall, dass und soweit ein Anspruch auf staatliche Entschädigung u.a. nach dem Infektionsschutzgesetz besteht, schon keine Einstandspflicht der Versicherung vorsieht. Nach dem Wortlaut der hier einschlägigen Versicherungsbedingungen (vgl. Nr. 5.3.1, Satz 1) entfällt eben eine Versicherungsleistung, wenn und soweit dem Versicherungsnehmer ein Anspruch auf staatliche Entschädigung zusteht. Diese Klausel wird von weiteren vertraglichen Regelungen flankiert, z.B. von der ausdrücklichen Verpflichtung des Versicherungsnehmers, entsprechende Anträge bei der zuständigen Behörde zu stellen (Nr. 5.3.1, Satz 2).
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Insoweit unterschiedet sich die hiesige Konstellation von anderen Fällen, in denen ein Verdienstausfall zu verneinen ist, weil beispielsweise der Arbeitnehmer trotz der Quarantäne einen fortbestehenden Anspruch gegen seinen Arbeitgeber hat (vgl. etwa § 616 BGB, § 19 Abs. 1 Nr. 2 lit. b BBiG).
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Soweit vorliegend die Einstandspflicht der Versicherung gegenüber dem Anspruch gegen den Staat subsidiär ausgestaltet ist, stößt die vertragliche Konstruktion der entsprechenden „Ausschlussklausel“ auch nicht auf durchgreifende rechtliche Bedenken, etwa mit der Folge, dass von einer Nichtigkeit auszugehen wäre.
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Bei der gegenwärtigen Gesetzeslage erscheint die von der … verwandte Klausel insbesondere nicht nichtig im Sinne des § 138 Abs. 1 BGB. Danach ist ein Rechtsgeschäft nichtig, das gegen die guten Sitten verstößt. Zwar kann sich ein Rechtsgeschäft auch bei sittenwidrigem Verhalten gegenüber der Allgemeinheit als nichtig erweisen. Dazu müsste sich das Verhalten als verwerflich gegenüber der Solidargemeinschaft darstellen (vgl. BeckOK BGB/Wendtland BGB, § 138, Rn. 25), was bei der hier gewählten Konstruktion eines Ausschlusses der Einstandspflicht der Versicherung, soweit ein gesetzlicher Anspruch besteht, nicht angenommen werden kann.
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Bei der vorliegenden Betriebsschließungsversicherung handelt es sich nicht um eine Pflichtversicherung, so dass schon im Ausgangspunkt nichts dagegen zu erinnern ist, wenn auf der Grundlage der einschlägigen Versicherungsbedingungen solche „Schäden“ von der Einstandspflicht der Versicherung ausgenommen werden, für die der Versicherungsnehmer bereits dadurch „abgesichert“ ist, dass ein gesetzlicher Anspruch besteht oder dass eben eine Einstandspflicht nur vereinbart wird, „soweit“ der Schaden den staatlichen Anspruch übersteigt. Die Sinnhaftigkeit einer derartigen Konstruktion wird gerade im Falle der hiesigen Klägerin nur allzu deutlich, nachdem für die Berechnung des Anspruchs aus § 56 IfSG auf das Jahr 2020 abzustellen ist, in dem die Klägerin noch einen (Anfangs-)Verlust zu verzeichnen hatte, weil sie ihre freiberufliche Tätigkeit erst im April 2020 aufgenommen hatte (vgl. hierzu näher unten).
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Nach der Konzeption der §§ 56, 58 IfSG kommt es de lege lata nicht darauf an, ob der Betreffende, sei es ein abhängig Beschäftigter oder ein Selbständiger, bei anderweitiger Gestaltung seiner vertraglichen Beziehungen – also zum Arbeitgeber oder eben auch zu Versicherungen – die Möglichkeit gehabt hätte, dafür Sorge zu tragen, dass ihm im Zeitraum der Quarantäne kein Verdienstausfall entsteht. Es bedürfte überdies, soweit es von Seiten des Gesetzgebers gewollt sein sollte, dass bei Vorliegen eines – wie hier – grundsätzlich versicherbaren Risikos kein Anspruch nach §§ 56, 58 IfSG bestehen soll, einer entsprechenden Verankerung im Gesetzestext.
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Die vorliegende Fallgestaltung ist auch nicht mit solchen Ereignissen zu vergleichen, in denen z.B. nach Eintritt eines Katastrophenfalls freiwillige Leistungen des Staates („Subventionen“) erbracht werden, die gegenüber bestehenden Ansprüchen gegen Versicherungen als subsidiär ausgestaltet werden.
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2. In Bezug auf den geltend gemachten Anspruch auf Prozesszinsen ist die Klage ebenfalls nur zum Teil begründet. Das Gericht legt den Antrag der Klägerin insoweit dahin aus, dass eine Verzinsung in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz begehrt wird. Zwar verweist die Klageschrift lediglich auf § 291 BGB, doch liegt ersichtlich kein Fall einer Entgeltforderung im Sinne des § 288 Abs. 2 BGB vor, so dass sich die Verzinsung nach § 291 i.V.m. § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB richtet.
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Im öffentlichen Recht tritt die Rechtshängigkeit einer Geldschuld im Sinne des § 291 Satz 1 BGB nicht nur bei Klagen auf Verurteilung zur Zahlung einer bezifferten Geldforderung ein, sondern auch bei Klagen, die – wie hier – auf Verpflichtung der Behörde zum Erlass eines die Zahlung einer bestimmten Geldsumme unmittelbar auslösenden Verwaltungsakts gerichtet sind. Diese Verpflichtung muss in der Weise konkretisiert sein, dass der Umfang der zugesprochenen Geldleistung feststeht, diese also eindeutig bestimmt ist (vgl. BVerwG, U.v. 28.6.1995 – 11 C 22.04 – juris). Diese Voraussetzungen sind mit dem vorliegenden Verpflichtungsausspruch grundsätzlich ab konkreter Antragstellung gegeben. Allerdings beginnt die Verzinsung nach § 291 Satz 1, 2. Halbsatz BGB erst mit der Fälligkeit, wenn die Schuld nach der Rechtshängigkeit fällig wird.
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Obwohl dem Formblattantrag in Bezug auf die „Angaben zur sozialen Sicherung“ (Nr. 8) der Hinweis beigefügt war, dass „bitte Nachweise“ beigefügt werden mögen, hat die Klägerin derartige aussagekräftige Belege im Verwaltungsverfahren nicht beigebracht, sondern erstmalig im gerichtlichen Verfahren. Vor dem Eingang der notwendigen bzw. von der Behörde berechtigterweise geforderten Nachweise kann eine Fälligkeit des geltend gemachten Anspruchs indessen nicht eintreten. Auch im Zeitpunkt des Eingangs der Klage bei Gericht lagen (noch) keine hinreichenden Belege vor. Die hier benötigten Nachweise zur privaten Krankenversicherung sind am 02.09.2022 bei Gericht eingegangen und wurden der Behörde – worauf abzustellen ist – mit umfangreichen Hinweisen des Gerichts am 08.09.2022 zugeleitet, so dass die Fälligkeit insoweit am 09.09.2022 eingetreten ist. In Bezug auf die Beiträge zum berufsständischen Versorgungswerk wurden die erforderlichen Unterlagen/Nachweise sowie nachgeforderte Erläuterungen am 08.11.2022 bei Gericht eingereicht und am 10.11.2022 an die Regierung von …weitergeleitet.
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Legt man dies zugrunde, können Prozesszinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz (§ 291 BGB i.V.m. § 288 Abs. 1 BGB) aus einem Teilbetrag von 796,54 EUR ab dem 08.09.2022 beansprucht werden, hinsichtlich des Differenzbetrags (615,54 EUR) zu der zunächst begehrten Gewährung einer Aufwendungserstattung für soziale Sicherung in Höhe von 1.412,08 EUR ab dem 11.11.2022 und in Bezug auf den später geltend gemachten Teilbetrag von 94,14 EUR dagegen erst am 22.11.2022 mit dem Eingang des Schriftsatzes vom selben Tag (1.506,22 EUR ./. 1.412,08 EUR = 94,14 EUR).
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3. Die Klägerin hat zwar dem Grunde nach ebenfalls einen Anspruch auf Verdienstausfallentschädigung nach § 56 Abs. 5 Satz 4 i.V.m. § 56 Abs. 1, 2 und 3 IfSG. Dieser bemisst sich jedoch mit null, denn in dem hier maßgeblichen Kalenderjahr 2020, das dem Quarantänezeitraum im April 2021 vorausging, hat die Klägerin kein positives Arbeitseinkommen im Sinne des § 56 Abs. 3 Satz 5 i.V.m. § 15 SGB IV erwirtschaftet, sondern negative Einkünfte aus selbständiger Arbeit in Höhe von 84.571,00 EUR, die selbst dann, wenn man positive Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit „anrechnen“ würde, noch im Negativen verbleiben (- 70.918,00 EUR).
43
Die Verdienstausfallentschädigung bemisst sich nach § 56 Abs. 2 und 3 IfSG in der maßgeblichen, im Zeitraum der Quarantäne einschlägigen Fassung des Gesetzes bei den in Heimarbeit Beschäftigten und bei Selbständigen danach, dass § 56 Abs. 1 Satz 1 IfSG für die Berechnung entsprechend gilt mit der Maßgabe, dass bei den in Heimarbeit Beschäftigten das im Durchschnitt des letzten Jahres vor der Absonderung verdiente monatliche Arbeitsentgelt und bei Selbständigen ein Zwölftel des Arbeitseinkommens (§ 15 SGB IV) aus der entschädigungspflichtigen Tätigkeit zugrunde zu legen ist.
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§ 15 Abs. 1 SGB IV stellt für das Arbeitseinkommen auf den nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts ermittelten Gewinn aus einer selbständigen Tätigkeit ab, wobei Einkommen als Arbeitseinkommen zu werten ist, wenn es nach dem Einkommensteuerrecht als solches zu bewerten ist.
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Wegen der gesetzlichen Anknüpfung an den nach einkommensteuerrechtlichen Regelungen ermittelten Gewinn kommt wegen des dort geltenden Jahressteuerprinzips als materiellem Prinzip der Einkommensbesteuerung (vgl. BFH, B.v. 17.2.2995 – XI B 138/03 – juris) grundsätzlich nur ein Abstellen auf ein ganzes Jahr in Betracht, hier als entweder das Jahr 2020 oder – wie von den Beteiligten vertreten wird – das Jahr 2021. Eine Heranziehung von Teilzeiträumen unterschiedlicher Jahre, hier also z.B. der der Quarantäne der Klägerin unmittelbar vorangehende Jahreszeitraum von April 2020 bis März 2021, scheidet damit aus.
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Auch eine Heranziehung von Teilzeiträumen eines konkreten Jahres, in das die Quarantäne fiel, kommt mit Blick auf den eindeutigen Wortlaut des Gesetzes, das von einer Zwölftelung des Arbeitseinkommens ausgeht, jedenfalls dann nicht in Betracht, wenn – wie hier – ein Steuerbescheid des vorgegangenen Jahres vorliegt und der Betreffende die maßgebliche selbständige Tätigkeit in dem der Quarantäne vorausgehenden Jahr bereits ausgeübt hat.
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Die einschlägige Kommentarliteratur geht vor diesem Hintergrund zu Recht davon aus, dass auf das zuletzt nachgewiesene Jahreseinkommen – hier demnach auf das Jahr 2020 – abzustellen ist (vgl. Gerhardt, IfSG, § 56, Rn. 21; Kießling/Kümper, IfSG, § 56, Rn. 33; BeckOK IfSG, § 56, Rn. 63).
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Soweit die von der Klägerseite zitierten behördlichen Hinweise/„FAQ“ davon ausgehen, dass bei Nichtvorliegen eines Steuerbescheids oder in der Konstellation, dass dieser nicht „aussagekräftig“ sei, andere Grundlagen für die Ermittlung des Verdienstausfalls herangezogen werden „könnten“ und womöglich gar eine Schätzung in Betracht komme, findet diese Auffassung jedenfalls für den Fall eines für nicht aussagekräftig befundenen Steuerbescheids im Gesetz keine Stütze. Es liegt auf der Hand, dass das nach dem Steuerrecht ermittelte Arbeitseinkommen von Selbständigen ganz erheblichen Schwankungen unterworfen sein kann. Ein Vergleich des von der Klägerin erzielten Verlusts im Jahr 2020 von mehreren zehntausend Euro mit dem in 2021 erwirtschafteten Praxisüberschuss von mehr als 300.000,00 EUR zeigt dies in aller Deutlichkeit. Verantwortlich für derlei Abweichungen können nicht nur die hier geltend gemachten hohen steuerlichen Abschreibungen sein, die sich ihrerseits zugunsten des Steuerpflichtigen insoweit auswirken, als sie das zu versteuernde Einkommen mindern, sondern auch ganz andere Ursachen. Eher zufällige, fast schon „willkürliche“ Ergebnisse würden sich dann ergeben, wenn man dem Antragsteller oder der Behörde (oder auch dem Gericht) die vom Gesetz nicht vorgesehene Entscheidung zubilligen würde, ob das nach dem aktuellsten Steuerbescheid maßgebliche Arbeitseinkommen bei dem betreffenden Selbständigen als „nicht aussagekräftig“ einzustufen sei, so dass auf andere Zeiträume oder eine Schätzung auszuweichen sei.
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Zeiträume, die nach dem in Rede stehenden Quarantänezeitraum liegen, können für die Bestimmung des für die Entschädigungshöhe heranzuziehenden Arbeitseinkommens in aller Regel keine Berücksichtigung finden, so dass vorliegend ein Abstellen auf das Gesamtjahr 2021 ausscheidet, denn damit würden die Monate Mai bis Dezember 2021 mit einbezogen werden. Gewisse Unterschiede in den maßgeblichen Berechnungszeiträumen für Arbeitnehmer und Selbständige nimmt der Gesetzgeber als unvermeidbar hin (vgl. Kießling/Kümper, IfSG, § 56, Rn. 33), doch wäre die Grenze – auch im Sinne einer Gleichbehandlung – überschritten, würde man ohne Not und ohne gesetzlich Grundlage auf Zeiträume abstellen oder diese einbeziehen, die nach dem Quarantänezeitraum liegen. Eine besonders günstige Entwicklung des Arbeitseinkommens eines Selbständigen nach der Quarantäne kann diesem bei der im Rahmen von § 56 IfSG anzustellenden Berechnung ebenso wenig zugutekommen wie eine Erhöhung des Arbeitsentgelts bei einem abhängig Beschäftigten, die nach der Absonderung eintritt. Die Einbeziehung solcher späteren Entwicklungen, seien sie für den Betreffenden günstig oder ungünstig, schließt § 56 Abs. 3 Satz 1 IfSG, der wiederum bei der vorliegenden Berechnung nach § 56 Abs. 3 Satz 5 IfSG entsprechend anzuwenden ist, grundsätzlich aus. Dass bei der Berechnung des Verdienstausfalls auf die aktuellen bzw. vergangenen Verhältnisse abzustellen ist, nicht aber auf Entwicklungen des Einkommens, die erst nach der Quarantäne eintreten, kann als grundlegendes Prinzip der Berechnung nach § 56 Abs. 3 IfSG begriffen werden.
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Für Fälle, in denen bei Selbständigen noch gar kein ermittelter Gewinn vorliegt, weil die Tätigkeit gerade erst aufgenommen worden ist, wird in der Literatur vorgeschlagen, dass das Einkommen entsprechend einer früheren Regelung im Bundes-Seuchengesetz (BSeuchG) zu schätzen sei (vgl. etwa BeckOK IfSG, § 56, Rn. 63). In der Tat war in § 49 Abs. 3 Satz 4 BSeuchG in der Fassung vom 18.07.1961 die Regelung enthalten, dass bei fehlendem Nachweis eines entsprechenden Jahreseinkommens des Selbständigen unter Zugrundelegung vergleichbarer Einkommen eine Schätzung durchzuführen ist. Die gesetzliche Grundlage für eine Schätzung des Einkommens wurde jedoch in späteren Fassungen des § 49 BSeuchG nicht mehr übernommen. So findet sich z.B. in der Fassung des Gesetzes vom 18.12.1979 die entsprechende Passage nicht mehr in Abs. 3 der Norm. Dafür wurden in § 49 Abs. 3a BSeuchG Sonderregelungen für den Fall der Existenzgefährdung ebenso aufgenommen wie die Möglichkeit, dass Selbständige, deren Betrieb oder Praxis während der Absonderung ruhte, zusätzlich Ersatz der weiterlaufenden nicht gedeckten Betriebsausgaben in angemessenem Umfang beanspruchen können. Diese Regelung, die dem heutigen § 56 Abs. 4 IfSG entspricht, war in der ursprünglichen Fassung des § 49 BSeuchG (i.d.F. vom 18.07.1961) dagegen noch nicht enthalten. Wenn aber der Gesetzgeber eine früher normierte Grundlage für eine Schätzung des Einkommens im Zuge von Novellierungen nicht mehr übernimmt, so bedürfte es einer besonderen Begründung, warum gleichwohl bei der Rechtsanwendung auf Schätzwerte rekurriert werden sollte.
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Einer weiteren Vertiefung dieser Thematik bedarf es vorliegend nicht, denn die Klägerin hat ihre selbständige Tätigkeit nicht erst im Jahr der Quarantäne aufgenommen, sondern bereits im Jahr zuvor, so dass das im Jahr 2020 von ihr als Selbständige erzielte Arbeitseinkommen anteilig anzusetzen ist. Jedenfalls wenn – wie hier – der Zeitraum der Quarantäne in den April des laufenden Jahres fällt, ist für das maßgebliche Arbeitseinkommen als Selbständiger auf das Vorjahr abzustellen, soweit für dieses bereits ein Steuerbescheid ergangen ist. Andernfalls würde die staatliche Entschädigung zu ca. 8/12 von Einkommensteilen geprägt, die erst nach der Quarantäne generiert worden sind. Dies wäre wie dargestellt mit der Systematik der Entschädigungsberechnung im Rahmen des § 56 IfSG schwerlich in Einklang zu bringen.
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Auch dann, wenn der Selbständige im maßgeblichen Steuerjahr wegen Abschreibungen o.ä. eine „verzerrtes“ Arbeitseinkommen im Sinne des § 15 SGB IV zu verzeichnen haben sollte, kommt mangels einer Rechtsgrundlage eine Schätzung – die o.g. Erwägungen gelten entsprechend – oder das Abstellen auf einen anderen Zeitraum der Einkommenserzielung nicht in Betracht. Sollte es im Einzelfall zu Ergebnisse kommen, die als unbillig empfunden werden könnten, sieht das Gesetz mit den in § 56 Abs. 4 IfSG verankerten Ansprüchen einen probaten Ausgleich vor. Unzuträgliche Härten im Einzelfall werden damit hinreichend ausgeschlossen. Überdies kommt durchaus in Betracht – die hier vorliegende Konstellation zeigt dies in aller Deutlichkeit – dass der Betreffende einem nicht von § 56 IfSG erfassten „Risiko“ wirksam mit dem Abschluss einer Versicherung begegnet.
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Ergänzend sei bemerkt, dass sich in einer Mehrzahl von Fällen in der Praxis wohl weniger das Problem stellt, ob auf das der Quarantäne vorausgehende Einkommensjahr abzustellen ist oder ob – soweit eben noch kein aktuellerer Steuerbescheid vorliegt – auch ein weiter zurückliegendes Jahr als maßgeblich herangezogen werden kann.
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Jedenfalls jedoch sollte wegen der steuerrechtlichen Anknüpfung in § 56 Abs. 3 Satz 5 IfSG i.V.m. § 15 SGB IV auf einen vorliegenden Steuerbescheid, mindestens eine Bescheinigung des Finanzamts (vgl. Gerhardt IfSG, § 56, Rn. 21) abgestellt werden, nachdem das Einkommensteuerrecht nicht zuletzt z.B. verschiedentlich Wahlrechte kennt (so etwa bei der Abschreibung geringwertiger Wirtschaftsgüter nach § 6 Abs. 2 EStG – vgl. Schmidt/Kulosa EStG, § 6, Rn. 652), die gegenüber den Finanzbehörden auszuüben sind (vgl. BFH, U.v. 15.2.2001 – IV R 5/99 – juris). Soweit es diesbezüglich demnach einer Entscheidung des Steuerpflichtigen bedarf, kann der Gewinn aus einer selbständigen Tätigkeit erst dann zuverlässig angegeben werden, nachdem die notwendigen Erklärungen abgegeben wurden. Auch diese Problematik bedarf vorliegend keiner weiteren Vertiefung, nachdem hier für das Jahr 2020 ein am 12.04.2022 erlassener Steuerbescheid zum Gegenstand des Verfahrens gemacht wurde, der – wie erläutert – auch als maßgeblich anzusehen ist, wohingegen für das Jahr 2021 lediglich eine vom Steuerberater der Klägerin erstellte „Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG“ vorliegt, die, soweit ersichtlich, finanzbehördlich bisher weder geprüft noch zur Grundlage eines Steuerbescheids für das Jahr 2021 gemacht wurde.
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4. Möchte man vor dem Hintergrund, dass die Klägerin ihre selbständige Tätigkeit erst im April 2020 aufgenommen hat, die durch die Anknüpfung an das Steuerrecht gebotene kalenderjährliche Betrachtung hintanstellen und mit Blick auf den Wortlaut des § 56 Abs. 3 Satz 5 IfSG, der auf „ein Zwölftel“ abstellt, die anteilige Ansetzung des Arbeitseinkommens aus dem Jahr 2020 – dort war die Klägerin eben nur neun Monate selbständig als Zahnärztin tätig – für unzureichend halten, mit der Folge, dass über die neun Monate des Jahres 2020 hinaus die ersten drei Monate aus 2021 miteinzubeziehen wären, so würde sich gleichwohl kein Anspruch zugunsten der Klägerin aus § 56 IfSG ergeben. Bei dieser Sichtweise müsste allerdings zusätzlich ausgeblendet werden, dass das vom Steuerberater der Klägerin berechnete monatliche durchschnittliche Nettoeinkommen im Jahr 2021 von 20.239,92 EUR zu rund 8/12 auf einem Zeitraum beruht, der nach der Quarantäne liegt. Addierte man gleichwohl dem so berechneten Einkommen der drei Monate Januar bis März 2021 (20.239,92 EUR x 3 = 60.719,76 EUR) den auf die neun Monate April bis Dezember 2020 entfallenden Verlust aus selbständiger Tätigkeit (- 84.571,00 EUR), so ergäbe sich bezogen auf die zwölf dem Quarantänezeitraum vorangehenden Monate weiterhin ein „fiktiver“ Verlust (- 23.851,24 EUR), so dass sich auch unter diesen Prämissen kein Anspruch aus § 56 IfSG ergeben würde. Die bei dieser hypothetischen Betrachtung virulent werdenden rechtlichen Problemstellungen betreffend Zinsen, Abschreibungen und den Steuersatz bedürften hier keiner Vertiefung, nachdem sich selbst dann, wenn man alle Positionen zugunsten der Klägerin in Ansatz brächte, kein positives Arbeitseinkommen für den Zeitraum April 2020 bis März 2021 ergeben würde.
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III. Von den Kosten des Verfahrens fallen der Klägerin 7/8 und dem Beklagten 1/8 zur Last (§ 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 ff. ZPO.
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IV. Die Berufung wird nach § 84 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 124a Abs. 1 und § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zugelassen, da die inmitten stehenden Rechtsfragen – sowohl in Bezug auf die vorliegende Betriebsschließungsversicherung als auch hinsichtlich des der Berechnung der Entschädigung zugrunde zu legenden Einkommensjahrs – grundsätzliche Bedeutung für eine Mehrzahl von Verfahren aufweisen und eine oberverwaltungsgerichtliche Rechtsprechung hierzu bisher nicht ersichtlich ist.