Titel:
Sofortvollzugsanordnung, Aufhebung der Sofortvollzugsanordnung, Begründung, Abgabepflicht Führerschein
Normenkette:
VwGO § 80 Abs. 3
Schlagworte:
Sofortvollzugsanordnung, Aufhebung der Sofortvollzugsanordnung, Begründung, Abgabepflicht Führerschein
Fundstelle:
BeckRS 2022, 43467
Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller.
3. Der Streitwert wird auf 250,00 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Der Antragsteller begehrt die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung einer Klage gegen die Abgabeverpflichtung seines Führerscheins.
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Dem Antragsteller, geb. …, wohnhaft …, wurde am 31. August 2018 die Fahrerlaubnis der Klassen AM, A1 (mit Schlüsselzahlen … und …), A (mit Schlüsselzahlen … und …), B, BE, C1 (mit Schlüsselzahl ...), C1E (mit Schlüsselzahl ...), C (mit Schlüsselzahl ...), CE (mit Schlüsselzahl ...), L und T erteilt. Die Klassen C und CE wurden bis zum 23. Januar 2023 und die Klassen C1 und C1E bis zum 6. Februar 2044 befristet.
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Nach vorangegangener Unterrichtung durch das Kraftfahrt-Bundesamt (im Folgenden: KBA) am 10. März 2020 wurde der Antragsteller mit Schreiben des Landratsamts … (im Folgenden: Landratsamt) vom 27. März 2020, zugestellt am 31. März 2020, gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 StVG wegen Erreichens von 4 Punkten ermahnt (Stufe 1).
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Mit Mitteilung des KBAs vom 9. März 2022 wurde das Landratsamt darüber informiert, dass der Antragsteller inzwischen 6.241 Punkte nach dem Fahreignungsbewertungssystem erreicht hat. Folgende Einträge wurden mitgeteilt:
- Fahrlässiges Anordnen oder Zulassen des Fahrens ohne Fahrerlaubnis (2.757 identische Taten) am 17. August 2018, rechtskräftig seit 31. Dezember 2021, Punktebewertung: 5.514.
- Vorsätzliches Anordnen oder Zulassen des Fahrens ohne Fahrerlaubnis (362 identische Taten) am 17. August 2018, rechtskräftig seit 31. Dezember 2021, Punktebewertung: 724.
- Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 21 km/h am 1. November 2018, rechtskräftig seit 5. Februar 2019, Punktebewertung: 1.
- Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 23 km/h am 27. Oktober 2019, rechtskräftig seit 19. Februar 2020, Punktebewertung: 1.
- Anordnen bzw. Zulassen der Inbetriebnahme eines Kraftfahrzeuges/einer Fahrzeugkombination, obwohl die zugelassene Länge über alles um 0,21 m überschritten war, am 14. Dezember 2020, rechtskräftig seit 4. November 2021, Punktebewertung: 1.
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Das Landratsamt hat den Antragsteller daraufhin mit Schreiben vom 21. März 2022 verwarnt und gemäß § 4 Abs. 6 StVG eine Punktereduzierung auf 7 Punkte vorgenommen. Weiterhin wurde der Antragsteller darauf hingewiesen, dass ein Erreichen von 8 Punkten die Behörde kraft Gesetzes zur Entziehung der Fahrerlaubnis verpflichtet.
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Am 8. April 2022 informierte das KBA das Landratsamt über einen weiteren Verkehrsverstoß des Antragstellers:
- Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 29 km/h am 26. Mai 2021, rechtskräftig seit 4. März 2022, Punktebewertung: 1.
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Diese Zuwiderhandlung wurde am 8. April 2022 in das Fahreignungsregister eingetragen.
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Mit Schreiben des Landratsamts vom 28. April 2022 wurde der Antragsteller aufgrund des Erreichens von 8 Punkten zur beabsichtigten Fahrerlaubnisentziehung angehört.
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Am 16. Mai 2022 wurde das Landratsamt vom KBA darüber informiert, dass die Tat vom 14. Dezember 2020 aus dem Fahreignungsregister entfernt wurde, da sie nicht registerpflichtig ist. Durch Beschluss des Amtsgerichts … wurde am 26. Oktober 2021 der Bußgeldbescheid des Bayerischen Polizeiverwaltungsamtes vom 3. Februar 2021 wegen fahrlässigen Zulassens der Inbetriebnahme einer Fahrzeugkombination, obwohl die zugelassene Länge überschritten war, dahingehend abgeändert, dass die verhängte Geldbuße nur noch 50,00 EUR beträgt.
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Mit Bescheid vom 27. Juli 2022 wurde dem Antragsteller die Fahrerlaubnis der Klassen AM, A1 (mit Schlüsselzahlen … und …*), A (mit Schlüsselzahlen … und …*), B, BE, C1 (mit Schlüsselzahl **), C1E (mit Schlüsselzahl **), C (mit Schlüsselzahl **), CE (mit Schlüsselzahl **), L und T entzogen (Ziffer 1). Der vom Landratsamt am 31.01.2018 ausgehändigte Führerschein, Führerschein-Nr. …, sei innerhalb von einer Kalenderwoche nach Zustellung dieses Bescheids beim Landratsamt abzugeben (Ziffer 2). Für den Fall der nicht fristgerechten Erfüllung der Anordnung in Ziffer 2 werde ein Zwangsgeld in Höhe von 500,00 EUR zur Zahlung fällig (Ziffer 3). Der Bescheid werde in Ziffer 1 und 2 für sofort vollziehbar erklärt (Ziffer 4). Der Antragsteller habe die Kosten des Verfahrens zu tragen. Es werde eine Gebühr in Höhe von 250,00 EUR festgesetzt (Ziffer 5).
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Zum Zeitpunkt der Begehung der letzten zur Ergreifen der Maßnahme führenden Ordnungswidrigkeit am 25. Mai 2021 habe der Antragsteller 8 Punkte erreicht, weshalb ihm die Fahrerlaubnis gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG habe entzogen werden müssen (Ziffer 1). Die vorangegangene Ermahnung und Verwarnung seien rechtmäßig erfolgt. Die Vorschrift sei auch auf Vielfahrer wie Lastkraftwagenfahrer anzuwenden.
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Die Abgabeverpflichtung des Führerscheins (Ziffer 2) ergebe sich aus § 47 Abs. 1 FeV. Die gesetzte Frist von einer Woche sei verhältnismäßig.
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Die Androhung des Zwangsgeldes (Ziffer 3) stütze sich auf Art. 18 Abs. 1, 19 Abs. 1 Nr. 3, 29 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 und 36 BayVwZVG. Das Zwangsgeld in der angedrohten Höhe von 500,00 EUR erscheine dabei einerseits geboten und erforderlich und andererseits angemessen, um den Pflichtigen mit Nachdruck zur Erfüllung der Verpflichtung anzuhalten.
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Die Anordnung der sofortigen Vollziehung (Ziffer 4) erfolge im überwiegenden öffentlichen Interesse an der Entziehung der Fahrerlaubnis. Die schützenswerten Belange des Betroffenen, etwa sein privates Interesse, weiterhin am Straßenverkehr teilnehmen zu dürfen, sei trotz beruflicher Betroffenheit geringer zu gewichten und müsse deshalb zurücktreten. Dies spreche für ein Überwiegen des öffentlichen Interesses am Fahrerlaubnisentzug.
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Mit dem beim Verwaltungsgericht … am 24. August 2022 eingegangenen Schriftsatz ließ der Antragsteller durch seinen Prozessbevollmächtigten Klage erheben mit dem Antrag, den Bescheid des Beklagten vom 27. Juli 2022, zugegangen am 29. Juli.2022, Az: …, kostenpflichtig aufzuheben und dem Beklagten aufzugeben, die vom Kläger abgegebene Fahrerlaubnis unverzüglich wieder an den Kläger zurückzugeben oder ihm für den Fall der Unbrauchbarmachung eine neue Ausfertigung kostenfrei auszustellen. Weiterhin beantragte er, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen und die sofortige Vollziehung der Verfügung der Beklagten aus dem Bescheid vom 27. Juli 2022 aufzuheben.
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Das Verwaltungsgericht … hat mit Beschluss vom 2. September 2022 (Az. …*) die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ziffer 2 in Ziffer 4 des Bescheids wegen fehlender Begründung aufgehoben und den Antrag im Übrigen abgelehnt.
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Das Landratsamt hat den Sofortvollzug der Abgabeverpflichtung des Führerscheins in Ziffer 2 des Bescheids vom 27. Juli 2022 mit Bescheid vom 27. September 2022 erneut angeordnet.
18
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung hinsichtlich der Abgabepflicht des Führerscheins beruhe auf dem öffentlichen Interesse an der Beseitigung des Rechtsscheins, dass der Kläger als Besitzer des Führerscheins auch Inhaber der Fahrerlaubnis ist. Durch diese Maßnahme solle schnellstmöglich sichergestellt werden, dass der Führerschein eingezogen und dadurch die Möglichkeit unterbunden wird, bei Verkehrskontrollen den Anschein erwecken zu können, noch im Besitz einer Fahrerlaubnis zu sein. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger das Innehaben der Fahrerlaubnis vortäuschen möchte, müssten zur Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht vorliegen.
19
Mit Schriftsatz vom 31. Oktober 2022 ließ der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten beantragen, den Bescheid des Beklagten vom 27. September 2022 aufzuheben. Weiterhin wurde beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen und die sofortige Vollziehung der Verfügung der Beklagten aus dem Bescheid vom 27.09.2022 aufzuheben.
20
Der Antragsgegner beantragte mit Schriftsatz vom 8. November 2022,
21
Der Antrag sei als unbegründet abzuweisen. Es werde insofern auf den Bescheid vom 27. September 2022 verwiesen. Hiermit habe der Beklagte allein den Sofortvollzug der Abgabepflicht des Führerscheins angeordnet und insoweit die fehlende Begründung für den Sofortvollzug nachgeholt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird gemäß § 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO analog auf den Inhalt der Gerichtsakte und der vorgelegten Behördenakte Bezug genommen.
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Der zulässige Antrag hat keinen Erfolg.
24
1. Der Antrag ist im wohlverstandenen Sinne des anwaltlich vertretenen Antragstellers dahingehend auszulegen, dass dieser die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage vom 24. August 2022 gegen Ziffer 2 des Bescheids vom 27. Juli 2022 begehrt, in der die Abgabeverpflichtung des Führerscheins angeordnet wurde.
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2. Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen bzw. im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr.1 bis 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Bei der Entscheidung hat das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung zu treffen, bei der das Interesse der Allgemeinheit an der sofortigen Vollziehung gegen das Interesse des Betroffenen an der aufschiebenden Wirkung abzuwägen ist. Dabei sind auch die überschaubaren Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zu berücksichtigen. Sind diese im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung offen, ist eine reine Interessenabwägung vorzunehmen. Das Gericht prüft im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO auch, ob die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der sofortigen Vollziehung gegeben sind.
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Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist der vorliegende Antrag abzulehnen, da die Klage des Antragstellers nach summarischer Überprüfung aller Voraussicht nach ohne Erfolg bleiben wird. Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Ziffer 2 des angefochtenen Bescheids wiegt insoweit schwerer als das Interesse des Antragstellers an der Widerherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage.
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a. Die Ziffer 2 des Bescheides erweist sich bei summarischer Prüfung als rechtmäßig. Insofern werden die Entscheidungsgründe des Beschlusses des Verwaltungsgerichts … vom 2. September 2022 (Az. …*) vollumfänglich in Bezug genommen. Die Abgabeverpflichtung beruht auf der Rechtsgrundlage des § 47 Abs. 1 Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnisverordnung – FeV). Danach sind nach der Entziehung die von einer deutschen Behörde ausgestellten Führerscheine unverzüglich der entscheidenden Behörde abzuliefern. Die Anordnung zur Abgabe des Führerscheins hat sich nicht durch die zwischenzeitlich erfolgte Abgabe an das Landratsamt erledigt, sondern stellt eine Rechtsgrundlage für das Einbehalten des Dokuments dar (BayVGH, B.v. 6.10.2017 – 11 CS 17.953 – juris Rn. 9; B.v. 12.2.2014 – 11 CS 13.2281 – juris Rn. 22). Nachdem dem Kläger die Fahrerlaubnis zu Recht entzogen worden ist, ist die Abgabeverpflichtung als begleitende Anordnung geboten, um die Ablieferungspflicht nach § 47 Abs. 1 FeV durchzusetzen.
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b. Die Sofortvollzugsanordnung genügt auch den formalen Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO. Danach ist die Anordnung der sofortigen Vollziehung schriftlich zu begründen. Dabei hat die Behörde unter Würdigung des jeweiligen Einzelfalls darzulegen, warum sie abweichend vom Regelfall der aufschiebenden Wirkung, die Widerspruch und Klage grundsätzlich zukommt, die sofortige Vollziehbarkeit des Verwaltungsaktes angeordnet hat. Es entspricht der neueren Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, dass die aufschiebende Wirkung einer Klage gegen die Abgabeverpflichtung des Führerscheins nicht kraft Gesetzes gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i. V. m. § 47 Abs. 1 Satz 1 und 2 FeV entfällt, sondern von der Behörde nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO angeordnet werden muss (vgl. BayVGH, B.v. 22.9.2015 – 11 CS 15.1447 – LS). Dementsprechend sind gemäß § 80 Abs. 3 VwGO zwei Begründungen – hinsichtlich der Entziehung und hinsichtlich der Abgabeverpflichtung – erforderlich (Will in BeckOK, Straßenverkehrsrecht, Stand 15.7.2022, § 47 FeV Rn. 52). An den Inhalt der Begründung sind im Fahrerlaubnisrecht keine zu hohen Anforderungen zu stellen. Dies muss erst recht gelten, wenn – wie hier mit der Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins – lediglich ein Vollzugsakt bzw. eine Nebenverfügung zu einem sofort vollziehbaren Verwaltungsakt inmitten steht. Die Begründung der neuen Sofortvollzugsanordnung vom 27. September 2022 geht darauf ein, weshalb das öffentliche Interesse dem individuellen Interesse des Antragstellers, seinen Führerschein bis zum Abschluss der Hauptsache zu behalten, vorgeht. So wird die Sofortvollzugsanordnung insbesondere damit begründet, dass ein überwiegendes öffentliches Interesse an der sofortigen Beseitigung des durch den Führerschein vermittelten Rechtsscheins besteht. Einzelfallbezogener Erwägungen dergestalt, dass in der Person des Antragstellers konkrete Anhaltspunkte für das Vortäuschen des Innehabens einer Fahrerlaubnis bestehen, bedarf es für eine ordnungsgemäße Begründung des Sofortvollzuges nicht (vgl. VG München, B.v. 8.7.2020 – 6 S 20.2061 – BeckRS 2020, 20547 Rn. 22, 23).
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3. Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller als unterliegende Partei, § 154 Abs. 1 VwGO.
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4. Die Höhe des Streitwerts ergibt sich aus § 63 Abs. 2, § 53 Abs. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (s. NVwZ-Beilage 2013, 57). Die Bedeutung der Sache für den Antragsteller wird vorliegend nach der Höhe des angedrohten Zwangsgeldes im Falle einer nicht fristgerechten Ablieferung des Führerscheins bemessen. Für diesen Fall wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 500,00 EUR angedroht. Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist der Streitwert zu halbieren.