Titel:
Terminsgebühr, Erledigungsgebühr, Kostenerinnerung, Kostenfestsetzungsbeschluss, Einstellungsbeschluss, Untätigkeitsklage, Erledigung, Ruhen des Verfahrens
Normenketten:
VV-RVG Nr. 3104
Nrn. 1002, 1003 VV-RVG
VwGO § 101 Abs. 3
Schlagworte:
Terminsgebühr, Erledigungsgebühr, Kostenerinnerung, Kostenfestsetzungsbeschluss, Einstellungsbeschluss, Untätigkeitsklage, Erledigung, Ruhen des Verfahrens
Fundstelle:
BeckRS 2022, 43466
Tenor
1. Die Erinnerung wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens trägt der Erinnerungsführer.
Gründe
1
Der Klägerbevollmächtigte begehrt eine höhere Kostenerstattung, als sie ihm mit dem Kostenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin vom 4. Oktober 2022 zugestanden worden ist.
2
Gegenstand der zugrundeliegenden Klage (Az. …*) war die Anfechtung eines Bescheides des Landratsamts … vom 19. August 2021, in dem die Entziehung der Fahrerlaubnis des Klägers angeordnet wurde. Nachdem der Klägerbevollmächtigte am 14. September 2021 Widerspruch gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis eingelegt hat, das Widerspruchsverfahren an die Regierung … abgegeben wurde und diese auch nach Aufforderung durch Schreiben vom 8. Dezember 2021 nicht über den Widerspruch entschieden hat, ohne besondere Hinderungsgründe zu benennen, hat der Klägerbevollmächtigte eine Untätigkeitsklage erhoben. Die Regierung … hat mit Schreiben vom 7. Januar 2022 an den Klägerbevollmächtigten erläutert, dass aufgrund eines Bearbeiterwechsels und umfangreicher anderer zu bearbeitender Angelegenheiten, insbesondere im Zusammenhang mit dem Ausgleich von Schäden durch die Corona-Pandemie, derzeit nicht absehbar sei, wann eine Entscheidung erfolgen könne, der Widerspruch nach oberflächlicher Durchsucht der Akte jedoch wahrscheinlich zurückgewiesen werden müsse. Das Verwaltungsgericht setzte das Verfahren mit Beschluss vom 4. April 2022 gemäß § 75 Satz 3 VwGO aus und forderte die Regierung … als Widerspruchsbehörde auf, die Entscheidung über den Widerspruch innerhalb von zwei Monaten vorzulegen. Mit Bescheid der Regierung … vom 19. Mai 2022 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Der Klägerbevollmächtigte erklärte den Rechtsstreit mit Schriftsatz vom 21. Juni 2022 für erledigt. Mit Schreiben vom 19. Juli 2022 wies das Verwaltungsgericht das Landratsamt darauf hin, dass der Rechtsstreit nach § 116 Abs. 2 Satz 2 VwGO auch erledigt ist, wenn der Beklagte der Erledigungserklärung nicht innerhalb von zwei Wochen seit Zustellung der Erledigungserklärung widerspricht. Nachdem ein Widerspruch des Beklagten innerhalb dieser Frist nicht eingegangen ist, wurde das Verfahren mit Beschluss vom 8. August 2022 eingestellt.
3
Unter dem 25. August 2022 beantragte der Klägerbevollmächtigte die Kostenfestsetzung in Höhe von 1.414,91 EUR. Neben der Verfahrensgebühr wurde auch eine Erledigungsgebühr (Nr. 1002, 1003 VV-RVG) und eine Terminsgebühr (Nr. 3104 VV-RVG) sowie die Pauschale für Post- und Telekommunikationsleistungen geltend gemacht.
4
Der Klägerbevollmächtigte wurde zum Kostenfestsetzungsantrag angehört, hat sich jedoch nicht innerhalb der gesetzten Anhörungsfrist von drei Wochen hierzu nicht mehr geäußert.
5
Mit Beschluss der Urkundsbeamtin des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 4. Oktober 2022 wurden die dem Klägerbevollmächtigte zu erstattenden Kosten in Höhe von 540,50 EUR festgesetzt. Eine Terminsgebühr und eine Erledigungsgebühr wurden nicht festgesetzt.
6
Mit Schriftsatz vom 18. Oktober 2022 beantragte der Klägerbevollmächtigte hinsichtlich des Kostenfestsetzungsbeschlusses die gerichtliche Entscheidung. Es sei nicht richtig, dass das Gericht die Erledigungs- und Terminsgebühr nicht festgesetzt habe. Die besondere Mitwirkung des Rechtsanwalts liege hier darin, dass er sich nach dem Aussetzungsbeschluss des Gerichts mit der Behörde in Verbindung gesetzt und Stellung genommen habe. Daraufhin sei der Widerspruchsbescheid ergangen, weshalb die Erledigungsgebühr festzusetzen sei. Verwiesen werde auf eine Entscheidung des Baden-Württembergischen Verwaltungsgerichtshofs (VGH Mannheim, JurBüro 1992, 96 f). Eine Terminsgebühr könne auch ohne Termin oder Besprechung zwischen den Parteien entstehen, nämlich dann, wenn in einem Verfahren, für welches eine mündliche Verhandlung vorgesehen sei, durch das Gericht ohne eine solche entschieden werde. Deshalb sei der Tatbestand vorliegend erfüllt.
7
Die Urkundsbeamtin half der Erinnerung nicht ab und legte sie am 15. November 2022 dem Gericht zur Entscheidung vor.
8
Der Erinnerungsgegner hält den Kostenfestsetzungsbeschluss für rechtmäßig und verwies mit Schriftsatz vom 1. Dezember 2022 auf die Argumentation im Kostenfestsetzungsbeschluss.
9
Zur Ergänzung der Sachverhaltsschilderung wird auf den weiteren Akteninhalt Bezug genommen.
10
Über den Antrag auf gerichtliche Entscheidung (sog. Erinnerung) entscheidet nach Maßgabe von §§ 164, 165 Satz 2 i. V. m. § 151 Satz 1 VwGO das Gericht des ersten Rechtszugs. Funktionell zuständig ist, wer die zugrundeliegende Kostenentscheidung getroffen hat, vorliegend folglich die Berichterstatterin (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 165 Rn. 7).
11
Die Erinnerung ist zulässig, aber nicht begründet. Die von der Urkundsbeamtin vorgenommenen Kürzungen des Erstattungsbegehrens des Klägerbevollmächtigten entsprechen der Rechtslage. Die Terminsgebühr sowie die Erledigungsgebühr wurden im Kostenfestsetzungsbeschluss des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 4. Oktober 2022 zu Recht nicht festgesetzt.
12
Eine Terminsgebühr nach Nr. 3104 des Vergütungsverzeichnisses zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (VV-RVG) ist nicht angefallen. Weder hat ein Gerichtstermin stattgefunden, noch eine außergerichtliche Besprechung. Insbesondere sind die Voraussetzungen des Abs. 1 Nr. 1 der Nr. 3104 VV-RVG nicht erfüllt. Danach entsteht die Terminsgebühr zwar insbesondere auch dann, wenn in einem Verfahren, für das grundsätzlich mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden wird. Das gilt aber nur für den Fall, dass die Entscheidung des Rechtsstreits in der Hauptsache nach § 101 Absatz 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung ergeht. Sinn der betreffenden Gebührenregelung ist es nämlich, dass der Prozessbevollmächtigte, der im Hinblick auf den Grundsatz der Mündlichkeit (§ 101 Absatz 1 VwGO) an sich erwarten kann, in der mündlichen Verhandlung eine Terminsgebühr zu verdienen, keinen Nachteil erleidet, wenn auf eine mündliche Verhandlung verzichtet wird. Vorliegend wurde das Verfahren mit dem Az. … jedoch gemäß § 161 Abs. 2 Satz 2 VwGO durch Beschluss eingestellt. Einstellungsbeschlüsse können gemäß § 101 Abs. 3 VwGO unabhängig vom Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung ergehen. Deshalb liegen die Tatbestandsvoraussetzungen der Terminsgebühr nicht vor (vgl. BGH, B. v. 25.09.2007 – VI ZB 53/06 – juris Rn. 8 zu den entsprechenden Bestimmungen in § 128 der Zivilprozessordnung – ZPO; VG Regensburg, B.v. 2.5. 2012 – RN 9 M 12.00402 – BeckRS 2021, 50728).
13
Auch eine Erledigungsgebühr nach den Nrn. 1002, 1003 VV-RVG hat die Urkundsbeamtin zu Recht nicht zugesprochen. Diese Gebühr entsteht nach Satz 1 der Anmerkung zu Nr. 1002 VV-RVG dann, wenn sich eine Rechtssache ganz oder teilweise nach Aufhebung oder Änderung des mit einem Rechtsbehelf angefochtenen Verwaltungsakts durch die anwaltliche Mitwirkung erledigt. Das gleiche gilt nach Satz 2, wenn sich eine Rechtssache ganz oder teilweise durch Erlass eines bisher abgelehnten Verwaltungsakts erledigt. Auch wenn das Mitwirkungserfordernis im Wortlaut des vorliegend in Betracht zu ziehenden Satzes 2 nicht nochmals wiederholt worden ist, so setzt die Erledigungsgebühr in jedem Fall eine besondere, über das Betreiben des Verfahrens hinausgehende, auf eine gütliche Streitbelegung abzielende anwaltliche Tätigkeit voraus. Unter anwaltlicher Mitwirkung im Sinne der Nrn. 1002, 1003 VV-RVG ist nach herrschender Meinung mehr als bloße Kausalität zu verstehen (vgl. Mayer in Mayer/Kroiß, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 8. Aufl. 2021, Nr. 2001 VV-RVG Rn. 17). Denn die Erledigungsgebühr stellt ein Honorar für Prozessbevollmächtigte dar, die durch ihre Mitwirkung erreicht haben, dass eine streitige Entscheidung des Gerichts in der Sache nicht mehr ergehen muss (vgl. BayVGH, B.v. 16.12.2011 – 15 C 11.2050 – juris Rn. 14).
14
Wie die Urkundsbeamtin im Kostenfestsetzungsbeschluss zutreffend ausgeführt hat, ist ein in diesem Sinn besonderes und deshalb besonders zu honorierendes Bemühen des Klägerbevollmächtigten um eine gütliche Streitbeilegung nicht erkennbar ist. Vielmehr hatte das Gericht bereits mit dem Ruhensbeschluss vom 4. April 2022 die Regierung … aufgefordert, über den Widerspruch binnen zwei Monaten nach Zustellung des Beschlusses zu entscheiden. Zwar kann richtigerweise grundsätzlich auch die anwaltliche Tätigkeit gegenüber einer Behörde während eines vom Gericht angeordneten Ruhens des Verfahrens den Tatbestand der Erledigungsgebühr begründen, wenn diese Tätigkeit zur Erledigung des Rechtsstreits führt, da die Behörde den erstrebten Verwaltungsakt erlässt (vgl. Mayer in Mayer/Kroiß, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 8. Aufl. 2021, Nr. 2001 VV-RVG Rn. 18). Sofern die Entscheidung des Baden-Württembergischen Verwaltungsgerichtshofs (VGH BW, B.v. 5.9.1991 – 11 S 1005/91) vom Klägerbevollmächtigten zur Begründung einer Erledigungsgebühr herangezogen wird, so muss dem jedoch entgegengehalten werden, dass der Sachverhalt, der dieser Entscheidung zugrunde lag, sich von dem vorliegenden Sachverhalt erheblich unterscheidet. Während des Ruhens des Verfahrens hat der Anwalt einen Schriftsatz an die Beklagte gerichtet, in welchem er auf die geänderten Umstände sowie auf eine neue Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hingewiesen hat mit der Bitte, die streitgegenständliche Entscheidung zu überdenken und ihn klaglos zu stellen. Daraufhin hat die Beklagte den Bescheid aufgehoben. In diesem Schriftsatz liegt eine besondere anwaltliche Tätigkeit in Form eines erfolgreichen Hinwirkens auf eine Beendigung des Rechtsstreits ohne Sachentscheidung, die im hiesigen Verfahren nicht erkennbar ist. In dem diesem Verfahren zugrundeliegenden Rechtsstreit wurde der Widerspruch von der Regierung … zurückgewiesen und eine Aufhebung des Entziehungsbescheides ist gerade nicht erfolgt. Weiterhin ist kein besonderes Bemühen des Klägerbevollmächtigten im Hinblick auf eine Erledigung des Rechtsstreits erkennbar.
15
Somit war der Antrag auf gerichtliche Entscheidung mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Gerichtsgebühren fallen für das Erinnerungsverfahren nicht an (BVerwG, B.v. 13.1.2022 – 7 KSt 2.21 – juris Rn. 6; BayVGH, B.v. 7.4.2022 – 8 M 22.584 – juris Rn. 18; Kunze in BeckOK VwGO, 63. Edition Stand: 1.10.2022, § 165 Rn. 11). Eine Streitwertfestsetzung ist somit entbehrlich.