Titel:
Titelgegenklage analog § 767 Abs. 1 ZPO bei Zwangsvollstreckung aus Prozessvergleich
Normenketten:
ZPO § 767 Abs. 1, § 770, § 794 Abs. 1 Nr. 1
BGB § 371 S. 1
Leitsatz:
Die Regelung in einem vor dem Arbeitsgericht geschlossenen Prozessvergleich, nach der der Arbeitnehmer "unwiderruflich unter Fortzahlung der monatlichen Vergütung ... und unter Anrechnung auf offene Urlaubsansprüche bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung freigestellt [wird]", hat hinsichtlich der Entgeltforderung keinen vollstreckungsfähigen Inhalt. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Prozessvergleich, Einstellung der Zwangsvollstreckung, Titelgegenklage, Freistellung, Titelherausgabe
Vorinstanz:
ArbG Weiden, Beschluss vom 20.12.2019 – 4 Ca 472/19
Rechtsmittelinstanz:
LArbG Nürnberg, Urteil vom 14.12.2022 – 4 Sa 132/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 43462
Tenor
1. Die Zwangsvollstreckung aus dem Beschluss des Arbeitsgerichts Weiden vom 20.12.2019 (Az. 4 Ca 472/19) wird für unzulässig erklärt.
2. Die Beklagte wird verurteilt, die vollstreckbare Ausfertigung des unter Ziffer 1 ge- nannten Vollstreckungstitels an die Klägerin herauszugeben.
3. Die Zwangsvollstreckung aus dem unter Ziffer 1 bezeichneten Vollstreckungstitel wird bis zur Rechtskraft des Urteils ohne Sicherheitsleistung eingestellt.
4. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
5. Der Streitwert wird auf 48.000 € festgesetzt.
6. Die Berufung wird nicht gesondert zugelassen.
Tatbestand
1
Die Klägerin begehrt die Einstellung der Zwangsvollstreckung aus einem Vergleich und die Herausgabe der vollstreckbaren Ausfertigung.
2
Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 20.12.2019 festgestellt, dass zwischen den Parteien ein gerichtlicher Vergleich mit folgendem Inhalt zustande gekommen ist:
3
1. Das Arbeitsverhältnis der Parteien endet aufgrund ordentlicher betriebsbedingter Arbeitgeberkündigung vom 26.04.2019 mit Ablauf des 31.12.2020.
4
2. Die Klägerin wird ab 01.11.2019 unwiderruflich unter Fortzahlung der monatlichen Vergütung in Höhe von 4.000,00 € brutto und unter Anrechnung auf offene Urlaubsansprüche bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung freigestellt.
5
3. Die Klägerin hat die Möglichkeit, das Arbeitsverhältnis gegenüber der Beklagten mit einer Frist von 14 Kalendertagen schriftlich vorzeitig zum Monatsende zu beenden. Bei vorzeitiger Beendigung des Arbeitsverhältnisses erhält die Klägerin eine Abfindung, die den Bruttogehältern, die beim vorzeitigen Beendigungstermin bis zu dem in Ziffer 1 dieses Vergleichs vereinbarten Beendigungstermin angefallen wären, entspricht.
6
4. Die Beklagte verpflichtet sich, der Klägerin ein wohlwollendes, qualifiziertes Arbeitszeugnis, das sich auf die Leistung und das Verhalten im Arbeitsverhältnis erstreckt, mit dem Gesamtprädikat „stets zur vollsten Zufriedenheit“ auszustellen und zu übersenden.
7
5. Darüber hinaus bestehen aus dem Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung keine finanziellen Ansprüche mehr.
8
Die Beklagte betrieb die Zwangsvollstreckung aus Ziffer 2 des Beschlusses bezüglich von Entgeltforderungen. Sie fordert von der Klägerin die Zahlung der Vergütung für die Zeit von Januar bis Dezember 2020 in Höhe von 4.000 € brutto monatlich.
9
Mit Schriftsatz vom 16.07.2021 erhob die Klägerin Vollstreckungsabwehrklage zum hiesigen Gericht und beantragte gleichzeitig die Einstellung der Zwangsvollstreckung. Zur Begründung ihres Einstellungsantrags trägt sie vor, die Beklagte des Verfahrens 4 Ca 472/19 habe ihre Firma durch Beschluss der Gesellschafterversammlung vom 30.06.2021 in die im Rubrum dieser Klageschrift benannten Bezeichnung der Klägerin („B.“) geändert.
10
Im Übrigen habe sie – die hiesige Klägerin – auch Teile ihres Vermögens auf die neu gegründete J. übertragen. Da die Klägerin sämtliche Gegenstände des Aktiv- oder Passivvermögens an die K. abgespalten habe, die nicht Grundbesitz, grundstücksgleiche Rechte und Geschäftsanteile an grundstücksgleichen Tochtergesellschaften betreffen, seien auch die vermeintlich streitgegenständlichen Forderungen abgespalten worden. Daher könne gegen die Klägerin bereits aus formalen Gründen nicht mehr vollstreckt werden.
11
Die Klägerin ist ferner der Auffassung, dass die Ziffer 2 des Vergleichs keinen vollstreckungsfähigen Inhalt aufweise. Zudem sei die Beklagte nicht mehr Forderungsinhaberin der streitgegenständlichen Forderungen, weil sie bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses Krankengeld bezogen habe.
12
Das Gericht hat mit Beschluss vom 29.07.2021 (Bl. 39 ff. d. A.) die beantragte einstweilige Anordnung erlassen und die Zwangsvollstreckung bis zur Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits einstweilen eingestellt.
13
Die Klägerin beantragt,
1. Die Zwangsvollstreckung aus dem Beschluss des Arbeitsgerichts Weiden vom 20.12.2019 (Az. 4 Ca 472/19) wird für unzulässig erklärt.
2. Die Beklagte wird verurteilt, die vollstreckbare Ausfertigung des unter Ziffer 1. genannten Vollstreckungstitels an die Klägerin herauszugeben.
3. Die Zwangsvollstreckung aus dem unter Ziffer 1 bezeichneten Vollstreckungstitel wird bis zur Rechtskraft des Urteils ohne Sicherheitsleistung eingestellt.
14
Die Beklagte beantragt,
Die Klage wird abgewiesen.
15
Die Beklagte trägt vor, das Vorbringen der Klägerin zur Abspaltung werde bestritten. Die Übertragung von Verbindlichkeit auf Dritte ohne Zustimmung des Gläubigers halt sie für unzulässig. Zudem existiere die Beklagte noch und besitze Vermögen. Wenn Ziffer 3 (gemeint wohl Ziffer 2) des Vergleichs keinen vollstreckungsfähigen Inhalt bezüglich der Entgeltzahlungen aufweise, sei die Klage bereits aus diesem Grunde unbegründet.
16
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Niederschriften über die mündliche Verhandlung vom 26.08.2021 sowie 11.02.2022 Bezug genommen. Eine Beweisaufnahme hat nicht stattgefunden.
Entscheidungsgründe
17
Die Klage ist erfolgreich. Die Zwangsvollstreckung aus Ziffer 2 des Vergleichs ist nach § 767 Abs. 1 ZPO analog unzulässig.
18
1. Das Arbeitsgericht Weiden ist zur Entscheidung über den Rechtsstreit berufen. Die Rechtswegzuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen ergibt sich aus § 2 Abs. 1 Nr. 3a ArbGG.
19
2. Die Klage ist zulässig, insbesondere ergibt sich die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts als Prozessgericht des ersten Rechtszugs (§§ 767 Abs. 1, 802 ZPO). § 767 Abs. 1 ZPO ist analog bei Titelgegenklagen anzuwenden. Mit einer Titelgegenklage werden der Vollstreckung entgegenstehende Defizite des Titels (Unwirksamkeit, mangelnde Bestimmtheit) geltend gemacht. Eine solche Titelgegenklage liegt hier vor, da sich die Klägerin u. a. darauf beruft, dass Ziffer 2 des Vergleichs keinen vollstreckungsfähigen Inhalt habe und die Zwangsvollstreckung bereits deshalb einzustellen sei.
20
Die Klage ist auch in der Sache erfolgreich.
21
1. Die Zwangsvollstreckung aus dem gerichtlichen Vergleichsbeschluss vom 20.12.2019 ist nach den §§ 767Abs. 1 analog, 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO für unzulässig zu erklären.
22
Der Anspruch besteht bereits deshalb, weil Ziffer 2 des Vergleichs keinen vollstreckungsfähigen Inhalt hinsichtlich von Entgeltforderungen enthält. Sie regelt die Freistellung der Beklagten, enthält jedoch keine eigenständige Zahlungsverpflichtung der Klägerin. Bereits der Wortlaut der Bestimmung bezieht sich nur auf die Freistellung („Die Klägerin wird …freigestellt“). Soweit die Parteien dort weitere Regelungen getroffen haben, dienen diese nur dazu, die Umstände der Freistellung zu konkretisieren. Demnach sollte die Freistellung „unwiderruflich unter Fortzahlung der monatlichen Vergütung“ und „unter Anrechnung auf offene Urlaubsansprüche“ erfolgen. Regelungsgegenstand war dennoch ausschließlich die Freistellung der Beklagten und keine Zahlungsverpflichtungen.
23
Dass die Ziffer 2 keinen vollstreckungsfähigen Zahlungsanspruch tituliert, ergibt sich auch aus der fehlenden Bestimmung der Anspruchshöhe. Es bliebe dem Vollstreckungsorgan überlassen, die Höhe des Anspruchs festzulegen. Es müsste selbst prüfen, was die Parteien unter der Formulierung „bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses“ verstanden haben. Erst dann würde die Höhe der zu vollstreckenden Entgeltforderung feststehen. Das kann nicht richtig sein.
24
Nachdem die Zwangsvollstreckung wegen Entgeltforderungen in Gänze ausgeschlossen ist, ist sie für unzulässig zu erklären. Auf die weiteren von der Klägerin geltend gemachten Vollstreckungshindernisse kommt es für die Entscheidung der Kammer nicht an.
25
2. Der Klageantrag auf Herausgabe der vollstreckbaren Ausfertigung (§ 371 Satz 1 BGB analog) ist begründet.
26
3. Die durch Beschluss vom 29.07.2021 verfügte vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung ist bis zur Rechtskraft des vorliegenden Endurteils zu bestätigen (§ 770 Satz 1 ZPO).