Inhalt

ArbG Weiden, Beschluss v. 05.05.2022 – 3 BV 4/22
Titel:

Erfolgreiche Anfechtung einer Betriebsratswahl

Normenkette:
BetrVG § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 4, § 18 Abs. 2, § 19 Abs. 1, Abs. 2 S. 1
Leitsätze:
1. Eine Betriebsratswahl ist nur nichtig bei groben und offensichtlichen Verstößen gegen wesentliche Grundsätze des gesetzlichen Wahlrechts, die so schwerwiegend sind, dass auch der Anschein einer dem Gesetz entsprechenden Wahl nicht mehr besteht. Dies ist bei einer Betriebsratswahl, die unter Verkennung des Betriebsbegriffs durchgeführt worden ist, grundsätzlich nicht der Fall. Sie hat in der Regel nur die Anfechtbarkeit der Wahl zur Folge. (Rn. 26 – 31) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Wahl eines Betriebsrats kann angefochten werden, wenn gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen wurde und eine Berichtigung nicht erfolgt ist, es sei denn, durch den Verstoß konnte das Wahlergebnis nicht verändert oder beeinflusst werden. Ein solcher Verstoß liegt u. a. vor, wenn bei der Wahl der betriebsverfassungsrechtliche Betriebsbegriff verkannt wurde.  (Rn. 33 – 34) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Betriebsrat, betriebsorganisatorische Einheit, Wahlrecht, Wahlverfahren, Anfechtung, Verkennung des Betriebsbegriffs
Rechtsmittelinstanzen:
ArbG Weiden, Berichtigungsbeschluss vom 05.07.2022 – 3 BV 4/22
LArbG Nürnberg, Beschluss vom 26.01.2023 – 1 TaBV 22/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 43397

Tenor

1. Die Betriebsratswahl des unternehmenseinheitlichen Betriebsrates vom 01.03.2022 wird für unwirksam erklärt.
2. Der Antrag zu 1.) wird zurückgewiesen.

Gründe

I.
1
Die Beteiligten streiten um die Anfechtung einer Betriebsratswahl.
2
Die Beteiligte zu 41) betreibt in Deutschland 531 … werkstätten (Filialen) mit integriertem …-Fachmarkt. Sie beschäftigt dabei deutschlandweit mehr als 8.000 Mitarbeiter.
3
Beteiligter zu 40) ist der durch die streitgegenständliche Wahl vom 01.03.2022 erstmalig gewählte unternehmenseinheitliche Betriebsrat, dessen Sitz am Unternehmenssitz der Beteiligten zu 41) in CA-Stadt, angesiedelt ist.
4
Die Antragsteller und Beteiligten zu 1) bis zu 39) sind wahlberechtigte Arbeitnehmer der Beteiligten zu 41) aus den unterschiedlichen Filialen.
5
Vor der Wahl des unternehmenseinheitlichen Betriebsrates waren 235 der 532 Filialen durch einen Betriebsrat vertreten. Zudem gab es einen Gesamtbetriebsrat mit 51 Mitgliedern, von denen 21 Mitglieder zu 100 % und weitere 30 Mitglieder zu 50 % freigestellt waren.
6
Am 25.01.2021 bzw. am 05.02.2021 wurde zwischen der Beteiligten zu 41) und dem vormals bestehenden Gesamtbetriebsrat eine Gesamtbetriebsvereinbarung über die Bildung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrates nach § 3 Abs. 2, Abs. 1 Nr. 1 a) BetrVG (GBV) abgeschlossen. Diesbezüglich wird auf Bl. 18 ff. d.A. verwiesen. Diese GBV lautet auszugsweise:
§ 2
(1) Für die …-F. KG wird ein unternehmenseinheitlicher Betriebsrat für das gesamte Gebiet der Bundesrepublik Deutschland gebildet. Im unternehmens-einheitlichen Betriebsrat sollen möglichst Mitglieder aus allen Bezirken vertreten sein. Er löst sowohl den bisherigen GBR als auch die örtlichen Betriebsräte der Betriebe der …-F. KG ab.
7
Nach Kenntniserlangung von dieser GBV leiteten 36 örtliche Betriebsräte im Hinblick auf die bevorstehenden Betriebsratswahlen Statusverfahren gem. § 18 II BetrVG mit dem Ziel der Feststellung ein, dass die örtlichen Filialen weiterhin jeweils als betriebsratsfähige Organisationseinheiten anzusehen sind.
8
Aufgrund der mündlichen Anhörung vom 03.02.2022 hat die 3. Kammer des Arbeitsgerichts Weiden entschieden, dass am Standort des antragstellenden Betriebsrates der Filiale in A-Stadt, A-Str. in A-Stadt, auch nach dem Abschluss der Gesamtbetriebsvereinbarung weiterhin eine betriebsratsfähige Organisationseinheit besteht. Die übrigen Beschlussverfahren wurden jeweils zurückgenommen. In der Beschlussbegründung wurde festgehalten, dass die GBV unwirksam ist, damit die Voraussetzungen für die Errichtung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrates nicht vorliegen und diese Entscheidung ihre Bindungswirkung nicht nur im Verhältnis der Beteiligten zueinander, sondern auch im Verhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber entfaltet (3 BV 9/21).
9
Ungeachtet dessen wurde am 01.03.2022 die Wahl des unternehmenseinheitlichen Betriebsrates auf Grundlage der GBV durchgeführt. Mit Schreiben des Wahlvorstands vom 03.03.2022 wurde das Wahlergebnis bekanntgegeben.
10
Dagegen wenden sich vorliegend die anfechtenden Arbeitnehmer. Mit ihrer Antragsschrift vom 17.03.2022, die am selben Tag bei Gericht eingereicht und den Beteiligten zu 40) und zu 41) jeweils am 22.03.2022 zugestellt wurde, machen sie die Nichtigkeit und hilfsweise die Unwirksamkeit der Betriebsratswahl geltend. Obwohl das Arbeitsgericht die Unwirksamkeit der GBV festgestellt habe, sei die Wahl auf deren Grundlage durchgeführt worden, was eine offensichtliche Verkennung des Betriebsbegriffes darstelle. Auch eine noch nicht rechtskräftige gerichtliche Entscheidung in einem Verfahren nach § 18 II BetrVG sei von den Beteiligten bei der Bestimmung des Betriebsbegriffes im Hinblick auf eine bevorstehende Betriebsratswahl zu beachten. Danach sei die Wahl insgesamt im „falschen Betrieb“ durchgeführt worden, was nicht mehr zu berichtigen sei und einen so schwerwiegenden Verstoß darstelle, dass die Wahl insgesamt nichtig und jedenfalls anfechtbar sei. Wegen weiterer Einzelheiten zum umfangreichen Vorbringen der Beteiligten zu 1)-39) wird vollumfänglich und bezüglich aller Details auf die hierzu eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
11
Die Beteiligten zu 1)-39) beantragen:
1. Es wird festgestellt, dass die Betriebsratswahl des unternehmenseinheitlichen Betriebsrates vom 01.03.2022 nichtig ist.
Hilfsweise für den Fall des Unterliegens mit dem Antrag zu 1):
2. Die Betriebsratswahl des unternehmenseinheitlichen Betriebsrates vom 01.03.2022 wird für unwirksam erklärt.
12
Die Beteiligten zu 40) und zu 41) beantragen hingegen,
die Anträge zurückzuweisen.
13
Der Beteiligte zu 40) trägt vor, dass die Planung für die Betreuung der einzelnen Filialen inzwischen weiter fortgeschritten sei. So gebe es eine aktualisierte Fassung der GBV, die auch die Ausstattung des Betriebsrates mit Sachmitteln und Kostenfragen regele und eine Geschäftsordnung des unternehmenseinheitlichen Betriebsrates mit Anhang, in dem die konkrete Arbeitsweise beschrieben sei. Das sich daraus ergebende Betreuungs- und Kompensationskonzept zum Ausgleich bestimmter Defizite bei der Ortsnähe müsse bei der Frage der Wirksamkeit der GBV berücksichtig werden. Auch sei die technische Entwicklung und Selbstverständlichkeit von technisch basierter Kommunikation zu beachten. Es sei geplant, 50 Mitglieder des unternehmenseinheitlichen Betriebsrates und zwei Kommunikationsbeauftragte mit der systematischen Betreuung der Filialen zu beauftragen. Es sollen jeweils zwei …-Vertriebsbezirke mit ca. 25-30 Filialen pro Bezirk von einem Team von vier bis fünf Betriebsratsmitgliedern betreut werden, wobei einem Betriebsratsmitglied jeweils bestimmte Filialen fest zugeordnet werden, die dann regelmäßig nach einem bestimmten Besuchsplan bzw. nach Bedarf und auf Anforderung bereist würden. Die weiteren 20-25 freigestellten Betriebsratsmitglieder würden vorrangig die Fachausschüsse besetzen und den die Filialen betreuenden Betriebsratsmitgliedern zuarbeiten. Durch das Betreuungskonzept solle sichergestellt werden, dass alle Beschäftigten trotz räumlich weiter Entfernung zum Betriebsratssitz in CA-Stadt regelmäßig Kontakt zu einem Betriebsratsmitglied haben. Der neue Betriebsrat sei auch nach seiner Wahl schon aktiv geworden und habe bis Ende April 2022 bereits 600 Filialbesuche getätigt. Auch sei bereits eine Regelungsabrede zur Personaleinsatzplanung bei kurzfristigen Angelegenheiten abgeschlossen worden (vgl. Bl. 254 und 266 ff. d.A.). Die Zahl der gebildeten Betriebsratsgremien sei über die Jahre deutlich rückläufig gewesen, obwohl der Gesamtbetriebsrat (GBR) große Anstrengungen zur Initiierung von Betriebsratswahlen unternommen habe. Die „weißen Flecken“ auf der Betriebsverfassungslandkarte seien dennoch größer geworden. Die größtenteils einköpfigen Betriebsratsgremien schlössen praktisch keine mit ihnen selbst verhandelte Betriebsvereinbarungen mit der Arbeitgeberin ab, sondern würden im Wesentlichen Gesamtbetriebsvereinbarungen anwenden bzw. übernehmen (vgl. Bl. 198 ff. d.A.). De facto agiere der GBR seit Jahren wie ein unternehmenseinheitlicher Betriebsrat. Darum und auch wegen der zunehmenden Zentralisierung auf Arbeitgeberseite hätten die Gesamtbetriebsparteien auf Grundlage des Ihnen zustehenden Einschätzungsspielraums eine Entscheidung zu Gunsten des unternehmenseinheitlichen Betriebsrates getroffen. Für eine Zusammenfassung von Betrieben nach § 3 I Nr. 1 b BetrVG habe sich im GBR keine Mehrheit gefunden. Es sei zu befürchten gewesen, dass sich in einer Reihe von Bezirken entsprechend der existierenden Verkaufsbezirke keine ausreichende Zahl von Kandidaten für die Betriebsratswahl gefunden hätte. Jedenfalls hätten die Gesamtbetriebsparteien die Einschätzung getroffen, dass bei Bildung von 20 betrieblichen Einheiten für die Wahl von Regionalbetriebsräten sich die „weißen Flecken“ nicht würden verringern lassen. Auch die starke Zentralisierung der Entscheidungsstrukturen hinsichtlich sozialer Angelegenheiten nach § 87 f. BetrVG aber auch wesentlicher Bereiche der personellen Einzelmaßnahmen sprächen für einen unternehmenseinheitlichen Betriebsrat. Die Wahl sei daher keineswegs nichtig und – bei richtiger Anwendung der BAG-Rechtsprechung zur Thematik und ausreichender Anerkennung des erheblichen Entscheidungsspielraums der Betriebsparteien hinsichtlich der Voraussetzungen des § 3 BetrVG – auch nicht unwirksam. Wegen weiterer Einzelheiten zum umfangreichen Vorbringen des Beteiligten zu 40) wird vollumfänglich und bezüglich aller Details auf die hierzu eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
14
Auch die Beteiligte zu 41) hält die angefochtene Wahl weder für nichtig, noch für unwirksam. Die gegenständliche GBV sei wirksam. Die Voraussetzungen des § 3 I Nr. 1 a BetrVG lägen nach Auffassung der Gesamtbetriebsparteien vor. Die frühere dreistufige Hierarchiestruktur sei im Herbst 2019 in eine zweistufige Filialorganisation geändert worden. Die Unternehmensleitung liege bei der Zentrale in CA-Stadt, wo auch die Entscheidungskompetenzen in beteiligungspflichtigen Angelegenheiten zentral angesiedelt seien. Die wichtigen Entscheidungen für die Filialen würden zentral auf der Unternehmensebene getroffen. Es existierten 20 Bezirke mit je einem Vertriebsleiter, dem jeweils die in seinen Bezirk fallenden Filialen zugeordnet seien. In den Filialen gebe es Filialleiter, der aber kein „Personalleiter des Betriebes“ sei. Die Filialen seien überwiegend verhältnismäßig klein mit weniger als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern. Nur ganz vereinzelt seien für die jeweiligen Filialen eigene Betriebsvereinbarungen abgeschlossen worden. Am 23.02.2022 sei eine weitere Gesamtbetriebsvereinbarung zur Präzisierung und Ergänzung der Betriebsratsstruktur geschlossen worden (Bl. 112, 177 ff.). Diese neue GBV treffe weitergehende Regelungen zu Ausstattung und Mobilität des unternehmenseinheitlichen Betriebsrates. Die erforderliche Ortsnähe für die Betriebsvertretung würde durch die Ausstattung in personeller (vollfreigestellte Betriebsräte) und sächlicher Hinsicht (IT-Ausstattung) sowie durch die betriebsratsinterne Organisation mit Bezirksvertretern und festen Ansprechpartnern gewährleistet. Darüber hinaus diene die Vereinbarung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrates auch ersichtlich der Erleichterung der Bildung von Betriebsräten und führe damit zu einer dauerhaft stabilen Ausgestaltung. Höchstrichterlich ungeklärt sei, ob hinsichtlich der Ortsnähe kompensatorische Maßnahmen wie die Vollfreistellung, die Ausstattung, das Betreuungskonzept berücksichtigt werden können. Die Beteiligte zu 41) habe sich nicht bewusst über die Feststellungen aus dem Beschluss des Arbeitsgerichts vom 03.02.2022 hinweggesetzt. Dieser Beschluss sei nicht rechtskräftig und habe keine unmittelbare Wirkung auf die anderen Filialen. Durch den Abschluss der neuen GBV hätten sich die maßgebenden Umstände geändert. Die einzelnen Filialen bei der Beteiligten zu 41) stellten im Übrigen auch keine betriebsratsfähigen Einheiten (mehr) dar (Bl. 130 ff. d.A.). Die Auffassung der Beteiligten zu 41) werde vom Großteil der Filialen mitgetragen. Lediglich 27 ehemalige Filialbetriebsräte hätten Wahlvorstände bestellt, schlussendlich habe aber nur in der Filiale 126 in A-Stadt eine Betriebsratswahl stattgefunden. Wegen weiterer Einzelheiten zum umfangreichen Vorbringen der Beteiligten zu 41) wird vollumfänglich und bezüglich aller Details auf die hierzu eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
15
Im Übrigen wird noch auf den sonstigen Akteninhalt verwiesen. Eine Beweisaufnahme hat nicht stattgefunden.
II.
16
Die Anträge sind teilweise erfolgreich. Die gegenständliche Betriebsratswahl ist wegen Verkennung des Betriebsbegriffs unwirksam, aber nicht nichtig.
17
Der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten ist eröffnet, §§ 2 a I Nr. 1 ArbGG, 19 BetrVG. Das Arbeitsgericht Weiden ist örtlich zuständig, § 82 I 1 ArbGG.
18
Die Anträge sind in der gestellten Form – auch was das Hilfsverhältnis anbelangt – zulässig (vgl. Hamacher, Antragslexikon ArbR, Wahlen zum Betriebsrat Rn. 17 ff.).
19
Die das Verfahren mit ihrer Antragstellung einleitenden Beteiligten zu 1)-39) sind ebenso wie der gewählte Betriebsrat als Anfechtungsgegner notwendige Beteiligte des vorliegenden Beschlussverfahrens, an dem auch die Arbeitgeberin als in ihrer betriebsverfassungsrechtlichen Ordnung stets Betroffene zu beteiligen war.
20
Nach § 19 I, II 1 BetrVG können mindestens drei Wahlberechtigte die Betriebsratswahl beim Arbeitsgericht anfechten, wenn gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen worden ist und eine Berichtigung nicht erfolgt ist, es sei denn, dass durch den Verstoß das Wahlergebnis nicht geändert oder beeinflusst werden konnte. Die Anfechtung ist nach § 19 II 2 BetrVG nur binnen einer Frist von zwei Wochen ab Bekanntgabe des Wahlergebnisses zulässig.
21
Die formellen Voraussetzungen für eine Anfechtung der Betriebsratswahl sind erfüllt.
22
Die Anfechtung erfolgte fristgerecht i.S.d. § 19 II 2 BetrVG. Hierfür genügt es, wenn der mit einer Begründung versehene Anfechtungsantrag bis zum Ablauf des letzten Tages der Zweiwochenfrist ab Bekanntgabe des Wahlergebnisses beim Arbeitsgericht eingegangen ist. Das ist hier der Fall, denn die begründete Anfechtungsschrift ging bei Gericht am 17.03.2022 ein und damit fristgerecht innerhalb der gem. §§ 187 I, 188 II 1. Alt. BGB bis 17.03.2022 laufenden Zweiwochenfrist ab Bekanntgabe des Wahlergebnisses am 03.03.2022.
23
Die Wahl wurde auch von deutlich mehr als drei Wahlberechtigten angefochten.
24
Im Rahmen der Antragsschrift vom 17.03.2022 werden durch den Verweis auf des vorangegangene Verfahren nach § 18 II BetrVG auch betriebsverfassungsrechtlich erhebliche Gründe vorgetragen, die möglicherweise zum Erfolg der gestellten Anträge führen (vgl. BAG vom 21.03.2017, 7 ABR 19/15).
25
Auch die materiellen Voraussetzungen einer Wahlanfechtung liegen vor. Die angefochtene Wahl ist zwar nicht nichtig. Sie ist aber anfechtbar, da der Betriebsbegriff verkannt wurde. Die Gesamtbetriebsvereinbarung über die Bildung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrates vom 25.01.2021 bzw. 05.02.2021 ist unwirksam. Es hätte damit kein unternehmenseinheitlicher Betriebsrat gewählt werden dürfen. Die Durchführung der Wahl auf der Grundlage der unwirksamen GBV stellt einen das Wahlergebnis beeinflussenden Verstoß i.S.d. § 19 I BetrVG dar.
26
Zwar ist die angefochtene Betriebsratswahl nicht nichtig.
27
Eine Betriebsratswahl ist nur nichtig bei groben und offensichtlichen Verstößen gegen wesentliche Grundsätze des gesetzlichen Wahlrechts, die so schwerwiegend sind, dass auch der Anschein einer dem Gesetz entsprechenden Wahl nicht mehr besteht. Wegen der weitreichenden Folgen einer von Anfang an unwirksamen Betriebsratswahl kann deren jederzeit feststellbare Nichtigkeit nur bei besonders gravierenden Wahlverstößen angenommen werden. Voraussetzung ist, dass der Mangel offenkundig und deshalb ein Vertrauensschutz in die Gültigkeit der Wahl zu versagen ist. Die Betriebsratswahl muss „den Stempel der Nichtigkeit auf der Stirn tragen“ (vgl. BAG vom 21.09.2011, 7 ABR 54/10).
28
Dies ist bei einer Betriebsratswahl, die unter Verkennung des Betriebsbegriffs durchgeführt worden ist, grundsätzlich nicht der Fall. Sie hat in der Regel nur die Anfechtbarkeit der Wahl zur Folge. Dies gilt auch dann, wenn es um eine Verkennung der „richtigen“ Rechtsgrundlage für die Bestimmung des Betriebsbegriffs geht, vorliegend also um die Frage, ob bei der Beteiligten zu 41) weiterhin jeweils in den bisherigen Organisationseinheiten nach §§ 1 und 4 BetrVG oder eben der unternehmenseinheitliche Betriebsrat auf Grundlage der GBV zu wählen ist (vgl. BAG vom 13.03.2013; 7 ABR 70/11; GK-BetrVG/Franzen, 11. Aufl., § 3 BetrVG Rn. 76). Dies ergibt sich daraus, dass die Beurteilung der Wirksamkeit oder Unwirksamkeit einer von der gesetzlichen Betriebsverfassung abweichenden Kollektiwereinbarung gem. § 3 I BetrVG regelmäßig mit schwierigen Fragestellungen verbunden ist. Daher dürfen die Betriebspartner im Grundsatz einmal von der Rechtswirksamkeit einer GBV gem. §§ 3 I Nr. 1, II BetrVG ausgehen (vgl. BAG vom 13.03.2013 für einen Zuordnungstarifvertrag gem. § 3 I BetrVG).
29
Hiernach ist die Betriebsratswahl nicht nichtig. Zwar wurde hier bei der Wahldurchführung der Betriebsbegriff verkannt, da die GBV unwirksam ist und dennoch auf deren Grundlage der Beteiligte zu 41) gewählt wurde (siehe hierzu noch unten). Dieser Fehler ist jedoch nicht so schwerwiegend, als dass der Anschein einer dem Gesetz entsprechenden Wahl nicht mehr bestünde. Vielmehr wurde lediglich in einer sachlich und rechtlich komplexen Situation eine unzutreffende Beurteilung vorgenommen.
30
Dabei übersieht das Gericht nicht, dass im „Vorverfahren“ gem. § 18 II BetrVG entschieden worden ist, dass am Standort des dort antragstellenden Betriebsrates in A-Stadt auch nach Abschluss der GBV weiterhin eine betriebsratsfähige Organisationseinheit besteht (Arbeitsgericht Weiden, 3 BV 9/21). Eine Betriebsratswahl, die entgegen einer bindenden gerichtlichen Entscheidung in einem Verfahren nach § 18 Abs. 2 BetrVG durchgeführt worden ist, kann nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nichtig sein, weil der Betriebsbegriff offensichtlich verkannt wurde. Dabei sollen die am Verfahren Beteiligten bei der Bestimmung des Betriebsbegriffs im Hinblick auf eine bevorstehende Betriebsratswahl auch eine noch nicht rechtskräftige gerichtliche Entscheidung in einem Verfahren nach § 18 Abs. 2 BetrVG berücksichtigen. Deren Bindungswirkung entfällt aber dann, wenn sich zwischenzeitlich die für die rechtliche Würdigung maßgeblichen tatsächlichen Verhältnisse geändert haben (vgl. BAG vom 19.11.2003, 7 ABR 25/03).
31
Auch daraus folgt keine Nichtigkeit. Eine entgegen einer Entscheidung in einem Betriebsabgrenzungsverfahren nach § 18 II BetrVG durchgeführte Wahl kann nach dem BAG nichtig sein, muss dies aber nicht zwingend. Auch hier wird arbeitgeberseits eine Änderung der maßgeblichen tatsächlichen Umstände im Sinne der o.g. BAG-Rechtsprechung geltend gemacht. Solches ist aufgrund der unstreitig nach Verkündung des Beschlusses im § 18 II BetrVG-Verfahren abgeschlossenen neuen GBV vom 23.02.2022 auch denkbar und möglich. Inwieweit hier tatsächlich eine ausreichende Änderung im aufgezeigten Sinne erfolgt ist, kann dabei offenbleiben, jedenfalls liegt zur Überzeugung der Kammer aufgrund der erforderlichen Bewertung damit kein Fall der Offensichtlichkeit der Nichtigkeit im o.g. Sinne mehr vor.
32
Die vorliegende Betriebsratswahl ist aber anfechtbar. Die Wahl erfolgte unter Verkennung der maßgeblichen betriebsorganisatorischen Einheit.
33
Nach § 19 I BetrVG kann die Wahl eines Betriebsrats angefochten werden, wenn gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen wurde und eine Berichtigung nicht erfolgt ist, es sei denn, durch den Verstoß konnte das Wahlergebnis nicht verändert oder beeinflusst werden. Ein solcher Verstoß liegt u.a. vor, wenn bei der Wahl der betriebsverfassungsrechtliche Betriebsbegriff verkannt wurde. Gleiches gilt, wenn eine Betriebsratswahl unter Anwendung eines unwirksamen Kollektivvertrages nach § 3 I BetrVG durchgeführt wurde (vgl. BAG vom 21.09.2011, 7 ABR 54/10; GK-BetrVG/Franzen, 11. Aufl., § 3 BetrVG Rn. 76).
34
Danach ist die vorliegende Wahl anfechtbar. Die GBV vom 25.01./05.02.2021 ist – auch in ihrer präzisierten Gestalt vom 23.02.2022 – unwirksam, was auch auf die auf dieser Grundlage durchgeführte Wahl durchschlägt.
35
Die GBV vom 25.01./05.02.2021 ist unwirksam. Das ergibt sich aus der im Verfahren nach § 18 II BetrVG ergangenen Entscheidung des Arbeitsgerichts Weiden vom 03.02.2022 (3 BV 9/21). Zwar wurde dort „nur“ festgestellt, dass der S. Standort der Beteiligten eine betriebsratsfähige Einheit darstellt. Allerdings folgt daraus als zwingende Kehrseite (kontradiktorisches Gegenteilt) zugleich, dass durch die gegenständliche GBV ein unternehmenseinheitlicher Betriebsrat gerade nicht wirksam begründet werden kann (vgl. 3 BV 9/21). Diese Entscheidung entfaltet dabei aufgrund der durch § 18 II BetrVG bezweckten verbindlichen Klärung der Frage nach dem Betrieb ihre Bindungswirkung nicht nur im Verhältnis der Beteiligten zueinander, sondern auch im Verhältnis zwischen dem Arbeitgeber und seinen Arbeitnehmern.
36
Eine in einem Verfahren nach § 18 II BetrVG noch vor Abschluss einer Betriebsratswahl ergangene rechtskräftige Entscheidung des Arbeitsgerichts ist für die laufende Wahl verbindlich (vgl. BAG vom 01.12.2004, 7 ABR 27/04), es sei denn, es haben sich in der Zwischenzeit die maßgeblichen tatsächlichen Verhältnisse geändert (vgl. BAG vom 19.11.2003 a.a.O.). Auch eine nicht rechtskräftige gerichtliche Entscheidung in einem Verfahren nach § 18 Abs. 2 BetrVG ist von den Beteiligten bei der Bestimmung des Betriebsbegriffs im Hinblick auf eine bevorstehende Betriebsratswahl zu berücksichtigen (vgl. BAG vom 19.11.2003, a.a.O.; Düwell, BetrVG, 6. Aufl. 2022, § 4 Rn. 39).
37
Aus alldem folgt, dass die am 03.02.2022 ergangene Entscheidung auch die hiesigen Beteiligten bindet. Die Bindungswirkung umfasst die Unwirksamkeit der GBV als zwingende Kehrseite der Entscheidung vom 03.02.2022 und erstreckt sich in personeller Hinsicht auf die gesamte Belegschaft und damit auch auf den vom Gesamtbetriebsrat eingesetzten Wahlvorstand. An der Bindungswirkung fehlt es in Anwendung der o.g. BAG-Rechtsprechung auch nicht wegen der noch fehlenden Rechtskraft des ergangenen Beschlusses (vgl. hierzu auch ArbG Frankfurt a.M. vom 24.01.2012, 13 BVGa 32/12).
38
In der Zwischenzeit haben sich auch die maßgeblichen tatsächlichen Verhältnisse nicht in relevantem Umfang geändert.
39
Soweit die Arbeitgeberseite geltend macht, dass die Voraussetzungen einer betriebsratsfähigen Einheit nicht (mehr) vorliegen, so folgt dem das Gericht nicht. Im Vorverfahren wurde von keiner Seite und zu keinem Zeitpunkt angezweifelt, dass die S. Filiale, die bereits seit 2009 und damit seit mehreren Wahlperioden über einen Betriebsrat verfügt, eine betriebsratsfähige Einheit darstellt. Dass sich die Verhältnisse hier zwischenzeitlich, also sei dem Beschluss vom 03.02.2022, geändert hätten, ist nicht ersichtlich.
40
Unabhängig davon gilt die Filiale in A-Stadt zur Überzeugung der erkennenden Kammer als Betrieb gem. § 4 I 1 Nr. 1 BetrVG. Dessen Voraussetzungen liegen vor: Die erforderliche Mindestanzahl wahlberechtigter und wählbarer Arbeitnehmer i.S.d. § 1 I 1 BetrVG ist in A-Stadt gegeben. Das hat die Arbeitgeberseite auch nie in Frage gestellt, sondern – im Gegenteil – im Betriebsabgrenzungsverfahren auf die Ordnungsgemäßheit der Bildung des seit 2009 wiederholt gewählten S. Betriebsrats hingewiesen und dem damals gewählten Gremium ein Feststellungsinteresse hinsichtlich des aktuellen Bestehens einer betriebsratsfähigen Organisation abgesprochen (Schriftsatz vom 23.12.2021, S. 11 im Verfahren 3 BV 9/21).
41
Die S. Filiale ist ein Betriebsteil i.S.d. § 4 BetrVG. Sie ist auf den Zweck des Hauptbetriebes am Unternehmenssitz in CA-Stadt ausgerichtet und in dessen W.-Organisation eingegliedert. In diesem Zusammenhang muss auch nicht näher geprüft werden, ob der Hauptbetrieb im Sinne des § 4 BetrVG die W. Filiale oder die Zentrale am Unternehmenssitz in CA-Stadt ist, denn nach dem Sinn und Zweck der Neuregelung des § 4 BetrVG im Zuge der BetrVG-Novelle im Jahre 2001 – Erleichterung von Betriebsratswahlen in Betriebsteilen (vgl. BT-Drucks. 14/5741, S. 35) – ist jedenfalls dann, wenn ein anderer Bezugspunkt als Hauptbetrieb fehlt, der Sitz des Unternehmens im Verhältnis zu einer Filiale der Hauptbetrieb (vgl. Haas, Salomon RdA 2008, 146, 153; vgl. auch BAG vom 7.5.2008, 7 ABR 15/07, wonach dann, wenn es keinen Hauptbetrieb i.S.d. § 4 BetrVG in Bezug auf die Filialen geben sollte, jede Filiale ohnehin ein betriebsratsfähiger Betrieb i.S.d. § 1 I BetrVG ist).
42
Als eigenständige Filiale ist die S. Einheit auch organisatorisch abgrenzbar und – alleine durch ihren weisungsbefugten Filialleiter – in ausreichendem Maße relativ verselbständigt.
43
Die S. Filiale ist auch räumlich weit i.S.d. § 4 BetrVG vom Hauptbetrieb in CA-Stadt (Unternehmenssitz) entfernt.
44
Maßgeblich für das Vorliegen eines weit entfernten Betriebsteils i.S.d. § 4 I 1 Nr. 1 sind die Verkehrsanbindung zwischen dem Hauptbetrieb und dem Betriebsteil auf der Grundlage der regelmäßigen Verkehrsverhältnisse und die konkreten Betreuungsmöglichkeiten des Betriebsrats im jeweiligen Betriebsteil. Die Mitglieder des Betriebsrats müssen in der Lage sein, sich ohne Schwierigkeiten über die Verhältnisse „vor Ort“ aus unmittelbarer und ständiger eigener Anschauung ein Bild zu machen. Sie müssen von den Arbeitnehmern des Betriebsteils leicht erreicht werden können. Eine Bestimmung des unbestimmten Rechtsbegriffs allein nach Entfernungskilometern kommt nicht in Betracht. Es ist vielmehr eine Gesamtwürdigung aller Umstände vorzunehmen (vgl. BeckOK ArbR/Besgen, 63. Ed. 1.3.2022, BetrVG § 4 Rn. 12 mit Nachweis der Rechtsprechung).
45
Hierzu gibt es eine umfangreiche Kasuistik. Entschieden wurde z.B., dass bei schlechten Verkehrsverbindungen schon eine Entfernung von 28 km bzw. 11 km „weit“ sein können, wohingegen bei einer guten Straßenanbindung auch eine Entfernung von 45 nicht als räumlich weite Entfernung anerkannt wurde (vgl. BAG vom 24.02.1976, 1 ABR 62/75). Nach dem BAG kommt es maßgebend auf den Zeit- und Wegeaufwand für den Hin- und den Rückweg an (vgl. BAG vom 17.05.2017, 7 ABR 21/15, zitiert nach beckonline, Rz. 25; vgl. BAG vom 07.05.2008, 7 ABR 15/07, zitiert nach beckonline, Rz. 29). Entscheidend ist einerseits die physische Erreichbarkeit und damit die Qualität der Verkehrsverbindung und die konkreten Betreuungsmöglichkeiten, nicht aber die Verfügbarkeit moderner Kommunikationsmittel (vgl. LAG Baden-Württemberg vom 22.10.2020, 17 TaBV 3/19). Andererseits schließt auch eine gute Verkehrsbindung eine „räumlich weite Entfernung“ nicht aus, wenn eine echte Gemeinschaft zwischen den Arbeitnehmern des Betriebes und des Betriebsteils nicht mehr gegeben ist. In diesen Fällen sollen Betriebe ihre eigenen Betriebsräte bilden (vgl. BAG vom 21.06.1995, 2 AZR 693/94; BT-Drucks. 1/1546, S. 37, zu § 3 Abs. 2 Reg.-Entw. BetrVG 1952).
46
Danach ist hier eine räumlich weite Entfernung i.S.d. Gesetzes zu bejahen. Die Entfernung beträgt bei Nutzung der kürzesten Route auf der Autobahn (A 93) einfach 51 km (laut google-Routenplaner: 51,7 km), wofür ohne Stau laut Internet-Routenplaner einfach 35 Minuten benötigt werden. Hinzu kommen dann noch die Wegezeiten auf den Betriebsgrundstücken bzw. zum und vom Parkplatz, so dass ein Arbeitnehmer aus A-Stadt für eine persönliche Vorsprache bei einem Betriebsratsmitglied in CA-Stadt mindestens 1 Stunde und 10 Minuten reine Fahrzeit zuzüglich der betriebsinternen Wegezeiten auf sich nehmen müsste. Das ist zur Überzeugung der Kammer ein zu großer Aufwand (hinzu kommen noch die Kosten), der dazu führte, dass das eigentlich benötigte Gespräch dann eben in vielen Fällen unterbleibt. Eine effektive Betriebsratsbetreuung der Mitarbeiter in A-Stadt von CA-Stadt aus mit der sinnvollen Möglichkeit eines unmittelbaren Kontakts von Angesicht zu Angesicht ist damit nicht gegeben. Auch regelmäßige Sprechstunden würden hier nicht weiterhelfen, denn bei dieser räumlichen Entfernung kann die Erreichbarkeit eines Betriebsratsmitglieds durch einen S. Arbeitnehmer jedenfalls bei kurzfristigen oder kritischen Angelegenheiten gerade nicht gewährleistet werden.
47
Dabei verkennt das Gericht nicht, dass der Einsatz moderner Kommunikationsmittel Defizite bei der Ortsnähe in geeigneten Konstellationen bis zu einem gewissen Grad gegebenenfalls begrenzen kann. Darauf kann bei der geltenden Gesetzeslage (§ 4 I 1 Nr. 1 BetrVG) aber nicht abgestellt werden, denn es geht bei der Frage, ob der Betriebsteil räumlich weit vom Hauptbetrieb entfernt ist oder nicht schon dem Wortlaut nach um den unmittelbaren, persönlichen Kontakt. Die Frage nach der Erreichbarkeit des im Hauptbetrieb bestehenden Betriebsrats mit modernen Kommunikationsmitteln ist in diesem Zusammenhang unerheblich (so explizit das BAG vom 17.5.2017, a.a.O., zitiert nach beckonline, Rz. 31).
48
Eine Entfernung von über 50 km haben zuletzt auch die Parteien der Regelungsabrede zur Personaleinsatzplanung sowie zu Arbeitszeit und Versetzung bei kurzfristigen Angelegenheiten vom 18.03.2022 im dortigen Zusammenhang als „zu weit“ erachtet und unter (2) Abs. 3 einen darüber noch hinausgehenden Einsatzradius bei einer Versetzung ausgeschlossen.
49
Für das gefundene Ergebnis spricht auch, dass eine Betriebsgemeinschaft zwischen den Arbeitnehmern in CA-Stadt und denen in A-Stadt gerade nicht festgestellt werden kann. Die S. Filiale hat bereits seit 2009 durchgängig einen eigenen Betriebsrat, der sich im Betriebsabgrenzungsverfahren – erstinstanzlich erfolgreich – gegen seine Abschaffung gewehrt hat. Die S. Filiale ist zudem bundesweit die einzige Filiale, die auch nach Abschluss der GBV wieder einen Betriebsrat gewählt hat. Das alles spricht für das Bestehen einer eigenständigen – und sich nicht noch auf den Betrieb in CA-Stadt bzw. die Zentrale in CA-Stadt erstreckenden – Betriebsgemeinschaft in o.g. Sinne. Eine „echte Betriebsgemeinschaft der Arbeitnehmer“ (vgl. BT-Drucks. 1/1546, S. 37) ergibt sich daraus gerade nicht, so dass auch aus diesem Grund ein eigener Betriebsrat gegründet werden soll.
50
Auch der weitergehende Vortrag der Beteiligten zu 40 und 41 hinsichtlich der Aspekte Entscheidungs- und Ortsnähe führen nicht zu einer vom Beschluss im Betriebsabgrenzungsverfahren abweichenden Beurteilung bezüglich der Unwirksamkeit der GBV. Dass sich in der Zwischenzeit die maßgeblichen tatsächlichen Verhältnisse in relevantem Umfang geändert hätten, kann das Gericht nicht feststellen.
51
Im Verfahren 3 BV 9/21 hat die Arbeitgeberseite explizit vorgetragen, dass die mitbestimmungsrelevanten Entscheidungen bzgl. personeller Einzelmaßnahmen auf der Ebene der Vertriebsleiter (die auf der zwischen der Zentrale und den einzelnen Filialen liegenden Bezirksebene agieren) getroffen werden (S. 12 im Schriftsatz vom 23.12.2021). Dieser Vortrag deckt sich mit der unter Beweis gestellten Auflistung an anderer Stelle im dortigen Schriftsatz (S. 8) und auch mit der Auflistung in der Präambel der GBV vom 25.01./05.02.2021, dort sogar als eine der Kernaufgaben bezeichnet. Das Gericht hat diese Umstände dem Beschluss vom 03.02.2022 zugrunde gelegt und entschieden, dass eine dieser arbeitgeberseitig vorgegebenen Struktur entsprechende Zusammenfassung der Betriebe in den jeweiligen Bezirken gem. § 3 I Nr. 1 b BetrVG daher naheliegend und sachgerecht wäre.
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Dass sich an dieser im Vorverfahren so nachdrücklich dargestellten Situation zwischenzeitlich – ein inzidentes Beschwerdeverfahren findet hier nicht statt – in relevantem Umfang etwas geändert, konnte die Kammer nicht feststellen. Es wird zwar von den hiesigen Beteiligten zu 40 und 41 nunmehr teilweise abweichend vorgetragen im Verhältnis zum oben und im Beschluss vom 03.02.2022 dargestellten Vorbringen. Dass es hier seit Februar 2022 zu einer geänderten Sachlage gekommen ist, ergibt sich daraus aber nicht. Soweit der Beteiligte zu 40 geltend macht, dass die streitigen, gerichtsförmigen und kritischen Fälle auf Ebene der Zentrale geregelt werden und für die Regional- und Filialebene „nur“ die Normalfälle verblieben, ändert sich am Ausgangssachverhalt im Ergebnis nichts. Auch bei der Beteiligten zu 41 ist der Normalfall und nicht der Problemfall der Regelfall, vor allem auch weil sich häufig erst im Lauf der Zeit herausstellt, ob ein anfänglicher und damit nicht in die Zuständigkeit der Zentrale fallender Normalfall dann doch zu einer streitigen Angelegenheit wird, die vor Gericht ausgefochten werden muss. Damit würde auch diese Sachlage – könnte sie als Änderung seit Februar 2022 berücksichtigt werden – dazu führen, dass eine Betriebszusammenfassung auf Bezirksebene sinnvoll und sachgerecht wäre.
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Soweit die Arbeitgeberseite im vorliegenden Verfahren zur Entscheidungskompetenz in den personellen Angelegenheiten diametral abweichend ausführt, dass alle wesentlichen Kompetenzen bei der Zentrale in CA-Stadt liegen und der Vertriebsleiter über keine wirkliche Leitungsmacht verfügt, so führt auch dies im Ergebnis nicht zu einer vom Beschluss im Betriebsabgrenzungsverfahren abweichenden Beurteilung bezüglich der Unwirksamkeit der GBV. Dass es hier zur einer Änderung seit Februar gekommen ist, wird nicht geltend gemacht und dies ist auch nicht ersichtlich, wenn z.B. als Beweismittel für die umfassende Zuständigkeit der Zentrale in personellen Angelegenheiten auf eine Filialorganisation aus dem Jahr 2019 oder auf Arbeitsverträge aus dem Jahr 2020 verwiesen wird. Die …- Filialorganisation weist auf S. 7 im Übrigen bei den Vertriebsleitern als Kernaufgaben u.a. die Personalverantwortung für den Bezirk und die Entscheidung personeller Maßnahmen zusammen mit den Filialleitern aus, was das neuerliche und vom bisherigen Vortrag abweichende Vorbringen zur Entscheidungsnähe – ohne dass es darauf ankäme – unnachvollziehbar erscheinen lässt.
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Tatsächlich neu seit Februar 2022 ist die fortgeschriebene GBV in der Fassung vom 23.02.2022. Bei näherer Betrachtung handelt es sich zur Überzeugung der Kammer aber auch hier nicht um eine wesentliche Änderung der für die in der früheren Entscheidung ausgesprochene Rechtsfolge als maßgeblich angesehenen Tatsachen oder Rechtsgrundlagen (vgl. BAG vom 6.6.2000, 1 ABR 21/99). Zwar wurde die o.g. Passage bezüglich der Kernkompetenz der Vertriebsleiter in maßgeblichen personellen Angelegenheiten gestrichen. Ob es dafür einen tatsächlichen Hintergrund seit Februar 2022 gibt – und ggf. was sich hier ab wann genau geändert haben soll („Entmachtung“ der Vertriebsleiter?) – ist allerdings nicht ersichtlich, Tatsachen hinsichtlich einer Kompetenzänderung wurden auch keine vorgetragen.
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Auch die vorgenommenen Präzisierungen bzw. Ergänzungen, die auch die Ausstattung des Betriebsrates mit Sachmitteln und Kostenfragen regeln sowie die Geschäftsordnung des unternehmenseinheitlichen Betriebsrates mit Anhang bezüglich der konkreten Arbeitsweise stellen keine wesentlichen Änderungen im vorgenannten Sinne dar. Diese Fortschreibung war bereits in der bisherigen Fassung angelegt und damit absehbar, vgl. § 4 III der „alten“ GBV. Spektakuläre Regelungen, die den Status einer Änderung der Sachlage, die noch dazu wesentlich ist, erreichen, sind nicht zu erkennen. Vielmehr wies die Gesamtbetriebsratsseite unwidersprochen schon im Vorverfahren darauf hin, dass die Gesamtbetriebsparteien bereits in weit fortgeschrittenen Verhandlungen über die konkrete Ausstattung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrates stehen und auch, dass das künftige Betreuungskonzept bereits sehr konkret geplant ist.
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Die „neue“ GBV führt allerdings zu einer weiteren Verschlechterung der im Abgrenzungsverfahren erkannten geringen Betreuungsdichte, was das ohnehin gegebene Defizit im Bereich der Ortsnähe noch vergrößert und damit – ungeachtet der Bedenken der Antragsteller in formaler Hinsicht – zur Unwirksamkeit der GBV auch in der neuen Fassung führt. Insofern liegt aber wiederum keine wesentliche Änderung der Sachlage vor, da die Ortsnähe eben schon im Vorverfahren als unzureichend angesehen wurde.
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So wurden dem unternehmenseinheitlichen Betriebsrat mit 71 vollfreigestellten Betriebsräten in der AusgangsGBV bis zu zehn vollfreigestellte und mit Sonderkündigungsschutz versehene Auskunftspersonen gem. § 80 II 4 BetrVG dauerhaft zuerkannt. Bei solchen Auskunftspersonen i.S.d. § 80 II 4 BetrVG handelt es sich um besonders sachkundige Betriebsangehörige, die dem Betriebsrat zur Erweiterung seines Sachverstands abgestellt werden und zwar unabhängig von den erforderlichen Kräften gem. § 40 II BetrVG.
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Nach der neuen GBV werden bereits die Vollfreistellungen für die Betriebsratsmitglieder relativiert. Diese soll es nach § 2 III nur noch „soweit erforderlich“ geben, was streitträchtig ist und auch geeignet, die Stellung der einzelnen Betriebsratsmitglieder im Verhältnis zum Arbeitgeber zu schwächen (wenn dieser die Erforderlichkeit in Zweifel zieht). Überdies werden dem Gremium keine Auskunftspersonen, sondern „nur noch“ bis zu 10 Kommunikationsbeauftragte (Hilfskräfte des Betriebsrats, deren Tätigkeit auf die Hilfstätigkeit der Informationsvermittlung zwischen Betriebsrat und Belegschaft beschränkt sein muss, vgl. BAG vom 29.4.2015, 7 ABR 102/12) bei Bedarf auf Beschlussfassung zuerkannt, die aber keinen Sonderkündigungsschutz haben und denen sogar zeitweise auch eine andere Tätigkeit zugewiesen wird (§ 2 IV).
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All dies schwächt die personelle Ausstattung und die Schlagkraft des Gremiums im Verhältnis zur AusgangsGBV noch einmal so erheblich, dass sich auch diese GBV in der Gesamtschau gemessen an den Anforderungen aus § 3 I Nr. 1 BetrVG im Ergebnis als unwirksam erweist. Die Freistellung der Betriebsratsmitglieder ist relativiert, was eine Verschlechterung ihres Status darstellt. Die Kommunikationsbeauftragten stehen dem Gremium überdies nur eingeschränkt zur Verfügung und unterliegen ohne Sonderkündigungsschutz weiter durch die anderen Tätigkeiten ständig dem Weisungsrecht des Arbeitgebers, was ihren Nutzen für den Betriebsrat erheblich einschränkt. Diese Punkte sind gewichtig und gehen nochmals zusätzlich zu Lasten der Ortsnähe.
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Es bleibt damit dabei, dass eine ausreichende Ortsnähe nicht erkannt werden kann und damit ein wesentlicher Punkt für die Bejahung einer der Alternativen des § 3 I Nr. 1 BetrVG fehlt. Zwar habe die Betriebsparteien hier einen gewissen Beurteilungsspielraum. Der Gesichtspunkt einer möglichst arbeitnehmernahen Gestaltung der Mitbestimmungsordnung ist aber stets zu beachten und steht nicht zur Disposition der Vertragspartner (vgl. Richardi BetrVG/Richardi/Maschmann, 17. Aufl. 2022, BetrVG § 3 Rn. 24). Das Kriterium der Ortsnähe als Ausfluss der nach wie vor arbeitnehmernah ausgestalteten Betriebsverfassung kann wegen der nicht ersetzbaren Bedeutung der persönlichen Kommunikation von Angesicht zu Angesicht auch nicht durch moderne Kommunikationsmittel ausgefüllt werden. Auch eine Kompensation von Defiziten in diesem Bereich etwa durch die Gewährung zusätzlicher Freistellungen oder die Zurverfügungstellung einer besonders guten Sachausstattung ist richtigerweise nicht zulässig (vgl. Willemsen/Hohenstatt/Schweibert/Seibt, Umstrukturierung und Übertragung von Unternehmen, 6. Auflage 2021, D Rn. 154; vgl. auch Fitting, 31. Aufl. 2022, BetrVG § 3 Rn. 31).
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Wenn auch die GBV in § 3 eine Vertretungsstruktur anhand der Vertriebsbezirke vorsieht, dann liegt es doch nahe und drängt sich geradezu auf, diese Abdeckung ortsnäher durch eine Zusammenfassung der Filialen in einem Bezirk zu schaffen. Dies entspricht auch der Gesetzesbegründung, wonach das Modell eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrates in erster Linie („vor allem“) für kleinere Unternehmen gedacht ist, wohingegen größere Unternehmen – wie unzweifelhaft die Beteiligte zu 2) – mit „bundesweitem Filialnetz“ Regionalbetriebsräte gem. § 3 I Nr. 1 b BetrVG errichten können (vgl. BT-Drucks. 14/5741 S. 33 f.; vgl. auch DKKW/Trümner, BetrVG, 15. Aufl., § 3 Rn. 41 und 57). Diese gesetzgeberische Vorstellung ist eindeutig und daher auch ohne „Andeutung“ im Gesetzestext bei der Auslegung mit heranzuziehen (vgl. Spitzlei, JuS 2022, 315, 317). Besondere Umstände, die im Fall der Beteiligten zu 41 mit einem relativ engmaschigen Filialnetz im gesamten Bundesgebiet und der damit einhergehenden Möglichkeit, Betriebe entsprechend der arbeitgeberseitigen Bezirksstruktur sinnvoll zusammenzufassen, dazu führen würden, von diesem Modell abzuweichen, gibt es keine.
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Eine wesentliche Änderung der Sachlage seit Februar 2022 ergibt sich aus alldem nicht. Der Beschluss vom 03.02.2022 war damit für die stattgefundene Wahl zu beachten.
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Die auf der Grundlage der unwirksamen GBV durchgeführte Wahl erweist sich daher als unwirksam.
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Einer Kostenentscheidung bedurfte es wegen § 2 II GKG nicht.