Titel:
Keine Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem Motor EA 288 (hier: Audi A4 Avant 2.0 TDI)
Normenketten:
BGB § 823 Abs. 2, § 826
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
VO (EG) Nr. 715/2007 Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2
Leitsätze:
1. Zu – jeweils verneinten – (Schadensersatz-)Ansprüchen von Käufern eines Fahrzeugs, in das ein Diesel-Motor des Typs EA 288 eingebaut ist, vgl. auch BGH BeckRS 2022, 11891; BeckRS 2022, 18404; OLG München BeckRS 2023, 5887; BeckRS 2022, 36076 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1); OLG Koblenz BeckRS 2022, 25075 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1); OLG Bamberg BeckRS 2021, 55750 mit zahlreichen weiteren Nachweisen (auch zur aA) im dortigen Leitsatz 1; anders durch Versäumnisurteil OLG Köln BeckRS 2021, 2388. (redaktioneller Leitsatz)
2. Vor dem Hintergrund der ausführlichen Untersuchungen des Motortyps EA 288 durch das KBA und der hierzu ergangenen zahlreichen amtlichen Auskünfte ist davon auszugehen, dass für einen Käufer das Risiko einer Nichtbenutzbarkeit eines PKW mit einem Motor EA 288 nicht einmal abstrakt bestand, so dass nicht von einem objektiv wirtschaftlich nachteiligen Vertragsschluss ausgegangen werden kann. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine temperaturabhängige Steuerung des Emissionskontrollsystems (Thermofenster) lässt sich nicht mit der Verwendung der Prüfstandserkennungssoftware vergleichen, die bei der Konzeption des Motors EA 189 in Einsatz gebracht wurde. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
4. Da das KBA auch nach Offenlegung der Fahrkurvenerkennung diese nicht beanstandet hat, kann aus der Nichtangabe der Fahrkurve im Typengenehmigungsverfahren nicht auf ein verheimlichendes, täuschendes Verhalten der Herstellerin im Bewusstsein, eine ggfs. unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, geschlossen werden. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, EA 288, unzulässige Abschalteinrichtung, sittenwidrig, Thermofenster, Fahrkurvenerkennung, (kein) Rückruf, umfangreiche Untersuchungen, KBA, (kein) Risiko einer Nichtbenutzbarkeit
Vorinstanz:
LG München I, Endurteil vom 17.05.2021 – 31 O 521/21
Fundstelle:
BeckRS 2022, 43367
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 17.05.2021, Az. 31 O 521/21, aufgehoben und die Klage abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert wird auf EUR 8.229,65 festgesetzt.
Entscheidungsgründe
1
Der Kläger erwarb am 10.03.2018 das gebrauchte Fahrzeug … 110 kW mit einem Kilometerstand von 98.000 zu einem Kaufpreis von EUR 16.100 von der Firma … in … . Der Kläger begehrt die Rückabwicklung des Kaufvertrags. In dem Fahrzeug ist ein Motor des . mit einem SCR-Katalysator verbaut. Das Fahrzeug unterfällt der Abgasnorm Euro 6. Die Beklagte ist die Herstellerin des Motors. Die Abgasreinigung erfolgt bei dem streitgegenständlichen Motor über den SCR-Katalysator und die Abgasrückführung. Bis heute kam es weder zu einem Rückruf des streitgegenständlichen Fahrzeugs durch das Kraftfahrtbundesamt (KBA) noch wurde die EG-Typgenehmigung entzogen. Der Motor weist ein sog. Thermofenster sowie eine Fahrkurvenerkennung auf.
2
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes einschließlich der erstinstanzlichen Anträge wird auf den Tatbestand im angefochtenen Urteil des Landgerichts München I vom 17.05.2021 Bezug genommen.
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Das Landgericht hat der Klage überwiegend stattgegeben. Die Voraussetzungen für die Annahme eines sittenwidrigen Handelns der Beklagten lägen vor, da das Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung aufweise. Hierzu habe sich der Kläger zutreffend auf das Dokument „Entscheidungsvorlage: Applikationsrichtlinien & Freigabevorgaben .“ bezogen, in der von der „Platzierung von Abgasnachbehandlungsevents“ die Rede sei. Die Beklagte habe dieses Vorbringen des Klägers nicht in erheblicher Weise bestritten. Im Rahmen ihrer sekundären Darlegungspflicht hätte es ihr oblegen, vorzutragen, ob eine Abschalteinrichtung installiert sei und aus welchem Grund. Vage sei auch die Angabe der Beklagten im Dokument „Statusbericht Diesel KBA-Termin (Technik) .“, wonach grundsätzlich die Zusage gelte, dass die Funktion ausgebaut werde. Der Vortrag der Beklagten zu dem extrem weiten Temperaturbereich des sog. „Thermofensters“ sei nicht überzeugend. Wertungen des KBA ausweislich des Berichts der Kommission ., wonach auffällig hohe NOx-Werte technisch plausibel oder akzeptabel seien, seien für den Rechtsstreit nicht bindend. Mangels Erläuterung des Begriffs der „Platzierung von Abgasnachbehandlungsevents durch die Beklagte“ sei daher davon auszugehen, dass es sich um Abschalteinrichtungen im Sinne des Art.3 Nr.10 VO (EG) 715/2007 handele. Diese unzulässige Verwendung von Abschalteinrichtungen sei auch sittenwidrig. Angesichts der zunehmenden Dringlichkeit der Sicherstellung eines hohen Umweltschutzniveaus und der Eigenschaft der Bundesrepublik Deutschland als führender Standort von Automobilkonzernen, die eine Vorbildfunktion begründe, sei es als sittenwidrig zu bewerten, durch technische Maßnahmen die permanente Einhaltung der hohen Anforderungen an das Emissionsverhalten zu beeinträchtigen. In diesem Zusammenhang sei das Allgemeininteresse an einem zunehmend dringlichen Umweltschutz über wirtschaftliche Eigeninteressen zu stellen. Die Annahme der Sittenwidrigkeit von einem Täuschungsverhalten gegenüber dem Kraftfahrtbundesamt abhängig zu machen, verenge den Anwendungsbereich des § 826 BGB und sei abzulehnen. Der Kläger als Käufer sei mangels Offenlegung der unzulässigen Abschalteinrichtung getäuscht worden. Der Schaden liege in dem ungewollten Vertragsschluss. Gemäß § 138 Abs. 3 ZPO sei von einem vorsätzlichen Handeln der verfassungsmäßig berufenen Vertreter der Beklagte auszugehen.
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Gegen dieses, ihr am 18.05.2021 zugestelltes, Endurteil richtet sich die Berufung der Beklagten mit Schriftsatz vom 02.06.2021, fristgerecht begründet am 16.08.2021.
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Die Beklagte beantragt,
das Endurteil des Landgerichts München I vom 17.05.2021 – 31 O 521/21 – abzuändern und die Klage abzuweisen.
die kostenpflichtige Abweisung der Berufung.
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Hinsichtlich des Vortrags in der Berufungsinstanz wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien sowie den Hinweis des Senats mit Beschluss vom 14.04.2022 Bezug genommen. Mit Beschluss vom 03.06.2022 (Bl. 358 d.A.) wurde die Entscheidung im schriftlichen Verfahren angeordnet.
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Die Berufung der Beklagten ist erfolgreich. Dem Kläger steht weder ein Anspruch aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß § 826 BGB noch sonst aus Deliktsrecht zu.
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1. Der Kläger hat die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Haftung der Beklagten aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß § 826 BGB nicht nachvollziehbar dargelegt.
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a) Es ist bereits nicht in ausreichender Weise ersichtlich, dass dem Kläger ein Schaden entstanden ist. Das Kraftfahrtbundesamt (KBA) hat auch nach mehrfacher Überprüfung des Motortyps … (hier: Euro 6) in einem eigens hierfür entwickelten Prüfverfahren und über eine Dauer von 5 Jahren keine unzulässigen Abschaltvorrichtungen festgestellt. Streitgegenständlich ist der Motortyp … 2,0l Diesel 110 kW der Schadstoffklasse Euro 6, ausgestattet mit einem SCR-Katalysator (Selective Calatytic Reduction). Exakt für den streitgegentändlichen Motortyp hat das Kraftfahrtbundesamt in einem Parallelverfahren am 15.12.2020 dem LG Bayreuth u.a. folgende amtliche Auskunft erteilt (Anlage B15):
„.. Das KBA führte insgesamt sehr umfassende Untersuchungen an Fahrzeugen mit Motoren der Reihe des Entwicklungsauftrags …durch, so z.B. im Rahmen der „Untersuchungskommission …“ der freizugebenden Software-Updates für das nationale Forum Diesel sowie im Rahmen spezifischer Feldüberwachungstätigkeiten Es wurde bei keinem Fahrzeug, welches ein Aggregat des . aufweist und durch das KBA untersucht wurde, eine unzulässige Abschalteinrichtung festgestellt. Es wurden daher weder Nebenbestimmungen angeordnet, noch besteht ein behördlich angeordneter Rückruf aufgrund als unzulässig eingestufter Abschalteinrichtungen..."
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Gerade auch rückblickend ist damit nicht ersichtlich, dass der Kläger bei Vertragsschluss mit einer ungewollten und unvernünftigen Verpflichtung belastet worden ist, da die Leistung für seine Zwecke voll brauchbar und damit insgesamt nicht nachteilig war. Vor dem Hintergrund der ausführlichen Untersuchungen des streitgegenständlichen Motortyps durch das KBA und die hierzu ergangenen zahlreichen amtlichen Auskünfte, wie sie in der Klageerwiderung zitiert wurden (u.a. auch Anlage B15 ff, Anlagenkonvolut B40) ist vielmehr davon auszugehen, dass das Risiko einer Nichtbenutzbarkeit des streitgegenständlichen PKW nicht einmal abstrakt bestand, so dass nicht von einem objektiv wirtschaftlich nachteiligen Vertragsschluss ausgegangen werden kann. Da das KBA die für einen eventuellen Rückruf oder Widerruf der Typengenehmigung zuständige Behörde ist, ist das Risiko eines zukünftig noch erfolgenden Rückrufs ohnehin als sehr gering einzuschätzen. Es ist vielmehr eindeutig, dass das KBA wegen des streitgegenständlichen Fahrzeugs und des darin verbauten Motors keine Maßnahmen ergreifen wird. Die Gefahr einer Betriebsuntersagung oder -beschränkung ist ausgeschlossen, was indes notwendig wäre, um in solchen Fällen einen Schaden in Betracht zu ziehen. Eine drohende Betriebsuntersagung oder -beschränkung wird auch auf Seiten des Klägers nicht substantiiert vorgetragen.
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Soweit der Kläger behauptet, der Umstand, dass das Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet sei, wirke sich negativ auf dessen Veräußerbarkeit und den Verkehrswert aus, ist dies unsubstantiiert und widerspricht den Erfahrungen des Senats, der sachverständig beraten 2020 festgestellt hat, dass Dieselfahrzeuge des .-Konzerns, die vom Dieselskandal betroffen sind, deutlich wertstabiler sind als Fahrzeuge anderer Hersteller.
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b) Unstreitig weist der streitgegenständliche Motortyp eine Temperatursteuerung der Abgasrückführungsrate (sog. Thermofenster) und eine Fahrkurvenerkennung bzw. Lenkwinkelkennung auf. Insoweit fehlt jedoch konkreter und nachvollziehbarer Vortrag der Klageseite, aus dem sich das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung verknüpft mit einem sittenwidrigen Verhalten der für die Beklagten handelnden Personen, insbesondere einer arglistigen Täuschung oder eines bewussten Gesetzesverstoßes ergeben könnte.
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In diesem Zusammenhang wird darauf hingewiesen, dass das OLG des Landes SachsenAnhalt, auf das sich sowohl der Kläger erstinstanzlich als auch das Landgericht maßgeblich zur Begründung ihrer Auffassung beziehen, wonach in dem streitgegenständlichen Motoraggregat eine oder mehrere unzulässige Abschalteinrichtungen verbaut seien (OLG Naumburg, Urteil vom 09.04.2021, Az. 8 U 68/20), diese Rechtsauffassung mittlerweile ausdrücklich aufgegeben hat (vgl. OLG des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 10.12.2021 – 8 U 63/21 –, Rn. 11, juris). Es kommt im Rahmen der Prüfung eines deliktischen Anspruchs gemäß § 826 BGB auch nicht maßgeblich auf die Implementierung einer unzulässigen Abschalteinrichtung an, sondern darauf, ob das Verhalten der Beklagten nach Würdigung aller Umstände als sittenwidrig zu qualifizieren ist.
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aa) Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der in einer Gesamtschau durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Schon zur Feststellung der objektiven Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben. Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (st. Rspr. vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19 – Rn. 15, juris; BGH, Beschluss vom 09.03.2021 – VI ZR 889/20 – Rn. 12,juris).
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Im Grundsatzurteil vom 25.05.2020 (AZ. VI ZR 252/19), ergangen zum Vorgängermotor …, hat der Bundesgerichtshof die Sittenwidrigkeit damit begründet, dass der Fahrzeughersteller bei der Motorenentwicklung die strategische Entscheidung getroffen habe, die Typgenehmigung durch arglistige Täuschung des KBA zu erschleichen und die derart bemakelten Fahrzeuge sodann in den Verkehr zu bringen und dabei die Arglosigkeit und das Vertrauen der Fahrzeugkäufer gezielt auszunutzen. Entscheidend war, dass die Stickoxidgrenzwerte der Euro 5-Norm nur im Abgasrückführungsmodus 1 auf dem Prüfstand unter Einsatz der Manipulationssoftware eingehalten wurden.
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bb) Die temperaturabhängige Steuerung des Emissionskontrollsystems (Thermofenster), lässt sich jedoch nicht mit der Verwendung der Prüfstandserkennungssoftware vergleichen, die die Beklagte bei der Konzeption des Motors EA 189 in Einsatz gebracht hat. Während letztere unmittelbar auf die arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde abzielte und einer unmittelbaren arglistigen Täuschung der Fahrzeugerwerber in der Bewertung gleichsteht, ist der Einsatz einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems nicht von vornherein durch Arglist geprägt. Sie führt nicht dazu, dass bei erkanntem Prüfstandsbetrieb eine verstärkte Abgasrückführung aktiviert und der Stickoxidausstoß gegenüber dem normalen Fahrbetrieb reduziert wird, sondern arbeitet in beiden Fahrsituationen im Grundsatz in gleicher Weise. Für die Qualifizierung des Verhaltens der Beklagten müssten daher weitere Umstände hinzutreten, die das Verhalten der für sie handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen lassen. Dies setzt jedenfalls voraus, dass diese Personen bei der Entwicklung und/oder Applikation der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine (weitere) unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen (vgl. BGH, Beschluss vom 09.03.2021- VI ZR 889/20 – Rn. 26-28, juris). Fehlt es hieran, ist bereits der objektive Tatbestand:der Sittenwidrigkeit nicht erfüllt.
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Der Kläger behauptet, dass die unstreitig vorhandene temperaturgesteuerte Abgasrückführung (Thermofenster), die seinem Vortrag zufolge eine Reduzierung bzw. Abschaltung der Abgasrückführung in Abhängigkeit von der Außentemperatur (unter 20°C und über 30°C) bewirkt, eine unzulässige Abschalteinrichtung darstelle. Es fehlt jedoch an Vortrag hinsichtlich der erforderlichen objektiven Sittenwidrigkeit des Verhaltens der Beklagten bzw. der für sie handelnden Personen. Auch bei Wahrunterstellung der klägerischen Behauptung, wonach die Abgasrückführung nur bei Temperaturen zwischen 20° und 30° Celsius voll aktiv sei, wäre die Funktion nicht mit dem Einsatz der sog. Umschaltlogik bei dem Motortyp … gleichzusetzen, die zwischen dem erkannten Prüfstand und dem Straßenbetrieb unterscheidet und dazu führt, dass ausschließlich auf dem Prüfstand die Grenzwerte eingehalten werden. Während bei der reinen „Umschaltlogik“ deren Unzulässigkeit offenbar ist, so dass von einer arglistigen Täuschung des KBA durch Verschweigen derselben ausgegangen werden kann, ist selbst bei einem relativ eng definierten Thermofenster nicht auszuschließen, dass die Verantwortlichen der Beklagten unter Abwägung der mit der Abgasrückführung bekannten Problemen gemeint haben könnten, die konkret implementierte Temperatursteuerung sei (noch) zulässig. Dies gilt erst Recht vor dem Hintergrund der nunmehr aus einem Parallelverfahren durch Vorlage der Beklagten (Anlage B31) dem Senat bekannten Aussage des Zeugen ., des damaligen Leiters des Bereichs Dieselmotorenentwicklung der Beklagten vom 18.02.2021 vor dem Landgericht Landshut, nach der bei sämtlichen Motoren des Typs … für den Hubraum 1,6l und 2,0l die Abgasrückführung in einem Temperaturbereich von minus 24 bis plus 70 Grad Celsius vollständig aktiviert sei und auch vor dem Hintergrund der Tatsache, dass das KBA in Kenntnis und nach Offenlegung des Temperaturfensters durch die Beklagte keinen Rückruf veranlasste. Es kommt daher auch nicht entscheidend darauf an, ob die Beurteilung des Thermofensters durch das KBA als zulässig zutreffend ist, sondern darauf, dass die Möglichkeit einer entsprechenden Vorstellung bei den verantwortlichen Personen der Beklagten nicht ausgeschlossen werden kann, wenn auch die zuständige Bundesbehörde dieselbe Rechtsansicht vertritt. Gegen ein besonders verwerfliches Verhalten der Beklagten spricht daher, dass die Rechtslage bei der Beurteilung der Zulässigkeit des von vielen Herstellern eingesetzten Thermofensters angesichts der Diskussion über Inhalt und Reichweite der Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 2 S.2 a VO (EG) Nr. 715/2007 als unsicher anzusehen ist. Dies findet seinen Ausdruck im Bericht der Untersuchungskommission „.“ des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur von April 2016 (Anlage B1), wonach der Wortlaut der Ausnahmebestimmung des Art. 5 Abs. 2 S.2 lit.a der VO Nr.715/2007 (“Einrichtungen zum Schutz des Motors vor Beschädigungen“) eine „Unschärfe“ aufweise, „die auch weite Interpretationen zulasse“. Eine ggfs. fahrlässige Verkennung der Rechtslage durch die Verantwortlichen der Beklagten genügt aber für die Feststellung der besonderen Verwerflichkeit und für den erforderlichen Schädigungsvorsatz nicht. Hat die Beklagte die Rechtslage fahrlässig verkannt, fehlt es am erforderlichen Schädigungsvorsatz und an dem für die Sittenwidrigkeit in subjektiver Hinsicht erforderlichen Bewusstsein der Rechtswidrigkeit wie auch der Kenntnis der die Sittenwidrigkeit begründenden Tatumstände (vgl. Sprau in Grüneberg, BGB, 2022, 81. Auflage, Rn. 8 zu § 826). Die nunmehr vom EuGH vorgenommene Auslegung der genannten Vorschrift (Urteil vom 17.12.2020 – Rechtssache C-693/18 – NJW 2021,1216) vermag an einer zum damaligen Zeitpunkt vertretbaren Einschätzung der Beklagten nichts zu ändern.
cc) (1) Auch aus der unstreitig in der Motorsteuerungssoftware hinterlegten Fahrkurvenerkennung bzw. Lenkwinkelkennung und einem behaupteten Einfluss auf den im Motor verbauten SCR-Katalysator folgt kein sittenwidriges Verhalten der Beklagten. Die Beklagte hat bereits unwidersprochen vorgetragen, dass die Fahrkurve bei . SCR-Fahrzeugen im wesentlichen bewirke, dass nach Erreichen der für die optimale Funktionsfähigkeit des SCR erforderlichen Betriebstemperatur von ca. 200 Grad eine bis dahin hohe Abgasrückführungsrate (AGR) weiter parallel bestehen bleibe. Das Beibehalten der hohen AGR im allerletzten Teil des Zyklus habe aber entweder überhaupt keine messbaren Auswirkungen oder sie sei jedenfalls nicht relevant für das Einhalten des gesetzlich vorgeschriebenen Emissionsgrenzwerts von 80 mg/km. Vor diesem Hintergrund ist die klägerische Behauptung einer unzulässigen Abschalteinrichtung fraglich. Im Ergebnis kann dies dahingestellt bleiben, da die technische Funktion der Fahrkurvenerkennung, die wiederum die Regeneration des SCR-Katalysators auf dem Prüfstand in anderer Weise beeinflussen soll als im realen Fahrbetrieb, dem KBA bereits seit Ende 2015 bekannt war und nicht zu einem verpflichtenden Rückruf des KBA geführt hat. Insbesondere waren die sog. „Applikationsrichtlinien & Freigabevorgabe …“ der Beklagten vom 18.11.2015 (vgl. Anlage BB5) dem KBA sowohl bekannt wie auch von der Beklagten mit diesem abgestimmt, ohne dass deswegen, anders als bei dem Motortyp EA 189, ein Rückruf des Fahrzeugs durch das KBA angeordnet worden wäre. Der Kläger hat selbst anhand der Korrespondenz zwischen dem KBA und der Beklagten vom 01.10.2015 (Schriftsatz vom 08.11.2021, S.21ff) dargestellt, dass die Beklagte den Verbau der Fahrkurve sowie einer Temperatur- und Weg-Zeit-Sensierung als Zykluskennung offengelegt habe. Seit dem Technikworkshop im Januar 2016 war dem KBA zudem die Funktionsweise des SCRKatalysators durch die Beklagte vorgestellt worden. Das BMVI hat darüberhinaus auf Pressemitteilungen zu Manipulationen beim Motor … am 12.09.2019 per Twittermitteilung reagiert (vgl. Anlage B2), indem es erklärte, dass die Vorwürfe nicht neu seien und das KBA bereits seit 2016 eigene Messungen, Untersuchungen und Analysen durchgeführt habe, bei denen unzulässige Abschalteinrichtungen, auch in Gestalt einer unzulässigen Zykluserkennung, nicht hätten festgestellt werden können. Dies wird gestützt durch die in zahlreichen Parallelverfahren erfolgten amtlichen Auskünfte des KBA zu Fahrzeugen, die mit Motoren aus der Reihe . ausgestattet sind (vgl. u.a. Anlagenkonvolut B 40).
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Exakt das streitgegenständliche Aggregat . der Abgasnorm EU 6 mit 2,0 TDI Motor und einer Leistung von 110 kW mit SCR wurde durch das KBA überprüft und ist Gegenstand einer amtlichen Auskunft an das OLG München (Anlage B 28), die auszugsweise lautet:
„..Das KBA führte insgesamt sehr umfassende Untersuchungen an Fahrzeugen mit Motoren der Reihe des … durch, so z.B. im Rahmen der „Untersuchungskommission …“ der freizugebenden Software-Updates für das Nationale Forum Diesel sowie im Rahmen spezifischer
Feldüberwachungstätigkeiten.
Dabei wurde keine unzulässige Abschalteinrichtung festgestellt.
Das hier zu behandelnde Fahrzeug weist in der Motorsteuerung zwar die aus anderen Fahrzeugen des .-Konzerns bekannte Erkennung des Fahrprofils des gesetzlichen Typprüfzyklus (NEFZ) auf, die daraus resultierenden Umschaltungen wirken dabei nicht als unzulässige Abschalteinrichtung Bei einer Betrachtung des gesamten Emissionskontrollsystems bleiben somit die Schadstoffemissionen unterhalb der Grenzwerte. Dies erfolgt nicht nur über die Fahrkurve im Testzyklus, sondern auch unter realen Betriebsbedingungen auf der Straße. Die Umschaltung der Betriebsmodi erfolgt dabei über physikalische Motorparameter, wie z.B. die Temperatur des SCR-Katalysators. Prüfungen im KBA zeigen, dass auch bei Deaktivierung der Fahrkurvenfunktion die Grenzwerte in den Prüfverfahren zur Untersuchung der Auspuffemissionen nicht überschritten werden, sodass die Fahrkurvenerkennung bei Fahrzeugen mit Motor … nicht als unzulässige Abschalteinrichtung bewertet wird.
Es wurden daher keine nachträglichen Nebenbestimmungen für das genannte Fahrzeug angeordnet…“
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Letztlich blieb unstreitig, dass die Grenzwerte auf dem Prüfstand auch nach Deaktivierung der Fahrkurvenerkennung eingehalten werden. Damit hatte die von Klageseite beanstandete Zykluskennung mit vorgeblichen Auswirkungen auf die Funktionsweise des SCR-Katalysators gerade keine Auswirkungen auf die Einhaltung der Grenzwerte. Zudem ergaben die umfangreichen Untersuchungen für den streitgegenständlichen Motortyp sogar, dass die Grenzwerte auch im realen Fahrbetrieb eingehalten wurden, so dass auch vor diesem Hintergrund keine greifbaren Anhaltspunkte für das von Klageseite behauptete manipulierte Wechselspiel zwischen AGR und SCR bestehen. Ausführungen des Klägers zur Funktionsweise der …- Motoren der Beklagten oder Motoren der .., die zu verpflichtenden Rückrufen des KBA geführt hätten, sind in diesem Zusammenhang nicht relevant.
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(2) Ob die in der Motorsteuerung hinterlegte Fahrkurvenerkennung als unzulässige Abschalteinrichtung zu qualifizieren ist, kann, wie ausgeführt, vorliegend dahingestellt bleiben, da jedenfalls den handelnden Personen nicht unterstellt werden kann, dass sie in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden oder bestrebt waren, Emissionen gezielt auf dem Prüfstand zu manipulieren. Auch die NOx- und CO₂- Messungen der Deutschen Umwelthilfe, die belegen sollen, dass die NOxGrenzwerte der Abgasnormen Euro 5 und Euro 6 bei Fahrzeugen, die mit dem Motortyp . ausgestattet sind, überschritten werden, vermögen den Vorwurf der Arglist gegen die Verantwortlichen der Beklagten nicht zu belegen, da die Messungen sämtlich im realen Fahrbetrieb durchgeführt wurden und nicht zu den Bedingungen des Prüfstands, die im Jahr 2014/2015 zur Erlangung der Typgenehmigung für das streitgegenständliche Fahrzeug noch allein maßgeblich waren. Die Randparameter dieser Messungen sind nicht definiert. Das KBA hat in Kenntnis der Fahrkurve sowie des Thermofensters und möglicher Zykluskennungen eigens ein eigenes Prüfverfahren entwickelt und die streitgegenständlichen .- Aggregate als „unauffällig“ bewertet. Grundsätzlich ergibt sich aus Diskrepanzen zwischen Stickoxidmessungen unter Prüfstandbedingungen und solchen unter normalen Bedingungen auf der Straße bei diesen PKW schon kein Hinweis auf die Verwendung einer Prüfstanderkennungssoftware (vgl. BGH, Urteil vom 13.07.2021 – VI ZR 128/20 – Rn. 19,23, juris).
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Im Rahmen der Beurteilung, ob der Beklagten bei dem Einsatz der Fahrkurvenerkennung sittenwidriges Handeln zur Last liegt, ist maßgeblich nicht darauf abzustellen, ob die Fahrkurvenerkennung möglicherweise auch zur Reduzierung der Emissionen auf dem Prüfstand beigetragen hat, sondern ob sie von der Beklagten systematisch und bewusst eingesetzt wurde, um die Stickoxidgrenzwerte der Euro 5- oder 6- Norm nur im Prüfbetrieb einzuhalten (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19 – Rn. 25, 27, juris) und sich auf diese Weise durch arglistige Täuschung des KBA die Typgenehmigung zu erschleichen und die derart bemakelten Fahrzeuge unter Ausnutzung der Arglosigkeit der Käufer in den Verkehr zu bringen. Dies ist hier gerade nicht der Fall, da nach den Auskünften des KBA die Grenzwerte auf dem Prüfstand auch ohne Aktivierung der Fahrkurvenerkennung und sogar während der Prüfungen im realen Fahrbetrieb eingehalten werden. Die von der Klageseite vorgelegten Messungen im realen Fahrbetrieb zeigen, wie ausgeführt, darüber hinaus gerade nicht, dass behauptete vorhandene Abschalteinrichtungen kausal dafür sind, dass Grenzwerte im Prüfverfahren eingehalten werden. Soweit der Kläger vorträgt, es komme auf die Grenzwertrelevanz nicht an, stellt er sich jedenfalls in Widerspruch zur Rechtsauffassung, wie sie auch vom KBA nachdrücklich vertreten wird, so dass der Beklagten auch insoweit kein täuschendes und sittenwidriges Handeln unterstellt werden kann. Im Rahmen der Prüfung sittenwidrigen Handelns der Beklagte ist die Rechtsauffassung des KBA durchaus von Bedeutung. Da das KBA auch nach Offenlegung der Fahrkurvenerkennung diese nicht beanstandet hat, kann auch aus der Nichtangabe der Fahrkurve im Typengenehmigungsverfahren nicht mit der erforderlichen Sicherheit auf ein verheimlichendes, täuschendes Verhalten der Beklagten im Bewusstsein, eine ggfs. unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, geschlossen werden. Grundlage des Vorwurfs der Sittenwidrigkeit ist, dass über die Einhaltung der Grenzwerte getäuscht wird, so dass das Fahrzeug eine Typgenehmigung erhält, die es anderenfalls nicht erhalten hätte, und der Käufer im Fall der Entdeckung das Fahrzeug möglicherweise nicht benutzen darf, weil es nicht genehmigungsfähig ist (BGH, Urteil vom 25.5.2020 – VI ZR 252/19 –, Rn 16, juris). So ging der BGH in seiner grundlegenden Entscheidung davon aus, dass im Fall des … die Stickoxidgrenzwerte der EU5-Norm „nur auf dem Prüfstand eingehalten“ wurden (BGH, a.a.O. „Zum Sachverhalt“).
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Im übrigen kann dahinstehen, ob die Auffassung der Klagepartei, eine unzulässige Abschaltvorrichtung i.S.v. Art.3 Nr.10 VO (EG) 715/2007 läge auch dann vor, wenn eine Abgassteuerungsfunktion nicht grenzwertkausal sei, sondern lediglich unterhalb der ohnehin eingehaltenen Grenzwerte die Emissionswerte verbessere, zutrifft (so der Kläger unter Berufung auf Urteil des OLG Köln vom 0.03.2022, AZ. 24 U 112/21). Denn jedenfalls entfiele in dem Fall bereits der Vorwurf der (objektiven) Sittenwidrigkeit. Im Fall des . ergab sich die Sittenwidrigkeit daraus, dass die Beklagte auf der Grundlage einer für ihren Konzern getroffenen grundlegenden strategischen Entscheidung der Motorenentwicklung im eigenen Kosten- und damit auch Gewinninteresse durch bewusste und gewollte Täuschung des KBA systematisch, langjährig und in Bezug auf den Dieselmotor der Baureihe . in siebenstelligen Stückzahlen in Deutschland Fahrzeuge in den Verkehr gebracht hat, deren Motorsteuerungssoftware bewusst und gewollt so programmiert war, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte mittels einer unzulässigen Abschalteinrichtung nur auf dem Prüfstand eingehalten wurden (BGH, aaO Rn.16). Das Ziel der Beklagten bestand darin, Fahrzeuge kostengünstiger als ihr sonst möglich zu produzieren und damit in einer Erhöhung ihres Gewinns (BGH, aaO, Rn. 22). Der BGH hat entschieden, dass das an sich erlaubte Ziel der Erhöhung des Gewinns auch im Verhältnis zu dem Käufer eines der betroffenen Fahrzeuge aber dann verwerflich werde, wenn es auf der Grundlage einer strategischen Unternehmensentscheidung durch arglistige Täuschung der zuständigen Typgenehmigungs- und Marktüberwachungsbehörde (der KBA) erreicht werden solle, und dies mit einer Gesinnung verbunden sei, die sich sowohl im Hinblick auf die für den einzelnen Käufer möglicherweise eintretenden Folgen und Schäden als auch im Hinblick auf die insoweit geltenden Rechtsvorschriften, insbesondere zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung und der Umwelt, gleichgültig zeige (BGH, aaO, Rn. 23). Der Käufer eines Fahrzeugs, der selbst keine Möglichkeit habe, die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben auch nur nachzuvollziehen, geschweige denn kontrollieren zu können und daher darauf lediglich vertrauen könne, setze die Einhaltung der entsprechenden Vorgaben arglos als selbstverständlich voraus; diese Arglosigkeit und dieses Vertrauen habe die Beklagte sich gezielt zunutze gemacht ein solcher Fall stehe einer bewussten arglistigen Täuschung derjenigen, die ein solches Fahrzeug erwerben gleich (BGH, aaO, Rn. 24, 25). Dadurch sei unerlaubt Einfluss auf den Stickoxidausstoß genommen und dieser über das Maß des nach den gesetzlichen Vorgaben Zulässigen hinaus erhöht worden. Dieses Vorgehen zeige im Hinblick auf den von den gesetzlichen Vorgaben intendierten Schutz der Gesundheit der Bevölkerung eine rücksichtslose Gesinnung, die gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstoße (BGH, aaO, Rn. 27).
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Damit ist der vorliegende Fall einer Fahrkurvenerkennung, bei der nach dem eigenen Vortrag der Klagepartei jedenfalls nicht ausgeschlossen werden kann, dass die gesetzlichen Grenzwerte auch ohne diese eingehalten werden und die Verbesserung der Messwerte unterhalb der bereits eingehaltenen Grenzwerte nur geringfügig ausfüllt, nicht vergleichbar. Weder ist ersichtlich, dass sich die Beklagte für diese behauptete Beeinflussung der Messwerte aus Gewinnstreben entschieden hätte, nämlich um kostenintensivere Maßnahmen, die ansonsten erforderlich geworden wären, zu vermeiden, noch ist der Fall gegeben, dass die Beklagte ein argloses Vertrauen der Klagepartei in die Einhaltung der Grenzwerte gezielt ausgenutzt hätte, noch kann festgestellt werden, dass die Beklagte durch eine derart geringe und für den Erhalt der Typengenehmigung nicht relevante Beeinflussung der Messwerte eine rücksichtslose Gesinnung zum Ausdruck gebracht hätte.
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(2) Soweit der Kläger auf ein Urteil des OLG Köln vom 10.03.2022 (AZ. 24 U 112/21) auszugsweise verweist, wonach die Prüfstandserkennung in Form einer Fahrkurvenerkennung im Motortyp … als unzulässige Abschalteinrichtung nach Art. 5 Abs. 2 S.2 VO (EG) 715/2007 zu qualifizieren sei, wobei es auf die Grenzwertkausalität nicht ankomme, ist diese Entscheidung auf die vorliegende Fallkonstellation schon deshalb nicht übertragbar, da, wie ausgeführt, im vorliegenden Fall in Abweichung zu der Sachverhaltskonstellation, über die das OLG Köln zu entscheiden hatte, die Schadstoffemissionen nach den Tests des KBA nicht nur auf dem Prüfstand, sondern auch im realen Fahrverkehr unterhalb der Grenzwerte blieben (vgl. amtliche Mitteilung an das OLG München vom 25.01.2021).
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(3) Schließlich entfällt in der Gesamtschau jedenfalls der Vorwurf der Sittenwidrigkeit, weil die Beklagte nach Erhalt der Typgenehmigung, aber noch vor Abschluss des streitgegenständlichen Kaufvertrags im März 2018 – ebenfalls in Abweichung zu der Sachverhaltskonstellation, über den das OLG Köln im Urteil vom 10.03.2022 zu entscheiden hatte, an der Aufdeckung einer eventuell unzulässigen Abschalteinrichtung mitgewirkt hat (vgl. BGH, Urteil vom 30.07.2020 – VI ZR 5/20 – Rn. 32 ff, juris). Vor dem Zeitpunkt des Kaufvertrags, nämlich Ende 2015/ Anfang 2016 hatte die Beklagte die von der Klagepartei beanstandeten Funktionen gegenüber dem KBA bereits offengelegt, wie bereits ausgeführt (Anlagen BB1, BB4, BB5). Da die Beurteilung eines schädigenden Verhaltens als sittenwidrig eine Gesamtwürdigung des Verhaltens des Schädigers voraussetzt, ist spätestens mit diesen Angaben gegenüber dem KBA, durch welche dieses in die Lage versetzt wurde, gezielte eigene Überprüfungen durchzuführen, der Vorwurf der Sittenwidrigkeit entfallen (vgl. grundlegend BGH, Urteil vom 8.12.2020, VI ZR 244/20). Eine groß aufgezogene Information der Öffentlichkeit bis zum Abschluss des streitgegenständlichen Kaufvertrags war nicht geboten, da sowohl aus Sicht der Beklagten als auch des KBA in dieser Funktion gerade keine zulassungsrelevante Manipulation zu sehen war. Die Beklagte hat damit vor dem hier relevanten Zeitpunkt etwaige verschleiernde Maßnahmen kompensiert durch aktive Offenlegung gegenüber dem KBA, so dass ihr der Vorwurf einer (mittelbaren) arglistigen Täuschung der Klagepartei durch Täuschung des KBA nicht zu machen ist. Soweit die Klagepartei aus verschiedenen Äußerungen der Beklagten sowie des KBA die Vermutung herleitet, das KBA habe die Funktionsweise der Fahrkurvenerkennung nicht verstanden, ändert dies nichts daran, dass die Beklagte durch eigenes Handeln das KBA auf diese Problematik aufmerksam gemacht und eine gezielte Prüfung durch das KBA ermöglicht hat, noch bevor die Klagepartei das streitgegenständliche Fahrzeug erwarb. Dass nach der Behauptung der Klagepartei der dem KBA mitgeteilte Inhalt in bestimmten Details unzutreffend oder unvollständig gewesen sein soll, ändert nichts daran, dass das KBA über die Funktionen an sich informiert wurde und hierauf eigene Untersuchungen aufbauen konnte. Dies genügt bereits, um die Ahnungslosigkeit des KBA zu beseitigen und den Vorwurf einer arglistigen Täuschung über die Verwendung einer Fahrkurvenerkennung, an die verschiedene Eingriffe in die Motorsteuerung geknüpft sein konnten, entfallen zu lassen. Nicht erforderlich ist, dass die Beklagte jegliche ihr mögliche Aufklärung geleistet hätte (vgl. BGH, Urteil vom 8.12.2020, VI ZR 244/20, Rn. 18). Wie ausgeführt, wird auch durch die amtlichen Auskünfte des KBA (vorgelegt als Anlagen K15, K14) sowie den Bericht der Untersuchungskommission … (Anlage B1) gerade dokumentiert, dass das KBA den streitgegenständlichen Motortyp umfassenden Untersuchungen unterzogen hat. Die klägerische Behauptung, die Beklagte lasse das „KBA im Dunkeln tappen“ und habe es seiner „Prüfungsmöglichkeit entzogen“ ist daher substanzlos.
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dd) Vergleichbare Überlegungen gelten auch für den Fall, dass, wie von Klageseite behauptet, durch eine sonstige Weg-Zeit-Sensierung bzw. Lenkwinkelkennung eine Prüfstandserkennung installiert worden ist, durch die die Abgasreinigung auf dem Prüfstand abweichend vom Fahrbetrieb manipuliert worden sein soll. Selbst wenn eine solche Zykluskennung installiert worden sein sollte, die letztlich in gleicher Weise wie die Fahrkurvenerkennung den Prüfstand erkennt mit der Folge, dass in gleicher Weise Einfluss auf das Emissionskontrollsystem genommen wurde, hätte auch der Einsatz dieser Zykluserkennung nicht zur Folge, dass die Stickoxidgrenzwerte auf dem Prüfstand nur mit ihrer Hilfe eingehalten werden. Dies ergibt sich aus den jahrelangen Überprüfungen des KBA, die das BMVI in der zitierten Twitternachricht vom 12.09.2019 zusammengefasst hat (Anlage B2). Dies folgt zudem aus der für den streitgegenständlichen Motortyp in den Parallelverfahren vor dem Landgericht Bayreuth und OLG München (Anlagen B15, B38) erteilten Auskünften des KBA vom 15.12.2020 und 25.01.2021, in denen das KBA in Kenntnis der Mitteilungen der Beklagten ab Herbst 2015 und auch gerade des senior counsels der Beklagten vom 01.10.2015 über Temperatur- und WegZeit-Sensierungen nach umfangreichen Überprüfungen keine unzulässigen Abschalteinrichtungen festgestellt hat.
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Das KBA hat damit nicht lediglich die Fahrkurvenerkennung untersucht, sondern den streitgegenständlichen Motortyp auch auf die sog. physikalischen Randbedingungen und deren Emissionsrelevanz überprüft. Beanstandungen ergaben sich nicht.
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Von einer – von der Klagepartei nachzuweisenden – vorsätzlichen Täuschung mit dem Ziel der Erschleichung einer ansonsten nicht zu erreichenden Typgenehmigung kann nicht ausgegangen werden, wenn das KBA als zuständige Behörde nach gezielten eigenen Untersuchungen in Kenntnis der verwendeten Funktionen keine Veranlassung sieht, die Typgenehmigung zu widerrufen oder deren Fortbestand von verpflichtenden Software-Updates abhängig zu machen. Es kommt auch in diesem Zusammenhang nicht darauf an, ob die Beklagte mit der Offenlegung der Fahrkurve als solcher oder weiterer Weg-Zeit-Sensierungen in vollem Umfang gegenüber dem KBA dargelegt hat, in welcher Weise die Motorsteuerung von der Erkennung einer Prüfstandsituation abhängt. Dies gilt auch, soweit der Kläger behauptet, der SCR-Katalysator sei entgegen der konkluedenten Behauptung der Beklagten im Typgenehmigungsverfahren entgegen Art. 3 Nr.9 S.2 der EG VO 692/2008 bei Außentemperaturen von -7°C nicht nach spätestens 400 Sekunden betriebsbereit. Abgesehen davon, dass der Wortlaut der Richtlinie auf ein „ordnungsgemäßes Arbeiten der Nox-Nachbehandlungseinrichtung bei einem Kaltstart“ abstellt und dies unabhängig von konkreten AdBlue-Einspritzung des SCR-Katalysators der Fall sein kann, hat das KBA auch insoweit nach umfangreichen Prüfungen keine Beanstandungen ausgesprochen. Das KBA wurde, wie ausgeführt, jedenfalls in die Lage versetzt, ausgehend von einer mitgeteilten „Prüfstandserkennung“ eigene Untersuchungen durchzuführen. Das KBA nahm dies, wie aus dem Bericht der Untersuchungskommission Volkswagen (Anlage B1) hervorgeht, zum Anlass, eigens ein Prüfverfahren zu entwickeln, in dem das streitgegenständliche Aggregat nach Überprüfung beanstandungslos blieb. Es bestand grundsätzlich auch keine Verpflichtung der Beklagten, das KBA über die behaupteten nach Erreichen der Betriebstemperatur auf dem Prüfstand hoch bleibenden AGR zu informieren, da diese jedenfalls die Emissionswerte nicht in grenzwertrelevanter Weise beeinflusste und das KBA, wie ausgeführt, auf diesen Gesichtspunkt abstellte.
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ee) Ferner sind greifbare Anhaltspunkte für die Behauptung des Klägers, es gebe eine zeitliche Abschaltfunktion, nicht ersichtlich. Die Beklagte verweist insofern zu Recht auf den Untersuchungsbericht … (Anlage B1, S.15). Die Überprüfung durch das KBA durch einen Testzyklus mit warmem Motor, ob nach 1.190 Sekunden auf eine Reduzierung der Emissionsminderungsmaßnahmen umgeschaltet werde, ergab keine derartigen Hinweise (vgl. Anlage B1 S.22, 63 ff).
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ff) Soweit die Klagepartei auf einen Rückruf . für das hier nicht streitgegenständliche Fahrzeugmodell . wegen „Überschreitung des Euro 6-Grenzwerts für Stickoxide“ verweist, ergeben sich hieraus keine Anhaltspunkte für das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung, geschweige denn für ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten bezogen auf das streitgegenständliche Fahrzeug.
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2. Ein Anspruch der Klagepartei aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB scheitert bereits daran, dass die Klageseite eine Täuschung des KBA nicht substantiiert darstellen konnte. Auch vorsätzliches Handeln der Beklagten ist nicht plausibel vorgetragen, wie unter Ziffer 1) ausgeführt.
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2. Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs,1 EG-FGV steht der Klagepartei nicht zu, da der von ihr geltend gemachte Schaden nicht in den Schutzbereich der §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV fällt (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19 – Rn. 72 ff, juris). Darüberhinaus ist kein fahrlässiges Handeln der Verantwortlichen der Beklagten in Bezug auf die Einhaltung dieser Vorschriften im Zeitpunkt der Erlangung der Typgenehmigung vorgetragen oder ersichtlich. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass, wie ausgeführt, das KBA die von Klageseite beanstandeten technischen Maßnahmen nicht als unzulässige Abschalteinrichtungen im Sinne der genannten Normen einstuft.
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Die Voraussetzungen für eine Revisionszulassung gemäß § 543 Abs. 2 ZPO sind nicht ersichtlich. Insbesondere ergibt sich nichts anderes im Hinblick auf das Urteil des OLG Köln vom 10.03.2022 (AZ. 24 U 112/21). Eine Divergenz im Sinne von § 543 Abs. 2 S.1 Nr.2 ZPO liegt nicht vor. Der bloße Umstand, dass mehrere Prozesse über vergleichbare Forderungen geführt werden und ein gleichrangiges Gericht einen gegenteiligen Standpunkt als der Senat in diesem Verfahren eingenommen hat, begründet schon keine Divergenz. Von dieser ist vielmehr nur dann auszugehen, wenn den Entscheidungen sich widersprechende abstrakte Rechtssätze zu Grund liegen (vgl. BGHZ 151, 42,45; BGHZ 152, 182, 186). Davon zu unterscheiden ist, wenn die gegenteiligen Urteile auf der Würdigung des jeweils vorgetragenen Sachverhalts in tatsächlicher Hinsicht beruhen, wie vorliegend. Ob der Tatrichter auf dieser Grundlage ein sittenwidriges Verhalten einer Partei annimmt, obliegt grundsätzlich seiner abschließenden Beurteilung und ist revisionsrechtlich nur eingeschränkt überprüfbar (vgl. BGH, Beschluss vom 09.07.2007, II ZR 95/06, Rn.2 m.w.N.). Vorliegend tritt hinzu, dass das OLG Köln ausdrücklich offengelassen hat, wie es die Sittenwidrigkeit des Handelns der Beklagten bei einem Kaufvertragsschluss nach Ende 2015 beurteilt hätte. Dies ist die hiesige Sachverhaltskonstellation.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr.10, 713 ZPO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 3 ZPO, §§ 39, 40, 47 GKG.