Inhalt

SG Landshut, Urteil v. 01.04.2022 – S 6 R 216/20
Titel:

Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erwerbsminderungsrente

Normenkette:
SGB VI § 43
Leitsatz:
Erwerbsgemindert ist gem. § 43 Abs. 3 SGB VI nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Erwerbsminderung, leichte Arbeiten, Konzentrationsfähigkeit, positives Leiszungsbild
Rechtsmittelinstanzen:
LSG München, Beschluss vom 26.10.2022 – L 14 R 234/22
BSG Kassel, Beschluss vom 06.02.2023 – B 5 R 205/22 B
Fundstelle:
BeckRS 2022, 43364

Tenor

I. Die Klage gegen den Bescheid vom 07.01.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.03.2020 wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger über den
31.01.2020 hinaus Rente wegen voller Erwerbsminderung zu bewilligen.
2
Der 1962 geborene Kläger hat den Beruf eines Kfz-Schlossers erlernt. Seit dem Jahr 2009 war er als Betriebsschlosser in einem Sägewerk in Vollzeit beschäftigt.
3
Am 16.02.2016 stellte der Kläger erstmals Antrag auf Zahlung von Rente wegen voller Erwerbsminderung. Diese wurde von der Beklagten wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit bis zum 31.01.2020 gewährt.
4
Der Kläger stellte dann einen Antrag auf Weiterzahlung der Rente über den 31.01.2020 hinaus. Mit Bescheid vom 07.01.2020 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Dem Antrag des Klägers auf Weiterzahlung der Rente wegen Erwerbsminderung für die Zeit ab dem 01.02.2020 könne leider nicht entsprochen werden, weil der Kläger die medizinischen Voraussetzungen für diese Rente nicht mehr erfülle, da er wieder mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein könne.
5
Dagegen wurde am 20.01.2020 Widerspruch eingelegt den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 05.03.2020 zurückwies. Der Kläger habe ab dem 01.02.2020 keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung mehr. Grundlage für die Entscheidung sei die Beurteilung des Leistungsvermögens des Klägers durch den ärztlichen Sachverständigen. Die Auswertung der medizinischen Unterlagen sei für die Beklagte schlüssig und nachvollziehbar. Danach sei das Leistungsvermögen des Klägers eingeschränkt. Er könne aber noch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt wieder mindestens sechs Stunden täglich arbeiten.
6
Dagegen hat der Kläger am 03.03.2020 Klage zum Sozialgericht Landshut erhoben. In der Klagebegründung vom 01.04.2020 hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers unter anderem vorgetragen, die Beklagte solle weiterhin also ab dem 01.02.2020 dem Kläger Rente wegen Erwerbsminderung bewilligen. Mit der Entscheidung der Beklagten sei der Kläger nicht einverstanden. Der Kläger leide wie bei Rentenantragstellung weiterhin an Gesundheitsstörungen, die sich nicht gebessert hätten. Er sei nach wie vor nicht in der Lage, berufliche Tätigkeiten von wirtschaftlichem Wert zu verrichten. Er leide an chronischen Schmerzen am gesamten Bewegungsapparat. Trotz fachärztlicher Behandlung und Einnahme von Schmerzmitteln habe dies nicht gebessert werden können. Weder könne er längere Zeit gehen, stehen oder sitzen noch sei es ihm möglich Gegenstände mit nur geringem Gewicht zu tragen oder zu heben. Selbst das Anziehen der Socken und Schuhe falle ihm schwer.
7
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 07.01.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.03.2020 zu verurteilen, dem Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung über den 31.01.2020 hinaus zu bewilligen.
8
Der Vertreter der Beklagten beantragt,
die Klage abzuweisen.
9
Die Beklagte verweist auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid.
10
Nach Abschluss seiner Ermittlungen beauftragte das Gericht Dr. D. mit der Erstellung eines gerichtsärztlichen Sachverständigengutachtens. Der Sachverständige kam nach persönlicher Untersuchung des Klägers am 18.01.2022 in seinem Gutachten vom 18.01.2022 zu folgenden Gesundheitsstörungen:
* Funktionelle Restbeeinträchtigung nach Knie-TEP-Implantation links,
* endgradig schmerzhafte Funktionseinschränkung beider Schultergelenke,
* degeneratives LWS-Syndrom mit Bewegungseinschränkungen und Spondylolisthese Grad I Höhe L5/S1 (3mm),
* eingeschränkte Gebrauchsfähigkeit beider Hände bei Arthrose der Fingergrundgelenke ohne Störung der Feinmotorik,
* belastungsunabhängige Schmerzen an beiden Füßen,
* Gichterkrankung mit Gichtarthritis bei Hallux valgus rechts,
* Schlafapnoesyndrom.
11
Im Vergleich zum von der Beklagten zuletzt eingeholten Gutachten von Dr. G. vom 19.12.2019 habe sich keine wesentliche Änderung des Gesundheitszustandes des Klägers ergeben. Einzig die Gichtarthritis am rechten Großzehengrundgelenk sei hinzugetreten. Diese habe keinen maßgeblichen Einfluss auf die Leistungsbeurteilung.
12
Der Kläger könne noch mindestens sechs Stunden täglich seit dem 01.02.2020 leichte körperliche Tätigkeiten überwiegend im Sitzen, zeitweise im Gehen oder Stehen unter Vermeidung von Zwangshaltungen ausüben. Vermieden werden sollten Überkopfarbeiten, Arbeiten in Armvorhalteposition, Ersteigen von Treppen oder Leitern sowie Tätigkeiten mit Absturzgefahr. Ebenso sollten Tätigkeiten mit häufigem Bücken, Anforderungen an die Gang- und Standsicherheit, Arbeiten im Knien oder Hocken vermieden werden. Tätigkeiten mit Anforderungen an die Handkraft bzw. höhere Anforderungen an die Gebrauchsfähigkeit der Hände sollten ebenfalls vermieden werden. Daraus ergebe sich keine quantitative Leistungseinschränkung des Klägers. Das dargestellte positive Leistungsbild sei in einem Umfang von sechs Stunden und mehr möglich.
13
Das Umstellungsvermögen des Klägers sei hinsichtlich der intellektuellen Leistungsfähigkeit nicht beeinträchtigt. Die nach Anamneseerhebung mitgeteilte Beeinträchtigung der Konzentrationsfähigkeit sei nicht gesichert und zunächst als vorübergehend zu bewerten. Eine Notwendigkeit krankheitsbedingter oder therapiebedingter zusätzlicher Arbeitspausen bestehe nicht. Auch ein halbstündiger Wechsel zwischen Sitzen und Gehen sei aufgrund der gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht notwendig. Eine Beeinträchtigung der Wegefähigkeit liege nicht vor. Zudem sei der Kläger in der Lage ein Kraftfahrzeug zu führen.
14
Im Übrigen wird zur Ergänzung des Tatbestandes auf den Inhalt der Klageakte sowie den Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten und die übrigen Akten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

15
Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig.
16
Die Klage ist jedoch nicht begründet.
17
Gegenstand des Rechtsstreits ist der Bescheid vom 07.01.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.03.2020 mit dem es die Beklagte abgelehnt hat, dem Kläger eine Rente wegen Erwerbsminderung über den 31.01.2020 hinaus zu zahlen.
18
Der Bescheid der Beklagten ist nicht zu beanstanden. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung gemäß § 43 Abs. 2 SGB VI mehr zu und auch kein Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung (§ 43 Abs. 1 SGB VI).
19
Gem. § 43 Abs. 1, 2 SGB VI haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen teilweiser bzw. voller Erwerbsminderung, wenn sie
1.
teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind,
2.
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben,
3.
vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
20
Teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs bzw. drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
21
Erwerbsgemindert ist gem. § 43 Abs. 3 SGB VI nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
22
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Dies steht zur Überzeugung des Gerichts nach dem Abschluss der Beweisaufnahme fest. Das Gericht legt seiner Entscheidung die schlüssig begründeten Ausführungen des Sachverständigengutachtens von Dr. D. vom 18.01.2022 zu Grunde. Es wurden im Gutachten die vorliegenden medizinischen Unterlagen ausgewertet, der Kläger wurde vom Sachverständigen Dr. D. persönlich untersucht und es wurden die diagnostizierten Gesundheitsstörungen für die Kammer nachvollziehbar sozialmedizinisch bewertet.
23
Der Sachverständige Dr. D. hat folgende Gesundheitsstörungen festgestellt:
* Funktionelle Restbeeinträchtigung nach Knie-TEP-Implantation links,
* endgradig schmerzhafte Funktionseinschränkung beider Schultergelenke,
* degeneratives LWS-Syndrom mit Bewegungseinschränkungen und Spondylolisthese Grad I Höhe L5/S1 (3mm),
* eingeschränkte Gebrauchsfähigkeit beider Hände bei Arthrose der Fingergrundgelenke ohne Störung der Feinmotorik,
* belastungsunabhängige Schmerzen an beiden Füßen,
* Gichterkrankung mit Gichtarthritis bei Hallux valgus rechts,
* Schlafapnoesyndrom.
24
Mit diesen Gesundheitsstörungen ist der Kläger noch in der Lage seit dem 01.02.2020, also nach dem Ablauf der befristeten Rente wegen Erwerbsminderung täglich mindestens sechs Stunden leichte Arbeiten zu verrichten. Der Kläger kann zur Überzeugung des Gerichts noch leichte körperliche Tätigkeiten überwiegend im Sitzen, zweitweise im Gehen oder Stehen unter Vermeidung von Zwangshaltungen ausüben. Vermieden werden sollten Überkopfarbeiten, Arbeiten in Armvorhalteposition, Ersteigen von Treppen oder Leitern sowie Tätigkeiten mit Absturzgefahr. Ebenso sollten Tätigkeiten mit häufigen Bücken, Anforderungen an die Gang- und Standsicherheit, Arbeiten im Knien oder Hocken vermieden werden. Tätigkeiten mit Anforderungen an die Handkraft bzw. höhere Anforderungen an die Gebrauchsfähigkeit der Hände sollten ebenfalls vermieden werden. Daraus ergibt sich eine qualitative Leistungseinschränkung des Klägers aber keine quantitative Leistungseinschränkung. Das dargestellte positive Leistungsbild ist dem Kläger einem Umfang von sechs Stunden und mehr zur Überzeugung des Gerichts möglich.
25
Das Umstellungsvermögen des Klägers sei hinsichtlich der intellektuellen Leistungsfähigkeit nicht beeinträchtigt. Die nach Anamneseerhebung mitgeteilte Beeinträchtigung der Konzentrationsfähigkeit sei nicht gesichert und zunächst als vorübergehend zu bewerten.
26
Eine Notwendigkeit krankheitsbedingter oder therapiebedingter zusätzlicher Arbeitspausen bestehe nicht. Auch ein halbstündiger Wechsel zwischen Sitzen und Gehen sei aufgrund der gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht notwendig. Eine Beeinträchtigung der Wegefähigkeit liege nicht vor. Zudem sei der Kläger in der Lage ein Kraftfahrzeug zu führen.
27
Dies wird auch durch das Gutachten von Dr. G. vom 19.12.2019 bestätigt.
28
Mit diesem Leistungsvermögen erfüllt der Kläger die Voraussetzungen für die Bewilligung einer Rente wegen Erwerbsminderung nicht mehr. Der Bescheid der Beklagten ist rechtmäßig und nicht zu beanstanden. Die Klage war daher abzuweisen.
29
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.