Titel:
Prozeßbevollmächtigter, Vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren, Regulierungsverhalten, Gerichtsgebühren, Elektronisches Dokument, Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Unterbevollmächtigter, Verfahrensgebühr, Kostenübernahmeerklärung, Elektronischer Rechtsverkehr, Zahlungsaufforderung, Erforderlichkeit und Zweckmäßigkeit, Streitwert, Verfahren nach billigem Ermessen, Wert des Beschwerdegegenstandes, Kostenentscheidung, Anderweitige Erledigung, Erstattungsfähigkeit, Darlegungs- und Beweislast
Schlagwort:
Fluggastrechteverordnung
Fundstellen:
RRa 2023, 23
ReiseRFD 2023, 370
LSK 2022, 43280
BeckRS 2022, 43280
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 65 % und die Beklagte 35 % zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 250,00 € festgesetzt
Entscheidungsgründe
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Gemäß § 495 a ZPO bestimmt das Gericht das Verfahren nach billigem Ermessen. Innerhalb dieses Entscheidungsrahmens berücksichtigt das Gericht grundsätzlich den gesamten Akteninhalt.
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I. Hinsichtlich der Hauptsacheforderung in Höhe von 250,00 € haben die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt, § 91a Abs. 1 ZPO
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II. Soweit über die Klage noch zu entscheiden war, ist diese zulässig, aber unbegründet.
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Die Klägerin hat im Streitfall keinen Anspruch auf Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 44,59 €
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a) Zwar lag im Zeitpunkt der Beauftragung der klägerischen Prozessbevollmächtigten unstreitig Verzug im Sinne des § 286 BGB vor, nachdem die Klägerin die Beklagte mit Schreiben vom 11.11.2019 unter Fristsetzung zum 25.11.2019 erfolglos zur Zahlung aufgefordert hat.
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b) Es steht jedoch nicht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Einschaltung der klägerischen Prozessbevollmächtigten in diesem Einzelfall eine zweckent- und erfolgversprechende Maßnahme der Rechtsverfolgung war, die zur Erstattungsfähigkeit fuhren wurde
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aa) Nach ständiger Rechtsprechung des BGH hat der Schädiger nicht schlechthin alle durch das Schadensereignis adäquat verursachten Rechtsanwaltskosten zu ersetzen, sondern nur solche, die aus ex ante Sicht eines wirtschaftlich denkenden Geschädigten mit Rucksicht auf seine spezielle Situation zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig waren (BGH, Urteil vom 17.09.2015 – IX ZR 280/14 – juris, BGH, Urteil vom 08.11.1994 – VI ZR 3/94 – BGHZ 127, 348 (350); BGH, Urteil vom 23.10.2003 – IX ZR 249/02 – NJW 2004, 44 (446), BGH, Urteil vom 18.01.2005 – VI ZR 73/04-NJW 2005, 1112).
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bb) Die Klagepartei musste vorliegend zwar nicht schon wegen ihrer unstreitigen Spezialisierung auf Fluggastrechte davon ausgehen, dass eine außergerichtliche Tätigkeit eines Rechtsanwalts von vornherein aussichtslos war (vgl. BGH, Urteil vom 12.09.2017 – X ZR 102/16) Dies gilt aber nur soweit nicht weitere Umstande auf eine Aussichtslosigkeit der vorgerichtlichen Anwaltstätigkeit schließen lassen (vgl. auch BGH, Urteil vom 17.09.2015 – IX ZR 280/14, Rdn. 17 „regelmäßig“).
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Die Darlegungs- und Beweislast für die Erforderlich- und Zweckmaßigkeit tragt die Klagepartei (BGH, Urteil vom 12.07.2011 – VI ZR 214/10, Rdn. 20).
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Unstreitig ist vorliegend, dass die Beklagte bei Einschaltung der Prozessbevollmächtigten grundsätzlich nicht anders als der Klägerin selbst gegenüber reagiert, was die Klägerin seit Jahren auch weiß Ferner hat die Beklagte die Klägerin im Antwortschreiben auf die erste Zahlungsaufforderung vom 11.11.2019 unstreitig darauf hingewiesen, dass sie die Anspruche zurückweise und eine außergerichtliche Beauftragung von Rechtsanwälten „nicht erforderlich und sachdienlich“ sei Schließlich blieb auch der Vortrag der Beklagten, dass die Klägerin selbst in anderen Verfahren vor dem Amtsgericht Köln vortragt, dass eine außergerichtliche Beauftragung der Vertragsanwalte der Klägerin nicht erforderlich und sachdienlich sei, sodass die unmittelbare Erhebung der Klage geboten sei, unbestritten. In der Gesamtschau dieser Umstände ist das Gericht vorliegend von einer grundsätzlich nicht vorhandene Zahlungsbereitschaft der Beklagten auf eine vorgerichtliche Zahlungsaufforderung durch die Prozessbevollmächtigten und die Kenntnis der Klägerin hiervon überzeugt. Dies jedenfalls dann, wenn die Zahlung bereits gegenüber der Klägerin selbst – wie hier – abgelehnt wurde.
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Soweit die Klägerin mögliche Erfolgsaussichten einer vorgerichtlichen Beauftragung der Prozessbevollmächtigten weiter damit rechtfertigt, es habe eine Änderung bzw. Konkretisierung der Rechtslage – hinsichtlich einen gewerkschaftlich organisierten Streik als außergewöhnlicher Umstand i.S.d. Art. 5 Abs. 3 VO(EG) 261/2004 – durch das Urteil des EuGH vom 23.03.2021 und den Hinweisbeschluss des Landgerichts Landshut vom 12.04.2021 gegeben, ist sehr fraglich, ob die Zweckmäßigkeit insofern anders zu beurteilen wäre. Denn vorgetragen wurde insoweit – betreffend den Zeitraum vor dem 14.06.2021 – nur eine Zahlung durch die Beklagte und zwar im Rahmen des laufenden Berufungsverfahrens am Landgericht Landshut Ruckschlusse auf das Regulierungsverhalten im hier fraglichen vorgerichtlichen Stadium sind daher nur bedingt möglich Dies kann letztlich aber offenbleiben, da es vorliegend jedenfalls an der weiter notwendigen „Erforderlichkeit“ fehlt.
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Unbestntten wurden mit dem vefahrensgegenständlichen Verfahren über 1000 gleichgelagerte Fälle betreffend Flugunregelmäßigkeiten wegen des Streiks der Gewerkschaft UFO im Spätherbst 2019 am 18.05.2021 und am 14.06.2021 zeitgleich bzw in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang – unabhängig jeglicher Einordnung i.S.d. § 15 RVG oder Bündelung in einheitlichen Datensätzen – zur Prüfung der neuen Sach- und Rechtslage an die Prozessbevollmächtigten übergeben. Mithin lässt sich die Erforderlichkeit der in jedem einzelnen Fall anfallenden Rechtsanwaltsgebühren für einen wirtschaftlich denkenden Menschen nach dem vorliegenden Vortrag nicht begründen. Vielmehr hatte es u.U. – im Hinblick auf die bekannt nicht vorhandene Zahlungsbereitschaft der Beklagten – ausgereicht einzelne wenige Falle an den Rechtsanwalt zu geben, um eine Änderung des Regulierungsverhaltens zu eruieren
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Eine isolierte Betrachtung jeden einzelnen Falles verbietet sich in der Gesamtschau Denn bei der Beurteilung der ex ante Sicht (s.o. aa)) sind die individuellen Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten des jeweiligen Geschädigten – die sich auch zugunsten des Schädigers auswirken können – zu berücksichtigen. Im Gegensatz zur oben dargestellten grundsätzlichen Ersatzfähigkeit vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten eines spezialisierten Rechtsdienstleisters (vgl. bb)) ist im Rahmen des Wirtschaftlichkeitsgebotes weiter zu berücksichtigen, dass es der Geschädigten vorliegend – aufgrund ihrer Spezialisierung und der im Rahmen der Portfoliobildung (was unbestritten blieb) auch erkannten Vergleichbarkeit der Sachverhalte einer Vielzahl von Fällen – relativ einfach und auf vielfaltige Weise möglich gewesen wäre, den Schaden in Form der vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren zu minimieren.
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Der Vortrag der Klägerin dagegen, die Beklagte habe in 227 Fallen zwischen dem 09.07.2021 und dem 21.09.2021 reagiert und um Legitimation gebeten habe, kann allein eine andere Beurteilung der Erforderlich- und Zweckmäßigkeit nicht begründen. Denn die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten liegt zeitlich davor (14.06.2021), sodass diese Falle höchstens als Indiz herangezogen werden können Vor allem aber wurde schon eine Zahlung der Beklagten in diesen Fällen wurde nicht vorgetragen, sodass ein geändertes Regulierungsverhalten davon nicht abgeleitet werden kann.
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cc) Trotz Hinweises des Gerichts wurde die Wirtschaftlichkeit des hiesigen Vorgehens nach alledem nicht plausibel von der darlegungs- und beweisbelasteten Klägerin dargetan Eine Aufspaltung der zunächst selbst zusammengefassten Falle zum Zwecke der gleichzeitigen Beauftragung der Prozessbevollmächtigten stellt sich nach dem Akteninhalt nicht als wirtschaftlich vernünftige Vorgehensweise einer auf Kostenersparnis bedachten Partei – im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung – dar und war zur Wahrnehmung der Rechte folglich auch nicht erforderlich und zweckmäßig.
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III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 S 1 ZPO Nach der sog. Mehrkostenmethode waren dabei der Klägerin die Kosten für die streitige Entscheidung aufzuerlegen, da diese dadurch entstanden sind, dass sie über den übereinstimmend für erledigt erklärten Teil der Klage (mit Kostenübernahmeerklärung der Beklagten, welche zur Reduzierung der Gerichtsgebühren von 3 auf 1 fuhrt) hinaus noch eine weitere, unbegründete Forderung geltend gemacht hat. Für diese streitige Entscheidung betreffend die vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebührenforderung sind vorliegend nicht unerhebliche Mehrkosten – in Form von 2 Gerichtsgebühren nebst Gebühren für die durchgeführte Hauptverhandlung – entstanden Eine Beteiligung der Beklagten an diesen Mehrkosten hält das Gericht für nicht sachgerecht.
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Die in Verhältnissetzung der hypothetischen Prozesskosten in Hohe von insgesamt 190,88 € (= Kosten bei einfacher Gerichtsgebühr (38,00 €) + 2 * Verfahrensgebühr (63,70 € + 12,74 €)) – für den < Fall, dass das Verfahren durch die übereinstimmende Erledigterklärung mit Kostenübernahmeerklärung der Beklagten bereits beendet worden wäre – zu den tatsachlich angefallenen Kosten in Hohe von insgesamt (ungefähr) 547,72 € (Gerichtsgebühren 3 * 38,00 € = 114 € + Rechtsanwaltsgebühren in Hohe von insgesamt 433,72 € (= 2 * 1,3 Verfahrensgebühr (63,70,- + 20,-) + 2 * 1,2 Terminsgebühr (58,80 € + 20,00 €) + Kosten für Unterbevollmächtigte 2 * max. 54,36 €) durch die streitige Fortsetzung des Verfahrens, ergibt die im Tenor festgesetzte Kostenquote Steuern werden dabei Außer acht gelassen.
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IV. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in den §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.
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V. Die Berufung war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen gem § 511 Abs. 4 Nr. 1 ZPO nicht vorliegen Die Rechtslage ist hinreichend geklärt. Die danach verbleibenden Fragen sind solche der Einschätzung der Zweckmäßigkeit und Erforderlichkeit im Einzelfall, die auch zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung keine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordern. Die Sachlage wurde mit den Parteien ausführlich erörtert.