Inhalt

AG Passau, Beschluss v. 20.12.2022 – 4 M 3959/22
Titel:

Zur Verpflichtung des Räumungsschuldners zur Herausgabe der Wohnungsschlüssel

Normenketten:
BGB § 546 Abs. 1, § 854
ZPO § 766
Leitsätze:
1. Die Verpflichtung des Mieters zur Herausgabe der Wohnungsschlüssel ist von der Herausgabepflicht gem. § 546 Abs. 1 BGB umfasst und bedarf keiner gesonderten Erwähnung in dem auf Räumung und Herausgabe der Wohnung lautenden Vollstreckungstitel. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Verpflichtung des Mieters zur Rückgabe der Mietsache nach § 546 Abs. 1 BGB erschöpft sich nicht darin, den Besitz aufzugeben oder zu erklären, ein Recht zum Besitz und zur Nutzung der Mietsache nicht mehr zu haben. Der Mieter darf die Mietsache nicht einfach irgendwo abstellen oder zurücklassen oder das Mietgrundstück bzw. die Mieträumlichkeiten verlassen, um seiner Rückgabepflicht zu genügen. Das gilt selbst dann, wenn er den Vermieter davon informiert und die Schlüssel an der Mietsache zurücklässt, da dies nicht eine Sachherrschaft, sondern nur die Möglichkeit begründet, sich diese zu verschaffen. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
3. Anders ist es dann, wenn der Mieter dem Vermieter sämtliche Schlüssel zu dem Mietobjekt zukommen lässt bzw. wenn der Vermieter sich nach Besitzaufgabe die zurückgelassenen Schlüssel verschafft hat oder sie sonst wie zurückerhält. (Rn. 11 und 14) (redaktioneller Leitsatz)
4. Im Erinnerungsverfahren des Vollstreckungsgläubigers gegen die Zurückweisung des Auftrags zur Herausgabevollstreckung durch den Gerichtsvollzieher kommt eine Kostenentscheidung zu Lasten des Gerichtsvollziehers nicht in Betracht, weil dieser nicht Erinnerungsgegner ist. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Rückgabepflicht des Mieters, Herausgabe der Wohnungsschlüssel, Herausgabevollstreckung, Besitzaufgabe durch den Mieter, Erinnerung im Vollstreckungsverfahren, Kostenentscheidung im Erinnerungsverfahren, Kostenentscheidung zu Lasten des Gerichtsvollziehers
Fundstellen:
DGVZ 2023, 103
LSK 2022, 43185
BeckRS 2022, 43185

Tenor

Auf die Erinnerung der Gläubigerin wird die Entscheidung der Gerichtsvollzieherin vom 24.10.2022 aufgehoben und die Gerichtsvollzieherin angewiesen, den Vollstreckungsauftrag vom 19.09.2022 die Schlüssel der verfahrensgegenständlichen Mietwohnung betreffend auszuführen.

Gründe

I.
1
Die Gläubigerin erteilte mit Schreiben vom 19.09.2022 Auftrag zur Herausgabevollstreckung gegenüber der zuständigen Gerichtsvollzieherin, wo das Verfahren unter dem Aktenzeichen 1 DR II 1029/22 geführt wird. Die Gerichtsvollzieherin sollte dem Schuldner die Schlüssel zur verfahrensgegenständlichen Mietwohnung im 2. OG des Anwesens … wegnehmen. Dem Auftrag war eine vollstreckbare Ausfertigung des Versäumnisurteils des AG Landshut vom 08.06.2022, welches auf Räumung und Herausgabe derselben Wohnung lautet, beigefügt. Die Gerichtsvollzieherin wies den Auftrag mit Schreiben vom 24.10.2022 kostenpflichtig ab. Der Titel der Gläubigerin laute auf Herausgabe der Wohnung, nicht jedoch der dazugehörenden Schlüssel, weshalb eine Vollstreckung ausscheide.
2
Dem widersetzte sich der Gläubigervertreter in einer E-Mail vom 27.10.2022. Er vertritt die Ansicht, dass sich die titulierte Herausgabepflicht die Wohnung betreffend in der Herausgabe der zur Wohnung gehörenden Schlüssel manifestiere.
3
Die Gerichtsvollzieherin legte die Stellungnahme vom 27.10.2022 als Erinnerung aus, half dieser am 23.11.2022 nicht ab und legte die Angelegenheit dem Amtsgericht Passau – Vollstreckungsgericht – vor. Das Gericht wies mit Verfügung vom 12.12.2022 auf Wirsamkeitsbedenken die Erinnerung betreffend hin. Der Gläubigervertreter versandte den Text der Erinnerung am 15.12.2022 erneut, diesmal per beA, an das Gericht.
4
Zur Vervollständigung des Tatbestandes wird im übrigen auf dem Akteninhalt Bezug genommen.
II.
5
Die zulässige Erinnerung ist begründet.
6
1. Die Erinnerung ist zulässig (§ 766 II, 1. Alt. ZPO). Das Amtsgericht Passau ist als Vollstreckungsgericht ausschließlich zuständig (§§ 746 II, 802 ZPO). Die Erinnerung wurde mit dem Schreiben vom 15.12.2022 wirksam eingelegt; sie ist nicht fristgebunden und benötigt keinen Antrag. Das Ziel der Erinnerungsführerin ist klar erkenntlich: die Zurückweisung des Vollstreckungsauftrages akzeptiert sie nicht.
7
Die Zwangsvollstreckung ist noch nicht beendet, weshalb die Erinnerungsführerin über das notwendige Rechtschutzbedürfnis verfügt. Die Gläubigerin ist erinnerungsbefugt, weil die Ausführung ihres Vollstreckungsauftrages in Gänze abgelehnt wurde.
8
2. Die Vollstreckungserinnerung ist begründet, weil die Gerichtsvollzieherin zur Ausführung des Vollstreckungsauftrages vom 19.09.2022 verpflichtet ist. Die Herausgabe der Wohnungsschlüssel ist vom Räumungstitel umfasst.
9
a) Die Rückgabe der Mietsache nach § 546 I BGB erfordert in aller Regel eine Veränderung der Besitzlage zu Gunsten des Vermieters (hier: der Gläubigerin) (vgl. BGH NJW 2004, 774; 2000, 3203; 1991, 2416. Der Mieter muss dem Vermieter den unmittelbaren Besitz verschaffen (vgl. BGH NJW 1971, 2065). Wann das der Fall ist, richtet sich nach den besitzrechtlichen Vorschriften (§ 854 BGB). Danach vollzieht sich ein Besitzerwerb durch Erlangung der tatsächlichen Gewalt, die durch einen nach außen erkennbaren Sachherrschaftswillen (Besitzbegründungswille) getragen ist (vgl. Schmidt-Futterer/Streyl, Mietrecht, 15. Aufl., § 546 BGB Rn. 24).
10
b) Wegen des im Vordergrund stehenden Erfordernisses, dem Vermieter den Besitz zu verschaffen, erschöpft sich die Pflicht des Mieters auch nicht darin, den Besitz aufzugeben (vgl. BGH NJW 1996, 515) oder zu erklären, ein Recht zum Besitz und zur Nutzung der Mietsache nicht mehr zu haben (vgl. OLG Düsseldorf NJW-RR 1987, 911). Deshalb darf er die Mietsache (einen Mietwagen etwa) nicht einfach irgendwo abstellen oder zurücklassen oder das Mietgrundstück bzw. die Mieträumlichkeiten verlassen, um seiner Rückgabepflicht zu genügen. Das gilt selbst dann, wenn der Mieter den Vermieter davon informiert und die Schlüssel an der Mietsache zurücklässt (vgl. BGH NJW 1996, 515), da dies eine Sachherrschaft nicht begründet, sondern nur die Möglichkeit, sich diese zu verschaffen, ohne sie schon zu haben.
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Anders wäre es allerdings dann, wenn der Mieter dem Vermieter die Schlüssel zu dem Mietobjekt zukommen lässt bzw. wenn der Vermieter sich nach Besitzaufgabe die zurückgelassenen Schlüssel verschafft hat oder sie sonst wie zurückerhält (vgl. OLG Düsseldorf NZM 2006, 866; OLG München ZMR 1989, 298). Der Besitz an einer verschlossenen bzw. verschließbaren Sache macht sich nämlich i.d.R. daran fest, wer den Schlüssel hat, es sei denn, er wäre nur Besitzdiener. Nach einer Schlüsselrückgabe hat allein der Vermieter die Fähigkeit, die unmittelbare Sachherrschaft auszuüben; diese Möglichkeit reicht zur Besitzbegründung aus.
12
c) Diesen Zustand, zu dessen Herbeiführung der Schuldner aufgrund des rechtskräftigen Versäumnisurteils verpflichtet ist, hat der Schuldner noch nicht erreicht.
13
aa) Er bewohnt die Wohnung zwar nicht mehr. Dies bedeutet allenfalls nur eine Besitzaufgabe (§ 856 I BGB). Doch selbst diese ist nicht vollständig erfolgt, weil der Schuldner noch Wohnungsschlüssel in Besitz hat, die unmittelbare Sachherrschaft über die Räumlichkeiten also jederzeit wieder ausüben kann.
14
bb) Der Gläubigerin hat er die Wohnung aber nicht übergeben, denn ohne sämtliche (vgl. Schmidt-Futterer/Streyl, Mietrecht, 15. Aufl., § 546 BGB Rn. 33 f.) Schlüssel ist die Mietsache nicht zurückgegeben i.S.d. § 546 I BGB.
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d) Die Herausgabepflicht die Wohnungsschlüssel betreffend ist zur Überzeugung des Gerichts von der Herausgabepflicht des § 546 I BGB umfasst und bedarf keiner gesonderten Erwähnung im Titel. Dieser stellt die Herausgabeverpflichtung zwischen den Parteien bindend fest. Die Rückgabepflicht der Schlüssel folgt schon aus deren Zubehöreigenschaft (vgl. Schmidt-Futterer/Streyl, Mietrecht, 15. Aufl., § 546 BGB Rn. 33) und ohne Schlüsselübergabe findet keine Besitzverschaffung statt, wozu der Schuldner allerdings verpflichtet ist.
16
e) Da der Gläubigerin die verfahrensgegenständliche Wohnung noch nicht übergeben wurde, ist der Vollstreckungsauftrag auszuführen. Die Zurückweisung vom 24.10.2022 war verfahrensfehlerhaft; die Erinnerung ist begründet.
17
Sollte der Schuldner mittlerweile nicht mehr im Zuständigkeitsbereich der angerufenen Gerichtsvollzieherin wohnen, ist der Auftrag durch Weiterleitung an den zuständigen Gerichtsvollzieher auszuführen.
18
3. Eine Kostenentscheidung unterbleibt. Dem Schuldner können nur dann Kosten auferlegt werden, wenn das Erinnerungsverfahren als Zweiparteienverfahren geführt wurde (vgl. beckOK-ZPO/Preuß, Stand: 01.09.2022, § 766 Rn. 61). Eine Kostenentscheidung zu Lasten der Gerichtsvollzieherin kommt nicht in Betracht, weil sie keine Erinnerungsgegnerin ist (vgl. BGH NJW 2004, 2997). Im Falle der Erinnerung nach § 766 II, 1. Alt. ZPO können die Kosten nur dann dem Schuldner auferlegt werden, wenn er beteiligt war (vgl. Musielak/Voit/Lackmann, ZPO, 19. Aufl., § 766 Rn. 31; beckOK-ZPO/Preuß, a.a.O., Rn. 61). Da der Schuldner am Erinnerungsverfahren nicht beteiligt war und nicht beteiligt werden musste, weil es lediglich um die Entscheidung von Rechtsfragen ging, unterbleibt eine Kostenentscheidung.