Inhalt

VG München, Urteil v. 13.12.2022 – M 1 K 22.3796
Titel:

Gesicherte Erschließung eines Grundstücks im Rahmen eines Vorbescheids: Eingetragenes Geh- und Fahrtrecht sowie Entstehen eines Notwegerechts durch geplantes Vorhaben

Normenketten:
BayBO Art. 68 Abs. 5, Art. 71
BauGB § 34 Abs. 1
BGB § 1018
Leitsätze:
1. Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ist zu prüfen, ob im Rahmen eines beantragten Vorbescheids die Zufahrt des Vorhabengrundstücks ausreichend gesichert und dieses nicht auf ein Notwegerecht angewiesen ist. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Bejahung der gesicherten Erschließung privatrechtsgestaltende Wirkung entfaltet, weil sie ein Notwegerecht zu Lasten eines benachbarten Grundstücks entstehen ließe und damit die „ordnungsgemäße Benutzung“ der Vorhabengrundstücke iSv § 917 Abs. 1 S. 1 BGB feststünde. (Rn. 29 – 30) (redaktioneller Leitsatz)
2. Auch wenn einem bereits im Grundbuch eingetragenen Geh- und Fahrtrecht und der zugrundeliegenden Bewilligung keine ausdrückliche Beschränkung zu entnehmen ist, kann diese aufgrund der damals herrschenden und allseits erkennbaren Umstände gegeben sein, sodass die bestellte Dienstbarkeit nicht jede, in Art und Umfang beliebige künftige Nutzung umfasst und auch die mit dem neuen Vorhaben einhergehende Nutzung nicht deckt. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Vorbescheid für Mehrfamilienhaus (6 WE), Erschließung, Umfang eines bestellten Geh- und Fahrtrechts, Nutzungsintensivierung (bejaht), Notwegerecht (bejaht), Notwegerecht, Geh- und Fahrtrecht, Dienstbarkeit, Baurecht, Vorbescheid, Mehrfamilienhaus, Grundbuch, Beschränkung, Bewilligung, Zufahrt, gesicherte Erschließung
Fundstelle:
BeckRS 2022, 43169

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1 und 2 zu tragen. Der Beigeladene zu 3 trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Die Klägerin begehrt die Abänderung eines ihr erteilten Vorbescheids dahingehend, dass die Erschließung für ihr Bauvorhaben als gesichert festgestellt wird.
2
Die Klägerin ist Eigentümerin der bebauten Hinterliegergrundstücke FlNrn. 738/4 und 738/5 Gem. … (im Folgenden: Vorhabengrundstücke; alle FlNr.-Angaben künftig: Gem. …). Nördlich hiervon liegen die bebauten Grundstücke FlNrn. 740/5 und 740/3 an der S.-Straße an. Letzteres steht im Eigentum der Beigeladenen zu 1 und 2.
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Im Grundbuch ist zu Lasten des Grundstücks FlNr. 740/3 ein Geh- und Fahrtrecht für die jeweiligen Eigentümer des Grundstücks FlNr. 738/4 eingetragen. Dies erfolgte auf der Grundlage einer notariellen Bewilligung vom 5. Juli 1961, wonach das Recht besteht, über das belastete Grundstück FlNr. 740/3 zwischen dessen Ostgrenze und der östlichen Hauswand und entlang der südlichen Hauswand jederzeit und ungehindert zu fahren und zu gehen. Ferner wurde zum selben Zeitpunkt ein Klärgrubenmitbenutzungsrecht und ein Anschlussrecht der Hausentwässerung an die Klärgrube an dem Grundstück FlNr. 740/3 für die jeweiligen Eigentümer des Grundstücks FlNr. 738/4 bestellt. Das Grundstück FlNr. 738/5 ging nach Eintragung der vorgenannten Rechte durch Teilung aus dem Grundstück FlNr. 738/4 hervor. Ausweislich des aktuellen Grundbuchs sind gemäß § 1025 BGB berechtigte Grundstücke sowohl FlNr. 738/4 und 738/5.
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Gemäß Bewilligung vom 13. Mai 2020 ist zu Lasten des Grundstücks FlNr. 740/5 und zugunsten des jeweiligen Eigentümers der Vorhabengrundstücke außerdem ein Leitungsrecht eingetragen.
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Am 17. März 1964 wurde für die Vorhabengrundstücke auf der Grundlage eines Bauantrags für das Ausbauen und Vergrößern eines bestehenden Wohngebäudes und das Abbrechen des Webereigebäudes eine Baugenehmigung erteilt. Auf den Eingabeplänen ist als Bestand ein Gebäude (E+D) mit einer Wohnung und ein Handwebraum verzeichnet. Auf dem Lageplan sind ferner langgezogene Gebäude eingezeichnet, die nach Angaben der Klägerin Garagen und Lagerräume sind.
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Die Klägerin beantragte unter dem 18. August 2021 einen Vorbescheid für den Neubau eines Mehrfamilienhauses mit sechs Wohneinheiten und Tiefgarage auf den Vorhabengrundstücken unter Abbruch von zwei Bestandsgebäuden. Das Vorhaben ist dreigeschossig mit einer maximalen Firsthöhe von 12,20 m geplant und weist eine Länge von ca. 36 m einschließlich eines erdgeschossigen Autolifts und eine Breite von 14,60 m auf. Es soll eine Tiefgarage mit 14 Stellplätzen geschaffen werden; vier weitere Stellplätze sollen östlich des Baukörpers auf dem Grundstück errichtet werden. Unter Nr. 2 Buchst. g des Antrags wurde danach gefragt, ob die Erschließung gesichert ist. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Erschließung durch ein eingetragenes Wegerecht über das Grundstück FlNr. 740/3 erfolge. Die Eintragung des Leitungsrechts sei auf dem Grundstück FlNr. 740/5 erfolgt.
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Der Bauausschuss der Beigeladenen zu 3 verweigerte mit Beschluss vom 21. September 2021 das gemeindliche Einvernehmen unter anderem zu der Frage der Erschließung. Im Ausschuss wurde dies damit begründet, dass das Bauvorhaben zu einer massiven Nutzungsintensivierung führen würde, sodass für die Zufahrt eine neue Grunddienstbarkeit erforderlich sei, die nicht vorliege.
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Mit Vorbescheid vom 20. Juli 2022 verneinte der Beklagte das Vorliegen der gesicherten Erschließung (Nr. 1 Frage 7). Es sei nur eine gesicherte Erschließung für das Leitungsrecht (ohne Kanal) vorhanden. Das Vorhaben liege innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils, für den kein Bebauungsplan bestehe. Die Dienstbarkeit für das Leitungsrecht sei vorhanden. Das bestehende Geh- und Fahrtrecht sei jedoch nicht ausreichend. Nach der Rechtsprechung des BGH brauche der betroffene Grundstückseigentümer den erhöhten Fahrverkehr, der auf der Änderung der Betriebsart des herrschenden Grundstücks beruhe, nicht zu dulden. Mit dem Vorhaben erfolge eine gänzlich andere Nutzung. Bestellt worden sei die Dienstbarkeit, als auf dem herrschenden Grundstück eine Weberei mit Büro betrieben worden sei. Das nun geplante Wohngebäude mit sechs Wohneinheiten und 18 Stellplätzen dürfte zu deutlich mehr Fahrbewegungen führen. Zwar könne der Umfang der Dienstbarkeit auch mitwachsen, dies gelte jedoch nur dann, wenn sich die Bedarfssteigerung in den Grenzen einer gleichbleibenden Benutzung halte. Die Umänderung eines (Klein-)Gewerbes in Wohnnutzung sei keine normale wirtschaftliche Entwicklung. Grundsätzlich möge es zwar richtig sein, dass eine gewerbliche Nutzung regelmäßig mehr An- und Abfahrtsverkehr als eine Wohnnutzung beinhalte. Dies bedeute aber nicht, dass das in jedem Fall so sein müsse. In der Weberei – die die erstmalige Nutzung dargestellt habe – sei das Ehepaar mit zwei Angestellten tätig gewesen. Bei einem Wohngebäude in dem Ausmaß des Vorhabens sei eine im Vergleich deutliche Intensivierung des Verkehrs zu erwarten. Da es zu einer Nutzungsänderung komme, liege keine zulässige Bedarfssteigerung, wie sie von der Rechtsprechung anerkannt sei, vor.
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Die Klägerin hat am ... August 2022 Klage erhoben und beantragt,
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Der Beklagte wird verpflichtet, den Vorbescheid vom 20. Juli 2022, Az. VB- …  … … …, in Nummer 1 Frage 7 dahingehend abzuändern, dass die Erschließung für das geplante Bauvorhaben gesichert ist.
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Zum Zeitpunkt der Bestellung des Geh- und Fahrtrechts sei auf dem herrschenden Grundstück neben einer Weberei auch eine Wohnnutzung genehmigt gewesen. Eine Änderung der Nutzungsart liege damit nicht vor. In der Folgezeit seien auf dem Baugrundstück weitere Nutzungen hinzugekommen, unter anderem ein Modellbau mit Büro und Garagen, später sei über Jahrzehnte eine Druckerei mit regem Kunden-, An- und Ablieferverkehr betrieben worden, ohne dass der Umfang der Dienstbarkeit infrage gestellt worden sei. Im Bürobereich sei auch ein Verkaufstresen für Direktkunden vorhanden gewesen; es sei bis zu dreimal täglich zu LKW-Anlieferungen sowie zu weiteren Post- und Paketanlieferungen gekommen. Die Druckerei habe einen starken Umsatz gehabt. Im Bescheid werde von einem falschen Sachverhalt ausgegangen. Die Erschließung sei gesichert, weil das bestellte Geh- und Fahrtrecht nach seinem entscheidenden Wortlaut unbeschränkt bestellt worden sei. Die Klärung einer etwaigen Beschränkung sei aber allein dem zivilrechtlichen Verfahren vorbehalten; die Beurteilung obliege nicht dem Beklagten. Ohnehin liege keine Nutzungsintensivierung vor. Vergleichsmaßstab sei die jahrzehntelange Nutzung durch die Druckerei. Selbst wenn man eine Nutzungsintensivierung annähme, wäre diese von der bestellten Dienstbarkeit gedeckt. Eine Änderung der Nutzungsart liege nicht vor. Selbst bei Unterstellung der Änderung der Nutzungsart liege eine von der Rechtsprechung anerkannte Bedarfssteigerung vor. Die Klägerin habe die Wohneinheiten ohnehin schon auf sechs reduziert, sodass die behauptete Nutzungsintensivierung jedenfalls geringer ausfalle. Für das Baugrundstück bestehe ein umfassendes Leitungsrecht einschließlich Kanal. Der Bescheid lege zutreffend dar, dass dieser im Geh- und Fahrtrecht miteinhalten sei. Dies bestehe aber ohnehin schon wegen der bestellten Dienstbarkeit für ein Klärgrubenmitbenützungsrecht und ein Anschlussrecht der Hausentwässerung an die Klärgrube. Mit dem spätestens im Jahr 1989 erfolgten Anschluss an die Entwässerungsanlage in der S.-Straße habe sich der Inhalt der Dienstbarkeit dahingehend gewandelt, dass das herrschende Grundstück ein Leitungsrecht an dem Grundstück FlNr. 840/3 habe; dies ergebe eine ergänzende Vertragsauslegung. Die Nutzungsart in Form des Anschlusses an eine Entwässerungsanlage bleibe dieselbe wie ursprünglich vereinbart und sei nur entsprechend der technischen Neuerungen zu verstehen.
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Der Beklagte beantragt
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Klageabweisung.
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Die bei Durchführung des Bauvorhabens entstehende Mehrbelastung sei nicht von der im Jahr 1961 erteilten Dienstbarkeit umfasst. Die Ausübung einer Grunddienstbarkeit sei nur in der Weise zulässig, dass sie für den Eigentümer des belasteten Grundstücks nicht beschwerlicher werde. Das Bauvorhaben führe gerade zu einer Mehrbelastung des dienenden Grundstücks und damit dessen Eigentümern.
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Die Bevollmächtigten der Beigeladenen zu 1 und 2 beantragen jeweils
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Klageabweisung.
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Der Beigeladene zu 3 stellt keinen Antrag.
18
Die Beigeladenen zu 1 und 2 haben in einem weiteren Klageverfahren (M 1 K 19.1795) einen der Klägerin erteilten Vorbescheid vom 20. März 2019 angefochten. Das Verfahren ist nach übereinstimmenden Erledigungserklärungen in der Hauptsache eingestellt worden.
19
Die Klägerin beantragte für die Vorhabengrundstücke einen weiteren Vorbescheid für die Errichtung eines Mehrfamilienwohnhauses mit sieben Wohneinheiten, dessen gesicherte Erschließung der Beklagte mit Bescheid vom 17. Mai 2021 verneinte. Die hiergegen erhobene Klage (M 1 K 21.3281) ist mit Urteil vom 13. Dezember 2022 abgewiesen worden.
20
Für den Vortrag im Übrigen und die weiteren Einzelheiten wird auf die Niederschrift der mündlichen Verhandlung am 13. Dezember 2022 und den Inhalt der Gerichts- und Behördenakten, auch in den Verfahren M 1 K 19.1795 und M 1 K 21.3281, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist unbegründet.
22
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf positive Beantwortung der Frage nach der gesicherten Erschließung ihres Vorhabens. Die Verneinung der gesicherten Erschließung im Bescheid vom 20. Juli 2022 ist vielmehr rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
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Der Anspruch besteht nicht, weil das Vorhaben insoweit nicht den öffentlich-rechtlichen Vorschriften, die im Vorbescheidsverfahren zu prüfen sind, entspricht, Art. 71 Satz 1 und 4, Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1, Art. 59 Abs. Satz 1 Nr. 1 Buchst. a BayBO.
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Die nach § 34 Abs. 1 BauGB für die Zulässigkeit des Vorhabens erforderliche gesicherte Erschließung liegt nicht vor.
25
I. Anhand der im Akt befindlichen Luftbilder und Lagepläne geht die Kammer von der Innenbereichslage des Vorhabenstandorts aus. Auch wenn sich der Bestand auf dem Vorhabengrundstück als „Nase“ in den Außenbereich darstellt, besteht ein baulicher Zusammenhang der auf dem Vorhabengrundstück vorhandenen Gebäude mit der nördlich, nordwestlich und nordöstlich gelegenen Bebauung und damit dem Ortsteil.
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II. Die gesicherte Erschließung nach § 34 Abs. 1 BauGB umfasst den hinreichenden Anschluss des Baugrundstücks an das öffentliche Straßennetz, die Versorgung mit Strom und Wasser und die Abwasserbeseitigung (vgl. Battis/Krautzberger/Löhr/Mitschang, BauGB, 15. Aufl. 2022, § 30 Rn. 21).
27
Die Erschließung ist mangels Anschluss an das öffentliche Straßennetz nicht gesichert. Die Vorhabengrundstücke liegen selbst nicht an der öffentlichen Straße an, und das bestellte Geh- und Fahrtrecht reicht für das Vorhaben nicht aus.
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1. Das Landratsamt hat den Umfang der Dienstbarkeit im Rahmen der Beurteilung der Erschließung im Vorbescheidsverfahren zu Recht geprüft, und ebenso ist das Verwaltungsgericht zur Entscheidung hierüber berufen. Der Einwand der Klägerin, dass dies nicht Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens sei, sondern der Zivilgerichtsbarkeit obliege, geht fehl.
29
a) Zwar ergeht gemäß Art. 68 Abs. 5 BayBO die Baugenehmigung – und nach Art. 71 Satz 4 BayBO insoweit auch der Vorbescheid – unbeschadet der privaten Rechte Dritter. Soweit ein Nachbargrundstück von der Zufahrt in Anspruch genommen wird, handelt es sich grundsätzlich um eine privatrechtliche Angelegenheit, die vom öffentlich-rechtlichen Verfahren nicht berührt wird. Jedoch kann der Regelung von Art. 68 Abs. 5 BayBO keine Aussage darüber entnommen werden, ob und ggf. wie sich eine bestandskräftige Baugenehmigung in zivilrechtlichen Nachbarstreitigkeiten auswirkt. Nach der Rechtsprechung des BGH kann eine Grundstücksnutzung, die gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften verstößt, ohne durch eine Baugenehmigung gedeckt zu sein, auch von der Privatrechtsordnung nicht als „ordnungsmäßig“ im Sinne von § 917 Abs. 1 Satz 1 BGB anerkannt werden; umgekehrt stellt eine durch eine Baugenehmigung gedeckte Grundstücksnutzung auch eine ordnungsmäßige Nutzung im Sinne von § 917 Abs. 1 Satz 1 BGB dar, die einen Anspruch auf ein Notwegerecht begründet. Obwohl eine Baugenehmigung unbeschadet der Rechte Dritter erteilt wird, löst die Baugenehmigung, wenn sie in Bestandskraft erwächst, hinsichtlich der Entstehung des Notwegerechts somit gleichsam eine Automatik aus (BayVGH, B.v. 19.2.2007 – 1 ZB 06.3008 – juris Rn. 16; U.v. 7.12.2010 – 14 B 09.2292 – juris Rn. 17).
30
b) Hier hätte die Bejahung der gesicherten Erschließung privatrechtsgestaltende Wirkung, wenn sie ein Notwegerecht zu Lasten des Grundstücks FlNr. 740/3 entstehen ließe und damit die „ordnungsgemäße Benutzung“ der Vorhabengrundstücke im Sinne von § 917 Abs. 1 Satz BGB feststünde. Einem Eigentümer wäre in einem Zivilprozess das Berufen auf die damit einhergehende Eigentumsverletzung abgeschnitten. Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ist daher zu prüfen, ob die Zufahrt ausreichend gesichert und nicht auf ein Notwegerecht angewiesen ist.
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2. Das bestellte Geh- und Fahrtrecht umfasst die durch das Vorhaben vorgesehene Nutzung nicht im Sinne von § 1018 BGB und ließe insoweit ein Notwegerecht entstehen.
32
Um eine Eigentumsverletzung des jeweiligen Eigentümers des dienenden Grundstücks ausschließen, ist Inhalt und Umfang der durch Vertrag begründeten Grunddienstbarkeit festzustellen. Ein Notwegerecht kann nicht nur dann entstehen, wenn eine dingliche Sicherung überhaupt nicht besteht, sondern im Sinne eines ergänzenden Notwegerechts auch dann, wenn die vorhandene Sicherung für das geplante Vorhaben und seine Nutzung nicht ausreicht.
33
Zur Ermittlung des ursprünglichen Inhalts einer Dienstbarkeit ist in erster Linie auf Wortlaut und Sinn der Grundbucheintragung und der in Bezug genommenen Eintragungsbewilligung abzustellen, wie er sich für einen unbefangenen Betrachter als nächstliegende Bedeutung des Eingetragenen ergibt. Wirtschaftlichen und technischen Veränderungen ist bei Bestimmung des Inhalts und Umfangs jeweils Rechnung zu tragen. Ist der Inhalt des Wegerechts nach dem Wortlaut der Grundbucheintragung oder der Bewilligung ohne Einschränkung als Recht zum Gehen und Fahren beschrieben, so bedarf es eindeutiger Anhaltspunkte, um annehmen zu können, das Wegerecht sei auf die Benutzung zu einem bestimmten Zweck beschränkt. Aus der Nutzung des herrschenden Grundstücks zur Zeit der Bestellung der Dienstbarkeit kann eine solche Beschränkung nur hergeleitet werden, wenn ein unbefangener Betrachter unter Berücksichtigung des Grundbuchinhalts und aller zu seiner Auslegung verwertbaren Umstände daraus den eindeutigen Schluss auf eine entsprechende Einschränkung ziehen würde. Umstände außerhalb dieser Urkunden dürfen jedoch insoweit mit herangezogen werden, als sie nach den besonderen Umständen des Einzelfalls für jeden erkennbar sind. Ein von der Eintragung abweichender Parteiwille darf demgegenüber bei der Auslegung nicht berücksichtigt werden. Zu den bei der Auslegung einer Grundbucheintragung zu berücksichtigenden, ohne weiteres erkennbaren Umständen gehören die tatsächlichen Verhältnisse der beteiligten Grundstücke, insbesondere die Lage und Verwendungsart des herrschenden Grundstücks. Allerdings liegen Inhalt und Umfang einer zeitlich unbegrenzten Dienstbarkeit nicht in jeder Beziehung von vornherein fest, sondern sind gewissen Veränderungen unterworfen, die sich aus der wirtschaftlichen und technischen Entwicklung ergeben. Es kommt auf den allgemeinen, der Verkehrsauffassung entsprechenden und äußerlich für jedermann ersichtlichen Charakter des betroffenen Grundstücks an sowie auf das Bedürfnis, von dem Wegerecht in diesem Rahmen Gebrauch zu machen. Dementsprechend kann der Umfang einer Dienstbarkeit mit dem Bedürfnis des herrschenden Grundstücks wachsen, wenn sich die Bedarfssteigerung in den Grenzen einer der Art nach gleichbleibenden Nutzung hält und nicht auf eine zur Zeit der Dienstbarkeitsbestellung nicht vorhersehbare oder auf eine willkürliche Benutzungsänderung zurückzuführen ist. Die (gesetzliche) Anpassung soll unter anderem verhindern, dass der Zweck der Dienstbarkeit durch die entwicklungsbedingte Veränderung der Umstände nicht beeinträchtigt oder gar unmöglich gemacht wird. Sie ist damit eine Konkretisierung des Leistungsinhalts nach § 242 BGB und wie das insoweit vergleichbare Rechtsinstitut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage nicht von dem tatsächlichen, sondern dem hypothetischen Parteiwillen abhängig. Dabei ist der formelhaften Anknüpfung auch an den Willkürtatbestand zu entnehmen, dass in dieser Fallgestaltung an die Vorhersehbarkeit geringe Anforderungen zu stellen sind (zum Ganzen: VG München, U.v. 22.8.2006 – M 1 K 06.1697 – juris Rn. 23, nachfolgend BayVGH, B.v. 19.2.2007 – 1 ZB 06.3008 – juris Rn. 17; s. auch BGH, U.v. 27.1.1960 – V ZR 148/58 – juris Rn. 10; U.v. 11.4.2003 – V ZR 323/02 – juris Rn.10 ff. m.w.N.).
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Gemessen an diesen Grundsätzen deckt das seinerzeit bestellte Geh- und Fahrtrecht die streitgegenständliche Nutzung nicht.
35
Zwar ist dem im Grundbuch eingetragenen Geh- und Fahrtrecht und der zugrundeliegenden Bewilligung keine ausdrückliche Beschränkung zu entnehmen. Es ist dem Wortlaut nach von Nutzungsart und -umfang unbeschränkt bestellt, eine Bezugnahme zu dem damaligen Grundstückbestand auf dem herrschenden Grundstück unterblieb. Gleichwohl ist aufgrund der damals herrschenden und allseits erkennbaren Umstände im Sinne der o.g. Grundsätze davon auszugehen, dass die bestellte Dienstbarkeit nicht jede, in Art und Umfang beliebige künftige Nutzung umfasst und auch die mit dem Vorhaben einhergehende Nutzung nicht deckt.
36
Ausgangspunkt ist die damalige Verwendungsart des herrschenden Grundstücks, zu der die heute beabsichtigte Nutzung keine gleichbleibende Benutzung darstellt. Sie erführe vielmehr eine willkürliche Veränderung.
37
a) Zusammen mit der Klagepartei geht die Kammer davon aus, dass zum Zeitpunkt der Dienstbarkeitsbestellung ein Hauptgebäude mit einem Handwerksbetrieb in Form einer Handweberei und einer Wohnung für den Betriebsinhaber vorhanden war; möglicherweise befanden sich im südlichen Bereich noch Garagen- und Lagerflächen. Diese Annahme einer Handweberei samt Wohnung gründet sich auf die Eingabepläne zur Baugenehmigung vom 17. März 1964, in denen dies als Bestand verzeichnet war; dieser sollte dann Gegenstand von Abbruch-, Um- und Anbauarbeiten sein. Der Plan datiert vom 28. August 1963 und damit in einem zeitlich relativ geringen Abstand zur Dienstbarkeitsbestellung, nämlich nur zwei Jahre später. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass sich innerhalb dieses Zeitraums maßgebliche Veränderungen ergeben haben. Vielmehr deuten die Äußerungen der Verfahrensbeteiligten zu der Existenz der Handweberei zum Zeitpunkt der Bewilligung ebenfalls in diese Richtung.
38
b) Zu dieser Art der Nutzung ist das beabsichtigte reine Wohnbauvorhaben in Form des Geschosswohnungsbaus mit sechs Wohneinheiten und 18 Stellplätzen keine gleichbleibende Nutzung. Die damalige bauliche Nutzung, die den maßgeblichen Rahmen setzt, ist schwerpunktmäßig als die eines kleinen Handwerksbetriebs zu werten. Zwar war schon damals Wohnnutzung vorhanden. Diese war jedoch dem (Familien-) Betrieb zugehörig, deckte lediglich den Eigenbedarf und ordnete sich diesem flächenmäßig unter. Offenbar wird dies angesichts des Zuschnitts der damaligen Wohnung von ca. 90 m² Fläche und einer Werkstatt von ca. 205 m² (vgl. Eingabepläne der Baugenehmigung vom 17. März 1964). Hierzu stellt das Wohnbauvorhaben in seinem Zuschnitt keine gleichbleibende Nutzungsart dar, sondern stellt eine Entwicklung dar, die nicht mehr dem entspricht, was Geschäftsgrundlage der damaligen Bewilligung gewesen ist. Mit der geplanten intensivierten Wohnnutzung geht eine quantitative Mehrung des bisher nur untergeordneten Wohnens einher, die damit zu einer qualitativen Änderung der Art der Nutzung führt.
39
aa) Zunächst ist die Kubatur des Bestandsgebäudes mit dem heutigen Vorhaben nicht annähernd vergleichbar. Mit der Errichtung des Neubauvorhabens sollen die Bestandsgebäude abgerissen werden. Zwar vermag eine alte Dienstbarkeit auch die Nutzung durch einen Neubau nicht auszuschließen, allerdings dürften an die Vorhersehbarkeit jedenfalls höhere Ansprüche zu stellen sein, als wenn es etwa um eine bloße Änderung im Bestand geht oder um die Bebauung einer bereits damals bestehenden Freifläche. Das damalige Gebäude wies eine Geschossigkeit von E+D auf, das heutige Gebäude ist hingegen als dreigeschossiges Gebäude mit einer Bruttogrundfläche von 2184 m² geplant. Entsprechend soll die Bebauung unter größtmöglicher Ausnutzung des Grundstücks erfolgen, wobei die 18 Stellplätze in der neu zu errichtenden Tiefgarage und oberirdisch geschaffen werden sollen.
40
bb) Der Zuschnitt des Vorhabens geht mit einer erheblichen Steigerung der Nutzungseinheiten einher. Vormals bestanden zwei Nutzungseinheiten, nämlich die des Kleinbetriebs und die der dazugehörigen Wohneinheit für den Betriebsinhaber. Demgegenüber sind heute sechs Nutzungseinheiten in Form von Wohnungen geplant, die eher als großzügig einzuschätzende Wohnflächen von 183 m² bis 186 m² aufweisen, insgesamt also Wohnflächen von über 1100 m². Damit keine der geplanten Wohnungen in ihrer Fläche mit der damals bestehenden Wohnung im Ansatz vergleichbar. Die Dimensionierung des Vorhabens hat eine Vielzahl von Nutzern in Form von Mietern oder Wohnungseigentümern zur Folge, die ein Vielfaches an Fahrbewegungen im Vergleich zum Bewilligungszeitpunkt auf dem mit der Dienstbarkeit belasteten Grundstückteil hervorrufen. Dazu kommt, dass bei dem seinerzeit bestehenden Handwerksbetrieb gerade keine Verkaufsstätte vorhanden war und damit auch kein nennenswerter Kundenverkehr anfiel. Selbst wenn man als Maßstab den von der Klägerseite vorgetragenen erheblichen Verkehr der Druckerei zugrunde legt, ist mit einer anders gearteten und wohl auch stärkeren Verkehrsbelastung zu rechnen, weil Wohnbebauung auch zu Fahrbewegungen am Abend, in der Nacht und am Wochenende führt.
41
cc) Weiterer Anhaltspunkt für die erhebliche Intensivierung der Nutzung ist der Umstand, dass damals ein deutlich geringerer Stellplatzbedarf vorlag, als ihn das heutige Vorhaben auslöst. Dies gilt selbst dann, wenn man der verkehrlichen Entwicklung Rechnung trägt und die heute geltende Garagen- und Stellplatzverordnung zugrunde legt. Hiernach (vgl. Ziffer 9.1 GaStellV) dürfte der damalige Bestand einen Bedarf von fünf Stellplätzen auslösen, angesichts einer Wohnung von ca. 90 m² Fläche und einer Werkstatt von ca. 205 m² sowie vier dort Tätigen. Ähnliches dürfte für die Druckerei gelten. Dies übersteigt das geplante Bauvorhaben mit 18 Stellplätzen um mehr als das Dreifache. Auch dies spricht für ein signifikant höheres Verkehrsaufkommen auf dem Grundstücksteil, der Gegenstand des Geh- und Fahrtrechts ist.
42
dd) Der zeitlich nachfolgende Betrieb der Druckerei auf den Vorhabengrundstücken vermag hieran nichts zu ändern. Der Genehmigungslage oder weiteren Umständen zum Umfang des Betriebs musste daher nicht weiter nachgegangen werden. Längere widerspruchslose Duldung einer bestimmten Ausübung auf Grund wirtschaftlicher und technischer Veränderungen stellt keine rechtsgeschäftliche Änderung der Grunddienstbarkeit dar. Sie können jedoch einen Anhalt für die Auslegung ihres Inhalts und Umfangs darstellen (BGH, U.v. 27.1.1960 – V ZR 148/58 – juris LS 1). Es mag sein, dass sich die Eigentümer des dienenden Grundstücks mit dem Nachfolgebetrieb abgefunden hatten. Daraus kann jedoch keine für die Klägerin günstiger Umstand gefolgert werden. Bezogen auf die Art der Nutzung dürfte sich dieser Betrieb vielmehr am Rahmen der vorherigen Handweberei orientieren.
43
ee) Zwar mag nach den damaligen rechtlichen Gegebenheiten eine Bebauung ähnlich dem jetzigen Vorhaben möglich gewesen sein. Diese drängte sich angesichts der Lage des Grundstücks und der damaligen Umgebungsbebauung jedoch nicht auf. Denn es handelte sich schon damals um ein Grundstück in zweiter Reihe, das nur im Norden an Bebauung angrenzte und ansonsten von Freiflächen umgeben war. Eine verdichtete Wohnbebauung zeigt sich auf dem Lageplan jedoch als eher straßenseitig gelegen und gerade nicht in der zweiten Reihe.
44
c) Dies zeigt, dass der Verkehrsbedarf des Wohnbauvorhabens in der geplanten Form mit demjenigen eines Gewerbebetriebs mit untergeordneter Wohnnutzung weder in quantitativer noch in qualitativer Hinsicht vergleichbar ist. Die Bedarfssteigerung beruht damit auch nicht allein auf einer naturgemäßen Fortentwicklung der technischen oder wirtschaftlichen Verhältnisse, sondern wesentlich auf einer andersartigen Nutzung und zugleich auf einer Intensivierung der Nutzung. Eine in diesen Dimensionen veränderte Bebauung war für die damaligen Grundstückseigentümer bei Bewilligung des Geh- und Fahrtrechts nicht vorhersehbar. Somit sichert die damalige Bewilligung den heutigen Bedarf nicht ab, und das Vorhaben bedarf mit Blick auf seine Erschließung einer Neuregelung.
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Vor diesem Hintergrund kann offenbleiben, ob die zwischen den Beteiligten ebenfalls streitige Erschließung hinsichtlich des Kanalleitungsrechts gegeben ist.
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III. Infolge ihres Unterliegens trägt die Klägerin die Kosten des Verfahrens (§ 154 Abs. 1 VwGO). Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1 und 2 sind gemäß § 162 Abs. 3 VwGO billigerweise erstattungsfähig, weil diese sich durch Stellung der Klageabweisungsanträge ihrerseits einem Kostenrisiko ausgesetzt haben (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO). Da der Beigeladene zu 3 keinen Antrag stellte, trägt er seine außergerichtlichen Kosten selbst.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.