Titel:
Anordnung zur Hundehaltung, nicht geheilter Anhörungsmangel, Maulkorbzwang im Außenbereich, nach den Umständen des Falles, Gefahrenprognose (Annahme einer konkreten Gefahr) nicht gerechtfertigt
Normenketten:
LStVG Art. 18 Abs. 2
BayVwVfG Art. 28 Abs. 1
BayVwVfG Art. 45 Abs. 1 Nr. 3
BayVwVfG Art. 46
Schlagworte:
Anordnung zur Hundehaltung, nicht geheilter Anhörungsmangel, Maulkorbzwang im Außenbereich, nach den Umständen des Falles, Gefahrenprognose (Annahme einer konkreten Gefahr) nicht gerechtfertigt
Fundstelle:
BeckRS 2022, 43168
Tenor
I. Der Bescheid der Beklagten vom ... 2021 wird in Nr. 1 Satz 2 aufgehoben.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
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Die Klägerin ist Halterin u.a. eines weißfarbigen Schweizer Schäferhundes namens „…“.
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Am … … 2021 kam es zu einem Vorfall mit … Ausweislich der Aussagen der Geschädigten im Rahmen der polizeilichen Zeugenvernehmung habe diese gegen … Uhr mit dem Fahrrad gerade ihr Wohnanwesen verlassen, als die Klägerin und ihr Ehemann mit zwei nicht angeleinten Hunden vorbeigekommen seien. Der weiße Schäferhund sei zu ihr hingelaufen und an ihr hochgesprungen, wobei er ihr eine Kratzwunde am linken Oberschenkel zugefügt habe. Sie habe einen Schock erlitten und erst nachdem sie wieder auf das Fahrrad gestiegen und einige Meter gefahren war, bemerkt, dass sie verletzt sei.
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Das Protokoll über die Zeugenvernehmung wurde der Beklagten von der Polizeiinspektion … am … … 2021 übermittelt.
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In der Behördenakte finden sich weiter Unterlagen, die zwei Vorfälle mit den Hunden der Klägerin betreffen, die sich in der Nacht vom ... auf den … … 2018 und am … … 2019 (kurz vor Mitternacht) zugetragen haben. Danach sollen die Hunde der Klägerin, die seinerzeit in der Gemeinde … wohnte, das Halteranwesen unbeaufsichtigt verlassen haben und bei beiden Vorfällen jeweils ein Kaninchen – untergebracht in einem auf einer Carportfläche aufgestellten Kaninchenstall mit Freilaufvorbau, der durch einen Drahtzaun gesichert war – gefangen und getötet haben. (Eine Zeugenaussage legt die Annahme nahe, dass jedenfalls bei dem Vorfall vom …2018 das Kaninchen von … getötet wurde.) Die Gemeinde … nahm diese Vorfälle zum Anlass, gegenüber der Klägerin eine Anordnung zur Hundehaltung zu verfügen (Bescheid vom …2019), mit der der Klägerin aufgegeben wurde, ihre beiden Hunde innerhalb der bebauten Ortsteile von … nur noch angeleint auszuführen und das Halteranwesen ausbruchsicher zu gestalten.
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Mit Schreiben vom … … 2021 informierte die Beklagte die Klägerin über die ihr bezüglich des Vorfalls vom … … 2021 vorliegenden Erkenntnisse, teilte weiter mit, sie beabsichtige, für … einen Leinen- und/oder Maulkorbzwang zu verfügen, und gab der Klägerin Gelegenheit, hierzu Stellung zu nehmen. Die Vorfälle vom … … 2018 bzw. vom … … 2019 werden in dem Schreiben nicht erwähnt.
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Die Klägerin äußerte sich mit Schreiben vom … … 2021 zu der Angelegenheit. Zum Vorfall selbst führte sie aus, sie seien gegen … Uhr in der … angekommen und hätten auf ihrem Garagenstellplatz geparkt. Ihre beiden Hunde seien im Kofferraum gewesen. Als sie diesen öffnete, sei … (aus dem halb geöffneten Kofferraum) herausgesprungen und auf die Passantin, die auf ihrem Fahrrad Richtung … fuhr, zugelaufen. Die Entfernung zwischen Fahrrad und Pkw habe ca. 5 m betragen. … habe die Frau angebellt, die daraufhin angehalten habe. Die Hündin sei dann an der Passantin hochgesprungen. Der Mann der Klägerin sei sofort auf den Hund zugelaufen und habe diesen angeleint.
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Die Klägerin sei zu der Frau hingegangen und habe sie gefragt, ob ihr etwas fehle und ob alles in Ordnung sei. Das habe sie nach erneuter Nachfrage bestätigt. Ob die Passantin sich tatsächlich eine Kratzverletzung durch das Hochspringen zugezogen habe, wisse die Klägerin nicht. Zumindest sei eine solche unmittelbar nach dem Vorfall nicht zu sehen gewesen.
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Ihre Hunde seien im Gemeindegebiet im Übrigen immer angeleint und sie werde in Zukunft noch mehr darauf achten, dass keinerlei Gefahr von ihren Hunden ausgehe.
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Mit Bescheid vom … … 2021 (datiert auf den …2019) verfügte die Beklagte gegenüber der Klägerin, dass … innerhalb geschlossener Ortslage an einer maximal 2,5 m langen, reißfesten Leine mit schlupfsicherem Halsband/Hundegeschirr und nur von Personen, die körperlich imstande seien, den Hund zu halten, zu führen sei (Tenor Nr. 1 Satz 1) und dem Hund außerhalb bebauter Ortslage in übersichtlichem Gelände im Freiauslauf ein beißsicherer Maulkorb anzulegen sei (Tenor Nr. 1 Satz 2). Die Klägerin habe weiter dafür Sorge zu tragen, dass die Verpflichtung aus Nr. 1 auch von den Personen eingehalten werde, die mit ihrer Einwilligung den Hund außerhalb des Halteranwesens führen (Tenor Nr. 2).
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In den Bescheidsgründen wird ausgeführt, die Anordnung stütze sich auf Art. 18 Abs. 2 des Landesstraf- und Verordnungsgesetzes – LStVG. Danach könnten die Gemeinden zur Verhütung von Gefahren für Leib, Leben, Gesundheit und Eigentum Anordnungen für den Einzelfall zur Haltung von Hunden treffen. Die Voraussetzungen für ein Vorgehen nach dieser Vorschrift lägen hier vor.
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Die Beklagte teile nicht die Einschätzung der Klägerin, wonach das Anspringen und Verbellen der Passantin durch den Hund der Klägerin sich als freundlicher Akt der Begrüßung darstellte. Der schwerwiegende Vorfall mit dem Hund im Bereich der Gemeinde … lege darüber hinaus nahe, dass es sich um einen Hund mit einem stark ausgeprägten Jagdtrieb handle, der der ungeteilten Aufmerksamkeit durch den Hundehalter bedürfe. Da der Hund in mindestens einem Fall ein Kaninchen attackiert und getötet habe, sei auch die Anordnung eines Maulkorbzwangs notwendig, um weitere Jagd- und Beißvorfälle zu verhindern.
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Am … … 2021 ließ die Klägerin durch ihren Bevollmächtigten Klage erheben. Sie beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom … … 2021 in Bezug auf die Anordnung in Nr. 1 Satz 2 aufzuheben.
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Die Klagepartei trägt (in der Klagebegründung vom …2021) im Wesentlichen vor, die Klage richte sich nicht gegen den Leinenzwang, sondern allein gegen den bayernweit geltenden Maulkorbzwang außerhalb bebauter Ortslage. Die Beklagte begründe diese Anordnung mit der Notwendigkeit des Schutzes von Wild und bescheinige dem Hund einen erhöhten Jagdtrieb. Sie führe dabei einen Vorfall an, der sich schon vor längerem in der früheren Wohnsitzgemeinde der Klägerin ereignet habe. (Gemeint ist augenscheinlich der zweite Vorfall vom …2019.) Dabei seien die beiden Hunde in ein nicht eingefriedetes Anwesen im Ortsteil … gelaufen. Aus einem nur durch einen kniehohen Zaun geschützten Kaninchengehege habe einer der Hunde ein Kaninchen geholt und getötet. Der Vorfall sei durch Videoaufnahmen belegt, wobei die Klägerin ihren zweiten Hund „…“ und nicht … als Übeltäter identifiziert habe.
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Dass … Wild (Rehwild, Feldhase, Fuchs, Katze oder Vögel) gerissen habe, werde von der Beklagten indes nicht behauptet. Dass ein Hund ein direkt vor ihm sitzendes Kaninchen, das keine Fluchtmöglichkeit habe, ergreife und erlege, gebe im Übrigen auch keinen Hinweis auf einen ausgeprägten Jagdtrieb, der für sich genommen die Anordnung eines Maulkorbzwangs rechtfertigen würde. Es sei festzustellen, dass von der Beklagten bezüglich des Hundes … kein einziger Vorfall benannt worden sei, der außerhalb geschlossener Ortschaften auf eine besondere Gefährlichkeit des Hundes hinweisen würde oder der durch das Anlegen eines Maulkorbs außerhalb geschlossener Ortschaften zu verhindern gewesen wäre.
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Weiter sei darauf hinzuweisen, dass die Klägerin, die mit ihren Hunden auch eine Hundeschule besucht habe, keine unerfahrene Hundeführerin sei. In unübersichtlichem Gelände könne der Hund rechtzeitig zurückgerufen und angeleint werden, sodass sich insoweit ein unkontrolliertes Aufeinandertreffen vermeiden lasse.
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Im Rahmen der Begründung eines gleichzeitig gestellten Antrags auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung wurde darüber hinaus vorgetragen, die Anhörung habe sich explizit nur auf den Vorfall mit der Radfahrerin, nicht jedoch auf angebliches Jagdverhalten von … bezogen, so dass insoweit der Klägerin keine Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden sei.
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Mit Schriftsatz vom … … 2022 ergänzte die Klagepartei ihr Vorbringen und führte u.a. aus, dass in Bezug auf ein unbeaufsichtigtes Entweichen der Hunde die frühere Wohnsituation mit der heutigen nicht vergleichbar sei, der zweite Hund der Klägerin (* …*) alters- und krankheitsbedingt die Funktion eines Rudelführers nicht mehr einnehmen könne, und betonte nochmals, dass … zuverlässig abrufbar sei. … sei im Übrigen zwischenzeitlich auch schon 10 Jahre alt und maximal zu einen einstündigen langsamen Spaziergang imstande.
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Die Beklagte beantragt,
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Sie hat in ihrer Klageerwiderung die Ausführungen in den Bescheidsgründen vertieft und ergänzt.
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Der Auffassung der Klägerin, dass es sich bei dem Vorfall vom … … 2021 um einen freundlichen Akt der Begrüßung gehandelt habe, sei nicht zu folgen. Das ergebe sich nicht zuletzt aus der Vernehmung der Geschädigten. Die Beklagte gehe weiter davon aus, dass es sich bei … entgegen dem Vorbringen der Klagepartei um einen Hund mit einem ausgesprochen starken Jagdtrieb handle.
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Die Anordnungen seien auch verhältnismäßig. Die Vorfälle im Gemeindegebiet … aus den Jahren 2018 und 2019 würden verdeutlichen, dass die verfügten Maßnahmen erforderlich und angemessen seien, um weitere Beiß- und Jagdvorfälle zu verhindern. Ein Maulkorbzwang verstoße grundsätzlich auch nicht gegen das Übermaßverbot. Nach Auffassung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs belaste die Pflicht, einem Hund einen Maulkorb anzulegen, den Hundehalter jedenfalls weniger als ein Leinenzwang (BayVGH, B.v. 9.11.2006 – 24 CS 06.2766 – BeckRS 2009, 40945). Die Rechtsprechung gehe weiter davon aus, dass es sich dabei um eine Maßnahme handle, die ein verantwortungsbewusster Hundehalter, zumindest nach einschlägigen Vorfällen, von sich aus ergreifen würde. Mildere Mittel seien nicht ersichtlich.
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Mit Bescheid vom … … 2021 verfügte die Beklagte ergänzend zu den Regelungen im Bescheid vom … … 2021, dass … außerhalb der bebauten Ortslage in unübersichtlichem Gelände anzuleinen sei. Gegen diesen Bescheid ist die Klagepartei nicht vorgegangen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sachverhalt und zum Vorbringen der Beteiligten wird ergänzend auf die Gerichtsakte und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg, da der Bescheid der Beklagten vom … … 2021, soweit er angefochten wurde, rechtswidrig ist und die Klägerin in ihren Rechten verletzt (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
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1. Die Klägerin kann eine Aufhebung der auf Art. 18 Abs. 2 LStVG gestützten Regelung in Nr. 1 Satz 2 des Bescheids zum Maulkorbzwang im Außenbereich (in übersichtlichem Gelände) bereits deshalb verlangen, weil diese wegen einer unzureichenden Anhörung vor Erlass des Bescheides formell rechtswidrig ist, der Anhörungsmangel nicht geheilt wurde und nicht davon ausgegangen werden kann, dass der Verfahrensfehler die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Des Weiteren ist zur Überzeugung der Kammer auch davon auszugehen, dass die Anordnung ungeachtet des beachtlichen Verfahrensfehlers keinen Bestand haben könnte.
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2. Art. 28 Abs. 1 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz – BayVwVfG – bestimmt, dass vor Erlass eines Verwaltungsaktes, der in die Rechte eines Beteiligten eingreift, diesem Gelegenheit zu geben ist, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern.
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Dabei hat die Behörde zum einen die tatsächlichen Umstände zu benennen, die sie ihrer Entscheidung als relevant zugrunde legen will und zum anderen den beabsichtigten Verwaltungsakt nach Art und Inhalt so konkret zu umschreiben, dass für den Beteiligten hinreichend erkennbar ist, weshalb und wozu er sich äußern können soll und mit welcher eingreifenden Entscheidung er zu welchem ungefähren Zeitpunkt zu rechnen hat (vgl. BVerwG, B.v. 20.12.2013 – 7 B 18.13 – ZUR 2014, 236; Huck/Müller, VwVfG, 3. Aufl. 2020, § 28 Rn. 14 m.w.N.).
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2.1 Diesen Anforderungen genügt das Anhörungsschreiben der Beklagten vom … … 2021 insoweit nicht, als dort die Vorfälle aus dem Jahr 2018 und 2019 (als für die Entscheidung erhebliche Tatsachen) nicht erwähnt werden, obwohl die Beklagte gerade hierauf bzw. auf die daraus abgeleitete Annahme eines erhöhten Jagdtriebs des Hundes die Anordnung des Maulkorbzwangs gestützt hat. Der Regelung ist daher, weil keine ordnungsgemäße Anhörung erfolgt ist, formell rechtswidrig.
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2.2 Der Anhörungsmangel wurde (bislang) auch nicht geheilt, da die Beklagte die Anhörung im Verlauf des Verfahrens nicht nachgeholt hat (vgl. Art. 45 Abs. 1 Nr. 3 BayVwVfG; eine Nachholung wäre bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz im verwaltungsgerichtlichen Verfahren möglich, vgl. Art. 45 Abs. 2 BayVwfG).
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Eine Heilung setzt voraus, dass die Anhörung nachträglich ordnungsgemäß durchgeführt und ihre Funktion für den Entscheidungsprozess der Behörde uneingeschränkt erreicht wird. Erforderlich ist danach, dass der Beteiligte – nachträglich – eine vollwertige Gelegenheit zur Stellungnahme erhält und die Behörde die vorgebrachten Argumente zum Anlass nimmt, die ohne ausreichende Anhörung getroffene Entscheidung kritisch zu überdenken (vgl. BVerwG, U.v. 22.3.2012 – 3 C 16/11 – NJW 2012, 2823; SächsOVG, B.v. 21.05.2019 – 3 B 151/19 – BeckRS 2019, 9339 – Rn. 13 m.w.N.).
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Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Insbesondere ist hierzu festzustellen, dass der Schriftsatzwechsel im Klageverfahren nicht auch – was im Grundsatz durchaus möglich wäre – einer Nachholung der Anhörung der Klägerin gedient hat, denn die Beklagte hat ersichtlich eine solche nicht beabsichtigt und sich mit ihren Einlassungen im Verfahren auf eine Verteidigung des angefochtenen Bescheids beschränkt.
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2.3 Schließlich liegt auch kein Anwendungsfall des Art. 46 BayVwVfG vor. Nach dieser Bestimmung kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts, der nicht nach Art. 44 BayVwVfG nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zu Stande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat.
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Mit Blick auf Ermessensentscheidungen – um eine solche handelt es sich im vorliegenden Fall – lässt sich aber zumeist nicht mit Sicherheit ausschließen, dass die Behörde im Fall eines ordnungsgemäßen Verfahrens nicht zu einer abweichenden Sachentscheidung gekommen wäre, was zur Folge hat, dass die in Art. 46 BayVwVfG genannten Fehler bei Ermessensentscheidungen regelmäßig relevant sind, wenn nicht ausnahmsweise besondere Umstände die Wertung gestatten, dass der Fehler offensichtlich ohne Einfluss auf die Entscheidung war (vgl. HessVGH, U.v. 6.5.2015 – 6 A 493/14 – BeckRS 2015, 47466 Rn. 41; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 21. Aufl. 2020, § 46 Rn. 27). Bei der Prüfung dieser Frage ist ein objektiver Maßstab anzulegen. Auf den hypothetischen Willen der Behörde kommt es nicht an. Offensichtlichkeit liegt vor, wenn die fehlende Kausalität für einen unvoreingenommenen, mit den Umständen vertrauten und verständigen Beobachter zum Zeitpunkt der Entscheidung ohne weiteres und ohne jeden vernünftigen Zweifel erkennbar ist (vgl. Huck/Müller, VwVfG, 3. Aufl. 2020, § 46 Rn. 11; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 21. Aufl. 2020, § 46 Rn. 34).
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Besondere Umstände, die hier die Annahme rechtfertigen könnten, der Verfahrensfehler wäre offensichtlich ohne Einfluss auf die Entscheidung geblieben, vermag das Gericht aber nicht zu erkennen. Unter Berücksichtigung des im Klageverfahren erfolgten Vortrags der Klagepartei, auf den bezüglich dessen, was bei ordnungsgemäßer Anhörung (möglicherweise) vorgebracht worden wäre, abgestellt werden kann, lässt sich ersichtlich nicht ohne weiteres und ohne jeden vernünftigen Zweifel konstatieren, dass die Berücksichtigung dieses Vorbringens bei korrekter Verfahrenshandhabung das Verfahrensergebnis nicht hätte beeinflussen können, wobei wie ausgeführt ein objektiver Maßstab anzulegen ist und es auf den hypothetischen Willen der handelnden Behörde nicht ankommt. Von einer Unbeachtlichkeit könnte bei der vorliegenden Fallgestaltung allenfalls dann ausgegangen werden, wenn der Vortrag der Klagepartei für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage bzw. die Ermessenshandhabung offensichtlich irrelevant wäre, was aber unzweifelhaft nicht der Fall ist.
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2.4. Die Klägerin kann daher die Aufhebung der angefochtenen Verfügung allein wegen deren formeller Rechtswidrigkeit beanspruchen.
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3. Auf die Frage der materiellrechtlichen Zulässigkeit der Anordnung eines Maulkorbzwangs kommt es mithin für die Entscheidung nicht an. Gleichwohl sei hierzu festgestellt, dass zur Überzeugung des Gerichts die Regelung in Nr. 1 Satz 2 des Bescheides auch den Vorgaben des Art. 18 Abs. 2 VwGO nicht genügt und daher, selbst wenn nicht von einem beachtlichen Verfahrensfehler auszugehen wäre bzw. der Verfahrensfehler geheilt würde, die Verfügung keinen Bestand haben könnte.
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Die Beklagte geht davon aus, dass bei … ein erhöhter Jagdtrieb gegeben ist, was zur Folge habe, das von dem Hund, wenn ihm außerorts Freiauslauf ohne Maulkorb gewährt werde, eine hinreichend konkrete Gefahrenlage für das Schutzgut Eigentum ausgehe (so man hierunter auch das jagdrechtliche Aneignungsrecht subsumiert; vgl. Schenk in: Bengl/Berner/Emmerig, LStVG, Stand: Oktober 2019, Art. 18 Rn. 9), mithin also die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 18 Abs. 2 LStVG vorliegen.
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Diese Einschätzung (Gefahrenprognose) teilt die Kammer nicht. Die beiden Vorfälle aus den Jahren 2018 und 2019, bei denen die Hunde der Klägerin unbeaufsichtigt das nicht hinreichend gesicherte Haltergrundstück verlassen haben und (jeweils) ein in einem unschwer zugänglichen kleinen Freigehege sitzendes Kaninchen ergreifen konnten und getötet haben, reichen für diese Annahme nicht aus, handelt es sich dabei doch um ein hundetypisches Verhalten – dem Angriff auf ein potentielles Beutetier, das nicht entfliehen kann –, mit dem unabhängig vom Bestehen eines erhöhten Jagdtriebs bei Vorliegen entsprechender Umstände gerechnet werden muss. Ein Maulkorbzwang beim Freiauslauf im Außenbereich mit der Intention des Schutzes von Wildtieren wäre dagegen nur dann zur Abwehr einer konkreten Gefahr gerechtfertigt, wenn anderweitige auf diese spezifische Gefahrenlage hinweisende Umstände vorliegen würden, aufgrund derer angenommen werden könnte, dass der Hund in einer entsprechenden Situation (Ansichtigwerden von Wild, Fährtenaufnahme) nicht abrufbar sein dürfte und dem Wild nachjagen würde. Dafür, dass dies hier der Fall sein könnte, was insbesondere angenommen werden könnte, wenn es bereits zu entsprechenden Vorfällen gekommen wäre, liegen aber keine belastbaren Erkenntnisse vor. Es fehlt daher an konkreten Anhaltspunkten, die die von der Beklagten vorgenommene Gefahrenprognose rechtfertigen könnten.
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6. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.