Inhalt

LG Bayreuth, Urteil v. 01.06.2022 – 13 S 69/21
Titel:

Schadensersatzanspruch des Sicherungseigentümers eines bei einem Verkehrsunfall geschädigten Fahrzeugs 

Normenketten:
BGB § 823 Abs. 1, Abs. 2
StVO § 1, § 9 Abs. 5
Leitsatz:
Der Unfallgegner kann Ansprüchen des Sicherungsnehmers und Sicherungseigentümers aus einem Unfallereignis die allgemeine Betriebsgefahr des sicherungsübereigneten Fahrzeugs überhaupt nicht und auch ein etwaiges positiv festgestelltes Mitverschulden des Sicherungsgebers jedenfalls bei deliktischen Ansprüchen aus § 823 BGB nicht entgegenhalten, weil es an einer entsprechenden Zurechnungsnorm fehlt. (Rn. 42) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Schadensersatz, Eigentumsverletzung, Sicherungseigentümer, Verkehrsunfall, Betriebsgefahr, Mitverschulden des Sicherungsgebers
Vorinstanz:
AG Bayreuth, Endurteil vom 19.08.2021 – 102 C 237/21
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Urteil vom 17.01.2023 – VI ZR 203/22
Weiterführende Hinweise:
Revision zugelassen
Fundstelle:
BeckRS 2022, 43164

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Amtsgerichts Bayreuth vom 19.08.2021, Az. 102 C 237/21, wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
III. Das gegenständliche Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leistet.
IV. Das in Ziff. I. bezeichnete Endurteil des Amtsgerichts Bayreuth ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
V. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.

Entscheidungsgründe

I.
1
Hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen wird gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen auf das angefochtene Endurteil des Amtsgerichts Bayreuth vom 19.08.2021 (Bl. 82-92 d.A.). Die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen sind nicht zu beanstanden. Lediglich ergänzend und zur besseren Verständlichkeit ist Folgendes auszuführen:
2
Die Parteien streiten um restliche Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall vom 26.09.2020 im Parkhaus des R.-Centers in der H.-straße in B..
3
Der Kläger war am Unfalltag Halter und Fahrer des PKW Mitsubishi mit dem amtlichen Kennzeichen … Das Fahrzeug hatte der Kläger über die MKG Bank finanziert. Zur Sicherung dieses Darlehens war der PKW an die Bank sicherungsübereignet worden. Ferner hatte der Kläger sämtliche Ansprüche aus einem eventuellen Verkehrsunfallereignis im Voraus an die Bank abgetreten. Die Bank wiederum hatte den Kläger ermächtigt, Schadensersatzansprüche aus einem solchen Ereignis im eigenen Namen und auf eigene Rechnung geltend zu machen (vgl. Anlage K1, Bl. 8 d.A.).
4
Am Unfalltag parkte der Zeuge … seinen bei der Beklagten haftpflichtversicherten PKW Seat mit dem amtlichen Kennzeichen … in Fahrtrichtung links direkt neben einer Auffahrt. Als er sich unter linkem Lenkradeinschlag rückwärts aus der Parktasche tastete, übersah er den auf der Fahrgasse von rechts in gerader Fahrlinie rückwärts herannahenden PKW des Klägers. Dieser hatte seinen PKW in Fahrtrichtung rechts direkt gegenüber der Auffahrt geparkt und musste nach dem Ausparken zunächst nach vorne und sodann zurück rangieren, um in die Auffahrt einbiegen zu können. Beim Zusammenstoß wurden beide Fahrzeuge beschädigt.
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Bei den vom Kläger geltend gemachten Schadenspositionen handelt es sich um Reparaturkosten in Höhe von 3.337,70 Euro, einen merkantilen Wertverlust in Höhe von 500,00 Euro, Sachverständigenkosten in Höhe von 680,34 Euro, Mietwagenkosten in Höhe von 240,02 Euro, eine Unkostenpauschale in Höhe von 30,00 Euro, sowie vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 540,50 Euro. Auf die Anlagen K2 bis K4 (Bl. 9-30 d.A.) wird insofern ergänzend Bezug genommen.
6
Die Beklagte regulierte vorgerichtlich zunächst 2.271,52 Euro, bestehend aus jeweils der Hälfte der Reparaturkosten, der Wertminderung und der Sachverständigenkosten, sowie 12,50 Euro Unkostenpauschale.
7
Mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 27.10.2020 forderte der Kläger die Beklagte unter Fristsetzung bis 14.11.2020 zur Zahlung weiterer 2.516,54 Euro auf.
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Die Beklagte zeigte sich daraufhin auch hinsichtlich der Mietwagenkosten zur hälftigen Kostentragung, mithin in Höhe von 120,01 Euro, bereit, erklärte aber insofern mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 19.04.2021 die Aufrechnung (Bl. 39 d.A.) mit einem eigenen Regressanspruch, nachdem sie an ihren Versicherten zur Schadensregulierung 3.580,35 Euro erstattet hatte.
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Auf die vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten regulierte die Beklagte mit Schreiben vom 19.03.2021 einen Betrag in Höhe von 255,85 Euro (Anlage B4, Bl. 56 d.A.).
10
Der Kläger hat erstinstanzlich behauptet, der Versicherte der Beklagten habe den Unfall allein schuldhaft verursacht. Für ihn, den Kläger, sei der Unfall unvermeidbar gewesen.
11
Selbst wenn von einer Mitverursachung auf Klägerseite auszugehen sein sollte, könne diese im Verfahren keine anspruchskürzende Berücksichtigung finden. Der Kläger mache ausschließlich im Wege der gewillkürten Prozessstandschaft Ansprüche der Sicherungseigentümerin geltend, die sich einen etwaigen Mithaftungsanteil nicht zurechnen lassen müsse.
12
Hinsichtlich der regulierten vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 255,85 Euro hat der Kläger mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 26.05.2021 – wie von der Beklagten im Schriftsatz vom 19.04.2021 angeregt (Bl. 39 d.A.) – den Rechtsstreit teilweise für erledigt erklärt (Bl. 63 d.A.).
13
Der Kläger hat in erster Instanz zuletzt beantragt,
1.
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 2.516,54 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 15.11.2020 zu bezahlen sowie
2.
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger vorgerichtliche, nicht anrechenbare Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 284,65 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem auf die Rechtshängigkeit der Klage hin folgenden Tage zu bezahlen.
14
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und im Wege der Hilfswiderklage folgenden Antrag gestellt:
Es wird festgestellt, dass der Kläger verpflichtet ist, die Beklagte im Falle ihrer Verurteilung zur Zahlung weiterer Reparaturkosten, weiterer Wertminderung sowie weiterer Sachverständigenkosten einschließlich jeweils ausgeurteilter Zinsen in Höhe des sich daraus ergebenden Urteilsbetrags nebst titulierter Zinsen gegenüber der MKB Bank zur Vertragsnummer …, freizustellen.
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Sie hat argumentiert, beide Unfallbeteiligte seien gleichermaßen für den Unfall verantwortlich. Unter Zugrundelegung einer entsprechenden Haftungsquote von 50% seien sämtliche Schäden bereits abgegolten.
16
Im Übrigen könne sich der Kläger nicht auf die fehlende Zurechenbarkeit seines Mithaftungsanteils an die Sicherungseigentümerin berufen.
17
Soweit der Kläger die Erstattung von Mietwagenkosten und einer Unkostenpauschale begehre, welche lediglich mit 25,00 Euro zu bemessen sei, mache er eigene Ansprüche geltend, da die Abtretung an die MKB Bank nur unmittelbare Fahrzeugschäden betroffen habe.
18
Hinsichtlich der weiteren Schadenspositionen stehe einem ungekürzten Anspruch jedenfalls die „dolo-agit“-Einrede entgegen, da der Kläger Zahlung an sich selbst verlange.
19
Der Kläger hat beantragt,
die Widerklage abzuweisen.
20
Diese sei mangels Rechtsschutzbedürfnisses bereits unzulässig.
21
Das Amtsgericht hat mit Endurteil vom 19.08.2021 der Klage nur in geringem Umfang, nämlich hinsichtlich der noch geltend gemachten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 236,69 Euro, stattgegeben und die Klage im Übrigen abgewiesen.
22
Zur Begründung hat das Amtsgericht ausgeführt, die Klage sei zwar zulässig, insbesondere sei der Kläger im Wege der gewillkürten Prozessstandschaft prozessführungsbefugt, jedoch habe sich die Klage als überwiegend unbegründet erwiesen. Den Kläger treffe am streitgegenständlichen Verkehrsunfall ein hälftiges Mitverschulden infolge eines beiderseitigen Verstoßes gegen § 9 Abs. 5 StVO. Ansprüche des Klägers aus eigenem Recht nach §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG und § 823 BGB, die er an die finanzierende Bank abgetreten habe, seien infolge Zahlung oder Aufrechnung bereits erloschen (§§ 404, 406 BGB i.V.m. §§ 18 Abs. 3, 17 Abs. 1 und Abs. 2 StVO bzw. § 254 BGB). Ansprüche der finanzierenden Bank als Sicherungseigentümerin des Unfallfahrzeugs aus §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG seien nach § 9 StVG i.V.m. § 254 BGB ebenfalls hälftig zu kürzen. Der Geltendmachung eines grundsätzlich ungekürzten Anspruchs der Sicherungseigentümerin aus § 823 BGB könne die Beklagte vorliegend erfolgreich die „dolo-agit“-Einrede aus § 242 BGB entgegenhalten.
23
Gegen die seinem Prozessbevollmächtigten am 19.08.2021 zugestellte Entscheidung des Amtsgerichts hat der Kläger mit anwaltlichem Schriftsatz vom 17.09.2021, bei dem Landgericht eingegangen am selben Tag, Berufung eingelegt (Bl. 102-103 d.A.) und diese mit Schriftsatz vom 19.10.2021, eingegangen bei Gericht am selben Tag, auch begründet (Bl. 109-114 d.A.).
24
Der Kläger beantragt im Berufungsverfahren,
1.
das Urteil des Amtsgerichtes Bayreuth vom 19.08.2021, Az.: 102 C 237/21, abzuändern und dahin neu zu fassen,
2.
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 2.516,54 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 15.11.2020 zu bezahlen sowie
3.
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger vorgerichtliche, nicht anrechenbare Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 284,65 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem auf die Rechtshängigkeit der Klage hin folgenden Tage zu bezahlen.
25
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
zudem hilfsweise im Wege der Eventualwiderklage:
Es wird festgestellt, dass der Kläger verpflichtet ist, die Beklagte im Falle ihrer Verurteilung zur Zahlung weiterer Reparaturkosten, weiterer Wertminderung sowie weiterer Sachverständigenkosten einschließlich jeweils ausgeurteilter Zinsen in Höhe des sich daraus ergebenden Urteilsbetrags nebst titulierter Zinsen gegenüber der MKB Bank zur Vertragsnummer …, freizustellen.
26
Der Kläger beantragt,
den Hilfswiderklageantrag abzuweisen.
27
Die Parteien wiederholen im Berufungsverfahren im Wesentlichen ihre Vorträge aus erster Instanz.
28
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf das angefochtene Urteil des Amtsgerichts Bayreuth vom 19.08.2021 (Bl. 82-92 d.A.), die rechtlichen Hinweise der Kammer vom 04.02.2022 (Bl. 116-122 d.A.), die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 27.04.2021 (Bl. 145-147 d.A.) Bezug genommen.
II.
29
Die zulässige Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Amtsgerichts Bayreuth vom 19.08.2021 konnte in der Sache keinen Erfolg haben.
30
Das amtsgerichtliche Urteil lässt im Hinblick auf die Abweisung der Klage in der Hauptsache und die teilweise Abweisung der Klage in Höhe einer Nebenforderung von 47,96 Euro jeweils nebst Zinsen hieraus weder Fehler in der Beweiserhebung noch in der Beweiswürdigung erkennen. Auch unterliegt die Würdigung der bindenden Feststellungen keinen erkennbaren Rechtsfehlern.
31
1. Das Amtsgericht geht zunächst in rechtlich nicht zu beanstandender Weise von einem hälftigen Mitverschulden auf Seiten des Klägers aus.
32
Entgegen dem Berufungsvorbringen greift vorliegend insbesondere kein Anscheinsbeweis zu Lasten der Beklagten wegen eines Verstoßes ihres Versicherungsnehmers gegen § 9 Abs. 5 StVO bzw. § 1 StVO i.V.m. den Grundsätzen des § 9 Abs. 5 StVO, da sich – insoweit unstreitig – beide Unfallbeteiligte zum Kollisionszeitpunkt in Rückwärtsfahrt befanden und damit gleichermaßen nach § 9 Abs. 5 StVO zu erhöhter Sorgfalt verpflichtet waren.
33
1.1. Nach § 9 Abs. 5 StVO hat sich, wer ein Fahrzeug führt, beim Rückwärtsfahren so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist; erforderlichenfalls muss er sich einweisen lassen.
34
Diese besonderen Sorgfaltspflichten gelten über § 1 StVO jedenfalls auch auf Parkplätzen ohne eindeutigen Straßencharakter, weshalb sich auch derjenige, der auf einem Parkplatz rückwärts fährt, so verhalten muss, dass er sein Fahrzeug notfalls sofort anhalten kann (vgl. BGH, Urteil vom 11.10.2016 – VI ZR 66/16, NJW 2017, 1175, Rn. 9).
35
Hierbei ist weiter zu berücksichtigen, dass, anders als im fließenden Verkehr, mit seinen typischerweise schnellen Verkehrsabläufen, bei denen der Verkehrsteilnehmer grundsätzlich darauf vertrauen darf, dass sein Verkehrsfluss nicht durch ein rückwärts fahrendes Fahrzeug gestört wird, in der Situation auf dem Parkplatz ein solcher Vertrauensgrundsatz nicht gilt. Hier muss der Verkehrsteilnehmer jederzeit damit rechnen, dass rückwärts fahrende oder ein- und ausparkende Fahrzeuge seinen Verkehrsfluss stören. Er muss daher, um der Verpflichtung zur gegenseitigen Rücksichtnahme nach § 1 Abs. 1 StVO genügen zu können, von vornherein mit geringerer Geschwindigkeit und bremsbereit fahren, um jederzeit anhalten zu können (vgl. BGH, a.a.O., Rn. 10).
36
Selbst wenn daher ein Anscheinsbeweis das Verschulden eines rückwärts fahrenden Unfallbeteiligten indiziert, tritt die Betriebsgefahr des anderen regelmäßig nicht zurück. Insofern wirkt sich aus, dass die Sorgfaltspflichten der Verkehrsteilnehmer auf Parkplätzen einander angenähert sind, weshalb ein deutliches Überwiegen des Sorgfaltsverstoßes gegenüber der bloßen Betriebsgefahr nur in Ausnahmefällen anzunehmen ist (vgl. Geigel Haftpflichtprozess/Freymann, 28. Aufl. 2020, Kap. 27, Rn. 309a, m.w.N.).
37
1.2. Wie das Amtsgericht zutreffend festgestellt hat, haben vorliegend beide Unfallbeteiligte gegen die vorgenannt beschriebenen Sorgfaltspflichten beim Rückwärtsfahren in einem Parkhaus verstoßen.
38
Soweit der Kläger vorträgt, ihm habe beim Rückwärtsfahren auf der Parkstraße unter Anwendung von § 9 Abs. 5 StVO lediglich die Beachtung des rückwärtigen Verkehrsraumes oblegen, nicht hingegen des seine Fahrlinie linksseitig von einer Parkfläche aus kreuzenden Verkehrs, verkennt er, dass auch dieser kreuzende Verkehr dem rückwärtigen Verkehrsraum zuzuordnen ist. Dies gilt vorliegend umso mehr, als sich der Unfall in einem Parkhaus ereignet hat, in dem aufgrund der dort herrschenden besonderen Verkehrsverhältnisse für alle Verkehrsteilnehmer erhöhte Sorgfaltspflichten gelten.
39
Soweit der Kläger in seiner Stellungnahme vom 25.02.2022 auf den Hinweis der Kammer vom 04.02.2022 darüber hinaus auf § 10 Abs. 1 StVO verweist, greift auch insofern vorliegend kein Anscheinsbeweis zugunsten des Klägers, da sich der Kläger gerade nicht im fließenden Verkehr, sondern beim Rückwärts-Rangieren auf der Parkstraße eines Parkhauses in entgegengesetzter Richtung zu der dort befindlichen Pfeilmarkierung befand.
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1.3. Berücksichtigt man im Rahmen der Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge nach §§ 17 Abs. 1 und 2, 18 Abs. 3 StVG, dass der Fahrer des Beklagtenfahrzeugs aus einer Parkbucht ausfahren wollte, während der Kläger bereits die Fahrstraße des Parkhauses, allerdings ebenfalls rückwärts und in entgegengesetzter Richtung zur dort befindlichen Pfeilmarkierung befuhr, ist auch die vom Amtsgericht getroffene hälftige Haftungsverteilung als jedenfalls angemessen nicht zu beanstanden (vgl. auch Rechtsprechungsübersicht bei Grüneberg, Haftungsquoten bei Verkehrsunfällen, 16. Aufl. 2020, Rn. 272, insbesondere mit Verweis auf LG Heidelberg, Urteil vom 13.01.2015 – 2 S 8/14, NJW-RR 2015, 480).
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2. Entgegen dem Berufungsvorbringen ist dieses Mitverschulden des Klägers auch in der vorliegenden Verfahrenskonstellation zu berücksichtigen und der geltend gemachte Anspruch entsprechend zu kürzen, da die Beklagte auch einem vom Kläger in gewillkürter Prozessstandschaft geltend gemachten Anspruch der finanzierenden Bank als Sicherungseigentümerin des klägerischen Pkws aus § 823 Abs. 1 BGB, § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 1, 9 Abs. 5 StVO vorliegend die sog. „dolo-agit“-Einrede erfolgreich entgegenhalten kann.
42
2.1. Zunächst ist dem Berufungsführer dahingehend zuzustimmen, dass – wie auch das Amtsgericht in der angefochtenen Entscheidung zutreffend ausführt – in der Rechtsprechung anerkannt ist, dass der Unfallgegner Ansprüchen des Sicherungsnehmers aus einem Unfallereignis die allgemeine Betriebsgefahr des sicherungsübereigneten Fahrzeugs überhaupt nicht und auch ein etwaiges positiv festgestelltes Mitverschulden des Sicherungsgebers jedenfalls bei deliktischen Ansprüchen aus § 823 BGB nicht entgegenhalten kann, weil es an einer entsprechenden Zurechnungsnorm fehlt (vgl. BGH, Urteil vom 10.07.2007 – VI ZR 199/06, NJW 2007, 3120; BGH, Urteil vom 07.03.2017 – VI ZR 125/16, NJW 2017, 2352, Rn. 13 ff.).
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2.2. Soweit das Erstgericht angenommen hat, der Kläger mache hier eigene, aber an die Sicherungsnehmerin abgetretene Ansprüche aus dem Unfallereignis geltend und müsse sich daher über §§ 17 Abs. 1 und 2, 18 Abs. 3 StVG i.V.m. §§ 404, 406 BGB den ihn treffenden Mitverschuldensanteil entgegenhalten lassen, ist die Entscheidung nicht zu beanstanden. Das Amtsgericht hat insofern entgegen dem Berufungsvorbringen weder in Abrede gestellt, dass das streitgegenständliche Fahrzeug bereits zum Unfallzeitpunkt im Eigentum der finanzierenden Bank stand und diese damit von Anfang an Anspruchsberechtigte hinsichtlich der Schäden an der Substanz ihres Eigentums war, noch dass der Kläger vorliegend ausschließlich in gewillkürter Prozessstandschaft die mit der Klage geltend gemachten Ansprüche verfolgt. Soweit der Kläger aber ursprünglich eigene Ansprüche als besitzender Fahrzeughalter geltend macht, ist die Haftungsquote auch dann in Ansatz zu bringen, wenn er diese Ansprüche bereits vor dem Unfallgeschehen im Wege eines fiduziarischen Sicherungsrechts pauschal an die Sicherungsnehmerin abgetreten hatte.
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2.3. Die besagte Differenzierung zwischen Ansprüchen der Bank als Fahrzeugeigentümerin und ursprünglich eigenen, aber an die Bank abgetretenen Ansprüchen des Klägers als besitzendem Fahrzeughalter kann aber im Ergebnis insofern dahinstehen, als – wie vom Amtsgericht zur Schadensposition der Wertminderung zutreffend ausgeführt – auch ein ungekürzter Anspruch der Sicherungseigentümerin aus Deliktsrecht vorliegend jedenfalls einredebehaftet und damit vom Kläger, der insgesamt Zahlung an sich selbst verlangt, gegenüber der Beklagten im Wege der gewillkürten Prozessstandschaft nicht durchsetzbar ist. Die Kammer schließt sich insoweit der obergerichtlichen Rechtsprechung des OLG Nürnberg im Hinweisbeschluss vom 19.07.2017 – 13 U 45/16, BeckRS 2017, 145249, an (so auch OLG München, Urteil vom 06.12.2019 – 10 U 854/18, NJW-RR 2020, 489, Rn. 18 a.E., mit Verweis auf Nugel, NZV 2009, 313, 315 f.; Lemcke, Anmerkung zu OLG Karlsruhe, Urteil vom 02.12.2013 – 1 U 74/13, r + s 2014, 579).
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2.3.1. Dem Klageanspruch steht insofern die Einrede „dolo agit, qui petit, quod statim redditurus est“ nach § 242 BGB entgegen. Diese sog. „dolo-agit“-Regel besagt, dass eine Person von einem Schuldner eine bestimmte Leistung an sich nicht einklagen kann, wenn sie die Leistung aufgrund eines entsprechenden Gegenanspruchs des Schuldners sogleich wieder zurückgeben müsste. Sie handelt rechtsmissbräuchlich, wenn der eingeklagte Anspruch durchgesetzt wird, obwohl dem Schuldner ein Gegenanspruch in gleicher Höhe zusteht (vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, 81. Aufl. 2022, § 242 BGB, Rn. 52, m.w.N.).
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Vorliegend stünde der Beklagten nach Durchsetzung des eingeklagten Anspruchs aber ein Anspruch aus § 426 Abs. 2 BGB gegen den Kläger zu, da auch der Kläger der Sicherungseigentümerin jedenfalls aus § 823 Abs. 1 BGB, § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 1, 9 Abs. 5 StVO in gleichem Umfang schadensersatzpflichtig ist. Auch der Kläger hat das sich im Eigentum der finanzierenden Bank befindliche Fahrzeug beschädigt. Ihn trifft dabei – wie oben unter Ziff. II. 1. dargelegt und vom Amtsgericht zutreffend angenommen – ein Verschulden in gleicher Höhe wie den Fahrer des anderen unfallbeteiligten Fahrzeugs, mit dem er gegenüber der Fahrzeugeigentümerin daher als Gesamtschuldner nach §§ 840 Abs. 1, 421 BGB haftet.
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2.3.2. Die entgegenstehende Rechtsansicht (vgl. OLG Köln, Hinweisbeschluss vom 14.12.2020 – 15 U 201/20, BeckRS 2020, 45818, Rn. 9; OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 27.01.2022 – 22 U 49/21, BeckRS 2022, 2285, Rn. 38; Looschelders, VersR 2019, 513, 518) überzeugt nicht.
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Zum einen ist – anders als gemäß § 387 BGB bei der Aufrechnung – die Gegenseitigkeit der Forderungen für die Anwendung des „dolo-agit“-Einwands gerade nicht erforderlich. Als Gegenanspruch kommt vielmehr jeder Anspruch in Betracht, der sich gegen den Rechtsausübenden richtet. Es kommt nicht auf die wechselseitige Forderungsinhaberschaft, sondern lediglich auf die wechselseitige Forderungsberechtigung an (vgl. LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 18.02.2021 – 2 O 4846/20, r + s 2021, 413, Rn. 51).
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Zwar ist der Gegenansicht insofern zuzustimmen, als der Unfallgegner bei Inanspruchnahme durch den Fahrzeughalter im Wege der gewillkürten Prozessstandschaft auch im Falle der Unzulässigkeit der „dolo-agit“-Einrede nicht schlechter gestellt wäre, als bei Inanspruchnahme durch den nichthaltenden Fahrzeugeigentümer selbst, was in der Rechtsprechung auch als Argument für die Zulässigkeit der gewillkürten Prozessstandschaft bei Auseinanderfallen von Fahrzeughalter und Fahrzeugeigentümer angeführt wird (vgl. Looschelders, VersR 2019, 513, 518). Dies steht der Schutzbedürftigkeit des Unfallgegners in der vorliegenden Fallkonstellation jedoch nicht entgegen.
50
Nach Auffassung der Kammer verkennt die Gegenansicht, dass sich im Rahmen der bei Prüfung des „dolo-agit“-Einwands vorzunehmenden Interessenabwägung jedenfalls kein überwiegendes und damit schutzwürdiges Eigeninteresse des Klägers am zwischenzeitlichen Innehaben des geschuldeten Gegenstands ergibt, während der Unfallgegner bei Unzulässigkeit der Einrede seinerseits gezwungen wäre, einen zweiten Prozess anzustrengen, um vom Fahrzeughalter gerade das zurückzuerstreiten, was er zuvor an diesen herauszugeben hatte. Vielmehr stellt sich das Verhalten des Klägers in dieser besonderen Fallkonstellation – Klage des Fahrzeughalters in gewillkürter Prozessstandschaft auf Zahlung an sich selbst bei festgestelltem Mitverschulden – als rechtsmissbräuchlich im Sinne des § 242 BGB dar.
51
2.3.3. Dem steht auch die vom Kläger zitierte Entscheidung des BGH vom 27.10.2020 – XI ZR 429/19 –, NJW 2021, 550, nicht entgegen (vgl. zur Abgrenzung ausführlich: LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 18.02.2021 – 2 O 4846/20, r + s 2021, 413, Rn. 46 ff.).
52
In dem jenem Urteil zugrundeliegenden Fall ging es zunächst um die Frage der Zurechenbarkeit der allgemeinen Betriebsgefahr des sicherungsübereigneten Fahrzeugs, nicht aber um die Zurechnung eines festgestellten Mitverschuldens des Sicherungsgebers am Unfallgeschehen. In dem gegenständlichen, von der Kammer zu entscheidenden Fall steht aber ein schuldhafter Verkehrsverstoß des Klägers und damit letztlich die Verwirklichung eines Haftungstatbestandes gegenüber der Sicherungseigentümerin durch beide Unfallbeteiligte gerade fest, der aufgrund der Gleichstufigkeit der sich hieraus ergebenden Verpflichtungen unzweifelhaft zu einer Tilgungsgemeinschaft und damit zu einem Gesamtschuldverhältnis zwischen Sicherungsgeber und Unfallgegner im Verhältnis zum Sicherungsnehmer führt (vgl. zum Gesamtschuldnerausgleich im Verhältnis zum Leasinggeber bei einem Mitverschulden des Leasingnehmers bereits: BGH, Urteil vom 07.12.2010 − VI ZR 288/09, NJW 2011, 996, Rn. 12).
53
Entgegen dem Berufungsvorbringen hat das Amtsgericht auch nicht auf eine Haftung des Klägers wegen vertraglicher Pflichtverletzung nach §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB, die im Übrigen auch nicht mit der vom BGH in der zitierten Entscheidung vom 27.10.2020 geprüften Haftung aus vertraglicher, verschuldens- und von dem Betrieb des Kraftfahrzeugs unabhängiger Unterhaltspflicht aus einer Reparaturklausel gleichzusetzen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 27.10.2020 – XI ZR 429/19, NJW 2021, 550, Rn. 18), sondern auf eine deliktische Haftung beider Unfallbeteiligter abgestellt.
54
Auch die weiteren vom Berufungsführer zitierten Entscheidungen des BGH (Urteil vom 22.03.1983 – VI ZR 108/81, NJW 1983, 1492, und vom 10.07.2007 – VI ZR 199/06, NJW 2007, 3120) stehen hierzu schon im Hinblick auf die abweichende Verfahrenskonstellation nicht in Widerspruch. In beiden Verfahren hatte die Leasinggeberin als Fahrzeugeigentümerin selbst geklagt.
55
3. Zuletzt ist die vom Amtsgericht vorgenommene Reduzierung der Unkostenpauschale auf 25,00 Euro mit der Berufung schon nicht konkret angegriffen worden und im Übrigen auch mit Blick auf die ständige Rechtsprechung der Kammer und der Obergerichte in Bayern (vgl. u.a. OLG München, Endurteil vom 06.12.2019 – 10 U 2554/19, BeckRS 2019, 31108, Rn. 13) nicht zu beanstanden. Höhere tatsächliche Kosten hat der Kläger weder konkret beziffert noch nachgewiesen.
III.
56
Da die Berufung des Klägers gegen das Ersturteil des Amtsgerichts Bayreuth im Ergebnis als unbegründet zurückzuweisen war, bedurfte es keiner Entscheidung über den auch in der Berufungsinstanz gestellten Eventualwiderklageantrag der Beklagten.
IV.
57
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
58
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
V.
59
Die Revision zum Bundesgerichtshof gegen diese Entscheidung war gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen, weil zur Frage, ob die sog. „dolo-agit“-Einrede auf Fallkonstellationen wie die vorliegende Anwendung findet, in der obergerichtlichen Rechtsprechung unterschiedlich beantwortet wird (vgl. für die Anwendung des „dolo-agit“-Einwands: OLG Nürnberg, Hinweisbeschluss vom 19.07.2017 – 13 U 45/16; nachfolgend OLG Nürnberg, Zurückweisungsbeschluss vom 15.08.2017 – 13 U 45/16; OLG München, Urteil vom 06.12.2019 – 10 U 854/18, Rn. 18; gegen eine Anwendung: OLG Köln, Beschluss vom 14.12.2020 – 15 U 201/20, Rn. 9; OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 27.01.2022 – 22 U 49/21, Rn. 38).