Titel:
Haftung der Audi AG für den von der VW AG hergestellten Motor EA 189
Normenketten:
BGB § 31, § 195, § 199, § 826
ZPO § 138 Abs. 3, § 286, § 287
Leitsätze:
1. Eine Haftung der Audi AG bejahend: BGH BeckRS 2021, 40781; BeckRS 2021, 40870; BeckRS 2021, 47558; BeckRS 2021, 40834; BeckRS 2021, 40868; BeckRS 2022, 7235; OLG Zweibrücken BeckRS 2020, 47025; OLG München BeckRS 2021, 17910; BeckRS 2021, 47841; BeckRS 2022, 12928; BeckRS 2022, 19243; BeckRS 2022, 19242; BeckRS 2022, 21753; BeckRS 2022, 18973; BeckRS 2022, 36627; BeckRS 2022, 39454; mit gegenläufigem Ergebnis: OLG München BeckRS 2021, 47474; BeckRS 2021, 47473; BeckRS 2021, 45190; BeckRS 2021, 42728; BGH BeckRS 2021, 6243. (redaktioneller Leitsatz)
2. Wenigstens ein Repräsentant von Audi iSv § 31 BGB wusste von der - evident unzulässigen - Umschaltlogik bei der Entscheidung über den Einsatz von Motoren des Typs EA 189 in Audi-Fahrzeugen. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
3. Angesichts eines ausgeklügelten Systems von Kontroll- und Berichtspflichten erscheint es nicht plausibel, dass diese sämtlich gerade bei der Kenntnis von der Umschaltlogik - einer Software, die die Zulassungsfähigkeit hinsichtlich einer maßgeblichen Eigenschaft des Motors, nämlich seiner Abgasemissionen zumal bei Kenntnis der Schwierigkeit zur Lösung des Problems, überhaupt erst ermöglichte - versagt haben sollen. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
4. Audi trifft die sekundäre Darlegungslast hinsichtlich der Frage, wer die Entscheidung über den serienmäßigen Einsatz der Motoren EA 189 in - der naheliegenden - Kenntnis der Umschaltlogik getroffen hat. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, EA 189, Audi AG, arglistige Täuschung, Sittenwidrigkeit, unzulässige Abschalteinrichtung, Kenntnis eines Repräsentanten, Kontroll- und Berichtspflichten, sekundäre Darlegungslast, Verjährung
Vorinstanz:
LG Ingolstadt, Urteil vom 21.05.2021 – 42 O 2821/19
Fundstelle:
BeckRS 2022, 42935
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 21.05.2021, Az. 42 O 2821/19 aufgehoben und insgesamt wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei einen Betrag in Höhe von 18.090,73 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 21.381,18 vom 19.12.2019 bis 24.03.2021 aus 19.426,96 € vom 25.03.2021 bis 18.09.2022, aus 18.090,73 € seit dem 19.09.2022 Zug-um-Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeuges mit der Fahrgestellnummer … zu zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 1.242,84 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19.12.2019 zu zahlen.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Die Klagepartei hat von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz 67%, die Beklagte 33% zu tragen.
II. Im Übrigen wird die Berufung des Klägers zurückgewiesen.
III. Die Klagepartei hat von den Kosten des Berufungsverfahrens 31%, die Beklagte 69% zu tragen.
IV. Dieses Urteil und das Urteil des Landgerichts sind vorläufig vollstreckbar.
Entscheidungsgründe
1
Gegenstand des Rechtsstreits sind Ansprüche, die die Klagepartei gegen die Beklagte wegen des Erwerbs eines Diesel-Pkws geltend macht. Von der Darstellung des Tatbestandes im Übrigen wird abgesehen, §§ 540, 313 a ZPO und auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Ersturteil wird Bezug genommen, § 540 Abs. 1 S.1 ZPO.
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Gegen das klageabweisende Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 21.05.2021 richtet sich die vom Kläger eingelegte Berufung.
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Der Kläger erklärt, dass der Nutzungsersatz nunmehr 15.001,17 € betragen soll und erklärt im Übrigen hinsichtlich der Differenz des Nutzungsbetrages zum Antrag vom 23.07.2022 (Bl. 428/429 d.A.) für erledigt und beantragt zuletzt unter Abänderung des Urteils des Landesgerichts Ingolstadt, 42 O 2821/19 verkündet am 21.05.2021:
1.) Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 39.243,70 € nebst Zinsen seit dem 27.11.2019 abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 15.001,17 € Zug-um-Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des Fahrzeuges mit der Fahrgestellnummer … zu zahlen.
2.) Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte seit dem 27.11.2019 mit der Rücknahme des im Klageantrag zu 1.) bezeichneten Gegenstands im Annahmeverzug befindet.
3.) Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 2.791,74 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.11.2019 zu zahlen.
1. a) Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 11.675,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.11.2019 zu zahlen.
hilfsweise das erstinstanzliche Urteil des Landgerichts Ingolstadt, 42 O 2821/19 aufzuheben zur erneuten Verhandlung zurück zu verweisen.
hilfsweise die Revision zu zulassen.
4
Die Beklagenpartei schließt sich der Erledigterklärung nicht an und beantragt die Berufung zurück zu weisen (Schriftsatz vom 08.09.2022, Bl. 541 ff. d.A., dort Bl. 585).
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Der Senat hat über den Rechtsstreit am 19.09.2022 mündlich verhandelt. Insoweit wird auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen. Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird weiter Bezug genommen auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen.
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Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache teilweise Erfolg.
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Die Beklagte haftet nach §§ 826, 31 BGB wegen des Erwerbs des hier streitgegenständlichen Diesel-Pkws durch die Klagepartei, ein Annahmeverzug lag allerdings nicht vor. Der Anspruch auf Ersatz außergerichtlicher Kosten war aufgrund des zu diesem Zeitpunkt tatsächlich zustehenden Anspruchs nur teilweise begründet.
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1. Die Beklagte haftet gem. §§ 826, 31 BGB aufgrund eigenen deliktischen Handelns. Dabei kann zugunsten der Beklagten unterstellt werden, dass sie die – u.a. im streitgegenständlichen Fahrzeug eingesetzten – Motoren … samt Motorsteuerungssoftware nicht entwickelt bzw. nicht mitentwickelt hat. Sie handelte durch die ihr zuzurechnenden Repräsentanten i.S.v. § 31 BGB sittenwidrig i.S.v. § 826 BGB, indem sie entschied, Motoren … in Kenntnis der dazu programmierten Umschaltlogik als Software zur Erschleichung der Typgenehmigung in die von ihr hergestellten Fahrzeuge serienweise einzubauen, um diese anschließend in den Verkehr zu bringen. Mindestens ein Repräsentant der Beklagten im Sinne von § 31 BGB hat die objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 826 BGB verwirklicht.
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Sittenwidrig ist nach der nunmehr auch speziell in Bezug auf Dieselfälle seitens des BGH gefestigten Rechtsprechung ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Schon zur Feststellung der objektiven Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben. Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19, Rdnr. 14 f.).
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Ein Automobilhersteller handelt gegenüber dem Fahrzeugkäufer sittenwidrig, wenn er entsprechend seiner grundlegenden strategischen Entscheidung im eigenen Kosten- und Gewinninteresse unter bewusster Ausnutzung der Arglosigkeit der Erwerber, die die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben und die ordnungsgemäße Durchführung des Typgenehmigungsverfahrens als selbstverständlich voraussetzen, Fahrzeuge mit einer Motorsteuerung in Verkehr bringt, deren Software bewusst und gewollt so programmiert ist, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand beachtet, im normalen Fahrbetrieb hingegen überschritten werden, und damit unmittelbar auf die arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde abzielt. Ein solches Verhalten steht einer unmittelbaren arglistigen Täuschung der Fahrzeugerwerber in der Bewertung gleich (BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19, Rdnr. 16 ff.).
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Bereits die objektive Sittenwidrigkeit des Herstellens und des Inverkehrbringens von Kraftfahrzeugen mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Verhältnis zum Fahrzeugerwerber setzt voraus, dass es in Kenntnis der Abschalteinrichtung und im Bewusstsein ihrer – billigend in Kauf genommenen – Unrechtmäßigkeit geschieht (vgl. BGH, Urteil vom 08.03.2021, Az.: VI ZR 505/19, Rdnr. 21, Beschluss vom 19.01.2021, Az.: VI ZR 433/19, Rdnr. 19, vom 09.03.2021, Az.: VI ZR 889/20, Rdnr. 28). a)
12
Ein derartiges Vorstellungsbild steht zur Überzeugung des Senats fest im Hinblick auf Personen, für deren Verhalten die Beklagte einzustehen hat. Der Senat ist überzeugt i.S.v. § 286 Abs. 1 S. 1 ZPO, dass wenigstens ein Repräsentant der Beklagten i.S.v. § 31 BGB von der – evident unzulässigen – Umschaltlogik gewusst hat bei der Entscheidung über den Einsatz von Motoren … in Fahrzeugen der Beklagten.
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Soweit die Beklagte einwendet, eine Überzeugungsbildung i.S.v. § 286 ZPO verstoße gegen BGH, Urteil vom 26.04.1989, Az.: IVb ZR 52/88, ist festzuhalten, dass sich der BGH in seiner Urteilsserie vom 25.11.2021 u.a. explizit mit der Prüfung der Feststellungen auf der Grundlage einer Überzeugungsbildung nach § 286 ZPO in den Ausgangsentscheidungen befasst und seine Beurteilung ausführlich begründet hat (Az.: VII ZR 238/20, Rdnr. 29 ff., VII ZR 243/20, Rdnr. 28 ff., VII ZR 257/20, Rdnr. 30 ff. und VII ZR 38/21, Rdnr. 28 ff.; deutlich dazu: BGH, Beschluss vom 12.01.2022, Az.: VII ZR 256/20, Rdnr. 18, und vom 09.02.2022, Az.: VII ZR 255/20, Rdnr. 18, und Az.: VII ZR 26/21, Rdnr. 23). Der BGH hat insbesondere auch klargestellt, dass die Tatsachenfeststellung in Dieselfällen nicht beschränkt ist auf Feststellungen nach den Grundsätzen der sekundären Darlegungs- und Beweislast (BGH, Urteil vom 25.11.2021, Az.: VII ZR 243/20, Rdnr. 35).
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Die Beklagte führt aus, im Rahmen der grundsätzlichen Entscheidung über die Verwendung des Motors … in Fahrzeugen ihrer Herstellung durch das Produkt-Strategie-Komitee im Jahr 2005/2006, das sich aus einzelnen Mitgliedern des Vorstands sowie einzelnen Mitgliedern aus den Fachabteilungen zusammensetzte, und der fortlaufenden nochmaligen Entscheidung zum Einsatz des Motors … jeweils in Bezug auf das konkret entwickelte Modell (Bl. 293 ff. d.A. dort Seite 15, Bl. 319 ff, dort Seite 15), habe man lediglich den serienmäßigen Einsatz des Motors … beschlossen, sich dabei aber nicht mit der konkreten technischen Ausstattung einschließlich der Umschaltlogik befasst, man habe insbesondere im Produkt-Strategie-Komitee nur über den Einsatz des Motorentyps entschieden und dabei nur finanzielle und zeitliche Planungsaspekte einbezogen, nicht jedoch technische Details der streitgegenständlichen Software (Bl. 502 d.A.). Der Senat ist aber davon überzeugt, dass wenigstens ein Repräsentant der Beklagten i.S.v. § 31 BGB bei der Entscheidung über den Einsatz von Motoren … in Fahrzeugen der Beklagten von der – evident unzulässigen – Umschaltlogik gewusst hat, unabhängig von der Frage der ausdrücklichen Besprechung der Umschaltlogik innerhalb der Erörterungen des Produkt-Strategie-Komitees.
15
Beim Motor eines Fahrzeugs handelt es sich um dessen „Kernstück“, nicht bloß um ein untergeordnetes Zuliefererteil. Dies bestätigen auch die Ausführungen der Beklagten, wonach die Entscheidung über den in einen neuen Fahrzeugtyp einzusetzenden Motor im Rahmen des 60-monatigen Zeitraums zur Entwicklung eines neuen Fahrzeugmodells einen „Meilenstein“ darstellt (Bl. 293 ff. d.A. dort Seite 13 ff.). Bei den Emissionswerten eines Fahrzeugs handelt es sich wiederum nicht um bloße technische Details und damit Fragen von vollkommen untergeordneter Bedeutung, im Gegenteil. Gleichzeitig handelt es sich um eine Entscheidung von großer Tragweite mit erheblichen, auch persönlichen, Haftungsrisiken für die Entscheider.
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Hinzu kommt, dass das Spannungsverhältnis zwischen kostengünstiger Produktion und den durch die nach den gesetzgeberischen Vorgaben zu den Euro-Schadstoffklassen stets strengeren Anforderungen an die Begrenzung der Stickoxidemissionen seinerzeit bei Automobilherstellern allgemein bekannt war. Die Einhaltung der relevanten Stickoxidgrenzwerte für den Motor … stellte unter Berücksichtigung des grundsätzlichen Verbots von Abschalteinrichtungen eine Herausforderung dar, die jedem Kraftfahrzeughersteller, der sich wie die Beklagte selbst mit der Entwicklung von Dieselmotoren befasste, bekannt war. Die Beklagte selbst räumt auch ein, dass bei der Entscheidung über den Einsatz des Motors … finanzielle Aspekte einbezogen wurden.
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In diesem Zusammenhang nicht zu überzeugen vermag der Einwand der Beklagten, bei den von ihr entwickelten und hergestellten Dieselmotoren handele es sich um ganz andere Motoren (Bl. 499 f. d.A.). Zwar mögen diese Motoren leistungsstärker und die Zylinder anders angeordnet sein. Das grundlegende Problem der Entstehung von Stickoxiden aufgrund höherer Verbrennungstemperaturen stellt sich aber bei jedem Dieselverbrennungsmotor (vgl. etwa den Bericht des KBA zur „Wirksamkeit von Software-Updates zur Reduzierung von Stickoxiden bei Dieselmotoren“, Anlage K 23 dort S. 10 f). Auch gelten für alle diese Motoren die gleichen gesetzlichen Stickoxidgrenzwerte. Nach dem Beklagtenvortrag arbeitet die Automobilindustrie bereits seit den 1970er Jahren an Strategien zur Optimierung des Ausstoßes von Stickoxiden, und zwar zunächst im Wesentlichen durch eine Herabsenkung der Verbrennungstemperaturen durch Abgasrückrückführung; dem sind jedoch nach dem Vortrag der Beklagten Grenzen gesetzt, denen durch die Verwendung von sog. Thermofenstern – nach dem Beklagtenvortrag auch noch in moderneren Dieselfahrzeugen- begegnet wird (Bl. 559 d.A.).
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Ferner sind der Beklagten ausweislich ihres Vortrags durchaus Aspekte der Abgasreinigung im Zusammenhang mit dem Motor … bekannt: sie weiß, dass bei den für den deutschen Markt bestimmten Fahrzeugen mit Motor … der Euroschadstoffnorm 4 bis 6 die Abgasreinigung durch Hochdruck-Abgasrückführung, durch einen Dieseloxidationskatalysator und Dieselpartikelfilter („Hardwarekomponenten“) stattfindet, aber eine Abgasnachbehandlung durch Stickstoffspeicherkatalysator wie bei den für den USamerikanischen Markt bestimmten Fahrzeugen nicht zum Einsatz kommt mit den unterschiedlichen Hardwarekomponenten gingen Unterschiede bei der Motorsteuerungssoftware einher (Bl. 501 d.A.). Die Beklagte führt außerdem aus, vor der Verwendung der Motoren … habe sie von der … AG Motoren … erworben – die beiden Motoren unterschieden sich, da die … AG den Motortyp … weiterentwickelt und die Technik von der Pumpe-Düse-Einspritzung auf die innovative Common-Rail-Einspritzung mit dem Ergebnis des Motortyps … umgestellt habe (Bl. 293 ff d.A., dort Seite15). Die Einspritzcharakteristik ist aber wesentlich für die Optimierung des Verbrennungsprozesses und steht damit im Zusammenhang mit der Abgasreinigung durch Abgasrückführung, auf die Ausführungen der Beklagten zur Funktionsweise des Softwareupdates wird Bezug genommen (Bl. 108 ff. d.A., dort S. 8ff).
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Auch angesichts des von der Beklagten beschriebenen ausgeklügelten Systems von Kontroll- und Berichtspflichten (Bl. 293 ff. d.A. dort Seite 38 ff) erscheint es nicht plausibel, dass diese sämtlich gerade bei der hier inmitten stehenden Kenntnis von der Umschaltlogik – einer Software, die die Zulassungsfähigkeit hinsichtlich einer maßgeblichen Eigenschaft des Motors, nämlich seiner Abgasemissionen zumal bei Kenntnis der Schwierigkeit zur Lösung des Problems, überhaupt erst ermöglichte – versagt haben sollen.
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Zwar hat die Beklagte ihren Vortrag zur von ihr behaupteten Unkenntnis in Bezug auf die Umschaltlogik von Personen, deren Handeln sie sich nach § 31 BGB zurechnen lassen muss, mittlerweile vertieft. Sie trägt vor, mittlerweile seien die internen Untersuchungen abgeschlossen. Danach hätten sich keine Anhaltspunkte ergeben, dass Vorstände im aktienrechtlichen Sinn bzw. andere Repräsentanten die für eine Haftung nach § 826 BGB maßgeblichen Kenntnisse gehabt hätten, und führt dies auch konkret aus in Bezug auf von der Klagepartei benannte Personen.
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Dies überzeugt den Senat jedoch nicht. Denn die Beklagte räumt ein, dass zu der Ebene der Bereichsleiter im Zeitraum von 2006 bis 2015 jeweils ca. 70 Personen gehört hätten. Befragungen sämtlicher dieser Einzelpersonen seien aber weder erforderlich noch praktisch umsetzbar (Bl. 293 ff. d.A. dort Seite 33). Das teilt der Senat nicht, der nicht erkennen kann, dass die Anhörung dieser gleichwohl noch überschaubaren Anzahl von Personen zur Aufklärung dieses für die Beklagte aus dem Tagesgeschäft herausragend bedeutsamen Sachverhalts nicht praktisch umsetzbar sein soll, zumal es nach dem Vortrag der Beklagten auch der zur Untersuchung im …-Konzern eingesetzten Kanzlei … möglich war, mehr als 700 Befragungen durchzuführen einschließlich einer Sicherung von über 21.000 elektronischen Datenträgern bei weltweit über 3.500 Mitarbeitern (Bl. 293 ff. d.A., dort Seite 26). Dies gilt umso mehr, als die Beklagte nach ihren eigenen Ausführungen im Zeitraum von 2006 bis 2015 streng hierarchisch organisiert war mit Berichts- und Kontrollpflichten. Danach sei die Beklagte von sieben Vorständen geleitet worden und sei in sieben Vorstandsbereiche gegliedert gewesen, welche die erste Berichtsebene darstellten. Der Vorstandsebene nachgelagert gewesen seien Untergliederungen, die als Bereiche bezeichnet worden seien und welche die zweite Berichtsebene darstellten. An ihrer Spitze standen bereits die Bereichsleiter (Bl. 293 ff. d.A., dort Seite 39). Die Notwendigkeit ihrer Befragung drängt sich auf, zumal der BGH bereits in der Entscheidung vom 25.05.2020 (Az.: VI ZR 252/19, Rdnr. 33) dem restriktiven Begriffsverständnis des Repräsentanten i.S.v. § 31 BGB der dortigen Beklagten (und der hiesigen Beklagten explizit in Bezug auf Bereichsleiter, Bl. 293 ff. d.A., dort S. 30 ff.), denen aber selbst die Beklagte gleichwohl „eine dem Tätigkeitsprofil der Vorstandsmitglieder angenäherte Funktion innerhalb der Organisationsstruktur der Beklagten“ zubilligt) nicht gefolgt ist. Ob überhaupt wenigstens einzelne und ggfls. welche Bereichsleiter befragt wurden, bleibt aber unklar.
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Eine Indizwirkung im Sinne der Beklagten vermag der Senat schließlich nicht in dem Umstand zu sehen, dass die internen Ermittlungen nicht zu Schadensersatzansprüchen der Beklagten gegen ihre Verantwortlichen bzw. zu weiteren staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren geführt hätten. Nach den Ausführungen der Beklagten bezogen sich die nach Darstellung der Beklagten umfangreichen internen Ermittlungen der Kanzlei … in Zusammenarbeit mit Deloitte zur Beklagten im Schwerpunkt ohnehin nicht auf den hier inmitten stehenden Sachverhalt der Verwendung der Motoren …, sondern auf Manipulationen bei den von der Beklagten selbst entwickelten 3-l-V6-Motoren (Bl. 293 ff. d.A. dort Seite 25 f sowie Anlage B3 und B4) und die Befragung der Bereichsleiter bleibt unklar. Die Staatsanwaltschaft München II hat gegenüber der Beklagten wegen Aufsichtspflichtverletzungen im Bereich „Abgas Service / Zulassung Aggregate“ bei der Prüfung von Fahrzeugen auf ihre regulatorische Konformität u.a. wegen des Einsatzes des Motors … in Fahrzeugen weltweit ein Ordnungswidrigkeitenverfahren geführt und ein Bußgeld verhängt (Anlage K13). Dies allein und der Umstand, dass die Staatsanwaltschaft Braunschweig kein Ermittlungsverfahren eingeleitet hat, lässt keinen Rückschluss zu auf die dort jeweils bestehenden Kenntnisse und Entscheidungsmotive – erst recht nicht allein im Sinne des Beklagtenvortrags. Die Beklagte selbst legt überdies als Anlage B5 das „Statement of Facts“ vor, aus dem sich ergibt, dass es im Hinblick auf die Vorgänge in den USA u.a. durch Angestellte der Beklagten zur Vernichtung von Unterlagen gekommen ist mit dem Ziel der Vermeidung rechtlicher Konsequenzen (ebenda, Nr. 73).
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Die umfänglichen Ausführungen – teilweise einschließlich von Beweisangeboten – der Beklagten zur fehlenden Kenntnis ihrer Vorstände im aktienrechtlichen Sinne und sonstiger Repräsentanten mit der Begründung, sie habe den Motor nicht entwickelt bzw. nicht mitentwickelt, sei am Homologationsprozess nicht beteiligt gewesen und habe aufgrund des bestehenden Baukastenprinzips mit automatisierten Produktionsprozessen ohne Einwirkungs- oder Überprüfungsmöglichkeit beim Aufspielen der Motorsteuerungssoftware bzw. später bei der Überwachung der Produktion keine Kenntnisse erlangen können, verfangen nicht, da der Senat – bei Wahrunterstellung des Vortrags der Beklagten insoweit – in der Entscheidung über die Verwendung des Motors … in Kenntnis der Umschaltlogik das deliktische Handeln sieht.
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Diese Wertung liegt bereits den Entscheidungen des Senats zugrunde, zu denen durch den BGH unter dem 25.11.2021 bestätigende Entscheidungen (Az.: VII ZR 238/20, VII ZR 243/20, VII ZR 257/20 und VII ZR 38/21) ergangen sind. Der Senat hat hierauf mit Beschluss vom 26.07.2022 (Bl. 525 ff. d.A.) hingewiesen. Eine inhaltliche Ergänzung des Vortrags im Sinne dieser Hinweise erfolgte weder schriftsätzlich noch im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat; die Beklagte hat nach wie vor nicht, auch nicht mit dem zuletzt eingereichten Schriftsatz vom 08.09.2022, Bl. 541 ff. d.A., die in Bezug auf das streitgegenständliche Fahrzeug über den Zukauf des Motors inklusive Software entscheidenden Personen benannt und ebenso wenig konkret zu deren Kenntnisstand – ggfls. nach Befragung im Rahmen der internen Ermittlungen – vorgetragen. Dementsprechend war auch den Beweisangeboten im Schriftsatz vom 08.09.2022 nicht nachzugehen. b)
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Letztlich ist damit das Bestreiten der Beklagten auch unzureichend im Sinne von § 138 Abs. 3 ZPO.
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Wer einen Anspruch aus § 826 BGB geltend macht, trägt im Grundsatz die volle Darlegungs- und Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen. Bei der Inanspruchnahme einer juristischen Person hat der Anspruchsteller dementsprechend auch darzulegen und zu beweisen, dass ein verfassungsmäßig berufener Vertreter (§ 31 BGB) die objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 826 BGB verwirklicht hat. In bestimmten Fällen ist es Sache der Gegenpartei, sich im Rahmen der ihr nach § 138 Abs. 2 ZPO obliegenden Erklärungslast zu den Behauptungen der beweisbelasteten Partei substantiiert zu äußern. Dabei hängen die Anforderungen an die Substantiierung des Bestreitens zunächst davon ab, wie substantiiert der darlegungspflichtige Gegner – hier die Klagepartei – vorgetragen hat. In der Regel genügt ein einfaches Bestreiten. Eine sekundäre Darlegungslast kann den Prozessgegner der primär darlegungsbelasteten Partei treffen, wenn diese keine nähere Kenntnis der maßgeblichen Umstände und auch keine Möglichkeit zur weiteren Sachaufklärung hat, während der Gegner alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm unschwer möglich und zumutbar ist, nähere Angaben zu machen. Genügt der Anspruchsgegner seiner sekundären Darlegungslast nicht, gilt die Behauptung des Anspruchstellers nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden (z.B. BGH, Urteil 08.03.2021, Az.: VI ZR 505/19, Rdnr. 25 ff.). Nach diesen Grundsätzen setzt eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten zu Vorgängen innerhalb ihres Unternehmens, die auf eine Kenntnis ihrer Repräsentanten von der Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung schließen lassen sollen, jedenfalls voraus, dass das Parteivorbringen hinreichende Anhaltspunkte enthält, die einen solchen Schluss nahelegen (BGH, Urteil vom 08.03.2021, Az.: VI ZR 505/19, Rdnr. 28).
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Anders als die Beklagte einwendet, sind die möglichen Anhaltspunkte nicht beschränkt auf die im Urteil des BGH vom 08.03.2021, Az.: VI ZR 505/19, Rdnr. 30, genannten Umstände. Maßgeblich bleibt der Vortrag im Einzelfall, was bestätigt wird durch BGH, Beschluss vom 15.09.2021, Az.: VII ZR 52/21, Rdnr. 24 ff. und Urteil vom 26.04.2022, Az.: VI ZR 965/20, Rdnr. 14 f.
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Nach diesen Grundsätzen traf die Beklagte die sekundäre Darlegungslast hinsichtlich der Frage, wer die Entscheidung über den serienmäßigen Einsatz der Motoren … in (Un-)Kenntnis der Umschaltlogik getroffen hat. Die Umstände, nach denen vorliegend eine Kenntnis der für die Beklagte handelnden und dieser zuzurechnenden Personen naheliegt, ergeben sich bereits aus den vorstehenden Ausführungen. Das Spannungsverhältnis zwischen der Herstellung kostengünstiger Motoren bei gleichzeitiger Einhaltung der gesetzlich weiter verschärften Stickoxidgrenzwerte sowie grundsätzlichem Verbot des Einsatzes von Abschalteinrichtungen war bei Automobilherstellern bekannt. Die Beklagte selbst entwickelt Dieselmotoren. Gleichzeitig waren der Beklagten die Hardwarekomponenten wie auch Aspekte der Funktion der Abgasreinigung im Zusammenhang mit dem Einsatz der Motoren … (im Vergleich zu dem bis dahin verwendeten …motor …) bekannt. Die Entscheidung über den serienweisen Einsatz der Motoren … in Fahrzeugen der Beklagten betraf eben nicht bloß ein untergeordnetes Zuliefererteil, sondern den Motor als „Kernstück“ des Fahrzeugs; die Emissionseigenschaften des Fahrzeugs sind für dieses wesentlich und nicht bloß ein technisches Detail. Die Entscheidung über den serienweisen Einsatz der Motoren … in Fahrzeugen der Beklagten war mit erheblichen, auch persönlichen, Haftungsrisiken der entscheidenden Personen verbunden. Eine Unkenntnis des Einsatzes der Umschaltlogik auf Ebene von Personen, die der Beklagten zuzurechnen sind nach § 31 BGB, erscheint ausgeschlossen, zumal in Anbetracht des ausgeklügelten und streng hierarchischen Kontroll- und Berichtswesen innerhalb der Beklagten. Dem ist die Beklagte, wie sich ebenfalls aus den vorstehenden Ausführungen ergibt, nicht hinreichend entgegengetreten; insbesondere blieben ihre Angaben zu ihren internen Ermittlungen, auf deren negatives Ergebnis die Beklagte sich beruft, unzureichend, jedenfalls im Hinblick auf die Befragung der Bereichsleiter, und der Vortrag zum Kenntnisstand der Beteiligten im Rahmen des Produkt-Strategie-Komitees blieb pauschal.
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2. Vor diesem Hintergrund ist auch der Schädigungsvorsatz zu bejahen. Dieser enthält ein Wissens- und Wollenselement. Der Handelnde muss die Schädigung des Anspruchsstellers gekannt bzw. vorausgesehen und in seinen Willen aufgenommen haben und mindestens mit bedingtem Vorsatz gehandelt haben; Vorstandsmitglieder oder Repräsentanten, die in Kenntnis der Umschaltlogik den serienmäßigen Einsatz der Motoren in ihren Fahrzeugen anordnen oder nicht unterbinden, billigen ihn auch und sind sich der Schädigung der späteren Fahrzeugerwerber bewusst.
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3. Die Einwände der Beklagten gegen das Bestehen der haftungsbegründenden Kausalität (Bl. 463 ff d.A.) greifen nicht durch.
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Schon nach der allgemeinen Lebenserfahrung ist davon auszugehen, dass die Klagepartei den streitgegenständlichen Pkw nicht gekauft hätte, wenn sie um die unzulässige Software und die davon ausgehende Gefahr der Betriebsuntersagung gewusst hätte; der Schaden liegt in der Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit (BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19, Rdnr. 47 ff.). Kein vernünftiger Käufer hätte in Kenntnis dieses Sachverhalts, insbesondere der Gefahr der Betriebsuntersagung, den Pkw erworben, zumal zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht die Möglichkeit bestanden hätte, mittels des erst später entwickelten Softwareupdates die Manipulation am Motor zu beseitigen.
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Auch aufgrund der Angaben der Klagepartei persönlich im Rahmen ihrer Anhörung im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 19.09.2022 und des hierbei von ihr gewonnenen Eindrucks ist der Senat vom Bestehen der Kausalität überzeugt. Die Beklagte hat auf die förmliche Parteieinvernahme verzichtet.
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4. Entgegen der Ansicht des Landgerichts Ingolstadt ist der Anspruch auch nicht bereits verjährt.
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Gemäß § 195 BGB beträgt die regelmäßige Verjährungsfrist drei Jahre. Sie beginnt gemäß § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist (§ 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB) und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB). Die Klagepartei hat zur Überzeugung des Senats nicht bereits im Jahr 2015 Kenntnis von der Betroffenheit ihres Fahrzeugs erlangt. Die Unkenntnis im Jahr 2015 war auch nicht grob fahrlässig. Vorliegend trat Verjährung frühestens mit Ablauf des 31.12.2019 ein; die Klageerhebung noch im Jahr 2019 erfolgte rechtzeitig, § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB. Im Einzelnen:
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Nach der Rechtsprechung des BGH kommt es hinsichtlich der Kenntnis im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB in Dieselfällen darauf an, dass der Käufer Kenntnis erlangt hat vom „Dieselskandal“ allgemein, von der konkreten Betroffenheit seines Wagens hiervon sowie von der Relevanz dieser Betroffenheit für seine Kaufentscheidung, wobei von letzterem naturgemäß auszugehen ist (BGH, Urteil vom 17.12.2020, Az.: VI ZR 739/20, Rdnr. 5, 8, 17, vom 29.07.2021, Az.: VI ZR 1118/20, Rdnr.14 ff., Beschluss vom 15.09.2021, Az. VII ZR 294/20, Rdnr. 8 f., Urteilsserie vom 10.02.2022, Az.: VII ZR 692/21, Rdnr. 24, Az.: VII ZR 717/21, Rdnr. 24, Urteil vom 21.02.2022, Az.: VIa ZR 8/21, Rdnr. 37). Der Senat hat die Klagepartei hierzu im Termin zur mündlichen Verhandlung am 19.09.2022 befragt. Die Klagepartei hat vom Dieselskandal allgemein erst im Jahr 2016 Kenntnis erlangt und zur Überzeugung des Senats von der konkreten Betroffenheit ihres Fahrzeuges erst mit Anschreiben im Februar 2017. Die Klagepartei machte einen glaubwürdigen Eindruck und ihre Ausführungen waren in sich widerspruchsfrei sowie überzeugend, auch auf konkrete Nachfrage.
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Selbst wenn man angesichts der Angaben des Klägers bei seiner Anhörung in erster Instanz am 25.03.2021, er wisse nicht mehr, wann er vom Dieselskandal Kenntnis erlangt habe, unterstellt, der Kläger hätte bereits im Jahr 2015 allgemein Kenntnis vom Dieselskandal gehabt, wäre zur Überzeugung des Senats die Nichtverschaffung der Kenntnis von der konkreten Betroffenheit noch im Jahr 2015 nicht grob fahrlässig i.S.v. § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB, und zwar auch unter Berücksichtigung der insofern breiten Medienberichterstattung, Information der Händler wie Servicepartner und Schaffung einer Abfragemöglichkeit im Internet. Der Zeitraum vom Bekanntwerden des „Dieselskandals“ im September 2015 bis zum 31.12.2015 war recht kurz. Auch hat die Klagepartei dargelegt, dass sie den Dieselskandal nicht auf Audi bezogen hat. Ferner hat nach dem Beklagtenvortrag u.a. die … AG, bei der die Information der Öffentlichkeit bewusst auch für Fahrzeuge der Beklagten gebündelt worden war, innerhalb dieses Zeitraums fortlaufend informiert zur Kooperation mit dem Kraftfahrtbundesamt, den so geplanten Abhilfemaßnahmen und Ankündigungen zu deren Umsetzung (Bl. 108 ff. d.A. dort Seite 15 ff, 22ff). Ein Zuwarten, zumindest bis zum Ende des Jahres 2015 war damit jedenfalls nicht schlechterdings unverständlich; der Senat nimmt Bezug auf die Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 16.09.2021, Az.: VII ZR 192/20, Rdnr. 12+35, Urteilsserie vom 10.02.2022, Az.: VII ZR 396/21, Rdnr. 21 ff., Az.: VII ZR 679/21, Rdnr. 24 ff., Az.: VII ZR 692/21, Rdnr. 25 ff., Urteil vom 21.02.2022, Az.: VIa ZR 8/21, Rdnr. 38 ff., vom 17.03.2022, Az.: III ZR 226/20, Rdnr. 22).
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5. Im Wege der Vorteilsanrechnung ist das streitgegenständliche Fahrzeug herauszugeben und das Eigentum zu übertragen sowie ein Ersatz der gezogenen Nutzungen vorzunehmen (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020, Az.: VI ZR 252/19, Rdnr. 65 ff.).
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Die Bemessung der Höhe des Schadensersatzanspruchs ist in erster Linie Sache des nach § 287 ZPO besonders freigestellten Tatrichters. Der Senat schätzt in Anbetracht des festgestellten Fahrzeugtyps, des Datums seiner Erstzulassung sowie der konkreten Nutzung die mögliche Gesamtlaufleistung auf 250.000 km. Mit dieser Schätzung bewegt sich der Senat innerhalb der Bandbreite der von anderen Gerichten jeweils vorgenommenen Schätzung der gesamten Laufleistung (u.a. BGH, Urteil vom 27.07.2021, Az.: VI ZR 480/19, Rdnr. 26). Weitere aussagekräftige Umstände, welche die zu erwartende Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs beeinflussen, sind nicht dargetan (vgl. BGH, Urteil vom 29.09.2021, Az.: VIII ZR 111/20, Rdnr. 52 ff., 58).
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Der Senat stellt in ständiger Rechtsprechung auf die nach der Rechtsprechung des BGH gebilligte lineare Berechnung des Nutzungsersatzes ab. Aus der grundsätzlichen Billigung einer linearen Berechnungsmethode folgt zwar nicht zwingend, dass andere Berechnungsmethoden unzulässig wären, da dem Tatrichter nach § 287 ZPO ein weiter Ermessensspielraum eingeräumt wird. Da der Schaden aber in dem ungewollten Vertragsschluss liegt, ist der vom Bundesgerichtshof erfolgte Rückgriff auf die Wertung des Nutzungsersatzes nach § 346 Abs. 2 Nr. 2 BGB aber folgerichtig. Der Senat folgt ausdrücklich nicht dem Ansatz, den Wert der Nutzung eines Neuwagens höher anzusetzen als den eines älteren Fahrzeugs. Die lineare Berechnung ist dem Geschädigten zumutbar und entlastet die Schädigerin nicht unangemessen. Sie entspricht schon vom Wortlaut den „gezogenen Nutzungen“. Entgegen dem Einwand der Beklagten ist eine Ausweitung der Vorteilsanrechnung – etwa wegen des Wertverlusts des Fahrzeugs – nicht angezeigt (BGH, Urteil vom 30.07.2020, Az.: VI ZR 397/19, Rdnr. 36, vom 30.07.2020, Az.: VI ZR 354/19, Rdnr. 15, vom 20.07.2021, Az.: VI ZR 533/20, Rdnr. 33, vom 16.09.2021, Az.: VII ZR 192/20, Rdnr. 46, vom 21.04.2022, Az.: VI ZR 285/21).
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Danach errechnet sich bei Berücksichtigung der Nutzung des Fahrzeugs bis zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 19.09.2022 mit einer Kilometerleistung von insgesamt 137.589 km ein Erstattungsanspruch i.H.v. 18.090,73 €.
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6. Die Klagepartei hat die Beklagte nicht in Annahmeverzug versetzt.
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Das anwaltliche Schreiben vom 12.11.2019 (versandt per Email, Anlage K 11) war hierzu nicht geeignet, weil in dem Schreiben von einer Gesamtlaufleistung von 350.000 km ausgegangen wurde und der volle Kaufpreis angesetzt wurde, ohne die Vorsteuerabzugsfähigkeit zu berücksichtigen. Die Forderung jedenfalls eines nicht nur unerheblich höheren als des geschuldeten Betrags schließt ein ordnungsgemäßes Angebot der Zug-um-Zug zu erbringenden Leistung aus (BGH, Urteil vom 29. Juni 2021 – VI ZR 130/20 –, Rn. 16 f, juris). Auch im Berufungsverfahren hat die Klagepartei noch einen deutlich zu hohen Betrag gefordert. Damit hat die Klagepartei durchgängig wesentlich zu viel gefordert, was die Entstehung von Annahmeverzug ausschließt (BGH, Urteil vom 16.09.2021, Az.: VII ZR 192/20, Rdnr. 50, vom 29.06.2021, Az.: VI ZR 130/20, Rdnr. 16, vom 18.05.2021, Az.: VI ZR 167/20, Rdnr. 15, vom 02.02.2021, Az. VI ZR 449/20, Rdnr. 9, vom 19.01.2021, Az.: VI ZR 8/20, Rdnr. 18, vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19, Rdnr. 85).
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7. Der Anspruch ist ab Rechtshängigkeit zu verzinsen, mithin ab 19.12.2019, §§ 291, 288 Abs. 1 S. 2, 187 Abs. 1 BGB.
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Die vom Senat vorgenommene Zinsstaffel trägt dem Umstand Rechnung, dass die Klagepartei die auf den Kaufpreiserstattungsanspruch anzurechnenden Nutzungsvorteile zum Teil erst zwischen dem Eintritt der Rechtshängigkeit und dem Schluss der mündlichen Verhandlung erlangt hat (vgl. BGH, Urteil vom 30.07.2020, Az.: VI ZR 397/19, Rdnr. 38). Maßgeblich ist danach, in welcher Höhe unter Berücksichtigung der anzurechnenden Nutzungsvorteile bei Eintritt der Rechtshängigkeit eine verzinsliche Hauptforderung bestand und wie sich diese im Laufe des Verfahrens angesichts der fortlaufenden Nutzung des Fahrzeugs entwickelte (BGH, Urteil vom 30.07.2020, Az.: VI ZR 354/19, Rdnr. 23).
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Bei Zugrundelegung der Gesamtlaufleistung zum 12.11.2019 (Anlage K11) und eines gleichmäßigen Nutzungsverhaltens zur Schätzung der jeweiligen Fahrleistung bestand jeweils abzüglich der gezogenen Vorteile bei Eintritt der Rechtshängigkeit (19.12.2019) eine Hauptforderung von 23.335,40 €, zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung erster Instanz (25.03.2021) von 20.763,19 € und zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung zweiter Instanz (19.09.2022) von 18.090,73 €.
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Weil die Fahrleistung des Autos während des Zinszeitraums nicht taggenau nachvollzogen werden kann, ist der Senat im Wege der Schätzung gemäß § 287 ZPO von einer gleichmäßigen Nutzung ausgegangen, also von einer linearen Entwicklung des Kilometerstandes. Diese lineare Entwicklung berücksichtigt der Senat in der Weise, dass für die dazwischen liegenden Zinszeiträume ein Mittelwert zugrunde gelegt wird.
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8. Der Anspruch auf Ersatz der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten war dem tatsächlichen Streitwert zu diesem Zeitpunkt anzupassen.
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Bei der Beurteilung der Frage, ob und in welchem Umfang der dem Geschädigten zustehende Schadensersatzanspruch auch die Erstattung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten umfasst, ist zwischen dem Innenverhältnis des Geschädigten zu dem für ihn tätigen Rechtsanwalt und dem Außenverhältnis des Geschädigten zum Schädiger zu unterscheiden. Voraussetzung für einen Erstattungsanspruch ist grundsätzlich, dass der Geschädigte im Innenverhältnis zur Zahlung der in Rechnung gestellten Kosten verpflichtet ist und die konkrete anwaltliche Tätigkeit im Außenverhältnis aus der maßgeblichen Sicht des Geschädigten mit Rücksicht auf seine spezielle Situation zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig war (BGH, Urteil vom 30.07.2020, Az.: VI ZR 354/19, Rdnr. 25, vom 22.06.2021, Az.: VI ZR 353/20, Rdnr. 5 ff., vom 24.01.2022, Az.: VIa ZR 100/21, Rdnr. 12 f.).
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Hier ist nicht nur zu berücksichtigen, dass der Kläger vorsteuerabzugsberechtigt war und aus diesem Grunde der Nettokaufpreis anzusetzen war, sondern auch die bis zu diesem Zeitpunkt anzurechnende Nutzungsentschädigung auf Grundlage der hier vom Senat angesetzten Gesamtlaufleistung von 250.000 km. Der Streitwert belief sich daher zum 12.11.2019 auf 23.357,28 €.
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Hinsichtlich der Höhe der Gebühr aus Nr. 2300 VV RVG sieht der Senat lediglich den Ansatz einer 1,3 Gebühr für angemessen. Die Beurteilung ist auch hinsichtlich der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten als Teil des Schadens in das Ermessen des Tatrichters gestellt nach § 287 ZPO (BGH, Urteil vom 22.06.2021, Az.: VI ZR 353/20, Rdnr. 5 ff.). Eine Gebühr von mehr als 1,3 kann nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war; ob dies der Fall ist, ist anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls zu beurteilen (BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19, Rdnr. 87, vom 19.01.2021, Az.: VI ZR 8/20, Rdnr. 21 f.).
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Soweit die Klagepartei einen erhöhten Schwierigkeitsgrad und Aufwand in tatsächlicher Hinsicht einwendet, überzeugt dies den Senat nicht. Senatsbekannt vertritt die die Klagepartei vertretende Kanzlei eine Vielzahl von Anspruchsstellern in der Folge des Dieselabgasskandals auch in Bezug auf die Fahrzeuge mit Motoren der Beklagten, so dass sich Umfang wie Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage im Hinblick auf die große Zahl der Mandate jedenfalls relativieren (BGH, Urteil vom 10.05.2022, Az.: VI ZR 156/20, Rdnr. 17 und vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19, Rdnr. 87, vom 19.01.2021, Az.: VI ZR 8/20, Rdnr. 21 f.). Die erstattbaren außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten betragen 1.242,84 €
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9. Eine Erledigung hinsichtlich der Differenz der begründeten Forderung im Hinblick auf die zwischenzeitlich höhere Fahrleistung war nicht festzustellen, da die von der Klagepartei geltend gemachte Forderung in der Höhe, in der sie sich nach Auffassung der Klagepartei erledigt hat, von Anfang an nicht begründet war. Die Klagepartei ging bei Berufungseinlegung von einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 13.105,29 € und bei der mündlichen Verhandlung von 15.001,17 € aus. Tatsächlich hat die bei einer Gesamtlaufleistung von 250.000 km anzusetzende Nutzungsentschädigung aber bereits beim Urteil erster Instanz 18.480,51 € betragen. Die Forderung war also von Anfang an in geringerer Höhe begründet.
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Die Kostenentscheidung erster Instanz beruht auf § 92 Abs. 1 S. 1ZPO. Die erhobene Forderung von Deliktszinsen, die mit Schriftsatz vom 19.11.2020 (Bl. 285 d.A.) zurückgenommen wurde, ist zu Lasten der Klagepartei zu berücksichtigen (BGH, Urteil vom 24.03.2022, Az.: VII ZR 266/20, Rdnr. 32). Die Klagepartei hatte mit der Klage die Erstattung des Kaufpreises ohne Abzug einer Nutzungsentschädigung und Berücksichtigung der Vorsteuerabzugsfähigkeit beantragt (Bl. 1 ff. d.A.).
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Die Kostenentscheidung zweiter Instanz beruht auf §§ 97, 92 Abs. 1 S. 1 ZPO. Soweit die Klagepartei einen Teil der Klage für erledigt erklärt, war zu berücksichtigen, dass die Beklagtenpartei dieser nicht zugestimmt hat und § 91 a ZPO daher nicht anwendbar ist.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
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Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 ZPO nicht erfüllt sind. Die maßgeblichen Rechtsfragen zur Haftung in Dieselfällen, insbesondere im Hinblick auf das Tatbestandsmerkmal der Sittenwidrigkeit i.S.v. § 826 BGB wie auch die Anforderungen an den Vortrag der Parteien sind mittlerweile höchstrichterlich geklärt (deutlich u.a.: BGH, Beschluss vom 29.09.2021, Az.: VII ZR 223/20, Rdnr. 8, vom 15.09.2021, VII ZR 2/21, Rdnr. 4, 24). Dies gilt auch in Bezug auf eine Haftung der Beklagten bei Fahrzeugen mit Motoren … (BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19, vom 08.03.2021, Az.: VI ZR 505/19, Beschluss vom 15.09.2021, Az.: VII ZR 52/21, Urteil vom 16.09.2021, Az.: VII ZR 192/20, Urteilsserie vom 25.11.2021: Az.: VII ZR 238/20, VII ZR 243/20, VII ZR 257/20 und VII ZR 38/21, Urteil vom 21.12.2021, Az.: VI ZR 875/20, Beschluss vom 12.01.2022, Az.: VII ZR 256/20, vom 27.01.2022, Az.: III ZR 195/20, vom 09.02.2022, Az.: VII ZR 255/20 und Az.: VII ZR 26/21, Urteil vom 24.03.2022, Az.: VII ZR 266/20, vom 26.04.2022, Az.: VI ZR 965/20). Es ist Aufgabe der Instanzgerichte, diese Rechtsgrundsätze auf den jeweils vorliegenden Sachverhalt anzuwenden. Divergierende Ergebnisse aufgrund der Würdigung des jeweils vorgetragenen Sachverhalts in tatsächlicher Hinsicht begründen indes keine Divergenz i.S. des § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO. Von einer Divergenz in diesem Sinne ist vielmehr nur dann auszugehen, wenn den Entscheidungen sich widersprechende abstrakte Rechtssätze zugrunde liegen (BGH, Beschluss vom 09.07.2007, Az.: II ZR 95/06, Rdnr. 2, deutlich: Beschluss vom 13.10.2021, Az.: VII ZR 99/21, Rdnr. 28).