Titel:
Begründeter Schadensersatzanspruch wegen des Erwerbs eines Diesel-PKWs
Normenketten:
BGB § 31, § 144, § 242, § 254 Abs. 2 S. 1, § 249, § 362, § 826
ZPO § 138 Abs. 3, § 287
Leitsätze:
1. Ein Automobilhersteller handelt gegenüber einem Fahrzeugkäufer sittenwidrig, wenn er entsprechend seiner grundlegenden strategischen Entscheidung im eigenen Kosten- und Gewinninteresse unter bewusster Ausnutzung der Arglosigkeit der Erwerber, die die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben und die ordnungsgemäße Durchführung des Typgenehmigungsverfahrens als selbstverständlich voraussetzen, Fahrzeuge mit einer Motorsteuerung in Verkehr bringt, deren Software bewusst und gewollt so programmiert ist, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand beachtet, im normalen Fahrbetrieb hingegen überschritten werden, und damit unmittelbar auf die arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde abzielt. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2. Nach der allgemeinen Lebenserfahrung ist davon auszugehen, dass niemand einen Pkw erwirbt, wenn er von einer unzulässigen Software und der davon ausgehenden Gefahr einer Betriebsuntersagung weiß. Der Schaden liegt bereits in der Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Schadensersatz, Diesel-PKW, Fahrzeug, sittenwidrig, Abschalteinrichtung, Thermofenster, sekundäre Darlegungslast
Vorinstanz:
LG Ingolstadt, Urteil vom 20.05.2021 – 82 O 1896/20
Fundstelle:
BeckRS 2022, 42933
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 20.05.2021, Az. 82 O 1896/20, in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 14.06.2021, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei einen Betrag in Höhe von 520,51 € zu zahlen und die Klagepartei freizustellen von den Verbindlichkeiten gegenüber der … Bank GmbH, Zweigniederlassung der … Bank GmbH, … Straße …, …, aus dem Darlehensvertrag vom 21.10.2021 mit der …-Angebotsnummer … in Höhe von 15.250,74 € Zug um Zug gegen Herausgabe des Fahrzeugs …, …, FIN … und Übertragung des der Klagepartei gegenüber der … Bank zustehenden Anwartschaftsrechts auf Übereignung des vorstehend benannten Fahrzeugs.
2. Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 1.029,35 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 04.07.2020 und weitere außergerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 213,49 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29.09.2020 zu zahlen.
3. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme des in Ziffer 1 genannten Gegenstandes seit 13.04.2021 in Annahmeverzug befindet.
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
5. Die Klagepartei hat von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz 34%, die Beklagte 66% zu tragen.
2. Im Übrigen wird die Berufung des Klägers zurückgewiesen.
3. Die Klagepartei hat von den Kosten des Berufungsverfahrens 17%, die Beklagte 83% zu tragen.
4. Dieses Urteil und das Urteil des Landgerichts, in der Fassung, die es in Ziffer I. erhalten hat, sind vorläufig vollstreckbar.
Entscheidungsgründe
1
Gegenstand des Rechtsstreits sind Ansprüche, die die Klagepartei gegen die Beklagte wegen des Erwerbs eines Diesel-Pkws geltend macht.
2
Die Klagepartei erwarb am 25.07.2017 zu einem Preis von 32.000 € netto von einem Dritten ein Gebrauchtfahrzeug … (313 PS), Euro-Schadstoffnorm 5. Das Auto ist mit einem V6-Dieselmotor ausgestattet. Die Beklagte ist die Herstellerin des Wagens und des Motors. Der Kilometerstand bei Erwerb betrug 74.179 km und im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung erster Instanz am 22.04.2021 190.543 km und zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 25.07.2022 213.761 km. Das Fahrzeug ist betroffen von einem Rückruf durch das Kraftfahrtbundesamt mit der Begründung der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung.
3
Der Kauf erfolgte teilweise – Anzahlung über 2.000,00 € – finanziert über die …-Bank (Zweigniederlassung der … Bank GmbH); es fielen Finanzierungskosten an in Höhe von 2.265,38 €. Die Darlehensabrede enthielt eine Vereinbarung über ein verbrieftes Rückgaberecht. Danach bestand für die Klagepartei die Möglichkeit, bei Fälligkeit der Schlussrate i.H.v. 15.465,38 € das Fahrzeug an die Verkäuferin zurückzugeben zu einem bereits festgelegten Kaufpreis, und zwar in Höhe von ebenfalls 15.465,38 € bei einer Kilometerleistung von 132.000 km mit Verrechnung von Kaufpreis und Restdarlehensanspruch (Anlage 1a). Es wurden außerdem Bestimmungen getroffen zur Anpassung dieses Preises je nach Kilometerleistung und Zustand des Fahrzeugs. Die Klagepartei machte von diesem Recht keinen Gebrauch, löste das Darlehen nicht ab, sondern vereinbarte statt dessen unter dem 21.10.2021 eine Anschlussfinanzierung in Höhe der Schlussrate zuzüglich Finanzierungskosten i.H.v. 1.285,36 €, d.h. insgesamt i.H.v. 16.750,74 €. Diese ist noch nicht abgeschlossen; das Fahrzeug ist sicherungsübereignet (Anlage BB1).
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Mit anwaltlicher Mahnung vom 26.06.2020 forderte die Klagepartei unter Fristsetzung bis zum 03.07.2020 die Erstattung des Kaufpreises unter Abzug einer Nutzungsentschädigung mit Angabe von Kilometerleistungen (Laufleistung von 151.000 km) Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs.
5
Mit Klage vom 21.07.2020, der Beklagten zugestellt am 28.09.2020, forderte die Klagepartei zuletzt die Erstattung des Nettokaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung i.H.v. 7.544,85 € zuzüglich Finanzierungskosten i.H.v. 2.265,38 € zuzüglich Verzugszinsen Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs und hilfsweise die Zahlung eines Betrages i.H.v. 15.400,00 € abzüglich einer Nutzungsentschädigung i.H.v. 7.544,85 € zuzüglich Verzugszinsen und Freistellung von Darlehensverbindlichkeiten i.H.v. 16.865,38 € Zug um Zug gegen Übergabe des Fahrzeugs und Übertragung des der Klagepartei insoweit zustehenden Anwartschaftsrechts sowie die Feststellung von Annahmeverzug der Beklagten mit der Rücknahme des Fahrzeugs und die Verurteilung zur Zahlung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten i.H.v. 1.854,36 €.
6
Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom 20.05.2021, berichtigt mit Beschluss vom 14.06.2021, teilweise zugesprochen, nämlich verurteilt zur Freistellung in Höhe von 15.352,01 € Zug um Zug gegen Übergabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs und Übertragung des insofern der Klagepartei zustehenden Anwartschaftsrechts, die Zahlungspflicht von außergerichtlichen Kosten in Höhe von 1.029,35 € nebst Verzugszinsen seit 04.07.2020 ausgesprochen und Annahmeverzug seit 13.04.2021 festgestellt. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen bei einer Kostenverteilung von 43% zu Lasten der Klagepartei und 57% zu Lasten der Beklagten.
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Hiergegen richtet sich die von der Klagepartei eingelegte Berufung. Sie beantragte zunächst in den Terminen zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 31.01.2022 sowie 28.03.2022:
unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Ingolstadt, Az. 82 O 1896/20, verkündet am 20.05.2021 und zugestellt am 21.05.2021, zu erkennen:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei EUR 32.000,00 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 04.07.2020, abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 16.489,38 EUR, zuzüglich Finanzierungskosten in Höhe von 2.265,38 EUR, Zug-um-Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeuges … … mit der Fahrgestellnummer …, zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte seit dem 04.07.2020 mit der Rücknahme des im Klageantrag zu 1. bezeichneten Gegenstands in Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte zu verurteilen, außergerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 1.851,36 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 04.07.2020 zu zahlen.
4. Das Urteil des Landgerichts Ingolstadt, Az. 82 O 1896/20, verkündet am 20.05.2021 und zugestellt am 21.05.2021, wird aufgehoben und zur erneuten Verhandlung an das Landgericht zurückverwiesen.
5. Die Revision wird zugelassen.
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Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 25.07.2022 beantragte die Klagepartei:
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Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.000,00 € Anzahlung und die bereits bezahlten Raten auf den ersten und auf den zweiten Finanzierungsvertrag abzüglich einer vom Gericht zu bestimmenden Nutzungsentschädigung zuzüglich der Finanzierungskosten von 2.265,38 € Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs … … mit der Fahrgestellnummer … zu zahlen und den Kläger von der Rückzahlung der noch offenen Darlehensforderung aus dem Darlehensvertrag, Anlage BB 1, freizustellen.
10
Die Beklagte beantragt
die Zurückweisung der Berufung.
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Die weitere Darstellung der tatsächlichen Feststellungen über das erstinstanzliche Urteil, auf das Bezug genommen wird, hinaus unterbleibt gem. §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 S. 1 ZPO.
12
Die zulässige Berufung der Klagepartei hat – nach Änderung des Antrags wegen der Hauptsache – in der Sache teilweise Erfolg. Die Beklagte haftet nach §§ 826, 31 BGB wegen des Erwerbs des hier streitgegenständlichen Diesel-PKWs durch den Kläger. Die erstinstanzliche Entscheidung war insoweit abzuändern als nach ihrem Erlass eine Anschlussfinanzierung vereinbart, weitere Zahlungen durch den Kläger geleistet und das Fahrzeug durch diesen weiter benutzt wurde. Es besteht – wie tenoriert – ein höherer Anspruch auf Erstattung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten. Im Übrigen ist die Berufung aber erfolglos. Im Einzelnen:
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1. Die Beklagte haftet auf Schadensersatz gem. §§ 826, 31, 249 BGB wegen des Abschlusses des Kaufvertrages über das streitgegenständliche Fahrzeug durch die Klagepartei. Die Beklagte hat die Klagepartei vorsätzlich und sittenwidrig geschädigt mit der Inverkehrgabe eines Fahrzeugs mit einem von ihr hergestellten und entwickelten Motor, der mit der Begründung der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung durch das Kraftfahrtbundesamt zurückgerufen wurde.
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a) Die Umstellung der Klage wegen der Hauptsache von einem umfassenden Zahlungsantrag in einen teilweisen Zahlungs- und Freistellungsantrag ist zulässig i.S.v. §§ 525 S. 1, 264 Nr. 2 ZPO. Der Kläger war im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 25.07.2022 trotz der Mandatsniederlegung durch die ihn zunächst vertretende Anwaltskanzlei ordnungsgemäß vertreten i.S.v. § 78 Abs. 1 ZPO, indem ein Unterbevollmächtigter der ursprünglichen Anwaltskanzlei für den Kläger aufgetreten ist, da die Bestellung eines anderen Anwalts nicht angezeigt worden war, § 87 Abs. 1, Abs. 2 ZPO.
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Die Klage genügt insoweit noch den Anforderungen nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Zwar bedarf es bei einem Zahlungsantrag grundsätzlich eines bezifferten Antrags. Vorliegend konnte die Berechnung aber offen bleiben, weil sie aufgrund der zunächst gestellten Anträge bzw. im Zusammenhang mit den Angaben des Klägers persönlich zu den geleisteten Zahlungen auf die beiden Darlehensverträge bzw. zu den erforderlichen Eckdaten zur Berechnung der Nutzungsentschädigung unmittelbar im Termin der Antragstellung nach entsprechendem richterlichen Hinweis, zu dessen Umsetzung die Umstellung des Antrags erfolgte, ohne weiteres möglich ist.
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Auf den hier geltend gemachten Nettokaufpreis i.H.v. 32.000,00 € hatte der Kläger nach seinen Angaben 2.000,00 € – als Betrag in den Antrag aufgenommen – angezahlt, auf das erste Darlehen über 30.000,00 € zuzüglich Finanzierungskosten i.H.v. 2.265,38 € – als Betrag in den Antrag aufgenommen – einen Betrag i.H.v. 16.800,00 € und auf das zweite Darlehen über einen Betrag i.H.v. 16.750,74 € – Bezugnahme auf die hierzu vorgelegte Anlage BB1 im Antrag – einen Betrag i.H.v. 1.500,00 € bezahlt. Die Bezifferung der Beträge zu den auf die Darlehensverbindlichkeiten geleisteten Zahlungen ergibt sich aus den Angaben des Klägers persönlich. Insgesamt errechnen sich Zahlungen i.H.v. 20.300,00 €. Hiervon abzuziehen ist die Nutzungsentschädigung i.H.v. 19.779,49 €, denn der Kläger bezieht sich insoweit auf die Bestimmung durch das Gericht und damit auf die vorab erteilten richterlichen Hinweise. Somit ist ein Zahlungsanspruch i.H.v. 520,51 € beantragt. Die beantragte Freistellung richtet sich auf die noch offene Darlehensforderung aus dem zweiten Darlehensvertrag. Nach der Anlage BB1, auf die im Antrag Bezug genommen wird, beträgt die Darlehensforderung insgesamt 16.750,74 €. Die hierauf geleisteten Zahlungen ergeben sich aus den Angaben des Klägers persönlich; es handelt sich um einen Betrag i.H.v. 1.500,00 €. Somit ist eine Freistellung i.H.v. 15.250,74 € beantragt.
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b) Die Beklagte hat vorliegend sittenwidrig gehandelt i.S.v. § 826 BGB, indem sie Fahrzeuge wie das Streitgegenständliche in den Verkehr gebracht hat. Denn diese Fahrzeuge sind/waren – unstreitig – von einem Rückruf des Kraftfahrtbundesamtes mit der Begründung der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung betroffen, wobei die Arglist des Vorgehens bereits aufgrund der Machart der beanstandeten Abschalteinrichtung indiziert wird.
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Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Schon zur Feststellung der Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben. Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (grundlegend BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19). Ein Automobilhersteller handelt gegenüber dem Fahrzeugkäufer sittenwidrig, wenn er entsprechend seiner grundlegenden strategischen Entscheidung im eigenen Kosten- und Gewinninteresse unter bewusster Ausnutzung der Arglosigkeit der Erwerber, die die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben und die ordnungsgemäße Durchführung des Typgenehmigungsverfahrens als selbstverständlich voraussetzen, Fahrzeuge mit einer Motorsteuerung in Verkehr bringt, deren Software bewusst und gewollt so programmiert ist, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand beachtet, im normalen Fahrbetrieb hingegen überschritten werden, und damit unmittelbar auf die arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde abzielt. Ein solches Verhalten steht einer unmittelbaren arglistigen Täuschung der Fahrzeugerwerber in der Bewertung gleich (BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19, Rdnr. 16 ff.).
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Zwar trifft es zu, dass für die Feststellung einer Haftung nach § 826 BGB, und zwar bereits in Bezug auf die Frage nach der objektiven Sittenwidrigkeit, nicht die bloße Feststellung einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne der europarechtlichen Vorgaben genügt. Der darin liegende Gesetzesverstoß ist für sich allein nicht ohne Weiteres geeignet, den Einsatz der beanstandeten Technologie durch die für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich anzusehen. Maßgeblich ist, ob entweder die beanstandete Technik darüber hinaus bereits aufgrund ihrer Machart als evident unzulässige, auf der Basis einer strategischen Grundentscheidung eingesetzte und durch Arglist geprägte Abschalteinrichtung dem Handeln ein sittenwidriges Gepräge gibt oder ob darüber hinaus weitere Umstände dazu treten, die den Einsatz der beanstandeten Technologie durch Verantwortliche der Beklagten als besonders verwerflich erscheinen lassen, die ein auf die arglistige Täuschung der Typengenehmigungsbehörde abzielendes Verhalten nahelegen. Auf die mittlerweile ständige Rechtsprechung des BGH zu „Thermofenstern“ (siehe BGH, Beschluss vom 19.01.2021, Az.: VI ZR 433/19, Rdnr. 16 ff.; vom 09.03.2021, Az.: VI ZR 889/20, Rdnr. 27, Urteil vom 13.07.2021, Az.: VI ZR 128/20, Rdnr. 11 ff., vom 15.09.2021, Az.: VII ZR 165/21, Rdnr. 26; vom 16.09.2021, Az.: VII ZR 192/20, Rdnr. 15 ff.; vom 29.09.2021, Az.: VII ZR 72/21, Rdnr. 25) in Abgrenzung zur Entscheidung des BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19, wird Bezug genommen.
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Zur Überzeugung des Senats wurde bei Fahrzeugen wie dem der Klagepartei eine Technologie eingesetzt, die bereits aufgrund ihrer Machart als evident unzulässige, auf der Basis einer strategischen Grundentscheidung eingesetzte und durch Arglist geprägte Abschalteinrichtung dem Handeln ein sittenwidriges Gepräge gibt. Dies steht fest zur Überzeugung des Senats aufgrund des klägerischen Vorbringens, dem die Beklagten nicht hinreichend entgegengetreten ist, § 138 Abs. 3 ZPO.
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Die Klagepartei hat ausführlich in erster Instanz und ergänzend in zweiter Instanz vorgetragen zum Bestehen von Abschalteinrichtungen, die dafür sorgen, dass das Emissionsverhalten des Fahrzeugs gezielt nur auf dem Prüfstand die maßgeblichen Grenzwerte einhält über eine gezielt prüfstandsbezogene Abgasoptimierung, nicht dagegen im normalen Straßenverkehr (u.a. Bl. 5 d. A, 204 ff. d.A., dort S. 5 f.). Dem ist die Beklagte schon in erster Instanz nicht hinreichend entgegengetreten, indem sie lediglich ausführt, in dem Bescheid vertrete das Kraftfahrtbundesamt die Auffassung, in dem streitgegenständlichen Fahrzeugtyp komme eine unzulässige Abschalteinrichtung zum Einsatz und die Bedatung der beanstandeten Softwarebestandteile sei zu ändern bzw. aufzuweiten, um einen breiteren Anwendungsbereich im Straßenbetrieb zu gewährleisten (Bl. 189 RS d.A.). Eine unzulässige Abschalteinrichtung trägt nicht nur dann das Merkmal der Arglist bereits aufgrund ihrer Machart in sich, wenn sie wie die „Umschaltlogik“ des …motors … mit zwei verschiedenen Betriebsmodi für den Prüfstand und den normalen Fahrbetrieb funktioniert, sondern auch dann, wenn sie letztlich den gleichen Effekt erzielt über einen engen Zuschnitt von Aktivierungsparametern für die Abgasreinigung, der dazu führt, dass die erforderlichen Grenzwerte nahezu ausschließlich unter Prüfstandsbedingungen eingehalten werden. Sie funktioniert auch dann im Prüfstand wie im realen Fahrbetrieb eben nicht grundsätzlich in gleicher Weise. Der Senat nimmt hierzu Bezug auf sein Urteil vom 21.02.2022, Az.: 21 U 3704/21. Zur Behebung einer derartigen, ebenfalls bereits aufgrund ihrer Machart das Merkmal der Arglist in sich tragenden unzulässigen Abschalteinrichtung mag eine bloße Aufweitung der Daten genügen. Damit liegt aber in dem Vortrag, das Bestehen eines Rückrufs wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung indiziere vorliegend nicht die Sittenwidrigkeit, da ein bloßes Aufweiten der Bedatung zur Behebung ausreiche, kein hinreichendes Bestreiten eines sittenwidrigen Handelns. Auf die von der Klagepartei beantragte Vorlage des einschlägigen Rückrufbescheides des Kraftfahrtbundesamtes kommt es damit nicht mehr an.
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c) Das schädigende Verhalten ist der Beklagten nach § 31 BGB zuzurechnen, weil davon auszugehen ist, dass die Personen i.S.v. § 31 BGB an der zumindest konkludenten Täuschung des Kraftfahrtbundesamtes verantwortlich beteiligt waren. Auf die erstinstanzlichen Ausführungen wird Bezug genommen.
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Der Vortrag der Klagepartei zur Kenntnis der Verantwortlichen bei der Beklagten und zur Entscheidung über den Einsatz der hier inmitten stehenden Technologie, gilt gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden, weil die Beklagte aus vergleichbaren Gründen wie vom BGH in der Entscheidung vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19, Rdnr. 29 ff., dargelegt, ihrer sekundären Darlegungslast nicht nachgekommen ist. Die dortigen Grundsätze sind auf die vorliegende Konstellation zu übertragen. Zwar trägt im Grundsatz derjenige, der einen Anspruch aus § 826 BGB geltend macht, die volle Darlegungs- und Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen. Bei der Inanspruchnahme einer juristischen Person hat der Anspruchsteller dementsprechend auch darzulegen und zu beweisen, dass ein verfassungsmäßig berufener Vertreter (§ 31 BGB) die objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 826 BGB verwirklicht hat. Dieser Grundsatz erfährt aber eine Einschränkung, wenn die primär darlegungsbelastete Partei keine nähere Kenntnis von den maßgeblichen Umständen und auch keine Möglichkeit zur weiteren Sachaufklärung hat, während der Prozessgegner alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm unschwer möglich und zumutbar ist, nähere Angaben zu machen. In diesem Fall trifft den Prozessgegner eine sekundäre Darlegungslast, im Rahmen derer es ihm auch obliegt, zumutbare Nachforschungen zu unternehmen. Genügt er seiner sekundären Darlegungslast nicht, gilt die Behauptung des Anspruchsstellers nach § 138 ZPO als zugestanden.
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Nach diesen Grundsätzen traf die Beklagte die sekundäre Darlegungslast hinsichtlich der Frage, wer die Entscheidung über den Einsatz der unzulässigen Abschalteinrichtung bei ihr getroffen hat und ob ihr Vorstand hiervon Kenntnis hatte. Schon erstinstanzlich hat die Klagepartei hierzu ausreichend ausgeführt. Sie hat Bezug genommen auf Unterlagen aus amerikanischen Ermittlungsverfahren und vorgetragen zur Beauftragung der Entwicklung einer unzulässigen Abschalteinrichtung unter der Bezeichnung „Akustikfunktion“ durch den Vorstand Martin Winterkorn bei gleichzeitigem Rechtswidrigkeitsbewusstsein (Bl. 37 ff. d.A.). Der Leiter der Entwicklungsabteilung Wolfgang Hatz habe im Jahr 2001 federführend die Betrugssoftware für Fahrzeuge mit …Motor für den europäischen Markt entwickelt (Bl. 39 d.A.). Vorstandsmitglieder und Repräsentanten der Beklagten hätten von den Abschaltvorrichtungen gewusst; die Klagepartei nimmt Bezug auf Ermittlungen der Staatsanwaltschaft München II u.a. gegen Herrn … und Herrn … und Telefonmitschnitte von … und Presseberichterstattung dazu (Bl. 41, 51 f. d. A.). Sie nimmt außerdem Bezug auf Presseberichterstattung zu einem internen Untersuchungsbericht der Kanzlei …, wonach bei der Beklagten nach Bekanntwerden des Abgasskandals im Herbst 2015 auf eine entsprechende Vorstandsweisung umfassend Akten vernichtet worden seien (Bl. 204 ff. d.A., dort S. 29).
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Die Beklagte ist dieser sekundären Darlegungslast aber schon in erster Instanz nicht nachgekommen; sie hat sich im Wesentlichen auf Ausführungen zur mangelnden Substantiierung des Klagevortrags beschränkt; allein aus dem Umstand laufender Ermittlungsverfahren könne für den Zivilprozess nichts abgeleitet werden (Bl. 192 RS, 196, 299 d. A.).
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Vor diesem Hintergrund ist auch der Schädigungsvorsatz zu bejahen. Dieser enthält ein Wissens- und Wollenselement. Der Handelnde muss die Schädigung des Anspruchsstellers gekannt bzw. vorausgesehen und in seinen Willen aufgenommen haben und mindestens mit bedingtem Vorsatz gehandelt haben, Vorstandsmitglieder oder Repräsentanten, die in Kenntnis der Funktionsweise der Software ihren serienmäßigen Einsatz in Motoren anordnen oder nicht unterbinden, billigen ihn auch und sind sich der Schädigung der späteren Fahrzeugerwerber bewusst.
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d) Die Einwände der Beklagten gegen das Bestehen der haftungsbegründenden Kausalität greifen nicht durch.
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Zutreffend stellt das Landgericht darauf ab, dass schon nach der allgemeinen Lebenserfahrung davon auszugehen ist, dass die Klagepartei den streitgegenständlichen Pkw nicht gekauft hätte, wenn sie um die unzulässige Software und die davon ausgehende Gefahr der Betriebsuntersagung gewusst hätte; der Schaden liegt in der Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit (BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19, Rdnr. 47 ff.). Kein vernünftiger Käufer hätte in Kenntnis dieses Sachverhalts, insbesondere der Gefahr der Betriebsuntersagung, den Pkw erworben, zumal zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht die Möglichkeit bestand, mittels des erst später entwickelten Software-Updates die Manipulation am Motor zu beseitigen. Der Rückruf durch das KBA wie auch die Entwicklung des Softwareupdates erfolgten erst später (Rückruf vom 11.10.2019, Freigabebescheinigung vom 15.01.2020 gemäß Anlage B05). Dieser Erfahrungssatz ist auch nicht allein und allgemeingültig aufgrund des Bekanntwerdens des Dieselskandals im Herbst 2015 für Käufe von Dieselfahrzeugen aus dem …konzern nach diesem Zeitpunkt widerlegt. Auf den von der Beklagten vorgebrachten Einwand, die hohe Motorisierung des streitgegenständlichen Wagens spreche dafür, dass das Abgasverhalten des Wagens tatsächlich für den Kauf keine Rolle gespielt habe, kommt es damit nicht an. Selbst wenn für einen Käufer Umweltschutzaspekte vollkommen unerheblich sein sollten, so ändert dies nichts an seinem Interesse daran, ein Fahrzeug ohne Stilllegungsrisiko zu erwerben.
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Auch aufgrund der Angaben der Klagepartei persönlich im Rahmen der Anhörung im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat und des hierbei vom Kläger gewonnenen Eindrucks ist der Senat – auch unter Berücksichtigung des verbrieften Rückgaberechts – vom Bestehen der Kausalität überzeugt. Die Beklagte hat auf die förmliche Parteieinvernahme verzichtet. e)
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Der Schaden ist – anders als die Beklagte meint – auch nicht durch die Nichtausübung des verbrieften Rückgaberechts entfallen. Weder kann der Kaufvertrag in Anwendung des Rechtsgedankens des § 144 BGB als ein nunmehr nicht mehr „ungewollter“ qualifiziert werden, da sich aus der bloßen Nichtausübung kein entsprechender Bestätigungswille folgern lässt, noch genügt dies den strengen Anforderungen eines – unzulässigen – widersprüchlichen Verhaltens i.S.v. § 242 BGB bzw. ist die Rechtsprechung des BGH zur Berechnung des Nutzungsersatzes in Leasingfällen wegen der Unterschiedlichkeit der jeweils getroffenen Investitionsentscheidungen übertragbar (BGH, Urteil vom 16.12.2021, Az.: VII ZR 389/21, Rdnr. 14 ff.).
31
Dem Schadensersatzanspruch steht schließlich kein (vollständig) anspruchsverkürzendes Mitverschulden i.S.v. § 254 Abs. 2 S. 1 BGB entgegen. Von einer hierfür erforderlichen Verletzung einer Obliegenheit kann nur ausgegangen werden, wenn der Geschädigte unter Verstoß gegen Treu und Glauben diejenigen zumutbaren Maßnahmen unterlässt, die ein vernünftiger, wirtschaftlich denkender Käufer nach Lage der Dinge ergreifen würde, um Schaden von sich abzuwenden oder zu mindern. Dies war hier nicht der Fall: Hätte die Klagepartei das verbriefte Rückgaberecht ausgeübt, hätte sie bei der vereinbarten Kilometerleistung einen Rückkaufpreis von 15.465,38 € erhalten; nach der üblichen linearen Wertberechnung hätte dagegen der Erstattungsanspruch bei der hier vereinbarten Kilometerleistung bei Annahme einer Gesamtlaufleistung von 300.000 km 23.806,46 € betragen. Zudem würde die Klagepartei die Finanzierungskosten nicht ersetzt erhalten. Dieses Risiko eines für sie wirtschaftlich ungünstigen Ergebnisses musste die Klagepartei nicht eingehen (BGH, Urteil vom 16.12.2021, Az.: VII ZR 389/21, Rdnr. 18).
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f) Der Schaden i.S.v. § 826 BGB liegt in den Dieselfällen in dem Abschluss des Kaufvertrages und damit in der Belastung mit einer ungewollten Verbindlichkeit. Hier wurde die Kaufpreisforderung bereits erfüllt, § 362 BGB, und belastet damit nicht mehr das Vermögen der Klagepartei. Vorliegend ist aber an die Stelle der ungewollten Verbindlichkeit aus dem Kaufvertrag auf Seiten der Klagepartei nicht der Verlust des gezahlten vollständigen Kaufpreises getreten. Denn der Kläger hat den Kaufpreis nur in Höhe der Anzahlung – 2.000,00 € – aus seinem Vermögen aufgebracht. Die restliche Summe wurde finanziert. Sein Vermögen ist insoweit nur belastet, als er teilweise die Raten erbracht hat und im Übrigen mit der Verbindlichkeit auf Darlehensrückzahlung belastet ist, § 488 Abs. 1 S. 2 BGB, auch hieran setzt sich der Vermögensschaden fort (vgl. BGH, Urteil vom 20.07.2021, Az.: VI ZR 533/20, Rdnr. 16 ff., vgl. BGH, Urteil vom 27.07.2021, Az.: VI ZR 480/19, Rdnr. 14). Der hieraus resultierende Freistellungsanspruch hat sich nicht gem. § 250 BGB in einen Zahlungsanspruch gewandelt; weder trägt die Klagepartei vor zu einer Fristsetzung mit Ablehnungsandrohung noch zu Umständen, die den strengen Anforderungen an eine ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung genügen würden (vgl. BGH, Urteil vom 16.09.2021, Az.: VII ZR 192/20, Rdnr. 51). Im Gegenteil: noch im Termin vor dem Landgericht hat die Beklagte konkret zu einem Vergleich verhandelt und anschließend die erstinstanzliche Verurteilung akzeptiert. Gleichzeitig muss sich der Kläger die erlangten Vorteile anrechnen lassen bzw. diese herausgeben. Danach errechnen sich ein Zahlungsanspruch i.H.v. 520,51 € und ein Freistellungsanspruch i.H.v. 15.250,74 € Zug um Zug gegen Verschaffung der an dem streitgegenständlichen Fahrzeug erlangten Rechte. Im Einzelnen:
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aa) Die Klagepartei hat auf den Kaufvertrag und die beiden hierzu nacheinander aufgenommenen Darlehensverträge insgesamt einen Betrag i.H.v. 20.300,00 € gezahlt. Diese Beträge stehen zur Überzeugung des Senats fest aufgrund der Angaben des Klägers persönlich im Rahmen seiner Anhörung vor dem Senat in Zusammenschau mit den von der Klagepartei vorgelegten Kopien der Vertragsunterlagen (Anlagen 1, 1a und BB1). Im Übrigen wurden diese Angaben von der Beklagten nicht bestritten.
34
Von diesem Zahlungsanspruch abzuziehen sind die durch die Klagepartei erlangten Vorteile, soweit sie sich – wie die Nutzungsentschädigung – gleichartig gegenüberstehen. Es handelt sich dabei um eine automatische Anrechnung (BGH, Urteil vom 25.5.2020, Az.: VI ZR 252/19, Rdnr. 65 ff., vgl. BGH, Beschluss vom 23.02.2021, Az.: VI ZR 1191/20, Rdnr. 6, vom 19.05.2021, Az.: VII ZR 216/20, Rdnr. 4, vom 12.10.2021, Az.: VIII ZR 255/20, Rdnr. 16 ff., vom 10.11.2021, Az.: VII ZR 296/21, vom 09.03.2022, Az.: VII ZR 666/21, Rdnr. 4, vom 23.05.2022, Az.: VIa ZR 206/21). Die abzuziehende Nutzungsentschädigung beträgt vorliegend 19.779,49 €.
35
Die Bemessung der Höhe des Schadensersatzanspruchs ist in erster Linie Sache des nach § 287 ZPO besonders freigestellten Tatrichters. Der Senat schätzt die Gesamtlaufleistung – anders als das Landgericht unter zusätzlicher Berücksichtigung der individuellen Nutzungsweise – auf 300.000 km. Mit dieser Schätzung bewegt sich der Senat innerhalb der Bandbreite der von anderen Gerichten jeweils vorgenommenen Schätzung der gesamten Laufleistung (u.a. BGH, Urteil vom 27.07.2021, Az.: VI ZR 480/19, Rdnr. 26). Die Schätzung liegt innerhalb der Bandbreite am oberen Rand, da das Fahrzeug in derart großem Umfang genutzt wird, dass es im Rahmen einer (fortgesetzten) 20-jährigen Nutzung auf jeden Fall eine Lebenslaufleistung von 300.000 km erreichen würde; der Senat ist überzeugt, dass Fahrzeuge nach 20 Jahren in der Regel verbraucht sind. Weitere aussagekräftige Umstände, welche die zu erwartende Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs beeinflussen, sind nicht dargetan (vgl. BGH, Urteil vom 29.09.2021, Az.: VIII ZR 111/20, Rdnr. 52 ff., 58).
36
Der Senat stellt in ständiger Rechtsprechung auf die nach der Rechtsprechung des BGH gebilligte lineare Berechnung des Nutzungsersatzes ab. Aus der grundsätzlichen Billigung einer linearen Berechnungsmethode folgt zwar nicht zwingend, dass andere Berechnungsmethoden unzulässig wären, da dem Tatrichter nach § 287 ZPO ein weiter Ermessensspielraum eingeräumt wird. Da der Schaden aber in dem ungewollten Vertragsschluss liegt, ist der vom Bundesgerichtshof erfolgte Rückgriff auf die Wertung des Nutzungsersatzes nach § 346 Abs. 2 Nr. 2 BGB aber folgerichtig. Der Senat folgt ausdrücklich nicht dem Ansatz, den Wert der Nutzung eines Neuwagens höher anzusetzen als den eines älteren Fahrzeugs. Die lineare Berechnung ist dem Geschädigten zumutbar und entlastet die Schädigerin nicht unangemessen.
37
Sie entspricht schon vom Wortlaut den „gezogenen Nutzungen“. Eine Ausweitung der Vorteilsanrechnung – etwa wegen des Wertverlusts des Fahrzeugs – ist nicht angezeigt (BGH, Urteil vom 30.07.2020, Az.: VI ZR 397/19, Rdnr. 36, vom 30.07.2020, Az.: VI ZR 354/19, Rdnr. 15, vom 20.07.2021, Az.: VI ZR 533/20, Rdnr. 33, vom 16.09.2021, Az.: VII ZR 192/20, Rdnr. 46) .
38
Danach errechnet sich bei Berücksichtigung der geleisteten Zahlungen und der Nutzung des Fahrzeugs bis zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat mit einer Kilometerleistung von insgesamt 213.761 km ein Erstattungsanspruch i.H.v. 520,51 €.
39
Zinsen hat die Klagepartei insoweit mit dem in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 25.07.2022 geänderten Antrag nicht mehr geltend gemacht.
40
bb) Im Übrigen ist die Klagepartei freizustellen aus der Verbindlichkeit aus dem zweiten Darlehensvertrag i.H.v. 15.250,74 €. Der geltend gemachte Bruttodarlehensbetrag beträgt ausweislich Anlage BB1 16.750,74 €; hierauf hat der Kläger nach seinen Angaben im Termin vor dem Senat 1.500,00 € bezahlt. Umstände, nach denen die Finanzierungskosten nicht ersatzfähig wären, sind nach der Befragung des Klägers zu verneinen.
41
Da die Finanzierung noch nicht abgeschlossen ist, ist der Kläger ausweislich der als Anlage BB1 vorgelegten Bestimmungen des zweiten Darlehensvertrags nicht Eigentümer. Das Fahrzeug ist sicherungsübereignet. In Bezug auf das streitgegenständliche Fahrzeug richtet sich daher die Vorteilsausgleichung auf die Herausgabe des Fahrzeugs und Übertragung des insoweit gegenüber der … Bank zustehenden Anwartschaftsrechts auf Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs.
42
2. Zu ersetzen sind gem. §§ 826, 31, 249 BGB vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten, wenngleich nicht in der beantragten Höhe.
43
Der Anspruch auf Freistellung von vorgerichtlichen Anwaltskosten i.H. einer Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG wegen der vorprozessualen anwaltlichen Zahlungsaufforderung steht zwischen den Parteien dem Grunde nach nicht im Streit, soweit eine Haftung nach §§ 826, 249 BGB bejaht wird (Bl. 199 RS d.A.).
44
Hinsichtlich der Höhe sieht der Senat den Ansatz einer 1,3 Gebühr – wie das Landgericht – für angemessen. Die Beurteilung ist in das Ermessen des Tatrichters gestellt nach § 287 ZPO (BGH, Urteil vom 22.06.2021, Az.: VI ZR 353/20, Rdnr. 5 ff.). Eine Gebühr von mehr als 1,3 kann nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war; ob dies der Fall ist, ist anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls zu beurteilen; derartige Umstände sind hier weder dargetan (Bl. 165 ff., 336 d.A.) noch ersichtlich; soweit die Klagepartei auf die besondere Schwierigkeit des Falles abstellt, ist dem nicht zu folgen, zumal zum Zeitpunkt der Klageverfassung am 21.07.2020 insoweit bereits eine Vielzahl obergerichtlicher Entscheidungen bekannt war, insbesondere das Grundsatzurteil des BGH vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19 (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19, Rdnr. 87, vom 19.01.2021, Az.: VI ZR 8/20, Rdnr. 21 f.).
45
Abzustellen ist dabei auf den Gegenstandswert im Moment der vorgerichtlichen Tätigkeit (BGH, Urteil vom 02.11.2021, Az.: VI ZR 731/20, Rdnr. 16, vom 16.11.2021, Az.: VI ZR 291/20, Rdnr. 15) . Der Gegenstandwert im Moment der vorgerichtlichen Tätigkeit beträgt hier 23.379,45 €, d.h.
46
Kaufpreis zuzüglich Finanzierungskosten (BGH, Urteil vom 13.04.2021, Az.: VI ZR 274/20, Rdnr. 14 ff.) und abzüglich Nutzungsentschädigung gemäß den vorstehenden Ausführungen. Es errechnet sich eine 1,3-Gebühr zzgl. Auslagenpauschale und Mehrwertsteuer i.H.v. 1.242,84 €. Dies übersteigt die erstinstanzliche Verurteilung über einen Betrag i.H.v. 1.029,35 € in Höhe eines weiteren Betrages i.H.v. 213,49 €.
47
Dieser weitere Anspruch ist ab Rechtshängigkeit zu verzinsen, mithin ab 29.09.2020, §§ 291, 288 Abs. 1 S. 2, 187 Abs. 1 BGB.
48
Der Klagepartei steht insoweit kein Anspruch auf Verzugszinsen zu gem. §§ 288, 286 Abs. 1, 2 BGB. Das anwaltliche Aufforderungsschreiben wirkte nicht verzugsbegründend. Denn die Klagepartei hat die Beklagte mit dem Aufforderungsschreiben nicht gleichzeitig in Annahmeverzug versetzt, da sie die abzuziehende Nutzungsentschädigung wegen einer deutlich übersetzten Gesamtlaufleistung nicht hinreichend berücksichtigt hat. Sie hat damit wesentlich zu viel gefordert, was die Entstehung von Annahmeverzug ausschließt (BGH, Urteil vom 16.09.2021, Az.: VII ZR 192/20, Rdnr. 50, vom 29.06.2021, Az.: VI ZR 130/20, Rdnr. 16, vom 18.05.2021, Az.: VI ZR 167/20, Rdnr. 15, vom 02.02.2021, Az. VI ZR 449/20, Rdnr. 9, vom 19.01.2021, Az.: VI ZR 8/20, Rdnr. 18, vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19, Rdnr. 85) und dem Schuldnerverzug entgegensteht. Andere verzugsbegründende Umstände sind nicht ersichtlich, insbesondere weder unter dem Gesichtspunkt „fur semper in mora“ noch unter dem Aspekt einer ernsthaften und endgültigen Erfüllungsverweigerung, § 286 Abs. 2 Nr. 4 BGB; hierzu sind Umstände weder dargetan noch ersichtlich (vgl. Bl. 164 d.A.) (BGH, Urteil vom 30.07.2020, Az.: VI ZR 354/19, Rdnr. 22, vom 30.07.2020, Az.: VI ZR 397/19, Rdnr. 26 f., vom 19.01.2021, Az.: VI ZR 8/20, Rdnr. 17 ff., BGH, Urteil vom 16.09.2021, Az.: VII ZR 192/20, Rdnr. 51). Soweit allerdings in erster Instanz ein Betrag i.H.v. 1.029,35 € ausgeurteilt wurde samt Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 04.07.2020, verbleibt es dabei wegen des prozessualen Verschlechterungsverbots, § 528 S. 2 ZPO.
49
3. Das Landgericht hat das Bestehen des Annahmeverzugs festgestellt ab Rechtshängigkeit des erstinstanzlichen Hilfsantrags auf Freistellung wegen der Finanzierung, mithin ab 13.04.2021. Die Klagepartei begehrt – wie erstinstanzlich – die Feststellung des Annahmeverzugs bereits seit dem 04.07.2020. Die Berufung ist insoweit zurückzuweisen.
50
Wie vorstehend ausgeführt ist mit dem anwaltlichen Mahnschreiben kein Annahmeverzug eingetreten. Mit der Klage wurden außerdem Deliktszinsen geltend gemacht, was einem ordnungsgemäßen Angebot zur Begründung des Annahmeverzugs entgegensteht. Mit Schriftsatz vom 01.03.2021 begehrte die Klagepartei die Zahlung des Kaufpreises zuzüglich der Finanzierungskosten und abzüglich einer Nutzungsentschädigung anstelle der Freistellung von den Darlehensraten und damit ebenfalls wesentlich mehr, als ihr zustand. Damit liegt in dem klägerischen Verlangen eine erhebliche Zuvielforderung, die der Feststellung des Annahmeverzugs entgegensteht.
51
Die Kostenentscheidung erster Instanz beruht auf § 92 Abs. 1 S. 1 ZPO. Die erhobene Forderung von Deliktszinsen ist zu Lasten der Klagepartei zu berücksichtigen (BGH, Urteil vom 24.03.2022, Az.: VII ZR 266/20, Rdnr. 32). Die Kostenentscheidung zweiter Instanz beruht auf §§ 97, 92 Abs. 1 S. 1 ZPO. Bei der Kostenquote ist zu berücksichtigten, dass die Klagepartei das Fahrzeug zwischenzeitlich weiter benutzt hat, ohne eine entsprechende Anpassung der Anträge zur Berücksichtigung der damit einhergehenden Anspruchsverkürzung durch die abzuziehende Nutzungsentschädigung.
52
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
53
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 ZPO nicht erfüllt sind.