Titel:
Kein Zeugnis über mittleren Schulabschluss bei nicht erbrachten Leistungen
Normenketten:
BayGSO § 16, § 24, § 30, § 39 Abs. 9
VwGO § 123
Leitsätze:
1. Dem Begehren der früheren Schülerin eines Gymnasiums, im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes ein Zeugnis zu erstreiten, das den mittleren Schulabschluss ausweist, steht das prüfungsrechtliche Verbot der Bewertung fiktiver Leistungen entgegen, wenn sie keine ausreichenden Leistungsnachweise erbracht hat, die eine Notengebung rechtfertigen. (Rn. 22, 24 und 26) (redaktioneller Leitsatz)
2. § 27 Abs. 1 S. 1 BayGSO sieht kein Antragserfordernis vor, sondern verpflichtet das Gymnasium – ohne dass diesem Ermessen eingeräumt wäre – dazu, betroffenen Schülerinnen und Schülern unter den dort genannten Voraussetzungen Nachtermine einzuräumen. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Zeugnis über das Erreichen des mittleren Schulabschlusses, prüfungsrechtliches Verbot der Anerkennung fiktiver Leistungen, Zeugnis, mittlerer Schulabschluss, fiktive Leistung, Leistungsnachweise, Notengebung
Fundstelle:
BeckRS 2022, 42423
Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtschutzes die Ausstellung eines Zeugnisses über ihren mittleren Schulabschluss.
2
Die Antragstellerin besuchte das staatliche … (künftig: Gymnasium). In der 10. Jahrgangsstufe im Schuljahr 2019/2020 erhielt sie lediglich die vorläufige Erlaubnis zum Besuch der 11. Jahrgangsstufe. In der Folge besuchte sie im Schuljahr 2020/2021 die 11. Jahrgangsstufe auf Probe. Nach einem … wechselte die Antragstellerin zum zweiten Halbjahr des Schuljahres 2020/2021 auf Anraten des Gymnasiums zurück in die 10. Jahrgangsstufe. In der Folge entschloss sie sich, nach Abschluss der 10. Jahrgangsstufe vom Gymnasium abzugehen, um an … (künftig: Fachakademie) mit dem Ziel teilzunehmen, den Beruf der … zu erlernen. Der entsprechende Vertrag mit der Fachakademie enthält die Unterschrift der Erziehungsberechtigten der Antragstellerin vom 30. Mai 2021.
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Zum Schuljahresende wurde der Antragstellerin das streitgegenständliche, auf den 29. Juli 2021 datierte Jahreszeugnis ausgestellt, in dem ihre Leistungen in allen Fächern mit der Note „ausreichend“ oder besser bewertet sind. Des Weiteren ist in dem Zeugnis Folgendes ausgeführt: „Dieses Zeugnis gilt lediglich als Notenbilanz und ist kein Nachweis für einen mittleren Schulabschluss. […] Die Erlaubnis zum Vorrücken in die nächste Jahrgangsstufe hat sie nicht erhalten.“ Das Zeugnis enthält keine Rechtsbehelfsbelehrung.
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Nach Aufnahme ihrer Ausbildung an der Fachakademie teilte diese der Antragstellerin mit Schreiben vom 9. März 2022 insbesondere mit, sie könne das Schuljahr 2021/2022 an der Fachakademie nur fortsetzen, wenn sie den mittleren Schulabschluss per Externenprüfung nachhole. Eine Fortsetzung der Ausbildung an der Fachakademie sei ohne mittlere Reife nicht möglich.
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Mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 24. Mai 2022 ließ die Antragstellerin Widerspruch gegen das Jahreszeugnis einlegen. Zur Begründung ließ sie sinngemäß im Wesentlichen vorbringen, sie habe auf Anraten des Vertrauenslehrers des Gymnasiums zum zweiten Halbjahr zurück in die 10. Jahrgangsstufe gewechselt, um mit dem Jahreszeugnis die mittlere Reife zu erlangen. Diese benötige sie, um die Fachakademie … zu besuchen. Mit Blick auf die in dem Jahreszeugnis ausgewiesenen Noten habe sie die 10. Klasse bestanden und damit den mittleren Schulabschluss erlangt. Dennoch enthalte das Zeugnis den Vermerk, es handele sich lediglich um eine Notenbilanz und nicht um einen Nachweis des mittleren Schulabschlusses. Auf Nachfrage sei ihr mitgeteilt worden, sie habe keine ausreichenden Leistungsnachweise erbracht, sodass keine Notengebung habe erfolgen können. Dies sei bereits nicht nachvollziehbar, weil das Jahreszeugnis in sämtlichen von ihr besuchten Unterrichtsfächern eine Note enthalte. Ihr sei zu keinem Zeitpunkt mitgeteilt worden, die Leistungsnachweise reichten für eine Notengebung im Jahreszeugnis nicht aus. In diesem Fall hätte sie Anspruch auf entsprechende Nachtermine und/oder Ersatzprüfungen gehabt, um die fraglichen Leistungsnachweise zu erbringen. Dies sei ihr zu keinem Zeitpunkt angeboten worden.
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Soweit in Unterrichtsfächern keine ausreichenden Leistungsnachweise vorgelegen hätten, hätte anstelle einer Note eine entsprechende Bemerkung in das Zeugnis aufgenommen werden müssen. Dies sei gerade nicht erfolgt, sodass davon ausgegangen werden dürfe, dass sie die entsprechenden Leistungsnachweise erbracht habe. Mit erfolgreichem Abschluss der Jahrgangsstufe 10 sei in dem Zeugnis folgender Vermerk aufzunehmen: „Dieses Zeugnis schließt den Nachweis eines mittleren Schulabschlusses ein“. Dagegen sei die Vorgehensweise des Gymnasiums weder gesetzlich vorgesehen noch irgendwie nachzuvollziehen. Es verstoße im Übrigen gegen § 39 Abs. 2 Satz 4 GSO, wonach in den Jahrgangsstufen 9 und 10 das Jahreszeugnis keine Bemerkung enthalten dürfe, die den Übertritt in das Berufsleben erschwere. Letzteres sei vorliegend jedoch der Fall. Aufgrund des Vermerks drohe ihr der Ausschluss vom laufenden Schuljahr an der Fachakademie, sodass ihr die weitere Ausbildung zur … nicht nur erheblich erschwert werde. Vielmehr käme es sogar zu einer Verzögerung von mehr als einem Jahr in ihrer Ausbildung. Der derzeitige Vermerk im Jahreszeugnis sei daher dahingehend zu korrigieren, dass ihr der mittlere Schulabschluss zuerkannt werde.
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Mit Schreiben vom 27. Juli 2022 - welches keine Rechtsbehelfsbelehrungenthält - wies das Gymnasium den Widerspruch der Sache nach zurück. Zur Begründung führte es sinngemäß im Wesentlichen aus, die Anzahl der Leistungsnachweise sei für eine valide Gesamtnote nicht ausreichend. Aus der Notenliste gehe eindeutig hervor, dass lediglich mündliche Leistungen vorgelegen hätten, die es keinesfalls erlaubten, eine valide Gesamtnote zu bilden. Der mittlere Schulabschluss sei damit nicht erlangt. Der Distanzunterricht, an dem die Antragstellerin nahezu nicht teilgenommen habe, habe am 30. April 2021 geendet. Anschließend habe wieder Präsenzunterricht stattgefunden. In der Zeit vom 3. Mai bis 25. Juni 2021 hätten lediglich kleine mündliche Leistungsnachweise erhoben werden können. Der Zeitpunkt für die Einzelleistungsübersicht am 25. Juni 2021 sei aufgrund einer Anfrage der Fachakademie über die Familie der Antragstellerin gesetzt worden und habe vor dem regulären Noteneintragstermin des Gymnasiums gelegen. Wegen der fehlenden Leistungsnachweise sei die Familie der Antragstellerin informiert worden, dass wegen fehlender Noten kein Vorrücken möglich sei, das Zeugnis lediglich eine Notenbilanz darstelle und kein Nachweis über den mittleren Schulabschluss sei. Wegen der Vielzahl der nachzuholenden Leistungsnachweise seien keine Ersatzprüfungen angeboten worden, da das Gymnasium fest davon ausgegangen sei, die Antragstellerin könne ihre Ausbildung ohne mittleren Schulabschluss beginnen. Zudem sei die Chance auf Bestehen der Ersatzprüfung aufgrund langer Abwesenheitszeiten als sehr gering bis unmöglich eingeschätzt worden. Es sei kein Antrag auf Durchführung der Ersatzprüfung gestellt worden. Im Zeugnis sei die Bemerkung nicht ausreichender Leistungsnachweise zwar nicht für jedes Fach erfolgt, jedoch sei Entsprechendes aus der Bemerkung zur Notenbilanz zu erschließen. Der ausdrückliche Hinweis auf den nicht vorliegenden mittleren Schulabschluss bekräftigte nochmals den Hinweis zur Notenbilanz und stelle keinen Verstoß gegen § 39 Abs. 3 Satz 4 GSO dar. Hier werde lediglich eine Tatsache dokumentiert, während sich die genannte Vorschrift auf negative Bemerkungen über Verhalten oder Mitarbeit beziehe. Die Familie der Antragstellerin sei stets informiert gewesen. Nach deren Aussagen habe das Gymnasium davon ausgehen müssen, die Antragstellerin könne die Ausbildung auch ohne mittleren Schulabschluss beginnen.
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Die Antragstellerin hat mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 10. August 2022, eingegangen bei Gericht am 11. August 2022, den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt.
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Über ihr Vorbringen im Verwaltungsverfahren hinaus lässt sie sinngemäß im Wesentlichen vorbringen, man habe ihr im Rahmen der Zeugnisvergabe sogar zur bestandenen mittleren Reife gratuliert. Es habe zu keiner Zeit Anhaltspunkte dafür gegeben, dass dies nicht den Tatsachen entsprechen könnte. Im Übrigen sei bereits nicht erklärbar, warum es sich bei einem Dokument, das mit „Jahreszeugnis“ überschrieben sei und als solches von der Klassenlehrerin am letzten Schultag ausgegeben werde, tatsächlich lediglich um eine Notenbilanz handeln solle. Der Vermerk sei auch insofern vollkommen widersprüchlich und benachteilige sie ganz erheblich. Das Zeugnis sei insofern zu korrigieren, als die aufgeführten Leistungsnachweise ergäben, dass ihr der mittlere Schulabschluss zuerkannt werde. Entgegen dem Vorbringen des Gymnasiums sei ihr zu keinem Zeitpunkt mitgeteilt worden, ihre Leistungsnachweise reichten für die Notengebung im Jahreszeugnis nicht aus. Nachtermine und/oder Ersatzprüfungen hätte sie selbstverständlich auch erfolgreich wahrgenommen. Dies sei ihr jedoch zu keinem Zeitpunkt angeboten worden, was der Widerspruchsbescheid auch bestätige, wonach wegen der Vielzahl der nachzuholenden Leistungsnachweise keine Ersatzprüfung angeboten worden sei. Dieses Vorgehen stelle sich ihr gegenüber nicht nur völlig demotivierend und anmaßend dar, es habe ihr außerdem für den Fall tatsächlich fehlender Leistungsnachweise die Chance genommen, einen mittleren Schulabschluss zu erlangen, um so komplikationslos ihre gewünschte Ausbildung aufnehmen zu können. Darüber hinaus widerspräche die Vorgehensweise des Gymnasiums ganz offensichtlich bereits dem gesetzlich vorgesehenen Ablauf.
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Die Antragstellerin beantragt, wörtlich zu erkennen:
Der Antragsgegner wird unter teilweiser Aufhebung des Jahreszeugnisses des … vom 29.07.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.07.2022 im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO insoweit verpflichtet, als die Bemerkung „Dieses Zeugnis gilt lediglich als Notenbilanz und ist kein Nachweis für einen mittleren Schulabschluss“ sowie die Bemerkung „Die Erlaubnis zum Vorrücken in die nächste Jahrgangsstufe hat sie nicht erhalten“ zu entfernen und der Antragstellerin ein Zeugnis auszustellen ist, das den Nachweis für einen mittleren Schulabschluss führt.
11
Der Antragsgegner beantragt mit postalisch übersandten Schriftsatz sinngemäß,
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Er trägt - mit postalisch übersandten Schriftsatz - über sein Vorbringen im Verwaltungsverfahren sinngemäß im Wesentlichen vor, in der Probezeit der 11. Jahrgangsstufe habe die Antragstellerin nahezu keine Leistungen erbracht. Nach ihrem … sei sie am 10. Februar 2021 in die 10. Jahrgangsstufe zurückgetreten. Im Zeitpunkt der Aufnahme an der Fachakademie am 30. Mai 2021 habe seitens des Gymnasiums keine Bestätigung eines mittleren Schulabschlusses vorgelegen. Der fehlende Nachweis sei dort erst ab Dezember 2021 bemängelt worden. Der Anspruch auf Ersatzprüfungen habe selbstverständlich bestanden und sei nicht ohne jeglichen Hinweis grundlos verwehrt worden. Bei Beratungsgesprächen seien auch Ersatzprüfungen angesprochen, ein entsprechender Antrag sei jedoch nicht gestellt worden. Spätestens seit Juni 2021 sei der Familie der Antragstellerin bekannt gewesen, dass diese die 10. Jahrgangsstufe nicht bestehen werde. Dies sei dem Anschein nach jedoch nicht problematisch gewesen, weil die Aufnahme an der Fachakademie nach Angaben der Familie der Antragstellerin sicher gewesen sei.
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Die Antragstellerin lässt zuletzt darauf hinweisen, die Vorschrift gemäß § 39 Abs. 7 GSO, wonach eine entsprechende Bemerkung im Zeugnis anstelle einer Note zu erfolgen habe, beziehe sich gemäß Satz 2 der Vorschrift nicht nur auf das Fach Sport, sondern auch auf musische oder praktische Fächer. Ausweislich des Wortlauts ergebe sich ein Anspruch, sodass dem Gymnasium kein Ermessen eingeräumt sei. Aus dem Wortlaut folge auch, dass es nicht genüge, wenn sich lediglich aus der Bemerkung zur Notenbilanz erschließen lasse, dass keine ausreichenden Leistungsnachweise vorlägen. Vielmehr hätte der Antragsgegner jedes Fach einzeln auflisten müssen und jeweils die vermeintlich nicht ausreichenden Leistungsnachweise anführen müssen. Auch führe der Antragsgegner selbst aus, Ersatzprüfungen seien nicht angeboten, sondern lediglich bei Beratungsgesprächen angesprochen worden. Auf einen etwaigen Antrag auf Ersatzprüfungen komme es nicht an, da der Antragsgegner vielmehr selbst die Initiative hätte ergreifen und ihr Ersatzprüfungen hätte ermöglichen müssen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf die übersandte Behördenakte Bezug genommen.
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1. Streitgegenständlich ist vorliegend der Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO dahingehend, den Antragsgegner zur Erteilung eines Jahreszeugnisses der 10. Jahrgangsstufe zu verpflichten, das gemäß § 39 Abs. 9 Gymnasialschulordnung (GSO) vom 23. Januar 2007 (GVBl. S. 68, BayRS 2235-1-1-1-K) in der aktuell geltenden Fassung (ggf. i.V.m. § 68 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 GSO) mit folgendem Vermerk den mittleren Schulabschluss der Antragstellerin ausweist: „Dieses Zeugnis schließt den Nachweis eines mittleren Schulabschlusses ein.“ Soweit der Antrag zudem die Entfernung der im streitgegenständlichen Jahreszeugnis enthaltenen Bemerkungen zur Notenbilanz sowie zur nicht erteilten Erlaubnis zum Vorrücken enthält, ergibt die am Antragsbegehren orientierte Auslegung nach § 88 VwGO (vgl. Fertig in Beckscher Online-Kommentar VwGO, 62. Edition Stand 1.10.2021, § 88 Rn. 16), dass es sich insoweit lediglich um das Kassationselement im Rahmen der hier einschlägigen Verpflichtungssituation handelt. So ist ein eigenständiges Rechtschutzinteresse der Antragstellerin insoweit nicht zu erkennen, da die entsprechende isolierte Entfernung der genannten Bemerkungen nicht zur Erteilung des begehrten Vermerks betreffend den mittleren Schulabschluss führen würde. Entsprechend wäre hinsichtlich der isolierten Entfernung der genannten Bemerkungen auch kein allgemeines Rechtsschutzbedürfnis erkennbar, zumal es bei der sinngemäßen Zeugnisangabe verbliebe, der mittlere Schulabschluss werde nicht ausgewiesen. In jedem Fall würde es aber an einem Eilbedürfnis, also an einem Anordnungsgrund fehlen, da nicht ersichtlich ist, dass die isolierte Entfernung der Bemerkungen der Antragstellerin mit Blick auf den Besuch der Fachakademie weiterhelfen könnten. Im Rahmen von § 88 VwGO verbietet sich aber regelmäßig eine Auslegung, die zu unzulässigen bzw. unbegründeten Anträgen führen würde, da grundsätzlich nicht angenommen werden kann, dass Antragsteller solche Anträge beabsichtigen. Schließlich bestehen nach der Antragstellung keine Anhaltspunkte, dass die Antragstellerin die Einräumung weiterer Prüfungen o.Ä. durch das Gymnasium begehrt.
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2. Der zulässige Antrag hat in der Sache keinen Erfolg.
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Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung insbesondere zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden. Voraussetzung hierfür ist nach § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO, dass der Antragsteller sowohl einen Anordnungsgrund als auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft macht.
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a) Zwar liegt ein Anordnungsgrund vor. Dies ist der Fall, wenn eine vorläufige gerichtliche Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz erforderlich ist, da es dem Antragsteller unzumutbar ist, den Abschluss des Hauptsacheverfahrens abzuwarten (vgl. Püttler in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 123 Rn. 80). Danach ist hier mit Blick auf das Schreiben der Fachakademie vom 9. März 2022, wonach die Antragstellerin ihre dortige Ausbildung ohne (nachgeholten) mittleren Schulabschluss nicht fortsetzen könne, ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Denn der Antragstellerin ist es aufgrund des damit verbundenen, erheblichen Zeitverlusts nicht zumutbar, den (rechtskräftigen) Abschluss eines Hauptsacheverfahrens abzuwarten und währenddessen das nicht unerhebliche Risiko einzugehen, ihre Ausbildung an der Fachakademie aussetzen oder gar abbrechen zu müssen.
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b) Vorliegend fehlt es jedoch an einem Anordnungsanspruch.
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aa) Von einem Anordnungsanspruch ist grundsätzlich auszugehen, sofern der Antragsteller nach dem einschlägigen materiellen Recht auf Grundlage des ermittelten bzw. glaubhaft gemachten Sachverhalts voraussichtlich in der Hauptsache Erfolg haben wird (vgl. Kuhla in Beckscher Online-Kommentar VwGO, 62. Edition Stand 1.7.2022, § 123 Rn. 77 ff.). Insoweit nimmt das Gericht grundsätzlich eine summarische Prüfung vor (Schoch in Schoch/Schneider, VwGO, Stand Februar 2022, § 123 Rn. 122). Weiter dient die einstweilige Anordnung im Grundsatz der vorläufigen Sicherung eines Anspruchs bzw. der vorläufigen Regelung eines Rechtsverhältnisses. Nimmt der Erlass der einstweiligen Anordnung die Hauptsache - zumindest in zeitlicher Hinsicht - vorweg, so sind an die Prüfung von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund qualifizierte Anforderungen zu stellen. Die Voraussetzungen des Anordnungsanspruchs liegen im Falle der Vorwegnahme der Hauptsache daher im Regelfall nur dann vor, wenn ein Obsiegen des Antragstellers im Hauptsacheverfahren mit einer hohen Wahrscheinlichkeit glaubhaft gemacht ist (vgl. so zum Ganzen BayVGH, B.v. 18.3.2016 - 12 CE 16.66 - juris Rn. 4).
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bb) Danach liegt hier kein Anordnungsanspruch vor.
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(1) Dem Begehren der Antragstellerin, im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes ein Zeugnis des Gymnasiums zu erstreiten, das den mittleren Schulabschluss ausweist, steht im Kern das prüfungsrechtliche Verbot der Bewertung fiktiver Leistungen entgegen. Unter Berücksichtigung dieses Grundsatzes besteht nach den Vorschriften der GSO kein Anordnungsanspruch auf Erteilung des begehrten Zeugnisses, erst Recht nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit, wie es aufgrund der beantragten, vollständigen Vorwegnahme der Hauptsache erforderlich wäre. All dies ergibt sich bereits auf Grundlage des Vorbringens der Antragstellerin sowie der Behördenakte, sodass es sich hier nicht auswirkt, dass der Antragsgegner trotz entsprechenden Hinweises der Kammer im gerichtlichen Verfahren allein postalisch Schriftsätze eingereicht hat, die aufgrund des Benutzungszwangs der Behörden betreffend die elektronische Datenübermittlung nach § 55d Satz 1 VwGO unwirksam sind (vgl. Braun Binder in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 55d Rn. 7).
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(a) Im Prüfungsrecht ist anerkannt, dass lediglich tatsächlich erbrachte Leistungen bewertet werden können. Dieser Grundsatz gilt unabhängig davon, ob die unterbliebene Leistungserbringung oder die vereitelte Leistungsbewertung durch den Prüfling und/oder die Prüfungsbehörde veranlasst oder gar verschuldet wurde. So können die Leistungen des Prüflings etwa selbst dann nicht (mehr) bewertet werden, wenn die Bearbeitungen des Prüflings - aus welchem Grund auch immer - verloren gegangen sind; man denke etwa an den Verlust von Klausuren auf dem Postweg oder gar in der Sphäre des Prüfers. Fiktive Leistungen können selbst dann nicht bewertet werden, wenn der Prüfling aufgrund Fehlinformationen der Prüfungsbehörde eine Leistung nicht erbracht hat. Schließlich finden auch die Grundsätze der Beweisvereitelung nach § 444 ZPO keine Anwendung auf die hier in Frage stehenden Fälle (vgl. so zum Ganzen m.w.N. Jeremias in Fischer/Jeremias/Dieterich, Prüfungsrecht, 8. Aufl. 2022, Rn. 226). Hieraus folgt weiter, dass bei der Leistungserhebung unterlaufene Fehler grundsätzlich nicht durch die Änderung des Bewertungsmaßstabs oder durch Zugrundelegung fiktiver Leistungen ausgeglichen werden können (vgl. Jeremias a.a.O. Rn. 500 m.w.N.). So ist die Prüfungsbehörde nicht nur nicht dazu verpflichtet, im Fall eines fehlerhaften Prüfungsverlaufs die Bewertungsmaßstäbe der Prüfungsordnung zugunsten des Prüflings zu ändern, um auf diese Weise einen Fehler im Rahmen der Leistungserhebung auszugleichen. Vielmehr würde sich dies sogar als willkürlich darstellen und gegen den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen. Denn Fehler bei der Leistungserhebung können bereits deswegen nicht durch eine Änderung des Bewertungsmaßstabs ausgeglichen werden, weil sich die fraglichen Fehler mit Blick auf den Bewertungsmaßstab regelmäßig nicht quantifizieren lassen und deshalb auch nicht beurteilt werden kann, was der Prüfling im Fall eines fehlerfreien Verfahrens geleistet hätte. Aus diesem Grund können fiktive Leistungen nicht zur Grundlage der Prüfungsentscheidung gemacht werden. Entsprechend muss der Prüfling die Prüfung in aller Regel wiederholen, auch wenn dies für ihn einen Nachteil darstellt, dessen Ursache im Verantwortungsbereich der Prüfungsbehörde liegt (vgl. so insgesamt BVerwG, B.v. 16.41980 - Az. B 58/80 - NJW 1980, 2208, 2208).
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(b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze kann die Antragstellerin kein Jahreszeugnis der 10. Jahrgangsstufe verlangen, das mit dem bereits zitierten Vermerk gemäß § 39 Abs. 9 GSO den mittleren Schulabschluss ausweist. Denn auf Grundlage des für die Antragstellerin geltenden Rechts (aa) und der Systematik der GSO (bb) besteht kein Anspruch auf ein solches Zeugnis (cc). Letzteres kann auch nicht aufgrund fiktiver Leistungen (dd) oder in Kompensation hier naheliegender, prüfungsrechtlicher Verfahrensfehler im Vorfeld der Zeugniserteilung erteilt werden (ee).
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aa) Offen bleiben kann, ob vorliegend die GSO in ihrer aktuellen Fassung gilt (künftig n.F.), oder aber grundsätzlich die GSO in ihrer Fassung bis 31. Juli 2018 Anwendung findet (künftig a.F.). Letzteres wäre nach § 68 Abs. 2 GSO n.F. der Fall, sofern die Antragstellerin das achtjährige Gymnasium besucht hat. Dies liegt zwar mit Blick auf den Zeitpunkt des Übertritts der Antragstellerin auf das Gymnasium und nach der Behördenakte nahe, da dort die 11. Jahrgangsstufe der Antragstellerin als „Q11“ bezeichnet ist. Ausdrücklich festgehalten ist Entsprechendes in der Behördenakte jedoch nicht. Hier kann die Frage dahinstehen, da die streitentscheidenden Normen der alten bzw. neuen Fassung zumindest inhaltsgleich sind und sich in Teilbereichen gemäß § 68 Abs. 2 GSO n.F. ohnehin die Anwendbarkeit neuen Rechts ergibt.
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(bb) § 39 Abs. 9 GSO n.F. (ggf. i.V.m. § 68 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 GSO n.F.) setzt für den Ausweis des mittleren Schulabschlusses im Jahreszeugnis der 10. Jahrgangsstufe des Gymnasiums voraus, dass Schülerinnen und Schüler die bezeichnete Jahrgangsstufe mit Erfolg besucht haben. Für den Fall, dass eine Schülerin oder ein Schüler in einem Unterrichtsfach keine hinreichenden Leistungsnachweise erbracht und mit ausreichender Entschuldigung weder an Nachterminen noch an einer Ersatzprüfung teilgenommen hat, sehen § 39 Abs. 6 GSO n.F. bzw. § 39 Abs. 7 GSO a.F. vor, dass im Zeugnis anstelle einer Note eine entsprechende Bemerkung mit der Folge des § 30 Abs. 1 Satz 3 GSO aufgenommen wird. Eine solche Bemerkung in einem Vorrückungsfach steht nach der zuletzt genannten Vorschrift (n.F. und a.F.) der Note 6 gleich. Vorrückungsfächer sind nach § 16 Abs. 1 Satz 1 GSO (n.F. und a.F.) in den Jahrgangstufen 5 bis 11 alle Pflicht- und Wahlpflichtfächer der Stundentafeln mit Ausnahme von Sport und des Moduls zur beruflichen Orientierung. Musik ist nach § 16 Abs. 1 Satz 2 GSO am musischen Gymnasium in allen Jahrgangsstufen und in den übrigen Ausbildungsrichtungen in den Jahrgangsstufen 7 bis 11 Vorrückungsfach. Wer in einem Vorrückungsfach die Note 6 erhält, ist nach § 30 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 GSO (n.F. und a.F.) vom Vorrücken ausgeschlossen. In diesem Fall ist - mangels Vorrückens - die Jahrgangsstufe nicht mit Erfolg besucht. Nach alldem haben - zusammengefasst - Schülerinnen und Schüler die 10. Jahrgangsstufe nicht im Sinne von § 39 Abs. 9 GSO n.F. (ggf. i.V.m. § 68 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 GSO n.F.) mit Erfolg besucht, wenn sie in einem Vorrückungsfach anstelle einer Note eine Bemerkung nach § 39 Abs. 6 GSO n.F. bzw. § 39 Abs. 7 GSO erhalten, weil sie keine hinreichenden Leistungsnachweise erbracht und mit ausreichender Entschuldigung weder an Nachterminen noch an einer Ersatzprüfung teilgenommen haben.
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Dagegen ist vom Wortlaut des § 39 Abs. 6 GSO n.F. bzw. § 39 Abs. 7 GSO a.F. nicht der Fall erfasst, dass Schülerinnen und Schüler in einem Vorrückungsfach keine hinreichenden Leistungsnachweise erbracht haben und mit nicht ausreichender Entschuldigung - also unentschuldigt - weder an Nachterminen noch an einer Ersatzprüfung teilgenommen haben. Dies ist allerdings systemgerecht, da aufgrund des unentschuldigten Ausbleibens im Nachtermin bzw. in der Ersatzprüfung bereits nach § 26 Abs. 4 Satz 1 GSO (n.F. und a.F.) die Note 6 zu erteilen ist, was wiederum nach § 30 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 GSO (n.F. und a.F.) dazu führt, dass ein Vorrücken in die nächsthöhere Jahrgangsstufe ausgeschlossen ist. Entsprechendes gilt, sofern Schülerinnen und Schüler Leistungen im Rahmen von Nach- oder Ersatzprüfungen verweigern, da § 26 Abs. 4 Satz 1 GSO (n.F. und a.F.) auch diesen Fall erfasst.
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Weiter ist die Rechtsfolge aus § 39 Abs. 6 GSO n.F. bzw. § 39 Abs. 7 GSO a.F. erst Recht auf solche - nicht unmittelbar geregelte - Fallgestaltungen anzuwenden, in denen Schülerinnen und Schüler in einem Unterrichtsfach keine hinreichenden Leistungsnachweise erbracht haben und es - aus welchen Gründen auch immer - erst gar nicht zu einem Nachtermin oder einer Ersatzprüfung gekommen ist.
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Sofern der Umstand, dass es schon gar nicht zu einem Nachtermin oder einer Ersatzprüfung gekommen ist, auf (überwiegendes) Verschulden der betroffenen Schülerin oder des betroffenen Schülers zurückgeht, folgt dies bereits aus dem Rechtsgedanken des § 26 Abs. 4 Satz 1 GSO (n.F. und a.F.), mag der Fall des Verschuldens durch Schülerinnen und Schüler auch - worauf noch eingegangen wird - regelmäßig nicht vorliegen. Zwar liegt in diesen Fällen kein Fehlen im Prüfungstermin vor, sodass die Note 6 nicht nach § 26 Abs. 4 Satz 1 GSO (n.F. und a.F.) erteilt werden kann. Wer allerdings weitergehend schon schuldhaft verursacht, dass es erst gar nicht zu einem Nachtermin oder einer Ersatzprüfung kommt, ist im Vergleich zum bloßen Ausbleiben im Termin weniger schutzwürdig, sodass die Rechtsfolge § 39 Abs. 6 GSO n.F. bzw. § 39 Abs. 7 GSO a.F. erst Recht mit der Maßgabe anzuwenden ist, dass sich die Zeugnisbemerkung auf den Umstand der nicht hinreichenden Leistungserbringung beschränken kann.
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Für den Fall des (überwiegenden) Verschuldens des Gymnasiums hinsichtlich ausgebliebener Nachprüfungen oder Ersatzprüfungen folgt der Erst-Recht-Schluss daraus, dass in diesen Fällen im Vergleich zum unmittelbaren Regelungsgehalt von § 39 Abs. 6 GSO n.F. bzw. § 39 Abs. 7 GSO a.F. noch weitergehend ein Fall ausreichender Entschuldigung vorliegt. Zwar fehlt es - mangels Termin - an einem entschuldigten Ausbleiben der betroffenen Schülerin oder des betroffenen Schülers im Prüfungstermin selbst. Jedoch liegt noch weitergehend eine Entschuldigung vor, sofern es aufgrund (überwiegenden) Verschulden des Gymnasiums erst gar nicht zu einem Nachtermin oder einer Ersatzprüfung kommt.
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Des Weiteren wird der Erst-Recht-Schluss - in allen Varianten des Verschuldens bzw. fehlenden Verschuldens der Beteiligten - maßgeblich durch das prüfungsrechtliche Verbot der Bewertung fiktiver Leistungen gestützt. So ist bereits ausgeführt, dass - verschuldensunabhängig - lediglich tatsächlich erbrachte Leistungen bewertet werden können und auch etwaige seitens der Prüfungsbehörde verschuldete Fehler im Prüfungsverfahren keine Kompensation in Gestalt einer Besserbewertung erlauben.
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(cc) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze besteht hier kein Anspruch auf das begehrte Jahreszeugnis unter Ausweis des mittleren Schulabschlusses. Denn es fehlt an dem von § 39 Abs. 9 GSO n.F. (ggf. i.V.m. § 68 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 GSO n.F.) vorausgesetzten erfolgreichen Abschluss der 10. Jahrgangsstufe, da die Antragstellerin die Erlaubnis zum Vorrücken in die nächsthöhere Jahrgangsstufe zu Recht nicht erhalten hat. So wäre in dem Jahreszeugnis in allen Vorrückungsfächern mit der Folge des § 30 Abs. 1 Satz 3 GSO (n.F. und a.F.) und damit des Ausschlusses des Vorrückens nach § 31 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 GSO (n.F. und a.F.) statt dem Ausweis einer Note nach § 39 Abs. 6 GSO n.F. bzw. § 39 Abs. 7 GSO a.F. (erst Recht) eine Bemerkung sinngemäß dahingehend einzutragen gewesen, dass die Antragstellerin keine zur Notengebung hinreichenden Leistungsnachweise erbracht habe. Der Umstand als solcher, dass es - aus welchen genauen Gründen auch immer - vorliegend weder zu einem Nachtermin noch zu einer Ersatzprüfung gekommen ist, ist zwischen den Beteiligten unstreitig geblieben. Auch im Übrigen ist nichts anderes ersichtlich. Weiter hat die Antragstellerin jedenfalls bei summarischer Prüfung in keinem Vorrückungsfach im Sinne von § 39 Abs. 6 GSO n.F. bzw. § 39 Abs. 7 GSO hinreichende Leistungen erbracht, die eine valide Notengebung im Jahreszeugnis erlaubt hätten. So hat die Antragstellerin ausweislich der in der Behördenakte enthaltenen Leistungsübersicht des zweiten Halbjahres der 10. Jahrgangstufe des Schuljahres 2020/2021 in allen Vorrückungsfächern jeweils allein eine oder maximal zwei mündliche Noten erhalten. Im Kernfach … hat sie beispielsweise lediglich eine mündliche Note erhalten, wie auch in den Fächern … Da Prüfungen stets Momentaufnahmen des Leistungsvermögens der Prüflinge im Zeitpunkt der Prüfung darstellen, ist eine Prüfung bzw. sind zwei Prüfungen schon wenig geeignet, das Leistungsvermögen betroffener Schülerinnen oder Schüler hinreichend tragfähig abzubilden. Hinzu kommt, dass die hier in den Vorrückungsfächern lediglich vereinzelt durchgeführten Leistungserhebungen nur einen ganz geringen Ausschnitt des lehrplanmäßig zu beherrschenden Stoffs erfassen können. Außerdem liegen hier allein mündliche Leistungserhebungen vor, die jedenfalls einen anderen Charakter als schriftliche Leistungsnachweise besitzen. Jedenfalls in der Gesamtschau dieser Umstände kann der Leistungsstand der Antragstellerin bei summarischer Prüfung in keinem Vorrückungsfach valide mit einer entsprechenden Note des Jahrzeugnisses ausgewiesen werden. Auch mit Blick auf die von der Antragstellerin ausweislich der Behördenakte in der 11. Jahrgangsstufe im Schuljahr 2020/2021 erbrachten Leistungen ergibt sich nichts anderes. Denn auch insoweit hat die Antragstellerin in fünf Fächern jeweils nur eine Note erhalten, mag es sich ggf. auch um schriftliche Leistungen handeln. Darüber hinaus ist insoweit die 11. Jahrgangsstufe, nicht aber der hier in Frage stehende erfolgreiche Abschluss der 10. Jahrgangsstufe betroffen. Schließlich hat die Antragstellerin in den Fächern „…“ und „…“ - also … und … - auch in der 11. Jahrgangsstufe keine Leistungsnachweise erbracht, sodass sich in diesen Vorrückungsfächern schon deshalb keine Änderungen zur Notenübersicht des zweiten Halbjahres der 10. Jahrgangsstufe ergeben können.
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(dd) Auch Leistungen der Antragstellerin, die sie während des zweiten Halbjahrs der 10. Jahrgangsstufe oder aber in Nachterminen oder Ersatzprüfungen ggf. hätte erzielen können, sind von Rechts wegen nicht geeignet einen Anordnungsanspruch auf Erteilung des begehrten Zeugnisses zu begründen. Zwar ist schon nicht ersichtlich, warum das Gymnasium während des zweiten Halbjahres von der Antragstellerin keine schriftlichen Leistungsnachweise erhoben hat (i). Jedenfalls aber hätten der Antragstellerin bei summarischer Prüfung auf Grundlage des glaubhaft gemachten Sachverhalts Nachtermine bzw. Ersatzprüfungen zugestanden (ii). Dennoch führen hypothetisch in diesen Prüfungen erzielte Leistungen nicht zum mittleren Schulabschluss (iii).
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(i) Soweit der Antragsgegner vorbringt, vom 3. Mai bis 25. Juni 2022 - also über einen Zeitraum von beinahe acht Wochen - hätten lediglich mündliche, kleine Leistungsnachweise erhoben werden können, ist dies für die Kammer - auch mangels Begründung des Gymnasiums - nicht nachvollziehbar. So ist nicht ersichtlich, warum innerhalb des genannten Zeitraums keine schriftlichen Leistungsnachweise erhoben werden konnten, zumal große Leistungsnachweise nach § 22 Abs. 4 Satz 1 GSO (n.F. und a.F.) einer Ankündigungsfrist von lediglich einer Woche unterliegen. Dies gilt umso mehr, als dem Gymnasium vorliegend bewusst gewesen sein musste, dass die Leistungen der Antragstellerin ohne weitere Prüfungen nicht ausreichen würden, um eine Note im Jahreszeugnis ausweisen zu können.
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(ii) Jedenfalls war das Gymnasium auf Grundlage des glaubhaft gemachten Sachverhalts bei summarischer Prüfung verpflichtet, für die Antragstellerin Nachtermine bzw. Ersatzprüfungen anzusetzen.
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Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 GSO (n.F. und a.F.) hätten in den Kernfächern Nachtermine mit Blick auf versäumte große Leistungsnachweise angesetzt werden müssen. Nach der genannten Vorschrift erhalten Schülerinnen und Schüler einen Nachtermin, wenn sie einen großen Leistungsnachweis mit ausreichender Entschuldigung versäumen. So lag der Fall bei summarischer Prüfung hier. Denn aus § 22 Abs. 1 GSO (n.F. und a.F.) geht hervor, dass große Leistungsnachweise in Kernfächern - in unterschiedlicher Anzahl - obligatorisch sind. Auch ist davon auszugehen, dass die Antragstellerin solche großen Leistungsnachweise nicht unentschuldigt versäumt hat. Denn solche großen Leistungsnachweise sind weder in der aus der Behördenakte ersichtlichen Leistungsübersicht der Antragstellerin enthalten noch ist insoweit die Note 6 vermerkt, welche die Antragstellerin nach § 26 Abs. 4 Satz 1 GSO (n.F. und a.F.) hätte erhalten müssen, wäre sie einem großen Leistungsnachweis unentschuldigt ferngeblieben. Soweit sich das Gymnasium auf den Standpunkt stellt, die Antragstellerin habe keine Nachtermine bzw. Ersatzprüfungen beantragt, ist dies rechtlich unerheblich. Denn § 27 Abs. 1 Satz 1 GSO sieht kein Antragserfordernis vor. Vielmehr verpflichtet die Vorschrift das Gymnasium - ohne dass diesem Ermessen eingeräumt wäre - dazu, betroffenen Schülerinnen und Schülern unter den dort genannten Voraussetzungen Nachtermine einzuräumen. Dagegen bezieht sich das in § 27 Abs. 1 Satz 2 GSO (n.F. und a.F.) eingeräumte Ermessen allein auf die Frage, ob im Fall des Versäumens mehrerer großer Leistungsnachweise in einem (Kern-)Fach ein einziger Nachtermin oder mehrere Nachtermine angesetzt werden. Zwar wäre in rechtlicher Hinsicht zumindest zu erwägen, ob Schülerinnen und Schüler - ggf. vertreten durch ihre Erziehungsberechtigten - ausdrücklich und/oder konkludent auf Nachtermine bzw. Ersatzprüfungen verzichten können. Diese Rechtsfrage bedarf hier aber schon deswegen keiner Entscheidung, weil der Antragsgegner - der insoweit nach allgemeinen Grundsätzen die Feststellungs- bzw. materielle Beweislast trägt - Entsprechendes zumindest nicht glaubhaft gemacht hat. Soweit die Behördenakte ein Schreiben des Ministerialbeauftragten an die Eltern der Antragstellerin enthält, wonach aus den Unterlagen der Schule klar hervorgehe, dass diese in intensivem Austausch mit den Eltern der Antragstellerin gewesen sei und die Eltern zu jedem Zeitpunkt über den Leistungsstand informiert gewesen seien, ist zumindest letzteres aus der antragsgegnerseits übersandten Behördenakte nicht ersichtlich. Insbesondere ist in der Akte - in Übereinstimmung mit dem Vortrag der Antragstellerin - keine schriftliche oder mündliche Mitteilung dokumentiert, wonach die Antragstellerin den mittleren Schulabschluss nicht erhalten werde. Insoweit verbleibt neben der Darstellung des Sachverhalts durch die Antragstellerin allenfalls die Möglichkeit, dass es der Antragsgegner versäumt hat, Entsprechendes zu dokumentieren, oder aber die Behördenakte nicht vollständig übersandt wurde. Allerdings hat die Kammer zweifach um vollständige Aktenübersendung gebeten. In jedem Fall ist ein (konkludenter) Verzicht auf Nachtermine oder Ersatzprüfungen antragsgegnerseits nicht glaubhaft gemacht.
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Mit Blick auf unzureichende Leistungsnachweise der Antragstellerin außerhalb der Kernfächer gilt im Ergebnis nichts anderes. Zwar ist dem Gymnasium nach § 27 Abs. 1 Satz 3 und Abs. 3 Satz 2 GSO (n.F. und a.F.) mit Blick auf angekündigte kleine Leistungsnachweise bzw. eine Ersatzprüfung für den Fall, dass keine hinreichenden kleinen Leistungsnachweise vorliegen, Ermessen eingeräumt. Dieses wird aber in Fällen der vorliegenden Art unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit regelmäßig auf Null reduziert sein, da mit Blick auf das Ziel, Leistungen von Schülerinnen und Schülern angemessen zu bewerten, die Einräumung eines Nachtermins oder einer Ersatzprüfung im Vergleich zu der Bemerkung nach § 39 Abs. 6 GSO n.F. bzw. § 39 Abs. 7 GSO a.F. und deren Folge regelmäßig das (weitaus) mildere und sogar wirksamere Mittel darstellen wird. Auch vorliegend ist nichts anderes ersichtlich, wobei für die Frage des (konkludenten) Verzichts auf die obigen Ausführungen verwiesen werden kann. Ein Antragserfordernis sieht § 27 GSO (n.F. und a.F.) auch insoweit nicht vor. Im Übrigen erschiene es vorbehaltlich der Frage eines (konkludenten) Verzichts bei summarischer Prüfung angesichts der weitreichenden Konsequenzen auch ermessensfehlerhaft, sollte hier aufgrund der Auskunft der Antragstellerin bzw. ihrer Erziehungsberechtigten, der mittlere Schulabschluss werde mit Blick auf eine in Aussicht genommene Ausbildung nicht benötigt, ohne eigene Verifikation auf Nachtermine oder Ersatzprüfungen verzichtet worden sein. Denn zum einen mögen solche Auskünfte - wie der vorliegende Fall zeigt - unzutreffend sein. Zum anderen ist es nicht untypisch, dass sich Ausbildungspläne betroffener Schülerinnen und Schüler ändern, sodass der mittlere Schulabschluss später doch benötigt wird, sodann aber mit potentiell schwerwiegenden Konsequenzen ein entsprechendes Zeugnis nicht mehr erteilt werden kann, ohne dass die betroffenen Schülerinnen oder Schüler die Chance erhalten hätten, ausreichende Leistungen zu erbringen.
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(iii) Dennoch können etwaige hypothetische Leistungen der Antragstellerin in der 10. Jahrgangsstufe des Schuljahrs 2020/2021, in Nachterminen oder in Ersatzprüfungen aus Rechtsgründen keinen Anspruch auf das begehrte Zeugnis unter Ausweis des mittleren Schulabschlusses begründen. Denn hier greift - wie ausgeführt - der prüfungsrechtliche Grundsatz, dass fiktive Leistungen nicht bewertet werden können, wobei insoweit unerheblich ist, ob und ggf. wer die ausgebliebene Leistungserhebung verschuldet hat.
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(ee) Bereits ausgeführt ist, dass nach allgemeinen prüfungsrechtlichen Grundsätzen auch Verfahrensfehler im Prüfungsverlauf - die wie dargestellt nach dem glaubhaft gemachten Sachverhalt bei summarischer Prüfung vorliegen - unabhängig von der Frage, wer diese ggf. verschuldet hat, nicht dahingehend kompensiert werden können, dass die Bewertungsmaßstäbe zugunsten des Prüflings geändert werden. Danach scheidet es hier insbesondere aus, die antragstellerseits erbrachten (mündlichen) Leistungen für die Vergabe einer Note im Jahreszeugnis ausreichen zu lassen. Denn auch vorliegend lässt sich nicht ersehen, welche Leistungen die Antragstellerin im Fall eines Prüfungsverlaufs ohne Verfahrensfehler erbracht hätte.
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(2) Auch der Ausweis von Noten in dem angegriffenen Jahreszeugnis in Verbindung mit der dort verwendeten Formulierung, dieses Zeugnis gelte lediglich als Notenbilanz, führt nicht zu einem Anordnungsanspruch auf Erteilung des begehrten Zeugnisses unter Ausweis des mittleren Schulabschlusses. Zunächst liegt in der genannten Formulierung kein Verstoß gegen § 39 Abs. 2 Satz 4 GSO n.F. bzw. § 39 Abs. 3 Satz 4 GSO a.F., wonach das Jahreszeugnis in den Jahrgangsstufen 9 und 10 keine Bemerkung enthalten darf, die den Übertritt in das Berufsleben erschwert. Denn dieser allgemeinen Vorschrift geht als lex specialis § 39 Abs. 6 GSO n.F. bzw. § 39 Abs. 7 GSO a.F. vor, wonach anstelle der Note die entsprechende Bemerkung aufgenommen wird. Dieses Rangverhältnis der Normen folgt bereits zwingend daraus, dass sonst § 39 Abs. 6 GSO n.F. bzw. § 39 Abs. 7 GSO a.F. entgegen dem klar erkennbaren Willen des Verordnungsgebers letztlich überhaupt keinen Anwendungsbereich hätte. Im Übrigen dürfte zwar die Rechtsansicht der Antragstellerseite zutreffen, wonach die zuletzt genannten Normen - schon zur Vermeidung von Missverständnissen über den Charakter des Zeugnisses - verlangen, dass anstelle der Note der fragliche Vermerk angeführt wird, das Jahreszeugnis also in den betroffenen Fächern keine Note enthalten darf. Dennoch führt auch dies nicht zu dem allein streitgegenständlichen Anordnungsanspruch auf Erteilung eines Zeugnisses, welches den mittleren Schulabschluss ausweist. Denn die Rechtswidrigkeit des Zeugnisses mit Blick auf die erörterte Formulierung unter Ausweis von Noten begründet keinen Anspruch auf Erteilung des mittleren Schulabschlusses, zumal im Rahmen der hier prozessual vorliegenden Verpflichtungssituation allein entscheidend ist, ob der Antragstellerin der geltend gemachte Anordnungsanspruch zusteht (vgl. für die Versagungsgegenklage m.w.N. Decker in Beckscher Online-Kommentar VwGO, 62. Edition Stand 1.7.2022, § 113 Rn. 69a). Im Übrigen wäre bei summarischer Betrachtung auch nicht ersichtlich, dass die Antragstellerin durch den rechtswidrigen, aber vorteilhaften Ausweis von Noten in eigenen Rechten verletzt wäre.
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(3) Schließlich hat der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auch dann keinen Erfolg, sofern dem gestellten Sachantrag als Minus das Begehren entnommen wird, lediglich ein vorläufiges Zeugnis erteilt zu erhalten, welches den mittleren Schulabschluss ausweist. Zwar läge hierin keine (vollständige) Vorwegnahme der Hauptsache, sodass mit Blick auf den Anordnungsanspruch keine hohe Wahrscheinlichkeit mehr erforderlich wäre. Aus den bereits genannten Gründen ergibt sich aber auch unter Berücksichtigung dieses herabgesetzten Wahrscheinlichkeitsmaßstabs kein Anordnungsanspruch.
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4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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5. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1, Abs. 2 GKG in Verbindung mit Ziff. 1.5, 38.5 des Streitwertkatalogs.