Titel:
Keine Haftung von VW für den von Audi entwickelten, hergestellten und gelieferten 3,0-Liter-Motor (hier: VW Touareg 3.0 V6 TDI)
Normenketten:
BGB § 31, § 826
VO (EG) Nr. 715/2007 Art. 5
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
ZPO § 148
Leitsätze:
1. Vgl. zu 3,0 Liter-Motoren von Audi mit unterschiedlichen Ergebnissen auch: BGH BeckRS 2021, 37683; BeckRS 2021, 41003; BeckRS 2022, 21374; BeckRS 2022, 19714; OLG Bamberg BeckRS 2022, 33515; OLG Karlsruhe BeckRS 2021, 43408; OLG München BeckRS 2022, 18804; BeckRS 2022, 18875; BeckRS 2022, 28198; BeckRS 2022, 34469; BeckRS 2021, 52024; BeckRS 2022, 21228; OLG Nürnberg BeckRS 2022, 21211; LG Bamberg BeckRS 2022, 29502; LG Kempten BeckRS 2022, 28679; LG Nürnberg-Fürth BeckRS 2022, 30355; OLG Bamberg BeckRS 2022, 28703 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1) sowie OLG Brandenburg BeckRS 2021, 52227 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1). (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Umstand, dass die VW AG die von ihrer Tochtergesellschaft (Audi AG) entwickelten und gelieferten, rechtswidrig manipulierten Motoren in ihre Fahrzeuge einbaute, genügt nicht, um ein eigenes sittenwidriges Verhalten von VW annehmen zu können. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
3. Einer drittschützenden Wirkung hinsichtlich der Vermögensinteressen eines Fahrzeugkäufers im Sinne eines deliktischen Schadensersatzanspruchs bedarf es auch im Hinblick auf unionsrechtliche Vorgaben nicht, da das deutsche Recht durch ein abgestuftes System der gewährleistungsrechtlichen Haftung und etwaiger bußgeldrechtlicher Sanktionierungen bereits hinreichend abschreckende Maßnahmen enthält, um eine hinreichende Beachtung der Richtlinie zur Gewährleistung eines effet utile sicherzustellen. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, 3,0-Liter-Motor, Audi, Schadensersatz, sittenwidrig, unzulässige Abschalteinrichtung, Tochtergesellschaft, drittschützende Wirkung, bußgeldrechtliche Sanktionierungen, Schlussanträge des Generalanwaltes
Vorinstanz:
LG Kempten, Endurteil vom 25.03.2022 – 35 O 407/21
Weiterführende Hinweise:
Revision zugelassen
Fundstelle:
BeckRS 2022, 42399
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 25.03.2022, Az. 35 O 407/21, wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Kempten (Allgäu) ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision zum Bundesgerichtshof wird zugelassen.
Entscheidungsgründe
1
Auf die vom Landgericht getroffenen Feststellungen wird verwiesen. Änderungen haben sich in der Berufung nicht ergeben.
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Die Klägerin erwarb am 09.10.2017 zu einem Kaufpreis in Höhe von 33.880,00 € einen gebrauchten VW Touareg 3.0 V6 TDI, in den ein von der Audi AG entwickelter Dieselmotor des Typs EA 897 verbaut war. Sie macht als Hauptantrag die Zahlung von 37.469,10 € nebst Zinsen abzüglich 8.386,50 € Zug um Zug gegen Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs, die Feststellung, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Fahrzeugs in Annahmeverzug befinde, und die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 1.809,75 € geltend.
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Wegen der Einzelheiten wird auf den Tatbestand des angefochtenen Endurteils verwiesen.
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.
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Zur Begründung dieser Entscheidung hat das Landgericht ausgeführt, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Beschluss vom 19.01.2021 - VI ZR 433/19) mit dem Verbau eines Thermofensters ein Anspruch nach § 826 BGB nicht begründet werden könne. Soweit die Klägerin das Vorhandensein weiterer unzulässiger Abschalteinrichtungen behaupte, fehle es bereits an einem hinreichend substantiierten Vortrag. Auf Grundlage des klägerischen Vortrags bestünden keine greifbaren Anhaltspunkte für das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung beim hier streitgegenständlichen Fahrzeug. Zudem habe die Klägerin nicht hinreichend substantiiert dargestellt, dass ein sittenwidriges Verhalten eines der Organe oder eines verfassungsmäßig berufenen Vertreters der Beklagten vorliege. Es fehle an jeglichem konkreten Vortrag dazu, welches Organmitglied oder welcher Repräsentant der Beklagten wann und auf welcher Grundlage was gewusst haben solle. Nicht die Beklagte, sondern die Audi AG habe den Motor des streitgegenständlichen Fahrzeugs hergestellt. Im Rahmen der Anwendung des § 31 BGB analog sei daher maßgeblich, ob die für die Beklagte handelnden Personen gewusst hätten, dass die von der Audi AG gelieferten Motoren mit einer auf die arglistige Täuschung des KBA abzielenden Prüfstandeserkennungssoftware ausgestattet gewesen seien, und sie die von der Beklagten hergestellten Fahrzeuge in Kenntnis dieses Umstands mit diesem Motor versehen und in den Verkehr gebracht hätten. Anders als die Klägerin meine, lasse sich nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 08.03.2021 - VI ZR 505/19) ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten nicht mittels Zurechnung fremden Wissens begründen.
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Wegen der Begründung im Einzelnen und im Übrigen wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Endurteils (Blatt 259/269 der Akten) verwiesen.
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Gegen dieses Urteil hat die Klägerin in vollem Umfang Berufung eingelegt.
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Im Rahmen der Berufungsbegründung hat sie zunächst die Aussetzung des Verfahrens bis zur Entscheidung des EuGH in den Verfahren C -663/19 - 1, C -678/20 P und C -100/21 gemäß § 148 ZPO beantragt (siehe Seiten 2 bis 20 der Berufungsbegründung).
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Im Übrigen macht die Klägerin geltend, dass die angefochtene Entscheidung sie in ihren Rechten verletze, weil die der Entscheidung zugrundezulegenden Tatsachen eine andere als die vom Landgericht getroffene Entscheidung rechtfertigen würden. Zur näheren Begründung führt sie zunächst (Seiten 25 und 26 der Berufungsbegründung) auf, welche Tatsachen ihres Erachtens unstreitig seien. Sie meint, die Klägerin könne ihre Ansprüche auf die Problematik der Abgasrückführung stützen. Die Klagepartei habe gegen die Beklagte Schadensersatzansprüche gemäß § 826 BGB, § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 263 StGB, § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 6 Abs. 1 EG-FGV, § 27 EG-FGV sowie gemäß § 831 BGB. Nach umfangreichen Ausführungen zum „Thermofenster“ (S. 26 bis 42 der Berufungsbegründung) und Vorbringen zu weiteren Abschalteinrichtungen (S. 43 bis 63 der Berufungsbegründung), stellt die Klägerin dar, weswegen sie ihres Erachtens ausreichend substantiiert vorgetragen habe (S. 64/66 der Berufungsbegründung). Die Klägerin führt des weiteren aus, dass sie keine Kenntnis vom Verbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung in dem von ihr gekauften Fahrzeug gehabt habe. Sie macht geltend, dass ein Anspruch der Klägerin nach §§ 6 und 27 EG-FGV bestehe, weil es sich bei diesen Normen entgegen den Ausführungen des Landgerichts um Schutzgesetze i. S.d. § 823 Abs. 2 BGB handle.
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Wegen des Berufungsvorbringens im Einzelnen und im Übrigen wird auf die Schriftsätze vom 29.06.2022 (Blatt 293/298 der Akten) und 13.09.2022 (Blatt 465/515 der Akten) verwiesen.
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In der Berufung beantragt die Klägerin:
1. Die Entscheidung des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 25.03.2022, zugestellt am 29.03.2022, Az. 35 O 407/21, wird abgeändert.
2. Die Beklagte wird verurteilt, Zug-um-Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs mit der Fahrgestellnummer an die Klagepartei 37.549,10 € € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit abzüglich 9.245,64 € zu zahlen.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 19.300,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit abzüglich 9.245,64 € zu zahlen und die Klagepartei von den aktuell noch bestehenden Verbindlichkeiten gegenüber der Bank aus dem Darlehensvertrag vom 10.10.2017 mit der Nr. i. H. v. 23.169,10 € € sowie aus der insoweit aufgenommenen Anschlussfinanzierung bzgl. der Schlussrate i. H. v. 19.669,10 EUR (Vertragsnummer: ) freizustellen, Zug-um-Zug gegen Übergabe des Fahrzeugs mit der Fahrgestellnummer und Übertragung des der Klagepartei gegenüber der Bank zustehenden Anwartschaftsrechts auf Übereignung des vorstehend bezeichneten Fahrzeugs.
3. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme des Fahrzeugs mit der Fahrgestellnummer in Annahmeverzug befindet.
4. Die Beklagte wird verurteilt, die Klagepartei von außergerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 1.809,75 € € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit freizustellen.
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Die Beklagte beantragt in der Berufung, die Berufung zurückzuweisen.
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Zur Begründung führt sie im Wesentlichen Folgendes an:
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Die Beklagte sei nicht passivlegitimiert, da eine deliktsrechtliche Haftung wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung nur denjenigen treffen könne, der den betreffenden Motor entwickelt oder hergestellt habe, was die Beklagte unstreitig nicht getan habe. Auch bestehe keine Grundlage für eine Haftung, weil zum Zeitpunkt des streitgegenständlichen Kaufs durch die Klägerin bereits das Software-Update aufgespielt gewesen sei. Ein Anspruch aus § 826 BGB scheide zudem aus, weil der Klagepartei aufgrund eines von ihr bei der Bank abgeschlossenen Darlehensvertrags ein „verbrieftes Rückgaberecht“ zugestanden habe. Schließlich scheitere ein Anspruch der Klagepartei an dem erforderlichen Kausalzusammenhang sowie an einem Schaden in Form eines ungewollten Vertrags. Zum Kaufzeitpunkt habe die Audi AG umfangreiche Maßnahmen ergriffen, um Kaufinteressenten von den streitgegenständlichen Beanstandungen zu unterrichten. Wegen der Einzelheiten wird auf den Schriftsatz vom 05.08.2022 (Blatt 412/463 der Akten) verwiesen.
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Die Berufung ist unbegründet. Das angefochtene Endurteil beruht weder auf einer Rechtsverletzung im Sinne des § 546 ZPO noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere als die vom Landgericht getroffene Entscheidung (§ 513 ZPO). Ein deliktischer Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte ist von der Klägerin nicht schlüssig dargetan.
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1. Ein Anspruch gemäß § 826 BGB gegen die Beklagte ist nicht schlüssig dargetan. Ein der Beklagten zuzurechnendes sittenwidriges Verhalten der Beklagten i. S. d. § 826 BGB ist von der insoweit uneingeschränkt vortrags- und beweisbelasteten Klägerin bereits nicht substantiiert vorgetragen worden.
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Soweit der Bundesgerichtshof in Rechtsstreitigkeiten der Käufer von Fahrzeugen mit dem (von der Volkswagen AG entwickelten und hergestellten) Dieselmotor der Baureihe EA189 gegen die Volkswagen AG bei der Frage der Zurechnung nach § 31 BGB das pauschale Bestreiten der Volkswagen AG nicht ausreichen ließ und der Volkswagen AG eine sekundäre Darlegungslast hinsichtlich der Frage auferlegte, wer im Unternehmen der dortigen Beklagten die Entscheidung über den Einsatz einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen und ob der Vorstand hiervon Kenntnis hatte, ging er zum einen davon aus, dass die Kläger in diesen Verfahren gegen die Volkswagen AG konkrete Anhaltspunkte dafür vorgetragen hatten, dass eine grundlegende strategische Entscheidung von den für die Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten der Volkswagen AG verantwortlichen vormaligen Vorständen, wenn nicht selbst, so zumindest mit ihrer Billigung getroffen bzw. jahrelang umgesetzt worden war (s. BGH, Urteil vom 08. März 2021 - VI ZR 505/19 -, Rn. 29, juris). In diesen Verfahren stand fest, dass im Unternehmen der Volkswagen AG sittenwidrig gehandelt worden war, weil dort die grundlegende strategische Entscheidung getroffen worden war, im eigenen Kosten- und Gewinninteresse unter arglistiger Täuschung des KBA und bewusster Ausnutzung der Arglosigkeit der Erwerber für Millionen Fahrzeuge eine illegale Motorsteuerung zu entwickeln und diese dann in Verkehr zu bringen.
18
Dafür dass eine entsprechende strategische (sittenwidrige) Entscheidung bei der hiesigen Beklagten getroffen worden wäre oder verfassungsmäßige Vertreter der Beklagten an der von der (hier unterstellt) von der Audi AG getroffenen Entscheidung beteiligt gewesen wären, sind keine hinreichenden Anhaltspunkte vorgebracht. Der Umstand, dass die Beklagte die von ihrer Tochtergesellschaft entwickelten und gelieferten, rechtswidrig manipulierten Motoren in ihre Fahrzeuge einbaute, genügt insoweit nicht. Dies allein spricht nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs - auch unter Berücksichtigung der besonderen Bedeutung der Einhaltung gesetzlicher Grenzwerte für den Automobilhersteller und der mit dem Einsatz der rechtswidrigen Abschalteinrichtung verbundenen Risiken - noch nicht für die Annahme, die Unternehmensleitung der Beklagten sei in die diesbezügliche strategische Entscheidung ihrer Muttergesellschaft eingebunden gewesen. Auch eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten zu Vorgängen innerhalb ihres Unternehmens ist daher nicht zu bejahen (vgl. BGH, Urteil vom 08. März 2021 - VI ZR 505/19 -, Rn. 30, juris, BGH, Urteil vom 26. April 2022 - VI ZR 965/20 -, Rn. 9, juris und BGH, Urteil vom 4. August 2022 - III ZR 230/20 -, Rn. 19 ff, juris). Andere Anhaltspunkte für eine Kenntnis verfassungsmäßig berufener Vertreter der Beklagten von der Verwendung der unzulässigen Motorsteuerungssoftware hat die Klägerin nicht vorgebracht.
19
Der pauschale Vortrag der Klageseite, der ehemalige Vorstand der Beklagten sei in die entsprechenden Vorgänge eingeweiht gewesen, genügt daher bereits nicht für eine schlüssige Darstellung einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung der Beklagten, weil er von der Klägerin ohne greifbare Anhaltspunkte behauptet wird. Daher hat auch keine diesbezügliche Beweisaufnahme stattzufinden.
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2. Ein Schadensersatzanspruch der Klägerin auf Erstattung des Kaufpreises kann auch weder aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV oder Art. 5 VO 715/2007/EG noch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB hergeleitet werden.
21
2.1 Für die Annahme eines Betrugs gemäß § 263 Abs. 1 StGB fehlt es jedenfalls an der Bereicherungsabsicht und der in diesem Zusammenhang erforderlichen Stoffgleichheit des erstrebten rechtswidrigen Vermögensvorteils mit einem etwaigen Vermögensschaden (s. BGH, Urteil vom 30.07.2020, Az. VI ZR 5/20, Rn. 17 ff.).
22
2.2 Soweit die Klägerin meint, aufgrund des unstreitig verbauten Thermofensters (s. S. 20 der Klageerwiderung) sei ein Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen die Beklagte nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV oder Art. 5 VO 715/2007/EG zu bejahen, ist dem nicht zu folgen, selbst wenn davon auszugehen sein sollte, dass die Beklagte von der Implementierung des Thermofensters gewusst haben sollte. Dies könnte naheliegen, da die Beklagte - ein, wenn nicht der führende europäischer Fahrzeughersteller - vorträgt, ein Thermofenster sei in sämtlichen in den letzten Jahren produzierten Dieselfahrzeugen enthalten gewesen (s. S. 20 der Klageerwiderung).
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Das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, liegt aber nach bisheriger höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht im Aufgabenbereich der §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV und auch nicht im Aufgabenbereich des Art. 5 VO 715/2007/EG (BGH, Urteil v. 25.05.2020 - VI ZR 252/19 - juris Rn. 76 = NJW 2020, 1962; BGH, Urteil v. 30.07.2020 - VI ZR 5/20 -, juris Rn. 12 ff.).
24
Soweit die Klagepartei zu bedenken gibt, dass sich aus den Schlussanträgen des Generalanwalts beim EuGH im Verfahren C-100/21 anderes ergebe, veranlasst dies keine andere Beurteilung. Der Generalanwalt hat unter Tz. 40 und 41 selbst ausgeführt, dass die EG-Verordnung 715/2007 vom 20. Juni 2007 keine Verbindung zwischen dem Kraftfahrzeughersteller und dem individuellen Erwerber eines Fahrzeugs zum Schutz seiner Interessen schafft. Er bejaht dennoch in Verbindung mit Artt. 18, 26 Abs. 1 und 46 der RL 2007/46 vom 5. September 2007 eine drittschützende Wirkung zugunsten der Verbraucher, da es sich bei der Richtlinie im Verhältnis zur Verordnung um den „Basisrechtsakt“ handele. Der Generalanwalt, dessen Rechtsansicht weder gegenüber dem EuGH noch gegenüber den nationalen Gerichten Bindungswirkung entfaltet, ist der Auffassung, dass die RL 2007/46/EG dahin auszulegen sei, dass sie die Mitgliedstaaten verpflichte, vorzusehen, dass ein Erwerber eines Fahrzeugs einen Ersatzanspruch gegen den Fahrzeughersteller hat, wenn dieses Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung gemäß Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 ausgestattet ist; die konkrete Ausgestaltung dieses Ersatzanspruchs sei allerdings Sache der Mitgliedsstaaten (Schlussanträge vom 2. Juni 2022 - C-100/21 Rn. 65)
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Daraus ergibt sich allerdings keine drittschützende Wirkung hinsichtlich der Vermögensinteressen eines Fahrzeugkäufers im Sinne eines deliktischen Schadensersatzanspruchs im Rahmen von § 823 Abs. 2 BGB. Der Senat folgt in diesem Punkt der Entscheidung des OLG Stuttgart (Urteil vom 28.6.2022, 24 U 115/22; ebenso OLG München, Beschluss vom 01.07.2022, 8 U 1671/22, juris - Rn. 36): Generalanwalt Rantos beschäftigt sich mit der Frage, was aus unionsrechtlicher Sicht erforderlich erscheine, wenn man - wie das vorlegende LG Ravensburg - der Auffassung sei, dass das deutsche Recht insgesamt keine ausreichende Handhabe biete, um die Durchsetzung des Unionsrechts gegen die Autohersteller zu gewährleisten (s. Rn. 58 f. der Schlussanträge vom 02.06.2022). Diese Ansicht (des LG Ravensburg) nimmt der Generalanwalt zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen, weil sie die Prämisse der Vorlagefragen war. Dieser Prämisse schließt sich der Senat aber (ebenso wenig wie das OLG Stuttgart in seiner oben genannten Entscheidung) nicht an, da das deutsche Recht durch ein abgestuftes System der gewährleistungsrechtlichen Haftung und etwaiger bußgeldrechtlicher Sanktionierungen bereits hinreichend abschreckende Maßnahmen enthält, um eine hinreichende Beachtung der Richtlinie zur Gewährleistung eines effet utile sicherzustellen. Im Sinne einer nach Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten abgestuften Rechtsfolge erscheint es im System des Gewährleistungsrechts schlüssig und sorgt nicht für eine Gefährdung der hinreichenden Beachtung der Richtlinie, wenn ein - insbesondere losgelöst von etwaigen Nacherfüllungsmöglichkeiten bestehender - Rückabwicklungsanspruch des Endkunden gegen den Hersteller des Motors (aus § 826 BGB) nur im Falle vorsätzlich-sittenwidrigen Verhaltens angenommen wird.
26
3. Eine Aussetzung des hiesigen Berufungsverfahrens analog § 148 ZPO bis zu einer zeitlich nicht abschätzbaren Entscheidung des EuGH in dem genannten Verfahren erscheint dem Senat nicht sachgerecht, zumal die Revision zum Bundesgerichtshof zugelassen worden ist.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 10, 709 Satz 2, 711 ZPO.
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Die Revision zum Bundesgerichtshof wird gemäß §§ 543 Abs. 2 ZPO, § 7 EGZPO im Hinblick auf die Frage eines Anspruchs aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. den Unionsregelungen über die EG-Typgenehmigung bzw. unzulässigen Abschalteinrichtungen zugelassen. gez.