Titel:
Löschungsanspruch für personenbezogene Daten
Normenketten:
PAG Art. 54 Abs. 2 S. 2, Art. 62 Abs. 2
StPO § 170 Abs. 2
Leitsatz:
Bei einem Freispruch im strafgerichtlichen Verfahren ist ein fortbestehender Tatverdacht zu bejahen, wenn der Freispruch nicht wegen erwiesener Unschuld erfolgt, sondern wenn der Tatnachweis nicht mit hinreichender Sicherheit geführt werden kann. Denn der zur weiteren Speicherung personenbezogener Daten ausreichende Tatverdacht bedarf nicht eines für die Anklageerhebung notwendigen hinreichenden Tatverdachts. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe, Löschungsanspruch für personenbezogene Daten, die die Polizei im Rahmen eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens gewonnen hat (Lichtbilder, Fingerabdrücke), Freispruch im Strafurteil, Anwendung des Zweifelsgrundsatzes, Hinreichender weiterer polizeilicher Tatverdacht, bejaht, Unschuldsvermutung
Fundstelle:
BeckRS 2022, 42126
Tenor
Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung wird abgelehnt.
Gründe
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Die Klägerin begehrt die Löschung personenbezogener Daten.
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1. Gegen die Klägerin wurde wegen des Verdachts des Leistungsbetrugs am 28. Mai 2020 im Januar 2021 bei der Staatsanwaltschaft ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren (Az. ...) eingeleitet. Nach dem Abschluss der Ermittlungen wurde gegenüber der Klägerin am 15. Februar 2022 ein Strafbefehl erlassen. Aufgrund des Einspruchs der Klägerin dagegen wurde sie in der Hauptverhandlung vom 4. April 2022 nach der Beweisaufnahme durch das Gericht in Anwendung des Zweifelsgrundsatzes freigesprochen.
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Im Rahmen der strafrechtlichen Ermittlungen wurde die Klägerin erkennungsdienstlich behandelt, es wurden - zur Ermöglichung einer Wahlbildlichtvorlage mit einer aktuellen Aufnahme - Lichtbilder der Klägerin gefertigt.
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Mit Schreiben vom 4. April 2022 beantragte der Bevollmächtigte der Klägerin beim Bayerischen Landeskriminalamt die Löschung sämtlicher aufgrund des Ermittlungsverfahrens gegen die Klägerin gefertigten erkennungsdienstlichen Unterlagen bei allen befassten Polizeidienststellen. Im Rahmen des genannten strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens seien bei der Klägerin erkennungsdienstliche Maßnahmen vorgenommen worden, insbesondere seien Lichtbilder gefertigt und Fingerabdrücke der Klägerin genommen worden. Die Klägerin sei im anschließenden Strafverfahren mit Urteil des Amtsgerichts ... vom 4. April 2022 vom Tatvorwurf des Betrugs aus tatsächlichen Gründen freigesprochen worden. Vor diesem Hintergrund sei die weitere Aufbewahrung der gefertigten erkennungsdienstlichen Unterlagen unzulässig.
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Mit Bescheid vom 20. Mai 2022 lehnte das Bayerische Landeskriminalamt den Antrag auf Löschung der personenbezogenen Daten zur Person der Klägerin ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die weitere Speicherung aus präventivpolizeilicher Sicht erforderlich und geeignet sei. Der Freispruch aufgrund der Anwendung des Zweifelsgrundsatzes habe den polizeilichen Restverdacht nicht entfallen lassen.
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2. Gegen diesen Bescheid ließ die Klägerin am 21. Juni 2022 fristgerecht Klage erheben.
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Zur Begründung ist vorgetragen, dass der Freispruch auf den Angaben des Tatzeugen, dass er die Klägerin nur mit einer 60%igen Sicherheit als Täterin wiedererkenne, beruhe. Diese Angaben habe der Tatrichter zu bewerten gehabt, er sei auf dieser Grundlage zum Freispruch der Klägerin gelangt. Damit sei gerichtlich der Freispruch nicht nur auf der Grundlage des Zweifelsgrundsatzes ergangen. Vielmehr habe der Tatrichter in seine Entscheidung auch einstellen müssen, dass der Tatzeuge eine offensichtlich unzutreffende Täterbeschreibung der Klägerin abgegeben habe. Der Tatzeuge habe angegeben, dass die Täterin etwa 1,70 m groß gewesen sei, die Klägerin habe aber nur eine Körpergröße von 1,51 m. Auch den Dialekt der Klägerin habe der Tatzeuge unzutreffend angegeben.
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Die Klägerin lässt beantragen,
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den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 20. Mai 2022 zu verpflichten, die von der Klägerin gefertigten erkennungsdienstlichen Unterlagen zu vernichten und die über sie gespeicherten personenbezogenen Daten zu löschen.
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Der Beklagte beantragt,
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Die zulässig erhobene Klage bleibe erfolglos. Auch nach dem Freispruch der Klägerin aufgrund der Hauptverhandlung vom 4. April 2022 bestehe ein polizeilicher Restverdacht. Dieser ergebe sich zum einen aus der Aussage des Tatzeugen, der die Klägerin bei einer Wahlbildlichtvorlage mit einer 60%igen Wahrscheinlichkeit als Täterin wiedererkannt habe. Dies sei aufgrund des Zeitablaufs eine hohe Übereinstimmung. Das Fahrzeug, mit dem der Täter vor Ort gewesen sei, enthalte auf dem Autokennzeichen die Initialen des Namens der Klägerin und die Ziffernkombination deren Geburtsdatum. Auch ergebe sich aus dem vom Zeugen geschilderten Tatablauf und den weiteren polizeilichen Ermittlungen (beschlagnahmte Flyer, Quittungsblöcke und Chatverläufe) eine erhebliche Nähe der Klägerin zum Tatmetier, dem Angebot ungeeigneter Reinigungsmaßnahmen gegenüber Hausbesitzern. Unter Berücksichtigung dieser Beweisindizien bestehe der polizeiliche Restverdacht weiter.
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Für das Klageverfahren ist unter Vorlage der notwendigen Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse die Gewährung von Prozesskostenhilfe beantragt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Behördenakte des Beklagten Bezug genommen. Zum Verfahren beigezogen wurde auch die Strafakte des Verfahrens ....
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Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe war abzulehnen, da es an den hinreichenden Erfolgsaussichten für die Klage fehlt.
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1. Gemäß § 166 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) i.V.m. § 114 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Hinreichende Erfolgsaussicht ist etwa dann gegeben, wenn schwierige Rechtsfragen zu entscheiden sind, die im Hauptsacheverfahren geklärt werden müssen. Auch wenn eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht kommt und keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass diese mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Mittellosen ausgehen wird, ist vorab Prozesskostenhilfe zu gewähren (vgl. BVerfG, B.v. 14.4.2003 - 1 BvR 1998/02 - NJW 2003, 2976). Insgesamt dürfen die Anforderungen an die Erfolgsaussichten eines gerichtlichen Verfahrens nicht überspannt werden, eine gewisse Wahrscheinlichkeit des Erfolges genügt (Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 166 Rn. 26). Die Beiordnung eines Rechtsanwalts ist im Verfahren ohne Vertretungszwang immer geboten, wenn es in einem Rechtsstreit um nicht einfach zu überschauende Tat- und Rechtsfragen geht (Eyermann/Happ, a.a.O., Rn. 38).
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2. Die Klage bleibt voraussichtlich erfolglos. Die Klägerin kann keinen Anspruch auf die Löschung der im Rahmen des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens gewonnenen erkennungsdienstlichen Unterlagen geltend machen, die weitere Speicherung der Unterlagen ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5, Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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a) Nach Art. 54 Abs. 2 Satz 1 PAG kann die Polizei personenbezogene Daten, die sie im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen gewonnen hat, in Kriminalakten (vgl. zur Abgrenzung: Schmidbauer in Schmidbauer/Steiner, PAG/POG, 5. Aufl. 2020, Art. 54 PAG Rn. 17 ff.) speichern, soweit dies zur Gefahrenabwehr, insbesondere zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten erforderlich ist. Entfällt der der Speicherung zugrunde liegende Verdacht, sind die Daten unverzüglich zu löschen (Art. 54 Abs. 2 Satz 2 PAG).
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Soweit es um die Geltendmachung der Löschung personenbezogener Daten, die nicht Bestandteil der Kriminalakten geworden sind, geht, enthält Art. 62 Abs. 2 PAG eine entsprechende Regelung, die für die Speicherung bzw. den Anspruch auf die Löschung von Daten in Dateien, die keine Kriminalakten sind, gilt (Schmidbauer in Schmidbauer/Steiner, PAG/POG, Art. 54 PAG Rn. 32).
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Vorliegend hat die Polizei im Rahmen der strafrechtlichen Ermittlungen im Zusammenhang mit dem der Klägerin vorgeworfenen Leistungsbetrug vom 28. Mai 2020 personenbezogene Daten (Lichtbilder, Fingerabdrücke und Personenbeschreibung der Klägerin) gewonnen. Ob diese Daten nur im Kriminalaktennachweis der Polizei oder auch in sonstigen polizeilichen Dateien gespeichert sind, ist aus dem Akteninhalt nicht erkennbar. Darauf kommt es allerdings auch nicht an, da in beiden Fällen der von der Klägerin geltend gemachte Löschungsanspruch sowohl aus Art. 54 Abs. 2 Satz 2 PAG als auch aus Art. 62 Abs. 2 PAG am gleichen Maßstab zu messen ist.
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b) Personenbezogene Daten sind unverzüglich zu löschen, wenn der der Speicherung zugrunde liegende Verdacht entfallen ist (Art. 54 Abs. 2 Satz 2 PAG) bzw. deren Erhebung unzulässig war (Art. 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 PAG). Diese tatbestandlichen Voraussetzungen des Löschungsanspruchs sind nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes erfüllt, „wenn kein Straftatbestand erfüllt ist, der Betroffene nicht als Täter in Betracht kommt oder ihm ein Rechtsfertigungsgrund zur Seite steht“ (BayVGH, B.v. 30.1.2020 - 10 C 20.10 - juris Rn. 8; stRspr.; Schmidbauer in Schmidbauer/Steiner, PAG/POG, Art. 54 PAG Rn. 33).
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Für die - wie vorliegend - Fälle des Freispruchs im strafgerichtlichen Verfahren ist ein fortbestehender Tatverdacht dann zu bejahen, wenn der Freispruch nicht wegen erwiesener Unschuld erfolgt, sondern wenn der Tatnachweis (vor Gericht) nicht mit hinreichender Sicherheit geführt werden kann (für die Einstellung des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens nach § 170 Abs. 2 StPO: BayVGH, B.v. 30.1.2020 a.a.O. Rn. 8). Denn der zur weiteren Speicherung ausreichende Tatverdacht bedarf nicht eines für die Anklageerhebung (bzw. Verurteilung) notwendigen hinreichenden Tatverdachts i.S.d. § 203 StPO (BayVGH, B.v. 30.1.2020 a.a.O. Rn. 8; Schmidbauer in Schmidbauer/Steiner, PAG/POG, Art. 54 PAG Rn. 34). Auch im Falle des gerichtlichen Freispruchs kann somit der polizeiliche Restverdacht weiterbestehen (Aulehner in Möstl/Schwabenbauer, BeckOK Polizei- und Sicherheitsrecht, Stand 1.10.2022, Art. 54 Rn. 32).
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In Anwendung dieser Grundsätze hat der Beklagte den von der Klägerin verfolgten Löschungsanspruch zu Recht abgelehnt.
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Der Freispruch der Klägerin im Strafverfahren durch das Urteil des Amtsgerichts erfolgte in Anwendung des Zweifelsgrundsatzes, d.h. die Beweislage war für das Strafgericht nicht ausreichend für eine Verurteilung. Zwar ging das Strafgericht davon aus, dass der als Zeuge vernommene Sohn der Geschädigten als Tatzeuge die Klägerin mit einer 60%igen Sicherheit als Täterin wiedererkannt hat. Diese überwiegende Wahrscheinlichkeit hat dem Strafgericht jedoch - auch unter Berücksichtigung der sonstigen Beweismittel - für einen Tatnachweis, auf den die strafrechtliche Verurteilung gestützt wird, nicht ausgereicht.
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Damit bestehen für die polizeiliche Bewertung jedoch hinreichende Anhaltspunkte für einen fortbestehenden Tatverdacht, der gerade nicht im Sinne eines strafrechtlichen Tatnachweises vorliegen muss, sondern der nach konkreter Bewertung der polizeilichen Erkenntnisse im Einzelfall die Möglichkeit der Täterschaft der Klägerin begründet. Dieser dadurch begründete „Restverdacht“ i.S.d. Rechtsprechung (BayVGH, B.v. 30.1.2020 - 10 C 20.10 - juris Rn. 8; Aulehner in Möstl/Schwabenbauer, BeckOK Polizei- und Sicherheitsrecht, Art. 54 Rn. 31) rechtfertigt die weitere Datenspeicherung der im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren erhobenen personenbezogenen Daten.
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Weiter hat der Beklagte in der Klageerwiderung vom 3. August 2022 auf die im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren festgestellten weiteren Umstände des Tatablaufs hingewiesen, aus denen sich im konkreten Einzelfall weitere Anhaltspunkte für die Begründung des fortbestehenden Tatverdachts der Polizei ergeben. Auch wenn die Angaben zur Nutzung des Fahrzeugs, dessen Kennzeichen die Initialen und das Geburtsdatum der Klägerin „spiegeln“, und der in diesem Fahrzeug gefundenen Quittungsblöcke etc. für einen Tatnachweis im strafrechtlichen Sinn nicht ausreichen (vgl. dazu S. 2 des Urteils des AG Landsberg vom 4.4.2022, Bl. 134 der Strafakte), sind im konkreten Einzelfall vom Beklagten hinreichende Anhaltspunkte für den fortbestehenden Tatverdacht benannt und dargelegt.
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Diese polizeiliche Bewertung und die darauf gestützte Bejahung eines weiter bestehenden Tatverdachts verletzt auch nicht das Gebot der Unschuldsvermutung. Die weitere Speicherung der im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren gewonnenen personenbezogenen Daten zur Verhütung oder Verfolgung künftiger Straftaten ist mit der aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Unschuldsvermutung vereinbar (im Einzelnen: BVerfG (Kammer), B.v. 16.5.2002 - 1 BvR 2257/01 - NJW 2002, 3231 f). Im Einzelnen hat der Beklagte im gerichtlichen Verfahren dargelegt, aufgrund welcher Umstände des konkreten Einzelfalls unter Berücksichtigung der rechtlichen Würdigung durch das Strafgericht die Polizei von einem weiter bestehenden Tatverdacht ausgeht.
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3. Aufgrund der fehlenden Erfolgsaussichten der Klage war somit der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung abzulehnen.