Inhalt

VG Augsburg, Urteil v. 17.11.2022 – Au 2 K 20.2512 , Au 2 K 20.2513
Titel:

Wegen überhöhter Ausgleichsrücklage rechtswidriger Kammerbeitrag 

Normenkette:
I.G § 3
Leitsätze:
1. Die Heranziehung zu Kammerbeiträgen ist rechtmäßig, wenn die Feststellung des Mittelbedarfs der Industrie- und Handelskammer im Wirtschaftsplan den an sie zu stellenden Anforderungen genügt, der Mittelbedarf in rechtmäßiger Weise durch eine Beitragsordnung auf die Kammerzugehörigen umgelegt wird und diese Beitragsordnung im Einzelfall ohne Rechtsfehler zur Anwendung gebracht wurde. (Rn. 52) (redaktioneller Leitsatz)
2. Im Wirtschaftsplan ist auf der Grundlage der in dem kommenden Geschäftsjahr beabsichtigten Tätigkeiten der Kammer unter Berücksichtigung der zu erwartenden Einnahmen und Ausgaben der voraussichtlich durch Beiträge zu deckende Bedarf zu prognostizieren. Es gelten dabei die Grundsätze der Vorherigkeit, der Jährlichkeit, der Vollständigkeit und der Haushaltswahrheit. (Rn. 53) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Kammern sind zu sparsamen Finanzgebarung sowie zur pfleglichen Behandlung der Leistungsfähigkeit der Kammerzugehörigen verpflichtet. Vermögen zu bilden, ist den Kammern verboten. Jeder Bedarfsansatz muss daher von einem sachlichen Zweck im Rahmen zulässiger Kammertätigkeit getragen werden und auch der Höhe nach von diesem gedeckt sein. (Rn. 56) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die Kammern sind an das Gebot der Haushaltswahrheit gebunden, aus dem in Ansehung von anzustellenden Prognosen das Gebot der Schätzgenauigkeit folgt. Danach müssen Mittelbedarfs- und Einnahmeprognosen aus der maßgeblichen ex-ante-Sicht sachgerecht ausfallen. (Rn. 56) (redaktioneller Leitsatz)
5. Ein Kammerbeitrag ist rechtswidrig, wenn die in den Wirtschaftsplan eingestellte Ausgleichsrücklage den Gestaltungsspielraum der Kammer überschreitet, weil der Mittelansatz zur Absicherung des Risikos von Beitragsausfällen nicht auf einer soliden Prognose beruht, sondern "gegriffen" ist und damit das Gebot der Schätzgenauigkeit verletzt. (Rn. 60 – 63) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Kammerrecht, I.-Beitrag, Wirtschaftsplan, Rücklagenbildung, unzulässige Vermögenakkumulation, Anforderungen an die ex-ante-Prognose des Mittelbedarfs, Prinzip der Jährlichkeit, Grundsatz der Haushaltswahrheit, Anforderungen an die Schätzgenauigkeit, nachträgliche Änderung von Bilanzen, Nachholung der Prognose für den Mittelbedarf auf der Grundlage einer ex-post-Betrachtung
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 02.12.2024 – 21 ZB 23.164
Fundstelle:
BeckRS 2022, 42124

Tenor

I. Der Bescheid der Beklagten vom 29. Oktober 2020 wird aufgehoben soweit damit gegenüber der Klägerin I.-Beiträge für die Veranlagungszeiträume 2018 und 2019 festgesetzt wurden.
II. Die Beklagte hat die Kosten der Verfahren zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Die Klägerin, Kammerzugehörige der Beklagten, wendet sich gegen die Heranziehung zu I.-Beiträgen für die Jahre 2019 (Vorauszahlung - Au 2 K 20.2512) und 2018 (Abrechnung - Au 2 K 20.2513).
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Sie wurde mit Bescheid der Beklagten vom 29. Oktober 2020 u.a. zu einer Vorauszahlung auf den I.-Beitrag für das Veranlagungsjahr 2019 in Höhe von 140,00 EUR sowie für das Veranlagungsjahr 2018 zu einem I.-Beitrag (Abrechnung) von ebenfalls 140,00 EUR herangezogen.
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Am 25. November 2020 erhob die Klägerin mit Schreiben vom 20. November 2020 hiergegen Klagen jeweils mit dem Antrag,
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den Bescheid vom 29. Oktober 2020 aufzuheben.
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Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die pauschale Festlegung von Rücklagen ohne konkrete jährliche Risikoabschätzung unzulässig sei. Rücklagen, die in dieser Form gebildet würden, seien als anderweitige Mittel vor einer Beitragsveranlagung dem Haushalt zuzuführen. Daher liege bei der Beklagten eine rechtswidrige Vermögensbildung vor. Es werde im Übrigen beantragt, das Ruhen des Verfahrens anzuordnen bis zur Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs in dem Berufungsverfahren 22 B 17.475.
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Die Beklagte wandte sich mit Schreiben vom 4. Dezember 2020 gegen die Klagebegehren. Für sie ist beantragt,
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die Klagen abzuweisen.
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Es bestehe Einverständnis mit dem von der Klägerin beantragten Ruhen der Verfahren. Eine weitergehende Stellungnahme bleibe vorbehalten.
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Das daraufhin mit Beschluss vom 7. Dezember 2020 angeordnete Ruhen der Verfahren wurde auf Antrag der Klägerin im Schreiben vom 1. Februar 2021 und deren weiterer Äußerung hierzu im Schreiben vom 4. März 2021 durch Beschluss des Gerichts vom 16. April 2021 wieder aufgehoben.
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Mit Schreiben der Beklagten vom 29. November 2021 wurden die geänderten und durch die Rechnungsprüfungsstelle der I. geprüften Jahresabschlüsse der Jahre 2007 bis 2019 sowie die geänderte Eröffnungsbilanz 2007 vorgelegt. Die Vollversammlung habe die Änderung der Bilanzierung der jeweiligen Eigenkapitalpositionen aufgrund der Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. Januar 2020 beschlossen. Dadurch hätten sich Änderungen in der Bilanz bei der Nettoposition, bei der Ausgleichsrücklage, bei den anderen Rücklagen und beim Bilanzgewinn ergeben. Ebenso hätten sich die Positionen Entnahmen aus der Ausgleichsrücklage, Einstellungen in die Ausgleichsrücklage, Einstellungen in andere Rücklagen und Bilanzgewinn in der Gewinn- und Verlustrechnung geändert. Die genannten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts hätten den rechtlichen Rahmen für die Bildung von Ausgleichsrücklagen weiter konkretisiert. Bei der Erstellung der Eröffnungsbilanz 2007 sei nach dem damals gültigen Finanzstatut vom 30. Mai 2006 die Ausgleichsrücklage als Pflichtrücklage zu bilden gewesen, deren Höhe in der Spanne von 30 bis 50% der Summe der Betriebsaufwendungen habe liegen müssen. Durch die nun notwendige Reduzierung der Ausgleichsrücklage sei die Nettoposition in der Eröffnungsbilanz höher anzusetzen gewesen. Infolge der Änderung der Eröffnungsbilanz seien auch alle Jahresabschlüsse ab 2007, dem Zeitpunkt der Umstellung von der kameralistischen auf die doppische Buchführung, anzupassen gewesen. In den Bilanzen sei dabei materiell eine Umstrukturierung innerhalb des Eigenkapitals erfolgt. In den Gewinn- und Verlustrechnungen hätten die Anpassungen die Entnahmen aus und die Einstellungen in Rücklagen betroffen. Außerhalb des Eigenkapitals seien keine Veränderungen an den Bilanzen vorgenommen worden.
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Mit Schreiben der Beklagten vom 20. Dezember 2021 wurden die eingereichten Unterlagen ergänzt (Beschlussfassung der Vollversammlung vom 3. Dezember 2020 zur Umstrukturierung Eigenkapital 2007 bis 2019).
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Die Klägerin führte mit Schreiben vom 27. Januar 2022 zur weiteren Begründung der Klagen im Wesentlichen aus, dass die Nettoposition bei der Erstellung der Eröffnungsbilanz als Saldogröße aus den gesamten Aktiva abzüglich der Schulden, Rückstellungen und passiven Rechnungsabgrenzungsposten zu berechnen sei. Im Ergebnis handle es sich danach um eine in der Regel unveränderliche Residualgröße. In den nun vorgelegten Unterlagen fehlten jegliche rechnerisch nachvollziehbaren Zahlen zur Ermittlung der Nettoposition. Hinsichtlich der Eröffnungsbilanz sei die Rede davon, dass die Nettoposition ursprünglich auf 6,0 Mio. EUR festgesetzt gewesen sei und nach der Korrektur nunmehr 11,0 Mio. EUR betrage. Daher dränge sich der Eindruck auf, dass die Beklagte die Nettoposition nicht nach den Grundsätzen des staatlichen Haushaltsrechts berechnet, sondern pauschal „ins Blaue hinein“ dotiert habe, obwohl die Differenz 5 Mio. EUR betrage.
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Es bestünden zudem erhebliche Zweifel, ob die von der Vollversammlung der Beklagten beschlossenen Bilanzänderungen formal überhaupt wirksam seien, da nach der herrschenden Meinung Bilanzänderungen nur möglich seien soweit nicht Rechte Dritter oder die Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung verletzt würden. Für Kapitalgesellschaften werde eine Bilanzänderung nur bei Vorliegen wichtiger wirtschaftlicher Gründe für zulässig gehalten. Gemäß § 3 Abs. 7a I.G sei die Beklagte verpflichtet, nach den Grundsätzen des Handelsgesetzbuchs (HGB) zu bilanzieren. Dass hier wichtige wirtschaftliche Gründe die Änderung der Bilanzen erforderlich hätten werden lassen, sei nicht ersichtlich, zumal die Beklagte erkläre, dass die Änderungen notwendig geworden seien, um der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. Januar 2020 nachzukommen. Zudem gelte nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, dass es bei einer Bilanzänderung unzulässig sei, die Erkenntnisse einer Rechtsprechung zu berücksichtigen, die erst nach dem betreffenden Wirtschaftsjahr erfolgt sei. Die Beklagte habe bei den Veränderungen der Bilanzen die gesamte Eigenkapitalstruktur verändert, ohne die Eigenkapitaldotierung selbst zu verändern. Es handle sich vorliegend also ausschließlich um nachträgliche fiktive Umbuchungen. Ganz offenkundig habe sie dabei ex-post erstellte Risikobetrachtungen angestellt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gelte aber, dass es für eine zulässige Rücklagenbildung einer ex-ante vorgenommenen Risikobetrachtung bedarf. Zwar entspreche es der prozessualen Verpflichtung des erkennenden Gerichts „alle Erwägungen der Beklagten zugrunde zu legen, die sie zu den im Zeitpunkt des Beschlusses ihrer Vollversammlung über den betreffenden Wirtschaftsplan vorliegenden Tatsachen bis zum Schluss der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung prozessordnungsgemäß vorgebracht hat.“ Dies beziehe sich aber ausdrücklich auf die „zu den im Zeitpunkt des Beschlusses ihrer Vollversammlung über den betreffenden Wirtschaftsplan vorliegenden Tatsachen“. Jahre später überhaupt erstmalig eine Risikoabschätzung vorzunehmen, könne die Rücklagendotierung im Sinne einer rückwirkenden Heilung nicht rechtfertigen. Von wesentlicher Bedeutung sei es auch, dass die Vollversammlung die Mittelbedarfsfeststellung - inklusive der Rücklagendotierung - nur im Wissen um die damals festgestellten Bilanzen (Tatsachen) habe treffen können. Wenn also beispielsweise im Jahr 2020 ex-post eine Finanzierungsrücklage rechtfertigend eingebracht werde, dann könne diese auf keinen Fall in den Jahren zuvor Grundlage der Mittelbedarfsfeststellung und daraus folgend der Beitragserhebung gewesen seien. Im vorliegenden Fall gehe es zwar nicht um geänderte Wirtschaftspläne, sondern um geänderte Bilanzen. Tatsächlich aber hätten die jeweiligen Vollversammlungen der Beklagten die Wirtschaftspläne, die der Beitragsveranlagung zugrunde lagen, auf der Grundlage der damals festgestellten Jahresabschlüsse beschlossen. Die damals für jeden Wirtschaftsplan zugrunde gelegte Mittelbedarfsfeststellung habe sich also an der damaligen in den Bilanzen ausgewiesenen Rücklagenbildung orientiert. Dafür, dass eine - wie sich die Beklagte nun offenkundig erhofft - veränderte Mittelbedarfsfeststellung ohne Änderung der Wirtschaftspläne zur Grundlage der gerichtlichen Überprüfung einer Beitragsfestsetzung werden könne, gebe es keine Rechtsgrundlage. Im Gegenteil ergebe sich aus dem rechtlichen Grundsatz der Jährlichkeit der Wirtschafts- und Haushaltsplanung die Unzulässigkeit von Veränderungen eines Wirtschaftsplans nach Abschluss des Wirtschaftsjahres sowie die Verpflichtung zu einer sachgerechten Anwendung des Gebots der Schätzgenauigkeit, bei der die bestmöglichsten und die nächstliegendsten Informationsquellen zu nutzen seien und das auf den im Zeitpunkt der Beschlussfassung bekannten Tatsachen gründe. Die Beschlussvorlagen und Protokolle der Vollversammlung der Beklagten belegten bis in das Jahr 2016 hinein den vollständigen Ausfall jeder sachgerechten Bedarfsabschätzung. Mit den geänderten Bilanzen solle jetzt vorgetäuscht werden, dass die Beklagte solche Bedarfsabschätzungen schon ab der Aufstellung der Eröffnungsbilanz vorgenommen habe. Zu dem Manöver der Beklagten gehöre es auch, Rücklagen, die ursprünglich gebildet worden seien, nunmehr verschwinden zu lassen und Rücklagen, die es früher tatsächlich nicht gegeben habe, nun plötzlich auszuweisen. Beispielhaft seien hier die Liquiditätsrücklage, die Pensionszinsausgleichsrücklage und die Finanzierungsrücklage zu nennen. Zudem seien für diese Vorgehensweise auch diverse Fonds benutzt worden.
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In den nun vorgelegten Bilanzen tauche die Liquiditätsrücklage nur ein einziges Mal auf. In der Eröffnungsbilanz sei ihr Bestand mit 0 EUR ausgewiesen. Danach werde diese Rücklage in den Bilanzen nicht mehr erwähnt. Tatsächlich ergebe sich aber aus dem Lagebericht der Bilanz zum 31. Dezember 2011 in der Originalfassung, dass dort „in den anderen Rücklagen (…) neben der Liquiditätsrücklage ausschließlich zweckgebundene Rücklagen (…) enthalten“ seien. In den Unterlagen der Beklagten finde sich auch der Hinweis, dass es im Jahr 2010 eine solche Rücklage gegeben habe (Beschlussvorlage für die Vollversammlung vom 3. Dezember 2020, Seite 3). Damit habe es also mindestens in den Jahren 2010 und 2011 eine Liquiditätsrücklage gegeben. Andererseits tauchten die Pensionszinsausgleichsrücklage und die Finanzierungsrücklage erstmals in der nun korrigierten Bilanz zum 31. Dezember 2007 auf. Die vorgenommenen Umschichtungen stellten offenkundig einen Verstoß gegen den haushaltsrechtlichen Grundsatz der Jährlichkeit dar. Denn bei den nun nachträglich vorgenommenen Bilanzänderungen habe die Beklagte ersichtlich überhaupt keine Rücksicht mehr darauf genommen, in welchen Wirtschaftsjahren die Beiträge zur Deckung der durch den jeweiligen unveränderten Wirtschaftsplan bezeichneten Kosten aufgebracht worden seien. Stattdessen würden die rechtswidrig eingenommenen und einbehaltenen Beiträge willkürlich über viele Jahre durch die alten wie neuen Bilanzen „geschleppt“, um mal diesem oder jedem Zweck zugeordnet zu werden. Grundsätzlich sei die Planung von Überschüssen zum Zwecke einer geordneten und gerechtfertigten Rücklagenbildung zulässig. Das könne unter Beachtung des Kostendeckungsprinzips und des haushaltsrechtlichen Annuitätsgrundsatzes aber nur gelten, soweit eine solche Rücklagenbildung mit der Aufstellung des jeweiligen Wirtschaftsplans beschlossen und damit Ausdruck einer geplanten und ordentlichen Wirtschaftsführung geworden sei. Notwendig sei es hier, sich auf die ex-ante-Sicht der Dinge zu beschränken. Damit verbunden sei dann die Erkenntnis, dass die von der Beklagten vorgelegten geänderten Bilanzen ohne Relevanz für die vorliegenden Verfahren sei. Dies gelte erst recht dann, wenn sich die Eigenkapitalsituation unter dem Strich überhaupt nicht geändert habe.
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Die nunmehr festgesetzte Nettoposition sei willkürlich gegriffen und sei auch in der Höhe auf keinen Fall gerechtfertigt. Denn die Eigenkapitalbildung, ob bei der Nettoposition oder in den Rücklagen, sei nur zum Zwecke der Aufgabenerfüllung zulässig. Unbestritten sei die Beklagte in der Lage gewesen, ihre Aufgaben zwischen 2007 und 2012 zu erfüllen. In diesen Jahren sei die Nettoposition mit 6 Mio. EUR offenkundig ausreichend dotiert gewesen. Nach der Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts, die durch das Bundesverwaltungsgericht bestätigt worden sei, sei eine rückwirkende Anhebung der Nettoposition, wie hier praktiziert, nicht zulässig. Auch die nun mit der Aufstellung einer geänderten Bilanz zum 31. Dezember 2017 vorgenommene Veränderung der Nettoposition sei - für sich genommen - als rechtswidrig anzusehen, da sich der Wert des unbeweglichen Vermögens zum gleichen Stichtag nicht wesentlich geändert habe. Begründet werde die Anhebung mit der Errichtung des Prüfungscenters. Tatsächlich aber habe sich der Wert des unbeweglichen Sachanlagevermögens sogar geringfügig vermindert. Die Bilanzen der Beklagten belegten, dass sich der Wert des unbeweglichen Vermögens seit der Eröffnungsbilanz kaum geändert habe. Die Investition in das Prüfungscenter sei zwar als zulässige Maßnahme im Sinne der Aufgabenerfüllung anzusehen, daraus folge aber nicht, dass damit auch die Rechtfertigung zu einer entsprechenden Anhebung der Nettoposition gegeben sei. Dies wäre nur dann zulässig gewesen, wenn zum gleichen Bilanzstichtag auch eine vergleichbare Veränderung des Werts des unbeweglichen Sachanlagevermögens bilanziert worden wäre. Dies sei jedoch nicht der Fall. Die Anpassung bzw. Erhöhung der Nettoposition zum 31. Dezember 2017 sei völlig losgelöst davon erfolgt, indem die weitere Passivierung aus den immer noch in den Rücklagen vorhandenen erheblichen Mitteln erfolgt sei. Für diese Praxis gelte, dass die Erhöhung der Nettoposition nicht im Zusammenhang mit einer legitimen Aufgabenerfüllung - hier der Investition in das Prüfungscenter - erfolgt sei. Indem die Beklagte die Erhöhung der Nettoposition nach Abschluss der Maßnahmen und nach der bereits erfolgten Bilanzierung unter Berücksichtigung dieser Investition beim Wert der unbeweglichen Sachanlagen vorgenommen habe, habe sie dies nicht in zulässiger Weise und im Rahmen einer legitimen Aufgabenerfüllung getan.
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Darüber hinaus habe die Beklagte zur Mittelherkunft für die Anhebung der Nettoposition in anderen Verfahren Abweichendes vorgetragen. Die Regeln des staatlichen Haushaltsrechts seien dadurch missachtet worden, dass die Beklagte im Zuge der Erstellung der geänderten Bilanzen einfach die unzulässige Überdotierung der Ausgleichsrücklage der Nettoposition zuschlage. Eine sachliche Begründung für die höhere Dotierung sei nicht ersichtlich, da die Beklagte in der Lage gewesen sei, ihre Aufgaben in den Jahren 2007 bis 2012 ohne weiteres zu erfüllen. Andererseits sei die Ausgleichsrücklage aber offenkundig überdotiert gewesen. Die Konsequenz könne dann nur in der Rückerstattung der Mittel liegen. Im Ergebnis sei festzuhalten, dass die Berechnung der Dotierung der Nettoposition sowohl in der alten wie in der neuen Bilanzierung intransparent sei, dass es für eine höhere Dotierung der Nettoposition mit der Aufstellung einer korrigierten Eröffnungsbilanz an einem sachlichen Grund fehle und dass es auch für die mit der Aufstellung der korrigierten Bilanz zum 31. Dezember 2017 vorgenommenen Erhöhung an einer sachlichen Rechtfertigung fehle.
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Bei der Dotierung der Ausgleichsrücklage gehe die Beklagte zu Unrecht davon aus, dass sich die rechtlichen Vorgaben aufgrund der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts mehrfach geändert und teilweise ins Gegenteil verkehrt hätten. Es gebe keine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, die die Bildung der Ausgleichsrücklage in Frage stelle. Bei der Aufstellung der Wirtschaftspläne, die unstrittig nicht geändert werden könnten, komme im Hinblick auf die durch die Beiträge der I.-Mitglieder zu deckenden Kosten nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts der Mittelbedarfsfeststellung eine entscheidende Rolle zu. Von wesentlicher Bedeutung sei vorliegend, dass die jeweiligen Vollversammlungen der Beklagten bei der Aufstellung der Wirtschaftspläne in der ex-ante-Sicht um die jeweilige Dotierung der Ausgleichsrücklage gewusst und diese schlicht nicht ganz oder teilweise zur Deckung der Kosten herangezogen hätten bevor der voraussichtliche Finanzbedarf, der über die Beitragserhebung auf die Kammerzugehörigen umgelegt werden müsse, bestimmt worden sei. Zum Zeitpunkt der Aufstellung der Wirtschaftspläne sei die Ausgleichsrücklage so dotiert gewesen, wie sie dotiert war. Soweit die Beklagte mit den Beschlüssen vom 3. Dezember 2020 die Tatsachen zu verändern suche, ändere sich an der zur beurteilenden Rechtsgrundlage und den Tatsachen, die den damaligen Entscheidungen zugrunde gelegen hätten, aber nichts. Zu den unveränderlichen Tatsachen gehöre dabei, dass es die Beklagte zum Zeitpunkt der Aufstellung der Wirtschaftspläne versäumt habe, entsprechend der auch damals bereits geltenden Rechtslage die Rücklagen in sachgerechter Anwendung des Gebots der Schätzgenauigkeit zu quantifizieren.
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Die Prüfung der vorgelegten Unterlagen belege weiter, dass die vorgenommenen Dotierungen selbst nach den ex-post fabrizierten Risikoerwägungen rechtswidrig seien, weil die Beklagte den jeweiligen Deckungsgrad willkürlich bestimmt habe. Nirgendwo sei ersichtlich, dass die vorgenommene unterschiedliche Bestimmung des Deckungsgrads Ausdruck einer vorgenommenen Risikoabschätzung gewesen sei. Für die massiv schwankende Höhe des Deckungsgrads gebe es in den Unterlagen keinerlei Rechtfertigung oder Begründung. Damit erweise sich die gesamte Risikoabschätzung als willkürlich konstruiert. Es fehle an einer sachgerechten Abschätzung dazu wie bzw. in welcher Höhe die identifizierten Risiken abzusichern seien. Da im vorliegenden Fall die Wirtschaftsjahre nicht weitgehend, sondern vollständig abgelaufen gewesen seien, habe die Beklagte auf ihre Ist-Daten zurückgreifen können, die ihr verbindlich Auskunft darüber geben konnten, dass es der jeweiligen - der Höhe nach völlig willkürlichen - Rücklagendotierung nicht mehr bedürft habe. Auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sei aber jedenfalls die Bestimmung der Höhe der Ausgleichsrücklage rechtswidrig gewesen. Denn die Bedarfsabschätzung genüge angesichts vollständig abgeschlossener Wirtschaftsjahre nicht den Vorgaben der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, aus denen sich ergebe, ex-ante die bestmöglichen Informationsquellen zu nutzen. Zusammenfassend lasse sich feststellen, dass die korrigierten Bilanzen der Jahre 2007 bis 2019 hinsichtlich der Beurteilung in den vorliegenden Verfahren bedeutungslos seien, weil damit neue Tatsachen geschaffen worden seien. Da es nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aber auf die Tatsachen ankomme, die im Zeitpunkt der Beschlussfassung über die Wirtschaftspläne bekannt gewesen seien, gehe der Versuch der Beklagten einer rückwirkenden Heilung ins Leere. Darüber hinaus würden die zahlreichen Ungereimtheiten, die willkürliche Rücklagendotierung und die Verletzung des haushaltsrechtlichen Grundsatzes der jährlichen Beschlussfassung dazu führen, dass die Mittelbedarfsfeststellungen selbst vor dem Hintergrund der korrigierten Bilanzen immer noch als rechtswidrig einzustufen seien.
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Zu den anderen Rücklagen sei festzustellen, dass die vorgenommenen Umschichtungen offenkundig einen Verstoß gegen den haushaltsrechtlichen Grundsatz der jährlichen Betrachtungsweise darstellten. Denn bei den nachträglich vorgenommenen Bilanzänderungen habe die Beklagte ersichtlich keine Rücksicht mehr darauf genommen, in welchen Wirtschaftsjahren die Beiträge zur Deckung der durch den jeweiligen unveränderten Wirtschaftsplan bezeichneten Kosten aufgebracht worden seien. Stattdessen seien die rechtswidrig eingenommenen und einbehaltenen Beiträge mal diesem oder mal jenem Zweck zugeordnet worden. Vor allem sei die Begründung für die Rücklagenbildung viel zu unkonkret. Dies gelte sowohl für den Zweck als auch für den vorgesehenen Zeitpunkt der Inanspruchnahme. Hier sei zudem zu berücksichtigen, dass die in der Beschlussvorlage für die Vollversammlung vom 3. Dezember 2020 vermerkten Zahlen beim Vergleich alt/neu davon geprägt würden, dass die Beklagte mit den neu fabrizierten Bilanzen auch eine hinsichtlich der anderen Rücklagen veränderte Darstellung gewählt habe, indem die Finanzierungsrücklage, die Bau- und Instandhaltungsrücklage sowie die Pensionszinsausgleichsrücklage nunmehr gesondert ausgewiesen worden seien. Dass dabei die überaus auffällige positive Rücklagenentwicklung nicht das Ergebnis einer geplanten Wirtschaftsführung gewesen sei, belege ebenfalls das von der Beklagten im Verfahren Au 2 K 16.968 als Anlage B11 vorgelegte Protokoll. Die Beklagte habe zum einen in rechtswidriger Art und Weise von ihren Mitgliedern über Jahre hinweg deutlich mehr Beitragszahlungen verlangt und vereinnahmt als dies zur Deckung ihrer Kosten nötig gewesen sei. Zum anderen habe sie diese überschüssigen Mittel ebenso rechtwidrig in diversen Rücklagen akkumuliert, aber nicht, weil diese Mittel zielgerichtet erwirtschaftet gewesen seien, sondern weil sie der Beklagten praktisch schon als Folge überhöhter Beitragsveranlagungen in den Schoß gefallen seien.
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Die Vollversammlung der Beklagten habe mit der Beschlussfassung vom 1. Dezember 2010 mit der Einführung von Richtlinien zu einem „Zukunftsfond“, zu einer „Projektrücklage“ und einem „Förderfond Ulm/Neu-Ulm“ überhaupt erst die formalen Grundlagen für eine Rücklagenbildung geschaffen. Dass auch diese im Ergebnis rechtswidrig gewesen seien, komme erschwerend hinzu. Vorher habe es solche Richtlinien überhaupt nicht gegeben, ebenso wenig wie eine Beschlussgrundlage der Vollversammlung für jedweden Fond oder ein Projekt vorher. Die Dotierung der Bau- und Instandhaltungsrücklage sei rechtswidrig. Diese Rücklage werde in der korrigierten Bilanz nun erstmals zum 31. Dezember 2011 mit einer Höhe von 2.914.500,90 EUR ausgewiesen. Dies solle angeblich auch die Zielgröße zum 31. Dezember 2020 sein. Es sei aber nicht ersichtlich, durch wen, wann und warum eine solche Zielgröße beschlossen worden sei. Es könne nicht zulässig sein, im Jahr 2011 eine solche Rücklage zu bilden, damit sie neun Jahre später in dieser Höhe zur Verfügung stehe. Dass eine solche Rückstellung von Beitragsgeldern gegen den haushaltsrechtlichen Grundsatz der Jährlichkeit und das Kostendeckungsprinzip verstoße, liege auf der Hand. Die zur Erläuterung der Rücklagenbildung genannten drei Projekte könnten diese nicht rechtfertigen, da die zwingend notwendige Konkretisierung (Umfang der Maßnahme, Kostenschätzung, geplanter Zeitpunkt der Inanspruchnahme und ein Beschluss zur Umsetzung der Maßnahmen) den Unterlagen nicht zu entnehmen sei. Die Dotierung der Bau- und Instandhaltungsrücklage sei - wie sich aus den Bilanzzahlen ergebe - eine willkürliche Gestaltung, die der ex-post-Darstellung mit den entsprechenden Korrekturen der Bilanzen geschuldet sei. Es fehlten jedoch alle Nachweise darüber, dass es für die in den genannten Projekten zum Zeitpunkt der Beschlussfassung über die jeweiligen Wirtschaftspläne (ex-ante-Mittelbedarfsfeststellung) eine entsprechende hinreichende Konkretisierung und eine ausreichende Beschlussgrundlage für die Rücklagenbildung gegeben habe. Aufgrund der Angaben der Beklagten im Parallelverfahren Au 2 K 16.968, Seite 18, lägen nunmehr drei Zahlen als Ausdruck der Willensbildung der Beklagten vor. Ein ursprünglicher Ansatz in Höhe von 6,5 Mio. EUR, der Beschluss zur Reduzierung auf 5,1 Mio. EUR aus dem Jahr 2015 sowie die ex-post-Festsetzung in Höhe von 4,5 Mio. EUR. Ähnliches wiederhole sich für das Jahr 2015. Dies gelte auch für die Begründung des Bedarfs zur Auflösung des Sanierungsstaus im Multimediazentrum, weil dieses Investitionsprojekt mit einem angeblichen Bedarf von 3 Mio. EUR durchgängig den höchsten Beitrag zur Rechtfertigung der Bau- und Instandhaltungsrücklage leiste. Auch hier fehle es an jedweder Konkretisierung. Die allgemeine Kenntnis über einen Bedarf biete rechtlich noch keine Rechtfertigung für eine Rücklagenbildung. Auch zeige die Dotierung, die über viele Jahre einen behaupteten Bedarf von 3 Mio. EUR nenne, zuletzt einen Bedarf von lediglich noch 1 Mio. EUR in der Bilanz 2019. Dass dies trotz der vorgenommenen ex-post-Betrachtung nicht früher berücksichtigt worden sei, sei wenig seriös. Die in der Bilanz 2017 feststellbare Entnahme in Höhe von 4.582.727,62 EUR und die für 2018 erfolgte Entnahme von 1,2 Mio. EUR seien nicht begründet. Es sei nicht ersichtlich, warum und wofür diese Entnahmen erfolgt seien. Abschließend lasse sich feststellen, dass die Dotierung der Bau- und Instandhaltungsrücklage schon längerfristig rechtswidrig gewesen sei, dass ihre ex-post-Dotierung das offensichtliche Bemühen der Beklagten belege, eine rechtwidrige Rücklagenbildung neu zu verpacken, dass es jedenfalls an der notwendigen Konkretisierung des Rücklagenbedarfs (Kostenschätzung, beschlossene Maßnahmen und Zeitplan) mangele und dass die von der Beklagten vorgelegten Bilanzen weitere erhebliche Ungereimtheiten (Zielgröße für 2020, vermeintliche Abgänge) aufwiesen.
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Bei der sogenannten Finanzierungsrücklage dürfte es sich wohl tatsächlich um eine Baurücklage handeln. Dies zeige sich aus den von der Beklagten dafür definierten Zwecken. Zwischen 2007 und 2016 werde die Rücklage bis auf 7,5 Mio. EUR aufgebaut, bevor es erstmals zu einer Entnahme komme. Die dazu der Vollversammlung genannte Begründung „eines mittelfristig geplanten Erweiterungsbaus“ sei über die Jahre fast wortgleich. Auch hier fehle es an einer hinreichenden Konkretisierung und an verbindlichen Beschlüssen zur Umsetzung konkreter Maßnahmen. Ein echter Maßnahmenbeschluss finde sich erstmals in den Erläuterungen zur Bilanzkorrektur für das Jahr 2017, allerdings ohne die Angabe zum Datum eines solchen Beschlusses. Schließlich fehle es auch an einem Hinweis auf die damit verbundenen Kosten. Zusammenfassend sei festzustellen, dass es sich bei der Finanzierungsrücklage um eine Baurücklage handle, für die die Beklagte - ohne dass die zwingenden rechtlichen Voraussetzungen erfüllt gewesen seien - seit dem Jahr 2007 in den ex-post gefertigten Bilanzen Rücklagen ausgewiesen habe. Die Bezeichnung des Zwecks der Rücklagenbildung als „Vorsorge“ belege dabei, wie wenig konkret und substantiell die entsprechenden Rechtfertigungsversuche seien.
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Die Pensionszinsausgleichsrücklage sei erstmals mit der Aufstellung der regulären Bilanz zum 31. Dezember 2015 gebildet worden. Wie schon bei der Finanzierungsrücklage sei die Einführung der Pensionszinsausgleichsrücklage erst mit den nun neu erstellten Bilanzen erfolgt. Für die gerichtliche Prüfung im vorliegenden Verfahren sei diese ex-post-Rücklagenbildung aber irrelevant, weil es nur darum gehen könne, die Tatsachen und Überlegungen im Hinblick auf die vorgenommene Vermögensbildung zu prüfen, die im Zeitpunkt der Beschlussfassung über den jeweiligen Wirtschaftsplan bekannt bzw. Grundlage der Entscheidung gewesen seien.
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Die allgemeine Zweckbestimmung sowohl für den „Investitionsfond“ als auch für den „Zukunftsfond“ sei rechtwidrig. Dabei handle es sich um ein und dieselbe Rücklage, die von der Beklagten von 2007 bis 2009 als „Investitionsfond“ und ab 2010 als „Zukunftsfond“ bezeichnet werde. Es fehle auch hier an den notwendigen Konkretisierungen der Maßnahmen, sowohl im Hinblick auf den Finanzbedarf als auch in Bezug auf den Zeitpunkt der Inanspruchnahme. Dass es solche konkreten Verwendungszwecke noch nicht gegeben habe, zeige § 4 der dazu beschlossenen Richtlinien. Aus diesen ergebe sich, dass über die Verwendung der Gelder erst zukünftig zu entscheiden sei. Eine solche allgemeine Rücklagenbildung sei aber rechtwidrig. Die Bildung dieser Art von Rücklagen sei auch deswegen rechtswidrig, weil es sich hier regelhaft um eine Fülle von kleindimensionierten Projekten handle, deren Bearbeitung bzw. Umsetzung zum Tagesgeschäft der Beklagten gehöre und keine Form von Risiko erkennbar sei, das ein Ansparen zu deren Finanzierung notwendig machen könnte. Rechtswidrig sei auch die Finanzierung der „Berufsoffensive Allgäu“ im Zukunftsfond, da hierzu zum 1. Dezember 2010 50.000 EUR zurückgestellt und als Verwendungszeitraum die Jahre 2015 und 2016 angegeben worden seien. Es sei nicht klar, weshalb die Beitragszahler des Jahres 2010 für eine solche Maßnahme aufkommen sollten, die die Beklagte angeblich schon im Jahr 2010 im Auge gehabt habe. Vergleichbares gelte für die Rücklagendotierung zugunsten der „Nobelpreisträgertagung Lindau“. Mit dieser Rücklage überschreite die Beklagte auch den ihr vom Gesetzgeber vorgegebenen Aufgabenrahmen. Rechtswidrig seien des Weiteren die Dotierungen eines „Förderfonds Luftverkehr“, des „Bildungsfonds“, der „Prüferkampagne II“, des „Bildungsportals Allgäu“ sowie die Förderung von „leistungsschwachen Azubis“. Auch die Finanzierung des „Wissenschaftsfonds“ stelle neben einer Verletzung des haushaltsrechtlichen Grundsatzes der jahresbezogenen Beschlussfassung einen Verstoß gegen das Kostendeckungsprinzip dar. Rein fiktive ex-post-Rücklagendarstellungen seien nicht möglich. Ebenso gelte dies für den „Wirtschaftsunionfonds“ und die „Projektrücklage“. Die Rechtswidrigkeit dieser Rücklagenbildungen ergebe sich insbesondere daraus, dass über Jahre hinweg keine Inanspruchnahme zu verzeichnen sei. Zu nennen seien hier beispielhaft die Rücklagen für den Innovationspark, das Logistikcluster Schwaben, das Güterverkehrsgutachten und den Innovationskongress.
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Schließlich sei es auch rechtswidrig, dass die Beklagte geplante Jahresüberschüsse bilanziert habe. Geplante Überschüsse gebe es für 2011 (680.700 EUR), 2013 (1.041.800 EUR), 2015 (369.300 EUR), 2016 im Nachtragswirtschaftsplan (1.518.900 EUR) und 2017 im Nachtragswirtschaftsplan (356.000 EUR). Dabei sei das Ergebnis des Jahres 2013 ausdrücklich als „geplanter Bilanzgewinn“ gekennzeichnet.
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Mit Schriftsatz vom 7. Juni 2022 bestellte sich der jetzige Prozessbevollmächtigte der Beklagten und nahm zum Schreiben der Klägerin ausführlich Stellung. Diese berufe sich im Kern auf eine vorgeblich unzulässige Bilanzänderung und wende sich gegen die Erhöhung der Nettoposition sowie gegen die einzelnen von der Beklagten gebildeten zweckgebundenen Rücklagen. Hier werde insbesondere ein Verstoß gegen die Grundsätze der Schätzgenauigkeit und Annuität im Hinblick auf die nach Auffassung der Klägerin allein maßgebende ex-ante-Risikobetrachtung zum Zeitpunkt des Beschlusses der Vollversammlung geltend gemacht. Hintergrund der Bilanzänderung der Beklagten sei die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. Januar 2020, mit der Teile der Bilanzierungspraxis und damit auch der Wirtschaftsplanung im Hinblick auf das Gebot der Haushaltswahrheit und den Grundsatz der Schätzgenauigkeit beanstandet worden seien. Die Entscheidungen wirkten sich auch auf die Ausgleichsrücklage der Beklagten aus, die ursprünglich nach dem damals gültigen Finanzstatut vom 30. Mai 2006 gebildet gewesen sei. Nach § 15 Abs. 2 des Finanzstatus 2006 sei die Ausgleichsrücklage eine Pflichtrücklage, deren Höhe 30 bis 50% der Summe der Betriebsaufwendungen zu betragen habe. Das Bundesverwaltungsgericht habe einer Angemessenheitsvermutung für die Ausgleichsrücklagenhöhe, wenn diese innerhalb des Korridors aus dem Finanzstatut bleibe, widersprochen. Es sei festgestellt worden, dass die haushaltsrechtlichen Grundsätze der Haushaltswahrheit und Schätzgenauigkeit bei der Rücklagenbildung keinen Raum für Angemessenheitsvermutungsregelungen ließen, da jeder Mittelbedarfsansatz und jede Einnahmeprognose aus ex-ante-Sicht sachbezogen begründbar sein müssten. Daher habe sich die Beklagte veranlasst gesehen, ihr Finanzstatut und ihre Bilanz zu überarbeiten und Rücklagen neu zu dotieren. Deshalb sei auch die bisherige Bilanzierungspraxis für die Jahre 2007 bis 2019 ausgehend von der Eröffnungsbilanz zum 1. Januar 2007 anzupassen gewesen. Mit der Reduzierung der Ausgleichsrücklage sei auch die Nettoposition als sog. „Residualgröße“ geändert worden. Sämtliche Vorgänge seien durch Beschlüsse der Vollversammlung gedeckt. Die vorgenommenen Bilanzänderungen seien wirksam, da festgestellte fehlerfreie Jahresabschlüsse nach der IGW-Stellungnahme zur Rechnungslegung geändert werden könnten, wenn gewichtige rechtliche, wirtschaftliche oder steuerrechtliche Gründe vorlägen. Diese Grundsätze seien auch dann zu berücksichtigen, wenn ein weiter zurückliegender Jahresabschluss geändert werden solle und wegen des Grundsatzes der Bilanzverknüpfung nachfolgende, bereits festgestellte Jahresabschlüsse geändert werden müssten. Zeitliche Grenzen für eine Änderung bestünden nicht, sofern die sachlichen Voraussetzungen erfüllt seien. Prof. Dr. * (*, *) habe im Auftrag der Beklagten in einem unabhängigen Gutachten bestätigt, dass in Gestalt der geschärften (haushalts-)rechtlichen Vorgaben in den Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 2020 gewichtige rechtliche und auch daraus folgende wirtschaftliche Gründe für eine Bilanzänderung bestünden. Es liege auch kein Verstoß gegen den Grundsatz der Jährlichkeit durch die vorgenommenen Umstrukturierungen vor. Unter Berücksichtigung des heutigen Wissens wären die damaligen Rücklagen anders beschlossen worden. Das Ergebnis hiervon seien die geänderten Bilanzen in der vorliegenden Form. Die Vollversammlung der Beklagten habe im Rahmen des Konkretisierungserfordernisses mit einer nachträglichen ex-ante-Prognose die Mittel einer konkreten Verwendung zugeführt. Insofern komme sie dem Anspruch einer Überprüfung mit Ermessensausübung nach, da die Rücklagen nicht über den ganzen Zeitraum mit einem festen Betrag eingestellt worden seien, sondern gerade geänderte Rücklagenhöhen im Zeitablauf diese Ermessensentscheidung dokumentierten. Die Vollversammlung habe mit den Beschlüssen vom 3. Dezember 2020 eine der bedeutsamsten Aufgaben einer Selbstverwaltungskörperschaft ausgeübt, nämlich die Finanzhoheit. Die geänderten Jahresabschlüsse seien relevant für die vorliegenden gerichtlichen Verfahren. Im Gegensatz zur Meinung der Klägerin, die in dieser eine ex-post-Betrachtung sehe und demnach die korrigierten Bilanzen bedeutungslos und nicht zulässig seien, weil sie im Widerspruch zu den alten Fassungen stünden. Jedoch verkenne die Klägerin mit ihrer Argumentation, dass ein Widerspruch sogar bestehen müsse, da die Rechtslage von der Vollversammlung mit heutigem Wissen betrachtet und angepasst worden sei. Diese müsse sogar ihren fortgeschrittenen Kenntnisstand zu den haushaltsrechtlichen Anforderungen an die Rücklagendotierung berücksichtigen. Die Wirtschaftssatzungen der Beklagten sei inhaltlich nicht verändert, sondern unverändert bestätigt worden. Die rückwirkende Bestätigung von Wirtschaftssatzungen seien dem Grundsatz „a maiore ad minus“ entsprechend gegenüber einem Nachtragswirtschaftsplan erst recht zulässig.
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Im Rahmen der Eröffnungsbilanz 2007 sei die Nettoposition bei der Umstellung der Kameralistik auf die Topik als Residualgröße entstanden. Diese stelle den verbleibenden rechnerischen Wert des Eigenkapitals (als Saldo der Aktiva und Passiva) nach Abzug zulässig gebildeter Rücklagen dar. Unter Berücksichtigung der heutigen Erkenntnisse ergebe sich diese Residualgröße automatisch aus der Bilanzumstellung. In der ursprünglichen Eröffnungsbilanz 2007 wäre bereits eine höhere Nettoposition entstanden, wenn die Ausgleichsrücklage nicht im Rahmen des oben erläuterten Korridors von 30 bis 50% des Betriebsaufwands hätte gebildet werden müssen. Dies bedeute auch, dass keine rückwirkende Anhebung der Nettoposition erfolgt sei. Diese habe vielmehr bei zutreffender Rücklagenbildung und -dotierung in angemessener Höhe bereits von Anfang an in anderer Höhe bestanden. Die Nettoposition werde als Residualgröße schon bei Umstellung der Bilanz 2007 mit der daraus folgenden Eröffnungsbilanz in einer Höhe von 11 Mio. EUR dargestellt und sei nicht rechtswidrig aus überschüssigen Mitteln dotiert worden. Bezüglich der Erhöhung der Nettoposition in 2017 habe das Bundesverwaltungsgericht bestätigt, dass die Nettoposition bei Vorliegen eines sachlichen Grundes im Rahmen zulässiger Kammertätigkeit veränderbar sei. Ein sachlicher Grund für die Erhöhung der Nettoposition sei gegeben, wenn er geeignet sei, die Aufgabenerfüllung zu fördern. Die Erhöhung der Nettoposition in 2017 von 11 Mio. EUR auf 13,5 Mio. EUR habe einen solchen sachlichen Grund, nämlich nicht etwa eine pauschale Anpassung, sondern eine konkrete Erhöhung des Anlagevermögens aufgrund der Fertigstellung des Prüfungscenters. Eine Änderung der Nettoposition sei nach Maßgabe des DI.-Musterfinanzstatus ab 2014 zulässig. Gemäß § 15a Abs. 1 Satz 2 des DI.-Musterfinanzstatus ab 2014 könne die Nettoposition bei einer erheblichen Änderung der aktuellen Verhältnisse beim unbeweglichen Sachanlagevermögen im Vergleich zur Eröffnungsbilanz angepasst werden. Eine die Erhöhung der Nettoposition rechtfertigende Änderung der Verhältnisse liege nach der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung sowie der Literatur insbesondere bei einem Erwerb von Grundstücken, einem Erwerb oder Bau von Gebäuden oder Gebäudeteilen, aber auch bei einem Übergang von einer Fremdzu einer Eigenfinanzierung des Immobilienvermögens durch Tilgung eines Immobiliendarlehens vor. Der Beklagten sei es hier darum gegangen, das hinzutretende Anlagevermögen in der Gestalt des neu errichteten Prüfungszentrums zutreffend in einer fortgeschriebenen Eröffnungsbilanz abzubilden. Der Zubau von Verwaltungsgebäuden oder Ausbildungs- bzw. Weiterbildungszentren liege im Rahmen der Aufgabenerfüllung der Industrie- und Handelskammern und rechtfertige die Erhöhung der Nettoposition im Jahr 2017. Es liege jedenfalls keine unzulässige Vermögensbildung vor. Das Bundesverwaltungsgericht habe judiziert, dass bei einer gerichtlichen Entscheidung über eine Beitragsklage „alle Erwägungen der Beklagte zugrunde zu legen seien, die sie zu den im Zeitpunkt des Beschlusses ihrer Vollversammlung über den betreffenden Wirtschaftsplan vorliegenden Tatsachen bis zum Schluss der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung prozessordnungsgemäß vorgetragen hat“. Soweit die Klägerin auf in früheren Verfahren vorgelegte Unterlagen Bezug nehme, beträfen diese bereits überholte Fassungen und Rechtslagen.
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Die Ausgleichsrücklage sei dem Grunde nach zulässig gebildet worden. Die Bildung angemessener Rücklagen gehöre zu einer geordneten Haushaltsführung. Es handle sich daher bei den Mitteln für angemessene Rücklagen um Kosten der Industrie- und Handelskammer im Sinn des § 3 Abs. 2 I.G. Auch die Höhe der Ausgleichsrücklage sei sachlich gerechtfertigt. Der klägerische Einwand, dass die Rücklagenbildung der Beklagten gegen das Jährlichkeitsprinzip verstoßen habe, verfange nicht. Die Beklagte betreibe keine Mehrjahresvorsorge beim Konjunkturrisiko. Nachdem aufgrund der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kein Raum mehr für die Angemessenheitsvermutungsregelung bestanden habe, habe die Vollversammlung im Rahmen der Vorgaben des Gebots der Schätzgenauigkeit durch das Bemühen um eine realitätsnahe Prognose eine nachträgliche ex-ante-Prognose vorgenommen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum staatlichen Haushaltsrecht sei erforderlich, dass Prognosen aus ex-ante-Sicht sachgerecht und vertretbar ausfallen müssten, wobei es unschädlich sei, wenn sich eine Prognose im Nachhinein als falsch erweise. Diese Vorgaben seien dahingehend konkretisiert worden, dass das Gebot der Schätzgenauigkeit dazu verpflichte, den im Haushalt für einen bestimmten Zweck veranschlagten Mittelbedarf aufgrund der bei der Aufstellung des Wirtschaftsplans verfügbaren Informationen sachgerecht und vertretbar zu prognostizieren. Was dabei als vertretbar zu gelten habe, könne nur aufgrund einer Gesamtbewertung der konkreten Entscheidungssituation unter Berücksichtigung des betroffenen Sach- und Regelungsbereichs, der Bedeutung der zu treffenden Entscheidung und deren Folgen sowie der verfügbaren Tatsachengrundlage für die Prognose bestimmt werden. Unvertretbar seien jedenfalls bewusst falsche bzw. gegriffene Etatansätze, die trotz naheliegender Möglichkeiten besserer Informationsgewinnung ein angemessenes Bemühen um eine realitätsgerechte Prognose der zu erwartenden Einnahmen oder Ausgaben vermissen ließen. Die Mittelbedarfsprognose richte sich auf eine möglichst realitätsgerechte Schätzung der künftigen Einnahmen und Ausgaben der I..
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Der Deckungsgrad der Ausgleichsrücklage sei von der Beklagten nicht willkürlich bestimmt worden. Es bestehe insoweit ein weiter Beurteilungsspielraum der Vollversammlung, der keiner gerichtlichen Kontrolle unterliege. Es sei nicht feststehend, dass einheitlich immer derselbe Deckungsgrad abgesichert sein müsse, da dies den zu treffenden Ermessensentscheidungen widersprechen würde. Die Ausgleichsrücklage sei jedenfalls zum Ende des Wirtschaftsjahres für die im abgelaufenen Wirtschaftsjahr nicht realisierten Risiken auf Null reduziert und dann für das Folgejahr als neu bewertete Risikodeckung eingestellt worden. Dieses Vorgehen entspreche der geforderten Risikovorsorge nach dem Finanzstatut. Die Vollversammlung habe in ihrer nachträglichen ex-ante-Prognose einen Beitragsausfall und zu erwartende Konjunkturschwankungen als Risiken bewertet, die für das jeweilige Beitragsjahr aufgrund von Beitragsrückgängen vergangener Jahre ermittelt worden seien, dazu die Abschreibung der I.-Beiträge aufgrund vergangener Jahre, die Rückforderung von staatlichen Zuwendungen und IT-Risiken, wie z.B. Cyberangriffe. Im Ergebnis seien diese Risiken unter Berücksichtigung der vergangenen Beitragsjahre von der Vollversammlung im Zuge der Wirtschaftsplanung für das Folgejahr aktualisiert bewertet und deren Höhe im Rahmen der Ausübung der Finanzhoheit dotiert worden. Dies sei rechtlich nicht zu beanstanden.
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Auch sonstige zweckgebundene Rücklagen könnten dem Grunde nach rechtlich zulässig gebildet werden. Im Ausgangspunkt komme den Industrie- und Handelskammern hier ein weiter Beurteilungsspielraum bei der Frage zu, ob und inwieweit eine Finanzierung von Vorhaben und Maßnahmen durch laufende Einnahmen, durch Kredite oder durch Rücklagen erfolgen solle. Die Bildung zweckgebundener Rücklagen setze dem Grunde nach lediglich voraus, dass der Gegenstand einer zweckgebundenen Rücklage einen hinreichenden Zusammenhang zur zulässigen Tätigkeit nach § 1 I.G aufweise. Vorgaben zu dem „wie“ der Bildung zweckgebundener Rücklagen seien § 3 Abs. 2 I.G, dem Finanzstatut der Industrie- und Handelskammer sowie den haushaltsrechtlichen Grundsätzen zu entnehmen. Zweckgebundene Rücklagen dürften nach Maßgabe des Finanzstatus gebildet werden, wenn ein entsprechender Bedarf nicht nur in der Höhe, sondern auch in zeitlicher Hinsicht hinreichend konkret vorliege. Es bestehe eine strenge Zweckbindung für solche Rücklagen, die auch eine zeitliche Dimension aufweise. Zum Zeitpunkt der Wirtschaftsplanung müssten daher bereits hinreichende konkrete Planungen für das zu finanzierende Vorhaben, beispielsweise für die Sanierung eines Gebäudes oder für ein Neubauvorhaben, bestehen. Der Umstand, dass ein Gebäude erst in künftigen Jahren saniert werden solle, stehe der Erhebung einer Baurücklage nicht zwangsläufig entgegen, allerdings müsse das Projekt konsequent verfolgt werden. Notwendig und hinreichend sei auch ein Grundsatzbeschluss für ein Projekt, wenn dieser konsequent verfolgt werde. Eine ordnungsgemäße Wirtschaftsführung gebiete, rechtzeitig mit dem Ansparen von Mitteln zu beginnen. Dies sei insbesondere bei einem hohen Aufwandsvolumen auch im Lichte der Beitragsgerechtigkeit gerechtfertigt. Denn je später mit dem Ansparen von Mitteln begonnen werde, desto stärker würden zukünftige Beitragszahler belastet. Die vorgenommene Bildung zweckgebundener Rücklagen sei auch der Höhe nach gerechtfertigt. Zu berücksichtigen sei, dass auch dann, wenn das Gesamtvolumen der Rücklagen den geplanten Betriebsaufwand einer I. erheblich übersteige, dies nach der Rechtsprechung für sich genommen noch nicht zur Unangemessenheit der Rücklagenhöhe führe. Auch eine lange Laufzeit eines Projekts führe nicht dazu, dass es den Industrie- und Handelskammern verwehrt sei, dieses durch Rücklagen zu finanzieren. Im Rahmen der Entscheidungshoheit als Selbstverwaltungskörperschaft des öffentlichen Rechts bleibe es der Beklagten unbenommen, Projekte nicht im Rahmen des Tagesgeschäfts durchzuführen, sondern als Projekte mit gesonderter Finanzierung auszuweisen, solange diese von einem sachlichen Zweck im Rahmen zulässiger Kammertätigkeit getragen würden. Dabei komme dem Gebot der Schätzgenauigkeit nur eine abgeschwächte Bedeutung zu, da zweckgebundene Rücklagen nach Maßgabe der Finanzstatute einer strengen Zweckbindung unterlägen, wonach der Verwendungszweck sowie der Umfang und der Zeitpunkt der voraussichtlichen Inanspruchnahme hinreichend zu konkretisieren seien. Aus diesem Grund müsse nach Auffassung der Beklagten eine separate Prüfung der Einhaltung des Gebots der Schätzgenauigkeit bei zweckgebundenen Rücklagen durch die Verwaltungsgerichte nicht vorgenommen werden. Rechtlich zulässig seien im Übrigen auch Umwidmungen von gebildeten Rücklagen. Bei einer Umwidmung handle es sich um eine ergebnisneutrale Nachholung einer Zweckbindung, die keine rückwirkende Belastung für die Kammermitglieder begründe, sodass Aspekte des Vertrauensschutzes nicht entgegenstünden. Insbesondere könnten auch Mittel aus einer Rücklage, die nicht den gesetzlichen Anforderungen entspreche, in eine neue zweckgebundene Rücklage umgewidmet werden.
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Die Finanzierungsrücklage sei von der Beklagten dem Grunde und der Höhe nach zutreffend gebildet worden. Die Bildung einer Finanzierungsrücklage diene dem Zweck, in Zeitpunkt und Höhe wahrscheinliche, aber noch unbestimmte Ersatz- und Ergänzungsinvestitionen in unbewegliches Sachanlagevermögen zu finanzieren. Mit der Finanzierungsrücklage werde im Unterschied zur Bau- und Instandhaltungsrücklage nicht auf die Hinterlegung von absehbaren notwendigen Instandhaltungs- und Sanierungsmaßnahmen bei Bestandsimmobilien abgestellt, sondern sie diene der Finanzierung beabsichtigter Investitionen in (neues) unbewegliches Sachanlagevermögen, das zur Aufgabenerfüllung notwendig sei. Eine Finanzierungsrücklage sei im Ergebnis kein freies Vermögen, sondern ein zweckgebunden aufgebautes Eigenkapital für anstehende Investitionsmaßnahmen. Es liege dabei in der Natur der Sache, dass eine derart zweckgebundene Rücklage - wenn sie ihre Ansparfunktion unter Berücksichtigung der Grundsätze der Beitragsstabilität und -gerechtigkeit erreichen solle - über mehrere Jahre aufgebaut werden müsse. Die Finanzierungsrücklage sei von der Beklagten auch in sachlich gerechtfertigter Höhe gebildet worden. Mit dem Aufbau der Finanzierungsrücklage sei im Jahresabschluss 2007 mit 3 Mio. EUR als erster Schritt begonnen worden. In nachfolgenden Schritten seien Zuführungen in 2009 (2 Mio. EUR), in 2010 (1 Mio. EUR) und in 2011 (1,5 Mio. EUR) erfolgt, sodass bis 2015 7,5 Mio. EUR unverändert bilanziert worden seien. Grund hierfür sei ein geplanter Erweiterungsbau auf dem Grundstück *straße * in * gewesen, weil dieses zu dem Zweck erworben worden sei, Räumlichkeiten zur Förderung und Durchführung der kaufmännischen und gewerblichen Berufsausbildung zu schaffen. Abhängig von der durch Abriss des bestehenden Gebäudes möglichen Nutzungsänderung sei ein drei- oder viergeschossiges Gebäude für die berufliche Weiterbildung geplant gewesen mit einer Kostenschätzung von 15 bis 18 Mio. EUR. Alternativ dazu sei von der Vollversammlung am 28. November 2011 beschlossen worden, die Errichtung eines Bildungszentrums auf dem nahegelegenen *-Platz mit grob geschätzten Investitionskosten von 20 bis 25 Mio. EUR zu prüfen. Die Vollversammlung habe zudem am 28. Juli 2015 sowie mit Umlaufbeschluss am 29. August 2015 beschlossen, ein Prüfungscenter am Standort * *straße zu errichten, um Prüfungen im Rahmen der beruflichen Aus- und Weiterbildung durchführen zu können. Mit der Fertigstellung des Prüfungscenters sei in 2017 der Betrag von 2,5 Mio. EUR aus der Finanzierungsrücklage entnommen und der Nettoposition zugeführt worden. Die Vollversammlung habe am 8. Dezember 2016 weiterhin beschlossen, die Errichtung des Hauses der Wirtschaft in * als Eigeninvestition durchzuführen. Analog der Vorgehensweise beim Prüfungscenter sollten nach Abschluss der Maßnahmen die verbleibenden Mittel aus der Finanzierungsrücklage in die Nettoposition umgebucht werden. Danach hätten aus der Finanzierungsrücklage keine Mittel mehr für einen Neubau an der *straße zur Verfügung gestanden. Mit den Beschlüssen des Präsidiums der Beklagten vom 8. Dezember 2016 seien die Rechtsprechungsgrundsätze des Bundesverwaltungsgerichts und die Anforderungen des haushaltsrechtlichen Jährlichkeitsprinzips insoweit thematisiert worden.
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Die Bau- und Instandhaltungsrücklage sei ebenfalls dem Grunde und der Höhe nach rechtmäßig gebildet worden. Eine Bau- und Instandhaltungsrücklage diene der Hinterlegung von in absehbarer Zeit notwendigen Instandhaltungs- und Sanierungsmaßnahmen bei Bestandsimmobilien, die zur Erfüllung der Kammeraufgaben notwendig seien. Die Beklagte sei nicht verpflichtet, zu Lasten künftigerer Generationen von Beitragspflichtigen diese Investitionen mit Fremdkapital zu finanzieren. Diese Entscheidung liege im Kernbereich des Gestaltungsspielraums. Es würden hierzu - auch im Hinblick auf die Grundsätze der Beitragsstabilität und -gerechtigkeit - die Ausführungen zur Finanzierungsrücklage entsprechend gelten. Die Bau- und Instandhaltungsrücklage sei der Höhe nach sachlich gerechtfertigt und von einer Kammeraufgabe getragen. Bei der erstmaligen Bildung der Bau- und Instandhaltungsrücklage in 2011 mit 2,9 Mio. EUR seien folgende Sanierungs- und Instandhaltungsmaßnahmen in der Rücklage zum Teil hinterlegt, die in 2014 auf 4,5 Mio. EUR erhöht worden sei: Umbau/Sanierung Haus 2, *straße, mit 2,00 Mio. EUR, Sanierung MMZ, *-Straße, mit 3,9 Mio. EUR und Umbau 1. Etage Haus 1, *straße, mit 1,00 Mio. EUR. Bei den hierbei hinterlegten Werten habe es sich um die aus fachlicher Sicht notwendigen Kosten gehandelt. Der tatsächliche Sanierungsbedarf habe die dotierte Bau- und Instandhaltungsrücklage sogar überstiegen, so sei für das MMZ in der Bau- und Instandhaltungsrücklage nur 1,0 Mio. EUR angesetzt gewesen, obwohl die endgültigen Kosten 2,9 Mio. EUR betragen hätten. Erhöhungen und Reduzierungen seien Folge der jährlichen Wirtschaftsplanung für das Folgejahr gewesen. Da geplante Objekte regelmäßig verschoben und andere Projekte vorgezogen würden, habe dies zu Veränderungen der Bau- und Instandhaltungsrücklage geführt.
32
Die Pensionszinsausgleichsrücklage sei ebenfalls dem Grunde und der Höhe nach zulässig gebildet worden. Diese Rücklage diene dem Zweck, die Differenz zwischen den erzielten Zinssätzen aus den Finanzanlagen und dem der Bewertung der Pensionsverpflichtungen zugrundeliegenden gesetzlich vorgeschriebenen Zinssatz abzubilden. Die Notwendigkeit der Pensionszinsausgleichsrücklage beruhe zum einen auf dem permanent sinkenden Rechnungszins für die Bewertung der Rückstellungen und zum anderen auf deutlich sinkenden Zinssätzen für Geldanlagen, die der Finanzierung der Pensionsrückstellungen dienen sollen. Die Rücklage sei der Höhe nach gerechtfertigt. Die bisher bestehende Pensionsrücklage sei in der Pensionszinsausgleichsrücklage vollständig aufgegangen. Erstmals in 2007 mit 0,8 Mio. EUR gebildet, sei sie bis 2018 sukzessive auf 5 Mio. EUR gestiegen und in 2019 auf 4 Mio. EUR gesunken.
33
Die Liquiditätsrücklage habe ursprünglich einer ordentlichen Kassenwirtschaft ohne Inanspruchnahme von Krediten dienen sollen, sei jedoch mit der Neufassung des Finanzstatus ab dem Jahr 2015 abgeschafft worden. Nach der veränderten Bilanzstruktur existiere diese Rücklage ab der Eröffnungsbilanz bis zur Bilanz 2019 nicht mehr. Zur Umwidmung von Mitteln aus einer aufgelösten Rücklage werde auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen.
34
Sonstige zweckgebundene Rücklagen (insbesondere Förderfonds) seien ebenfalls zulässig und der Höhe nach zutreffend gebildet worden. Die Projekte seien durch Beschlüsse der zuständigen Gremien hinterlegt. Mit Beschluss vom 6. Mai 2009 seien von der Vollversammlung entsprechende Richtlinien zu Zielsetzung, Verwendungszweck und Vergabeverfahren für die Fonds „Bildungsfond“, „Innovationsfond“ und „Förderfond Luftverkehr Schwaben“ beschlossen worden. Mit Beschluss der Vollversammlung vom 1. Dezember 2010 sei eine allgemeine Zuwendungsrechtlinie, der „Zukunftsfond“, die Projektrücklage und der „Förderfond Ulm/Neu-Ulm“ beschlossen worden. Mit Beschluss der Vollversammlung am 20. Mai 2014 sei zur Vervollständigung der Regelungen eine Zuwendungssatzung vom 20. Mai 2014 verabschiedet und vom Präsidenten und Hauptgeschäftsführer erlassen worden. Im Ergebnis seien die nachfolgenden Rücklagen konkret zweckgebunden und von der Vollversammlung dem Grunde nach beschlossen und dotiert worden: „Innovationsfond“, „Förderfond Luftverkehr“, „Bildungsfond“ (2010 aufgegangen im 2014 beendeten Zukunftsfond), Fond „Schulpartnerschaften“, „Prüferkampagne II“, „Bildungsportal Allgäu“, Fonds „Leistungsschwache Azubis“, „Wissenschaftsfond“, „Wirtschaftsjuniorenfond“, „Zukunftsfond“, „Berufsoffensive Allgäu“, „Nobelpreisträgertagung“, „Projektrücklage“, „Familienunternehmen“, „Innovationskongress“, Fond „Digitale Transformation“, „Förderfond Ulm/Neu-Ulm“, Schulpartnerschaft „Wir lesen“ und „Stromgipfel Süd“. Für alle projektbezogenen Rücklagen würden entsprechende Beschlussfassungen, Dotierungen und Richtlinien zur Inanspruchnahme vorliegen. Sie dienten alle den Zwecken der Beklagten.
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Soweit die Klägerin das Vorliegen von angeblich geplanten Jahresüberschüssen in den Jahren 2011 bis 2017 rüge, verkenne sie, dass diese im Rahmen der Nachtragsbilanzierung keine Planung, sondern den Istzustand darstellten. Die Nachtragspläne konkretisierten die ursprüngliche Planung und seien jeweils durch Beschlüsse der Vollversammlung legitimiert.
36
Die Klägerin nahm hierzu durch Schreiben vom 19. Juni 2022 Stellung. Das von der Beklagten zitierte Gutachten des Prof. Dr. * sei nicht in der Lage, die durchgreifenden Zweifel an der Beitragserhebung zu entkräften. Es sei keinesfalls so, dass die rechtlichen Vorgaben der Bilanzierung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 2020 neu zu entnehmen gewesen seien, sondern diese würden sich aus dem seit lange geltenden Gesetz zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern ergeben. Die Beklagte versuche nun rückwirkend Tatsachen zu ändern und diese im Nachhinein zur Grundlage einer in der Vergangenheit unterbliebenen und nun fiktiv vorgenommenen Mittelbedarfsabschätzung zu machen. Für die Betrachtung des Finanzbedarfs sei eine ex-ante-Betrachtung notwendig. Prognosen müssten aus ex-ante-Sicht sachgerecht und vertretbar ausfallen. Es seien alle Erwägungen zugrunde zu legen, die zu den im Zeitpunkt des Beschlusses ihrer Vollversammlung über den betreffenden Wirtschaftsplan vorliegenden Tatsachen bis zum Schluss der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung prozessordnungsgemäß vorgebracht worden seien. Gemessen an diesen Grundsätzen sei die Frage zu beantworten, ob die Wirtschaftsführung der Beklagten rechtlichen Maßstäben standhalte. In einer ex-ante-Betrachtung könne nur auf solche Tatsachen abgestellt werden, die zum Zeitpunkt der Beschlussfassung über die Wirtschaftspläne bekannt gewesen seien. Unzulässig sei eine ex-post-Perspektive. Es sei abwegig, dass eine nachträglich nachgeholte Prognose auf der Grundlage von neuem Wissen im Ergebnis einer ursprünglich versäumten ex-ante-Betrachtung gleichkommen solle. Es liege im Wesen einer ex-ante-Betrachtung, dass diese eben nicht nachgeholt und nicht korrigiert werden könne. Sei sie versäumt worden, so sei dieses Versäumnis eine Tatsache. Neue Tatsachen - hier die veränderten Bilanzen - könnten keine Berücksichtigung finden. Fuße eine Abschätzung auf offenkundig falschen Grundlagen, bleibe es eine rechtsfehlerhafte Abschätzung.
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Die Ausführungen der Beklagten zur Nettoposition seien unzutreffend, da es keine zutreffende Rücklagenbildung gegeben habe. Fakt sei, dass die Nettoposition nicht von Anfang an in anderer Höhe dotiert gewesen sei. Tatsächlich sei die Nettoposition in der Eröffnungsbilanz nur mit 6 Mio. EUR angesetzt gewesen. Zwar könnten Nettopositionen verändert werden, wenn die Voraussetzungen hierfür erfüllt seien. Bei der Beklagten sei dies jedoch nicht der Fall, da es nicht nur auf mögliche Änderungen des Wertes der unbeweglichen Sachanlagen ankomme, sondern auch auf den Zeitablauf der Anpassungen auf der Passiv- bzw. Aktivseite der Bilanz. Nachvollziehbare Zahlenwerke, die bei der Erstellung der ursprünglichen Eröffnungsbilanz bzw. bei der veränderten Eröffnungsbilanz die Festsetzung der Nettoposition rechnerisch nachvollziehbar machen könnten, habe die Beklagte nicht vorgelegt.
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Bei der Ausgleichsrücklage könnten die fiktiven ex-ante-Betrachtungen der Beklagten keine rechtfertigende Wirkung entfalten. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sei es notwendig, die Entscheidung über das Vorhalten einer Rücklage jährlich erneut zu treffen. Ganz wesentlich gehe es im Ergebnis also um die Verpflichtung, die notwendige Rücklagenhöhe abzuschätzen. Dem gehe die Verpflichtung voraus, ein Risikopotential sachgerecht abzuschätzen, für dessen Sicherung eine Rücklagenbildung vorgesehen sei. Wenn im nächsten Schritt dann eine Rücklage gebildet werde, die über oder unter dem ermittelten Risikopotential liege, so sei dies rechtfertigungsbedürftig. Fehle es an einer Rechtfertigung, so sei die Rücklagendotierung im Ergebnis in unzulässiger Weise willkürlich gegriffen. Soweit die Beklagte zu den zweckgebundenen Rücklagen vortrage, dass diese keinen weiteren Voraussetzungen bedürften als einen hinreichenden Zusammenhang zwischen dem Gegenstand der Rücklagenbildung und der zulässigen Kammertätigkeit, sei dies unzutreffend. Auch hier seien offensichtlich Versäumnisse im Zusammenhang mit der notwendigen Konkretisierung (Bedarf, Kalkulation, Zeitpunkt der Inanspruchnahme) festzustellen. Tatsächlich seien die Anforderungen zur Bildung einer zweckgebundenen Rücklage noch höher als bei den Rücklageformen, die zur Absicherung konjunktureller Risiken gebildet werden könnten.
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Die Ausführungen der Beklagten zu der Zulässigkeit von Projektrücklagen seien abwegig und von der Rechtsprechung nicht gedeckt. Es fehle auch hier eine hinreichende Konkretisierung. Es liege zudem ein Verstoß gegen den haushaltsrechtlichen Grundsatz der jährlichen Beschlussfassung vor, wenn Rücklagen, die irgendwann - wie hier aus nachträglichen Umbuchungen - in der Vergangenheit gebildet worden seien, um dann irgendwann in der Zukunft Maßnahmen zu finanzieren. Die immer wiederkehrende Durchführung von immer neuen Projekten gehöre zu den Kernaufgaben einer I., deswegen sei es selbstverständlich, dass insbesondere kleinteilige Projekte dem haushaltsrechtlichen Grundsatz der Annuität folgend aus dem jährlichen Haushalt finanziert würden. In besonderen Fällen und bei besonders kostenintensiven Projekten sei eine Ausnahme möglich; hierzu habe die Beklagte jedoch bislang nichts vorgetragen. Diesbezüglich sei beispielhaft auf die Rücklage für die Durchführung der Nobelpreisträgertagung in Lindau zu verweisen. Bei der Rücklage sei zum 31. Dezember des einen Jahres noch ein Bestand ausgewiesen um dann zum 1. Januar des Folgejahres mit 0 EUR dotiert zu sein. Es sei nicht ersichtlich, auf welcher Beschlussgrundlage der ausgewiesene Geldbetrag umgebucht worden sei.
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Die Umwidmung von Rücklagen sei rechtswidrig, da sie dem haushaltsrechtlichen Grundsatz der Jährlichkeit widerspreche. Dies gelte erst recht, weil es um Umbuchungen von Rücklagen gehe, die weit in der Vergangenheit rechtswidrig angesammelt worden seien und aufgelöst hätten werden müssen. Stattdessen würden sie für vermeintliche Bedarfe, die teilweise weit in der Zukunft liegen, neue Verwendung finden. Die zeitlichen Verzerrungen, die die Beitragszahler belasteten, die für die Rücklagen aufgekommen seien und die von den Maßnahmen in der Zukunft nicht mehr profitieren könnten, würden dadurch noch massiv verstärkt werden. Vorliegend bewirke dies, dass eine so gebildete Rücklage rechtswidriges Vermögen in dem Wirtschaftsjahr darstelle und dass dieses rechtswidrig in folgende Wirtschaftsjahre weitergeschoben werde. Dies gelte unabhängig davon, ob die Klägerin selbst zu der Gruppe der Beitragszahler gehöre, die zur Finanzierung solcher rechtswidriger Rücklagen beigetragen habe.
41
Die Finanzierungsrücklage gehöre zu den zweckgebundenen Rücklagen. Damit gelte für sie eine besondere Konkretisierungs- und Abschätzungsverpflichtung. Bei der Beklagten solle die Finanzierungsrücklage dazu dienen, einen in Zeitpunkt und Höhe wenigstens wahrscheinlichen, aber sonst unbestimmten Ersatz- und Ergänzungsinvestitionsaufwand zu hinterlegen. Den Bedarf für die Bildung der Finanzierungsrücklage, die in den neu geschaffenen Bilanzen am 31. Dezember 2007 auftauche, habe die Beklagte überhaupt erst ex-post bei der Aufstellung der geänderten Bilanz entdeckt. Die dort dann eingestellten Mittel stammten sämtlich aus Rücklagepositionen, die die Beklagte zuvor rechtswidrig aufgebaut und nun anstelle der gebotenen Erstattung an die Kammermitglieder kreativ umgewidmet habe.
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Soweit die Beklagte versuche, die geplanten Jahresüberschüsse zu rechtfertigen, gehe dies fehl. Fakt sei, dass die Aufstellung und Verabschiedung eines Nachtragswirtschaftsplans zur Folge habe, dass dieser Nachtragswirtschaftsplan hinsichtlich der verwaltungsgerichtlichen Überprüfung an die Stelle des zuvor beschlossenen Wirtschaftsplans trete. Der Nachtragswirtschaftsplan stelle also mitnichten einen Istzustand dar. Die Nachtragswirtschaftsplanung werde zu der aktualisierten Wirtschaftsplanung für das jeweilige Jahr. Mit einem solchen Plan werde dann auch das geplante Ergebnis bestimmt. Dies gehe auch aus § 10 Abs. 1 des Finanzstatuts hervor, das Bestimmungen zur Änderung des Wirtschaftsplans enthalte. Wenn die Beklagte also bei der Aufstellung der geänderten Nachtragsplanungen diese vorgesehenen Gewinne ausgewiesen habe, so entspreche das selbstverständlich - in rechtswidriger Weise - dem Planungshorizont, da die Beklagte zum Zeitpunkt des Beschlusses über einen Nachtrag noch vor dem Jahresabschluss die tatsächliche Höhe des Überschusses, also den späteren Ist-Stand, nicht habe kennen können. Das Bundesverwaltungsgericht habe geurteilt, dass im Zusammenhang mit der Aufstellung eines Nachtragswirtschaftsplans auch die Rücklagendotierung zur überprüfen und ggf. anzupassen sei. Daraus folge, dass es der Beklagten untersagt sei, mit einem Nachtragswirtschaftsplan sehenden Auges einen Jahresüberschuss zu planen.
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Am 30. Juni 2022 fand ein Erörterungstermin statt, in dem die Beklagte erklärte, dass es u.a. in Bezug auf den Veranlagungszeitraum 2019 bei dem Vorauszahlungsbescheid bleiben solle, da sich aus der für den Veranlagungszeitraum 2019 mittlerweile vorliegende Gewerbesteuerfestsetzung für die Klägerin keine Änderung in Bezug auf die streitgegenständliche Beitragshöhe von 140,00 EUR ergeben habe. Die Klägerin erklärte in allen Verfahren den Verzicht auf die Durchführung von mündlichen Verhandlungen.
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Die Beklagte äußerte sich mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 29. Juli 2022 ergänzend zur Sache, vertiefte ihre bisher vertretenen Rechtsverfassungen weiter und erklärte ebenfalls den Verzicht auf die Durchführung mündlicher Verhandlungen. Die Klägerin nahm mit Schriftsatz vom 11. August 2022 letztmalig zur Sache Stellung.
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Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten äußerte sich auf die vom Gericht eröffnete Möglichkeit, hinsichtlich der Erfüllung der sich aus dem Gebot der Schätzgenauigkeit ergebenden Anforderungen in Bezug auf den Finanzbedarf, die Rücklagenbildung in den ursprünglich beschlossenen Bilanzen und die vorzunehmende ex-ante-Sicht für die streitgegenständlichen Veranlagungsjahre konkret Stellung zu nehmen, mit Schriftsatz vom 29. September 2022 abschließend. Dabei wurde darauf hingewiesen, dass die Beklagte als Reaktion auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Zulässigkeit satzungsgemäßer Mindestrücklagen ihre Eröffnungsbilanz und die Nettoposition rückwirkend korrigiert, die aus heutiger Sicht überhöhte Ausgleichsrücklage auf ein angemessenes Maß reduziert und gleichzeitig eine sachlich begründete zweckgebundene Rücklage gebildet habe. Dadurch habe auch die Nettoposition angepasst werden müssen. Da die Rechtsfrage, ob eine Kammer ihre (Eröffnungs-)Bilanz nicht nur bilanzrechtlich, sondern auch in beitragsrechtlicher Hinsicht mit Rückwirkung korrigieren könne, obergerichtlich noch nicht entschieden worden sei, werde beantragt, die Berufung durch das Verwaltungsgericht nach § 124a Abs. 1 Satz 1, § 124 Abs. 2 Nr. 2 bzw. Nr. 3 VwGO zuzulassen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des jeweiligen Sachverhalts wird auf die vorliegenden Gerichts- und Behördenakten sowie auf das Protokoll über den Erörterungstermin vom 30. Juni 2022 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Über die Klagen konnte ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entschieden werden, da sich die Parteien hiermit einverstanden erklärt haben (§ 101 Abs. 2 VwGO).
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Die Klagen sind zulässig und begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 29. Oktober 2020, mit dem die Klägerin u.a. zu einer - von dem Prozessbevollmächtigten und den weiteren Vertretern der Beklagten im Erörterungstermin am 30. Juni 2022 mangels Anlasses zur Änderung in der Höhe zu Protokoll als endgültiger Jahresbeitrag erklärten - Vorauszahlung für den Veranlagungszeitraum 2019 und zu einem - auf dem feststehenden Gewerbeertrag als Bemessungsgrundlage ermittelten - Industrie- und Handelskammerbeitrag („Abrechnung“) für den Veranlagungszeitraum 2018 in Höhe von jeweils 140,00 EUR herangezogen wurde, ist - soweit streitgegenständlich - rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Den angegriffenen Beitragsfestsetzungen für die Jahre 2018 und 2019 fehlt die erforderliche tragfähige Rechtsgrundlage. Sie verstoßen gegen § 3 Abs. 2 des Gesetzes zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern (Industrie- und Handelskammergesetz - I.G) vom 18. Dezember 1956 in der hier maßgeblichen Fassung von Art. 2 des Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Wettbewerbsrecht und für den Bereich der Selbstverwaltungsorganisationen der gewerblichen Wirtschaft vom 25. Mai 2020 (BGBl. I S. 1067).
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Aus § 3 Abs. 2 Satz 1 I.G ergibt sich, dass die Kosten der Tätigkeit einer Industrie- und Handelskammer (I.), soweit sie nicht anderweitig gedeckt sind, nach Maßgabe des Wirtschaftsplans durch Beiträge der Kammerzugehörigen gemäß einer Beitragsordnung aufgebracht werden. Nach Satz 2 dieser Vorschrift ist der Wirtschaftsplan jährlich nach den Grundsätzen einer sparsamen und wirtschaftlichen Finanzgebarung unter pfleglicher Behandlung der Leistungsfähigkeit der Kammerzugehörigen aufzustellen und auszuführen. Die Feststellung des Wirtschaftsplans unterliegt gemäß § 4 Satz 1 Nr. 3 u. Nr. 4 I.G ebenso der alleinigen Beschlussfassung der Vollversammlung der Beklagten wie die Beschlussfassung über die Festsetzung des Maßstabs für die Beiträge. Ferner sind über die Verweisung in § 3 Abs. 7a I.G die Grundsätze kaufmännischer Rechnungslegung und Buchführung, das durch Beschluss der Vollversammlung (§ 4 Satz 2 Nr. 8 I.G) erlassene Finanzstatut sowie die Grundsätze des staatlichen Haushaltsrechts zu beachten.
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Mit Blick auf die Beitragserhebung legt das Gesetz in § 3 Abs. 2 I.G eine zweistufige Willensbildung der Industrie- und Handelskammer dergestalt zugrunde, dass zeitlich vorhergehend in einer ersten Stufe der jeweils für ein Jahr geltende Wirtschaftsplan aufgestellt wird. Das durch Beschluss der Vollversammlung am 20. Mai 2014 auf der Grundlage der in § 3 Abs. 2, Abs. 3, Abs. 7a, § 4 Satz 2 Nr. 8 I.G enthaltenen Ermächtigung erlassene, erstmals für das Geschäftsjahr 2015 geltende Finanzstatut der Beklagten regelt hierzu in § 2 Abs. 1 Satz 1, dass die Vollversammlung den Wirtschaftsplan durch die Wirtschaftssatzung feststellt. Nach § 3 Abs. 1 des Finanzstatuts dient der gemäß § 7 Abs. 1 des Finanzstatus vor Beginn eines jeden Geschäftsjahrs aufzustellende Wirtschaftsplan der Planung und Deckung des Ressourcenbedarfs, der zur Erfüllung der Aufgaben der I. im folgenden Geschäftsjahr voraussichtlich notwendig ist und gliedert sich in eine (auszugleichende) Plan-Gewinn- und Verlustrechnung (Plan-GuV) und einen Investitionsplan (§ 4 Abs. 1, § 7 Abs. 1 Satz 2 des Finanzstatuts). Nach § 10 Abs. 1 des Finanzstatuts ist der Wirtschaftsplan zu ändern, wenn sich (Plan-)GuV oder Finanzrechnung erkennbar gegenüber der ursprünglichen Wirtschaftsplanung erheblich verändern. Für diesen Fall sieht § 10 Abs. 2 Satz 1 des Finanzstatuts vor, dass die Vollversammlung eine geänderte Wirtschaftssatzung und gegebenenfalls einen Nachtragswirtschaftsplan bis zum Ende des jeweiligen Geschäftsjahres beschließt. § 13 Abs. 1 des Finanzstatuts sieht vor, dass die I. ihre Bücher nach den Regeln der kaufmännischen doppelten Buchführung führt und vorbehaltlich anderer Regelungen im Finanzstatut die Vorschriften des ersten Abschnitts des Dritten Buchs des Handelsgesetzbuchs entsprechend gelten. In § 15 Abs. 1 des Finanzstatuts ist bestimmt, dass die I. innerhalb des ersten Halbjahrs des Geschäftsjahrs für das vergangene Geschäftsjahr einen Jahresabschluss, einen Anhang zum Jahresabschluss und einen Lagebericht unter sinngemäßer Anwendung der Vorschriften der §§ 238 bis 257, 284 bis 286 und 289 HGB sowie Artikel 28, 66 und 67 EGHGB aufstellt, der gemäß § 15 Abs. 2 Satz 1 des Finanzstatuts aus der Bilanz, der (Plan-)GuV und der Finanzrechnung besteht. § 15a des Finanzstatuts enthält ergänzend Einzelregelungen zur Erstellung des Jahresabschlusses, z.B. in Bezug auf die Bildung der Nettoposition (Abs. 1), der Dotierung der Ausgleichsrücklage (Abs. 2 Satz 1 u. 2) und der Bildung zweckgebundener Rücklagen (Abs. 2 Satz 3 bis 5). Die Rechnungslegung erfolgt im Rahmen eines von der Vollversammlung zu beschließenden Nachtragswirtschaftsplans sowie einer Bilanz nach kaufmännischen Grundsätzen im Sinn von §§ 238 bis 256 HGB (s. hierzu auch Jahn in Junge/Jahn/Wernicke, I.G, 8. Aufl. 2020, § 3 Rn. 21d).
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Die Heranziehung zu Kammerbeiträgen ist rechtmäßig, wenn die Feststellung des Mittelbedarfs der Industrie- und Handelskammer im Wirtschaftsplan den an sie zu stellenden rechtlichen Anforderungen genügt, der Mittelbedarf in rechtmäßiger Weise durch eine Beitragsordnung auf die Kammerzugehörigen umgelegt wird und diese Beitragsordnung im Einzelfall ohne Rechtsfehler zur Anwendung gebracht wurde (BVerwG, U.v. 9.12.2015 - 10 C 6.15 - Buchholz 430.5 I.G Nr. 2 Rn. 13 ff.; VG Düsseldorf, U.v. 18.5.2022 - 20 K 730/20 - juris Rn. 119; U.v. 3.11.2021 - 20 K 559/19 - juris Rn. 29). Die verwaltungsgerichtliche Kontrolle ist dabei darauf beschränkt, ob die I. bei der Aufstellung des Wirtschaftsplans den ihr zustehenden weiten Gestaltungsspielraum überschritten hat.
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Daraus ergibt sich, dass in dem Wirtschaftsplan auf der Grundlage der in dem kommenden Geschäftsjahr beabsichtigten Tätigkeiten der Kammer unter Berücksichtigung der zu erwartenden Einnahmen und Ausgaben der voraussichtliche durch Beiträge zu deckende Bedarf zu prognostizieren ist. Es gelten dabei die Grundsätze der Vorherigkeit, der Jährlichkeit, der Vollständigkeit und der Haushaltswahrheit (vgl. BVerwG, U.v. 26.6.1990 - 1 C 45.87 - Buchholz 430.3. Kammerbeiträge Nr. 22; U.v. 9.12.2015 - 10 C 6.15 - BVerwGE 153, 315 = NVwZ 2016, 613; BayVGH, U.v. 15.11.2021 - 22 B 20.1948 - juris Rn. 22 ff.; VG Düsseldorf, U.v. 18.5.2022 - 20 K 730/20 - juris Rn. 122; U.v. 3.11.2021 - 20 K 551/19 - juris Rn. 37; Jahn in Junge/Jahn/Wernicke, I.G, 8. Aufl. 2020, § 3 Rn. 29).
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Die Beklagte hat diese rechtlichen Vorgaben bezogen auf die vorliegenden Verfahren in Nr. I der „Wirtschaftssatzung der Industrie- und Handelskammer Schwaben für das Geschäftsjahr 2018“ vom 5. Dezember 2017 und in Nr. I der „Wirtschaftssatzung der Industrie- und Handelskammer Schwaben für das Geschäftsjahr 2019“ vom 4. Dezember 2018 umgesetzt. Auf der zweiten Stufe wird der prognostizierte voraussichtliche Mittelbedarf auf der Grundlage einer Beitragsordnung im Wege der Beitragserhebung auf die Kammermitglieder umgelegt. Die hier maßgebliche Beitragsordnung wurde am 5. Dezember 2017 von der Vollversammlung der Beklagten beschlossen und trat gemäß der in § 22 Satz 1 enthaltenen Regelung hierzu am 1. Januar 2018 in Kraft.
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Dazu spiegelbildlich obliegt es dem Gericht - im Beitragsrechtsstreit inzident (vgl. BVerwG, U.v. 22.1.2020 - 8 C 10.19 - juris Rn. 14; U.v. 9.12.2015 - 10 C 6.15 - juris Rn. 13) - auf einer ersten Stufe zu prüfen, ob die Festsetzung des Mittelbedarfs der Kammer im Wirtschaftsplan den insoweit zu stellenden rechtlichen Anforderungen genügt (BVerwG, U.v. 9.12.2015 - 10 C 6.15 - NVwZ 2016, 613). Dabei ist das erkennende Gericht prozessual gehalten, alle Erwägungen der Beklagten zugrunde zu legen, die sie zu den im Zeitpunkt des Beschlusses ihrer Vollversammlung über den betreffenden Wirtschaftsplan vorliegenden Tatsachen bis zum Schluss der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung prozessordnungsgemäß vorgebracht hat (BVerwG, U.v. 22.1.2020 - 8 C 11.19 - juris Rn. 24).
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Die Mittelbedarfsfeststellungen in den für die Überprüfung der angegriffenen Bescheide maßgeblichen Nachtragswirtschaftsplänen für die Jahre 2018 und 2019 überschritten jedoch den der Beklagten bei der Aufstellung von Wirtschaftsplänen nach § 3 Abs. 2 I.G zustehenden Gestaltungsspielraum. Die Vorschrift verpflichtet die Kammern vor Beginn eines jeden Wirtschaftsjahrs einen Wirtschaftsplan aufzustellen und ihre Tätigkeit im betreffenden Wirtschaftsjahr an ihm auszurichten. Bei Aufstellung des Wirtschaftsplans muss die Kammer vor dem Hintergrund der von ihr im kommenden Wirtschaftsjahr beabsichtigten Tätigkeiten unter Berücksichtigung der zu erwartenden Einnahmen und Ausgaben den durch Beiträge zu deckenden Bedarf prognostizieren (BVerwG, U.v. 9.12.2015 - 10 C 6.15 - BVerwGE 153, 315 Rn. 12). Die Risikoprognose ist in der Weise hinreichend zu dokumentieren, dass die zuständigen Kammergremien in Bezug auf die zu treffende Beschlussfassung der Vollversammlung, z.B. in den schriftlichen Vorlagen hierzu, die für relevant erachteten Risiken ihrer Art nach konkret benennen und in der Höhe zumindest näherungsweise beziffern (vgl. hierzu VG Düsseldorf, U.v. 30.3.2017 - 20 K 3225/15 - juris Rn. 350 ff.). Dabei hat sie auch zu beachten, dass die Kammern zur sparsamen und wirtschaftlichen Finanzgebarung sowie zur pfleglichen Behandlung der Leistungsfähigkeit der Kammerzugehörigen verpflichtet sind. Vermögen zu bilden ist den Kammern verboten. Jeder Bedarfsansatz muss daher von einem sachlichen Zweck im Rahmen zulässiger Kammertätigkeit getragen werden und auch der Höhe nach von diesem gedeckt sein (BVerwG, U.v. 26.6.1990 - 1 C 45.87 - Buchholz 430.3. Kammerbeiträge Nr. 22; BayVGH, U.v. 15.11.2021 - 22 B 20.1948 - juris Rn. 22). Darüber hinaus sind die Kammern an die Grundsätze des staatlichen Haushaltsrechts und diese ergänzende Satzungsbestimmungen gebunden. Zu den haushaltsrechtlichen Grundsätzen zählt das Gebot der Haushaltswahrheit, aus dem in Ansehung von anzustellenden Prognosen das Gebot der Schätzgenauigkeit folgt. Danach müssen Mittelbedarfs- und Einnahmeprognosen aus der maßgeblichen ex-ante-Sicht sachgerecht und vertretbar ausfallen (BVerwG, U.v. 26.6.1990 a.a.O.; U.v. 9.12.2015 - 10 C 6.15 - juris Rn. 16). Diese rechtlichen Vorgaben beanspruchen auch nach der Einführung der doppischen Rechnungslegung gemäß § 3 Abs. 7a I.G unverändert Geltung.
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In den vorliegenden Fällen erweisen sich die für die Beitragserhebung in den Jahren 2018 und 2019 maßgeblichen Wirtschaftspläne der Beklagten, die Bestandteil der am 5. Dezember 2017 bzw. 4. Dezember 2018 beschlossenen Wirtschaftssatzungen i.d.F. der Nachtragswirtschaftssatzungen vom 4. Dezember 2018 bzw. 3. Dezember 2019 für die genannten Jahre sind, jedenfalls in Bezug auf die Feststellung des Mittelbedarfs für die Ausgleichszulage in Höhe von 7,423.693,76 EUR (2018) bzw. 7.004.893,76 EUR (2019) als rechtsfehlerhaft.
58
Für das Wirtschaftsjahr 2018 war vor der mit Beschluss der Vollversammlung vom 3. Dezember 2020 erfolgten rückwirkenden Änderung der Jahresabschlüsse bzw. Bilanzen („Umstrukturierung des Eigenkapitals 2007 bis 2019“) eine Ausgleichsrücklage in Höhe von 7.423.693,76 EUR geplant. Mit der rückwirkenden Änderung der Bilanz für das Wirtschaftsjahr 2018 wurden die Ausgleichsrücklage auf 1.062.501,76 EUR reduziert und gleichzeitig eine „Finanzierungsrücklage (Immobilien)“ in Höhe von 5 Mio. EUR neu gebildet. Die ursprünglich mit 3.638.808,00 EUR dotierte Pensionszinsausgleichsrücklage wurde auf 5 Mio. EUR erhöht.
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Die Beklagte hatte in Bezug auf das Wirtschaftsjahr 2019 ursprünglich eine Ausgleichsrücklage vorgesehen und diese in Höhe von 7.004.893,76 EUR dotiert. Daneben waren eine Bau- und Instandhaltungsrücklage in Höhe von 5.190.000,00 EUR sowie eine Pensionszinsausgleichsrücklage in Höhe von 3.068.188,00 EUR gebildet worden. In der geänderten Bilanz der Beklagten zum 31. Dezember 2019 erfolgte aufgrund des Beschlusses der Vollversammlung vom 3. Dezember 2020 zur Umstrukturierung des Eigenkapitals 2007 bis 2019 eine Reduzierung der Höhe der Ausgleichsrücklage auf 1.073.081,76 EUR. Die „Finanzierungsrücklage (Immobilien)“ in Höhe von 5 Mio. EUR wurde nachträglich neu gebildet bzw. bezogen auf die geänderte Bilanz für das Wirtschaftsjahr 2018 in dieser Höhe beibehalten. Die Pensionszinsausgleichsrücklage wurde auf 4 Mio. EUR erhöht.
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Die für die gerichtliche Prüfung der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Beitragsbescheids vom 29. Oktober 2020 und der dort festgesetzten I.-Beiträge betreffend die Veranlagungszeiträume 2018 und 2019 maßgeblichen ursprünglichen Beschlussfassungen über die Wirtschaftspläne für diese Wirtschaftsjahre genügen hier den an sie zu stellenden rechtlichen Anforderungen jedenfalls in Bezug auf die Festsetzung der Ausgleichsrücklage nicht. Die Entscheidungen der Beklagten, in den Jahren 2018 und 2019 Ausgleichsrücklagen in Höhe von 7.423.693,76 EUR (2018) bzw. 7.004.893,76 EUR (2019) zum Ausgleich von (konjunkturell bedingten) Schwankungen im Beitragsaufkommen vorzuhalten sind jeweils - unabhängig von der Frage der Rechtfertigung der Zwecksetzung - der Höhe nach zu beanstanden. Die Bildung einer Ausgleichsrücklage zur Vorsorge vor Beitragsschwankungen ist zwar regelmäßig gerechtfertigt, da sie dazu dient, eine zeitgerechte und kostengünstige Verfügbarkeit der für die Aufgabenerfüllung erforderlichen Finanzmittel zu sichern sowie die Inanspruchnahme von teuren Kassenkrediten zur Finanzierung der Aufgaben der Kammer bei einem Ausfall von Beitragseinnahmen zu vermeiden. Mit dieser Zielsetzung liegt der Bildung einer Ausgleichsrücklage im Grundsatz ein sachlicher Zweck im Rahmen zulässiger Kammertätigkeit zugrunde. Bei den Mitteln für angemessene Rücklagen handelt es sich daher grundsätzlich um Kosten im Sinn von § 3 Abs. 2 Satz 1 I.G, die in Ermangelung anderer Finanzquellen durch Beiträge zu decken sind (vgl. BVerwG, U.v. 9.12.2015 - 10 C 6.15 - juris Rn. 17; U.v. 26.6.1990 - 1 C 45.87 - juris Rn. 20; BayVGH, U.v. 15.11.2021 - 22 B 20.1948 - juris Rn. 20). Allerdings erweisen sich die betreffenden ursprünglichen Ansätze der Beklagten für die Wirtschaftsjahre 2018 und 2019 als überhöht und haben daher im Ergebnis als unzulässige Vermögensbildung zu gelten.
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Die Bemessung der Höhe der Ausgleichsrücklagen überschreitet jeweils den Gestaltungsspielraum, den das Haushaltsrecht der Kammer bei der Aufstellung ihres Wirtschaftsplans einräumt (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 9.12.2015 - 10 C 6.15 - BVerwGE 153, 315 Rn. 16). Für die Angemessenheit der Höhe der in den maßgeblichen Wirtschaftsplänen angesetzten Ausgleichsrücklagen spricht jedenfalls nicht die in § 15a Abs. 2 Satz 2 des Finanzstatuts zum Ausdruck kommende Annahme, diese sei in angemessener Höhe dotiert, wenn deren Höhe den Betrag von 50 v.H. der Summe der geplanten Aufwendungen nicht übersteigt und 30 v.H. der Summe der geplanten Aufwendungen nicht unterschreitet, da die oben dargestellten rechtlichen Grenzen der Haushalts- und Wirtschaftsführung der Industrie- und Handelskammern keinen Raum für eine auf die bloße Einhaltung eines Zielkorridors abstellende Vermutungsregel lassen. Der Grundsatz der Haushaltswahrheit und das daraus folgende Gebot der Schätzgenauigkeit verlangen aus ex-ante-Sicht sachgerechte und vertretbare Prognosen. Dies setzt voraus, dass jeder Ansatz sachbezogen begründbar ist. Dagegen genügt nicht, dass er einen pauschal festgesetzten maximalen Prozentsatz der geplanten Aufwendungen nicht überschreitet oder sich in einem durch solche Prozentanteile begrenzten Korridor bewegt (BVerwG a.a.O.). Aus diesem Umstand lässt sich auch keine Vermutung der Angemessenheit ableiten. Die Beachtung der haushaltsrechtlichen Grundsätze ist Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit des Wirtschaftsplans. Kann sich das Gericht von ihrer Wahrung nicht überzeugen, ist der Wirtschaftsplan rechtswidrig. Für die Annahme einer Vermutung, die genannten Anforderungen seien eingehalten, lassen die Vorschriften keinen Raum (BVerwG, U.v. 22.1.2020 - 8 C 10.19 - juris Rn. 21).
62
Die Mittelansätze der Beklagten für die Ausgleichsrücklagen in den Jahren 2018 und 2019 verletzen jeweils das Gebot der Schätzgenauigkeit und sind nicht mehr von ihrem gesetzlich zulässigen Zweck gedeckt, Einnahmeausfälle im jeweiligen Haushaltsjahr auszugleichen. Das Gebot der Schätzgenauigkeit verpflichtet dazu, den im Haushalt für einen bestimmten Zweck veranschlagten Mittelbedarf aufgrund der bei der Aufstellung des Haushaltsplans (Wirtschaftsplans) verfügbaren Informationen sachgerecht und vertretbar zu prognostizieren (BVerfG, U.v. 9.7.2007 - 2 BvF 1/04 - BVerfGE 119, 96/129 - juris Rn. 146; BVerwG, U.v. 22.1.2020 - 8 C 10.19 - juris Rn. 19; VGH BW, U.v. 24.10.2022 - 6 S 965/21 - juris Rn. 59). Was dabei als vertretbar zu gelten hat, kann nur aufgrund einer Gesamtbewertung der konkreten Entscheidungssituation unter Berücksichtigung des betroffenen Sach- und Regelungsbereichs, der Bedeutung der zu treffenden Entscheidung und deren Folgen sowie der verfügbaren Tatsachengrundlagen für die Prognose bestimmt werden. Unvertretbar sind jedenfalls bewusst falsche Haushaltsansätze und gegriffene Zahlen, die trotz naheliegender Möglichkeit besserer Informationsgewinnung ein angemessenes Bemühen um realitätsgerechte Prognosen hinsichtlich der zu erwartenden Einnahmen und Ausgaben vermissen lassen (BVerfG a.a.O.).
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Der Mittelansatz zur Absicherung des Risikos von Beitragsausfällen in den genannten Jahren verletzt § 3 Abs. 2 I.G, weil er den realitätsnah zu ermittelnden Bedarf übersteigt. Außerdem ist er rechtswidrig, weil die Prognose ihrerseits das Gebot der Schätzgenauigkeit verletzt. Zwar musste die Beklagte ihre Mittelbedarfsprognose bei Verabschiedung des Nachtragswirtschaftsplans für die Jahre 2018 und 2019 nicht ausdrücklich begründen. Die Regelungen über die Aufstellung von Wirtschaftsplänen sehen keine besonderen Verfahrens-, Anhörungs- oder Begründungspflichten vor. Der Kontrolle der Mittelbedarfsprognosen sind daher alle Erwägungen der Beklagten zugrunde zu legen, die sie zu dem im Zeitpunkt des Beschlusses ihrer Vollversammlung über den betreffenden Wirtschaftsplan vorliegenden Tatsachen bis zum Schluss der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung prozessordnungsgemäß vorgebracht hat. Es war hier jedoch nicht sachgerecht, für das Wirtschaftsjahr 2018 den Mittelbedarf für die Absicherung des Risikos von Beitragsschwankungen im Nachtragswirtschaftsplan mit 7.423.693,76 EUR zu beziffern. Die damit verbundene Prognose ist hier nicht mehr als vertretbar zu werten, weil sie die naheliegenden Möglichkeiten der Informationsgewinnung nicht annähernd ausschöpft und den Verlauf des Wirtschaftsjahrs bis zur Beschlussfassung über den Nachtragswirtschaftsplan insoweit ausblendet. Mit der Bildung einer Rücklage für Beitragsschwankungen wollte die Beklagte das Risiko abdecken, dass die Beitragserhebung aufgrund ihrer Beitragsordnung für die Jahre 2018 und 2019 weniger Einnahmen erbringen würde, als sie nach ihrem Nachtragswirtschaftsplan tätigkeitsbedingt für erforderlich erachtete. Da die Wirtschaftsjahre 2018 und 2019 bei der Beschlussfassung über die Nachtragswirtschaftspläne weitgehend abgelaufen waren, hätte es nahegelegen, zur realitätsgerechten Kalkulation des Risikos von Beitragsausfällen zunächst auf die Daten des laufenden Jahres zurückzugreifen und zu überprüfen, inwieweit die Beitragseinnahmen hinter den Annahmen des Wirtschaftsplans zurückgeblieben waren (VGH BW, a.a.O., Rn. 60 f.).
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Es sind auch unter Berücksichtigung des der Beklagten zuzugestehenden Gestaltungsspielraums - trotz entsprechender expliziter Aufforderung seitens des Gerichts - weder von der Beklagten nachvollziehbare Gründe genannt worden, noch sind sonstige sachliche Aspekte ersichtlich, aus denen die mit der jeweiligen Ausgleichsrücklage abgesicherten Risiken transparent werden und nachvollziehbar erkennen lassen, dass eine Absicherung in dem mit der Festsetzung einer Ausgleichsrücklage in dieser Höhe zum Ausdruck kommenden Umfang notwendig war. Die prognostizierte Höhe des Beitragsausfalls ist deshalb gegriffen. Die Höhe der Rücklage hätte nur mit der Prognose gerechtfertigt werden können, dass es im jeweiligen Haushaltsjahr realistischer Weise zu Ausfällen von Beitragszahlungen in der angenommenen Gesamthöhe kommen könne (vgl. BVerwG, U.v. 9.12.2015 - 10 C 6.15 - BVerwGE 153, 315 Rn. 20). Den anzunehmenden Beitragsausfall in der konkret vorgenommenen Art und Weise zu beziffern, nimmt Einnahmedefizite bei der Beitragserhebung vorweg, die wegen des haushaltsrechtlichen Grundsatzes der Periodenbezogenheit der Haushalts- und Wirtschaftsplanung nicht zu prognostizieren waren und nach § 3 Abs. 2 I.G nicht auf die Beitragszahler des verfahrensgegenständlichen Wirtschaftsjahres umgelegt werden durften.
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Dieser rechtliche Mangel ist auch nicht dadurch beseitigt bzw. geheilt worden, dass die Beklagte durch Beschluss der Vollversammlung vom 3. Dezember 2020 nachträglich u.a. ihre Jahresabschlüsse bzw. Bilanzen für die Jahre 2018 und 2019 geändert und die Ausgleichsrücklage für 2018 dadurch auf 1.062.501,76 EUR und für 2019 auf 1.073.081,76 EUR reduziert hat, da damit die jeweils zeitlich vor dem betreffenden Geschäftsjahr ex-ante zu treffende Mittelbedarfsfeststellung nicht in rechtlich zulässiger Weise - durch die Einstellung des jeweiligen ex-post festgestellten tatsächlichen Finanzbedarfs in die Bilanz - ersetzt werden kann. Dies gilt auch uneingeschränkt vor dem Hintergrund, dass die Beklagte lediglich eine Umschichtung innerhalb des Eigenkapitals vorgenommen hat. Maßgebend sind im Beitragsprozess allein die Wirtschaftspläne, die dem Beitragsbescheid zugrunde liegen, nicht aber Erfolgsrechnungen und Bilanzen (Jahn, BayVBl 2018, 258/264; VG Trier v. 4.5.2015 - 6 K 1553/14.Tr - juris Rn. 22). Die Wirtschaftspläne können nachträglich, d.h. nach dem Ablauf des jeweiligen Wirtschaftsjahrs, nicht mehr geändert werden. Gleiches soll für die Festsetzung der Beitragssätze gelten (VG Düsseldorf, U.v. 3.11.2021 - 20 K 559/19 - GewArch 2022, 154). Demgemäß bestimmt § 10 Abs. 2 des Finanzstatus der Beklagten vom 20. Mai 2014, dass die Vollversammlung eine geänderte Wirtschaftssatzung und ggf. einen Nachtragswirtschaftsplan nur bis zum Ende eines Geschäftsjahres beschließen kann. Die Rechtsprechung hat es zwar zugelassen, dass formale Fehler in einer Wirtschaftssatzung nach dem Ende eines Geschäftsjahres durch rückwirkenden Beschluss der Vollversammlung geheilt werden können, wenn dieser Beschluss die Beitragssätze und nicht den Wirtschaftsplan betrifft (VG München, U.v. 6.10.2015 - M 16 K 15.2443 - juris Rn, 26 ff.; ThürOVG, U.v. 18.12.2008 - 2 KO 994/06 - juris Rn. 36 ff.). Selbst wenn man dieser Auffassung folgte und in der rückwirkenden Änderung der Wirtschaftssatzung der Beklagten keinen Verstoß gegen die zeitliche Beschränkung des § 10 Abs. 2 des Finanzstatutes erkennen wollte, bedeuten die Beschlüsse der Vollversammlung vom 3. Dezember 2020 eine Verletzung von § 3 Abs. 2 Satz 1 I.G, weil sie die Beitragserhebung für 2018 und 2019 an den Finanzbedarf der Beklagten für diese Jahre knüpfen, wie er den jeweiligen Jahresabschlüssen entnommen werden kann und nicht an den Finanzbedarf, wie er sich aus dem vor dem Beginn des jeweiligen Beitragsjahrs aufzustellenden Wirtschaftsplan ergibt. Ein solches Vorgehen widerspricht den gesetzlichen Vorgaben und ist rechtlich nicht in der Lage, eine fehlende bzw. nicht ausreichende Schätzung des Finanzbedarfs zu kompensieren. Damit liegen in Bezug auf die Beitragserhebung für die streitgegenständlichen Veranlagungszeiträume 2018 und 2019 - nicht durch Heilung rückwirkend obsolet gewordene - Rechtsfehler vor, die für sich betrachtet jeweils bereits zur Rechtswidrigkeit des angegriffenen Beitragsbescheids führen, soweit darin I.-Beiträge für diese Jahre in Höhe von jeweils 140,00 EUR festgesetzt worden sind. Die Rechtsfehlerhaftigkeit der Mittelbedarfsfeststellung führt zur Rechtswidrigkeit der Vorgaben der Beitragsbemessung in den jeweiligen Wirtschaftssatzungen. Da der Beklagten bei der konkreten Ausgestaltung des Rahmens ihrer Beitragserhebung ein Gestaltungsspielraum zukommt, scheidet eine teilweise Aufhebung des Beitragsbescheids aus Rechtsgründen aus (vgl. VGH BW, U.v. 24.10.2022 - 6 S 965/21 - juris Rn. 83; NdsOVG, U.v. 17.9.2018 - 8 LB 128/17 - juris Rn. 176).
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Die fehlerhafte Mittelbedarfsfeststellung erweist sich auch nicht als unbeachtlich. Dies käme in Betracht, wenn feststünde, dass der von der Beklagten angenommene Mittelbedarf in derselben Höhe auch ohne Verstoß gegen Haushaltsrecht ermittelt worden wäre. Die Rechtswidrigkeit hätte sich dann nicht auf die Gestaltung der Beitragssätze ausgewirkt (vgl. BVerwG, U.v. 17.4.2002 - 9 CN 1.01 - juris Rn. 31 ff.). Maßgeblich ist hierbei, ob im Ergebnis dieselbe Mittelbedarfsfeststellung auch bei Einhaltung der geltenden Vorschriften hätte erfolgen müssen. Ein Gestaltungsspielraum der Beklagten darf insoweit nicht bestehen. Denn das Gericht würde seine Befugnisse überschreiten, wenn es eine nur mögliche, von der Ausübung des Gestaltungsspielraums seitens der Beklagten abhängige Prognose der erforderlichen Mittel anstellen würde (VGH BW, U.v. 24.10.2022 - 6 S 965/21 - juris Rn. 85; NdsOVG, U.v. 17.9.2018 - 8 LB 128/17 - juris Rn. 107 f.). Diese Voraussetzungen sind hier aber nicht erfüllt, wie die Beklagte durch die rückwirkende Änderung der Bilanzen und die dabei erfolgten bilanztechnischen Umschichtungen beim Eigenkapital zu erkennen gegeben hat.
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Damit kommt es nicht mehr entscheidungserheblich darauf an, ob sich die anderen Änderungen in den Bilanzen der Jahre 2018 und 2019, insbesondere im Hinblick auf die Änderung der Höhe der Pensionszinsausgleichsrücklage und die Neubildung der Finanzierungsrücklage (Immobilien), im Rahmen des insoweit anzunehmenden Gestaltungsspielraums der Beklagten bewegen. Als rechtlich unerheblich sind damit auch die von Klägerseite aufgeworfenen Fragen einzustufen, ob die in den fraglichen Jahren gebildeten zweckgebundenen Fonds bzw. Rücklagen zur zulässigen Kammertätigkeit zu rechnen sind, im Rahmen der gewöhnlichen Kassengeschäfte hätten finanziert werden müssen bzw. in sachgerechter Höhe dotiert sind (s. hierzu VGH BW, a.a.O., Rn. 63 ff.).
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Im Übrigen bedurfte auch die Frage keiner Entscheidung, ob die (bilanz-)rechtlichen Voraussetzungen für eine nachträgliche Änderung der Jahresabschlüsse vorgelegen haben. Trotz der anderslautenden Stellungnahme der von der Beklagten eingeschalteten Wirtschaftsprüfungsgesellschaft erscheinen hier Zweifel daran nicht unberechtigt, soweit hinterfragt wird, ob allein die Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung einen ausreichenden Grund für eine nachträgliche Bilanzänderung darstellt, wenn die ursprüngliche Bilanzierung nach der damaligen Sach- und Rechtslage den Kenntnisstand widerspiegelt, den ein ordentlicher Kaufmann im Zeitpunkt der Bilanzaufstellung bei pflichtgemäßer und gewissenhafter Prüfung haben konnte (vgl. hierzu BFH, U.v. 23.1.2008 - I R 40/07 - juris Rn. 10 ff. m.w.N.).
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Die Klagen waren daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
71
Gründe, die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen (§ 124a Abs. 1 Satz 1, § 124a Abs. 2 Nr. 3 VwGO), liegen nicht vor. Die von der Beklagten als grundsätzlich bedeutsam eingestufte Frage nach der Zulässigkeit einer rückwirkenden Änderung der Bilanzen einer Industrie- und Handelskammer durch die Umstrukturierung der Eigenkapitalpositionen und den Folgen für die Beitragserhebung stellt sich nach den vorstehenden Ausführungen aber nicht als entscheidungserheblich dar.