Titel:
Zeitpunkt der erstmaligen Herstellung einer Straße (historische Straße) – Umlagefähiger Herstellungsaufwand
Normenketten:
VwGO § 101 Abs. 2, § 113 Abs. 1 S. 1
KAG Art. 5a Abs. 1, Abs. 2, Abs. 7 S. 1, S. 2, Abs. 8, Art. 13 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 6 S. 2
BauGB § 125 Abs. 1, § 128, § 129, § 130, § 133 Abs. 2, § 242 Abs. 1
Leitsätze:
1. Maßgeblich für die Beurteilung, ob eine historische Straße vorliegt, ist, dass es sich um eine Anlage handelt, die bereits vor dem Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes am 30.6.1961 vorhanden und als öffentliche Einrichtung iSd Art. 9 Abs. 1 S. 1 des Gemeindeabgabengesetzes vom 20.7.1938 (GVBl. S. 225) zu qualifizieren war, Erschließungsfunktion hatte und auch für diesen Zweck entsprechend endgültig hergestellt war. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei der Prüfung, ob ein Ausbau einer beitragsfähigen Erschließungsanlage den Endpunkt, nämlich die erstmalige endgültige Herstellung iSv Art. 5a Abs. 2 KAG iVm § 133 Abs. 2 BauGB erreicht hat, kommt es nicht auf die jeweiligen subjektiven Vorstellungen der Gemeinde oder der Beitragspflichtigen an; vielmehr ist dies objektiv nach dem maßgeblichen Ortsrecht zu beurteilen. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Kosten für die erstmalige Herstellung einer LED-Straßenbeleuchtung zählen zum umlegungsfähigen Aufwand. (Rn. 43) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Erschließungsbeitragsrecht, Zeitpunkt der erstmaligen Herstellung der Erschließungsanlage, Umfang der Erschließungsanlage (Zufahrt), Herstellungsaufwand (Kostenermittlung für die Straßenentwässerung), erstmalige Herstellung, historische Straße, vorhandene Erschließungsanlage, rechtmäßige Herstellung, Bebauungsplan, endgültige Herstellung, Herstellungsmerkmale, satzungsmäßige Voraussetzungen, Randstein, Gerinne, Eigenständigkeit einer Erschließungsanlage, Stichstraße, sachliche Beitragspflicht, beitragsfähiger Aufwand, LED-Straßenbeleuchtung, Angleichungsmaßnahme, Eigenanteil der Gemeinde, Straßenentwässerung
Fundstelle:
BeckRS 2022, 42123
Tenor
I. Die Klagen werden abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten der Verfahren zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
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Die Klägerin ist (Allein-)Eigentümerin der unmittelbar nebeneinander gelegenen Grundstücke Fl.Nr. ... (608 qm²) und Fl.Nr. ... (518 qm²) Gemarkung, die mit ihrer jeweiligen Westseite an die Erschließungsanlage „S...straße“ anliegen. Das Grundstück Fl.Nr. ... grenzt mit seiner Nordseite auch an die Straße „B...weg“ an. Die 443 m lange und am 6. November 1963 zur O. straße gewidmete Erschließungsanlage „S...traße“ wurde nach den Angaben der Beklagten im Zeitraum vom 4. Mai 2014 bis 19. Januar 2016 erstmalig endgültig hergestellt (Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht). Dabei wurden Baumaßnahmen in Bezug auf Fahrbahn, Gehweg, Straßenentwässerung und Beleuchtung vorgenommen sowie in geringerem Umfang beim Grundstück Fl.Nr. ... Grunderwerb (27 qm²) durchgeführt. Die Erschließungsanlage „S...straße“ und die beiden Grundstücke der Klägerin befinden sich im Geltungsbereich des Bebauungsplans ... „Zwischen S...-, G...-, D...- und I...straße“ vom 28. Juni 1968 i.d.F. der Änderungssatzung vom 4. Juli 2008. Die S...straße liegt darüber hinaus im Bereich zwischen der Nordwestecke des Grundstücks Fl.Nr. ... und der Einmündung in die G...straße auch im insoweit überlappenden Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. ... „Zwischen N...weg, G...-, S...- und B...straße“ vom 4. September 1970 i.d.F. der Änderungssatzung vom 23. Oktober 1992.
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Im Gemeindegebiet der Beklagten gilt deren rückwirkend zum 21. Juni 1977 in Kraft getretene Satzung über die Erhebung von Erschließungsbeiträgen in der Stadt ... vom 14. Juli 1987 (Erschließungsbeitragssatzung - EBS). Die auf die Ergänzung von § 5 EBS um einen Absatz 2 beschränkte und auf Art. 13 Abs. 6 Satz 2 KAG gestützte Satzung zur Änderung der Erschließungsbeitragssatzung vom 1. Juli 2019 trat am 1. September 2019 in und am 1. April 2021 wieder außer Kraft.
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Mit am gleichen Tag zur Post gegebenen Erschließungsbeitragsbescheiden der Beklagten vom 28. März 2018 wurde die Klägerin als Eigentümerin der Grundstücke Fl.Nr. ... und Fl.Nr. ... zur Leistung von Erschließungsbeiträgen für die erstmalige endgültige Herstellung der Erschließungsanlage „S...straße“ in Höhe von 14.471,11 EUR (Fl.Nr. ...) und in Höhe von 8.219,38 EUR (Fl.Nr. ...) herangezogen. Die hiergegen erhobenen Widersprüche wurden mit am 30. September 2020 zugestelltem Widerspruchsbescheid der Regierung von ... vom 17. September 2020 zurückgewiesen.
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Am 28. Oktober 2020 ließ die Klägerin durch ihren früheren, während des gerichtlichen Verfahrens verstorbenen Prozessbevollmächtigten Klagen erheben, die unter den Aktenzeichen Au 2 K 20.2123 (Fl.Nr. ...) und Au 2 K 20.2132 (Fl.Nr. ...) geführt werden. Für die Klägerin ist beantragt,
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die Erschließungsbeitragsbescheide der Beklagten vom 28. März 2018 betreffend die Grundstücke Fl.Nr. ... und ... in der Fassung des Widerspruchsbescheids der Regierung von ... vom 17. September 2020 aufzuheben.
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Zur Begründung der Klagen wurde mit Schriftsatz vom 19. Januar 2021 im Wesentlichen dargelegt, dass die angegriffenen Erschließungsbeitragsbescheide bereits deswegen rechtswidrig seien, weil für die in der S...straße durchgeführten Straßenbaumaßnahmen keine Erschließungsbeitragspflicht nach Maßgabe von Art. 5a KAG i.V.m. §§ 127 ff. BauGB bestehe, sondern allenfalls Straßenausbaubeiträge hätten geltend gemacht werden können. Da aufgrund einer zwischenzeitlichen Änderung des Kommunalabgabengesetzes rückwirkend ab dem 1. Januar 2018 Straßenausbaubeiträge nicht mehr erhoben werden dürften, scheide die Festsetzung solcher Beiträge aber aus. Bei der S...straße handle es sich um eine vorhandene Erschließungsanlage im Sinn von Art. 5a Abs. 7 Satz 1 KAG, da diese Straße bereits vor Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes am 30. Juni 1961 Erschließungsfunktion besessen habe und entsprechend ausgebaut gewesen sei. Die S...straße stelle eine historische Straße dar, die anhand von vermessungsamtlichen Plänen bereits seit den 1930er Jahren nachgewiesen werden könne. Entlang der S...straße sei bereits seit den 1930er Jahren eine geschlossene Bebauung vorhanden, die im Wesentlichen auch vor dem 30. Juni 1961 abgeschlossen gewesen und nur noch vereinzelt ergänzt worden sei. Bei der Bebauung an der S...straße habe es sich nicht nur um einzelne Gebäude gehandelt, sondern um eine gehäufte Bebauung mit der Folge, dass der fragliche Bereich schon vor dem Stichtag 30. Juni 1961 bauplanungsrechtlich dem Innenbereich zuzuordnen gewesen sei. Dies ergebe sich insbesondere aus den von der Beklagten vorgelegten Planunterlagen sowie aus verschiedenen Schriftstücken und Fotographien des Stadtarchivs ....
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Die S...straße habe vor dem Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes auch dem Anforderungsprofil einer Erschließungsstraße in einer Stadt wie ... entsprochen. Für das Hoheitsgebiet der Beklagten hätten örtliche straßenbaurechtliche Vorschriften vorgelegen, in denen die Anforderungen an die Straßenherstellung geregelt gewesen seien. Im Vollzug des § 62 Abs. 3 BayBO 1901 habe die Beklagte „Ortsvorschriften über Straßenherstellung“ vom 17. September 1910 erlassen, die erst durch einen Beschluss des Stadtrats der Beklagten vom 26. März 1952 aufgehoben worden seien. Die in § 8 der Ortsvorschriften geregelten Ausbauvorgaben seien von der S...straße erfüllt worden. Dies ergebe sich auch aus einer Vereinbarung über die Zahlung eines „Straßenkostenbeitrags“ zwischen ... ... als Eigentümer des damaligen Anwesens S...straße ... (Fl.Nr. ...) und der Beklagten vom 23. Mai/3. Juni 1936. In dieser Vereinbarung werde ausdrücklich auf die örtlichen Vorschriften über die Straßenherstellung vom 17. September 1910 Bezug genommen.
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Zudem ergebe sich aus dem Beschluss Nr. 7 des Umwelt-, Planungs- und Bauausschusses der Beklagten vom 31. März 2014, dass die S...straße bereits in den 1950er Jahren in einer ersten Ausbaustufe ausgebaut gewesen sei, über einen Schmutzwasserkanal mit Straßenabläufen sowie über eine 6 m breite und eine 6 bis 10 cm starke Asphaltierung der Fahrbahn verfügt habe. Damit habe die Straße bereits vor dem 30. Juni 1961 den Anforderungen an eine Erschließungsstraße in der Stadt ... entsprochen.
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Selbst für den Fall, dass der vollständige Ausbau der S...straße erst nach dem Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes am 30. Juni 1961 erfolgt sein sollte, seien die streitgegenständlichen Erschließungsbeitragsbescheide gleichwohl rechtswidrig, weil die S...straße dann bereits in den 1960er Jahren endgültig hergestellt gewesen sei und den Merkmalen der endgültigen Herstellung von Erschließungsanlagen entsprochen habe, die in § 8 Abs. 1 der damals geltenden Erschließungsbeitragssatzung der Beklagten vom 26. Juni 1961 (EBS 1961) in der Fassung der Änderungssatzungen vom 12. März 1962, 30. Juli 1963, 25. März 1964, 28. Dezember 1965 und 16. März 1967 bzw. in § 8 Abs. 1 der Erschließungsbeitragssatzung der Beklagten vom 16. März 1967 (EBS 1967) in der Fassung der Änderungssatzungen vom 23. Juli 1969 und 28. Juni 1971 festgelegt gewesen seien. Die S...straße habe eine neuzeitliche Straßendecke besessen, die den Verkehrserfordernissen entsprochen habe. Darüber hinaus sei eine Straßenentwässerung vorhanden gewesen, sowie die vorgesehene Beleuchtung. Zudem sei die S...straße an eine dem öffentlichen Verkehr gewidmete Straße angeschlossen gewesen.
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Schließlich könne sich die Beklagte nicht auf die am 1. April 2021 in Kraft getretene Regelung des Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG berufen, da insofern ein erhebliches verfassungsrechtliches Problem bestehe. Dies ergebe sich bereits daraus, dass beim Bundesverfassungsgericht eine Richtervorlage anhängig sei, die eine vergleichbare Regelung des Rheinland-Pfälzischen Kommunalabgabenrechts betreffe.
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Zu bemängeln sei schließlich auch, dass die Beklagte bei der Verteilung des beitragsfähigen Aufwands lediglich einen Eigenanteil in Höhe von 10% in Abzug gebracht habe. Nicht berücksichtigt worden sei eine Änderung der Erschließungsbeitragssatzung, die am 1. September 2019 und damit noch vor dem Erlass des Widerspruchsbescheids der Regierung von ... vom 17. September 2020 in Kraft getreten sei. Danach sei in einem neu eingefügten § 5 Abs. 2 geregelt worden, dass Erschließungsbeiträge für erstmalig endgültig hergestellte Straßen, bei denen seit Beginn der erstmaligen technischen Herstellung mindestens 25 Jahre vergangen sind und bei denen die Beitragspflicht zwischen dem 1. Januar 2018 und dem 31. März 2021 entstanden ist oder entsteht, gemäß Art. 13 Abs. 6 Satz 2 KAG über den bisherigen gemeindlichen Eigenanteil von 10% hinaus weitere 40% des zu erhebenden oder bereits erhobenen Beitrags erlassen werden können. Da die Voraussetzungen dieser Regelung hier vorliegen, hätte die Beklagte in Anwendung dieses § 5 Abs. 2 der Erschließungsbeitragssatzung einen städtischen Eigenanteil in Höhe von insgesamt 50% des beitragsfähigen Aufwands berücksichtigen müssen.
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Der von der Beklagten geltend gemachte beitragsfähige Aufwand beinhalte im Übrigen auch Teile, für die kein Erschließungsbeitrag erhoben werden dürfe. Da die Beklagte bei der Straßenbeleuchtung LED-Leuchtmittel verwende, könnten die angefallenen Kosten in Höhe von 26.708,97 EUR nicht umgelegt werden. Zudem habe die Beklagte keine konkrete Aufteilung der Straßenbaukosten und der Kanalbaukosten für die S...straße vorgenommen. Sie habe sich vielmehr damit begnügt, eine Aufteilung von Straßen- und Kanalbaukosten, die für die Erschließungsanlage „A...weg“ errechnet worden sei, ohne weitere Prüfung für die S...straße zu übernehmen. Der entsprechende Anteil von 33,8% könne allerdings bei der S...straße nicht zur Anwendung kommen, weil die Verhältnisse nicht vergleichbar seien und sich für die S...straße ein deutlich geringerer Straßenentwässerungskostenanteil ergebe. Schließlich habe die Beklagte während der Straßenbauarbeiten an der S...straße auch an benachbarten Straßen Baumaßnahmen durchgeführt, deren Kosten nicht zu den beitragsfähigen Kosten für die S...straße gehörten.
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Abschließend sei noch darauf hinzuweisen, dass die Beklagte mehrere Grundstücke fehlerhaft veranlagt habe. Die am „K...weg“ gelegenen Grundstücke hätten bei der Verteilung des beitragsfähigen Aufwands berücksichtigt werden müssen. Diese Straße sei aufgrund ihrer geringen Ausdehnung von ca. 80 Metern keine eigenständige Erschließungsanlage, sondern Bestandteil der S...straße. Damit hätten auch die Grundstücke Fl.Nrn. ... und ... sowie die Fl.Nrn., /, …, …, …, …, …, …, … und … als dazugehörige Garagenanlage zu den Kosten der S...straße herangezogen werden müssen. Ferner würde dann bei den Grundstücken Fl.Nrn. ... und ... die in § 7 Abs. 7 EBS geregelte Eckgrundstücksvergünstigung in Wegfall kommen.
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Die Beklagte wandte sich mit Schreiben vom 28. Mai 2021 gegen die Klagebegehren. Für sie ist beantragt,
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die Klagen abzuweisen.
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Die S...straße habe - worauf auch im Widerspruchsbescheid hingewiesen worden sei - zu keinem Zeitpunkt vor dem 30. Juni 1961 Erschließungsfunktion besessen. Die von der Klägerin vorgelegte Vereinbarung vom 23. Mai/3. Juni 1936 über die Erhebung eines Straßenkostenbeitrags sei ebenso wie der Inhalt des Schreibens vom 10. Dezember 1954 vielmehr ein Indiz dafür, dass die Beklagte nicht von einer endgültig hergestellten Straße ausgegangen sei. Diesbezüglich könne auch noch auf weiteren die Geltendmachung von Straßenkostenbeiträgen betreffenden Schriftverkehr, z.B. für das Anwesen S...straße, verwiesen werden. Die S...straße sei auch in der Folgezeit nicht endgültig erstmals hergestellt worden. Hierzu werde auf die Ausführungen im Widerspruchsverfahren Bezug genommen.
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Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG sei auch nicht verfassungswidrig. Es werde dort im Gegensatz zum rheinland-pfälzischen Kommunalabgabenrecht eine zeitliche Obergrenze von 25 Jahren nach dem Beginn der erstmaligen technischen Herstellung gesetzt. Da die sachliche Beitragspflicht am 19. Januar 2016 entstanden sei, spiele die Satzungsänderung vom 31. Juli 2019, mit dem ein städtischer Eigenanteil von 50% des zu erhebenden Beitrags beim Entstehen der Beitragspflicht zwischen dem 1. Januar 2018 und dem 31. März 2021 festgelegt worden sei, keine Rolle mehr. Die Ermittlung des Straßenentwässerungskostenanteils - hier von 33,8% - durch eine Vergleichsberechnung sei zulässig. Der A...weg sei insoweit mit der S...straße vergleichbar. Die durchgeführten Anpassungen der Erschließungsanlage an einmündende Straßen seien technisch notwendig gewesen. Es habe sich nicht um Erneuerungsmaßnahmen an den anderen Straßen gehandelt. Der „K...weg“ (Fl.Nr. ...) stelle eine eigene Erschließungsanlage dar und gehöre deshalb nicht zum Abrechnungsgebiet der S...straße.
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Am 18. August 2021 wurde vom Gericht Beweis erhoben durch die Einnahme eines Augenscheins vor Ort. Hinsichtlich des Ergebnisses und der gefertigten Fotoaufnahmen wird auf das Protokoll Bezug genommen. Die Beklagte wurde anlässlich des Augenscheintermins gebeten, sich ergänzend zu der Frage zu äußern, in welchem Umfang die Kosten für die Anbindung der S...straße an die I...straße und an den B...weg in den umgelegten Aufwand einbezogen worden sind, ob die Fahrbahnverengung vor dem jetzigen Grundstück Fl.Nr. ... (früher ...) mit dem Bauprogramm zu vereinbaren sei und nochmals zu erläutern, wie der mit 33,8% bezifferte Anteil der umgelegten Entwässerungskosten bei der S...straße zustande gekommen ist.
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Mit Schriftsatz ihres früheren Prozessbevollmächtigten vom 2. September 2021 wurden für die Klägerin weitere Fotos vorgelegt, die nach deren Auffassung den früheren Ausbauzustand der S...straße sowie den Umfang der Bebauung entlang der Straße verdeutlichen könnten (16 Fotos aus den Jahren 1979 bis 2014).
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Die Beklagte äußerte sich zu der vom Gericht im Beweiserhebungstermin am 18. August 2021 erbetenen weiteren Sachverhaltsaufklärung mit Schreiben vom 8. Oktober 2021 unter Vorlage von Fotos und Planunterlagen. Aufgrund der Neuanlage der Gehwege in der S...straße hätten bei der I...straße und beim B...weg Bestandsanpassungen an den Bordsteinradien und bei der Straßenentwässerung erfolgen müssen. Dies sei nur in dem technisch erforderlichen Umfang geschehen. Die zum Schutz des vor dem Grundstück Fl.Nr. ... vorhandenen, in die Straßenfläche hineinragenden Baums errichtete Verengung der Fahrbahn sei Bestandteil der vom Umwelt-, Planungs- und Bauausschuss der Beklagten am 31. März 2014 beschlossenen Ausführungsplanung gewesen und habe damit dem Bauprogramm entsprochen. Auf der Grundlage dieser Beschlussfassung sei auch die Ausschreibung erfolgt. Die Anwendung des für den A...weg ermittelten Straßenentwässerungskostenanteils auf die S...straße sei nicht zu beanstanden, da die anzuwendenden Parameter vergleichbar seien. Bei beiden Straßen bestehe für die Regelung der (Straßen-)Entwässerung ein sog. modifiziertes Mischsystem.
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Am 18. November 2021 fand mündliche Verhandlung statt. Die Sache wurde mit den Parteien in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht erörtert. Das Gericht hat den Parteien zur weiteren Sachaufklärung im Beschlusswege aufgegeben, sich zur Frage des Vorliegens der Voraussetzungen für die Gewährung einer Eckgrundstücksvergünstigung für das Grundstück Fl.Nr. ... zu äußern und die Beklagte aufgefordert, sich nochmals vertieft zur bauplanungsrechtlichen Situation in Bezug auf die Herstellung der Erschließungsanlage „S...straße“ zu äußern. Die Parteien haben sodann ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne Durchführung einer weiteren mündlichen Verhandlung erklärt. Die Klägerseite hat ihren bereits im Schriftsatz vom 28. Oktober 2020 enthaltenen Klageantrag wiederholt. Die Beklagte stellte in beiden Verfahren den Antrag, die Klage abzuweisen.
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Der vormalige Prozessbevollmächtigte der Klägerin legte daraufhin mit Schriftsatz vom 7. Dezember 2021 Lichtbilder zur Nutzung der streitgegenständlichen Grundstücke und zu den dort gegebenen tatsächlichen Verhältnissen vor. Darüber hinaus äußerte er sich nochmals zur Verfassungsmäßigkeit von Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG und zu verschiedenen bauplanungsrechtlichen Problemstellungen.
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Die Beklagte nahm mit Schreiben vom 21. Dezember 2021 unter Vorlage von Fotos und Planungsunterlagen zu den vom Gericht aufgeworfenen Sachfragen Stellung und äußerte sich mit Schreiben vom 24. Januar 2022 unter weiterer Vertiefung der vertretenen Rechtsauffassungen abschließend zur Sache.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die vorliegenden Gerichts- und Behördenakten sowie auf das Protokoll über den Augenscheinstermin Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Über die Klagen konnte aufgrund des in der mündlichen Verhandlung am 18. November 2021 erklärten Einverständnisses der Parteien hiermit ohne weitere mündliche Verhandlung entschieden werden (§ 101 Abs. 2 VwGO).
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Die zulässigen Klagen sind unbegründet.
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Die streitgegenständlichen Bescheide der Beklagten vom 28. März 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids der Regierung von ... vom 17. September 2020, mit denen die Klägerin als Eigentümerin der Grundstücke Fl.Nr.... und Fl.Nr. ... Gemarkung ... für die erstmalige endgültige Herstellung der Erschließungsanlage „S...straße“ zu Erschließungsbeiträgen in Höhe von 14.471,11 EUR (Fl.Nr. ...) und 8.219,38 EUR (Fl.Nr. ...) herangezogen wurde, sind rechtmäßig. Die Klägerin wird durch die angegriffenen Bescheide nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Rechtsgrundlage der Erschließungsbeitragsbescheide vom 28. März 2018 ist Art. 5a KAG i.V.m. §§ 128 ff. BauGB sowie die Satzung über die Erhebung von Erschließungsbeiträgen in der Stadt ... in der Fassung der Neubekanntmachung vom 14. Juli 1987 (Erschließungsbeitragssatzung - EBS). Bedenken bezüglich der Rechtmäßigkeit der Erschließungsbeitragssatzung sind von der Klägerin weder vorgetragen worden, noch sind die Wirksamkeit der Satzung berührende Fragestellungen sonst ersichtlich, sodass von ihrer Gültigkeit auszugehen ist (s. hierzu z.B. BayVGH, B.v. 4.6.1997 - 6 ZS 97.1305 - juris).
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Die rechtmäßige Abrechnung der an der streitgegenständlichen Erschließungsanlage durchgeführten Baumaßnahmen im Wege der Erhebung von Erschließungsbeiträgen setzt primär voraus, dass die Erschließungsanlage nicht bereits zu einem früheren Zeitpunkt erstmalig endgültig hergestellt war. Der entsprechende klägerische Einwand, bei der S...straße handele es sich um eine sog. historische Straße im Sinn von Art. 5a Abs. 7 Satz 1 KAG, für die keine Erschließungsbeiträge erhoben werden könnten, jedenfalls aber um eine Anlage, die unter der Geltung der Erschließungsbeitragssatzung vom 26. Juni 1961 i.d.F der Änderungssatzungen vom 12. März 1962, 30. Juli 1963, 25. März 1964, und 28. Dezember 1965 bereits endgültig hergestellt gewesen sei bzw. die den Merkmalen der endgültigen Herstellung in § 8 Abs. 1 der Erschließungsbeitragssatzung vom 16. März 1967 i.d.F. der Änderungssatzungen vom 23. Juli 1969 bzw. 28. Juni 1971 entsprochen habe, hält einer rechtlichen Prüfung jedoch nicht stand.
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Aus dem Blickwinkel des Erschließungsbeitragsrechts liegt eine abrechenbare Straße in dem Zeitpunkt vor, in dem sie Erschließungsfunktion besitzt und für diesen Zweck endgültig hergestellt war. Bei der S...straße handelt es sich aber weder um eine sog. historische Straße im Sinn von Art. 5a Abs. 7 Satz 1 KAG, der regelt, dass für vorhandene Erschließungsanlagen, für die eine Beitragspflicht auf Grund der bis zum 29. Juni 1961 geltenden Vorschriften eine Beitragspflicht nicht entstehen konnte, auch danach kein Erschließungsbeitrag erhoben werden kann, noch um eine Erschließungsanlage, die nach dem Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes am 30. Juni 1961 die Herstellungsmerkmale einer der seither in Kraft getretenen Erschließungsbeitragssatzungen der Beklagten erfüllt hat.
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Maßgeblich für die Beurteilung, ob eine historische Straße vorliegt, ist, dass es sich um eine Anlage handelt, die bereits vor dem Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes am 30. Juni 1961 vorhanden und als öffentliche Einrichtung im Sinn des Art. 9 Abs. 1 Satz 1 des Gemeindeabgabengesetzes vom 20. Juli 1938 (GVBl. S. 225) zu qualifizieren war, Erschließungsfunktion hatte und auch für diesen Zweck entsprechend endgültig hergestellt war (BayVGH, B.v. 9.8.2016 - 6 CS 16.1032 - juris; B.v. 27.1.2015 - 6 ZB 13.1128 - juris; Schmitz, Erschließungsbeiträge, 2018, § 1 Rn. 38 ff.). Maßgeblich für die Beurteilung, ob eine Straße nach dem bis zum 29. Juni 1961 geltenden Recht als endgültig hergestellt angesehen werden kann, sind z.B. hierzu ergangene landesrechtliche bzw. örtliche straßenbaurechtliche Vorschriften (BayVGH, U.v. 6.4.2000 - 6 B 96.56 - juris Rn. 17). Sofern sich örtliche Bauvorschriften im Laufe der Zeit geändert haben, ist jede Baumaßnahme an der Regelung ihrer Zeit zu messen. War eine Erschließungsanlage zu irgendeinem Zeitpunkt endgültig hergestellt, verliert sie diese Eigenschaft durch spätere Änderungen der Sach- und Rechtslage nicht mehr (BayVGH, U.v. 6.4.2000 - 6 B 96.56 - juris Rn. 17).
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Hier muss diesbezüglich differenziert werden zwischen dem Zeitraum vom 17. September 1910 bis zum 25. März 1952, als die bis zu diesem Zeitpunkt maßgeblichen „Vorschriften über die Straßenherstellung“ in der Stadt ... durch einen Beschluss des Stadtrats aufgehoben wurden (S. 74/75 der Gerichtsakte) und dem Zeitraum vom 26. März 1952 bis zum 29. Juni 1961. Bis zum 25. März 1952 war für den Ausbau und die Anforderungen an eine Straße in der Stadt ... § 8 der „Vorschriften über Straßenherstellung“ maßgeblich (S. 71 bis 73 der Gerichtsakte). Diese sahen vor, dass der eigentliche Straßenkörper angelegt, ein 15 cm Unterbau von Bruchsteinen hergestellt und erforderliche Stützmauern oder Böschungen errichtet waren, sowie dass eine ordnungsgemäße 10 cm starke Beschotterung, dann Verrieselung und Besandung der Fahrbahn und der Gehsteige mit einer entsprechenden Festigung durch Walzen zu erfolgen haben. Darüber hinaus wird die Herstellung von 50 cm breiten Straßenrinnen aus Granitpflastersteinen mit Asphaltguss für notwendig erklärt. Diese Voraussetzungen waren hier bis zum 25. März 1952 nicht erfüllt, da sich aus den vorliegenden Akten und Fotos nicht ersehen lässt, dass z.B. ein durchgängiger Gehsteig oder 50 cm breite Straßenrinnen aus Granitpflastersteinen mit Asphaltguss vorhanden gewesen wären. Soweit von Klägerseite vorgetragen wird, dass die S...straße bereits in den 1930er Jahren diesen Ausbauvorstellungen entsprochen habe, was sich zum einen aus einer Vereinbarung über die Zahlung eines Straßenkostenbeitrags zwischen dem früheren Eigentümer des damaligen Anwesens S...straße ... und der Beklagten vom 23. Mai/ 3. Juni 1936 (S. 76 der Gerichtsakte) ergebe, sowie zum anderen aus dem Beschluss Nr. 7 des Stadtrats der Beklagten vom 31. März 2014 (Behördenakt „Abrechnungsunterlagen“, S. 167/168), wonach die S...straße bereits in den 1950er Jahren in einer ersten Ausbaustufe ausgebaut gewesen sei und über einen Schmutzwasserkanal mit Straßenabläufen sowie über eine 6 cm breite und 6 bis 10 cm starke Asphaltierung der Fahrbahn verfügt habe, greift dies nicht durch. Die S...straße hat nach Aktenlage erst im Jahr 1957 eine Straßenentwässerungseinrichtung durch den Einbau eines Abwasserkanals mit 31 Straßeneinläufen erhalten, um zumindest eine provisorische Entwässerung der wachsenden Bebauung in diesem Gebiet sicherzustellen (S. 12 des als Anlage 11 zum Schreiben der Beklagten vom 28.5.2021 vorgelegten Schreibens vom 29.7.2020 an die Regierung von ...). Darüber hinaus fehlten aber auf der gesamten Länge der Straße neben nur rudimentär vorhandenen Gehwegen auch Oberflächenwasserableitungseinrichtungen, wie Rand- bzw. Rinnbordsteine oder Straßenrinnen. Dies lässt sich sowohl aus der vor dem Beginn der Straßenherstellungsarbeiten am 13. Februar 2014 von der Beklagten erstellten Fotodokumentation über den bestehenden Zustand der S...straße (Behördenakt „Abrechnungsunterlagen“, S. 486 bis 505), als auch aus den von der Klägerin mit dem Schriftsatz vom 2. September 2021 vorgelegten, am 1. bzw. 5. Mai 2014, also ebenfalls vor Beginn der Straßenbauarbeiten, gefertigten Fotos Nr. 6 bis Nr. 16 (Gerichtsakt, S. 188 bis 198) erkennen. Gemäß § 8 der oben genannten Straßenbauvorschriften war aber bereits im Jahr 1910 für die vorschriftsmäßige Herstellung einer städtischen Straße das Vorhandensein eines „Fußsteigs“ und von 50 cm breiten Straßenrinnen aus Granitpflastersteinen mit Asphaltguss erforderlich. Sichtbar sind Straßeneinläufe, jedoch keine Bordsteine bzw. Straßenrinnen. Mangels entsprechender baulicher Einrichtungen konnte das Oberflächenwasser damit nicht gezielt zu den Straßeneinläufen geleitet und abgeführt werden. Der Ausbauzustand der Straße entsprach deshalb auch unter besonderer Berücksichtigung der von Klägerseite vorgelegten Archivunterlagen und Fotoaufnahmen nicht den Anforderungen von § 8 der „Vorschriften über Straßenherstellung“ vom 17. September 1910.
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Aus der Vereinbarung über die Zahlung eines Straßenkostenbeitrags in Höhe von 280 Reichsmark für das Anwesen S...straße ... zwischen ... ... und der Beklagten vom 23. Mai bzw. 3. Juni 1936 ergibt sich nicht, dass die S...straße zu diesem Zeitpunkt endgültig hergestellt gewesen war. Abgesehen von dem Zweck der Erhebung von Straßenkostenbeiträgen bzw. Straßensicherungskosten nach damaligem Verständnis (vgl. Matloch/Wiens, Erschließungsbeitragsrecht in Bayern, Stand Oktober 2021, Rn. 2011) ist in dem Schriftstück der Stadt ... vom 23. Mai 1936 zwar von einem „endgültigen“ Straßenkostenbeitrag die Rede, allerdings ist darin auch festgestellt, dass die Straße erst „in allernächster Zeit“ ausgebaut wird, also nicht fertiggestellt war. Dies lässt sich auch dem Schreiben von ... ... an die Beklagte vom 10. Dezember 1954 entnehmen, da er darin ausführt, dass die S...straße erst zu einem kleinen Teil kanalisiert sei und erst fertiggestellt werden könne, wenn noch notwendige Grundabtretungen durchgeführt sind (Anlage 1 zum Schreiben der Beklagten vom 28.5.2021). Abweichendes ergibt sich auch nicht aus dem von der Beklagten vorgelegten weiteren Schriftverkehr zu der Erhebung von Straßenherstellungskosten für den „vorläufigen“ Ausbau der S...straße (z.B. in Bezug auf das Baugesuch Nr. ... der Eheleute, S...straße, aus dem Jahr 1957, S. 20 bis 31 der Anlage 6 zum Schriftsatz der Beklagten vom 28.5.2021). Deshalb kann letztlich auch dahinstehen, ob die S...straße bis zum 25. März 1952 überhaupt Erschließungsfunktion besessen hat.
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Auch in der Zeitspanne vom 26. März 1952 bis 30. Juni 1961, in dem die Vorschriften über Straßenherstellung von 1910 keine Gültigkeit mehr hatten, wurde die S...straße nicht endgültig hergestellt. Es gab in diesem Zeitraum weder umfassende landesrechtliche Vorschriften, aus denen die Ausbauvorstellungen der Stadt ... abgeleitet werden könnten, noch lagen örtliche straßenbaurechtlichen Vorschriften vor, in denen die Anforderungen an die Straßenherstellung geregelt sind. Maßgeblich ist für den Ausbauzustand einer Straße in diesem Zeitraum, dass gemessen an den Verkehrsbedürfnissen die Schwelle von einem Provisorium zur endgültigen Herstellung überschritten worden ist, um sie als „vorhanden“ qualifizieren zu können (vgl. Schmitz, Vorhandene Erschließungsanlagen im Sinn des § 242 Abs. 1 BauGB aus bayerischer Sicht, BayVBl 2014, 613). Gemäß den Richtlinien des Staatsministeriums des Innern für Wohnstraßen vom 6. August 1936, die als Anhalt dienen können, war für städtische Wohnstraßen eine Breite von 8,5 m, also 6 m Fahrbahnbreite und 1,25 m Gehwegbreite, vorgesehen. Aus der vorgelegten Eintragungsverfügung vom 20. August 1963 (Behördenakt „Abrechnungsunterlagen“, S. 226 bis 231) ergibt sich, dass die S...straße zum damaligen Zeitpunkt nicht ausgebaut war und keine Gehsteige vorhanden waren. Vorgesehen war eine Fahrbahnbreite von nur 7,5 m. Selbst im Jahr 1966, als der Ausbau mittels „festen“ Fahrbahnbelags erfolgte, konnten die Gehsteige mangels Grundabtretungen nicht ausgebaut werden (Behördenakt Abrechnungsunterlagen, S. 169). Außerdem war in diesem Zeitraum eine Teerdecke als Oberflächenbefestigung erforderlich. Eine solche war vor dem 30. Juni 1961 jedoch nicht vorhanden, weil erst 1966 ein Ausbau mittels festen Fahrbahnbelags erfolgt war. Aus dem Auszug aus dem Amtsblatt der Stadt ... vom 7. September 1961 ergibt sich ebenfalls, dass die S...straße im Jahr 1961 nicht als endgültig ausgebaut betrachtet wurde (Behördenakt „Abrechnungsunterlagen“, S. 232). Ob die S...straße darüber hinaus in diesem Zeitraum bereits eine Erschließungsfunktion besessen hat, bedarf keiner Entscheidung, weil sie jedenfalls für diesen Zweck nicht ausreichend ausgebaut gewesen ist.
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Die Erschließungsanlage S...straße wurde rechtmäßig hergestellt (§ 125 Abs. 1 BauGB). Sie entspricht den Festsetzungen des hier maßgeblichen Bebauungsplans Nr. ... „Zwischen N...weg, G...f-, S...- und B...straße“ vom 4. September 1970 i.d.F. der Änderungssatzung vom 23. Oktober 1992. Da dieser Bebauungsplan rechtswirksam ist und die Fläche der Erschließungsanlage mit Länge und Breite festlegt, ist dem erschließungsrechtlichen Planerfordernis genüge getan (s. hierzu z.B. BVerwG, U.v. 30.5.1997 - 8 C 6.95 - NVwZ 1998, 290). Die Bebauungspläne Nr. ... und Nr. ... überlappen sich zwar in einem Teilbereich der S...straße (Bereich Einmündung G...straße bis südliche Grenze Fl.Nr. ...). Die beiden Bebauungspläne setzen jedoch keine sich widersprechenden verbindlichen satzungsrechtlichen Regelungen fest, die wegen eines daraus folgenden Verstoßes gegen das Bestimmtheitsgebot zu deren Nichtigkeit führen könnten. Der Bebauungsplan Nr. ... ist zeitlich jünger und ersetzt im Überschneidungsbereich nach dem Grundsatz „lex posterior derogat legi priori“ den älteren Bebauungsplan Nr. ... (BVerwG, U.v. 10.8.1990 - 4 C 3.90 - BayVBl 1991, 180; VGH BW, U.v. 15.6.2016 - 5 S 1375/14 - ZfBR 2016, 795, OVG RhPf, U.v. 6.10.2011 - 1 C 11322/10 - juris Rn. 45). Dabei dürfte nur die Festsetzung der Verkehrsfläche rechtlich bindend sein, da deren in der Planzeichnung enthaltene Vermassung lediglich Hinweischarakter hat. Im Übrigen sind die in den Planunterlagen dargestellten Straßenquerschnitte mit Maßangaben in beiden Bebauungsplänen identisch (Gerichtsakt, S. 295 ff.). Daher würden auch keine sich widersprechenden verbindlichen bauplanungsrechtlichen Festsetzungen vorliegen, die die Unwirksamkeit des Bebauungsplans bzw. der Bebauungspläne nach sich ziehen und zur Rechtswidrigkeit der Herstellung der Erschließungsanlage „S...straße“ führen könnten. Die Herstellung der Erschließungsanlage entspricht im Übrigen dem von der Beklagten dafür festgelegten Bauprogramm auch in Bezug auf die zum Erhalt einer Eiche erfolgten Verengung der Fahrbahn auf der Höhe der südöstlichen Ecke des Grundstücks Fl.Nr., da die Errichtung der Engstelle Gegenstand der vom Umwelt-, Planungs- und Bauausschuss am 31. März 2014 durch Beschluss gebilligten Ausbauplanung für die S...straße war (Behördenakt „Abrechnungsunterlagen“, S. 167/168; Anlagen 18 u. 19 zum Schreiben der Beklagten vom 8.10.2021).
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In dem Zeitraum nach dem Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes am 30. Juni 1961 handelte es sich bei der gemäß der Eintragungsverfügung vom 29. August 1963 (Behördenakt „Abrechnungsunterlagen“, S. 276/277) auf der gesamten Länge von 443 m als O. straße gewidmeten S...straße ebenfalls nicht um eine abschließend fertiggestellte Erschließungsanlage. Voraussetzung hierfür war, dass die Straße in ihrer gesamten Ausdehnung und mit allen Teileinrichtungen den Vorgaben des satzungsmäßigen Einrichtungsprogramms und des dieses ergänzenden gemeindlichen Bauprogramms entsprochen hat (vgl. BVerwG, U.v. 10.10.1995 - 8 C 13.94 - NVwZ 1996, 799; Schmitz, a.a.O., § 5 Rn. 15 ff. m.w.N.). In § 8 der Satzung über die Erhebung des Erschließungsbeitrags der Stadt ... in der Fassung von 1961 bzw. in der Fassung von 1967 sind die Voraussetzungen für eine endgültige Erschließung genannt. Demnach sind die öffentlichen, zum Anbau bestimmten Straßen, Wege und Plätze sowie die Sammelstraßen und Parkflächen endgültig hergestellt, wenn sie mit einer den Verkehrserfordernissen entsprechenden neuzeitlichen Straßendecke, Entwässerung und etwa vorgesehener Beleuchtung versehen und an eine dem öffentlichen Verkehr gewidmete Straße angeschlossen sind. Bei der Prüfung, ob ein Ausbau einer beitragsfähigen Erschließungsanlage den Endpunkt, nämlich die erstmalige endgültige Herstellung im Sinn von Art. 5a Abs. 2 KAG i.V.m. § 133 Abs. 2 BauGB erreicht hat, kommt es im Übrigen nicht auf die jeweiligen subjektiven Vorstellungen der Gemeinde oder der Beitragspflichtigen an. Vielmehr ist dies objektiv nach dem maßgeblichen Ortsrecht zu beurteilen (BVerwG, U.v. 2.12.1977 - 4 C 55.75 - BauR 1978, 133; BayVGH, B.v. 25.3.2019 - 6 ZB 18.1416 - juris Rn. 11).
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Die Regelung von Herstellungsmerkmalen soll es den Beitragspflichtigen ermöglichen, sich durch einen Vergleich der satzungsmäßig festgelegten Kriterien für die Fertigstellung mit dem tatsächlichen Zustand, in dem sich die gebaute Anlage befindet, einen Eindruck darüber zu verschaffen, ob die Anlage endgültig hergestellt ist oder nicht. Mit dieser auf die Laiensphäre abstellenden Zielrichtung wäre es von vornherein nicht zu vereinbaren, das Merkmal (Straßen-)Entwässerung in dem Sinn zu verstehen, dass es um Ausbaustandards unter Beachtung bestimmter technischer Regelwerke ginge. Entscheidend kann nur sein, dass überhaupt eine funktionsfähige, der Straßenlänge und den örtlichen Verhältnissen angepasste Entwässerungseinrichtung vorhanden ist (vgl. BayVGH, B.v. 28.3.2022 - 6 ZB 21.1543 - juris Rn. 13; B.v. 4.5.2017 - 6 ZB 17.546 - juris; B.v. 29.6.2016 - 6 ZB 15.2786 - BeckRS 2016, 53241; B.v. 6.3.2006 - 6 ZB 03.2961 - juris Rn. 9; Matloch/Wiens, a.a.O., Rn. 412a).
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Hier waren die satzungsmäßigen Voraussetzungen für eine endgültige erstmalige Herstellung der S...straße nicht gegeben. Abgesehen von den fehlenden durchgängigen Gehwegen, der Frage des Vorliegens einer ausreichend dimensionierten Fahrbahndecke und des notwendigen frostsicheren Unterbaus lag hier jedenfalls keine den Anforderungen genügende funktionsfähige Straßenentwässerung vor (s. hierzu Schmitz, a.a.O., § 8 Rn. 37 ff.). Das bloße Abfließen des Regenwassers in die anliegenden Bankett- bzw. Seitenstreifen aufgrund einer Deckenwölbung der Straße genügt als Provisorium aber auch unter Berücksichtigung der damaligen geringeren Anforderungen zur Erfüllung der satzungsmäßig festgelegten Merkmale für die erstmalige Herstellung einer Erschließungsanlage nicht (BVerwG, B.v. 13.9.2018 - 9 B 129.17 - juris; BayVGH, B.v. 15.11.2018 - 6 ZB 18.1516 - juris Rn. 7; B.v. 7.1.2018 - 6 ZB 17.546 - juris B.v. 12.6.2014 - 6 CS 14.1077 - BeckRS 2014, 52922; B.v. 6.3.2006 - 6 ZB 03.2961 - BeckRS 2009, 37088; Matloch/Wiens, a.a.O., Rn 181; Driehaus/Raden, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 11. Aufl. 2022, § 19 Rn. 3; Schmitz, Vorhandene Erschließungsanlagen im Sinn des § 242 Abs. 1 BauGB aus bayerischer Sicht, BayVBl 2014, 613).
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Erforderlich waren auch bereits in den 1960er Jahren Entwässerungsleiteinrichtungen, wie Randsteine oder Gerinne (BayVGH, U.v. 5.11.2007 - 6 B 05.2551 - juris; Matloch/Wiens a.a.O.). Wie sich den vorgelegten Planunterlagen und Fotos zum Ausbauzustand der S...straße vor dem Beginn der Straßenbauarbeiten im Jahr 2014 entnehmen lässt (Behördenakt „Abrechnungsunterlagen“, S. 486 bis 505) gab es im Straßenbereich in erheblichem Umfang Abschnitte, die keine konstruktive Straßenbegrenzung und damit keine Einrichtungen zur effektiven Ableitung des anfallenden Oberflächenwassers aufgewiesen haben. Da die Randbereiche in erheblichem Umfang als geschotterte Fläche gestaltet waren, fehlte es zum einen bereits an einer baulichen Befestigung der seitlichen Straßenbegrenzung, um ein seitliches Wegbrechen der Fahrbahndecke zu verhindern. Zum anderen waren damit auch die Vorgaben für die Herstellung einer ordnungsgemäßen Straßenentwässerung nicht erfüllt. Hierfür ist Voraussetzung, dass diese vollfunktional auf der gesamten Länge der Erschließungsanlage vorhanden ist. Eine Straßenentwässerung wurde in der S...straße in den 1960er Jahren nicht durchgehend gebaut. Es lag zwar ein Abwasserkanal mit 31 Straßeneinläufen vor, um die Entwässerung der Straße zu bewerkstelligen. Jedoch fehlten - wie oben bereits dargelegt - praktisch auf der gesamten Straßenlänge die Entwässerungsleiteinrichtungen wie Randsteine oder Straßenrinnen. Die hier bis zum jetzigen Ausbauzustand vorhandene Art der Entwässerung durch das partielle auf bloße Teilstrecken der Straße beschränkte Ableiten des Oberflächenwassers mittels Straßeneinläufen und das gefällebedingte Abfließen des Oberflächenwassers auf die seitlichen Straßenbankettbereiche bzw. in benachbarte (Privat-)Grundstücke in den übrigen Bereichen vermochte aber die Mindestanforderungen an eine O. straße in einer Stadt der Größenordnung ... nicht zu erfüllen (s. hierzu auch BVerwG, U.v. 11.7.2007 - 9 C 5.06 - juris Rn. 40; BayVGH, U.v. 5.11.2007 - 6 B 05.2551 - juris Rn. 33; B.v. 6.3.2006 - 6 ZB 03.2961 - BeckRS 2009, 37088). Da folglich eine gezielte Ableitung des Straßenoberflächenwassers nicht auf der gesamten Straßenlänge gewährleistet war, kommt es auf die Erfüllung der anderen Herstellungsmerkmale nicht mehr an. Das Vorliegen eines Provisoriums wird im Übrigen auch dadurch bestätigt, dass im Verzeichnis der Erschließungsanlagen des städtischen Rechnungsprüfungsamtes vom 25. März 1987 die S...straße als noch nicht endgültig hergestellt aufgeführt wird. Dabei wurde darüber hinaus auch auf das Fehlen der Gehwege hingewiesen. Damit handelt es sich bei der S...straße weder um eine historische Straße im Sinn von Art. 5a Abs. 7 Satz 1 KAG, noch um eine nach dem Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes am 30. Juni 1961 nach Maßgabe der hierfür erlassenen Satzungsbestimmungen erstmalig endgültig hergestellte Erschließungsanlage.
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Die demzufolge dem Erschließungsbeitragsrecht unterfallende Anlage ist in ihrer Ausdehnung zwischen G...straße im Norden und I...straße im Süden ohne Einbeziehung der O. straße „K...weg“ (Fl.Nr. ...) zutreffend beurteilt worden. Insbesondere ist es rechtlich nicht zu beanstanden, dass der „K...weg“ nicht als Bestandteil der Erschließungsanlage betrachtet wurde. Zwar hat die als alleinige Zufahrt zu den Grundstücken Fl.Nrn.,,, ... und ... dienende O. straße mit Sackgassencharakter ausweislich des Inhalts der Eintragungsverfügung vom 1. Dezember 1969 in das Bestandsverzeichnis für Gemeindestraßen (Behördenakt Abrechnungsunterlagen, S. 275) eine verhältnismäßig geringe Länge von nur 76 m. Allerdings stellt die längenmäßige Ausdehnung kein starres Kriterium für die Beurteilung der Eigenständigkeit einer Erschließungsanlage dar, da auch die Art der Bebauung an der Straße, die Bebauungsdichte und das Maß der Abhängigkeit zwischen ihr und der H.straße Bedeutung besitzen. Befindet sich an ihr eine massive Bebauung, kann es gerechtfertigt sein, die Stichstraße ungeachtet ihrer längenmäßigen Ausdehnung als selbständige Erschließungsanlage anzusehen (BVerwG, U.v. 23.6.1995 - 8 C 30.93 - BVerwGE 99, 23; BayVGH, B.v. 17.9.2020 - 6 ZB 20.1501 - juris Rn. 7; U.v. 13.4.2017 - 6 B 14.2720 - BayVBl 2017, 820; VG Koblenz, U.v. 3.4.2006 - 4 K 1095/05.KO - juris Rn. 22; Matloch/Wiens, a.a.O., Rn. 10a; Schmitz, a.a.O., § 6 Rn. 17). Aus den vorgelegten Planunterlagen und Fotoaufnahmen sowie aus dem Ergebnis der gerichtlichen Beweiserhebung durch Augenschein ergibt sich zur Überzeugung des Gerichts, dass der Erschließungsfunktion besitzende, rechtlich und tatsächlich uneingeschränkt befahrbare und beidseitig in erheblichem Umfang bebaute K...weg - rechts und links der Straße befinden sich drei bzw. viergeschossige Wohnanlagen der städtischen Wohnungsbaugenossenschaft mit dazugehörigen Garagenanlagen - nach dem Gesamteindruck, den die tatsächlichen Verhältnisse einem unbefangenen Beobachter vermitteln, gerade nicht einer von der S...straße abzweigenden unselbständigen Zufahrt ähnelt und damit zu Recht nicht als unselbständiger Teil der Erschließungsanlage „S...straße“ betrachtet wurde.
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Der Erhebung von Erschließungsbeiträgen steht Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG nicht entgegen. Durch diese am 1. April 2021 in Kraft getretene Regelung, deren Anwendbarkeit im vorliegenden Fall fraglich erscheint, da die sachliche Beitragspflicht bereits am 19. Januar 2016 entstanden und der Widerspruchsbescheid der Regierung von ... vom 17. September 2020 ebenfalls vor deren Inkrafttreten erlassen worden war, kann für Erschließungsstraßen, mit deren erstmaliger Herstellung vor mehr als 25 Jahren begonnen wurde, ein Erschließungsbeitrag nicht mehr erhoben werden. Ergänzend hierzu sieht Art. 5a Abs. 8 KAG vor, dass Erschließungsanlagen, für die nach Abs. 7 oder Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. bb Spiegelstrich 1 KAG kein Beitrag mehr erhoben werden kann, als erstmalig hergestellt gelten. Diese Regelungen zielen darauf ab, den Bürger davor zu schützen, für lange zurückliegende Vorgänge zeitlich unbegrenzt zu Erschließungsbeiträgen herangezogen zu werden, wobei die in Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. bb KAG geregelten zeitlichen Erhebungsobergrenzen aufgrund des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 2013 - Az. 1 BvR 2457/08 - in das Kommunalabgabengesetz eingefügt worden sind. Da hier die sachliche Beitragspflicht am 19. Januar 2016 entstanden ist und der Eintritt der Vorteilslage jedenfalls aufgrund der bis zum Abschluss der im Jahr 2014 begonnenen endgültigen Straßenherstellungsarbeiten nur provisorisch vorhandenen Straßenentwässerungseinrichtung nicht angenommen werden kann, steht weder Art. 5a Abs. 7 und Abs. 8 noch Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. bb KAG der Erhebung von Erschließungsbeiträgen für die S...straße entgegen. Die von Klägerseite vertretene Auffassung, dass bezüglich der Regelung des Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG verfassungsrechtliche Bedenken bestehen, wird vom Gericht nicht geteilt. Auch aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu § 3 Abs. 1 Nr. 4 des rheinland-pfälzischen Kommunalabgabengesetzes (B.v. 3.11.2021 - 1 BvL 1/19 - KStZ 2022, 10) ergeben sich keine entsprechenden Anhaltspunkte, da in Bayern zum Schutz des Bürgers vor einer zeitlich unbegrenzten Erhebung von Kommunalabgaben neben Art. 5a Abs. 7 und Abs. 8 KAG bereits die Bestimmung des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. bb KAG gilt und weder verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Erkennbarkeit der Vorteilslage noch in Bezug auf die dort geregelten zeitlichen Abgabenerhebungsgrenzen bestehen (s. hierzu auch VG Schleswig, U.v. 4.3.2022 - 9 A 113/20 - juris Rn. 27 ff.).
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Hinsichtlich der Ermittlung des beitragsfähigen Aufwands - insbesondere in Bezug auf die Herstellung der Straßenentwässerungseinrichtung - ergeben sich keine zur Rechtswidrigkeit der streitgegenständlichen Bescheide führenden Rechtsfehler. Die von der Beklagten durchgeführte Aufwandsermittlung (Behördenakt „Abrechnungsunterlagen“, S. 15) einschließlich der am Maßstab der Straße „A...weg“ vorgenommenen prozentualen Kostenverteilung sind rechtlich nicht zu beanstanden (vgl. zu den Möglichkeiten der Schätzung des umzulegenden Aufwands VGH BW, B.v. 29.10.2019 - 2 S 465/18 - ZKF 2020, 94). Die tatsächlichen Kosten für den Kanalbau wurden mit Rechnung vom 30. Oktober 2015 in Höhe von 136.476,26 EUR gesondert ausgewiesen und ein Straßenentwässerungsanteil von 33,8% ermittelt. Dieser Prozentsatz ergibt sich aus der Gegenüberstellung der reinen Kosten für die Straßenentwässerung und der Kosten für die Grundstücksentwässerung und basiert auf den Ermittlungen bei entsprechenden Baumaßnahmen in der Straße „A...weg“. Aus den Angaben der Beklagten hierzu in den Schreiben vom 28. Mai und 8. Oktober 2021 sowie aus den ergänzenden Erläuterungen in der mündlichen Verhandlung am 8. November 2021 ergibt sich nachvollziehbar, dass die S...straße mit dem A...weg sowohl in Bezug auf das jeweils installierte (abgemagerte) modifizierte Mischsystem (Straßenentwässerungskanal DN 300 bzw. Grundstücksentwässerungskanal DN 250) und die Kanalverlegungstiefen (2,0 m und 3,0 bzw. 3,5 m) als auch - nach einer Gegenüberstellung der Abwassersplittingdaten - hinsichtlich des Verhältnisses der abflusswirksamen Fläche zur befestigten Fläche der Grundstücke vergleichbar sind und die Erhebung der Vergleichsdaten für den A...weg verfahrensmäßig schlüssig erfolgt ist sowie der rechnerisch ermittelte Prozentwert von 33,8 im Ergebnis nicht nur belastbar, sondern - zugunsten der Beitragspflichtigen - eher zu niedrig erscheint. Dies wird auch durch die Feststellungen des Kommunalen Prüfungsverbands bestätigt, denen zufolge der Straßenentwässerungsanteil bei einem (abgemagerten) modifizierten Mischsystem in der Regel bei 35% liegt (Gerichtsakt, S. 213/214).
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Die Abrechnung der Straßenbeleuchtung lässt keine Rechtsfehler erkennen. Es ist erschließungsbeitragsrechtlich nicht zu beanstanden, dass die Beklagte den Aufwand für die Errichtung einer LED-Beleuchtung in die Straßenherstellungskosten einbezogen hat. Die Bedenken, die diesbezüglich im Bereich des Straßenausbaubeitragsrechts geltend gemacht werden könnten, greifen bei der Erhebung von Erschließungsbeiträgen für die erstmalige endgültige Herstellung einer Erschließungsanlage nicht durch. Die Kosten für die erstmalige Herstellung einer LED-Straßenbeleuchtung zählen hier zum umlegungsfähigen Aufwand (vgl. VG München, U.v. 15.4.2016 - M 2 K 16.115 - juris Rn. 26 ff.).
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Die vorgenommenen Straßenbauarbeiten an den Ortstraßen I...straße, Z...straße, V...straße, T...weg, B...weg, ... Weg, K...weg, S...straße und G...straße stellen nach den nachvollziehbaren Angaben der Beklagten hierzu und dem Ergebnis der gerichtlichen Beweiserhebung durch Augenschein bloße straßenbautechnisch notwendige Angleichungsmaßnahmen, z.B. in Bezug auf Gehweghöhen bzw. -radien, dar (Gerichtsakt, S. 208 bis 210; Behördenakte „Abrechnungsunterlagen“, S. 17). Es handelt sich damit nicht um den betroffenen Straßen zuzuordnende Ausbauaufwendungen, sondern um Kosten für Angleichungsmaßnahmen in abzweigenden Seitenstraßen, die dem umlagefähigen Erschließungsaufwand der S...straße zuzurechnen sind (vgl. BayVGH, B.v. 23.9.2009 - 6 CS 09.1753 - KStZ 2010, 94; Matloch/Wiens, a.a.O., Rn. 193).
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Der Eigenanteil der Beklagten an den Herstellungskosten für die Erschließungsanlage bestimmt sich nach der Regelung hierzu in der zum Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht geltenden Erschließungsbeitragssatzung. Nach § 5 der am 19. Januar 2016, dem Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht, geltenden Erschließungsbeitragssatzung vom 14. Juli 1987 beträgt der von der Beklagten zu tragende Eigenanteil 10%. Die auf die Ergänzung von § 5 EBS um einen Absatz 2 beschränkte und auf Art. 13 Abs. 6 Satz 2 KAG gestützte Satzung zur Änderung der Erschließungsbeitragssatzung vom 1. Juli 2019, die eine Erhöhung des Eigenanteils der Beklagten auf 50% vorsah, trat erst am 1. September 2019 in und am 1. April 2021 wieder außer Kraft. Da die sachliche Beitragspflicht im Fall der S...straße bereits vorher entstanden war, konnte § 5 Abs. 2 in der Fassung der Erschließungsbeitragssatzung vom 1. Juli 2019 keine Anwendung finden.
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Schließlich ist auch die Veranlagung des Grundstücks Fl.Nr. ... rechtlich nicht zu beanstanden. Insbesondere war es nicht erforderlich, für dieses Grundstück die in § 7 Abs. 7 EBS geregelte Ermäßigung für mehrfach erschlossene Grundstücke zu gewähren. Die satzungsrechtlichen Voraussetzungen liegen im Fall des Grundstücks Fl.Nr. ... bereits nicht vor. Das Grundstück Fl.Nr. ... liegt aus der maßgeblichen Sicht der Abrechnung der S...straße betrachtet nicht an zwei Erschließungsanlagen an (§ 7 Abs. 7 Satz 1 EBS). Im Übrigen wurde von der Beklagten für das Grundstück Fl.Nr. ... bei der Abrechnung des B...wegs kein Erschließungsbeitrag erhoben. Daher ist auch der Tatbestand von § 7 Abs. 7 Satz 2 EBS nicht erfüllt. Damit kommt es in der vorliegenden tatsächlichen und rechtlichen Konstellation auf die zu stellenden Anforderungen an die Beitragspflichtigkeit von sog. nichtgefangenen Hinterliegergrundstücken nicht an.
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Da weitere Punkte, die die Rechtswidrigkeit der Beitragserhebung nach sich ziehen könnten, weder konkret vorgetragen noch sonst ersichtlich sind, konnten die Klagen keinen Erfolg haben.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
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Gründe, die Berufung zuzulassen, liegen nicht vor (§ 124a Abs. 1 Satz 1, § 124 Abs. 2 Nr. 3 und Nr. 4 VwGO).