Titel:
Unzumutbare Geruchsbelastungen für eine heranrückende Wohnbebauung
Normenketten:
BauNVO § 15 Abs. 1 S. 2
BayVwVfG Art. 37 Abs. 1
Leitsatz:
Wird nach einer Prognose der nach der GIRL einzuhaltende Immissionswert dem Grunde nach überschritten, so ist eine Verletzung des Gebotes der Rücksichtnahme gleichwohl zu verneinen, wenn durch geeignete Auflagen unzumutbare Beeinträchtigungen auszuschließen sind. (Rn. 43 – 45) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Geruchsimmissionen, Geruchsimmissionsrichtlinie, Gebot der Rücksichtnahme, Heranrückende Wohnbebauung, Nachbarklage, Bauvorbescheid, Geruchsimmissionen-Richtlinie (GIRL), heranrückende Wohnbebauung, Bestimmtheit
Fundstelle:
BeckRS 2022, 42113
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
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Die Beteiligten streiten über einen dem Beigeladenen erteilten Vorbescheid.
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Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks FlNr. 648 Gem. …, auf dem er Landwirtschaft betreibt. Der Beigeladene ist Eigentümer des unmittelbar südöstlich gelegenen Grundstücks FlNr. 650 Gem. … (Vorhabensgrundstück), einem ehemaligen landwirtschaftlichen Anwesen mit Betriebsleiterwohnhaus und einem westlich anschließenden, ehemals landwirtschaftlich genutzten Gebäude. Das Betriebsleiterwohnhaus auf dem Grundstück des Beigeladenen liegt ca. 20 m südlich vom Wohnhaus des Klägers. An das Wohnhaus des Klägers schließen sich westlich landwirtschaftlich genutzte Gebäude an, u.a. ein Rinderstall, der vom Wohnhaus des Beigeladenen ca. 15 m entfernt ist.
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Mit Bescheid vom 2. Dezember 2015 erteilte der Beklagte dem Kläger erstmals eine Baugenehmigung zur Errichtung einer Fress- und Liegehalle für Milchkühe und Jungvieh mit angebautem Gebäude für Melktechnik/GMS sowie einen Verbindungsgang zwischen Alt- und Neubau. Dagegen erhob der Beigeladene Klage und stellte einen Eilantrag (Az. M 1 K 16.30, M 1 SN 16.2195). Den Eilantrag lehnte das Verwaltungsgericht München mit Beschluss vom 20. Juni 2016 ab. Auf Beschwerde des Beigeladenen hin hob der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (Az. 1 CS 16.1367) den Beschluss in den Nummern I und II auf und ordnete die aufschiebende Wirkung der Klage des Beigeladenen an. Daraufhin nahm der Beklagte die Baugenehmigung vom 2. Dezember 2015 mit Bescheid vom 6. Februar 2017 zurück.
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Mit Bescheid vom 20. Juli 2017 erteilte der Beklagte dem Kläger erneut eine Baugenehmigung zur Errichtung einer Fress- und Liegehalle. Dagegen erhob der Beigeladene Klage und stellte einen Eilantrag (M 1 K 17.3999, M 1 SN 17.4002). Der Eilantrag wurde im Rahmen des ersten Termins zur mündlichen Verhandlung am 28. November 2018 für erledigt erklärt. Die Klage ist mit Urteil vom 13. Dezember 2022 abgewiesen worden.
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Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 19. Dezember 2017, dem Kläger zugestellt am 22. Dezember 2017, erteilte der Beklagte dem Beigeladenen einen Vorbescheid für den Einbau von drei Wohneinheiten in das ehemals landwirtschaftlich genutzte Gebäude (Stall, Heulager) und stellte die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens fest. Dabei ist u.a. beauflagt, dass die Wohnungen so zu orientieren sind, dass an der Nord- und an der Westfassade keine schutzwürdigen Räume errichtet werden. Ferner sind die geplanten Wohnungen mit Zentrallüftungsanlagen auszustatten, die an Stellen geringer Geruchsbelastung (an der Süd- und Ostfassade, insbesondere im abgeschirmten Innenhof) die Zuluft ansaugen. Ein Gutachten der h… f… Ingenieure vom 1. Juni 2016 wurde zum Bestandteil des Bescheids gemacht.
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Mit am 19. Januar 2018 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz seines Bevollmächtigten beantragt der Kläger,
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den Bescheid des Beklagten vom 19. Dezember 2017 - Az: … - aufzuheben.
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Das Vorhaben des Vorbescheids halte den erforderlichen Mindestabstand zwischen dem Rinderstall des Klägers und den künftigen Wohneinheiten nicht ein. Damit sei mit schädlichen Umwelteinwirkungen von Seiten des Klägers zu rechnen. Die heranrückende Wohnbebauung verletze das Gebot der Rücksichtnahme. Das Gutachten der h… f… Ingenieure lege die im Innenhof des Betriebs des Beigeladenen zu erwartenden Immissionen zugrunde. Der Vorbescheid eröffne dem Beigeladenen jedoch die Möglichkeit, auch an der Nord- und Westfassade Wandöffnungen zu schaffen. Wenn dort Fenster eingebaut würden, komme es zu schädlichen Einwirkungen in die Wohneinheiten. Ferner würden die notwendigen Abstandsflächen nicht eingehalten. Die Nutzungsänderung löse Abstandsflächen aus, weil im Vergleich zum bisherigen Bestand ungünstigere Auswirkungen auf nachbarliche Interessen möglich seien. Durch die Auflagen sei nicht sichergestellt, dass an der Nord- und Westfassade keine Aufenthaltsräume entstünden, weil lediglich sicherzustellen sei, dass keine schutzwürdigen Räume errichtet würden. Es sei unklar, was unter schutzwürdigen Räumen zu verstehen sei.
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Der Beklagte beantragt mit Schriftsatz vom 10. April 2018,
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Die Einhaltung von Abstandsflächen sei nicht Gegenstand des Vorbescheids. Wandöffnungen nicht schutzbedürftiger oder nicht schutzwürdiger Räume seien zulässig. Es liege im Ermessen der Bewohner, diese zu öffnen und zu schließen, weil es sich nicht um Immissionsorte handle. Durch die Auflagen werde eine Orientierung der schutzwürdigen Räume sowie deren Lüftungsmöglichkeiten an Gebäudebereichen vorgeschrieben, an denen die Immissionsrichtwerte eingehalten würden.
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Der Beigeladene beantragt mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 26. Februar 2018,
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Durch die Auflagen sei sichergestellt, dass die geplanten Wohneinheiten keinen schädlichen Umwelteinwirkungen ausgesetzt seien. Eine schädliche Immissionsbelastung ergebe sich jedoch durch den Neubau des Stalls durch den Kläger. Die Emmissionen des neu zu bauenden Stalls würden unmittelbar zu dem bestehenden Wohnhaus des Beigeladenen getragen.
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Am 28. November 2018 wurde erstmals mündlich verhandelt. Dabei erklärte der Beigeladene, dass er seine Felder selber bewirtschafte und nur noch Nebenerwerbslandwirt sei. Er habe keine Tiere mehr.
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Im Rahmen der mündlichen Verhandlung wurde sich zunächst darauf geeinigt, dass für die Vorbelastung durch den Betrieb des Klägers der Tierbesatz aus der Stellungnahme des AELF vom 15. Mai 2015 für Stall 1 (98 Milchkühe, 24 Kälber und 67 Jungrinder) zugrunde zu legen sei.
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Mit Beschluss vom 10. Dezember 2018 beschloss das Gericht Beweis zu erheben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens über die Geruchsemissionen, die von der Landwirtschaft auf dem Grundstück FlNr. 648 auf die Wohnnutzung auf dem Grundstück FlNr. 650 einwirken.
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Mit Bescheid vom 19. Dezember 2018 änderte der Beklagte Buchstabe B des Vorbescheids vom 19. Dezember 2017 dahingehend, dass an der Nord- und Westfassade keine schutzbedürftigen Räume nach DIN 4109 errichtet werden dürfen. Dagegen erhob der Beigeladene Klage. Dies ist Gegenstand des Verfahrens M 1 K 22.6159, über das ebenfalls mit Urteil vom 13. Dezember 2022 entschieden worden ist.
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Unter dem 6. April 2021 legte der Sachverständige Dipl.-Ing. W. der Fa. M… … sein Gutachten vor.
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Mit Schreiben vom 3. November 2022 nahm der Beklagte Stellung zu dem Gutachten und erklärte, dass im Ergebnis keine Unterschiede zu dem Gutachten vom 22. Februar 2017 (i… …) vorhanden seien, sodass eine Veränderung der Auflagen im Vorbescheid nicht notwendig sei.
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Mit Schreiben vom 9. November 2022 nahm der Bevollmächtigte des Beigeladenen Stellung zu dem Gutachten. So sei nicht verständlich, weshalb in der Darstellung der Emissionswerte in der Schicht 0-3 m und 3-5 m keine Emissionen angegeben seien. Weiterhin könne dem Gutachten nicht entnommen werden, wie die Emissionen auf der West- und Südseite bei geöffneter bzw. teilgeöffneter Außenwand berücksichtigt werden, sodann, entsprechend der festgestellten Hauptwindrichtung Südwest/West, die an den Außenwänden Süd und West festgestellten Emissionen in das Stallinnere getragen werden und es bei geöffneter Wand Ost zu einer Emissionszusatzbelastung für den Kläger komme. Schließlich sei angesichts der bereits erfolgten Inbetriebnahme des Stalls eine tatsächliche Emissionsmessung angezeigt, um ein beweissicheres Ergebnis zu erhalten.
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Mit Schreiben vom ... November 2022 teilte der Bevollmächtigte des Klägers mit, dass keine Bedenken an dem Gutachten erhoben würden.
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Am 13. Dezember 2022 wurde erneut mündlich verhandelt. Wegen des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf die Niederschrift, wegen der weiteren Einzelheiten und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichts- und die beigezogenen Behördenakten, auch im Verfahren M 1 K 17.3999, verwiesen.
Entscheidungsgründe
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I. Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg, weil sie unbegründet ist. Der angefochtene Vorbescheid vom 19. Dezember 2017 verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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Im Rahmen von Rechtsbehelfen Dritter können sich diese nur dann erfolgreich gegen eine Baugenehmigung zur Wehr setzen, wenn diese rechtswidrig ist und die Rechtswidrigkeit auch auf der Verletzung von Normen beruht, die gerade dem Schutz des betreffenden Nachbarn zu dienen bestimmt sind (BayVGH, B.v. 24.3.2009 - 14 CS 08.3017 - juris Rn. 20).
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Der streitgegenständliche Vorbescheid verletzt den Kläger nicht in seinen nachbarschützenden Rechten. Er ist hinreichend bestimmt (1.) und verletzt nicht das Gebot der Rücksichtnahme (2.). Auf mögliche Verletzungen des Abstandsflächenrechts kann sich der Kläger nicht berufen (3.).
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1. Der Vorbescheid ist hinreichend bestimmt im Sinne des Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG.
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Gemäß Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG muss der Vorbescheid hinreichend bestimmt sein, was erfordert, dass die im Bescheid getroffenen Regelungen für die Beteiligten - gegebenenfalls nach Auslegung - eindeutig zu erkennen sein müssen und einer unterschiedlichen subjektiven Bewertung nicht zugänglich sein dürfen (BayVGH, B.v. 28.10.2015 - 9 CS 15.1633 - juris Rn. 18; B.v. 16.4.2015 - 9 ZB 12.205 - juris Rn. 7). Maßgebend für die Beurteilung der Frage, ob die hinreichende Bestimmtheit eines Bescheids gegeben ist, sind die Umstände des Einzelfalls, wobei Unklarheiten zulasten der Behörde gehen (Ramsauer in Kopp/Ramsauer, VwVfG, 19. Aufl. 2018, § 37 Rn. 6 und 7). Nachbarn müssen zweifelsfrei feststellen können, ob und in welchem Umfang sie betroffen sind. Eine Verletzung von Nachbarrechten liegt vor, wenn die Unbestimmtheit ein nachbarrechtlich relevantes Merkmal betrifft (Decker in Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, 144. EL 2021, Art. 68 Rn. 255).
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Ausgehend davon ist der Vorbescheid vom 19. Dezember 2017 insbesondere hinsichtlich der Auflage, dass die Wohnungen so zu orientieren sind, dass an der Nord- und an der Westfassade keine schutzwürdigen Räume errichtet werden, hinreichend bestimmt. Die Auflage ist der Auslegung zugänglich und verbietet unmissverständlich insbesondere Wohn- und Schlafräume an der Nord- und Westfassade. Für den Kläger als Nachbar steht zweifelsfrei fest, dass es sich bei schutzwürdigen Räumen um solche Räume handelt, die zum längeren Aufenthalt - im Gegensatz zu etwa Küchen, Badezimmer o.ä. - bestimmt sind. Zudem ist der Begriff der schutzbedürftigen Räume in DIN 4109, die auch in Verbindung mit der Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm - TA Lärm (A.1.3) gilt, definiert. Danach sind schutzbedürftige Räume Wohn- und Schlafräume, Kinderzimmer, Arbeitsräume/Büros, Unterrichtsräume/Seminarräume. Die Anwendung der Definition auf die Auflage im streitgegenständlichen Bescheid hat der Beklagte mit Bescheid vom 19. Dezember 2018 klargestellt. Dieser Bescheid wurde lediglich vom Beigeladenen, nicht jedoch vom Kläger angefochten. Die Klarstellung ist dem Kläger gegenüber somit bestandskräftig geworden. Auch aus diesem Grund scheidet eine nachbarrechtlich relevante Unbestimmtheit des Vorbescheids aus.
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2. Der Vorbescheid verletzt nicht das bei Annahme der Lage im Innenbereich in § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO bzw. im Merkmal des Einfügens aus § 34 Abs. 1 BauGB, bei Annahme im Außenbereich in § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB verankerte Gebot der Rücksichtnahme gegenüber dem Kläger.
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Dabei ist zur Rücksichtnahme nicht nur derjenige verpflichtet, der - beispielsweise als Inhaber eines Betriebes - Emissionen verursacht, sondern auch derjenige, der ein gegenüber Immissionen schutzbedürftiges Vorhaben, wie ein Wohngebäude, in der Nachbarschaft einer „emittierenden“ Anlage - beispielsweise eines landwirtschaftlichen Betriebes - errichtet. Nicht nur Vorhaben, von denen Belästigungen oder Störungen ausgehen, sondern auch solche, die sich schädlichen Umwelteinwirkungen aussetzen (vgl. § 15 Abs. 1 Satz 2 2. Alt. BauNVO bzw. § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB), können gegen das Rücksichtnahmegebot verstoßen (BayVGH, B.v. 25.10.2006 - 1 ZB 06.24 - juris Rn. 15). Eine heranrückende Wohnbebauung bzw. eine sonstige heranrückende immissionsempfindliche Nutzung verletzt gegenüber einem bestehenden emittierenden (insbes. landwirtschaftlichen) Betrieb das Gebot der Rücksichtnahme, wenn ihr Hinzutreten die rechtlichen immissionsbezogenen Rahmenbedingungen, unter denen der Betrieb arbeiten muss, gegenüber der vorher gegebenen Lage verschlechtert. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn der Betrieb aufgrund der hinzutretenden Bebauung mit nachträglichen immissionsschutzrechtlichen Auflagen rechnen muss (BayVGH, B.v. 9.6.2020 - 15 CS 20.901 - juris Rn. 27 m.w.N.).
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a) Für die Frage, welchen Einwirkungen das Vorhaben des Beigeladenen ausgesetzt ist, sind dabei auch die zu erwartenden Immissionen des mit Bescheid vom 20. Juli 2017 genehmigten Vorhabens des Klägers einzubeziehen. Maßgeblicher Zeitpunkt der Anfechtungsklage ist die Sachlage, die im Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Verwaltungsakts, d.h. der Erteilung des Vorbescheids gegeben war (Dirnberger in Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, 148. EL 2022, Art. 66 Rn. 590 m.w.N.). Die unter dem 20. Juli 2017 erteilte Baugenehmigung erging zeitlich vor dem streitgegenständlichen Vorbescheid vom 19. Dezember 2017. Die Baugenehmigung ist zudem rechtmäßig und verletzt den Beigeladenen nicht in seinen nachbarschützenden Rechten; insoweit wird auf die Ausführungen im Urteil vom 13. Dezember 2022, M 1 K 17.3999, verwiesen.
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b) In Bezug auf den Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Geruchsimmissionen gibt das Immissionsschutzrecht indes keinen rechtlich verbindlichen Maßstab vor. Zur Bestimmung der Erheblichkeit von Geruchsimmissionen im Sinne des § 3 Abs. 1 BImSchG, der auch im Baurecht entsprechend herangezogen werden kann, können aber einschlägige technische Regelwerke als Orientierungshilfen herangezogen werden, und zwar unabhängig davon, ob sie im jeweiligen Bundesland umgesetzt sind (BVerwG, B.v. 28.7.2010 - 4 B 29.10 - BauR 2010, 2083 ff.). Zur Beurteilung der Frage, ob Geruchsbelästigungen für die Nachbarschaft zumutbar sind, bietet dabei die Geruchsimmissions-Richtlinie (GIRL) eine sachgerechte Entscheidungshilfe. Technische Regelwerke erzeugen für die Behörden und Gerichte zwar keine Bindungswirkung, wenn der Gesetzgeber sie, wie das bei der GIRL der Fall ist, nicht in seinen Regelungswillen aufnimmt. Sie dürfen aber im Einzelfall im Rahmen der tatrichterlichen Bewertung als Orientierungshilfe herangezogen werden. Die Anwendung der GIRL gewährleistet eine hinreichend verlässliche Prognose und Bewertung von Geruchsbelästigungen. Die GIRL wird allgemein als antizipiertes generelles Sachverständigengutachten angesehen, welches auf fachwissenschaftlichen Untersuchungen beruht und allgemeine Erfahrungssätze auflistet, die in vielfältigen Verfahren erprobt, zur Diskussion gestellt und ergänzt worden sind. Die in ihr niedergelegten Erkenntnisse geben dem Prüfer ein Instrumentarium an die Hand, alle zur Beurteilung schädlicher Einwirkungen maßgeblichen Umstände wie Oberflächengestaltung, Hedonik, Vorbelastungen rechtlicher und tatsächlicher Art sowie Intensität der Geruchseinwirkungen zu beurteilen (HessVGH, U.v. 1.4.2014 - 9 A 2030/12 - juris Rn. 53). Berechnungen auf der Basis der GIRL stellen ein im Sinne einer konservativen Prognosesicherheit komfortables „worst-case-Szenario“ dar, das gefundene Ergebnis liegt auf der „sicheren Seite“ (BayVGH, B.v. 15.11.2010 - 15 CS 10.2131 - BauR 2013, 1816 ff.; OVG RhPf, B.v. 7.2.2014 - 1 B 11320/13 - juris Rn. 20).
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aa) Eine unzumutbare Geruchsbelastung, aufgrund derer der Kläger bei Verwirklichung seines Vorhabens immissionsschutzrechtliche Eingriffsmaßnahmen nach § 24, § 25 BImSchG zulasten seines landwirtschaftlichen Betriebs befürchten müsste, ist unter Berücksichtigung des mit Beweisbeschluss vom 10. Dezember 2018 eingeholten Gutachtens der Fa. M… … vom 1. April 2021 nicht zu erwarten. Methodik und Ergebnis des Gutachtens sind nachvollziehbar und plausibel, sodass das Gericht auch unter Berücksichtigung der klägerseitigen Einwendungen seine Bewertung der Rechtslage darauf stützen kann.
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Die vom Beigeladenen eingeholte immissionsschutzfachliche Stellungnahme der h… f… Ingenieure vom 1. Juni 2016 ist nicht heranzuziehen, weil sie das erste Baugenehmigungsverfahren des Beigeladenen und nicht die hier maßgebliche neue Planung betrifft. Es geht folglich von einer fehlerhaften Tierbesatzzahl von 200 GV anstelle von 223 GV aus. Ferner seien nach eigenen Angaben des Gutachters keine Planunterlagen bekannt gewesen und die Stellungnahme habe lediglich auf den vom Kläger dargelegten Informationen beruht. Für eine Bewertung des streitgegenständlichen Vorhabens ist die Stellungnahme daher untauglich.
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Auch das vom Kläger eingeholte Gutachten der Fa. i… … vom 20. März 2017 kann nicht zur Grundlage der rechtlichen Beurteilung gemacht werden, weil es ebenfalls von abweichenden Tierbesatzzahlen ausgeht. Der Beklagte hat erst im Nachgang zum ersten Termin zur mündlichen Verhandlung Baugenehmigungen für die beiden bestehenden Ställe vorgelegt, sodass der Gutachtensauftrag an Fa. M… … nachträglich geändert worden ist. Diese als Vorbelastung zugrunde zulegenden Tierbesatzzahlen waren nicht Gegenstand des Gutachtens der Fa. i … … Ferner wurden nach dem Gutachten (Seite 17) für Vorbelastung durch die bestehenden Ställe die Faktoren der Großvieheinheiten (GV) teilweise abweichend von der hier einschlägigen VDI 3894 Blatt 1 festgelegt. Das Gutachten der Fa. M… … weist zudem darauf hin (Seite 14), dass dort ein Tiefstreubereich für Kälber bei der Ermittlung der Tierlebendmasse fehlerhaft unberücksichtigt geblieben sei. Die Kammer hat keine Zweifel an dieser Beurteilung; Einwände dagegen wurden auch von den Beteiligten nicht erhoben.
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Schließlich war auch angesichts der bereits erfolgten Inbetriebnahme des Stalls keine tatsächliche Emissionsmessung angezeigt, um ein „besseres“ Ergebnis zu erhalten. Insoweit führte der Sachverstände Dipl.-Ing. W. in der mündlichen Verhandlung überzeugend aus, dass eine tatsächliche Messung deutlich kosten- und zeitintensiver ist. So sei alternativ eine Rasterbegehung über ein Jahr hinweg mit zehn Probanden möglich, die vorher getestet und „geeicht“ werden müssten. Eine derartige Begehung erfordere 104 Termine pro Rasterfläche; die Kosten beliefen sich auf 30.000 - 40.000 EUR. Ferner bilde eine Rasterbegehung lediglich den Planfall ab; der Bestandsfall ohne das Neubauvorhaben könnte daher weiterhin nur einer Berechnung entnommen werden. Auch angesichts dessen konnte das Rechenmodell zugrunde gelegt werden; eine zusätzliche Messung böte keine greifbaren Vorteile, sodass sich eine weitere Aufklärung durch Anordnung einer Messung dem Gericht nicht aufgedrängt hat.
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bb) Die vom Bevollmächtigten des Beigeladenen erhobenen Einwendungen gegen das Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. W. der Fa. M… … vom 1. April 2021 konnten im Rahmen der mündlichen Verhandlung ausgeräumt werden.
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Hinsichtlich der Frage des Bevollmächtigten des Beigeladenen, warum in der Darstellung der Emissionswerte in der Schicht 0-3 m (Seite 45 des Gutachtens) und 3-5 m (Seite 46) die Emissionen mit dem Wert „0“ angegeben sind, hat Dipl.-Ing. W. überzeugend und nachvollziehbar ausgeführt, dass die Modellrechnung bei Gebäuden von festen Blockkörpern ausgehe und programmseitig weder eine Darstellung einer Quelle innerhalb von Gebäuden noch eine Durchströmung durch Gebäude möglich sei. Es würden stattdessen Emissionsanteile auf den jeweiligen Gebäudeseiten berechnet. Dies ist für eine Ausbreitungsprognose ein nicht zu beanstandender Ansatz.
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Auch der weitere vom Bevollmächtigten des Beigeladenen erhobene Einwand, dass dem Gutachten nicht entnommen werden könne, wie die Emissionen auf der West- und Südseite bei geöffneter Wand in das Stallinnere getragen werden und es bei geöffneter Ostwand zu einer zusätzlichen Emissionsbelastung des Beigeladenen komme, konnte anhand der Ausführungen von Herrn W. ausgeräumt werden. Nach den Erläuterungen des Sachverständigen berücksichtigt das verwendete Rechenmodell keine Gebäudedurchströmungen, sondern lediglich Gebäudeumströmungen. Anhand des Rechenmodells sei im Bereich zwischen dem Vorhaben auf dem Grundstück FlNr. 648 und dem bestehenden ehemaligen Stall auf dem Grundstück FlNr. 650 eine Art „Düsenwirkung“ erkennbar, weil die beiden Gebäude nahezu parallel stehen. Dies ist plausibel; der Effekt schlägt sich damit in den ermittelten Werten nieder. So sind etwa in der Schicht 0-3 m (Seite 45 des Gutachtens) auf der Nordseite des Gebäudes auf dem Grundstück FlNr. 650 deutlich höhere Werte als auf der Südseite des Gebäudes erkennbar. Zudem sind nach dem Gutachten unter Heranziehung synthetischer Windrosen am Vorhabensstandort vorrangig Winde aus südwestlichen bis westlichen sowie aus nordöstlichen Richtungen zu erwarten. Das Rechenmodell berücksichtigt damit die besonderen äußeren Umstände in hinreichender Weise und ist Stand der Technik.
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Weitere Einwendungen wurden von den Beteiligten - auch nach Befragung des Sachverständigen Dipl.-Ing. W. - nicht erhoben.
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cc) Nach dem Gutachten liegen die prognostizierten Wahrnehmungshäufigkeiten an der bestehenden Wohnnutzung des Beigeladenen unter Berücksichtigung des neu zu errichtenden Stalls des Klägers bei maximal 0,35 (35% der Jahresstunden). Unter Berücksichtigung des mit dem streitgegenständlichen Vorbescheid für planungsrechtlich zulässig erachteten Einbaus von drei Wohneinheiten werden Wahrnehmungshäufigkeiten von 0,40 (40% der Jahresstunden) auf dem Grundstück des Beigeladenen prognostiziert.
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dd) Auf Basis dieser Prognose wird der nach der GIRL einzuhaltende Immissionswert von 0,15 für Dorfgebiete und bis zu 0,25 für den Außenbereich (s.o.) dem Grunde nach überschritten. Jedoch ist für die Betrachtung der unzumutbaren Beeinträchtigungen im Rahmen des Gebots der Rücksichtnahme zu beachten, dass sich nach dem Gutachten aufgrund des bestehenden L-förmigen Baukörpers auf dem Grundstück FlNr. 650 an den zum Grundstück FlNr. 648 hin abgeschirmten Fassadenseiten geringere Wahrnehmungshäufigkeiten ergeben. So liegen die prognostizierten Wahrnehmungshäufigkeiten an den abgeschirmten Fassadenseiten unter Berücksichtigung des Bestands auf beiden Grundstücken bei 0,08 (8% der Jahresstunden) bis 0,10 (10% der Jahresstunden). In der bodennahen Schicht werden unter Berücksichtigung des zu errichtenden Rinderstalls auf dem Grundstück des Klägers Wahrnehmungshäufigkeiten von 0,12 (12% der Jahresstunden) bis 0,15 (15% der Jahresstunden) prognostiziert.
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Insoweit ist zu berücksichtigen, dass der Beigeladene durch die im Vorbescheid festgesetzten Auflagen zunächst dazu verpflichtet ist, die geplanten Wohnungen mit Zentrallüftungsanlagen auszustatten, die an Stellen geringer Geruchsbelastung (Süd- und Ostfassade, insbesondere im abgeschirmten Innenhof) die Zuluft ansaugen. Darüber hinaus sind die Wohnungen so zu orientieren, dass an der Nord- und Westfassade keine schutzwürdigen Räume - nach DIN 4109, klargestellt durch Bescheid vom 19. Dezember 2018 - errichtet werden (Buchstabe B. des Bescheids). Derartige Auflagen sind geeignet, unzumutbare Beeinträchtigungen und eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme auszuschließen. Denn dieses ist nicht als einseitiges, sondern als gegenseitiges Rücksichtnahmegebot ausgestaltet. Ist die Grundstücksnutzung aufgrund der konkreten örtlichen Gegebenheiten mit einer spezifischen gegenseitigen Pflicht zur Rücksichtnahme belastet, so führt das nicht nur zu Beschränkungen desjenigen, welcher Immissionen verursacht, sondern auch zu gewissen Duldungspflichten desjenigen, der sich solchen Immissionen aussetzt. Daraus folgen Obliegenheiten des Emittenten wie beispielsweise zu baulichen Vorkehrungen zur Minderung der Emission. Umgekehrt kann einem Bauherrn, der mit seinem Wohnbauvorhaben an eine Emissionsquelle heranrückt, seinerseits die Obliegenheit treffen, technisch mögliche und wirtschaftlich vertretbare bauliche Vorkehrungen zu treffen, welche die Störung der Wohnnutzung spürbar mindern. So hat der Bauherr grundsätzlich auch eine Obliegenheit, durch ihm mögliche und zumutbare Maßnahmen, z.B. durch eine entsprechende Ausrichtung des Gebäudes auf dem Grundstück, durch den äußeren Zuschnitt des Hauses, durch eine immissionsabgewandte Anordnung der Wohnräume und der notwendigen Fenster, gegebenenfalls auch durch die immissionsmindernde Gestaltung der Außenwohnbereiche auf Geruchsimmissionen eines benachbarten Rinderstalls Rücksicht zu nehmen (BayVGH, U.v. 10.5.2016 - 2 B 16.231 - juris Rn. 32).
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Gemessen daran liegt eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme zulasten des Klägers nicht vor. Nach dem eingeholten Gutachten sind die genannten Auflagen geeignet, um das Auftreten von erheblichen Belästigungen durch Gerüche an den per Vorbescheid zulässigen Wohneinheiten auf dem Grundstück des Beigeladenen zu verhindern. Das Gericht hat keine Zweifel an dieser Beurteilung. Dem Beigeladenen wurde im streitgegenständlichen Vorbescheid ein hinreichendes und wirksames Auflagenreglement zur architektonischen Selbsthilfe auferlegt, infolgedessen seine zusätzliche Belastung von 8-10% auf 12-15% Geruchsstundenhäufigkeit marginal ist. Dies gilt umso mehr, als der in der mündlichen Verhandlung am 13. Dezember 2022 anwesende Umweltingenieur des zuständigen Landratsamts ausführte, dass in der Regel entweder eine entsprechende Orientierung schutzbedürftiger Räume oder alternativ eine Lüftung der Räume beauflagt würde. Auch der Sachverständige Dipl.-Ing. W. erklärte, dass eine der beauflagten Maßnahmen ausreiche. Demnach ist anzunehmen, dass der Kläger ohnehin deutlich weitgehender geschützt ist, als dies im Rahmen des Gebots der Rücksichtnahme erforderlich wäre.
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3. Der Kläger kann sich nicht auf mögliche Verstöße gegen die nachbarschützende Vorschrift des Art. 6 BayBO berufen. Gemäß Art. 71 Satz 1 BayBO ist der Vorbescheid nur zu einzelnen Fragen des Bauvorhabens zu erteilen. Gegenstand des Vorbescheids ist ausweislich des Antrags des Beigeladenen lediglich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens; Art. 6 BayBO wurde im Rahmen des Vorbescheidsverfahrens nicht geprüft.
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II. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Es entsprach der Billigkeit, dass der Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen trägt, weil dieser einen Antrag stellte und sich somit einem Prozessrisiko aussetzte.
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III. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.