Titel:
Anfechtung von Justizverwaltungsakten: Zulässigkeit und Begründetheit eines Fortsetzungsfeststellungsantrags in Ansehung einer telefonisch mitgeteilten Vermutung
Normenketten:
GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1
EGGVG § 23 Abs. 1 S. 1, § 25 Abs. 2, § 26 Abs. 1, § 28 Abs. 1 S. 4
GVG § 23a Abs. 1 S. 1 Nr. 1
FamFG § 112, § 266 Abs. 1
AGGVG Art 12 Nr. 3
Leitsätze:
Die Entscheidung über den Antrag einer am Verfahren nicht beteiligten Behörde, ihr Einsicht in die familiengerichtliche Akte einer laufenden Familienstreitsache i. S. d. § 112 Nr. 3, § 266 Abs. 1 FamFG zu bewilligen, ergeht bei zutreffender Behandlung als Justizverwaltungsakt zur Regelung einer Einzelangelegenheit auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts. Gleiches gilt in Bezug auf die Mitteilung von Informationen aus der Akte des laufenden Verfahrens an eine außenstehende Behörde. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei der telefonischen Mitteilung eines Mitglieds eines Familiensenats an eine um Akteneinsicht ersuchende Staatsanwältin, es werde eine bipolare Störung des Anzeigenerstatters vermutet, handelt es sich um eine Maßnahme der Justizverwaltung, die nach §§ 23 ff. EGGVG angefochten werden kann. (Rn. 5 und 14) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die telefonische Mitteilung einer Vermutung über den seelischen Gesundheitszustand eines Anzeigenerstatters kann als Verletzung des Rechts des Anzeigenerstatters auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG) - bei Richtigkeit wie bei Unrichtigkeit - einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff darstellen, der ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Maßnahme und damit die Zulässigkeit eines Fortsetzungsfeststellungantrags (§ 28 Abs. 1 S. 4 EGGVG) begründen kann. (Rn. 19 – 20) (redaktioneller Leitsatz)
4. Ein solchermaßen zulässiger Fortsetzungsfestsetzungsantrag ist begründet, wenn sich nicht feststellen lässt, ob der mitteilende Richter, der nach der Geschäftsverteilung den Vorsitzenden Richter vertritt, bei der Äußerung in einem Vertretungsfall gehandelt hat. (Rn. 26 – 30) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Maßnahme der Justizverwaltung, Fortsetzungsfestsetzungsantrag, Zulässigkeit und Begründetheit, Akteneinsicht, telefonische Mitteilung, wertende Vermutung, Gesundheitszustand, Recht auf informationelle Selbstbestimmung, Unzuständigkeit, schwerwiegender Grundrechtseingriff
Vorinstanz:
AG Eggenfelden vom -- – 1 F 280/16
Fundstelle:
BeckRS 2022, 42055
Tenor
1. Es wird festgestellt, dass die am 26. Februar 2020 von dem Richter am Oberlandesgericht in München Dr. B. telefonisch getätigte Äußerung gegenüber der Staatsanwaltschaft L., dort werde eine bipolare Störung des Anzeigeerstatters vermutet, rechtswidrig war.
2. Dem Antragsteller sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung angefallenen außergerichtlicher Kosten aus der Staatskasse zu erstatten.
3. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
4. Der Geschäftswert wird auf 5.000,00 € festgesetzt.
Gründe
1
Mit seinem Fortsetzungsfeststellungsantrag vom 2. Februar 2021 wendet sich der Antragsteller gegen eine mündliche Äußerung, die ein Richter am Oberlandesgericht in München in einem Telefonat vom 26. Februar 2020 gegenüber einer Staatsanwältin der Staatsanwaltschaft L. zu deren Gesuch um Einsicht in das dem Oberlandesgericht vorliegende Verfahren getätigt hat.
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Der Antragsteller hat vor dem Amtsgericht - Familiengericht - Eggenfelden unter dem Aktenzeichen 1 F 280/16 in einer sonstigen Familiensache im Sinne des § 266 Abs. 1 FamFG ein Verfahren gegen seine ehemalige Ehefrau geführt. Gegen diese und ihre Rechtsanwältin erstattete er am 16. Dezember 2019 bei der Polizeistation B. L. Strafanzeige wegen versuchten oder vollendeten Prozessbetrugs. Die Strafanzeige wurde ohne weitere Ermittlungen am 3. Januar 2020 der Staatsanwaltschaft Müh. zur Kenntnisnahme und Prüfung der Weiterleitung vorgelegt. Mit Verfügung vom 14. Januar 2020 übersandte diese die Akte der Staatsanwaltschaft L. zur Übernahme des Verfahrens, da die Straftat im dortgen Bezirk begangen worden sein solle. Diese hat das Verfahren übemommen.
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Mit Verfügung vom 7. Februar 2020 ersuchte die Staatsanwaltschaft L. durch die ermittelnde Staatsanwältin das Amtsgericht um Übersendung der Akte des familiengerichtlichen Verfahrens. Unter Nennung des staatsanwaltschaftlichen Aktenzeichens wurde mitgeteilt, dass gegen die Betroffenen ein Ermittlungsverfahren wegen Betrugs geführt werde, und um Übersendung der Verfahrensakte zur kurzfristigen Einsichtnahme gebeten.
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Das Amtsgericht teilte mit Verfügung vom 14. Februar 2020 der Staatsanwaltschaft mit dass sich die angeforderte Akte aufgrund einer Beschwerdevortage beim Oberlandesgericht München (Az. 26 UF 1270/19) befinde, woraufhin die Staatsanwaltschaft mit Verfügung vom 20. Februar 2020 das Oberlandesgericht um Übersendung der Akte des familiengerichtlichen Verfahrens zur kurzfristigen Einsichtnahme ersuchte.
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Am 26. Februar 2020 fertigte die ermittelnde Staatsanwältin einen Vermerk: „Telefonat mit Dr. B. des OLG München. Dieser teilt mit, dass die Akte des AG Eggenfelden derzeit noch benötigt wird, wohl aber vermutlich Mitte März versandt werden kann. Dort werde eine bipolare Störung des Anzeigeerstatters vermutet.“
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Am 7. April 2020 erging im Verfahren 26 UF 1270/19 ein Beschluss nach § 266 FamFG, mit welchem über die Beschwerde entschieden wurde. Der Vorsitzende Richter am Oberlandesgericht Dr. S. fragte mit Verfügung vom 23. April 2020 bei den Beteiligten an, ob die Verfahrensbeteiligten mit einer Übersendung der Akten an die Staatsanwaltschaft L. einverstanden seien, und bat um Mitteilung bis 15. Mai 2020. Mit Schriftsatz vom 29. April 2020 erteilten der Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers, mit Schriftsatz vom 11. Mai 2020 die Verfahrensbevollmächtigte der Gegenseite, ihr Einverständnis zum Akteneinsichtsgesuch. Mit Verfügung ces Vertreters des Vorsitzenden vom 12. Mai 2020 wurde der Staatsanwaltschaft L. Akteneinsicht gewährt und diese vollzogen.
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Mit Schriftsatz vom 2. Februar 2021, eingegangen beim Bayerischen Obersten Landesgericht am selben Tag, hat der Antragsteller Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt. Er rügt Datenschutzverstöße im Zuge der Bearbeitung der Aktenübersendung als Maßnahme der Justizverwaltung. Es habe schon keine Rechtsgrundlage für die Datenübermittlung in Form einer persönlichen Einschätzung des Richters am Oberlandesgericht oder des Oberlandesgenchts München in der Form, „Dort werde eine bipolare Störung des Anzeigeerstatters vermutet“, an die Staatsanwaltschaft L. oder andere Behörden vorgelegen. Eine Einschätzung sei weder erbeten noch beantragt worden. Es handele sich um eine persönliche und diffamierende Wertung über den Antragsteller.
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Das Verfahren ist zunächst unter dem Az. 203 VAs 51/21 beim 3. Strafsenat des Bayerischen Obersten Landesgericht geführt worden.
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Der Artragsgogncr hat am 24. Juni 2021 zum Antrag Stellung genommen. Er hat die Zurückweisung des Antrags als unbegründet beantragt Mit Schriftsatz von 12. Juli 2021 hat der Antragsteller darauf hingewiesen, dass es sich nicht um eine Strafsache handele, da kein Sachverhalt der Strafrechtspflege oder des Strafvollzugs vorliege, sondern um einen Datenschutzverstcß eines Richters eines Familiensenats. Mit Verfügung vom 19. Juli 2021 ist das Verfahren dem nach der Geschäftsverteilung zuständigen Zivilsenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts zur Prüfung der Übernahme vorgelegt worden. Das Vorfahren ist am 26. Juli 2021 übernommen worden. Der Antragsgegner hat mit Verfügungen vom 8. Oktober 2021 und 22. November 2021 nochmals Stellung genommen und auch eine Stellungnahme zur funktionellen Zuständigkeit erholt, die vor dem Vorsitzenden Richter des 26. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München am 18. November 2021 abgegeben worden ist. Auf deren Inhalt wird Bezug genommen. Mit Schriftsatz von 12. März 2022 hat der Antragsteller beantragt, das Verfahren zur Streitbeilegung an den Güterichter zu verweisen. Nach Hinweis, dass am Bayerischen Obersten Landesgericht noch kein Güterichter bestellt sei, hat er hilfsweise die Anordnung des Ruhens des Verfahrens aus wichtigem Grund beantragt, bis gegebenenfalls ein (neuer) Güterichtor benannt sei.
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Das nach § 25 Abs. 2 EGGVG i.V.m. Art 12 Nr. 3 AGGVG zuständige Bayerische Oberste Landesgericht hat über den Fortsetzungsfeststellungantrag nach § 28 Abs. 1 Satz 4 EGGVG zu befinden. Der Antrag ist erfolgreich. Es ist auszusprengen, dass die angegriffene Maßnahme - die telefonische Mitteilung, dort werde eine bipolare Störung des Anzeigeerstatters vermutet, - rechtswidrig gewesen ist.
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1. Der Fortsetzungsfeststellungantrag, § 28 Abs. 1 Satz 4 EGGVG, ist zulässig.
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a) Der Antrag ist stathaft, denn bei der erteilter telefonischen Auskunft über den Inhalt der Akte handelt es sich um eine Maßnahme einer Justizbehörde auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 EGGVG.
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aa) Die Entscheidung über den Antrag einer arr Verfahren nicht beteiligten Behörde, ihr Einsicht in die familiangerichtliche Akte einer laufenden Familienstreitsache i.S.d. § 112 Nr. 3, § 266 Abs. 1 FamFG zu bewilligen, ergeht bei zutreffender Behandlung als Justizverwaltungsakt zur Regelung einer Einzelangelegenheit auf dam Gebiet des bürgerlichen Rechts, § 23 Abs. 1 Satz 1 EGGVG i.V.m. § 23a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GVG, § 112 FamFG (vgl. BayObLG, Beschl. v. 6. August 2020, 1 VA 33/20, FamRZ 2020, 1942 [juris Rn. 14] m.w.N. zur Akteneirsicht in eine Betreuungsakte; OLG Schleswig, Beschl. v. 9. Juni 2016, 10 VA 3/16, FamRZ 2016, 2022 [juris Rn. 7 ff.] zur Einsicht in die Verfahrenskostenhilfeunterlagen einer Familienstreitsache: Prüfung in Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. 2020, § 299 Rn. 20; Bacher in BeckOK ZPO, 43. Ed. Stand: 1. Dezember 2021, § 299 Rn. 37; Bünnigmann in Anders/Gehle, ZPO, 80. Aufl. 2022, § 299 Rn. 6; Huber in Musielak/Voit ZPO, 19, Aufl. 2022, § 299 Rn, 3). Denn bei dem von einer außenstehenden Behörde, hier der Staatsanwaltschaft, gestellten Gesuch um Aktenübersendung zum Zweck der inhaltlichen Auswertung in einem bei ihr geführten Verfahren handelt es sich um ein Amtshilfeersuchen (Art. 35 Abs. 1 GG; BVerfG, Beschl. v. 2. Dezember 2014, 1 BvR 3106/09, BVerfGE 138, 33 Rn. 21; OLG Düsseldorf FamRZ 2008, 1871 [juris Rn. 21]; El-Ghazi in BeckOK, GVG, 14. Ed. Stand 15. Februar 2022, § 156 Rn. 5). Die Entscheidung darüber, ob Amtshilfe zu gewähren ist, stellt keine spruchrichterliche Tätigkeit dar. Sie kann auch dann nicht zum traditionellen Kernbereich der Rechtsprechung gerechnet werden, wenn sie aus einem laufenden Verfahren heraus erfolgt. Aus dem „Vorrecht des Spruchrichters“, dem die Akten während des gesamter anhängigen Verfahrens zur Verfügung stehen müssen (BVerfGE 138, 33 Rn. 28. „Aktenherrschaft des erkennenden Gerichts“), folgt zwar, dass ihm die Verfahrensakte nur mit seiner der richterlichen Unabhängigkeit unterliegenden Zustimmung entzogen werden kann; bei der Entscheidung über ein Amtshilfeersuchen ist dies zu beachten (Gietl, NZFam 2017, 681 [686 unter 4.]). Rechtsprechung im Sinne von Art. 92 GG, die typischerweise durch die letztverbindliche Klärung der Rechtslage in einem dafür vorgesehenen gerichtlichen Verfahren gekennzeichnet ist, stellt die Behandlung eines Antshilfeersuchens jedoch auch dann nicht dar, wenn die Entscheidungszuständigkeit vom Gerichtsvorstand auf den Spruchrichter delegiert ist. Als Verwaltungstätigkeit gehört sie vielmehr zur Ausübung öffentlicher Gewalt im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG (BVerfG, Beschl. v. 13. März 2017, 1 BvR 563/12, NJW 2017, 1939 Rn. 15; BVerfGE 138, 33 Rn. 18-20; Mayer in Kissel/Mayer, GVG, 10. Aufl. 2021, § 12 Rn. 114).
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bb) Gleiches gilt in Bezug auf die Mitteilung von Informationen aus der Akte des laufenden Verfahrens an eine außenstehende Behörde. Auch dabei handelt es sich um eine Maßnahme der Justizverwaltung, die nach §§ 23 ff. EGGVG angefochten werden kann (vgl. BVerfG, Beschl. v. 2. Dezember 2014, 1 BvR 3106/09, BVerfGE 138, 33 [juris Rn. 21 ff,]; Bannigmann in Anders/Gehle, ZPO, § 299 Rn. 8; Greger h Zöller, ZPO, 34. Auf. 2022. § 299 Rn. 1; Lückemann in Zöller, ZPO, EGGVG § 23 Rn. 4).
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b) Der Antrag ist formgerecht (§ 26 Abs. 1 EGGVG) bei dem gemäß § 25 Abs. 2 EGGVG i. V. m. Art. 12 Nr. 3 AGGVG zuständigen Bayerischen Obersten Landesgericht gestellt worden. Er ist auch rechtzeitig angebracht worden. Die einmonatige Einlegungsfrist gemäß § 26 Abs. 1 EGGVG ist mangels Bekanntgabe der Justizverwaltungsmaßnahme an den Antragsteller nicht in Gang gesetzt worden (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 1. September 1983.7 VAs 17/83, MDR 1984, 165 [166] - zu einem Realakt; auch BGH. Beschl. v. 2. Juli 1963.5 AR [Vs] 68/63, NJW 1963, 1789 - zur nur mündlichen Bekanntgabe eines Justizverwaltungsakts, Schmidt in Anders/Gehle, ZPO, EGGVG § 26 Rn. 2; Papst in Münchener Kommentar zur ZPO, Bd. 3, 6. Aufl. 2022, EGGVG § 26 Rn. 3). Auch durch die spätere Anfrage des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht Dr. S. vom 23. April 2020, cb mit einer Übersendung der Akte an die Staatsanwaltschaft L. Einverständnis bestehe, die Erklärung des Einverständnisses durch die beiden Verfahrensbevollmächtigten und die Gewährung sowie den Vollzug der Akteneinsicht ist keine Frist in Gang gesetzt worden. Wird eine Anfechtungsfrist nicht in Lauf gesetzt, kann und muss der Betroffene gleichwohl den Antrag auf gerichtliche Entscheidung in einem gewissen zeitlichen Rahmen stellen. Obwohl keine Ausschlussfrist besteht, kann langes Zuwarten zur Verwirkung des Antragsrechts fuhren. Die gesetzlichen Ausschlussfristen von einem Jahr (§ 58 Abs. 2 VwGO, § 113 Abs. 3 StVollzG, § 27 Abs. 3 EGGVG) bieten insoweit einen Anhalt (OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 11. März 2005, 3 VAs 8/05, NStZ-RR 2005, 220 [juris Rn. 18]; Beschl. v. 18. Juli 2003, 3 Ws 606/03, NStZ-RR 2004, 29, 30; Mayer in Kissel/Mayer GVG, EGGVG § 26 Rn. 4).
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In Anlehnung an diese Fristen ist der Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit rechtzeitig bei Gericht angebracht worden, denn der Schriftsatz vom 2. Februar 2021 hat die Jahresfrist gewahrt.
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c) Die Maßnahme ist erledigt, da die telefonische Mitteilung bereits erfolgt ist. Der Antragsteller hat ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Maßnahme, § 28 Abs. 1 Satz 4 EGGVG, das er hinreichend substantiiert dargelegt hat.
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Das berechtigte Interesse umfasst jedes bei vernünftigen Erwägungen nach Lage des Falles anzuerkennende schutzwürdige Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art (Pabst in Münchener Kommentar zur ZPO, § 28 EGGVG Rn. 11; Köhnlein in BeckOK GVG, 14. Ed. Stand: 15. Februar 2022, § 28 EGGVG Rn. 21). Anwendungsfälle für die mögliche Bejahung des berechtigten Interesses sind die fortwirkende Beeinträchtigung eines an sich beendeten Eingriffs etwa bei noch in der Gegenwart fortwirkendern diskriminierendem Charakter einer Maßnahme die Wiederholungsgefahr sowie Maßnahmen, durch die es zu tiefgreifenden Grundrechtseingriffen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 31. Januar 2017, 1 BvR 1259/16, NJW 2017, 1164 Rn. 14; Beschl. v. 30. April 1997, 2 BvR 817/90, 2 BvR 728/92, 2 BvR 802/95, 2 BvR 1065/95, BVerfGE 96, 27, 40 [juris Rn. 51]) gekommen ist, wobei sich die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene die gerichtliche Entscheidung in der von der Prozessordnung gegebenen Instanz kaum erlangen kann (vgl. BayObLG, Beschl. v. 5. März 2020, 1 VA 63/19, juris Rn. 25 m.w.N.). Effektiver Grundrechtsschutz gebietet es in den zuletzt genannten Fällen, dass der Betroffene Gelegenheit erhält, die Berechtigung des schwerwiegenden. wenn auch nicht mehr fortwirkenden Grundrechtseingriffs gerichtlich klären zu lassen, Art. 19 Abs. 4 GG (BayObLG. Beschl. v. 27. Januar 2021, 1 VA 37/20, FamRZ 2021, 891 [juris Rn. 35] m.w.N.). Der Antragsteller muss sein berechtigtes Interesse an der Feststellung substantiiert darlegen (BayObLG, a.a.O.: Köhnlein in BeckOK GVG, § 28 EGGVG Rn. 21; Mayer in Kissl/Mayer, GVG, EGGVG § 28 Rn. 18; auch Duttge/Kangarani in Dölling/Duttge/König/Rössner, Gesamtes Strafrecht, 5. Aufl. 2022, § 28 EGGVG Rn. 2).
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Im konkreten Einzelfall stellt die telefonische Auskunft über den vermuteten Gesundheitszustand einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff dar, sowohl für den Fall, dass die Vermutung unzutreffend ist, als auch für den Fall der Richtigkeit der Vermutung. Der Antragsteller ist in beiden Fällen in seinem Recht auf informationelle Selbstbestimmung, Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG betroffen, da sich die Äußerung auf von diesem Recht des Antragstellers geschützte Daten bezog. Der Verstoß hat im konkreten Streitfall ein derartiges Gewicht, dass ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung begründet ist (vgl. hierzu BayObLG, Beschl. v. 5. März 2020, 1 VA 63/19, juris Rn. 32 f. m.w.N.).
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Daten betreffend den Gesundheitszustand wie auch beispielsweise die Ergebnisse psychologischer Untersuchungen zählen zwar nicht zum absolut geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung, sie stehen ihm aber nahe (Di Fabio in Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz, Stand: 95. EL Juli 2021, Art. 2 Rn. 158); BayObLG, FamRZ 2020, 1942 [juris Rn. 63]). Die besondere Schutzwürdigkeit solcher Daten ist schon im Bereich strafrechtlicher Ermittlungsverfahren gegenüber einer beschuldigten Person zu beachten und führt dazu, dass sich ihr gegenüber der Eingriff in die Privatsphäre mithin nicht generell mit dem Interesse an der Aufklärung von Straftaten rechtfertigen lässt (Di Fabio in Maunz/Dürig, Grundgesetz Art. 2 Rn. 159; BeyObLG a.a.O.). Erstrecht muss dies für den Antragsteller als Anzeigeerstatter in einem Strafverfahren in Bezug auf die Daten betreffend seiner Gesundheitszustand gelten.
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Das berechtigte Interesse ist auch durch die spätere Einfügung zur Akteneinsicht nicht entfallen, da zu diesem Zeitpunkt die Äußerung bereits getätigt war und der Grundrechtsverstoß dadurch nicht rückwirkend entfallen ist.
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d) Die Voraussetzungen für eine Verweisung des Verfahrens zur Streitbeilegung an den Güterichter und ebenso für die hilfsweise beantragte Anordnung des Ruhens des Verfahrens, bis ein Güterichter bestellt sei, liegen nicht vor.
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Bei dem Bayerischen Obersten Landesgericht ist aktuell kein Güterichter bestellt.
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Nachdem in den §§ 23 ff. EGGVG keine Regelungen zur Frage der Anordnung des Ruhens des Verfahrens enthalten sind, sind ergänzend die Regelungen des FamFG heranzuziehen (BGH, Beschl. v. 17. März 2016, IX AR [VZ] 1/15, NZI 2016, 508 Rn. 15; Köhnlein in BeckOK, GVG, § 23 EGGVG Rn. 76; Mayer in Kissel/Mayer. GVG, EGGVG § 29 Rn. 2; Pabst in Münchener Kommentar zur ZPO, Vorb. zu §§ 23 ff. EGGVG Rn. 5). In den von Amts wegen zu führenden Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit ist ein Ruhen des Verfahrens im Grundsatz nicht zulässig, sondern das Verfahren muss generell zum Abschluss gebracht werden (Borth/Grandel in Musielak/Borth, FamFG, 6. Aufl. 2018, § 22 Rn. 9). In den nicht von Amts wegen zu betreibenden Verfahren, die echte Stretsachen betreffen, kann das Gericht das Ruhen des Verfahrens in Anlehnung an den Rechtsgedarken des § 251 ZPO anordnen, obwohl das FamFG keine Ruhensregelung kennt (Sternal in Keidel, FamFG, 20. Aufl. 2020, § 22 Rn. 5 mit § 21 Rn. 41; Ahn-Roth in Prütting/Helms, FamFG, 5. Aufl. 2020, § 21 Rn. 6). Eine Verfahrenslage, in der eine Aussetzung möglich wäre, [legt allerdings im Streitfall nicht vor. Voraussetzung hierfür wären übereinstimmende, auf die Aussetzung gerichtete Verfahrensanträge beider Beteiligter. Zudem erscheint eine Verfahrensaussetzung nicht zweckmäßig, denn es ist nicht absehbar, wann ein Güterichter beim Bayerischen Obersten Landesgericht bestellt sein wird, und das Verfahren ist entscheidungsreif. Aus diesen Gründen ist es auch nicht erforderlich, den Antragsgegner vor der Entscheidung zum Aussetzungsantrag anzuhören.
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2. Der Antrag ist begründet. Die Erteilung der mündlichen Auskunft war rechtswidrig und verletzt den Antragsteller in seinen Rechten.
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a) Die Maßnahme vom 26. Februar 2020 ist in formeller Hinsicht rechtswidrig, da der funktional unzuständige Richter im Verfahren tätig geworden ist.
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Zur formellen Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts gehört die Zuständigkeit der Behörde (vgl. BayObLG, Beschl. v. 3. Dezember 2019, 1 VA 101/19, juris Rn. 24 m.w.N.; Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 20. Aufl. 2020, § 10 Rn. 38). Art. 46 BayVwVfG, der im Rahmen der gerichtlichen Überprüfung nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO zu berücksichtigen ist (Schwarz in Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 46 VwVfG Rn. 30 und 33), ist auf Justizverwaltungsakte nicht anwendbar (Art. 2 Abs. 3 Nr. 1 BayVwVfG). Der dieser Vorschrift zugrundliegerde Gedenke der Verfahrensökonomie (vgl. Schemmer in BeckOK VwVfG, 54. Ed. Stand: 1. Januar 2022, § 46 Rn. 3; Schwarz in Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, § 46 VwVfG Rn. 9 f.; Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 46 Rn. 8) kommt zwar auch in § 65 Abs. 4 FamFG zum Ausdruck). Danach kann die Beschwerde nicht darauf gestützt werden, dass das Gericht des ersten Rechtszugs - in Ausübung von Rechtsprechung - seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen hat. Auf Fälle, in denen statt der Verwaltung zu Unrecht ein Gericht entschieden hat (Art. 20 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 GG), ist § 65 Abs. 4 FamFG allerdings nicht ohne weiteres anwendbar (a.A. zur entsprechenden Vorschrift des § 72 FamFG: Obermann in BeckOK FamFG, 41. Ed. Stand: 1. Januar 2022, § 72 Rn. 5 unter Berufung auf BGH, Beschl. v. 29. April 2015, XII ZB 214/14, NJW 2015, 1827 Rn. 16), § 65 Abs. 4 FamFG steht jedenfalls der Aufhebung einer die Akteneinsicht bewilligenden Entscheidung, die nicht durch die Justizverwaltung getroffen wurde, nicht entgegen (vgl. BayObLG, Beschl. v. 3. Dezember 2019, 1 VA 101/19, juris Rn. 24). Gleiches gilt für die Feststellung der Rechtwidrigkeit einer bereits getätigten Äußerung, wie im vorliegenden Fall.
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Die telefonische Auskunft des Richters am Oberlandesgericht vom 26. Februar 2020 ist in formeller Hinsicht rechtswidrig, da der funktional unzuständige Richter tätig geworden ist. Zuständiges Organ für die Entscheidung über das Gesuch der Staatsanwaltschaft ist der Gerichtsvorstand. Zwar ist die Entscheidung über die Versendung von Verfahrensakten an Gerichte und Behörden in laufenden und abgeschlossenen Verfahren durch dan Präsidenten des Oberlandesgerichts München gemäß Ziffer III. Abs. 1 der Geschäftsverteilung für das Jahr 2020 den Vorsitzenden der Senate übertragen und der handelnde Richter am Oberlandesgericht Dr. B. war am 26. Februar 2020 der ständige Vertreter des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht Dr. S.. W. Dr. S. noch Dr. B. konnten sich - auch unter Heranziehung des Terminkalenders - jedoch daran erinnern, ob und gegebenenfalls warum der Vorsitzende Richter am Oberlandesgericht an diesem Tag verhindert gewesen sei, so dass Richter am Oberlandesgericht Dr. B. als Vertreter hätte tätig werden können.
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Es ist daher nicht davon auszugehen, dass der Vorsitzende an 26. Februar 2020 dienstlich verhindert war. Gründe, die einen Vertretungsfall belegen, wurden nicht dargetan. Mit dem Vertreter des Vorsitzenden und Berichterstatter ist der unzuständige Richter tätig geworden, zumal auch eine Eilbedürftigkeit nicht ersichtlich ist.
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b) Die Rechtswidrigkeit bewirkt zugleich eine Verletzung des Antragstellers in seinen subjektiven Rechten.
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Gerichtskosten sind für den erfolgreichen Antrag nicht angefallen (§ 25 Abs. 1 GNotKG i.V.m. Nr. 15300 KV GNotKG und Nr. 15301 KV GNotKG).
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Der Senat erachtet es für sachgerecht, die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig waren, der Staatskasse aufzuerlegen, § 30 Abs. 1 Satz 1 EGGVG.
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Gründe, die Rechtsbeschwerde zuzulassen, liegen nicht vor (§ 29 EGGVG).
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In Ermangelung einer hinreichenden Schätzgrundlage für das Interesse des Antragstellers an der begehrter Aufhebung der angefochtenen Maßnahme wird der Geschäftswert mit dem Auffangwert von 5.000,00 € festgesetzt, § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.