Titel:
Erfolglose Klage auf bauaufsichtsrechtliches Einschreiten
Normenketten:
VwGO § 42 Abs. 1 Alt. 2, § 74 Abs. 1 S. 2, Abs. 2, § 101 Abs. 2, § 113 Abs. 5 S. 1
BayBO Art. 6 Abs. 7 S. 1, Art. 8, Art. 57 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 7, Art. 76 S. 1
BauGB § 34 Abs. 2, § 35
BauNVO § 15 Abs. 1 S. 2
Leitsätze:
1. Ein Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten erfordert zum einen, dass die Kläger durch die bauliche Anlage in nachbarschützenden Rechten verletzt sind, zum anderen, dass das Ermessen der Bauaufsichtsbehörde auf Null reduziert ist. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Vorschriften über die Genehmigungspflicht bzw. über die Verfahrensfreiheit liegen allein im öffentlichen Interesse und sind nicht nachbarschützend. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
3. Das Rücksichtnahmegebot vermittelt keinen Anspruch auf Fortbestand einer günstigen Grundstückssituation. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Verpflichtungsklage, bauaufsichtliches Einschreiten, Beseitigungsbegehren, Sichtschutzzaun und Gartenhaus, Abstandsflächen, Rücksichtnahmegebot, Nachbarklage, bauaufsichtsrechtliches Einschreiten, Nebengebäude, Sichtschutzzaun, Genehmigungspflicht, Genehmigungsfreiheit, Abstandsfläche, grenznahe Bebauung, erdrückende Wirkung, optische Einwirkung
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 25.01.2023 – 9 ZB 22.2569
Fundstelle:
BeckRS 2022, 42007
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner zu tragen. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Aufwendungen selbst.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
Tatbestand
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Die Kläger begehren ein bauaufsichtliches Einschreiten des Landratsamts Bad Kissingen gegenüber den Beigeladenen hinsichtlich eines Nebengebäudes und eines Sichtschutzzaunes auf den Grundstücken Fl.Nrn. …7 und …8 der Gemarkung … (Baugrundstück).
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1. Die Kläger sind Miteigentümer des mit ihrem Wohnanwesen bebauten Grundstücks Fl.Nr. …7/1 der Gemarkung …, … … in … … Nördlich davon befindet sich das gärtnerisch genutzte Baugrundstück Fl.Nr. …7 der Gemarkung … Das Wohnanwesen der Beigeladenen liegt auf dem östlich angrenzenden Baugrundstück Fl.Nr. …8 der Gemarkung …, … … in 97779 … Mit Schreiben vom 9. September 2021 teilte der Klägerbevollmächtigte dem Landratsamt Bad Kissingen mit, dass durch die Beigeladenen ein Nebengebäude und ein etwa 2,00 m hoher Sichtschutzzaun errichtet worden seien. Es handele sich um Bauvorhaben im Außenbereich, die weder privilegiert noch als sonstige Vorhaben zulässig seien. Insbesondere sei der Sichtschutz nicht verfahrensfrei möglich. Die Abstandsflächen würden nicht eingehalten. Es werde deshalb beantragt, gegen das ohne Baugenehmigung und Nachbarbeteiligung erstellte Nebengebäude und gegen den Schutzzaun bauaufsichtlich vorzugehen und die Baubeseitigung anzuordnen.
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Das Landratsamt Bad Kissingen führte am 23. November 2021 eine Baukontrolle durch, bei der festgestellt wurde, dass auf dem Baugrundstück Fl.Nr. …7 der Gemarkung … ein Nebengebäude mit den Maßen (b/l/h1/h2) von ca. 3,00 m / 8,00 m / 2,40 m / 2,57 m errichtet worden sei. Dies ergebe eine überbaute Fläche von ca. 24,00 m² und ein umbautes Volumen von ca. 59,64 m³. Weiterhin wurde feststellt, dass das Gebäude zur südlichen Grenze einen Abstand von ca. 1,00 m aufweist, dass dessen Süd- und Westfassade in Massivbauweise erstellt wurde und dass ansonsten eine Holzkonstruktion vorhanden ist. Festgestellt wurde weiterhin, dass - auf den Baugrundstücken Fl.Nrn. …7 und …8 der Gemarkung Platz - entlang der Grenze zum Grundstück Fl.Nr. …7/1 der Gemarkung … bis zur Garage der Kläger eine u-förmige Sichtschutzwand mit einer Höhe von 2,00 m errichtet wurde.
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2. Mit Schreiben vom 10. Februar 2022 teilte das Landratsamt Bad Kissingen dem Klägerbevollmächtigten mit, dass ein bauaufsichtliches Einschreiten weder beabsichtigt noch angezeigt sei. Die Errichtung des Nebengebäudes sei im Vorfeld mit dem Landratsamt Bad Kissingen abgestimmt worden. Das Landratsamt ordne die Bebauung nördlich bzw. nordöstlich der …straße aufgrund der „buchtenartigen“ Ausgestaltung des Bebauungszusammenhangs als Innenbereich ein. Entsprechend habe das Nebengebäude nach Art. 57 Abs. 1 Nr. 1a BayBO verfahrensfrei errichtet werden können. Das Gebäude unterfalle dabei Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BayBO. Der Sichtschutzzaun aus Trapezblech sei ein nach Art. 57 Abs. 1 Nr. 7a BayBO verfahrensfreies Vorhaben, welches nach Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 3 BayBO an der Grenze ohne Abstandsflächen zulässig sei. Selbst wenn das Baugrundstück dem Außenbereich zugeordnet werde, würden keine öffentlichen Belange beeinträchtigt.
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3. Am 26. April 2022 erhob der Klägerbevollmächtigte Klage mit dem Antrag,
den Beklagten zu verpflichten, gegen den Schutzzaun und das Nebengebäude auf dem Baugrundstück bauaufsichtlich einzuschreiten und die Beseitigung anzuordnen,
hilfsweise über den Antrag auf bauaufsichtliches Einschreiten vom 9. September 2021 ermessensfehlerfrei zu entscheiden.
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt: Die Anlagen lägen nicht im Innen-, sondern im Außenbereich, so dass sie unzulässigerweise errichtet worden seien. Das Nebengebäude werde nicht nur als Gartenhaus, sondern als Tierunterstand genutzt. Die beanstandeten Anlagen beeinträchtigten nachbarschaftliche Belange, insbesondere die Belichtung des klägerischen Grundstücks. Die Kläger seien auch Lärmimmissionen ausgesetzt. Es hätte auch ein Genehmigungsverfahren durchgeführt werden müssen. Jedenfalls bestehe ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung. Das klägerische Vorbringen wurde durch die Vorlage von Lichtbildaufnahmen ergänzt.
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4. Das Landratsamt Bad Kissingen beantragte für den Beklagten,
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt: Nebengebäude und Einfriedung stünden nicht in Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften. Ausschlaggebend für die Zuordnung zum Innenbereich seien die Lage des Wohnanwesens … … sowie des Sportplatzes gewesen. Ziehe man entsprechend des Verlaufs der …straße eine kurvige Verbindungslinie, so beginne der Außenbereich erst nördlich des die Fl.Nr. …7 der Gemarkung Platz durchschneidenden Zaunes. Auch im Außenbereich wäre das Gartenhaus zulässig, da keine Beeinträchtigung von öffentlichen Belangen i.S.v. § 35 Abs. 3 BauGB vorliege. Anhaltspunkte für eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots seien nicht ersichtlich. Von der Nutzung als Nebengebäude gingen keine immissionsschutzrechtlich relevanten Wirkungen aus. Die Einschränkungen in der individuellen Aussicht der Kläger seien hinzunehmen.
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5. Die Beigeladenen äußerten sich im schriftlichen Verfahren nicht.
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6. Am 29. September 2022 nahm das Gericht die örtlichen und baulichen Verhältnisse im Bereich des Baugrundstücks in Augenschein. Auf das zugehörige Protokoll nebst Lichtbildaufnahmen wird Bezug genommen. Die Beteiligten erklärten ihren Verzicht auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.
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7. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakte verwiesen. Die Akten zu den Verfahren W 5 K 15.1316 und W 5 K 15.1317 wurden beigezogen.
Entscheidungsgründe
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Die Verpflichtungsklage auf bauaufsichtliches Einschreiten in Form der Beseitigung des Nebengebäudes und des Sichtschutzzaunes auf dem Baugrundstück, hilfsweise gerichtet auf ermessensfehlerfreie Neuentscheidung, ist zulässig, aber unbegründet. Über die Klage konnte im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden (§ 101 Abs. 2 VwGO).
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1. Die Klage ist zulässig.
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Statthaft ist die Verpflichtungsklage in Form der Versagungsgegenklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO). Bei dem Schreiben des Landratsamts Bad Kissingen vom 10. Februar 2022 handelt es sich um einen Verwaltungsakt i.S.v. Art. 35 Satz 1 BayVwVfG. Zwar enthält das Schreiben weder eine Kostenentscheidung noch eine Rechtsbehelfsbelehrung und weist der äußeren Form nach Merkmale einer schlichten behördlichen Mitteilung auf. Ungeachtet dessen geht aus dem Schreiben nach der maßgeblichen Sicht eines objektiven Empfängers unter Berücksichtigung des vorangegangenen Verfahrensganges in eindeutiger Weise hervor, dass das Landratsamt Bad Kissingen das mit Schreiben des Klägerbevollmächtigten vom 9. September 2021 beantragte bauaufsichtliche Einschreiten letztverbindlich nicht für geboten erachtet hat („Ein bauaufsichtliches Einschreiten des Landratsamts Bad Kissingen ist daher weder beabsichtigt noch angezeigt.“). Damit weist das Schreiben den für einen Verwaltungsakt erforderlichen Regelungscharakter auf.
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Die Klage wurde auch fristgerecht erhoben. Da dem Schreiben des Landratsamts Bad Kissingen vom 10. Februar 2022 keine Rechtsbehelfsbelehrung beigegeben wurde, begann die Monatsfrist des § 74 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 VwGO nicht zu laufen (vgl. § 58 Abs. 1 VwGO). Die Jahresfrist für die Klageerhebung nach § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO wurde mit der am 26. April 2022 erfolgten Klageerhebung ohne weiteres eingehalten.
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2. Die Klage ist unbegründet.
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2.1. Den Klägern steht im Hauptantrag kein Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten - hier in Form einer Baubeseitigungsanordnung bezüglich des Nebengebäudes und des Sichtschutzzaunes aus Trapezblech - zu. Der Bescheid des Landratsamts Bad Kissingen vom 10. Februar 2022, mit dem der Antrag auf bauaufsichtliches Einschreiten abgelehnt wurde, ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
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Nach Art. 76 Satz 1 BayBO kann die Bauaufsichtsbehörde die teilweise oder vollständige Beseitigung von Anlagen anordnen, wenn diese im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet oder geändert werden und nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden können. Die Entscheidung nach dieser Vorschrift steht im Ermessen der Bauaufsichtsbehörde. Ein Dritter hat daher keinen Rechtsanspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten, sondern nur einen Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung. Ein Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten erfordert zum einen, dass die Kläger durch die bauliche Anlage in nachbarschützenden Rechten verletzt sind (Decker in Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, Werkstand: 147. EL August 2022, Art. 76 Rn. 487), zum anderen, dass das Ermessen der Bauaufsichtsbehörde auf Null reduziert ist (Decker in Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, Werkstand: 147. EL August 2022, Art. 76 Rn. 486). Eine Ermessensreduzierung auf Null und damit ein Rechtsanspruch auf Einschreiten ist dem Dritten bzw. dem Nachbarn nur dann zuzubilligen, wenn eine Störung des Nachbarn in subjektiven Rechten von solchem Ausmaß und solcher Schwere vorliegt, dass jede andere Entscheidung als ein Einschreiten zu Gunsten des Nachbarn ermessensfehlerhaft wäre. Dafür sind Ausmaß und Schwere der Störung oder Gefährdung der Rechtsgüter des Nachbarn maßgebend (vgl. BayVGH, B.v. 12.4.2002 - 1 ZB 01.2759 - juris mit Hinweis auf BayVerfGH, E.v. 3.12.1993 - Vf. 108-VI-92 - juris).
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Im vorliegenden Fall können die Kläger die begehrte Baubeseitigung schon deshalb nicht mit Erfolg beanspruchen, weil die Kläger durch die beanstandeten baulichen Anlagen nicht in nachbarschützenden Rechten verletzt worden sind.
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Soweit die Klägerseite zunächst rügt, dass ein baurechtliches Genehmigungsverfahren hätte durchgeführt werden müssen, da die Voraussetzungen für eine Verfahrensfreiheit nach Art. 57 Abs. 1 Nr. 1 bzw. Nr. 7 BayBO nicht vorgelegen hätten, verhilft dies der Klage nicht zum Erfolg. Die Vorschriften über die Genehmigungspflicht bzw. über die Verfahrensfreiheit liegen allein im öffentlichen Interesse und sind nicht nachbarschützend. Selbst wenn die Bauaufsichtsbehörde in irriger Weise von der Verfahrensfreiheit ausgegangen wäre, folgt hieraus noch kein nachbarliches Abwehrrecht, denn dem Nachbarn steht kein subjektives Recht auf die richtige Verfahrensart zu. Da der Nachbar keinen Anspruch auf die bloße Durchführung eines Genehmigungsverfahrens hat, kann ihn allein dessen Nichtdurchführung nicht in seinen Rechten verletzen. Vielmehr ist die Verletzung einer materiellen Rechtsposition erforderlich (Weinmann in BeckOK BauordnungsR, 23. Ed. 1.9.2022, BayBO, Art. 57 Rn. 290 m.w.N.).
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Materiell-rechtlich verstoßen die Anlagen insbesondere nicht gegen nachbarschützende bauordnungsrechtliche Rechtsvorschriften, insbesondere nicht gegen das unmittelbar nachbarschützende Abstandsflächenrecht (Art. 6 BayBO).
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Das beanstandete Nebengebäude im südlichen Bereich des Baugrundstücks - etwa 1 m entfernt von der Grenze zum Grundstück der Kläger - unterfällt der Privilegierung des Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BayBO und ist deshalb nicht abstandsflächenpflichtig. Gemäß Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BayBO sind in den Abstandsflächen eines Gebäudes sowie ohne eigene Abstandsflächen, auch wenn sie nicht an die Grundstücksgrenze oder an das Gebäude angebaut werden, u.a. zulässig Gebäude ohne Aufenthaltsräume und Feuerstätten mit einer mittleren Wandhöhe bis zu 3,00 m und einer Gesamtlänge je Grundstücksgrenze von 9,00 m; abweichend von Abs. 4 bleibt bei einer Dachneigung bis zu 70 Grad die Höhe von Dächern und Giebelflächen unberücksichtigt. Das Nebengebäude hält - was von der Klägerseite nicht in Abrede gestellt wird - nach den Ergebnissen der behördlichen Baukontrolle sowohl die höchstzulässige Länge von 9,00 m als auch die mittlere Wandhöhe von maximal 3,00 m ein. Bei dem gerichtlichen Augenschein wurde darüber hinaus zweifelsfrei festgestellt, dass es sich um ein Nebengebäude ohne Aufenthaltsraum und Feuerstätte handelt. Auch die gemäß Art. 6 Abs. 7 Satz 2 BayBO maximal zulässige Länge von 15 m der die Abstandsflächentiefe gegenüber der Grundstücksgrenze zu den Klägern nicht einhaltenden Bebauung nach Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nrn. 1 und 2 BayBO wird gewahrt. Eine Abstandsflächenrechtsverletzung zulasten der Kläger durch das Nebengebäude scheidet damit aus.
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Der außerdem beanstandete Sichtschutzzaun aus Trapezblech, der auf den Baugrundstücken entlang des südlichen und des westlichen Grenzverlaufs zum Nachbargrundstück der Kläger errichtet wurde, unterfällt der Privilegierung des Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 3 BayBO und ist deshalb ebenfalls nicht abstandsflächenpflichtig. Gemäß Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 3 BayBO sind in den Abstandsflächen eines Gebäudes sowie ohne eigene Abstandsflächen, auch wenn sie nicht an die Grundstücksgrenze oder an das Gebäude angebaut werden, u.a. geschlossene Einfriedungen in Gewerbe- und Industriegebieten zulässig, außerhalb dieser Baugebiete - d.h. sowohl in anderen Baugebieten als auch im unbeplanten Innenbereich als auch im Außenbereich (Jäde in PdK Bay F-3, Febr. 2015, Art. 6 BayBO, Erl. 4.2) - sind geschlossene Einfriedungen mit einer Höhe bis zu 2 m zulässig. Bei dem von den Beigeladenen errichteten Sichtschutzzaun handelt es sich um eine ebensolche geschlossene Einfriedung mit einer Höhe von maximal 2,00 m (vgl. Bericht zur Baukontrolle vom 23.11.2021), was von der Klägerseite auch nicht in Abrede gestellt wurde. Dementsprechend war davon auszugehen, dass auch hinsichtlich des Sichtschutzzauns die Privilegierungsvoraussetzungen erfüllt sind und eine Abstandsflächenrechtsverletzung zulasten der Kläger ausscheidet.
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Offenbleiben kann, ob der Sichtschutzzaun aufgrund des verwendeten Baustoffs (Trapezblech) verunstaltend i.S.v. Art. 8 Satz 1 BayBO wirkt. Denn bei Art. 8 BayBO handelt es sich nicht um eine nachbarschützende Vorschrift, auf die sich die Kläger im Rahmen ihres Begehrens auf bauaufsichtliches Einschreiten berufen könnten. Der Nachbar muss ästhetische Belastungen hinnehmen und hat grundsätzlich - so auch hier - kein subjektiv-öffentliches Recht darauf, dass in seiner Nachbarschaft nur Bauwerke entstehen, die sich dem Charakter seines Hauses anpassen (Dirnberger in Busse/Kraus, BayBO, 146. EL, Mai 2022, Art. 8 Rn. 283 f. m.w.N.; Voigt in BeckOK BauordnungsR BayBO, 23. Ed., 1.9.2022, Art. 8 Rn. 9 f.).
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Auch in bauplanungsrechtlicher Hinsicht ist nicht ersichtlich, dass die Kläger in eigenen Rechten verletzt worden sind.
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Dabei kann offenbleiben, ob die beiden beanstandeten Anlagen vollständig im Innenbereich oder zumindest teilweise im Außenbereich gelegen sind. Geht man mit den Klägern von einer Außenbereichslage i.S.v. § 35 BauGB aus, ist festzustellen, dass kein Anspruch der Nachbarn auf Freihaltung des Außenbereichs von baulichen Anlagen besteht. Ein Gebietserhaltungsanspruch eines Grundstückseigentümers auf Erhaltung der Außenbereichsqualität des Grundstücks existiert nicht, weil die Freihaltung des Außenbereichs von außenbereichsfremden Vorhaben ausschließlich im öffentlichen Interesse erfolgt (OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 29.4.2019 - 10 S 17.19 - juris). Zum Schutz der Nachbarn ist das in § 35 BauGB enthaltene drittschützende Rücksichtnahmegebot ausreichend (vgl. hierzu nachstehende Ausführungen). Geht man demgegenüber mit der Beklagtenseite von einer Innenbereichslage der beanstandeten Anlagen aus, kommt ebenfalls nur eine Verletzung des bauplanungsrechtlichen Gebots der Rücksichtnahme in Betracht, unabhängig davon, ob man die nähere Umgebung als Gemengelage i.S.v. § 34 Abs. 1 BauGB einordnet oder ob diese anknüpfend an § 34 Abs. 2 BauGB einem faktischen Baugebiet im Sinne der BauNVO entspricht. Für einen - allein im Fall des § 34 Abs. 2 BauGB in Betracht zu ziehenden - weiterreichenden Gebietserhaltungsanspruch der Kläger besteht schon deshalb kein Raum, weil eine gebietsfremde Nutzung hier nicht in Rede steht, denn das Nebengebäude und der Sichtschutzzaun stellen Anlagen dar, die sich in Bezug auf die Art der baulichen Nutzung ohne weiteres der in der näheren Umgebung vorherrschenden Wohnbebauung bzw. Wohnnutzung zuordnen lassen.
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Damit beschränkt sich der bauplanungsrechtliche Nachbarschutz auf das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme, welches vorliegend aufgrund der folgenden Erwägungen nicht verletzt ist:
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Gemäß § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO ist ein Vorhaben unzulässig, wenn von ihm Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebiets (im Baugebiet selbst oder) in dessen Umgebung unzumutbar sind. Dies ist dann der Fall, wenn sich das Vorhaben nach Abwägung aller Belange, insbesondere der Interessen des Bauherrn und des Nachbarn, als rücksichtslos darstellt, weil es auf besonders schutzbedürftige und qualifizierte Belange des Nachbarn intensiv einwirkt (BVerwG, U.v. 25.2.1977 - 4 C 22/75 - juris). Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme begründet und ob von einer unzumutbaren Situation auszugehen ist, hängt nach der Rechtsprechung wesentlich von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab. Die vorzunehmende Interessenabwägung hat sich daran zu orientieren, was dem Rücksichtnahmebegünstigten und dem Rücksichtnahmeverpflichteten jeweils nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Dies beurteilt sich nach der jeweiligen Situation der benachbarten Grundstücke. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung des Rücksichtnahmeberechtigten ist, desto mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die Interessen des Bauherrn sind, die er mit dem Vorhaben verfolgt, desto weniger muss er Rücksicht nehmen (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 13.3.1981 - 4 C 1/78 - juris). Das Gebot der Rücksichtnahme ist demnach nur dann verletzt, wenn die dem Nachbarn aus der Verwirklichung des geplanten Vorhabens resultierenden Nachteile das Maß dessen übersteigen, was ihm billigerweise noch zumutbar ist (vgl. Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 15. Aufl. 2022, § 35 Rn. 78).
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Gemessen daran ist nicht zu erkennen, dass die beanstandeten Anlagen zu unzumutbaren Verhältnissen auf dem Grundstück der Kläger führen könnten. Zu einem entsprechenden Eindruck ist das Gericht auch im Rahmen des vorgenommenen Augenscheintermins am 29. September 2022 gelangt. Insbesondere ist mit den baulichen Anlagen keine erdrückende oder abriegelnde Wirkung verbunden. Hierfür spricht schon indiziell, dass die bauordnungsrechtlichen Vorschriften des Abstandsflächenrechts - wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt - eingehalten wurden. Weiterhin ist unter keinem Aspekt ersichtlich, dass von den beanstandeten baulichen Anlagen unzumutbare Immissionen ausgehen könnten; insbesondere wird das Nebengebäude von den Beigeladenen - wie im Rahmen des gerichtlichen Augenscheins erkennbar wurde - nicht als Tierunterstand (z.B. Hühnerstall) genutzt. Es kann zwar nicht in Abrede gestellt werden, dass die Baumaßnahmen zur Folge haben, dass die Kläger in ihren bisherigen Aussichtsmöglichkeiten, v.a. in nördliche Richtung, stark eingeschränkt werden. Eine Beeinträchtigung der „freien Aussicht“ von einem Grundstück durch eine Nachbarbebauung ist jedoch in der Regel - so auch hier - noch keine (unzumutbare) Belästigung, weil das Rücksichtnahmegebot keinen Anspruch auf Fortbestand einer günstigen Grundstückssituation vermittelt (vgl. OVG Schleswig, B.v. 1.2.2017 - 1 LA 49/16 - juris; Henkel in BeckOK BauNVO, Spannowsky/Hornmann/Kämper, 31. Ed., 15.10.2022, § 15 Rn. 31). Soweit schließlich das für den Sichtschutzzaun verwendete Baumaterial (Trapezblech) vom klägerischen Grundstück aus optisch in auffälliger Weise in Erscheinung tritt, führt dies ebenfalls nicht zu einer Verletzung des bauplanungsrechtlichen Rücksichtnahmegebots. Es handelt sich dabei nämlich um eine gestalterische Erwägung, die grundsätzlich allein öffentliche Interesse berührt und keine subjektive Rechtsposition Einzelner begründen kann (OVG Münster, B.v. 3.7.2020 - 10 A 1241/20; B.v. 6.8.2021 - 2 A 1599/21 - beide juris). Der Grundstücksnachbar hat grundsätzlich keinen Anspruch auf eine ihm angenehme Gestaltung der Umgebung oder Aussicht (BayVGH, B.v. 31.7.2006 - 25 CS 06.1705, 25 C 06.1706 - juris). Zwar kann im Einzelfall auch eine massive optische Einwirkung eine zur Unzulässigkeit nach § 15 BauNVO führende Störung sein (BayVGH, U.v. 19.2.2004 - 26 B 03.1688 - juris). Ein derart massiver Ausnahmefall kann nach dem vor Ort gewonnenen Eindruck jedoch vorliegend nicht angenommen werden, weil sich die Kläger insoweit jedenfalls auf architektonische Selbsthilfemöglichkeiten (z.B. Bepflanzungsmaßnahmen) zur Abmilderung der als unästhetisch empfundenen Grenzsituation verweisen lassen müssen.
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Nach alledem stehen das Nebengebäude und der Sichtschutzzaun der Beigeladenen nicht in Widerspruch zu nachbarschützenden Vorschriften. Nicht entscheidend ist, ob die Anlagen sich - soweit sie im unbeplanten Innenbereich gelegen sein sollten - objektiv in die Eigenart der näheren Umgebung einfügen (§ 34 Abs. 1 BauGB) oder ob - soweit von sonstigen Anlagen im Außenbereich i.S.v. § 35 Abs. 2 BauGB ausgegangen werden sollte - öffentliche Belange i.S.v. § 35 Abs. 3 BauGB objektiv berührt werden. Entsprechend bedarf es keines näheren Eingehens auf die insoweit zwischen den Beteiligten umstrittenen Fragestellungen.
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2.2. Im Ergebnis scheidet der geltend gemachte Anspruch der Kläger auf bauaufsichtliches Einschreiten gegen die Vorhaben der Beigeladenen mangels eines Verstoßes gegen - nachbarschützende - öffentlich-rechtliche Vorschriften aus. Gleiches gilt für den hilfsweise geltend gemachten Anspruch auf ermessensfehlerfreie Neuverbescheidung, so dass es auf die Frage einer ordnungsgemäßen Ermessensentscheidung der Bauaufsichtsbehörde nicht ankommt.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 159 Satz 2 VwGO. Da die Beigeladenen sich nicht durch Antragstellung am Kostenrisiko beteiligt haben (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO), entsprach es der Billigkeit, dass sie ihnen eventuell entstandene außergerichtliche Kosten selbst zu tragen haben (§ 162 Abs. 3 VwGO). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 und § 711 ZPO.