Inhalt

VG Regensburg, Beschluss v. 30.09.2022 – RN 9 E 22.2308
Titel:

zum Anspruch auf Erteilung einer Duldung bei ungewissem Abschiebetermin

Normenkette:
AufenthG § 60a, § 60b, § 60c
Leitsätze:
1. Liegen alle Voraussetzungen für die Durchführung der Aufenthaltsbeendigung vor, ist es insoweit ausreichend, dass die Abschiebung in absehbarer Zeit grundsätzlich möglich ist; auf einen konkret bestimmbaren Zeitpunkt der Abschiebung kommt es nicht entscheidend an. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Duldung nach § 60a Abs. 2 AufenthG ist zu erteilen‚ wenn die Abschiebung zwar grundsätzlich möglich ist‚ aber nicht ohne (größere) Verzögerung durchgesetzt werden kann‚ insbesondere der Abschiebetermin noch nicht feststeht. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ausbildungsduldung, Organisationsduldung, Aufenthaltsbeendigung
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 16.01.2023 – 19 CE 22.2222
Fundstelle:
BeckRS 2022, 41997

Tenor

I. Der Antragsgegner wird verpflichtet, dem Antragsteller einstweilen bis zur Mitteilung eines Abschiebungstermins durch das Landesamt für Asyl und Rückführungen eine Duldung zu erteilen. Im Übrigen wird der Eilantrag abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf € 6.250…. festgesetzt.
IV. Dem Antragsteller wird zu 5% der Kosten des Verfahrens Prozesskostenhilfe bewilligt und der Bevollmächtigte beigeordnet. Im Übrigen wird der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung abgelehnt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller verfolgt in der Hauptsache sein Begehren weiter, eine Ausbildung im Bereich „Heilerziehungspflege“ beginnen zu können.
2
Der Antragsteller ist sierra-leonischer Staatsangehöriger. Sein nach Einreise in das Bundesgebiet am 11. Januar 2018 gestellter Asylantrag blieb erfolglos (VG Regensburg, U.v. 12.2.2020 – RN 14 K 19.31859, rechtskräftig seit 12.2.2020). Seither ist er vollziehbar ausreisepflichtig. Bis 23. August 2022 war er im Besitz von Duldungen, zuletzt nach § 60b AufenthG.
3
Am 27. November 2019 (Bl. 1312 d.A.) beantragte die Ausländerbehörde beim Landesamt für Asyl und Rückführungen – Zentrale Passersatzbeschaffung – die Einleitung eines PEP-Verfahrens für den Antragsteller. Nach Vorlage eines gültigen Reisepasses (s.u.) wurde das PEP-Verfahren am 20. September 2022 eingestellt (Bl. 1878 d.A.)
4
Die Behördenakte enthält eine Bestätigung der Botschaft der Republik S. L. vom 27. Februar 2020 (Bl. 1375 d.A.), wonach der Antragsteller sierra-leonischer Staatsbürger sei. Er habe an diesem Tag Antrag auf Erteilung eines Reisepasses gestellt, was bei der Botschaft allerdings nicht möglich sei. Der Bevollmächtigte übersandte mit am 2. November 2020 bei der Ausländerbehörde eingegangenem Schreiben eine Geburtsurkunde für den Antragsteller im Original (Bl. 1441 d.A.). Ein Schulzeugnis im Original erhielt die Ausländerbehörde am 14. Januar 2021 (Bl. 1454 d.A.).
5
Mit Bescheid vom 12. Oktober 2021 (Bl. 1645 d.A.) verfügte die Ausländerbehörde die Teilnahme des Antragstellers an einer Anhörungsmaßnahme mit sierra-leonischen Vertretern am 19. Oktober 2021. Nach der aktenkundigen Interviewbescheinigung von diesem Tag (Bl. 1696 d.A.) bestätigten die Delegationsvertreter die sierra-leonische Staatsangehörigkeit des Antragstellers. Nach Auskunft des Landesamts für Asyl und Rückführungen vom 8. Dezember 2021 (Bl. 1728 d.A.) würden die Angaben des Antragstellers noch im Heimatland überprüft. Sobald ein Ergebnis vorliege, werde die Ausländerbehörde zeitnah informiert. Beigefügt war ein Schreiben der Passersatzbeschaffung des Bundes vom 12. November 2021 (Bl. 1730 d.A.), wonach die Sierraleonische Botschaft in Berlin bereit sei, auf Antrag ein Passersatzpapier auszustellen. Die Einzelheiten des Verfahrens müssten mit der Botschaft noch abgestimmt werden. Es ergehe gesonderte Mitteilung.
6
Der Antragsteller nahm in der Zeit vom 1. August 2020 bis zum 31. Juli 2021 an einem Vorkurs zur Vorbereitung auf die Ausbildung zum Pflegehelfer teil. Die Ausländerbehörde hatte in diesem Zusammenhang am 14. Juli 2020 (Bl. 1538 d.A.) darauf hingewiesen, dass die Wahrnehmung des Vorkurses zwar möglich sei, jedoch eine im Anschluss angestrebte Ausbildung gesondert beantragt werden müsse. Nach Aktenlage wiederholte der Antragsteller diesen Vorkurs im Schuljahr 2021/22 (Bl. 1629 d.A.) und bestand diesen schließlich (Bl. 1720 d.A.).
7
Mit anwaltlichem Schreiben vom 16. November 2021, bei der Ausländerbehörde eingegangen am 17. November 2021, ließ der Antragsteller die Erteilung einer Ausbildungsduldung für eine Ausbildung zum Heilerziehungspfleger bei der L. e.V. D. für das nächste Ausbildungsjahr beantragen. Diesen Antrag lehnte die Ausländerbehörde mit bestandskräftigem Bescheid vom 16. Dezember 2021 (Bl. 1739 d.A.) ab.
8
Am 26. Juli 2022 legte der Antragsteller bei der Ausländerbehörde einen am 26. Januar 2022 ausgestellten Reisepass im Original vor (Bl. 1815 d.A.; keine Fälschungsmerkmale lt. VPI D., Bl. 1845 d.A.). Am gleichen Tag beantragte er erneut die Erteilung einer Ausbildungsduldung für eine einjährige Helferausbildung. Im Anschluss könne er die dreijährige Fachkraftausbildung zum Heilerziehungshelfer absolvieren. Beigefügt waren verschiedene Schulzeugnisse sowie ein vom 28. Oktober 2021 datierender Vertrag mit der …-Schule (Fachschulen für Heilerziehungspflege und Heilerziehungspflegehilfe) S. über die Weiterbildung zum Heilerziehungspflegehelfer. Die Weiterbildung beginne am 1. September 2022 und ende am 31. Juli 2023. Die praktische Weiterbildung erfolge bei der L. D. e.V. (§ 9). Zudem lag dem Antrag eine Bestätigung der Schule vom 1. Juli 2022 bei, wonach der Antragsteller vorbehaltlich der bestandenen Heilerziehungspflegehelferausbildung im Anschluss die dreijährige Fachkraftausbildung zum Heilerziehungspfleger anschließen könne. Ferner legte er einen Arbeitsvertrag mit der L. D. e.V. vor, wonach er ab dem 1. September 2022 dort als Heilerziehungspflegehelferschüler beschäftigt werde. Unter Bezugnahme auf den Schulvertrag über die Weiterbildung zum Heilerziehungspfleger (§ 2) werde dieser Vertrag maximal bis zum 31. Juli 2023 geschlossen.
9
Schubantrag wurde am 8. August 2022 gestellt. Ein Abschiebungstermin ist derzeit nicht bekannt.
10
Die Ausländerbehörde lehnte den Antrag auf Erteilung einer Ausbildungsduldung für eine Ausbildung zum Heilerziehungspflegehelfer bei der L. D. e.V. mit Bescheid vom 18. August 2022 ab. Seit Abschluss der Echtheitsprüfung für den am 26. Juli 2022 vorgelegten Reisepass am 10. August 2022 lägen die Voraussetzungen für eine Duldung nach § 60b AufenthG nicht mehr vor. Allerdings seien keine anderen Duldungsgründe vorgetragen oder ersichtlich, womit kein Anspruch auf Erteilung einer Duldung gemäß § 60a AufenthG gegeben sei. Es fehle daher bereits am gem. § 60c Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG erforderlichen Besitz einer Duldung nach § 60a AufenthG. Darüber hinaus stünden die Ausschlussgründe der nicht geklärten Identität gemäß § 60c Abs. 2 Nr. 3 lit. b AufenthG sowie die Einleitung konkreter Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung gemäß § 60c Abs. 2 Nr. 5 lit. d AufenthG entgegen. So habe der Antragsteller trotz mehrfacher entsprechender Belehrungen über seine Mitwirkungspflichten seine Identität nicht bis 30. Juni 2020 durch Vorlage eines Reisepasses geklärt. Die bis zum maßgeblichen Zeitpunkt getätigten Mitwirkungshandlungen seien als nicht ausreichend zu werten. Es sei lediglich das Erscheinen in der Sierraleonischen Botschaft am 27. Februar 2020 als Mitwirkungshandlung hinsichtlich der Passbeschaffung aktenkundig. Die Vorlage einer Kopie der Geburtsurkunde sei erst am 28. Juli 2020 erfolgt und damit verfristet. Die Regelung des § 60c Abs. 2 Nr. 3 lit. b AufenthG verdeutliche, dass Unklarheiten bei der Identität nicht zeitlich unbegrenzt hinzunehmen seien. Die Geburtsurkunde sei der Behörde am 2. November 2020 vorgelegt worden und somit mehr als ein Jahr nach Entstehung der vollziehbaren Ausreisepflicht. Infolgedessen habe der Antragsteller vorgetragen, dass er im November 2020 – mehr als vier Monate nach der gesetzlich gegebenen Frist des § 60c Abs. 2 Nr. 3 lit. b AufenthG – erfolglos versucht habe, die Sierraleonische Botschaft wegen eines Passantrags zu kontaktieren. Es sei somit zu konstatieren, dass die erforderlichen Mitwirkungshandlungen nicht in dem Maße ergriffen worden seien, die ihm zumutbar gewesen wären. Weiterhin liege der Ausschlussgrund des § 60c Abs. 2 Nr. 5 lit. d AufenthG vor. Insbesondere sei es als vergleichbar konkrete Maßnahme im Sinne dieser Bestimmung zu bewerten, wenn vor Antragstellung ein Termin zur Vorstellung bei der Botschaft des Herkunftsstaates des Ausländers zur Vorbereitung der Rückführung vereinbart worden sei, auch wenn der Termin selbst erst in einem angemessenen Zeitraum nach Antragstellung angesetzt sei. In diesem Zusammenhang sei die Teilnahme an einer Anhörungssondermaßnahme am 19. Oktober 2021 vor sierra-leonischen Vertretern des Immigration Office und der Botschaft des sierra-leonischen Staates in München angeordnet worden. Bei seiner dortigen Vorsprache sei die sierra-leonische Staatsangehörigkeit festgestellt worden. Die Ausstellung eines Passersatzpapiers sei durch die Sierraleonische Botschaft in Berlin zugesagt worden. Weiterhin gelte die bereits am 29. November 2019 von Amts wegen eingeleitete Beschaffung von Heimreisepapieren (PEP-Verfahren) ebenfalls als vergleichbar konkrete Vorbereitungsmaßnahme im Sinne dieser Bestimmung. Der hinreichende sachliche und zeitliche Zusammenhang der Beantragung eines Passersatzpapiers bzw. der Botschaftsvorführung zur Aufenthaltsbeendigung entfalle nicht wegen der am 26. Juli 2022 erfolgten Vorlage eines gültigen Reisepasses im Original bei der Ausländerbehörde. Diese habe nicht etwa zu einem Abstandnehmen von einer Abschiebung geführt, sondern allein dazu, dass für die Durchführung der Abschiebung nunmehr wegen des vorgelegten Nationalpasses kein Passersatzpapier mehr benötigt werde.
11
Gegen diesen Bescheid ließ der Antragsteller mit am 20. September 2020 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz Klage erheben und zugleich Eilantrag stellen. Vorrangiges Ziel des Antragstellers sei die Ausbildungsduldung, da diese während der Ausbildung ein dauerndes Aufenthaltsrecht in Deutschland ergebe. Sollte dies nicht in Betracht kommen, begehre er aufgrund des unzweifelhaft bestehenden öffentlichen Interesses an Pflegekräften zumindest die Zuerkennung eines Aufenthaltsrechts, bis er den ersten Teil der Ausbildung, also die Ausbildung zum Pflegehelfer absolviert haben werde, nämlich bis zum Ende des Schuljahres 2022/23. Die praktische Ausbildung könne er sofort beginnen, der Antragsteller könnte aber (aufgrund seiner Kenntnisse und aufgrund Wohlwollens des Ausbildungsbetriebes) auch noch danach einsteigen. Das Ganze eile aber, damit das Ausbildungsjahr nicht ende, bevor Entscheidung in der Hauptsache ergehe, daher verfolge der Antragsteller sein Verpflichtungsbegehren auch über einen Eilantrag. Da der Antragsgegner – obwohl das in der Sache wenig ernsthaft erscheine – von bereits eingeleiteten Abschiebungsmaßnahmen spreche, begehre der Antragsteller vorsorglich auch Schutz gegen ihm, zumindest laut schriftlichen Ausführungen des Antragsgegners drohender Abschiebung. Zur Sache werde darauf hingewiesen, dass der Antragsteller eine besondere Neigung und Eignung für Berufe im Bereich der Pflege habe. Daher strebe er die Ausbildung zum Heilerziehungspfleger an. Voraussetzung, um diese Ausbildung machen zu können, sei der erfolgreiche Abschluss der vorausgehenden Ausbildung zum Heilerziehungspflegehelfer. Die Ausbildung habe einen schulischen und einen praktischen Teil. Die schulische Ausbildung habe der Antragsteller bislang in der …-Schule der … in S. gemacht und er wolle sie dort fortsetzen. Dort habe er zunächst mit sehr gutem Erfolg die einjährige Erweiterung der (Heilerziehungs-)Pflegehelferausbildung für Asylbewerber und Flüchtlinge im Schuljahr 2020/21 und danach mit gutem Erfolg die einjährige Erweiterung der Fachhelferausbildung absolviert. Die …-Schule stelle ihm in Aussicht, die Ausbildung zur Fachkraft als Heilerziehungspfleger im Anschluss an eine erfolgreiche (also bestandene) Heilerziehungspflegehelferausbildung machen zu dürfen. Den praktischen – und zwingend erforderlichen – Teil der Ausbildung zum Heilerziehungspflegehelfer könnte der Antragsteller bei der L. D. e.V. machen. Genau dies – also die Erlaubnis für die praktische Ausbildung und die damit verbundene Erteilung einer Ausbildungsduldung verweigere der Antragsgegner im ablehnenden Bescheid und verhindere damit, dass ein in jeder Hinsicht qualifizierter und leistungswilliger junger Mann die Ausbildung in einem Mangelberuf – Pflege – wo händeringend Personal gesucht werde, antreten dürfe. Da der Antragsteller einer der wenigen jungen Leute sei, die sich nicht nur auf dem Papier, sondern auch tatsächlich für den Pflegeberuf begeisterten und es gerade für Pflegehelfer einen nicht zu deckenden Bedarf gebe, stehe fest, dass gegenüber einem evtl. Abschiebungsinteresse des Antragsgegners (wobei das bislang nur theoretisch formuliert worden sei) erhebliche öffentliche Interessen die weitere Anwesenheit in Deutschland erforderten. Daher lägen auch die Voraussetzungen für eine Duldung gem. § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG vor. Denn die Deckung des akuten Personalmangels in Heil- und Pflegeberufen stelle unzweifelhaft ein erhebliches öffentliches Interesse dar. Dem Antragsteller sei daher, falls ihm keine Duldung gem. § 60c AufenthG erteilt werde, zumindest eine Duldung gern. § 60a AufenthG für die begrenzte Zeit der Dauer seiner weiteren Ausbildung zu erteilen. Sollte der Antragsteller die Ausbildung abbrechen/keinen Erfolg haben/aus sonstigen Gründen aus der Ausbildung „abbiegen“, wäre dem Ausweisungsinteresse, welches der Antragsgegner vorgebe zu haben, immer noch ausreichend Genüge getan, denn dann könnte er, falls er in der Lage wäre (was er aber nicht sei) die Abschiebung des Antragstellers zu organisieren, diese durchführen. Der Antragsteller sei noch nie straffällig geworden und werde es auch nicht werden. Seine Identität sei eindeutig geklärt, nicht nachvollziehbar sei, dass der Antragsgegner ihn nach wie vor als Person mit ungeklärter Identität einstufe. Behördenbekannt/gerichtsbekannt sei, dass die Botschaft der Republik Sierra Leone in Berlin keine Reisepässe erteile, sondern auf Behörden in Freetown verweise. Zu angeblichen Maßnahmen zur Abschiebung werde angemerkt, dass der Antragsteller an einer behördlicherseits verfügten, zur Vorbereitung der Abschiebung angedachten Maßnahme in München am 19. Oktober 2021 teilgenommen habe. Fast ein Jahr danach sei er immer noch in Deutschland – so recht konkret könne das nicht sein. Unklar bleibe, was der Antragsgegner mit der Zusage von Passersatzpapieren meine, wo der Antragsteller doch einen Reisepass habe. Tatsächlich habe es nie und gebe es keine konkreten Maßnahme zur Abschiebung des Antragstellers.
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Der Antragsteller lässt wörtlich beantragen,
Der Antragsgegner wird im Wege einer Einstweiligen Anordnung verpflichtet,
(1) dem Antragsgegner vorläufig eine Ausbildungserlaubnis für die Ausbildung zum Heilerziehungspfleger bei der L. D. e.V., …, … D. zu erteilen, bis in der Hauptsache über seinen Antrag auf Erteilung einer Ausbildungserlaubnis entschieden ist
(2) dem Antragsgegner vorläufig eine Ausbildungsduldung gemäß § 60c Aufenthaltsgesetz für die Ausbildung zum Heilerziehungspflegehelfer bei der L. D. e.V., …, … D. zu erteilen, bis in der Hauptsache über seinen Antrag auf Erteilung einer Ausbildungsduldung und seinen Hilfsantrag auf Erteilung einer Duldung gemäß § 60a Aufenthaltsgesetz entschieden ist
(3) dem Antragsgegner zu untersagen, bis zur Entscheidung über den Antrag auf Erlaß der vorstehend beantragten Einstweiligen Anordnung Schritte zur Abschiebung des Antragstellers oder Schritte zur Abschiebungsvorbereitung zu unternehmen.
13
Ferner beantragte der Bevollmächtigte mit gesondertem Schriftsatz vom 20. September 2022
die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für Klage und Eilantrag unter seiner Beiordnung.
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Der Antragsgegner beantragt,
die Eilanträge abzulehnen.
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Es bestehe kein Anordnungsgrund. Es liege mangels Anspruch auf Erteilung einer Ausbildungsduldung bzw. einer Beschäftigungserlaubnis eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache vor. Bereits der Verweis des Antragstellers auf die Möglichkeit eines späteren Einstiegs und die daraus zu folgende Tatsache, dass gerade nicht der endgültige Verlust des Ausbildungsplatzes zu befürchten sei, lasse die Eilbedürftigkeit entfallen. Es fehle gerade an einem Nachweis, dass der begehrte Ausbildungsplatz bei Nichtantritt entzogen werde und auch nicht zu einem späteren Zeitpunkt angetreten werden könne. Die Ausführungen des Antragstellers sprächen vielmehr dafür, dass er die begehrte Ausbildung auch zu einem späteren Zeitpunkt aufnehmen könne. Der Antragsteller selbst betone, dass in der Pflege händeringend Personal gesucht werde. Weiterhin folge ein Anordnungsgrund auch nicht aus einer Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz oder einem sonst drohenden wesentlichen Nachteil. Etwaige Anhaltspunkte hierfür seien weder vorgetragen noch ersichtlich. Für den Eilantrag (3) bestehe ferner kein Anordnungsgrund. Erforderlich sei im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes, § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO. Die reine Behauptung des Antragstellers von der fehlenden Ernsthaftigkeit von bereits eingeleiteten Abschiebungsmaßnahmen genüge dem nicht. Der Vortrag des Antragstellers zeuge an dieser Stelle von einer gewissen Selbstwidersprüchlichkeit. Zum einen (Antrag (3)) beantrage er im Eilverfahren – ohne ein entsprechendes Pendant im Hauptsacheverfahren (auf eine Ausbildungsduldung stelle ja gerade Antrag (2) ab) –, dem Antragsgegner zu untersagen, Schritte zur Abschiebung bzw. Abschiebungsvorbereitung zu unternehmen, andererseits zweifle er die Ernsthaftigkeit bereits eingeleiteter Abschiebungsmaßnahmen an, was er in dem vorletzten Satz seiner Antrags- und Klageschrift wie folgt zum Ausdruck bringe: „Tatsächlich gab und gibt es keine konkreten Maßnahme zur Abschiebung des Klägers.“ Auch die Formulierung des Antrags (3) verwirre. Der Antragsteller beantrage, den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, „dem Antragsgegner zu untersagen, bis zur Entscheidung über den Antrag auf Erlass der vorstehend beantragten einstweiligen Anordnung Schritte zur Abschiebung des Antragstellers oder Schritte zur Abschiebungsvorbereitung zu unternehmen.“ (Hervorhebung durch Antragsgegner). Abgesehen davon, dass der reflexive Gebrauch des Verbes „untersagen“ befremdlich anmute, sei jedenfalls hiesiger Seite im deutschen Verwaltungsprozessrecht keine einstweilige Anordnung im Hinblick auf eine (andere) beantragte einstweilige Anordnung geläufig. Darüber hinaus bestehe kein Anordnungsanspruch. So sei der Antragsteller bereits nicht in Besitz einer Duldung nach § 60a AufenthG. Die Abschiebung nach Sierra Leone sei möglich. Hinderungsgründe seien weder vorgetragen noch ersichtlich, weshalb ein Duldungsanspruch nicht ersichtlich sei. Darüber hinaus lägen die bereits im streitgegenständlichen Bescheid genannten Ausschlussgründe vor. Die Vorlage des Reisepasses und damit verbunden die Identitätsklärung seien gemeinsam mit der Antragstellung auf Erteilung einer Ausbildungsduldung am 26. Juli 2022 erfolgt, damit nicht mehr innerhalb des erforderlichen Zeitraums bis 30. Juni 2020. § 60c Abs. 2 Nr. 3 HS. 2 AufenthG führe ebenso wenig zu einem Anspruch auf Erteilung der beantragten Ausbildungsduldung. Was die konkreten Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung angehe, werde erneut auf das eingeleitete PEP-Verfahren sowie auf die angeordnete Botschaftsvorsprache verwiesen. Zum PEP-Verfahren sei ein zeitlicher Zusammenhang auch dann noch gegeben, wenn es über eine längere Zeit andauere. Es entspreche der ständigen Behördenpraxis, dass derartige Verfahren oftmals längere Zeit in Anspruch nähmen. Insbesondere seien im Rahmen des PEP-Verfahrens die deutschen Behörden auf die Mitwirkung der Behörden des Heimatlandes angewiesen und hätten keine durchsetzbare Möglichkeit zur Verfahrensbeschleunigung. Es sei insoweit ausreichend, dass die Abschiebung in absehbarer Zeit grundsätzlich möglich sei; auf einen konkret bestimmbaren Zeitpunkt der Abschiebung komme es – wie schon die Beispiele in § 60c Abs. 2 Nr. 5 Buchst. a bis e AufenthG verdeutlichten – nicht entscheidend an. Abschließend sei festzustellen, dass der Ausschlussgrund des § 60c Abs. 2 Nr. 5 Buchs. d) AufenthG auch nicht durch die Vorlage eines originalen Reisepasses des Antragstellers entfallen würde. Dies würde nicht etwa zu einem Abstandnehmen von einer Abschiebung führen, sondern allein dazu, dass für die Durchführung der Abschiebung nunmehr wegen des vorgelegten Nationalpasses kein Passersatzpapier mehr benötigt werde. Ein Absehen vom Versagungsgrund des § 60c Abs. 2 Nr. 3 AufenthG gem. § 60c Abs. 7 AufenthG sei nicht möglich. Diese Vorschrift sei schon nicht anwendbar, da der Antragsteller nicht alle erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen für die Identitätsklärung ergriffen habe. Abgesehen davon stehe einer Duldungserteilung jedenfalls § 60c Abs. 2 Nr. 5 Buchst. d) AufenthG entgegen. Ein Anspruch auf Beschäftigungserlaubnis bestehe ebenfalls nicht. Vor dem Hintergrund der gesetzgeberischen Intention, die Erteilung einer Duldung zum Zweck der Berufsausbildung nunmehr in § 60c AufenthG zu regeln, könne das Absolvieren einer Berufsausbildung allein kein Grund für eine Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG sein. Dies gelte auch dann, wenn die Ausbildungsduldung aus Ausschluss- oder Versagungsgründen nach § 60c AufenthG nicht erteilt werden könne. Vielmehr bedürfe es zusätzlich anderer dringender oder humanitärer Gründe bzw. erheblicher öffentlicher Interessen, die Grundlage einer solchen Duldung bzw. Beschäftigungserlaubnis seien. Solche seien indes weder vorgetragen noch ersichtlich. Ebenso wenig komme eine Ermessensduldung wegen erheblicher öffentlicher Interessen in Betracht. Solche erheblichen öffentlichen Interessen seien etwa dann regelmäßig anzunehmen, wenn der betroffene Ausländer Beteiligter eines gerichtlichen Verfahrens sei oder in einem Ermittlungsverfahren benötigt werde. Solche erheblichen öffentlichen Interessen seien weder vorgetragen noch auch nur ansatzweise ersichtlich. Insbesondere möge das von der Antragstellerpartei geltend gemachte grundsätzlich politisch motivierte öffentliche Interesse für den Bereich der Pflege zwar zutreffend sein, habe jedoch seine Berücksichtigung bereits in der Regelung des § 60c AufenthG erfahren. Ziel der Regelung sei es, vollziehbar ausreisepflichtigen Personen im Ermessenswege einen vorübergehenden Aufenthalt zu ermöglichen, wenn der vorübergehende Aufenthalt zwar aus dringenden humanitären oder persönlichen Gründen oder erheblichen öffentlichen Interessen erforderlich sei, sich der Aufenthaltszweck jedoch nicht zu einem rechtlichen Abschiebungshindernis verdichtet habe und auch tatsächliche Abschiebungshindernisse nicht vorlägen. Ungeachtet der vorstehenden Ausführungen sei vorliegend jedoch schon die Tatbestandsvoraussetzung des vorübergehenden Aufenthalts nach dem eindeutigen Wortlaut der Norm nicht gegeben. Mit seinem Antrag strebe der Antragsteller vielmehr einen nicht nur vorübergehenden Aufenthalt an. Darüber hinaus setze eine Beschäftigungserlaubnis gemäß § 32 BeschV eine Duldung voraus. Durch die Vorlage des Reisepasses seien keine Duldungsgründe mehr ersichtlich, da der Abschiebung des Antragstellers keine tatsächlichen Hindernisse mehr entgegenstünden. Vorliegend seien außer der beantragten Ausbildung keine weiteren dringenden humanitären oder persönlichen Gründe erkennbar sowie keine erheblichen öffentlichen Interessen tangiert, so dass eine Erteilung auch auf Grundlage des § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG ausscheide. Ein anderer Duldungsgrund, der zur Aufnahme der begehrten Beschäftigung berechtige, sei nicht ersichtlich. Gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG sei die Abschiebung des Ausländers auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich sei. Durch die Vorlage des Reisepasses sei der zuvor bestehende Duldungsgrund und das daraus resultierende tatsächliche Abschiebungshindernis der fehlenden Reisedokumente entfallen. Die beantragte Beschäftigungserlaubnis wäre zudem im Ermessenswege abzulehnen. Der Erteilung stehe insbesondere die Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet entgegen, der als negativer Ermessensaspekt für sich gesehen eine ablehnende Ermessensentscheidung aus migrationspolitischen Gründen tragen könne. Die Versagung der Beschäftigungserlaubnis solle deutlich machen, dass mit dem Stellen aussichtsloser Asylanträge nicht das Ziel einer Beschäftigung in Deutschland verfolgt werden könne. Schließlich bestehe kein Anspruch auf Untersagung von Schritten zur Abschiebung des Antragstellers bzw. Abschiebungsvorbereitung. Das Begehren des Antragstellers richte sich nach den §§ 122, 88 VwGO analog. Der Antragsteller mache in der Antragsschrift geltend, dass es keine konkreten Maßnahmen zur Abschiebung des Antragstellers gegeben habe und gebe, woraus er einen Duldungsanspruch für den praktischen Teil seiner Ausbildung herleite, der ihm Schutz vor einer Abschiebung gewähre. Der Antragsteller verkenne, dass die im Oktober 2021 erfolgte Sammelanhörung zur Ausstellung von Passersatzpapieren schon eine hinreichend konkrete Maßnahme zur Aufenthaltsbeendigung gewesen sei. Insbesondere sei das PEP-Verfahren (Passersatzpapierverfahren) erforderlich, wenn der ausreisepflichtige Ausländer über keine identitätsklärenden Dokumente verfüge. Aufgrund der Tatsache, dass die deutschen Behörden auf die Mitwirkung der Behörden des Heimatlandes angewiesen seien und keine Möglichkeit zur Verfahrensbeschleunigung hätten, nehme das PEP-Verfahren mehr Zeit in Anspruch. Durch die Vorlage des Reisepasses sei das PEP-Verfahren entbehrlich geworden. Dies führe allerdings nicht zu einem Abstandnehmen von der Abschiebung, da dieser nunmehr keine tatsächlichen Hindernisse mehr im Wege stünden. Eine Auslegung des Antrags dahingehend, dass darin ein Antrag auf Duldungserteilung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG zu sehen wäre, sei unter den Umständen des Einzelfalls abzulehnen. Der Antragsteller führe aus, dass ihm die erforderliche Duldung für die praktische Ausbildung zu erteilen sei. Die begehrte Ausbildungsduldung solle ihn vor einer drohenden Abschiebung schützen. Eine andere Auslegung erscheine unter den gegebenen Umständen unwahrscheinlich, da eine Duldungserteilung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG nicht vor der Einleitung aufenthaltsbeendender Maßnahmen schütze. Selbst wenn der Antrag dergestalt auszulegen wäre, dass darin die Erteilung einer Duldung zu sehen sei, wäre der Antragsteller trotz Ausstellung einer Duldung zur Einleitung aufenthaltsbeendigender Maßnahmen berechtigt. Vielmehr sei die Einleitung aufenthaltsbeendigender Maßnahmen gerade auf Duldungsinhaber mit einer Duldung nach § 60a AufenthG gerichtet. Dem Begehren entspreche auch nicht die Erteilung einer Duldung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG, da die gewünschte Ausbildung systematisch und teleologisch nur Gegenstand des § 60c AufenthG sein könne.
16
Zur Ergänzung der Sachverhaltswiedergabe wird auf den weiteren Inhalt der Gerichtsakten in Eil- und Hauptsache, insbesondere den weiteren Inhalt der gewechselten Schriftsätze, sowie der vorgelegten Behördenakte Bezug genommen.
II.
17
Der Eilantrag hat im Wesentlichen keinen Erfolg.
18
Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Ferner ist eine einstweilige Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Hierbei sind gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 der Zivilprozessordnung (ZPO) das Bestehen eines zu sichernden Rechts (Anordnungsanspruch) und die besondere Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) glaubhaft zu machen.
19
1. Die gestellten Anträge bedürfen mit Blick auf die trotz Vertretung durch einen Rechtsanwalt bestehende, vom Antragsgegner zu Recht angesprochene unklare Zielrichtung der formulierten Anträge der Auslegung gemäß §§ 88, 122 Abs. 1 VwGO. Nach dem materiell vorgetragenen Ziel der Antragstellerseite geht das Gericht daher von folgenden Sachanträgen aus:
- Hauptantrag: Vorläufige Erteilung einer Ausbildungsduldung für die (praktische) Ausbildung zum Heilerziehungspflegehelfer
- Hilfsantrag 1: Vorläufige Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 3 oder Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) mit Beschäftigungserlaubnis nach § 32 der Beschäftigungsverordnung (BeschV) zur Aufnahme der o.g. (praktischen) Ausbildung
- Hilfsantrag 2: Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG (nicht beschäftigungsbezogen)
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Dieses Verständnis des Vorbringens in seiner Gesamtheit trägt dem wohlverstandenen Interesse des Antragstellers Rechnung. Insbesondere besteht mit Blick auf den Umstand, dass dieser derzeit gar keine Duldung besitzt und sich der Antragsgegner ausweislich seiner Erwiderung zu einer Ausstellung von Amts wegen nicht veranlasst sieht, sowohl ein legitimes Interesse als auch ein Rechtsschutzbedürfnis für den Hilfsantrag 2, selbst wenn er nach Auffassung der Kammer „nur“ in eine Organisationsduldung mündet (s. unten 3.).
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2. Dies zugrunde legend, haben weder Hauptantrag noch Hilfsantrag 1 Erfolg.
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2.1 Offen bleibt, ob der vollziehbar ausreisepflichtige Antragsteller allein mit seinem Verweis auf den im aktuellen Zeitraum zu verortenden Beginn der Ausbildung zum Heilerziehungspflegehelfer bereits einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht hat. Sehr viel mehr mag dafür sprechen, dass die mit dem gestellten Eilantrag verbundene Vorwegnahme der Hauptsache nicht statthaft ist. Eine Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz des Antragstellers, der Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bezieht, stünde bei vorläufigem Nichtantritt der gewünschten Ausbildung nicht im Raum. Was die Verfügbarkeit des konkreten Ausbildungsplatzes angeht, fehlte es gerade angesichts der allgemeinen Situation auf dem Arbeitsmarkt für Pflegekräfte an einem vom Antragsteller zur Glaubhaftmachung von sich aus vorzulegenden Nachweis, dass die Ausbildungsstelle ihr Ausbildungsangebot gegenüber dem Antragsteller zurückziehen und auch zu einem späteren Zeitpunkt nicht erneuern wird, wenn er die Ausbildung nicht wie vorgesehen aufnimmt.
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2.2 Unabhängig von diesen Erwägungen ist ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht.
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2.2.1 Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Ausbildungsduldung nach § 60c AufenthG mit entsprechender Beschäftigungserlaubnis glaubhaft gemacht.
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Zum von Gesetzes wegen maßgeblichen Zeitpunkt des Eingangs des Antrags auf Erteilung einer Ausbildungsduldung bei der Ausländerbehörde am 26. Juli 2022 (Zeitpunkt der Antragstellung im Sinne von § 60c Abs. 2 Nr. 5 AufenthG) lag jedenfalls der Ausschlussgrund des § 60c Abs. 2 Nr. 5 Buchst. d AufenthG vor. Dies ergibt sich mindestens aus dem vor Antragstellung vereinbarten – und am 19. Oktober 2021 durchgeführten – Termin zur Vorstellung bei der Botschaft des Herkunftsstaates zur Vorbereitung der Rückführung (vgl. BT-Drs. 19/8286, S. 15: „Dagegen ist beispielsweise als vergleichbar konkrete Maßnahme zu bewerten, wenn vor Antragstellung ein Termin zur Vorstellung bei der Botschaft des Herkunftsstaates des Ausländers zur Vorbereitung der Rückführung vereinbart wurde, auch wenn der Termin selbst erst in einem angemessenen Zeitraum nach Antragstellung angesetzt ist.“).
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Diese Vorbereitungsmaßnahme stand zur Zeit der Antragstellung auch in einem hinreichend sachlichen und zeitlichen Zusammenhang zur Aufenthaltsbeendigung. Die nach positivem Abschluss des am 19. Oktober 2021 von Amts wegen durchgeführten Identifikationsverfahrens mögliche Ausstellung von Heimreisepapieren (vgl. Passersatzbeschaffung des Bundes vom 12.11.2021, Bl. 1730 d.A.) lässt die konkrete Durchführung der Aufenthaltsbeendigung zu. Es ist insoweit ausreichend, dass die Abschiebung in absehbarer Zeit grundsätzlich möglich ist; auf einen konkret bestimmbaren Zeitpunkt der Abschiebung kommt es – wie schon die Beispiele in § 60c Abs. 2 Nr. 5 Buchst. a bis e AufenthG verdeutlichen – nicht entscheidend an (vgl. BayVGH, B.v. 21.4.2021 – 19 C 21.278 – juris Rn. 19). Die Abschiebung ist nicht im Sinne des Gesetzeszwecks unabsehbar (vgl. BayVGH, B.v. 17.2.2022 – 10 C 22.273 – juris Rn. 21 unter Verweis auf BT-Drs. 18/9090, S. 25), zumal der seit 19. Oktober 2021 bis zur Antragstellung am 26. Juli 2022 verstrichene Zeitraum keine für die Organisation einer Abschiebung ungewöhnlich lange Dauer darstellt. Für das Gericht ist dabei ohne weiteres nachvollziehbar, dass die Bearbeitung bei der zuständigen Auslandsvertretung seitens der Ausländerbehörde bzw. des Landesamtes für Asyl und Rückführungen nicht beeinflussbar ist.
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Der hinreichende sachliche und zeitliche Zusammenhang der Botschaftsvorführung zur Aufenthaltsbeendigung entfällt auch nicht wegen der am 26. Juli 2022 erfolgten Vorlage eines gültigen Reisepasses im Original bei der Ausländerbehörde. Diese hat nicht etwa zu einem Abstandnehmen von einer Abschiebung geführt, sondern allein dazu, dass für die Durchführung der Abschiebung nunmehr wegen des vorgelegten Nationalpasses kein Passersatzpapier mehr benötigt wird (vgl. zum Themenkreis „Passersatzpapierverfahren“ ausführlich BayVGH, B.v. 21.4.2021 – 19 C 21.278 – juris, insbes. Rn. 9, 14 -17, 20-22).
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2.2.2 Aus den vorgenannten Gründen scheidet die Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis zu einer Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG bzw. einer Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG gleichermaßen aus. Für erstere Konstellation sind bei der gegebenen Sachlage keine greifbaren Anhaltspunkte geschildert oder ersichtlich, gleichwohl die Ausbildung zu ermöglichen, welche im Rahmen des § 32 BeschV auch noch zu einer Ermessensreduktion auf null veranlassten. Entsprechendes gilt mit Blick auf die Sonderregelung der Ausbildungsduldung in § 60c AufenthG für die zweite Betrachtungsweise. Andere dringende humanitäre oder persönliche Gründe außer dem Wunsch nach Ausbildung und dem Hinweis auf die Arbeitsmarktlage im Pflegebereich sind nicht vorgetragen oder sonst erkennbar. Insbesondere ist darauf hinzuweisen, dass der Gesetzgeber im Wissen um die Situation im Pflegebereich gleichwohl keine über § 60c AufenthG hinausgehenden weiteren aufenthaltsrechtlichen Erleichterungen geschaffen hat. Dieser gesetzgeberische Wille, einen ausbildungsbezogenen „Spurwechsel“ nur im spezialgesetzlich geregelten Umfang zuzulassen, kann daher ohne besondere Anhaltspunkte nicht mittels Verweises auf allgemeine Duldungsnormen umgangen werden.
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3. Hilfsantrag 3 hat nur in Gestalt einer sog. „Organisationsduldung“ Erfolg.
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Der Antragsteller, für den in seiner Person oder im Zielstaat (Aufnahmebereitschaft) begründet liegende materielle Duldungsgründe nicht ersichtlich sind, hat bei der gegebenen Sachlage – Abschiebungstermin nicht absehbar – Anspruch auf Erteilung einer Duldung für den Zeitraum, bis dem Antragsgegner seitens des Landesamtes für Asyl und Rückführungen ein Termin zur Abschiebung des Antragstellers mitgeteilt wird, folglich ein Schubtermin konkret feststeht. Denn anderenfalls würde der Antragsteller für einen nicht absehbaren und weder von ihm noch von der Ausländerbehörde beinflussbaren Zeitraum in einem ausländerrechtlichen Schwebezustand gehalten, der vom Gesetzgeber im Gefüge des Aufenthalts- bzw. Duldungsregimes so nicht vorgesehen ist. Daher ist eine Duldung nach § 60a Abs. 2 AufenthG auch dann zu erteilen‚ wenn die Abschiebung zwar grundsätzlich möglich ist‚ aber nicht ohne (größere) Verzögerung durchgesetzt werden kann‚ insbesondere der Abschiebetermin noch nicht feststeht (vgl. BVerwG, U.v. 25.9.1997 – 1 C 3/97 – juris Rn. 23; U.v. 25.3.2014 – 5 C 13/13 – juris Rn. 20 a.E.; BayVGH, B.v. 4.1.2016 – 10 C 15.2105 – juris Rn. 22; VG Gelsenkirchen, B.v. 2.2.2021 – 8 L 1332/20 – juris Rn. 8; BeckOK AuslR/Kluth/Breidenbach, 34. Ed. 1.7.2022, AufenthG § 60a Rn. 9; BeckOK MigR/Röder, 12. Ed. 15.7.2022, AufenthG § 60a Rn. 24). Die bloße Stellung eines Schubantrags beim Landesamt für Asyl und Rückführungen reicht insofern nicht aus, da mit diesem ein Abschiebungstermin gerade nicht feststeht, dies vielmehr gerichtsbekannt von vielen weiteren Faktoren abhängt. Unter weiterer Berücksichtigung der bei Duldungslosigkeit etwaig eintretenden Folge strafbaren Verhaltens des Antragstellers (unerlaubter Aufenthalt) ist der Antragsgegner verpflichtet, dem öffentlichen Interesse an einer zeitnahen Durchsetzung der vollziehbaren Ausreisepflicht in verhältnismäßiger Weise durch Nebenbestimmungen zur Duldung wie etwa eine kurze Befristung oder Aufnahme einer auflösenden Bedingung (s. näher hierzu ausführlich BayVGH, B.v. 18.2.2015 – 10 C 14.1117 – juris) Rechnung zu tragen. Ein schlichtes Nichtverlängern oder „Erlöschenstempeln“ von Duldungen ohne gleichzeitige Vergewisserung darüber, dass ein Vollzug der Ausreiseverpflichtung tatsächlich absehbar und zeitnah erfolgen kann, ist demgegenüber unverhältnismäßig.
Kosten: § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO (Obsiegen insgesamt zu 5% bei Teilobsiegen zu ¼ im Hilfsantrag 2).
Streitwert: §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 und 2 sowie 39 Abs. 1 GKG unter Berücksichtigung von Ziffer 1.5 des Streitwertkataloges 2013 bei drei Streitgegenständen (Ausbildungsduldung: € 5.000.-, Duldung mit Beschäftigungserlaubnis: € 5.000.-, Duldung allgemein: € 2.500.-).
III.
31
Nach den vorstehenden Ausführungen war der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Anwaltsbeiordnung nur mit Blick auf die Organisationsduldung erfolgreich und im Übrigen mangels hinreichender Erfolgsaussicht abzulehnen.