Inhalt

VG Bayreuth, Beschluss v. 15.11.2022 – B 6 K 22.841
Titel:

kein Fortsetzungsfeststellungsinteresse bei fehlender Wiederholungsgefahr

Normenketten:
VwGO § 166 Abs. 1 S. 1
ZPO § 114 Abs. 1 S. 1
AufenthG § 60a Abs. 2, § 60b
Leitsatz:
Das berechtigte Interesse für eine Fortsetzungsfeststellungsklage wegen Wiederholungsgefahr fehlt, wenn die Behörde mit ihrer Entscheidung, ob eine Duldung gem. § 60a AufenthG mit oder ohne Zusatz gem. § 60b AufenthG auszustellen ist, auf eine konkrete Mitwirkung des Ausländers wartet; erfolgt diese Mitwirkung, fehlt es bereits an einer Wiederholungsfahr, insofern liegt zudem eine Änderung der maßgeblichen rechtlichen und tatsächlichen Umstände vor. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Prozesskostenhilfe, Duldung, Fortsetzungsfeststellungsklage, Fortsetzungsfeststellungsinteresse (verneint), Wiederholungsgefahr, Rehabilitationsinteresse
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 19.01.2023 – 19 C 22.2486
Fundstelle:
BeckRS 2022, 41996

Tenor

Der Antrag auf Prozesskostenhilfe unter Rechtsanwaltsbeiordnung wird abgelehnt.

Gründe

I.
1
Die Klägerinnen sind nigerianische Staatsangehörige. Die Klägerin zu 1 reiste eigenen Angaben zufolge am 2. März 2018 in das Bundesgebiet ein und stellte am 13. April 2018 einen Asylantrag. Diesen lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden Bundesamt) mit Bescheid vom 3. Mai 2018 als unzulässig ab, verbunden mit der Feststellung, dass Abschiebungsverbote gem. § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen. Der hiergegen erhobene Eilantrag wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 17. Mai 2018 (Az.: B 4 S 18.50300) abgelehnt. Am 7. September 2018 wurde dieser Bescheid aufgehoben und das Klageverfahren am 20. September 2018 mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Bayreuth (Az.: B 4 K 18.50301) eingestellt. Nachdem eine Rücküberstellung nach Italien nicht innerhalb der Rücküberstellungsfrist durchgeführt worden war, erging eine Entscheidung im nationalen Verfahren und die Asylanträge der Klägerinnen wurden mit Bescheid des Bundesamtes vom 24. April 2019 als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Die gegen den abgelehnten Asylantrag der Klägerin zu 2 erhobene Klage wurde mit Urteil des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 28. Januar 2021 abgewiesen (Az.: B 4 K 19.30638). Mit Beschluss vom 25. März 2021 lehnte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof den Antrag auf Zulassung der Berufung ab (Az.: B 4 K 19.30638). Mit Bescheid vom 20. September 2021 lehnte das Bundesamt den Asylfolgeantrag der Klägerin zu 1 als unzulässig ab. Der hiergegen erhobene Eilantrag wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 15. Oktober 2021 (Az.: B 4 S 21.30729) abgelehnt. Die Klage wurde mit Urteil vom 5. Oktober 2022 (Az.: B 4 K 21.30730) abgewiesen.
2
Seit 18. Mai 2020 erhielt die Klägerin zu 1 Duldungen mit dem Zusatz „für Personen mit ungeklärter Identität“ gem. § 60b AufenthG (Bl. 324 d. Behördenakte der Klägerin zu 1).
3
Die Klägerin zu 1 wurde mehrfach (mit Schreiben vom 31. Juli 2019, Bl. 278 d. Behördenakte der Klägerin zu 1; vom 23. Januar 2020, Bl. 302 d. Behördenakte der Klägerin zu 1; vom 29. Mai 2020, Bl. 314 d. Behördenakte der Klägerin zu 1, vom 21. Oktober 2020, Bl. 401 d. Behördenakte der Klägerin zu 1; vom 9. Juli 2021, Bl. 617 d. Behördenakte der Klägerin zu 1; vom 12. Oktober 2021, Bl. 710 d. Behördenakte der Klägerin zu 1; vom 19. Oktober 2021, Bl. 742 d. Behördenakte der Klägerin zu 1; vom 19. Januar 2022, Bl. 822 d. Behördenakte der Klägerin zu 1) aufgefordert, beim Generalkonsulat der Bundesrepublik Nigeria in Frankfurt am Main vorzusprechen und die Ausstellung eines Reisepasses zu beantragen.
4
Am 25. März 2021 legte die Klägerin zu 1 ihre Geburtsurkunde bei der Zentralen Ausländerbehörde vor. Am 24. März 2022 sprach die Klägerin zu 1 bei der nigerianischen Botschaft vor. Diese verlangte vor Aushändigung des Reisepasses die Vorlage eines Herkunftsnachweises (Bl. 935 d. Behördenakte der Klägerin zu 1).
5
Mit Schreiben vom 10. Mai 2022 (Bl. 955 d. Behördenakte der Klägerin zu 1) erkundigte sich die Zentrale Ausländerbehörde beim Klägerbevollmächtigten, ob sich die Klägerin zu 1 bereits um eine Abstammungsurkunde bemüht habe.
6
Mit Schreiben vom 30. Mai 2022 (Bl. 957 d. Behördenakte der Klägerin zu 1) gab der Klägerbevollmächtigte an, die Klägerin zu 1 sei an ihren in Nigeria lebenden Bruder herangetreten, damit dieser die Abstammungsurkunde beschaffe. Er werde sich unverzüglich melden, sobald ihm weitere Informationen vorlägen.
7
Mit Schriftsatz vom 5. September 2022 ließen die Klägerinnen im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Erteilung einer Duldung bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren sowie Prozesskostenhilfe beantragen. Als Reaktion auf die Vorlage der Abstammungsurkunde der Klägerin zu 1 am 7. September 2022 hin (Bl. 1034 ff. d. Behördenakte der Klägerin zu 1) erteilte die Zentrale Ausländerbehörde den Klägerinnen am 14. September 2022 rückwirkend mit einer Gültigkeit vom 13. April 2022 bis 7. Dezember 2022 Duldungen gem. § 60a AufenthG (Bl. 1045 f. d. Behördenakte der Klägerin zu 1). Daraufhin wurde das Eilverfahren eingestellt und der in diesem Verfahren gestellte Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt (Az.: B 6 E 22.840). Auf die Gründe des Beschlusses wird Bezug genommen. Am 5. September 2022 ließen die Klägerinnen zusätzlich Klage erheben und beantragen zuletzt,
den Beklagten zu verpflichten, den Klägern eine Duldung gem. § 60a Abs. 2 AufenthG zu erteilen, Prozesskostenhilfe unter Rechtsanwaltsbeiordnung zu bewilligen
sowie
hilfsweise festzustellen, dass das Verhalten des Beklagten durch die Nichtausstellungen der Duldungen zum Zeitpunkt der Klageerhebung rechtswidrig war und die Klägerinnen in ihren Rechten verletzte.
8
Zur Begründung wird im Wesentlichen mit Schriftsatz vom 5. September 2022 bzw. 12. September 2022 vorgetragen: Die Duldungsbescheinigungen der Klägerinnen seien bis zum 12. April 2022 gültig gewesen. Trotz mehrfacher Nachfrage seien keine neuen Duldungsbescheinigungen ausgestellt worden. Unter Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bestehe ein Anspruch auf Erteilung einer Duldung gem. § 60a Abs. 2 AufenthG, weil die Klägerinnen entweder unverzüglich abzuschieben oder zu dulden seien. Die Abschiebung der Klägerinnen könne nicht durchgeführt werden, weil hinsichtlich einer weiteren Tochter der Klägerin zu 1 noch ein Asylverfahren anhängig sei, was dem Beklagten auch bekannt sei. Aufgrund der Tatsache, dass die Ausländerbehörde den Klägerinnen im Zeitraum vom 13. April 2022 bis 13. September 2022 keine Duldungen ausgestellt hat, sei zu befürchten, dass bei Ablauf der Duldungen entgegen der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht zeitnah Duldungen ausgestellt würden. Hieraus ergebe sich eine Wiederholungsgefahr. Zudem bestehe ein Rehabilitationsinteresse, weil die Klägerinnen nicht nachweisen könnten, dass sie im Zeitraum vom 13. April 2022 bis 13. September 2022 geduldet gewesen seien. Diese Zeiträume könnten etwa für die Erteilung eines Aufenthaltstitels relevant sein.
9
Mit Schriftsatz vom 26. Oktober 2022 beantragt der Beklagte, vertreten durch die Regierung von … – Prozessvertretung –,
die auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage umgestellte Klage abzuweisen.
10
Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt: Es liege bereits kein Fortsetzungsfeststellungsinteresse vor. Die Wiederholungsgefahr bestehe nicht, weil die Rückstellung der Verfügung und Ausstellung der Duldungsbescheinigung erfolgt sei, weil die Ausländerbehörde abgewartet habe, ob die Klägerin zu 1 ihre Abstammungsurkunde vorlegen werde. Hiervon sei abhängig gewesen, ob die erneute Duldung mit oder ohne Zusatz gem. § 60b AufenthG zu versehen sei. Nachdem die Klägerin zu 1 ihre Mitwirkungspflicht zur Beseitigung ihrer Passlosigkeit nach Beschaffung und Übermittlung der Abstammungsurkunde an die Botschaft erfüllt habe, seien die Duldungen ohne den Zusatz gem. § 60b AufenthG erteilt worden, sodass sich dieser Vorgang nicht wiederholen könne und würde. Zudem ergebe sich auch unter dem Gesichtspunkt des Rehabilitationsinteresses kein Fortsetzungsfeststellungsinteresse, weil die rückwirkende Duldungserteilung ohne den Zusatz gem. § 60b AufenthG keinerlei Nachteile habe.
11
Mit Schriftsatz vom 2. November 2022 führte der Klägerbevollmächtigte aus, die Wiederholungsgefahr sei offenkundig, weil die Ausländerbehörde immer wieder die Verlängerung von Duldungen, nicht nur bei den Klägerinnen, nicht zeitgerecht erfülle und hinauszögere. Trotz der rückwirkend erteilten Duldung hätten sich die Klägerinnen im Zeitraum vom 13. April bis 13. September 2022 nicht ausweisen können.
12
Mit Schriftsatz vom 8. November 2022 legte der Beklagtenvertreter dar, an seiner Rechtsauffassung festzuhalten und verwies in der Sache auf das richterliche Hinweisschreiben vom 31. Oktober 2022.
13
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
14
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist abzulehnen, weil die Rechtsverfolgung keine hinreichende Erfolgsaussicht i.S.d. § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO hat. Die Klage wird sich sowohl im Haupt- als auch im Hilfsantrag aller Wahrscheinlichkeit nach als unzulässig erweisen.
15
Gemäß § 166 VwGO, §§ 114 ff. ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
16
Hinreichende Erfolgsaussicht für Rechtsverfolgung oder -verteidigung ist gegeben, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Antragstellers aufgrund seiner Sachdarstellung und der vorhandenen Unterlagen für zutreffend oder zumindest vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht mindestens von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist. Es muss also aufgrund summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass der Antragsteller mit seinem Begehren durchdringen wird. Maßgeblich für die Beurteilung der hinreichenden Erfolgsaussichten ist der Zeitpunkt der Bewilligungs- oder Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrages. Bewilligungsreif ist ein Prozesskostenhilfeantrag, wenn er mit einer Begründung versehen ist, gemäß § 166 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 117 Abs. 2 Satz 1 ZPO eine vollständig ausgefüllte Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorliegt und die Gegenseite binnen angemessener Frist Gelegenheit zur Stellungnahme hatte (BayVGH in st.Rspr.; vgl. z.B. BayVGH, B.v. 5.9.2019 – 10 C 19.1664 – juris Rn. 3).
17
1. Der Klageantrag auf Erteilung einer Duldung gem. § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist nach der im Prozesskostenhilfeverfahren gebotenen summarischen Prüfung mangels Rechtsschutzbedürfnisses bereits unzulässig. Denn die Zentrale Ausländerbehörde hat den Klägerinnen bereits am 14. September 2022 Duldungen gem. § 60a AufenthG mit einer Gültigkeit bis 7. Dezember 2022 erteilt (Bl. 1034 ff. d. Behördenakte der Klägerin zu 1). Für die Klage besteht deshalb bereits kein Rechtsschutzbedürfnis mehr (dazu auch VG München, U.v. 14.6.2007 – M 12 K 06.2030).
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2. Auch der Hilfsantrag ist nach der im Prozesskostenhilfeverfahren gebotenen summarischen Prüfung unzulässig, weil die besondere Zulässigkeitsvoraussetzung des Fortsetzungsfeststellungsinteresses nicht vorliegt.
19
a. Es liegt keine konkrete Wiederholungsgefahr vor.
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Das berechtigte Interesse für eine Fortsetzungsfeststellungsklage wegen Wiederholungsgefahr setzt zum einen die konkrete Gefahr voraus, dass künftig auf einen gleichartigen Antrag hin eine auf gleichartigen Erwägungen beruhende negative Entscheidung seitens der Behörde getroffen werden könnte (BVerwG, U.v. 25.8.1933 – 6 C 7/93 – NVwZ-RR 1994, 234). Zum anderen müssen die für die Beurteilung maßgeblichen rechtlichen und tatsächlichen Umstände im Wesentlichen unverändert geblieben sein (Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 113 Rn. 112 u. 133 m.w.N.).
21
Zwar sind den Klägerinnen über einen Zeitraum von ca. fünf Monaten keine Duldungsbescheinigungen ausgestellt worden. Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass sich dieser Sachverhalt konkret wiederholen wird. Denn die Rückstellung der Verfügung und der Ausstellung der Duldungsbescheinigung erfolgte allein aus dem Grund, dass die Ausländerbehörde auf die Vorlage der Abstammungsurkunde der Klägerin zu 1 gewartet hat, um zu entscheiden, ob eine Duldung gem. § 60a AufenthG mit oder ohne Zusatz gem. § 60b AufenthG auszustellen ist. Dies hat die Ausländerbehörde dem Klägerbevollmächtigten auch mitgeteilt (Bl. 955 d. Behördenakte der Klägerin zu 1). Da die Abstammungsurkunde am 7. September 2022 vorgelegt wurde (Bl. 1034 ff. d. Behördenakte der Klägerin zu 1), wird sich die Situation, dass die Behörde entscheiden muss, ob sie eine Duldung mit oder ohne Zusatz nach § 60b AufenthG erteilt, nicht wiederholen. Insofern haben sich auch die maßgeblichen rechtlichen und tatsächlichen Umstände verändert.
22
Für das Bejahen der konkreten Wiederholungsgefahr kommt es im Übrigen einzig auf den konkreten Einzelfall an; sie lässt sich nicht damit begründen, dass die Ausländerbehörde „immer wieder die Verlängerung von Duldungen, nicht nur bei den Klägerinnen nicht zeitgerecht erfüllt und hinauszögert“, wie der Klägerbevollmächtigte vorträgt.
23
b. Darüber hinaus ist auch kein Rehabilitationsinteresse der Klägerinnen erkennbar.
24
Ein Rehabilitationsinteresse ist grundsätzlich zu bejahen, wenn der Verwaltungsakt, seine Begründung bzw. die Ablehnung seines Erlasses oder sein Vollzug bei objektiver und vernünftiger Betrachtungsweise diskriminierende Wirkung hatten, welche noch andauert, und dieser durch eine gerichtliche Feststellung der Rechtswidrigkeit wirksam begegnet werden kann (Riese in Schoch/Schneider, VwGO, Stand Februar 2022, § 123 Rn. 137).
25
Ungeachtet der Tatsache, dass der Klägerbevollmächtigte nicht vorträgt, inwiefern die Nichtausstellung einer Duldung die Klägerinnen stigmatisiert (hat) und diese Stigmatisierung Öffentlichkeitsbezug aufweist, sind die Klägerinnen derzeit im Besitz von Duldungen gem. § 60a AufenthG mit einer Gültigkeit von 13. April 2022 bis 7. Dezember 2022. Damit liegt bereits keine andauernde diskriminierende Wirkung vor.