Inhalt

VG Regensburg, Beschluss v. 25.02.2022 – RN 9 K 20.1910
Titel:

Aufrechnung mit Amtshaftungsanspruch gegen Rückforderung von BAföG-Leistungen

Normenketten:
BAföG § 15, § 53
SGB X § 28, § 50, § 103 Abs. 1, § 104, § 105 Abs. 1, § 107
BGB § 254, § 839
GG Art. 34
ZPO § 114
VwGO § 94
Leitsatz:
Auch in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren kann grundsätzlich mit einer Forderung nach § 839 BGB iVm Art. 34 GG als rechtswegfremder Gegenforderung aufgerechnet werden, wenn diese rechtskräftig oder bestandskräftig festgestellt wurde oder unbestritten ist; ist dies nicht der Fall, kann es - statt dem Erlass eines Vorbehaltsurteils - sachgerecht sein, dem Kläger eine Frist von drei Monaten zur Klageerhebung vor dem zuständigen Zivilgericht zu setzen und das gegenständliche Verfahren bis zu diesem Zeitpunkt auszusetzen. (Rn. 20 und 28 – 29) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
BAföG, Rückforderung, Amtshaftung, Aufrechnung, Jobcenter, Herstellungsanspruch, Sperrwirkung, Verwirkung
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 09.01.2023 – 12 C 22.767
Fundstelle:
BeckRS 2022, 41992

Tenor

Der Klägerin wird zu 60% der Verfahrenskosten Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt, soweit sie eine Aufrechnung mit einem Amtshaftungsanspruch nach § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG geltend macht. Ihr wird insoweit Rechtsanwalt … mit der Maßgabe beigeordnet, dass keine höheren Kosten geltend gemacht werden können, als bei der Beiordnung eines im Gerichtsbezirk ansässigen Rechtsanwalts. Im Übrigen wird der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe nebst Anwaltsbeiordnung abgelehnt.

Gründe

I.
1
Die Klägerin wendet sich gegen eine Rückforderung ihr gewährter Förderungsleistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG).
2
Die am … geborene Klägerin nahm zum Wintersemester 2012/2013 ihr Bachelorstudium International Management an der Technischen Hochschule D … auf. Hierfür beantragte sie erstmals am 1. August 2012 Förderungsleistungen nach dem BAföG für den Bewilligungszeitraum 10/2012 bis 09/2013. Weitere Anträge mit entsprechender Bewilligung folgten am 31. Juli 2013 und 10. Juli 2014. Am 25. Juni 2015 stellte die Klägerin einen Weiterförderungsantrag, woraufhin ihr mit Bescheid des S. Niederbayern/Oberpfalz vom 16. Juli 2015 für den Bewilligungszeitraum 10/2015 bis 03/2016 Förderungsleistungen in Höhe von monatlich 670,00 EUR bewilligt wurden. Dieser Bescheid enthielt auf Blatt 2 den optisch hervorgehobenen Hinweis, dass ein Studienabschluss vor 03/2016 unverzüglich mitzuteilen wäre. Mit Schreiben vom 24. Juni 2016 forderte der Beklagte die Klägerin zur Feststellung des Zeitpunkts der Ausbildungsbeendigung zum Ausfüllen eines entsprechenden Formblatts auf; dieses konnte infolge eines Umzugs der Klägerin zunächst nicht zugestellt werden. Am 4. Juli 2016 teilte das Studienzentrum der TH D. dem Amt für Ausbildungsförderung telefonisch mit, dass die Klägerin am 14. Dezember 2015 ihre Bachelorarbeit abgegeben und damit die letzte Prüfungsleistung erbracht habe.
3
Mit Bescheid vom 6. Juli 2016 verkürzte das S. Niederbayern/Oberpfalz daraufhin den Bewilligungszeitraum von 10/2015 bis einschließlich 12/2015 und setzte eine Rückforderung für die Monate Januar bis März 2016 in Höhe von insgesamt 2.010,00 EUR (3 Monate x 670,00 EUR) fest.
4
Hiergegen legte die Klägerin am 27. Juli 2016 Widerspruch ein. Sie habe ihr Studium laut Immatrikulationsbescheinigung erst am 14. März 2016 beendet; das Datum der Abschlussprüfung sei der 11. März 2016 gewesen. Im Januar 2016 sei sie beim Jobcenter vorstellig gewesen und habe erst ab 04/2016 ALG II-Leistungen beziehen können, da sie den Bescheid mit der Förderungsbewilligung bis 03/2016 dort vorgelegt habe. Es werde gebeten, auf die Rückförderung zu verzichten. Auf den beigefügten Vermerk der Bundesagentur für Arbeit vom 13. Januar 2016 nebst handschriftlichem Vermerk der Klägerin sowie den Leistungsbescheid des Jobcenters N. vom 18. April 2016 wird verwiesen.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 10. August 2020, der Klägerin zugegangen am 12. August 2020, wies das S. Niederbayern/Oberpfalz den Widerspruch zurück. Bei Studiengängen werde Ausbildungsförderung grundsätzlich nur bis zum Ende der Förderungshöchstdauer nach §§ 15a, 15 Abs. 2 BAföG geleistet. Die Klägerin habe sich im Wintersemester 2015/16 im 7. Fachsemester befunden. Die Regelstudienzeit für den Studiengang International Management (Bachelor) an der TH D. sei auf sieben Semester festgelegt. Mit jedem Bescheid sei die Klägerin unter Punkt II. auf ihre Verpflichtung zur Abgabe von Änderungsanzeigen hingewiesen worden (§ 60 SGB I). Unter Punkt V. des Bescheids sei sie auch über die Förderungshöchstdauer informiert worden. Die Hochschulförderung ende förderungsrechtlich mit dem letzten Prüfungsteil, weshalb das Datum der Zeugniserteilung nicht maßgeblich sei. Die Mitteilung über den Abschluss ihres Bachelorstudiums habe die Klägerin jedoch unterlassen. Ebenso habe sie eine Änderung ihrer Postanschrift nicht mitgeteilt. Hierin liege eine Ordnungswidrigkeit nach § 58 BAföG. Am 24. Juni 2016 sei eine Anfrage über den Zeitpunkt der Ausbildungsbeendigung an die Klägerin versandt worden, die aufgrund der geänderten Postanschrift jedoch nicht habe zugestellt werden können. Die Mitteilung über den Studienabschluss sei daher von der TH D. erfolgt. Demnach sei die letzte erbrachte Prüfungsleistung durch Abgabe der Bachelorarbeit am 14. Dezember 2015 erfolgt; alle weiteren Prüfungen habe die Klägerin bereits zuvor abgelegt. Somit habe ihr Förderungsanspruch bereits 12/2015 geendet, eine Förderung ab 01/2016 sei ausgeschlossen gewesen. Durch die unterlassene Mitteilung des Studienabschlusses habe der Einstellungsbescheid erst am 6. Juli 2016 erstellt werden können. Bei rechtzeitiger Wahrnehmung ihrer Mitteilungsverpflichtung würde die Klägerin bereits im Januar 2016 den geänderten Bescheid beim Jobcenter vorgelegt haben können. Ein Verzicht auf die rechtmäßige Rückforderung sei nicht möglich.
6
Hiergegen ließ die Klägerin am 1. September 2020 Klage erheben und Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Bevollmächtigten stellen. Die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerin ging am 14. Dezember 2020 bei Gericht ein; weitere Unterlagen folgten am 27. Januar 2021. Dem Beklagten stehe für den Zeitraum von Januar 2016 bis März 2016 kein Erstattungsanspruch in Höhe von insgesamt 2.010,00 EUR zu. In der weiteren Klagebegründung (eingegangen bei Gericht am 13. November 2020) führte der Bevollmächtigte aus, dass der Beklagte gegen seine Beratungspflichten insbesondere im Hinblick auf die Regelung des § 28 SGB X verstoßen habe und daher der Klägerin ein sozialrechtlicher Herstellungs- bzw. Amtshaftungsanspruch gegenüber dem Beklagten zustehe, welcher der Geltendmachung der streitgegenständlichen Erstattungsforderung entgegenstehe. Dem Beklagten sei seit dem Widerspruch der Klägerin vom 27. Juli 2016 bekannt gewesen, dass diese im Januar 2016 Leistungen nach dem SGB II beantragt habe und vom Jobcenter die Leistungen für den Zeitraum von 01/2016 bis einschließlich 03/2016 infolge bewilligter Leistungen nach dem BAföG abgelehnt worden seien. Die Beklagte würde daher verpflichtet gewesen sein, nach Aufhebung und Erstattung der für den Zeitraum von 01/2016 bis einzig 03/2016 bewilligten Leistungen nach dem BAföG, die Klägerin über die Möglichkeit des § 28 SGB X und dessen Voraussetzungen zu informieren; dies sei jedoch pflichtwidrig unterlassen worden. Da über den Widerspruch der Klägerin erst vier Jahre später entschieden worden sei, sei ein Antrag gegenüber dem Jobcenter gemäß § 28 SGB X nicht mehr möglich. Bei rechtzeitiger Hinweiserteilung würde sich die Klägerin diesbezüglich selbstverständlich nochmals an das Jobcenter gewandt haben mit der Folge, dass ihr Leistungen nach dem SGB II für diesen Zeitraum würden gewährt worden sein. Zwar würde die Klägerin verpflichtet gewesen sein, dem Beklagten die streitgegenständliche Forderung zu erstatten; allerdings wäre eine Kompensation durch den Anspruch auf höhere Leistungen gegenüber dem Jobcenter gegeben gewesen. Durch das pflichtwidrige Unterlassen der Beratung sei der Klägerin ein Schaden entstanden, weshalb ihr diesbezüglich ein entsprechender Schadensersatzanspruch gegenüber dem Beklagten zustehe. Somit habe der Beklagte keinen Anspruch auf die geltend gemachte Erstattungsforderung. Ferner stehe der Klägerin gegenüber dem Beklagten ein Amtshaftungsanspruch in Höhe des geltend gemachten Erstattungsanspruchs gegenüber, mit dem hilfsweise aufgerechnet werde, sodass auch aus diesem Grund die Erstattungsforderung nicht durchsetzbar sei. Der Geltendmachung der streitgegenständlichen Erstattungsforderung stehe der Einwand der Pflicht zur alsbaldigen Rückgewähr und somit der Grundsatz von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB entgegen. Ferner sei der streitgegenständliche Erstattungsanspruch des Beklagten gemäß § 107 SGB X gesperrt, was aus § 103 SGB X folge. Nach Aufhebung der Leistungen nach dem BAföG für den Zeitraum von 01/2016 bis 03/2016 habe die Klägerin gegenüber dem Jobcenter einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II für diesen Zeitraum gehabt. Folglich habe dem Beklagten für diesen Zeitraum gegenüber dem Jobcenter ein Erstattungsanspruch gemäß § 103 SGB X zugestanden, mit der Folge, dass ein Erstattungsanspruch des Beklagten gegenüber der Klägerin gemäß § 107 SGB X gesperrt sei. Nach der einschlägigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts könne bzw. dürfe sich der erstattungsberechtigte Leistungsträger bei Bestehen eines Erstattungsanspruches zwischen Leistungsträgern gemäß §§ 102 ff SGB X wegen § 107 SGB X nicht an den Leistungsempfänger gemäß den Regelungen der §§ 45, 48, 50 SGB X halten. Die Erlassvoraussetzungen bezüglich der geltend gemachten Forderung seien erfüllt, da der Beklagte durch sein pflichtwidriges Verhalten den Leistungsanspruch der Klägerin gegenüber dem Jobcenter für den fraglichen Zeitraum vereitelt habe. Da die Beklagte über den Widerspruch der Klägerin erst nach vier Jahren entschieden habe und von seiner Seite keinerlei Schreiben an die Klägerin erfolgt seien, welche die Verzögerung erläutert hätten, habe die Klägerin davon ausgehen dürfen, dass von Seiten des Beklagten die streitgegenständliche Forderung nicht weiter geltend gemacht werde. Folglich seien die Voraussetzungen der Verwirkung gegeben. Die streitgegenständlichen Bescheide seien daher insoweit aufzuheben bzw. abzuändern.
7
Die Klägerin beantragt,
den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid des Beklagten vom 6. Juli 2016 (Zeitraum: 10/2015-03/2016) in Gestalt des Widerspruchsbescheids des Beklagten vom 10. August 2020 (Az. …) aufzuheben.
8
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
9
Zum Sachverhalt wurde ergänzend vorgetragen, dass das Wintersemester 2015/2016 laut Immatrikulationsbescheinigung das 7. Hochschulsemester der Klägerin gewesen sei. Das Amt für Ausbildungsförderung sei immer davon ausgegangen, dass dieses Semester auch das 7. Fachsemester gewesen sei. Es sei vermutet worden, dass die Einstufung in das 9. Semester im Wintersemester 2015/2016 ein Fehler der Hochschule gewesen sei. In der ersten vorgelegten Immatrikulationsbescheinigung für das Wintersemester 2012/2013 sei das Wintersemester das 1. Hochschulsemester und das 1. Fachsemester gewesen. In der Immatrikulationsbescheinigung für das Wintersemester 2013/2014 sei das Wintersemester das 3. Hochschulsemester gewesen, jedoch sei die Klägerin in das 5. Fachsemester eingestuft worden. Diese Einstufung habe sich in allen Immatrikulationsbescheinigungen fortgesetzt. Da es unrealistisch erschienen sei, dass ein Student mit drei Hochschulsemestern im 5. Fachsemester eingestuft werden könne, sei ein Fehler der Fachhochschule unterstellt und die Klägerin so behandelt worden, als ob Hochschulsemestereinstufung gleich Fachsemestereinstufung sei. Daher sei auf allen Bescheiden die Förderungshöchstdauer März 2016 angegeben worden, da der Studiengang International Management ein siebensemestriger Studiengang sei und der Klägerin zwar die Praxiszeiten, jedoch nicht die Lehrveranstaltungen erlassen worden seien. Auf allen Bescheiden sei auch das vom Beklagten angenommene Fachsemester angegeben worden. Mit Bewilligungsbescheid vom 16. Juli 2015 für die Zeit von 10/2015 bis 03/2016 sei die Klägerin zur unverzüglichen Mitteilung aufgefordert worden, sofern sie das Studium vor März 2016 abschließen werde. Mit Schreiben vom 24. Juni 2016 sei sie aufgefordert worden, den tatsächlichen Zeitpunkt des Ausbildungsendes mitzuteilen. Nachdem die Bachelorarbeit in der Zeit vom 15. September 2015 bis 14. Dezember 2015 zu erstellen gewesen sei, habe man davon ausgehen können, dass das Ausbildungsende vor März 2016 gelegen wäre. Nachdem dieses Schreiben nicht habe zugestellt werden können, sei die Hochschule um Amtshilfe gebeten worden und entsprechende Mitteilung am 4. Juli 2016 erfolgt. Die Klage sei in der Sache unbegründet. Ändere sich ein für die Leistung der Ausbildungsförderung maßgeblicher Umstand zu Ungunsten des Auszubildenden, werde gemäß § 53 Satz 1 Nr. 2 BAföG der Bescheid vom Beginn des Monats an, der auf den Eintritt der Änderung folge, geändert. Die Änderung sei vorliegend im Dezember 2015 mit dem Ende der Ausbildung eingetreten. Für den Abschluss einer Hochschulausbildung sei stets der Zeitpunkt des letzten Prüfungsteils maßgebend, vorliegend die Bachelorarbeit. Diese sei am 14. Dezember 2015 abgegeben worden und damit der Umstand der Änderung eingetreten. Mithin habe die Bewilligung mit Beginn Januar 2016 geändert und damit aufgehoben werden müssen. Zu Unrecht gezahlte Leistungen hätten gemäß § 50 SGB X zurückgefordert werden müssen. Ab Januar 2016 habe in jedem Fall kein Förderungsanspruch mehr bestanden. Die Förderungshöchstdauer im Studiengang International Management betrage sieben Semester. Die Klägerin habe das Studium im Wintersemester 2012/2013 aufgenommen und dem Beklagten durch Vorlage der Immatrikulationsbescheinigung mitgeteilt, dass sie in das 1. Fachsemester eingestuft worden sei. Nach Rücksprache mit der Hochschule am 17. September 2020 habe der Beklagte jedoch erfahren, dass die Klägerin schon zu Beginn des 1. Hochschulsemester in das 3. Fachsemester eingestuft worden sei. Eine geänderte Immatrikulationsbescheinigung habe die Klägerin nicht vorgelegt. Selbst nach Erhalt des Bescheides vom 30. August 2012, auf dem auf Seite 2 als derzeitiges Semester das 1. Semester ausgewiesen worden sei, habe die Klägerin nicht erklärt, dass das derzeitige Semester schon das 3. Fachsemester sei. Mit jedem Bescheid sei die Klägerin auf die Notwendigkeit einer unverzüglichen Mitteilung aller die Ausbildung betreffenden Änderungen hingewiesen worden. Die Änderung der Einstufung des Fachsemesters habe sie nicht mitgeteilt. Der Beklagte sei davon ausgegangen, dass es sich bei der Angabe der Fachsemester ab dem 3. Hochschulsemester um einen Systemfehler gehandelt habe. In der Regel komme eine Anerkennung von Hochschulleistungen und damit eine Hochstufung der Fachsemester nur infrage, wenn vorher weitere Hochschulausbildungen vorgelegen hätten, sprich die Hochschulsemester höher als die Fachsemester seien. Vorliegend habe die Hochschule jedoch keine weiteren Hochschulsemester als die an der TH D. absolvierten bescheinigt. Mithin habe der Beklagte auch davon ausgehen können, dass es sich um einen Systemfehler handle. Die Klägerin habe jedoch gewusst, dass dem nicht so gewesen sei, denn sie habe bewusst die Anerkennung von Studienleistungen bei der Hochschule beantragen haben müssen. Mithin sei die Klägerin im Wintersemester 2012/2013 im 3. und nicht im 1. Fachsemester gewesen. Daraus folge, dass sie auch für die Förderung ab dem Wintersemester 2013/2014 den Leistungsnachweis über vier Semester würde erbracht haben müssen, um weiter gefördert werden zu können. Es sei also fraglich, ob eine Förderung ab dem Wintersemester 2013/2014 überhaupt möglich gewesen sein würde. Daneben habe die Klägerin die Regelstudienzeit und damit die Förderungshöchstdauer auch schon im März 2015 erreicht, da das Wintersemester 2014/2015 ihr 7. Fachsemester gewesen sei. Dies habe die Klägerin auch gewusst. Sofern kein Grund für die Förderung über die Förderungshöchstdauer gemäß § 15 Abs. 3 BAföG für die Zeit ab April 2015 bestanden habe, würde ab diesem Zeitpunkt keine Förderung mehr möglich gewesen sein, und wenn dann höchstens als Studienabschlusshilfe gemäß § 15 Abs. 3a BAföG in der Form eines Bankdarlehens. Der Fehler in den Bescheiden würde der Klägerin auch habe auffallen können und müssen, da das jeweilige Semester angegeben gewesen, dieses jedoch vom tatsächlichen Semester abgewichen sei. Eine Prüfung der Leistungsrückforderung behalte sich der Beklagte daher vor. Auf die dem Schriftsatz beigefügte Übersicht zum Studienverlauf der Klägerin vom 17. September 2020 wird verwiesen.
10
Auf die Klagebegründung äußerte sich der Beklagte am 14. Juni 2021 ergänzend wie folgt: Der Erstattungsanspruch des Beklagten sei nicht gemäß § 107 SGB X gesperrt. Hiergegen spreche schon, dass die Aufhebung und Rückforderung mit Bescheid vom 6. Juli 2016 auf der Rechtsgrundlage des § 53 BAföG i.V.m. § 50 SGB X erfolgt sei, während sich die angeführten Grundsätze des Bundessozialgerichts auf Fälle einer Aufhebung und Rückforderung nach §§ 45, 50 SGB X bezögen. Eine Übertragung auf den hier streitgegenständlichen Fall komme nicht in Betracht, da eine Aufhebung infolge einer Änderung der entscheidungserheblichen Sachlage nach Bescheidserlass gemäß § 53 BAföG von einer Aufhebung eines von Anfang an rechtswidrigen Bescheids gemäß § 45 SGB X wesentlich verschieden sei. Einer Aufhebung nach § 53 BAföG stehe anders als bei § 45 SGB X kein Vertrauensschutz entgegen. Der geltend gemachten Sperrwirkung des § 107 SGB X stehe ferner entgegen, dass ein Erstattungsanspruch des Beklagten gegen das zuständige Jobcenter gemäß §§ 102 ff. SGB X nicht gegeben sei. Insoweit komme nur ein Erstattungsanspruch gemäß § 102 SGB X in Betracht, dessen Voraussetzungen jedoch nicht erfüllt seien, da der Beklagte an die Klägerin im maßgeblichen Zeitraum 01/2016 bis 03/2016 Leistungen nach dem BAföG zu Unrecht erbracht habe. Eine vorläufige Leistungsgewährung im Sinne von § 102 Abs. 1 SGB X liege nur dann vor, wenn der angegangene Leistungsträger zwar zunächst nach den jeweiligen Vorschriften des materiellen Sozialrechts dem Berechtigten gegenüber zur Leistung verpflichtet sei, dabei aber entweder in Kenntnis von der Zuständigkeit des anderen Leistungsträgers leiste oder sich noch erkennbar im Ungewissen darüber sei, welcher andere Leistungsträger zuständig sei. Der Wille des erstattungsbegehrenden Leistungsträgers, entweder für einen anderen oder im Hinblick auf die ungeklärte Zuständigkeit leisten zu wollen, müsse nach außen erkennbar sein. Zwar habe der Beklagte aufgrund des Bewilligungsbescheides vom 16. Juli 2015 auch für den Zeitraum 01/2016 bis 03/2016 Leistungen nach dem BAföG, also aufgrund gesetzlicher Vorschriften, erbracht. Auch sei die Bewilligung und Auszahlung der Leistungen vorläufig im Sinne des § 102 Abs. 1 SGB X erfolgt. Ein entsprechender Wille sei im maßgeblichen Bewilligungsbescheid deutlich in Erscheinung getreten. Im Rahmen der dieser Bewilligung zugrunde liegenden Antragstellung hätte die Klägerin gegenüber dem Beklagten am 7. Juli 2015 offengelegt, dass ihr ein Thema für eine Bachelorarbeit zugeteilt worden sei. Abgabetermin sei der 14. Dezember 2015 gewesen. Da eine Beendigung des Studiums während des Wintersemesters 2015/2016 absehbar gewesen sei, sei im Bewilligungsbescheid vom 16. Juli 2015 ein entsprechender Vermerk über eine unverzügliche Mitteilung aufgenommen worden. Hieraus gehe eindeutig die Absicht des Beklagten hervor, die der Klägerin für den Zeitraum 10/2015 bis 03/2016 bewilligten und ausgezahlten Leistungen mit Blick auf den absehbaren Studienabschluss nur vorläufig erbringen zu wollen. Im Zeitraum 01/2016 bis 03/2016 sei die Förderung nach dem BAföG jedoch zu Unrecht erfolgt, da deren Voraussetzungen bereits 12/2015 entfallen gewesen seien. Ein Erstattungsanspruch des Beklagten gegen das zuständige Jobcenter komme daher nicht in Betracht. Da die Ausbildung der Klägerin mit Abgabe der Bachelorarbeit geendet habe, seien die Förderungsvoraussetzungen bereits 12/2015 entfallen gewesen. Die Förderung im Zeitraum 01/2016 bis 03/2016 sei zu Unrecht erfolgt. Ein diesbezüglicher Eintritt der Erfüllungsfiktion gemäß § 107 Abs. 1 SGB X im Verhältnis des Beklagten zur Klägerin komme damit nicht in Betracht. Auch die §§ 102 ff. SGB X im Übrigen seien nicht eröffnet. Der Anspruch der Klägerin sei nicht im Sinne des § 103 SGB X nachträglich entfallen. Der Beklagte sei gegenüber dem zuständigen Jobcenter kein nachrangig verpflichteter Leistungsträger (§ 104 SGB X). Da die Voraussetzungen des § 102 SGB X vorlägen, scheitere ein Erstattungsanspruch gemäß § 105 SGB X. § 107 SGB X stehe der erfolgten Aufhebung und Rückforderung mithin nicht entgegen. Der Klägerin stehe gegen den Beklagten kein Amtshaftungsanspruch zu, weshalb die insoweit erhobene dolo-agit-Einrede bzw. die hilfsweise erklärte Aufrechnung ins Leere gingen. Klägerseits sei bereits kein Vortrag zu Tatsachen erfolgt, aus denen sich ein Anspruch nach SGB II für den Zeitraum 01/2016 bis 03/2016 erschließe. Ferner sei der nach klägerischem Vortrag zu ersetzende Schaden noch nicht hinreichend beziffert. Welcher Betrag der Klägerin im Zeitraum 04/2016 bis 09/2016 monatlich insgesamt zugeflossen sei, sei dem Bescheid des Jobcenters N. vom 18. April 2016 nicht zu entnehmen. Ob und gegebenenfalls welche Leistungen ihr im Zeitraum 01/2016 bis 03/2016 zugestanden haben würden, liege bislang zulasten der Klägerin im Dunkeln. Unabhängig hiervon scheitere der geltend gemachte Gegenanspruch bereits am Fehlen der Voraussetzungen des Amtshaftungsanspruchs. Eine haftungsbegründende Verletzung einer drittbezogenen Amtspflicht durch den Beklagten sei bereits nicht ersichtlich. Der geltend gemachten Beratungspflicht des Beklagten stehe schon entgegen, dass dieser zum Zeitpunkt des Bescheidserlasses über diese Vorgänge noch keine Kenntnis gehabt, sondern diese erst durch die Widerspruchsschrift der Klägerin vom 21. Juli 2016 erlangt habe. Zudem seien die Voraussetzungen des § 28 SGB X aus den mit klägerischem Schreiben vom 21. Juli 2016 vorgelegten Unterlagen klar nicht gegeben gewesen. Die Klägerin habe gerade nicht von der Stellung eines Antrags auf Leistungen nach dem SGB II abgesehen. Aufgrund dieses unstrittigen Umstandes (Antragstellung beim Jobcenter N. im Januar 2016) könne auch keine Rede davon sein, dass es die Klägerin im Sinne des § 28 Abs. 2 SGB X aus Unkenntnis über die Anspruchsvoraussetzungen unterlassen habe, den Antrag auf Leistungen nach SGB II rechtzeitig zu stellen. Frühestmöglich sei sie im Januar 2016 leistungsberechtigt gewesen und habe zu diesem Zeitpunkt einen entsprechenden Antrag gestellt. Dass ihr aufgrund Vorlage des Bewilligungsbescheids vom 16. Juli 2015 bei nachträglicher Betrachtung unrichtigerweise erst ab 04/2016 Leistungen vom Jobcenter gewährt worden seien, sei im Rahmen des § 28 SGB X unbeachtlich. Ferner stehe der Haftungsausschluss nach § 839 Abs. 3 BGB entgegen. Ausweislich ihres Widerspruchsschreibens vom 21. Juli 2016 sei die Klägerin im Januar 2016 beim Jobcenter D. vorstellig geworden und habe dort den Bewilligungsbescheid des Beklagten vom 16. Juli 2015 vorgelegt. Ausweislich eines Vermerks der Arbeitsagentur vom 13. Januar 2016 habe sich die Klägerin zuvor an diese gewandt und dort offengelegt, dass sie sich nach Abschluss ihres Studiums arbeitslos melden wollte. Von dort sei sie an das zuständige Jobcenter verwiesen worden. Ob die Klägerin diesen beiden Stellen gegenüber die Abgabe ihrer Bachelorarbeit am 14. Dezember 2015 offengelegt hätte, gehe aus der Aktenlage ebenso wenig hervor wie die Klärung der Frage, ob seitens dieser Stellen die genauen Umstände des Studienabschlusses abgefragt worden seien oder ob die Klägerin ihrerseits Nachfragen zu den Modalitäten des Bezugs von Sozialleistungen gestellt habe. Mit Bescheid des Jobcenters N. vom 18. April 2016 seien der Klägerin für den Zeitraum 04/2016 bis 09/2016 Leistungen nach dem SGB II gewährt worden. Erst im Rahmen des Widerspruchs der Klägerin seien dem Beklagten diese Umstände bekannt geworden. Aus einem dem Widerspruchsschreiben beigelegten handschriftlichen Vermerk der Klägerin gehe hervor, dass sie gewusst habe, dass sie in der Zeit 01/2016 bis 03/2016 keine Leistungen nach dem SGB II habe beziehen können, da eine Doppelförderung nicht möglich gewesen sei. Es sei weder vorgetragen worden noch aus der dem Gericht vorgelegten Akte ersichtlich, dass die Klägerin nach Erhalt des Bescheides vom 6. Juli 2016 irgendwelche Schritte unternommen habe, um unter Vorlage dieses Bescheids beim zuständigen Jobcenter Leistungen nach dem SGB II auch für den Zeitraum 01/2016 bis 03/2016 zu erwirken. Obgleich es der Klägerin ohne weiteres möglich und zumutbar gewesen sei, habe sie es wiederholt unterlassen, den nunmehr geltend gemachten Schaden durch geeignete Schritte abzuwenden. Insoweit sei ihr jedenfalls Fahrlässigkeit vorzuwerfen. Entgegen ihrer Pflicht gemäß § 60 Abs. 1 SGB X habe es die Klägerin unterlassen, den Beklagten zeitnah über ihren Ausbildungsabschluss in Kenntnis zu setzen. Andernfalls würde zeitnah ein Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid erlassen worden sein, unter dessen Vorlage sie Leistungen nach dem SGB II bereits ab 01/2016 erhalten haben würde. Auch sei sie wiederum gemäß § 60 Abs. 1 SGB X verpflichtet gewesen, bei ihrer Vorsprache beim Jobcenter D. im Januar 2016 die genauen Umstände ihres Studienabschlusses offenzulegen, um diesem Leistungsträger die Prüfung der Voraussetzungen für Leistungen nach dem SGB II zu ermöglichen. Die Erforderlichkeit entsprechender Auskünfte habe bei objektiver Betrachtung vom Standpunkt eines sorgfältigen Dritten auf der Hand gelegen und sei der Klägerin auch ohne weiteres möglich und zumutbar gewesen. Gleiches gelte für den Umstand, sich nach Erhalt des Aufhebungs- und Rückforderungsbescheids zum 6. Juli 2016 zeitnah an das zuständige Jobcenter zu wenden und dort eine Gewährung von Leistungen nach dem SGB II auch für 01/2016 bis 03/2016 zu erwirken. Ausweislich ihres handschriftlichen Vermerks sei ihr auch bekannt gewesen, dass Leistungen nach dem SGB II für diesen Zeitraum wegen des zeitgleichen Bezugs von Ausbildungsförderung unterblieben seien. Eine Aufhebung des insoweit unrichtigen Bescheids des Jobcenters nebst Neuverbescheidung sei ohne weiteres möglich gewesen. Im Übrigen trete jedenfalls die unterstellte Amtspflichtverletzung gegenüber anderen Verursachungsbeiträgen für den Eintritt des geltend gemachten Schadens bei der gebotenen Einzelfallabwägung vollständig zurück. Die Klägerin habe den geltend gemachten Schaden (Nichtgewährung von Leistungen nach dem SGB II im Zeitraum 01/2016-03/2016) vorwerfbar selbst verursacht. Demgegenüber falle ein schuldhafter Mitverursachungsbeitrag des Beklagten in Form der geltend gemachten Versäumung eines Hinweises, sich an das Jobcenter N. zu wenden, nicht ins Gewicht. Selbst bei Annahme einer solchen Verletzung einer Hinweispflicht lasse dies unberührt, dass die Klägerin gleichwohl gehalten gewesen sei, jedenfalls nach Zugang des Aufhebungs- und Rücknahmebescheids vom 6. Juli 2016 mit dem Jobcenter in Verbindung zu treten, um Leistungen nach dem SGB II auch für den vorgenannten Zeitraum zu erwirken. Demnach sei überdies der haftungsausfüllende Kausalzusammenhang zwischen dem mutmaßlich schädigenden Verhalten des Beklagten und dem Eintritt des geltend gemachten Schadens durchbrochen. Ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch scheide mangels Voraussetzungen aus. Der Beklagte sei weder nach Erlass des Bescheids vom 6. Juli 2016 noch nach Zugang des klägerischen Widerspruchsschreibens vom 21. Juli 2016 der Klägerin gegenüber zur Auskunft oder Beratung verpflichtet gewesen. Selbst bei Annahme eines pflichtwidrigen Unterlassens des Beklagten sei der Pflichtwidrigkeitszusammenhang durch ein grobes Mitverschulden der Klägerin unterbrochen worden. In Anwendung der Grundsätze des Bundessozialgerichts sei der Klägerin grob fahrlässiges Mitverschulden vorzuwerfen. Bei Erlass des Bescheids vom 6. Juli 2016 sei eine gegebenenfalls pflichtwidrig unterlassene Beratung bzw. Auskunftserteilung schlicht deshalb unterblieben, weil die Klägerin den Bezug von Leistungen nach dem SGB X zu diesem Zeitpunkt nicht mitgeteilt habe. Insoweit sei ihr auch grobe Fahrlässigkeit zur Last zu legen. Auch für die Zeit nach Offenlegung des Bezugs mit Widerspruchsschreibens vom 21. Juli 2016 sei der Klägerin grobes Mitverschulden vorzuwerfen. Ihre Obliegenheit, gezielt zu der Frage um Auskunft zu ersuchen, ob und gegebenenfalls von welchem Träger ihr nach Aufhebung und Rückforderung der Leistungen nach dem BAföG Sozialleistungen zustünden, würde sich hier ohne weiteres habe aufdrängen müssen. Ein solcher Schritt sei ausweislich der Förderungsakte nicht erfolgt. Schließlich sei der Beklagte zur Gewährung der Naturalrestitution durch die Vornahme einer Amtshandlung rechtlich gehindert. Über das Rechtsinstitut des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs könne keinesfalls die Herstellung eines rechtswidrigen Zustands erreicht werden. Für den Zeitraum 01/2016 bis 03/2016 hätten der Klägerin keine Leistungen nach dem BAföG zugestanden, weshalb eine Aufhebung des Bescheids vom 6. Juli 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. August 2020, auf die ein Herstellungsanspruch der Klägerin gerichtet sein würde, nicht in Betracht komme, da ein solcher rechtswidrig sein würde. Der Widerspruchsbescheid vom 10. August 2020 erweise sich zum Zeitpunkt seiner Zustellung am 12. August 2020 als frei von Rechtsfehlern, weshalb von einer Aufhebung abzusehen sei. Auch nach nunmehrigem Sachstand habe der Klägerin 01/2016 bis 03/2016 kein Anspruch auf Ausbildungsförderung zugestanden, weshalb die ihr gewährten Leistungen auch insofern zurückzufordern seien. Im Wintersemester 2015/2016 sei die Klägerin bereits im 9. Fachsemester gewesen; die Förderungshöchstdauer sei mithin bereits 03/2015 erreicht gewesen. Im Wintersemester 2015/2016 würde der Klägerin folglich allenfalls eine Förderung als Studienabschlusshilfe in Form eines Bankdarlehens zugestanden haben. Diesbezüglich könne sich die Klägerin auch nicht auf Vertrauensschutz berufen, da der Bewilligungsbescheid vom 16. Juli 2015 auf Angaben beruht habe, die die Klägerin jedenfalls grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig bzw. unvollständig gemacht habe. Insbesondere durch die in jedem Bewilligungsbescheid enthaltenen Hinweise würde es sich der Klägerin habe aufdrängen müssen, dass der Beklagte von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen sei, den zu berichtigen sie verpflichtet gewesen sei. Da nach nunmehrigem Sachstand im Zeitraum 01/2016 bis 03/2016 die Voraussetzungen der §§ 45, 50 SGB X gegeben seien, würde eine Aufhebung im Wege des Herstellungsanspruchs rechtswidrig sein. Unabhängig davon, dass der Beklagte den Leistungsanspruch der Klägerin gegenüber dem zuständigen Jobcenter nicht vereitelt habe, seien die Voraussetzungen eines Erlasses nicht eröffnet. Insbesondere sei das Vorliegen einer besonderen Härte nicht ersichtlich. Auch der Einwand der Verwirkung gehe ins Leere. Das erforderliche Zeitmoment liege nicht vor. Zeitnah nach Kenntniserlangung über den Studienabschluss der Klägerin im Dezember 2015 am 4. Juli 2016 sei mit Bescheid vom 6. Juli 2016 unter Aufhebung des zugrunde liegenden Bewilligungsbescheids die Rückforderung der für 01/2016 bis 03/2016 erbrachten Leistungen erfolgt. Dass die Entscheidung im Widerspruchsverfahren erst mit Bescheid vom 10. August 2020 erfolgt sei, ändere hieran nichts. Mit Erhebung des Widerspruchs sei lediglich die Vollziehbarkeit des Aufhebungs- und Rücknahmebescheids gehemmt worden. Seine hier maßgebliche Wirksamkeit bleibe hierdurch unberührt. Auch seien keine Umstände ersichtlich, die die Rückforderung als treuwidrig erscheinen ließen. Die Leistungen wären erbracht worden, nachdem es die Klägerin grob pflichtwidrig versäumt hätte, den Beklagten über die Ausbildungsbeendigung bzw. über ihr tatsächliches Fachsemester in Kenntnis zu setzen. Schon aus diesem Grund sei ihr schutzwürdiges Vertrauen zu versagen. Im Übrigen habe der Beklagte der Klägerin durch nichts Anlass gegeben, auf eine Abstandnahme von einer Forderungsgeltendmachung vertrauen zu dürfen. Insbesondere komme die lange Dauer bis zur Entscheidung im Widerspruchsverfahren nicht als Anknüpfungspunkt für ein schutzwürdiges Vertrauen in Betracht. Die durch den Bescheid ausgesprochene Rückzahlungspflicht sei durch den Widerspruch nicht beseitigt worden. Daher habe die Klägerin jederzeit damit zu rechnen gehabt, dass ihr Widerspruch zurückgewiesen und die Zahlungspflicht aus dem genannten Bescheid ex tunc vollziehbar werde. Zudem sei es der Klägerin unbenommen gewesen, sich beim Beklagten nach dem Sachstand des Widerspruchsverfahrens zu erkundigen, was nicht geschehen sei.
11
Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtssowie der vorgelegten Behördenakte Bezug genommen.
II.
12
Der Klägerin war gemäß ihres Antrag vom 1. September 2020 nach § 166 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) i. V. m. §§ 114 ff. Zivilprozessordnung (ZPO) Prozesskostenhilfe zu bewilligen, soweit sie gegen den Beklagten eine Aufrechnung mit einem Amtshaftungsanspruch nach § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG geltend macht, weil sie nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann und ihre Klage weder völlig aussichtslos noch mutwillig erscheint. Auf Basis der im Prozesskostenhilfeverfahren ausreichenden summarischen Prüfung der Erfolgsaussichten erweisen sich diese vorliegend mit Blick auf die Aufrechnung mit einem möglichen Amtshaftungsanspruch nach § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG jedenfalls als offen (vgl. BVerfG NJW 2003, 1857; 2003, 2976; BVerwG NVwZ-RR 1999, 588; VGH Mannheim, NVwZ-RR 2007, 210 f.). Ausgegangen wird insofern von den der Klägerin durch den Leistungsbescheid des Jobcenters N. vom 18. April 2016 gewährte Leistungen nach dem SGB II in Höhe von monatlich 404,00 EUR. Gemäß § 121 Abs. 2 Satz 1 ZPO war der Klägerin insoweit zudem ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt ihrer Wahl beizuordnen, weil angesichts der tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten des streitgegenständlichen Falles die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint. Die Beiordnung des Rechtsanwalts erfolgt unter der Einschränkung des § 121 Abs. 3 ZPO. Im Übrigen ist der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unabhängig von den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen der Klägerin abzulehnen, da die Klage zum maßgeblichen Zeitpunkt der Bewilligungsreife insoweit keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (§ 114 ZPO). Deshalb war insoweit auch die Beiordnung eines Rechtsanwalts abzulehnen (§ 121 ZPO).
13
Streitgegenständlich ist vorliegend die Frage, ob die Klägerin Ausbildungsförderung in Höhe von 2.010,00 EUR für den Bewilligungszeitraum 01/2016 bis 03/2016 an den Beklagten zurückzuzahlen hat.
14
Eingangs ist festzustellen, dass das grundsätzliche Bestehen zu viel gezahlter Ausbildungsförderung nach dem BAföG in Höhe von insgesamt (jedenfalls) 2.010,00 EUR unstreitig sein dürfte. So führt der Bevollmächtigte gegen die im Bescheid vom 16. Juli 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. August 2020 enthaltene Rückforderung lediglich das Bestehen von Gegenansprüchen der Klägerin an, welche eine Rückforderung durch den Beklagten ausschließen sollen. Auch der Beklagte behält sich in seiner Klageerwiderung eine Prüfung weiterer Rückforderungen mit Blick auf das bereits frühere Ende der Förderungshöchstdauer der Klägerin lediglich vor.
15
Mithin bedarf die Frage, ob der Klägerin für den Zeitraum 01/2016 bis 03/2016 Ausbildungsförderung in Höhe von 2.010,00 EUR zu Unrecht geleistet wurde, keiner weiteren Klärung.
16
1. Entgegen der Auffassung des Bevollmächtigten kommt der Klägerin gegen den Beklagten kein Schadensersatzanspruch wegen Verstoßes gegen eine Beratungspflicht bezüglich § 28 SGB X zu, der die Erstattungsforderung „kompensieren“ bzw. dieser entgegenstehen würde.
17
Denn zum einen ist der Anwendungsbereich des § 28 Abs. 1 SGB X vorliegend schon nicht eröffnet. Dieser setzt voraus, dass ein Leistungsberechtigter von der Beantragung einer Sozialleistung wissentlich und willentlich abgesehen hat, weil er eine andere Sozialleistung bei einem weiteren Leistungsträger beansprucht hat (Ursachenzusammenhang). Aus welchen Gründen der Berechtigte von der Antragstellung abgesehen hat, ist unerheblich (BeckOK SozR/Heße, 63. Ed. 1.12.2021, SGB X § 28 Rn. 3). Vorliegend hat die Klägerin – wie vom Beklagten zutreffend festgestellt – von einer Antragstellung beim zuständigen Jobcenter gerade nicht abgesehen, sondern dort im Januar 2016 einen Antrag auf Sozialleistungen gestellt, der aufgrund Vorlage des Förderungsbescheids des Beklagten vom 16. Juli 2015 für den Zeitraum 01/2016 bis 03/2016 abgelehnt und erst ab April 2016 gewährt wurde.
18
Zum anderen war der Beklagte – die Eröffnung des Anwendungsbereichs des § 28 SGB X unterstellt – zu einer Aufklärung der Klägerin über § 28 SGB X auch schon deshalb nicht verpflichtet, weil die Klägerin ausweislich ihres handschriftlichen Vermerks ganz offensichtlich um die Problematik der Doppelförderung und der daraus resultierenden Teilablehnung ihres Antrags durch das Jobcenter wusste. Nach Bescheidsänderung und Rückforderung durch den Beklagten wäre es ihr also ohne Probleme möglich gewesen, einen erneuten Antrag beim Jobcenter unter Vorlage des streitgegenständlichen Änderungsbescheids zu stellen. Auf die Frage, ob den Beklagten grundsätzlich eine Pflicht zur Aufklärung über die Möglichkeit des § 28 SGB X trifft, kommt es somit vorliegend nicht an.
19
2. Ob der Klägerin gegen den Beklagten ein Anspruch aus Amtshaftung gemäß § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG zukommt, den sie in der Folge gegen den Rückerstattungsanspruch des Beklagten aufrechnen könnte, obliegt nicht der diesseitigen Prüfungs- und Entscheidungskompetenz. Die Frage des Bestehens eines Amtshaftungsanspruchs nach § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG ist im ordentlichen Rechtsweg zu klären (§ 17 Abs. 2 Satz 2 GVG; vgl. auch Müller in Rothe/Blanke, BAföG, 5. Aufl., 46. Lfg., Juli 2019, § 41 Rn. 18.3).
20
Zwar kann auch im Rahmen des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens grundsätzlich mit einer Forderung nach § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG als rechtswegfremder Gegenforderung aufgerechnet werden. Dies setzt jedoch voraus, dass diese rechtskräftig oder bestandskräftig festgestellt wurde oder unbestritten ist. Vorliegend ist dies nicht der Fall.
21
Bezogen auf die Frage, ob die Aufrechnung vorliegend bereits aus diesem Grund zurückzuweisen ist, ist – ausgehend vom Streitgegenstand der Anfechtungsklage (vgl. hierzu BVerwGE 29, 210, 211 f.) – zu unterscheiden, ob der Verwaltungsakt nur eine Leistung feststellt bzw. festsetzt oder neben dieser Festsetzung auch eine Zahlungsaufforderung, ein Leistungsgebot, enthält. Eine bloße Leistungsfestsetzung bildet den Rechtsgrund für die Leistung. Dieser aber entfällt nicht mit der Erfüllung des Anspruchs und daher auch nicht mit dem Erfüllungsersatz einer etwaigen Aufrechnung. Vielmehr behält er auch nach der Erfüllung seine Funktion. Denn er bildet den Rechtsgrund für das Behaltendürfen der Leistung. Daraus folgt, dass eine Aufrechnung die Rechtmäßigkeit der Festsetzung eines Rückforderungsbetrages nicht berührt und folglich insoweit im Anfechtungsprozess unbeachtlich ist (BVerwG, NVwZ 1984, 168; Ehlers, JuS 1990, 777 (780); VGH Mannheim, U.v. 2.12.1996 – 7 S 2235/96, NJW 1997, 3394, beck-online). Enthält hingegen ein angefochtener Bescheid neben der Festsetzung der Rückforderung auch eine Zahlungsaufforderung (Leistungsgebot), ergibt sich: Auch eine solche Zahlungsaufforderung ist ein anfechtbarer Verwaltungsakt. Sie enthält die Anweisung, wo, wann und wie die Abgabe zu entrichten ist (BVerwG, NVwZ 1984, 168). Sie wird bei einer wirksamen Aufrechnung rechtswidrig. Denn eine Aufrechnung wirkt auf den Zeitpunkt der Aufrechnungslage (Erfüllbarkeit des Hauptanspruchs, Fälligkeit der Gegenforderung) zurück (§ 839 BGB). Dies ist auch dann der Fall, wenn die Aufrechnungserklärung erst im Laufe des Verwaltungsstreitverfahrens abgegeben wird (vgl. BVerwG, NVwZ 1984, 168; VGH Mannheim, U.v. 2.12.1996 – 7 S 2235/96, NJW 1997, 3394, beck-online).
22
Der vorliegend streitgegenständliche Bescheid vom 6. Juli 2016 enthält ein Leistungsgebot in diesem Sinne: Neben der Festsetzung des Anspruches auf Ausbildungsförderung im Bewilligungszeitraum 10/2015 bis 12/2015 und 01/2016 bis 03/2016 enthält der Bescheid auch eine “Gesamtabrechnung”, nach welcher ein Rückforderungsrestbetrag in Höhe von 2.010,00 EUR und eine nicht gedeckte Überzahlung in gleicher Höhe bestehen. Hinsichtlich dieses Betrages ist in dem Bescheid bestimmt:
„Bitte beachten Sie:
Den nicht mit laufenden oder zukünftigen Leistungen aufrechenbaren Überzahlungsbetrag von 2.010,00 EUR überweisen Sie bitte ab 01.08.2016 bis spätestens 29.08.2016 unter Angabe des BKZ … an die StOK Bayern – BSt. STOK-Bay BuSt Regensburg Konto 1279276 bei der BayernLB München (BLZ 70050000 BIC BYLADEMM IBAN DE...6).
(…)
Rückforderungsgrund: Studienabschluss – Abgabe der Bachelorarbeit 12/2015. Die Rückzahlungspflicht ergibt sich aus § 53 BAföG i.V.m. § 50 SGB X.“
23
Im Widerspruchsbescheid vom 10. August 2020 finden sich keinerlei Regelungen zu der geforderten Rückzahlung.
24
Damit unterscheidet sich die vorliegende Sachlage zwar zum Teil von der durch den Verwaltungsgerichtshof Mannheim in seinem Urteil vom 2. Dezember 1996 entschiedenen. Dort enthielt der streitgegenständliche Bescheid folgende Bestimmungen:
„Der Rückforderungsrestbetrag (Feld 52) ist innerhalb eines Monats nach Zugang dieses Bescheides an die ...kasse …, S., Konto …, unter Angabe der Förderungsnummer einzuzahlen.“
25
Hierzu heißt es unter Nr. 10 der “Ergänzenden Bestimmungen und Hinweise”:
„Wird ein im Feld 52 ausgewiesener Rückforderungsrestbetrag nicht entsprechend der eingedruckten Aufforderung zurückgezahlt, erfolgen eine Mahnung und gegebenenfalls Beitreibungsmaßnahmen …“
26
Gleichwohl ist eine Zahlungsaufforderung gegeben. Zwar sind in den beigefügten Erläuterungen auf der Rückseite des Förderungsbescheids vom 6. Juli 2016 gerade keine Hinweise auf eine Mahnung sowie eventuelle Beitreibungsmaßnahmen enthalten. Allerdings enthält der Bescheid die Angabe eines Buchungskennzeichens nebst Buchungsstelle sowie Daten, innerhalb derer eine Überweisung erbeten wird, und wird aus der Formulierung „Den nicht mit laufenden oder zukünftigen Leistungen aufrechenbaren Überzahlungsbetrag“ deutlich, dass es sich um eine endgültige Zahlungsaufforderung handelt. Eine wirksame Aufrechnung würde sich vor dem Hintergrund der oben dargestellten Rechtsprechung folglich auf die hier zu beurteilende Anfechtungsklage jedenfalls insoweit auswirken, als der angefochtene Bescheid vom 6. Juli 2016 ein Leistungsgebot enthält (vgl. VGH Mannheim, U.v. 2.12.1996 – 7 S 2235/96, NJW 1997, 3394, beck-online).
27
In einem solchen Fall führt der Verwaltungsgerichtshof Mannheim in seinem Urteil vom 2. Dezember 1996 (a.a.o.) unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts wie folgt aus:
„In Fällen der vorliegenden Art ist weiter folgendes zu bedenken: Würde man hier die Aufrechnung zurückweisen, wie dies das VG in dem angefochtenen Urteil getan hat, würde dies im Ergebnis auf eine Rechtsverweigerung gegenüber dem Beteiligten hinauslaufen, der die Aufrechnung erklärt hat. Er könnte nämlich rechtskräftig zur Zahlung einer Forderung – hier des Rückforderungsbetrages – verurteilt werden, obwohl diese infolge der Aufrechnung erloschen ist. Um ein solches Ergebnis zu vermeiden, hat deshalb das Gericht in entsprechender Anwendung des § 94 VwGO das Verfahren auszusetzen, um dem Beteiligten, der sich auf die Aufrechnung beruft, Gelegenheit zu geben, das Bestehen des Rechtsverhältnisses von dem Gericht des anderen Rechtswegs feststellen zu lassen (BVerwGE 77, 19 (26) = NJW 1987, 2530). Allerdings darf dies nicht umgekehrt zu einer dauernden Rechtsverweigerung gegenüber dem Inhaber der Forderung führen, gegen die aufgerechnet worden ist. In entsprechender Anwendung des sich aus §§ 148, 151 ZPO ergebenden Rechtsgedankens ist deshalb das Gericht gehalten, eine angemessene Frist zu bestimmen, innerhalb welcher demjenigen Beteiligten, der sich auf die Aufrechnung beruft, Gelegenheit gegeben wird, das Verfahren vor dem anderen Gericht anhängig zu machen (BVerwGE 77, 19 (27) = NJW 1987, 2530).
Neben der Aussetzung kommt in Fällen der vorliegenden Art zugleich der Erlaß eines Vorbehaltsurteils in Betracht (vgl. BVerwGE 77, 19 (28/29) = NJW 1987, 2530; Ehlers, JuS 1990, 777 (783)). Die die Klage abweisende Entscheidung kann dann nur unter dem Vorbehalt der Entscheidung über die von der Kl. erklärte Aufrechnung ergehen (BVerwGE 77, 19 (28) = NJW 1987, 2530; vgl. hierzu auch BGHZ 16, 124 (141ff.) = NJW 1955, 497 = LM § 148 ZPO Nr. 2 (L); BSG, NJW 1963, 1844; BFH, NVwZ 1987, 263; Urt. des Senats v. 4.8.1988 – 7 S 1846/88; vgl. zum Ganzen weiter Ehlers, JuS 1990, 777 (782/783)).
Der Senat setzt nach alledem das Verfahren insoweit aus, als dieses die Aufrechnung mit dem geltend gemachten Schadensersatzanspruch aus Amtspflichtverletzung betrifft und gibt der Kl. Gelegenheit, binnen drei Monaten nach Rechtskraft dieses Urteils vor dem zuständigen Zivilgericht Klage auf Feststellung zu erheben, daß ihr der behauptete Amtshaftungsanspruch gegen den Bekl. im Zeitpunkt der Aufrechnung zugestanden hat. Sollte sich dabei ergeben, daß die Gegenforderung besteht, hätte im Nachverfahren die Aufhebung des Vorbehaltsurteils zu erfolgen (vgl. hierzu Urt. des Senats v. 4.4.1989 – 7 S 1846/88 – sowie Ehlers, JuS 1990, 777 (783)).“
28
Mithin käme vorliegend eine klageabweisende Entscheidung unter dem Vorbehalt der Entscheidung über die von der Klägerin erklärte Aufrechnung und unter befristeter Aussetzung des Nachverfahrens über die Aufrechnung in Betracht. Der Klägerin wäre insofern eine Frist beginnend mit der Rechtskraft der Entscheidung in der Hauptsache zu setzen, innerhalb derer sie die Gelegenheit hat, vor dem zuständigen Zivilgericht Klage auf Feststellung zu erheben, dass ihr der behauptete Amtshaftungsanspruch gegen den Beklagten im Zeitpunkt der Aufrechnung zugestanden hat. Sollte sich dabei ergeben, dass die Gegenforderung besteht, würde im Nachverfahren die Aufhebung des Vorbehaltsurteils zu erfolgen haben (vgl. hierzu VGH Mannheim, U.v. 2.12.1996 – 7 S 2235/96, NJW 1997, 3394, beck-online m.w.N.).
29
Vorliegend erscheint es sachgerecht, der Klägerin bereits im laufenden Verfahren eine Frist von drei Monaten zur Klageerhebung vor dem zuständigen Zivilgericht zu setzen und das gegenständliche Verfahren bis zu diesem Zeitpunkt auszusetzen (§ 94 VwGO). Damit ist dem Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin in ausreichender Weise Rechnung getragen. Sofern binnen dieses Zeitraums eine Klageerhebung erfolgt, käme eine weitere Aussetzung bis zur rechtskräftigen zivilgerichtlichen Entscheidung in Betracht; sollte es zu keiner Klageerhebung kommen, wäre die Klage ohne Vorbehalt abzuweisen.
30
3. Ferner scheidet eine „Aufrechnung“ mit einem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch der Klägerin mangels Bestehens eines solchen aus.
31
Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch, der als Parallele zum Folgenbeseitigungsanspruch für den Bereich des Leistungsrechts angesehen werden kann (vgl. BSGE 49, 76 (79) = BeckRS 1979, 00160; BeckOGK/Dörr, 1.11.2021, BGB § 839 Rn. 693), ist als richterrechtliches Institut in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts für den Fall entwickelt worden, dass ein Versicherungsträger eine ihm gegenüber dem Versicherten obliegende Nebenpflicht aus dem Sozialrechtsverhältnis (vgl. BSGE 50, 12 (13 f.) mwN; BeckOGK/Dörr, 1.11.2021, BGB § 839 Rn. 693) – insbesondere zur Auskunft, Beratung und Betreuung – verletzt und dem Versicherten dadurch sozialrechtlich ein Schaden zugefügt wird. Der Anspruch ist auf Vornahme einer mit Recht und Gesetz in Einklang stehenden Amtshandlung zur Herbeiführung derjenigen Rechtsfolgen gerichtet, die eingetreten wären, wenn der Versicherungsträger die ihm obliegenden Pflichten ordnungsgemäß wahrgenommen hätte (vgl. BSGE 56, 61 (62) = BeckRS 1983, 05799 Rn. 12; BeckOGK/Dörr, 1.11.2021, BGB § 839 Rn. 693), wobei die Pflichtverletzung ursächlich für den sozialrechtlichen Schaden des Versicherten gewesen sein muss (vgl. BSG NJW 2011, 2907 Rn. 12, 16; BeckOGK/Dörr, 1.11.2021, BGB § 839 Rn. 693). Dabei muss sich der Versicherungsträger unter Umständen auch das rechtswidrige Verhalten einer anderen Behörde zurechnen lassen (vgl. BSGE 51, 89 (94 ff.) = BeckRS 2011, 77261; BeckOGK/Dörr, 1.11.2021, BGB § 839 Rn. 693). Für das anspruchsbegründende Fehlverhalten der Behörde genügt ein schlichtes Verwaltungshandeln im Rahmen der Daseinsvorsorge (vgl. BSGE 49, 76 (79) = BeckRS 1979, 00160; BeckOGK/Dörr, 1.11.2021, BGB § 839 Rn. 693). Ein Verschulden des rechtswidrig handelnden Amtswalters ist nicht erforderlich (vgl. BSGE 49, 76 (77 ff.) = BeckRS 1979, 00160; BeckOGK/Dörr, 1.11.2021, BGB § 839 Rn. 693). Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch hat – anders als der Amtshaftungsanspruch – nicht die Zahlung einer Geldentschädigung, sondern die Herstellung des Rechtszustandes, der bei ordnungsgemäßem Verwaltungshandeln bestehen würde, zum Gegenstand (vgl. BGHZ 103, 242 (246 f.) = NJW 1988, 1776 (1777); BSGE 51, 88 (92); 46, 124 (125) = NJW 1979, 1519; BeckOGK/Dörr, 1.11.2021, BGB § 839 Rn. 693).
32
Vorliegend kann die Frage, ob der sozialrechtliche Herstellungsanspruch im BAföG-Recht angewendet werden kann (siehe hierzu z.B. Ramsauer/Stallbaum/S.weg, 7. Aufl. 2020, BAföG § 20 Rn. 70-72 m.w.N.), offen bleiben. Denn der sozialrechtliche Herstellungsanspruch setzt voraus, dass dem Beschädigten durch eine dem Beklagten zuzurechnende behördliche Pflichtverletzung ein sozialrechtlicher Nachteil entstanden ist, der durch eine zulässige Amtshandlung behoben werden kann (ständige Rechtsprechung, vgl. z. B. BSG, U.v. 2.10.2008, Az.: B 9 VH 1/07 R). Im Urteil vom 25. Januar 1994, Az. 7 RAr 50/93, hat das Bundessozialgericht dies wie folgt zum Ausdruck gebracht: „Denn das Rechtsinstitut des Herstellungsanspruchs kommt nur in den Fällen zum Tragen, in denen der durch das pflichtwidrige Verwaltungshandeln eingetretene Nachteil durch eine zulässige Amtshandlung beseitigt werden kann. Dagegen bleibt für seine Anwendung in solchen Fällen kein Raum, in denen ein Nachteilsausgleich auf gesetzwidriges Handeln des Leistungsträgers hinauslaufen würde. Hintergrund dieser von der Rechtsprechung angenommenen Differenzierung zwischen „ersetzbaren“ und „nicht ersetzbaren“ Voraussetzungen ist das Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG). Dieses läßt es nicht zu, dass die Verwaltung gesetzwidrig handelt, selbst wenn sie zuvor eine falsche Auskunft oder Beratung erteilt hat (vgl. hierzu etwa BSGE 44, 114, 121 = SozR 2200 § 886 Nr. 1; BSGE 49, 76, 80 = SozR 2200 § 1418 Nr. 6; BSGE 50, 25, 29 = SozR 2200 § 172 Nr. 14; BSGE 51, 89, 92 = SozR 2200 § 381 Nr. 44; BSGE 58, 104, 109 = SozR 4100 § 103 Nr. 36; BSGE 60, 43, 48 = SozR 4100 § 105 Nr. 2; SozR 4100 § 102 Nr. 6; BSG vom 11. Januar 1989 – 7/11b RAr 16/87 –, unveröffentlicht; BSG SozR 4100 § 66 Nr. 2; BSGE 66, 258, 265 = SozR 3-4100 § 125 Nr. 1; BSG vom 23. Juli 1992 – 7 RAr 38/91 –, unveröffentlicht; BSG vom 29. Juli 1992 – 11 RAr 15/92 –, unveröffentlicht; BSG vom 24. Juni 1993 – 11 RAr 1/92 –; BSG vom 8. Juli 1993 – 7 RAr 80/92 –, unveröffentlicht). Demgemäß lässt sich mit Hilfe des Herstellungsanspruchs ein Fehlverhalten des Leistungsträgers nur insoweit berichtigen, als die Korrektur mit dem jeweiligen Gesetzeszweck in Einklang steht (LSG Bayern, U.v. 26.1.2016 – L 15 VS 11/15, BeckRS 2016, 66878, beck-online).
33
Ausgehend von diesen Grundsätzen scheitert der sozialrechtliche Herstellungsanspruch nicht nur daran, dass – wie ausgeführt – bereits keine Pflichtverletzung durch den Beklagten in Bezug auf § 28 SGB X vorliegt, sondern auch an dem Umstand, dass die Klägerin – eine Pflichtverletzung des Beklagten unterstellt – ein Mitverschulden trifft und der von ihr begehrte Rechtszustand, das Unterlassen der Rückforderung bzw. die Gewährung von Förderungsleistungen, rechtswidrig sein würde. Vorliegend hat die Klägerin in zweifacher Hinsicht entscheidend und jedenfalls weit überwiegend zur Entstehung des von ihr behaupteten Schadens beigetragen. So teilte sie dem Beklagten trotz eindeutigen Hinweises auf die diesbezügliche Notwendigkeit nicht mit, dass sie ihre Bachelorarbeit bereits im Dezember 2015 abgegeben und damit ihre letzte Studienleistung erbracht hatte. Sofern sie tatsächlich davon ausgegangen sein sollte, dass erst der Ablauf des bewilligten Förderungszeitraums maßgeblich sein sollte, wäre ihr insofern jedenfalls grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen, da sie sich beim Beklagten nach dem Sinn des Hinweises hätte erkundigen müssen. Infolge der mangelnden Mitteilung ging der Beklagte berechtigt davon aus, dass das Studium noch nicht beendet wurde und erließ er naturgemäß keinen Änderungsbescheid. Dies geschah dann jedoch umgehend nach der Mitteilung der TH D. am 4. Juli 2016 mit streitgegenständlichem Bescheid vom 6. Juli 2016. Zudem hat die Klägerin es versäumt, beim Jobcenter nach Erlass des Änderungsbescheids einen neuerlichen Antrag auf Sozialleistungen zu stellen. Dass dieser allein aus Gründen einer sonstigen Doppelförderung zum Teil abgelehnt worden war, war der Klägerin – wie bereits ausgeführt – bekannt, weshalb insofern auch keine Notwendigkeit einer Aufklärung oder eines Hinweises durch den Beklagten gegeben war. Auch ihre legitime Widerspruchseinlegung vermag an der Notwendigkeit eines solchen Antrags nichts zu ändern, da es im Falle der Antragstellung am Jobcenter gewesen wäre, auf die rechtlichen Fragestellungen zu reagieren. Auf ein bloßes Untätigbleiben kann sich die Klägerin deshalb nicht zurückziehen. Auch von der Antragstellung beim Jobcenter erfuhr der Beklagte erst durch die Widerspruchseinlegung. Dieses Mitverschulden der Klägerin drängt das – unterstellte – Verschulden des Beklagten zurück, da es die gegebene Sachlage weit überwiegend herbeigeführt hat. Zudem kommt der Klägerin kein Anspruch auf Ausbildungsförderung nach dem BAföG für den Zeitraum 01/2016 bis 03/2016 zu (siehe hierzu unter 4.a.). Das Belassen der an sie geleisteten Zahlungen bzw. die Gewährung von Förderungsleistungen, um diese in der Folge „aufrechnen“ zu können, wäre auf die Herstellung eines rechtswidrigen Zustands gerichtet, der Beklagte mithin an der Amtshandlung gehindert.
34
4. Die Sperrwirkung des § 107 SGB X steht einer Rückforderung nicht entgegen.
35
Dessen Anwendungsbereich ist vorliegend bereits nicht eröffnet, weshalb es auf die vom Klägerbevollmächtigten zitierte Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, wonach sich der erstattungsberechtigte Leistungsträger bei Bestehen eines Erstattungsanspruchs zwischen Leistungsträgern gemäß §§ 102 ff. SGB X wegen § 107 SGB X nicht an den Leistungsempfänger gemäß §§ 45, 48, 50 SGB X halten darf, nicht ankommt.
36
Nach § 107 Abs. 1 SGB X gilt der Anspruch des Berechtigten gegen den zur Leistung verpflichteten Leistungsträger als erfüllt, soweit ein Erstattungsanspruch besteht. Ein Erstattungsanspruch nach den §§ 102 ff. SGB X ist vorliegend – wie vom Beklagten zutreffend ausgeführt – nicht gegeben.
37
a. Nach § 102 Abs. 1 SGB X ist der zur Leistung verpflichtete Leistungsträger erstattungspflichtig, wenn ein Leistungsträger auf Grund gesetzlicher Vorschriften vorläufig Sozialleistungen erbracht hat.
38
(1) Ein etwaiger Erstattungsanspruch kommt dann in Frage, wenn ein letztlich nicht verpflichteter Leistungsträger an einen Leistungsberechtigten rechtmäßige Sozialleistungen erbracht hat. Dies kommt vor, wenn ein Leistungsträger irrtümlich seine Leistungspflicht annimmt oder zur Behebung einer aktuellen Notlage bis zur endgültigen Klärung der Leistungspflicht vorläufig leistet bzw. in Vorlage tritt. In einer solchen Situation soll der bei objektiver Betrachtung materiell zuständige und zur Leistung verpflichtete Leistungsträger dem nicht verpflichteten aber leistenden Leistungsträger dessen Aufwendungen erstatten. Damit soll ein Zustand hergestellt werden wie er bei einer von Anfang an zutreffenden Rechtsbeurteilung bestanden hätte. Letztlich wird damit der Leistungsträger belastet, der – hätte vollständige Klarheit über die richtige Zuständigkeit bestanden – von Anfang an hätte leisten müssen. Vor diesem Hintergrund besteht ein Ziel der Erstattungsansprüche in der Wiederherstellung der materiell-rechtlich bestimmten Lastenverteilung (vgl. BVerwG NVwZ-RR 2003, 859; BeckOK SozR/Weber, 63. Ed. 1.12.2021, SGB X § 102 Rn. 3). Allerdings kann ein Erstattungsanspruch vom nicht verpflichteten Leistungsträger nur geltend gemacht werden, soweit dieser materiell rechtmäßig seine Sozialleistung erbracht hat. Erfolgt die Leistung rechtswidrig, entfällt der Erstattungsanspruch. Stattdessen kommen die im Fall der rechtswidrigen Leistung dafür vorgesehenen Regelungen über die Aufhebung (§§ 44 ff. SGB X) und Kostenerstattung (§ 50 SGB X) gegenüber dem Leistungsberechtigten in Frage. Denn vom letztlich verpflichteten Leistungsträger kann nicht erwartet werden, dass er rechtswidrige Leistungen erstattet (BeckOK SozR/Weber, 63. Ed. 1.12.2021, SGB X § 102 Rn. 6).
39
(2) Zwar mag das Jobcenter infolge des Entfalls des Leistungsanspruchs der Klägerin nach BAföG für 01/2016 bis 03/2016 dieser gegenüber zu Sozialleistungen verpflichtet gewesen sein. Allerdings hatte diese gegenüber dem S. gerade keinen Leistungsanspruch nach BAföG, so dass die entsprechenden Leistungen zu Unrecht erbracht wurden.
40
Denn unabhängig von der zwischenzeitlichen Änderung des § 15b Abs. 3 BAföG hatte die Klägerin in dem in Rede stehenden Zeitraum 01/2016 bis 03/2016 jedenfalls die Förderungshöchstdauer bereits erreicht und damit keinen Anspruch auf Weiterförderung nach § 15 Abs. 1 und 2 BAföG.
41
Vorliegend hat die Klägerin ihre Bachelorarbeit im Dezember 2015 abgegeben und damit nach Mitteilung der TH D. ihren letzten Prüfungsteil erbracht, da sie die Prüfungen bereits vorher geschrieben hatte. Eine Korrektur der Bachelorarbeit war im März 2016 erfolgt. Nach der Rechtslage bis 31. Juli 2016, mithin zum Zeitpunkt des Erlasses des Änderungs- und Rückforderungsbescheids vom 6. Juli 2016, wäre dieser Zeitpunkt als für den Abschluss der Hochschulausbildung und damit für den Entfall des Förderungsanspruchs nach BAföG maßgebend gewesen (vgl. § 15b Abs. 3 Satz 2 Hs. 2 BAföG a.F.). Nach der ab 1. August 2016 und noch immer geltenden Fassung des § 15b Abs. 3 Satz 3 BAföG aber ist eine Hochschulausbildung abweichend von den Sätzen 1 und 2 mit Ablauf des Monats beendet, in dem das Gesamtergebnis des erfolgreich abgeschlossenen Ausbildungsabschnitts bekannt gegeben wird, spätestens jedoch mit Ablauf des zweiten Monats nach dem Monat, in dem der letzte Prüfungsteil abgelegt wurde. Diese Neuregelung wäre vorliegend auch zu berücksichtigen, da infolge der Widerspruchseinlegung durch die Klägerin Gegenstand der Anfechtungsklage nicht nur der Ausgangsbescheid vom 6. Juli 2016, sondern der Ausgangsbescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. August 2020 ist, zu dessen Erlasszeitpunkt die maßgebende Rechtsänderung bereits erfolgt war. Ausgehend von der Abgabe der Bachelorarbeit als unstreitig letztem Prüfungsteil im Dezember 2015 fällt das Ende der Hochschulausbildung auf den Ablauf des 29. Februar 2016. Mithin hätte sich eine Änderung im Sinne des § 53 BAföG erst ab März 2016 ergeben und könnte auf Basis des § 53 BAföG i.V.m. § 50 Abs. 1 SGB X eine Rückerstattung lediglich für März 2016 geltend gemacht werden.
42
Allerdings wurden die Ausbildungsleistungen nach dem BAföG ausgehend von einem unzutreffenden Fachsemester gewährt, da die Klägerin zum hier fraglichen Wintersemester 2015/2016 seitens der TH D. zwar im 7. Hochschulsemester, aber im 9. Fachsemester eingestuft worden war. Nachdem Förderungsleistungen nach dem BAföG gemäß §§ 15 Abs. 2, 15a BAföG grundsätzlich nur bis zum Ende der Förderungshöchstdauer – vorliegend sieben Semester – gewährt werden, stand der Klägerin wohl bereits ab 03/2015 kein entsprechender Anspruch mehr zu. Infolgedessen hätte eine Rückerstattung auf Basis der §§ 45, 50 BAföG zu erfolgen. Zwar käme grundsätzlich eine Förderung nach § 15 Abs. 3 BAföG (Leistungen über die Förderungshöchstdauer hinaus) bzw. § 15 Abs. 3a BAföG (Studienabschlusshilfe) in Betracht; insoweit fehlt es vorliegend jedoch jeweils am erforderlichen Antrag nach § 46 Abs. 1 BAföG (vgl. Ramsauer/Stallbaum/Lackner, 7. Aufl. 2020, BAföG § 15 Rn. 13, 45).
43
Mithin kann der Beklagte vom Jobcenter die von ihm im Zeitraum 01/2016 bis 03/2016 zu Unrecht an die Klägerin erbrachten Leistungen nicht zurückfordern, so dass die Sperrwirkung des § 107 SGB X insofern nicht eintritt.
44
b. Auch ein Erstattungsanspruch nach § 103 Abs. 1 SGB X ist vorliegend nicht gegeben.
45
Hat ein Leistungsträger Sozialleistungen erbracht und ist der Anspruch auf diese nachträglich ganz oder teilweise entfallen, ist der für die entsprechende Leistung zuständige Leistungsträger erstattungspflichtig, soweit dieser nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat.
46
Ausgangssituation für die Anwendung des § 103 SGB X ist eine bestehende Sozialleistungsgewährung, deren Anspruch durch eine andere Sozialleistung vollständig oder teilweise entfällt. Der Wegfall des Anspruchs tritt mit Wirkung für die Vergangenheit ein, da die Leistung des erstattungspflichtigen Leistungsträgers nachträglich einsetzt. Die Leistung des erstattungspflichtigen Leistungsträgers erstreckt sich also auf einen Zeitraum, in dem bereits Leistungen des erstattungsberechtigten Leistungsträgers erbracht worden sind und lässt für diesen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum nachträglich den Leistungsanspruch entfallen (BeckOK SozR/Weber, 63. Ed. 1.12.2021, SGB X § 103 Rn. 12). Die Erstattung nach dieser Norm ist nur gerechtfertigt, wenn der vorleistende Träger zur Leistung materiell-rechtlich verpflichtet war. § 103 SGB X setzt deshalb Leistung auf Grund weiter bestehender gesetzlicher Leistungsverpflichtung voraus, obwohl die Leistungszuständigkeit des endgültig zuständigen Leistungsträgers besteht (KassKomm/Kater, 116. EL September 2021, SGB X § 103 Rn. 16).
47
Wie dargelegt bestand für 01/2016 bis 03/2016 schon keine Leistungspflicht des Beklagten, die infolge einer Leistungspflicht des Jobcenters nachträglich entfallen wäre. Vielmehr war der Beklagte für diesen Zeitraum mangels klägerischen Anspruchs an sich nicht zur Leistung verpflichtet.
48
c. Ebenso scheidet ein Anspruch des nachrangig verpflichteten Leistungsträgers nach § 104 SGB X aus.
49
Ausgangspunkt dieser Norm ist der Umstand, dass der Leistungsberechtigte gegenüber beiden Leistungsträgern einen (gleichzeitigen) Anspruch (mindestens) zweier Leistungsträger besitzt, die nebeneinander bestehen (BVerwG BeckRS 2014, 49108 m.w.N.). Im Gegensatz zu § 102 und § 103 SGB X sind jedoch nicht zwei institutionell gleichrangige Leistungsträger betroffen, sondern zwei Leistungsträger, die sich in einem Vorrang-Nachrang-Verhältnis, also in einem Rangverhältnis (vgl. LPK-SGB X/Böttiger Rn. 9 ff.), befinden. Gemäß § 104 Abs. 1 Satz 2 SGB X ist ein Leistungsträger nachrangig verpflichtet, soweit dieser bei rechtzeitiger Erfüllung der Leistungsverpflichtung eines anderen Leistungsträgers selbst nicht zur Leistung verpflichtet gewesen wäre. Aus dem Wort „soweit“ wird deutlich, dass die Leistung des vorrangig verpflichteten Leistungsträgers auf die Leistung des nachrangig verpflichteten Leistungsträgers angerechnet werden kann. Daraus ist wieder zu schließen, dass es sich um eine einkommensabhängige Leistung des nachrangig verpflichteten Leistungsträgers handelt – so wie es regelmäßig bei Sozialhilfeträgern, Jugendhilfeträgern oder Trägern der Kriegsopferfürsorge der Fall ist. Die vorrangige Leistung tritt „neben“ die nachrangige Leistung. Denn „Anrechnung“ bedeutet auch eine Pflicht zur Weiterleistung (vgl. § 104 Abs. 1 Satz 3 SGB X) des nachrangigen Leistungsträgers, sofern nicht eine vollständige Kompensation durch den vorrangigen Leistungsträger erfolgt. Der Rechtsgrund für die nachrangige Leistung bleibt bestehen (BeckOK SozR/Weber, 63. Ed. 1.12.2021, SGB X § 104 Rn. 12).
50
Wenngleich grundsätzlich (wohl) von einem Vorrang-Nachrang-Verhältnis zwischen BAföG-Leistungen und Leistungen nach dem SGB II auszugehen ist, da Leistungen nach dem BAföG Leistungen nach dem SGB II angesichts ansonsten erfolgender Doppelförderung (Lebensunterhalt) ausschließen (vgl. § 2 Abs. 1 SGB XII), ist der Anwendungsbereich des § 104 Abs. 1 SGB X vorliegend deshalb nicht eröffnet, weil die Ausbildungsförderung nach dem BAföG gegenüber Leistungen nach dem SGB II – wie beschrieben – den Vorrang einnimmt, nachrangige Leistungen nach dem SGB II hier jedoch gerade nicht geflossen sind und folglich nicht die von § 104 Abs. 1 SGB X erfasste Konstellation gegeben ist, dass der nachrangig Verpflichtete geleistet hätte.
51
d. Zuletzt besteht auch kein Erstattungsanspruch nach § 105 Abs. 1 SGB X. Zum einen hat der Beklagte die BAföG-Leistungen für 01/2016 bis 03/2016 im Sinne des § 102 Abs. 1 SGB X nur vorläufig gewährt (vgl. BeckOK SozR/Weber, 63. Ed. 1.12.2021, SGB X § 105 Rn. 10). Dies ergibt sich eindeutig aus dem im Bewilligungsbescheid vom 16. Juli 2015 (Seite 2) enthaltenen Hinweis, wonach die Klägerin einen Studienabschluss bereits vor 03/2016 umgehend mitzuteilen habe. Damit war unmissverständlich klargestellt, dass Leistungen bis März 2016 nur unter dem Vorbehalt eines nicht vorher endenden Studiums erbracht werden sollten. Zum anderen wurden die Leistungen für 01/2016 bis 03/2016 seitens des Beklagten zu Unrecht gewährt und damit rechtswidrig erbracht (siehe Ausführungen unter a.), was auch einen Erstattungsanspruch nach § 105 Abs. 1 SGB X – dessen Bestehen unterstellt – entfallen lässt (vgl. BeckOK SozR/Weber, 63. Ed. 1.12.2021, SGB X § 105 Rn. 12).
52
5. Die Voraussetzungen für einen von der Klägerin geltend gemachten Erlass sind vorliegend ebenfalls nicht gegeben.
53
Nach Art. 59 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BayHO darf das zuständige Staatsministerium Ansprüche nur erlassen, wenn die Einziehung nach Lage des einzelnen Falls für den Schuldner eine besondere Härte bedeuten würde. Das gleiche gilt für die Erstattung oder Anrechnung von geleisteten Beträgen und für die Freigabe von Sicherheiten. Eine besondere Härte ist insbesondere anzunehmen, wenn sich der Schuldner in einer unverschuldeten wirtschaftlichen Notlage befindet und zu besorgen ist, dass die Weiterverfolgung des Anspruchs zu einer Existenzgefährdung führen würde (Tz. 3.4 VV zu Art. 59 BayHO). Dies oder eine vergleichbar schwerwiegende Situation ist vorliegend weder vorgetragen noch anderweit ersichtlich.
54
6. Zuletzt scheidet auch eine Verwirkung aus.
55
Wie vom Beklagten zutreffend ausgeführt, setzt das Institut der Verwirkung sowohl ein Zeitmoment als auch ein Umstandsmoment voraus. Beides fehlt vorliegend.
56
In zeitlicher Hinsicht setzt die Verwirkung voraus, dass der Berechtigte die Rechtsausübung während eines längeren Zeitraums unterlassen hat. Zwar hat der Beklagte nach umgehender Geltendmachung seiner Rückforderung nach Kenntnis der maßgebenden Umstände rund vier Jahre lang nicht über den dagegen eingelegten Widerspruch der Klägerin entschieden. Gleichwohl liegt darin kein Unterlassen der Rechtsausübung, da der Änderungs- und Rückforderungsbescheid vom 6. Juli 2016 infolge der Widerspruchseinlegung nur in seiner Vollziehbarkeit, nicht hingegen in seiner Wirksamkeit gehemmt wurde (vgl. BeckOK VwGO/Gersdorf, 59. Ed. 1.7.2021, VwGO § 80 Rn. 25 zur herrschenden und in der Rechtsprechung nahezu einhellig vertretenen Auffassung m.w.N.).
57
Unabhängig davon durfte die Klägerin als Verpflichtete nicht infolge eines bestimmten Verhaltens des Beklagten darauf vertrauen, dass dieser sein Recht nicht mehr geltend machen werde (vgl. BSG, U.v. 31.7.2017 – B 12 R 6/14 R). Denn allein aufgrund der Zeitdauer des Widerspruchsverfahrens konnte die Klägerin nicht auf ein mangelndes Interesse des Beklagten an der weiteren Geltendmachung seiner Rückforderung schließen. Zwar erstreckte sich das Widerspruchsverfahren mit vier Jahren auf eine geraume Zeit. Gleichwohl hat der Beklagte zu keinem Zeitpunkt zu erkennen gegeben, an seiner Forderung bzw. an einer abschließenden Widerspruchsentscheidung nicht mehr interessiert zu sein. Insofern ist dem Beklagten auch dahingehend zuzustimmen, dass es der Klägerin unbenommen gewesen wäre, hinsichtlich einer Entscheidung nachzufragen bzw. auf eine solche zu drängen.