Titel:
Fehlendes Feststellungsinteresse bzgl. Maskenpflicht bei einer Versammlung
Normenketten:
VwGO § 113 Abs. 1 S. 4
GG Art. 8 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4
IfSG § 28a
Leitsätze:
1. Das Vorliegen einer Wiederholungsgefahr erfordert nicht nur die konkrete Gefahr, dass künftig ein vergleichbarer Verwaltungsakt erlassen wird, sondern es müssen die für die Beurteilung maßgeblichen rechtlichen und tatsächlichen Umstände im Wesentlichen unverändert geblieben sein. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die für die Feststellung der Rechtswidrigkeit erforderliche Wiederholungsgefahr bzgl. einer Maskenpflicht bei einer Versammlung während der zweiten Corona-Welle liegt nicht vor, weil sich seitdem die tatsächlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen maßgeblich geändert haben. (Rn. 18 – 22) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Anordnung einer Maskenpflicht bei einer Versammlung stellt keine schwerwiegende Beeinträchtigung der Versammlungsfreiheit dar, welche ein Feststellungsinteresse begründen könnte. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Feststellungsinteresse, Wiederholungsgefahr, Maskenpflicht, Versammlung, schwerwiegende Beeinträchtigung, tiefgreifender Grundrechtseingriff, Versammlungsfreiheit, Corona-Pandemie
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 13.01.2023 – 10 ZB 22.1408
Fundstelle:
BeckRS 2022, 41989
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen
II. Die Kläger haben die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
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Die Kläger begehren die Feststellung, dass die von der Beklagten angeordnete Maskenpflicht für eine Versammlung am 18.11.2020 rechtswidrig war.
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Die Kläger waren Versammlungsleiter für eine klägerseits am 14.11.2020 gegenüber der Beklagten angezeigte stationäre Versammlung für den 18.11.2020, 15.00 Uhr bis 17.00 Uhr, mit einer erwarteten Teilnehmerzahl von 200-500 Personen auf dem Festplatz im Gemeindegebiet der Beklagten. Thema der Versammlung war „Aufklärung zum Thema Corona Fakten“.
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Mit Bescheid vom 18.11.2020 ordnete die Beklagte in Nr. 2 u.a. an:
j) Alle Teilnehmer und Ordner (auch Veranstalter und Versammlungsleitung gelten als Teilnehmer) sind verpflichtet, schon beim Betreten des Versammlungsgeländes und auch durchgehend während ihrer Teilnahme an der Kundgebung bzw. bei Ausübung der Ordneraufgabe aus Gründen des Infektionsschutzes eine Mund-Nase-Bedeckung (Maske) zu tragen. Auch hat die Versammlungsleitung durchgehend während der gesamten Dauer der Kundgebung dafür zu sorgen, dass Teilnehmer, die keine Maske tragen bzw. sich weigern, ihrer Maskenpflicht nachzukommen, die von der Polizei für diesen Personenkreis vorgesehene und entsprechend zugewiesene Kundgebungsfläche auf dem Festplatz einnehmen und solange sie anwesend sind, dort auch verbleiben.
k) Die Verpflichtung zur Verwendung einer Mund-Nasen-Bedeckung (Maske) gilt auch für alle Personen, die den Bus verlassen und die Kundgebungsfläche betreten, Rednern ist es nur gestattet, während ihrer Rede die Bedeckung abzunehmen.
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Zur Begründung nannte die Beklagte Art. 15 Abs. 1 Bayerisches Versammlungsgesetz (BayVersG), § 32 Infektionsschutzgesetz (IfSG, in der damals geltenden Fassung) und die Bestimmungen der Achten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (8. BayIfSMV). Die unter Nr. 2 des Bescheids festgesetzten Regelungen seien erforderlich, um einen störungsfreien und den Belangen des Corona-Infektionsschutzes Rechnung tragenden Ablauf der Kundgebung sicherzustellen.
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Der Kläger hat gegen die Anordnungen in Nr. 2j und 2k des Bescheids vom 18.11.2020 am selben Tag Anfechtungsklage erheben und um einstweiligen Rechtsschutz (RO 4 S 20.2817) nachsuchen lassen. Auf telefonischen richterlichen Hinweis im Verfahren RO 4 S 20.2817 sicherte die Beklagte zu, dass die zum damaligen Zeitpunkt geltenden Ausnahmen von der Maskenpflicht nach § 2 8. BayIfSMV von ihr auch für die im Bescheid angeordnete Maskenpflicht bei der Versammlung am 18.11.2020 beachtet werden würden, woraufhin die Beteiligten übereinstimmende Erledigungserklärungen abgegeben haben. Das Gericht hat das Verfahren RO 4 S 20.2817 daraufhin mit Beschluss vom 16.12.2020 eingestellt. Das ursprüngliche Anfechtungsbegehren haben die Kläger in eine Fortsetzungsfeststellungsklage umstellen lassen.
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Zur Begründung haben die Kläger im Wesentlichen vorbringen lassen: Das Fortsetzungsfeststellungsinteresse ergebe sich aus einer Wiederholungsgefahr. Die Pandemie sei noch nicht vorbei. Auch seien die Kläger weiter politisch aktiv und führten Versammlungen durch. Stets ergingen grundrechtsverletzende Auflagen zur Bedeckung der Atemwege. Die Maskenpflicht zähle zu den sog. „Basisschutzmaßnahmen“. Eine erneute Anordnung im Freien sei zu befürchten, dies spätestens im Herbst, wenn auch das allgemeine Erkrankungsgeschehen wieder etwas zunehme. In der Hauptsache sei bislang noch nicht über die Rechtmäßigkeit einer solchen Anordnung entschieden worden. Die Kläger hätten zudem deshalb ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse, weil es sich bei der angeordneten Maskenpflicht um einen tiefgreifenden Grundrechtseingriff gehandelt habe. Es sei der Wesensgehalt des Versammlungsgrundrechts betroffen, weil die Möglichkeit einer offenen Kommunikation als Mittel der kollektiven Kundgabe von Meinungen durch die Maske nicht mehr möglich sei. Dies werde vorliegend dadurch verstärkt, dass die Versammlung unter dem Motto „Aufklärung zum Thema Corona-Fakten“ ergangen sei. Die Versammlungsteilnehmer seien durch das Tragen der Maske gezwungen worden, genau das Gegenteil ihres Anliegens zu veranschaulichen. Viele potentielle Versammlungsteilnehmer seien durch die Maskenpflicht abgeschreckt worden. Die Maskenpflicht habe in dieser Konstellation wie ein Versammlungsverbot gewirkt. Die Klage sei zudem begründet. Eine ausreichende gesetzliche Grundlage für den Erlass der Maskenpflicht sei nicht gegeben gewesen. Die Maskenpflicht sei außerdem mit Infektionsschutzgründen nicht zu rechtfertigen gewesen. Die Beklagte habe im Freien nicht von einer relevanten Ansteckungsgefahr ausgehen dürfen. Der Kläger legte zur Frage einer Ansteckungsgefahr verschiedene (wissenschaftliche) Berichte und Stellungnahmen vor.
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Die Kläger haben einen Antrag nicht explizit formuliert. Sinngemäß beantragen sie,
festzustellen, dass die Anordnungen in Nr. 2j und 2k des Bescheids der Beklagten vom 18.11.2020 rechtswidrig waren.
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Die Beklagte beantragt,
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Die Klage sei bereits unzulässig. Dies schon deshalb, weil die ursprünglich erhobene Anfechtungsklage nicht zulässig gewesen wäre. Eine Rechtsverletzung sei nicht substantiiert dargelegt worden. Eine Separierung einzelner Versammlungsteilnehmer bei der Versammlung habe nicht stattgefunden. Zudem fehle es an einer Wiederholungsgefahr. Die Beklagte verwies hierzu auf die zum Zeitpunkt ihres Vorbringens geltenden Regelungen der 12. Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (12. BayIfSMV). Einen Antrag hätten die Kläger nicht gestellt. Die Klage sei zudem unbegründet. Die Maskenpflicht sei ermessensgerecht unter Berücksichtigung des Einzelfalls zum Schutz vor Infektionsgefahren angeordnet worden.
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Mit bei Gericht am 25.3.2022, 29.3.2022 und 31.3.2022 eingegangenen Schriftsätzen haben die Beteiligten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil erklärt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte mit den eingereichten Schriftsätzen und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen. Die Gerichtsakte im Verfahren RO 4 S 20.2817 wurde zum Verfahren beigezogen.
Entscheidungsgründe
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Die erhobene Klage, über die das Gericht mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte, § 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), und die das Gericht dahingehend auslegt, § 88 VwGO, dass die Kläger die Feststellung begehren, dass die in Nr. 2j und 2k des Bescheids der Beklagten vom 18.11.2020 angeordnete Maskenpflicht rechtswidrig war, § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO, hat keinen Erfolg. Sie erweist sich bereits als unzulässig. Zwar genügt die Klage den Anforderungen des § 82 Abs. 1 VwGO (dazu 1.), jedoch fehlt es an einem berechtigten Interesse an der begehrten Feststellung (dazu 2.).
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1. Die erhobene Klage erweist sich nicht bereits deshalb als unzulässig, weil die Kläger einen (Feststellungs-)Antrag nicht explizit formuliert haben. Die Kläger haben im Zuge der zunächst erhobenen Anfechtungsklage ausdrücklich die Aufhebung der Anordnungen in Nr. 2j und 2k des Bescheids der Beklagten vom 18.11.2020 beantragt. Nach ergangenem Hinweis des Gerichts zur Erledigung haben sie vortragen lassen, dass an der Anfechtungsklage als Fortsetzungsfeststellungsklage festgehalten werde. Dass sie in diesem Zuge einen Antrag nicht explizit formuliert haben, erachtet das Gericht als unschädlich. Das Klagebegehren i.S.d. § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist damit gleichwohl hinreichend bezeichnet. § 82 Abs. 1 Satz 2 VwGO schreibt vor, dass die Klage einen bestimmten Antrag lediglich enthalten soll.
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2. Die Klage erweist sich jedoch deshalb als unzulässig, weil die Kläger ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung nicht haben geltend machen können; dies weder unter dem Aspekt einer Wiederholungsgefahr (dazu a)) noch unter dem Aspekt eines tiefgreifenden Grundrechtseingriffs bei typischerweise kurzfristiger Erledigung (dazu b)). Auch sonst ist für ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung weder etwas ersichtlich noch vorgetragen (dazu c)).
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Hat sich ein Verwaltungsakt vor Urteilsausspruch durch Zurücknahme oder anders erledigt, spricht das Gericht gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO durch Urteil aus, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat. Aus dem Wortlaut des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO und dem systematischen Zusammenhang mit § 42 VwGO ergibt sich, dass die Verwaltungsgerichte nur ausnahmsweise für die Überprüfung erledigter Verwaltungsakte in Anspruch genommen werden können (BVerwG, 16.5.2013 – 8 C 14/12 – juris Rn. 30). Nach dem Wegfall der mit dem Verwaltungsakt verbundenen Beschwer wird gerichtlicher Rechtsschutz grundsätzlich nur zur Verfügung gestellt, wenn der Kläger ein berechtigtes rechtliches, wirtschaftliches oder ideelles Interesse – das über das bloße Interesse an der Klärung der Rechtswidrigkeit der Verfügung hinausgehen muss – an einer nachträglichen Feststellung der Rechtswidrigkeit der erledigten Maßnahme hat (BVerwG a.a.O.). Ein solches Interesse ist typischerweise in den anerkannten Fallgruppen der Wiederholungsgefahr, des Rehabilitationsinteresses sowie der Absicht zum Führen eines Schadensersatzprozesses gegeben, kann aber auch aus anderen besonderen Umständen des Einzelfalls hergeleitet werden, sofern die gerichtliche Entscheidung geeignet ist, die klägerische Position in rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Hinsicht zu verbessern (BVerwG, B.v. 25.6.2019 – 6 B 154/18 – juris Rn. 5). Ferner kann auch die Art eines mit der Klage gerügten Eingriffs, insbesondere im grundrechtlich geschützten Bereich, verbunden mit dem durch Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) garantierten Anspruch auf effektiven Rechtsschutz, die Anerkennung eines Feststellungsinteresses rechtfertigen, wenn sich die unmittelbare Belastung durch den schwerwiegenden Hoheitsakt auf eine Zeitspanne beschränkt, in der die Entscheidung des Gerichts kaum zu erlangen ist (BVerwG, B.v. 25.6.2019 – 6 B 154/18 – juris Rn. 5). Das Bestehen eines berechtigten Interesses hat das Gericht grundsätzlich von Amts wegen zu ermitteln, § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO (Riese in Schosch/Schneider, VwGO, Stand Juli 2021, § 113 Rn. 122). Es ist aber Sache des Klägers, die Umstände vorzutragen, aus denen sich sein Feststellungsinteresse ergibt und dies so substantiiert zu tun, dass das Gericht das Vorliegen eines entsprechenden Interesses beurteilen kann (vgl. Wolff in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 113 Rn. 267). Bietet sich nach dem Vorbringen des Klägers kein Anhaltspunkt für ein berechtigtes Interesse, kann das Gericht die Fortsetzungsfeststellungsklage ohne weitere Aufklärung als unzulässig abweisen (vgl. Riese a.a.O., § 113 Rn. 122). Als Sachentscheidungsvoraussetzung muss das Fortsetzungsfeststellungsinteresse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vorliegen (BVerwG., U.v. 16.5.2013 – 8 C 14/12 – juris Rn. 20). Ob die Voraussetzungen einer der genannten Fallgruppen vorliegen, beurteilt sich nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalles und ist einer verallgemeinerungsfähigen Klärung nicht zugänglich; dies gilt auch bei Klagen gegen erledigte versammlungsrechtliche Beschränkungen (BVerwG, B.v. 25.6.2019 – 6 B 154/18 – juris Rn. 6; BayVGH, B.v. 21.9.2020 – 10 ZB 20.1829 – juris Rn. 18).
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a) Die von den Klägern geltend gemachte Wiederholungsgefahr besteht aus Sicht des Gerichts nicht.
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Eine das Fortsetzungsfeststellungsinteresse gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO begründende Wiederholungsgefahr ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts immer dann anzunehmen, wenn die hinreichende Gefahr besteht, dass unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen erneut ein gleichartiger Verwaltungsakt ergehen wird (stRspr, vgl. BVerwG, B.v. 25.4.2019 – 8 B 3/18 – juris Rn. 3). Erforderlich ist daher nicht nur die konkrete Gefahr, dass künftig ein vergleichbarer Verwaltungsakt erlassen wird, sondern es müssen die für die Beurteilung maßgeblichen rechtlichen und tatsächlichen Umstände im Wesentlichen unverändert geblieben sein (BVerwG, U.v. 16.5.2013 – 8 C 14/12 – juris Rn. 21). Die Fallgruppe der Wiederholungsgefahr beruht auf der Annahme, dass sich die Behörde in sich stellenden vergleichbaren Fällen entsprechend der gerichtlichen Beurteilung verhalten wird (vgl. Wolff in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 113 Rn. 270; Riese in Schosch/Schneider, VwGO, Stand Juli 2021, § 113 Rn. 127). Angesichts des verfassungsrechtlich geschützten Rechts des Veranstalters einer Versammlung, über das Ziel sowie die Art und Weise der Durchführung der Versammlung selbst zu bestimmen, darf für die Bejahung des Feststellungsinteresses nicht verlangt werden, dass die möglichen weiteren Versammlungen unter gleichen Umständen, mit einem identischen Motto und am selben Ort durchgeführt werden (BVerfG a.a.O.). Es reicht aus, dass der Wille des Betroffenen erkennbar ist, in Zukunft Versammlungen abzuhalten, die ihrer Art nach zu den gleichen Rechtsproblemen und damit der gleichen Beurteilung ihrer Rechtmäßigkeit führen können (BVerfG, B.v. 8.2.2011 – 1 BvR 1946/06 – juris Rn. 23). Jedoch sind Anhaltspunkte dafür zu fordern, dass die Behörde das Verbot solcher weiteren Versammlungen oder die Beschränkung ihrer Durchführung voraussichtlich wieder mit den gleichen Gründen rechtfertigen wird (BVerfG a.a.O.).
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Unter Heranziehung dieser Grundsätze ist vorliegend keine Wiederholungsgefahr gegeben, weil zum Entscheidungszeitpunkt des Gerichts nicht ersichtlich ist, dass sich eine Versammlungssituation unter den damaligen tatsächlichen (dazu aa)) und rechtlichen (dazu bb)) Rahmenbedingungen vom 18.11.2020 bzw. damit vergleichbaren Bedingungen (vgl. auch VG Aachen, U.v. 22.6.2021 – 6 K 2734/20 – juris Rn. 31) wiederholen könnte.
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aa) Die Gefährdungslage durch das Coronavirus stellt sich zum Entscheidungszeitpunkt des Gerichts anders dar als zum Zeitpunkt des Bescheidserlasses am 18.11.2020. Zwar lag die 7-Tages-Inzidenz zum 18.11.2020 weit unter dem Bereich der aktuell und zum Entscheidungszeitpunkt bestehenden Inzidenzlage (vgl. Tägliche Lageberichte des RKI zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) vom 18.11.2020 und 3.5.2022, abrufbar unter RKI – Coronavirus SARS-CoV-2 – Aktuelle Situationsberichte, Wochenberichte und COVID-19-Trends im Überblick). Nach der aktuellen Lagebewertung des Robert-Koch-Instituts (RKI), dem der Gesetzgeber im Bereich des Infektionsschutzes mit § 4 Infektionsschutzgesetz (IfSG) besonderes Gewicht eingeräumt hat (vgl. BayVGH, B.v. 11.9.2020 – 10 CS 20.2064 – juris Rn. 25), ist in der aktuellen fünften (Omikron-)Welle die Zahl der schweren Krankheitsverläufe, bei gleichzeitig hohen Infektionszahlen, jedoch deutlich niedriger als in den ersten vier COVID-19-Wellen (vgl. hierzu und zum Folgenden: Wöchentlicher Lagebericht des RKI zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) vom 28.4.2022, abrufbar unter RKI – Coronavirus SARS-CoV-2 – Aktuelle Situationsberichte, Wochenberichte und COVID-19-Trends im Überblick). Den geringeren Anteil schwerer Erkrankungen führt das RKI zurück auf den zunehmenden Aufbau der Immunität in der Bevölkerung sowie den grundsätzlich geringeren Anteil schwerer Erkrankungen durch die Omikron-Variante. Damit ist die Gefährdungslage ausgehend durch das Coronavirus zum Zeitpunkt 18.11.2020 (zweite Corona-Welle) in ihrer Intensität nicht zu vergleichen mit der nunmehr bestehenden Situation der fünften Corona-Welle und der dabei weit überwiegend vorherrschenden Omikron-Variante. Mit zu berücksichtigen ist dabei auch der Umstand, dass zum Zeitpunkt 18.11.2020 noch kein zugelassener Impfstoff existiert hatte bzw. ein solcher noch nicht verabreicht worden war. Erste Impfungen wurden in Deutschland am 26.12.2020 verabreicht (vgl. Täglicher Lagebericht des RKI zur Corona-Krankheit-2019 (COVID-19) vom 3.5.2022, abrufbar unter RKI – Coronavirus SARS-CoV-2 – Aktuelle Situationsberichte, Wochenberichte und COVID-19-Trends im Überblick).
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bb) Auch die rechtlichen Rahmenbedingungen haben sich im Vergleich zur Situation am 18.11.2020 maßgeblich verändert.
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Mit Gesetz zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes und anderer Vorschriften vom 18.3.2022, in Kraft seit 19.3.2022 (BGBl. I 2022, S. 466), hat der Gesetzgeber die Regelungen zu § 28a Abs. 7 und 8 IfSG neu gefasst. Danach ist eine Maskenpflicht unabhängig vom lokalen Infektionsgeschehen grundsätzlich nur noch in bestimmten Bereichen bzw. zum Schutz vulnerabler Personen vorgesehen, § 28a Abs. 7 IfSG (vgl. auch § 2 16. BayIfSMV), und sind weitergehende Schutzmaßnahmen (u.a. eine weitergehende Maskenpflicht) an die Feststellung einer konkreten Gefahr nach § 28a Abs. 8 IfSG – wovon das Land Bayern bislang keinen Gebrauch gemacht hat – geknüpft. Damit ist die Maskenpflicht, im Gegensatz zur am 18.11.2020 geltenden Rechtslage, in weiten Teilen entfallen.
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Eine Änderung, zuletzt als Reaktion auf bzw. als Anpassung an die Änderungen im IfSG, haben auch die infektionsschutzrechtlichen Sonderregelungen in der BayIfSMV erfahren. Die Beklagte stützte die Anordnungen zur Maskenpflicht in Nr. 2j und 2k des Bescheids vom 18.11.2020 maßgeblich auf die Vorschriften der zum damaligen Zeitpunkt geltenden 8. BayIfSMV. Diese beinhaltete in § 7 gesonderte infektionsschutzrechtliche Regelungen für Versammlungen im Sinne des Bayerischen Versammlungsgesetzes, wobei nach § 7 Abs. 1 Satz 3 für Versammlungen unter freiem Himmel ab einer Teilnehmerzahl von 200 Personen in der Regel eine Maskenpflicht anzuordnen war. Mit der Verordnung zur Änderung der 15. Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (15. BayIfSMV) vom 18.3.2022 (BayMBl. 2022 Nr. 176) wurden die Sonderregelungen für Versammlungen insgesamt aufgehoben. Insoweit unterscheidet sich die vorliegende Sachverhaltskonstellation auch von derjenigen, über die das Sächsische Oberverwaltungsgericht mit Urteil vom 16.12.2021 (Az.: 3 C 20/20 – juris) in Bezug auf das Mindestabstandsgebot zu entscheiden hatte. In der Begründung der Verordnung zur Änderung der 15. BayIfSMV vom 18.3.2022 (BayMBl. 2022 Nr. 177) führte der Verordnungsgeber in diesem Zusammenhang als Grund für das Entfallen der Sonderregelungen den Entfall der Kapazitätsbeschränkungen an.
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Damit sind auch die rechtlichen Rahmenbedingungen für den Erlass einer Maskenpflicht nicht mit der Situation am 18.11.2020 vergleichbar.
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Das Gericht verkennt bei seiner Beurteilung nicht, dass es ausgehend von den derzeitigen tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen nicht von vornherein ausgeschlossen ist, dass für Versammlungen im Einzelfall eine Maskenpflicht angeordnet werden könnte (vgl. insoweit auch die Klarstellung des bayerischen Verordnungsgebers in der Begründung der Verordnung zur Änderung der 15. BayIfSMV, unter Berufung auf BVerfG, B.v. 30.8.2020 – 1 BvQ 94/20, BayMBl. 2022 Nr. 177). Die tatsächlichen und rechtlichen Bedingungen für den Erlass einer solchen Anordnung stellen sich zum Entscheidungszeitpunkt des Gerichts aber anders dar als zum Zeitpunkt des Bescheidserlasses am 18.11.2020. Die Anordnung einer Maskenpflicht wäre an den veränderten tatsächlichen und rechtlichen Maßstäben zu messen.
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Damit fehlt es an einer Wiederholungsgefahr, die ein berechtigtes Interesse an der Feststellung begründen könnte.
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b) Auch vermag das Gericht ein berechtigtes Interesse unter dem Gesichtspunkt eines tiefgreifenden, sich kurzfristig erledigenden Grundrechtseingriffs in der vorliegenden Sachverhaltskonstellation nicht zu erkennen.
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Das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz, Art. 19 Abs. 4 GG, gebietet es, die Möglichkeit einer gerichtlichen Klärung in Fällen tiefgreifender, allerdings in tatsächlicher Hinsicht überholter Grundrechtseingriffe zu eröffnen, wenn die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt sich nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene eine gerichtliche (Hauptsache-) Entscheidung kaum erlangen kann (BVerfG, B.v. 30.4.1997 – 2 BvR 817/90 – juris Rn. 49; B.v. 3.3.2004 – 1 BvR 461/03 – juris Rn. 28; BVerwG, B.v. 25.6.2019 – 6 B 154/18 – juris Rn. 5; BayVGH, U.v. 10.7.2018 – 10 BV 17.2405 – juris Rn. 31, bestätigt durch BVerwG, B.v. 25.6.2019 – 6 B 154/18 – juris). Maßgebend ist dabei, ob die kurzfristige, eine Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage ausschließende Erledigung sich aus der Eigenart des Verwaltungsakts selbst ergibt (BVerwG U.v. 20.6.2013 – 8 C 39/12 – juris Rn. 29), was für versammlungsrechtliche Maßnahmen – wie vorliegend – grundsätzlich zu bejahen ist (Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, § 113 Rn.122). Auch kann die Fallgruppe einer typischerweise kurzfristigen Erledigung nicht deshalb verneint werden, weil der Betroffene Rechtsschutz in einem Eilverfahren erlangen konnte und gegebenenfalls erlangt hat. Denn Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG gewährt nach Maßgabe der Sachentscheidungsvoraussetzungen einen Anspruch auf Rechtsschutz in der Hauptsache und nicht nur auf Rechtsschutz in einem Eilverfahren (BVerfG, B.v. 3.3.2004 – 1 BvR 461/03 – juris Rn. 29 ff.; BVerwG, U.v. 20.6.2013 – 8 C 39/12 – juris Rn. 29). Hingegen kommt es nicht mehr darauf an, dass es sich um einen Eingriffsakt handelt, der wegen seiner typischerweise kurzfristigen Erledigung kaum einer gerichtlichen Entscheidung zugeführt werden kann, wenn die in Streit stehende Anordnung keinen gewichtigen Eingriff in ein Grundrecht zu begründen vermochte (vgl. BayVGH, B.v. 13.3.2017 – 10 ZB 16.965 – juris Rn. 10). Dementsprechend ist nach der Rechtsprechung nicht jeder Eingriff in die Versammlungsfreiheit geeignet, ein entsprechendes Fortsetzungsfeststellungsinteresse zu begründen, sondern nur dann, wenn die angegriffene Maßnahme die Versammlungsfreiheit schwer beeinträchtigt hat (BVerfG, B.v. 3.3.2004 – 1 BvR 461/03 – juris Rn. 36; BayVGH, U.v. 10.7.2018 – 10 BV 17.2405 – juris Rn. 31, bestätigt durch BVerwG, B.v. 25.6.2019 – 6 B 154/18 – juris).
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Eine solch schwerwiegende Beeinträchtigung ist grundsätzlich anzunehmen bei einem Versammlungsverbot oder einer Versammlungsauflösung als den schwersten möglichen Beeinträchtigungen der Versammlungsfreiheit (BVerfG, B.v. 3.3.2004 – 1 BvR 461/03 – juris Rn. 37; BayVGH, U.v. 10.7.2018 – 10 BV 17.2405 – juris Rn. 31). Daneben wird man eine schwerwiegende Beeinträchtigung regelmäßig auch dann annehmen können, wenn die Versammlung zwar durchgeführt werden konnte, aber aufgrund von Auflagen nur in einer Weise, die ihren spezifischen Charakter verändert, insbesondere die Verwirklichung ihres kommunikativen Anliegens wesentlich erschwert hat (BVerfG a.a.O., Rn. 38; BayVGH a.a.O., Rn. 31). Demgegenüber ist ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse nicht begründet, wenn die Abweichungen bloße Modalitäten der Versammlungsdurchführung betroffen haben (BVerfG a.a.O., Rn.38; BayVGH a.a.O., Rn. 31: z. B. das Skandieren bestimmter Parolen).
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Vor diesem Hintergrund ist vorliegend nicht von einer schwerwiegenden Beeinträchtigung durch die angeordnete Maskenpflicht, die ein Feststellungsinteresse begründen würde, auszugehen. Der durch die Maskenpflicht bewirkte Grundrechtseingriff betrifft die Versammlungsfreiheit nicht in ihrem Kernbereich (vgl. BayVGH, B.v. 20.7.2021 – 25 NE 21.1814 – juris Rn. 42). Die Möglichkeit zur aktiven Teilnahme an der Versammlung wurde durch die getroffenen Anordnungen nicht berührt (vgl. BayVGH, B.v. 28.1.2022 – 10 CS 22.233 – juris Rn. 30). Auch war es den Teilnehmern dadurch weiterhin möglich, ihren Standpunkt zum Thema Corona kundzutun und dafür einzustehen (vgl. BayVGH B.v. 28.1.2022 a.a.O., Rn. 30; B.v. 20.7.2021 a.a.O., Rn 42). Die Ansicht der Kläger, dass Kritik an den Corona-Maßnahmen bei gleichzeitiger Pflicht zum Tragen einer Maske nicht geäußert werden könnte, teilt das Gericht insoweit nicht. Eine wesentliche Erschwerung der Verwirklichung des kommunikativen Anliegens liegt in der angeordneten Maskenpflicht nicht (so auch VG Würzburg, B.v. 31.1.2022 – W 5 S 22.157). Vielmehr handelt es sich dabei um Modalitäten der Versammlungsdurchführung, die den Versammlungszweck nicht gefährdet haben. Tiefgreifende Eingriffe in sonstige Grundrechte der Versammlungsteilnehmer, insbesondere das Recht auf körperliche Unversehrtheit und das Allgemeine Persönlichkeitsrecht, waren mit der Maskenpflicht ebenfalls nicht verbunden (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 20.7.2021 a.a.O.; die Beklagte hatte auch vorliegend telefonisch vor Versammlungsbeginn zugesichert, Ausnahmen für Personen zuzulassen, die aus gesundheitlichen Gründen keine Maske tragen können).
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c) Für ein sonstiges berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung, insbesondere unter dem Aspekt eines Rehabilitationsinteresses (zu dessen Voraussetzungen s. BayVGH, U.v. 10.7.2018 – 10 BV 17.2405 – juris Rn. 28) oder der Absicht zum Führen eines Schadensersatzprozesses, haben die Kläger nichts dargelegt und derartiges ist für das Gericht im Übrigen auch nicht ersichtlich.
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Die gerichtliche Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).