Titel:
Fortsetzungsfeststellungsklage: Feststellung der Rechtswidrigkeit eines polizeilichen Platzverweises
Normenkette:
BayPAG Art. 16 Abs. 1 Nr. 1
Leitsatz:
Ein berechtigtes ideelles Interesse wegen Rehabilitation besteht regelmäßig, wenn sich aus der angegriffenen Maßnahme eine Stigmatisierung des Betroffenen ergibt, die geeignet ist, sein Ansehen in der Öffentlichkeit bzw. im sozialen Umfeld herabzusetzen. Es reicht regelmäßig nicht, dass der Betroffene selbst die Maßnahme als Diskriminierung empfunden hat, vielmehr ist eine objektive Beurteilung eines objektiven Außenstehenden heranzuziehen. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Platzverweis, Fortsetzungsfeststellungsklage, Zulässigkeit, Fortsetzungsfeststellungsinteresse, Rehabilitationsinteresse, Versammlung, Klimakrise, Flashmob
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 10.01.2023 – 10 ZB 22.1328
Fundstelle:
BeckRS 2022, 41988
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit eines dem Kläger erteilten Platzverweises.
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Der Kläger hielt sich am 22. Februar 2020 etwa zwischen 14.40 Uhr und 15.00 Uhr zusammen mit weiteren Personen am Odeonsplatz in München auf. Zwischen 13.00 und 14.00 Uhr fand auf dem Odeonsplatz eine Versammlung zur Klimakrise („Flashmob“), in deren Anschluss noch eine weitere Versammlung („anonymous for the voiceless“), statt. Der 22. Februar 2020 war zudem der Todestag der Geschwister Scholl. Der Kläger fertigte vor der Feldherrnhalle (eine) Fotografie(n) von vier ihn begleitenden Personen, die allesamt schwarz gekleidet waren. Nachdem Polizeibeamte von Dritten darauf aufmerksam gemacht wurden, dass sie den Kläger gesichtet hatten und fotografierte Personen vor der Feldherrnhalle „strammstanden“, wodurch sie provoziert würden, wurden sie einer Personenkontrolle unterzogen. Dem Kläger wurde ein Platzverweis für den Odeonsplatz erteilt, den er befolgte.
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Am 24. Februar 2020 beantragte der Kläger die schriftliche Begründung der Maßnahme; der Bitte wurde durch Schreiben des Polizeipräsidiums M. vom ... März 2020 entsprochen. Der Kläger habe die ihn begleitenden Personen vor der Feldherrnhalle in strammstehender Pose fotografiert. Aufgrund des geschichtlichen Hintergrunds der Feldherrnhalle und des an diesem Tag stattfindenden Gedenkens an den Todestag der Geschwister Scholl sei nach polizeilichen Erfahrungen und den Gesamtumständen aus Sicht der Polizeibeamten vor Ort eine Gefahrenlage gegeben gewesen. Auch zur Verhütung von Provokationen sei der Kläger des Platzes verwiesen worden.
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Durch Schriftsatz vom ... Mai, eingegangen am 11. Mai 2020, erhob der Klägerbevollmächtigte Klage zum Verwaltungsgericht München mit dem Antrag:
Es wird festgestellt, dass der Platzverweis des Beklagten vom 22. Februar 2020 rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt.
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Dies wurde, auch unter Vorlage eines Fotos der Gruppe vor der Feldherrnhalle, im Wesentlichen damit begründet, dass die Fortsetzungsfeststellungsklage jedenfalls wegen Rehabilitationsinteresses bzw. schweren Grundrechtseingriffs zulässig sei. Eine konkrete Gefahr habe nicht bestanden. Die Gruppe habe nicht strammgestanden, es habe keine Provokation stattgefunden und es sei auch nicht die nationalsozialistische Gewaltherrschaft verherrlicht worden. Es habe gar keine Anhaltspunkte dafür gegeben, dass die andere Personengruppe den Kläger und die Bekannten, sämtlich Touristen, wahrgenommen habe. Auch wenn dem so gewesen wäre, sei nach Fertigung des Fotos jegliche „Gefahr“ beendet gewesen und es habe keinerlei Anhaltspunkte für Wiederholungen gegeben, sodass die polizeiliche Prognose fehlerhaft gewesen sei.
6
Eine „Ehrerbietung“ mit geschichtlichem Bezug sei schon deswegen nicht erfolgt, da die Personengruppe nicht in Richtung Feldherrnhalle geblickt habe. Die Polizisten hätten nur deswegen gehandelt, weil die andere Gruppierung aus dem linken Lager auf den Kläger aufmerksam gemacht habe. Der Kläger sei nur wegen seiner Gesinnung herausgegriffen worden.
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Durch Schriftsatz vom 7. August 2020 beantragte der Beklagte die Klage abzuweisen.
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Dies wurde im Wesentlichen damit begründet, dass die Klage mangels relevanten Fortsetzungsfeststellungsinteresses unzulässig sei. Ungeachtet dessen habe POM H. gesehen, dass zumindest die auf dem Foto zu sehende Person ganz rechts „wie bei der Bundeswehr“ strammgestanden habe. Weiter wurde auf die im Kriminalaktennachweis über den Kläger erfassten Vorgänge und auf die geschichtliche Bedeutung der Feldherrnhalle abgestellt sowie auf die Tatsache, dass es sich nicht um eine übliche Touristengruppe gehandelt habe, sondern auch für Unbefangene die Gruppe eindeutig der rechten Szene zuzuordnen gewesen und entgegen der Klagebegründung auch als solche erkannt worden sei. Aufgrund der Vorerkenntnisse über den Kläger könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Zeitpunkt des Erscheinens rein zufällig gewesen sei. Unabhängig hiervon sei die Maßnahme jedenfalls deswegen gerechtfertigt gewesen, als es darum gegangen sei, Provokationen zwischen den präsenten Gruppen in Form von (verbalen) Auseinandersetzungen zu verhindern. Die Maßnahme habe nicht an die Gesinnung des Klägers angeknüpft.
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Am 16. Februar 2022 fand die mündliche Verhandlung statt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die übermittelte Behördenakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zwar analog § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO zulässige Fortsetzungsfeststellungsklage bleibt indes in der Sache ohne Erfolg. Die polizeiliche Maßnahme war rechtmäßig und verletzte den Kläger sonach nicht in seinen Rechten.
12
Im Rahmen der Zulässigkeit der Klage lässt es das Gericht dahinstehen, inwieweit sich - was mit dem Beklagten als zweifelhaft erscheint - der Kläger auf konkrete Wiederholungsgefahr bzw. einen besonders schweren Grundrechtseingriff stützen kann, er kann jedoch ein relevantes Fortsetzungsfeststellungsinteresse in Form eines Rehabilitationsinteresses aufgrund der öffentlichen Wirkung des Platzverweises auf dem Odeonsplatz beanspruchen. Ein berechtigtes ideelles Interesse wegen Rehabilitation besteht regelmäßig, wenn sich aus der angegriffenen Maßnahme eine Stigmatisierung des Betroffenen ergibt, die geeignet ist, sein Ansehen in der Öffentlichkeit bzw. im sozialen Umfeld herabzusetzen (vgl. BVerwG, U. v. 4.3.1976 - 1 WB 54.74 - BVerwGE 53, 134/138 f.; U. v. 16.5.2013 - 8 C 14.12 - juris Rn. 25; U. v. 20.6.2013 - 8 C 39.12 - juris Rn. 24). Diese Stigmatisierung muss Außenwirkung erlangt haben und noch in der Gegenwart andauern (vgl. BVerwG, B. v. 4.10.2006 - 6 B 64.06 - juris Rn. 10; BVerwG, U. v. 16.5.2013 - 8 C 14.12 - juris Rn. 25; BVerwG, U. v. 20.6.2013 - 8 C 39.12 - juris Rn. 24; BayVGH, B.v. 12.5.2015 - 10 ZB 13.629 - juris Rn.13). Es reicht regelmäßig nicht, dass der Betroffene selbst die Maßnahme als Diskriminierung empfunden hat, vielmehr ist eine objektive Beurteilung eines objektiven Außenstehenden heranzuziehen.
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Nachdem auf dem Odeonsplatz im Zeitpunkt des Platzverweises verschiedene Außenstehende die polizeiliche Maßnahme mitbekommen hatten, handelte es sich bei dem Platzverweis um eine zweifelsohne öffentlichkeitswirksame Maßnahme, hinsichtlich derer es dem Kläger grundsätzlich offenstehen muss, sich im Rahmen eines Klageverfahrens zu rehabilitieren.
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Indes bleibt die Klage in der Sache ohne Erfolg, da der gemäß Art. 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 PAG gegen den Kläger auf dem Odeonsplatz für den 22. Februar 2020 ergangene Platzverweis rechtmäßig war. Nach Abhaltung der mündlichen Verhandlung ist das Gericht überzeugt (§ 108 Abs. 1 VwGO), dass die Maßnahme präventiv ergehen durfte, zumindest um die konkrete Gefahr von unmittelbar bevorstehenden Auseinandersetzungen zwischen den auf dem Odeonsplatz befindlichen Gruppierungen aus unterschiedlichen politischen Lagern effektiv zu verhindern. Die Maßnahme diente damit jedenfalls der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung angesichts einer konkreten Gefahr.
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Bei vernünftiger Würdigung der Gesamtumstände durfte die Polizei davon ausgehen, dass es ohne ihr Eingreifen zu verbalen oder auch körperlichen Auseinandersetzungen kommen würde. Es ist aufgrund polizeilicher Erfahrungswerte nachvollziehbar, dass Personen der gegnerischen Gruppe den Kläger und seine Begleiter selbst auf das „Strammstehen“ vor dem geschichtlichen Ort angesprochen und versucht hätten, dies zu unterbinden, was mit hoher Wahrscheinlichkeit mindestens zu verbalen Auseinandersetzungen bzw. Straftaten geführt hätte, hätte die Polizei nicht eingegriffen. Sie musste und durfte aufgrund eigener Beobachtung sowie der Beschreibung von Dritten von einer konkreten Gefahr ausgehen, die (maßgeblich auch) durch das Verhalten des Klägers und seiner Begleiter entstanden war, selbst wenn diese ihrerseits ihrem Auftreten eine andere Bedeutung zumaßen. Insbesondere durfte dabei die besondere Örtlichkeit vor der Feldherrnhalle berücksichtigt werden, ebenso der besondere Gedenktag, ebenso war das zu befürchtende Aufeinandertreffen verschiedener politischer Lager zu werten, um von einer Störung bzw. Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehen zu können, jedenfalls aber unter Gesichtspunkten einer Anscheinsgefahr, die der Rechtmäßigkeit der Anordnung nicht entgegensteht.
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Der Platzverweis war auch geeignet und angemessen, die bevorstehende Störung der öffentlichen Ordnung zu unterbinden bzw. einen Schaden für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu verhindern, dementsprechend war der vorübergehende Platzverweis die naheliegendste polizeiliche Maßnahme. Diese war auch verhältnismäßig gem. Art. 4 PAG, da sie ohnehin zeitlich und örtlich beschränkt war und damit nur unerheblich in die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) des Klägers eingriff. Der Maßnahme kommt wegen der zeitlichen und örtlichen Beschränkung auch kein weitergehender Bedeutungszusammenhang, wie etwa das thematisierte „allgemeine Fotoverbot“ für den Kläger, zu. Ermessensfehler (Art. 5 PAG) in persönlicher oder sachlicher Hinsicht sind nicht ersichtlich, gegen die von den beteiligten Polizeibeamten vorgenommene Störerauswahl ist nichts zu erinnern. Die Störerauswahl bemisst sich regelmäßig an der Effektivität der Gefahrenabwehr, insbesondere wenn es - wie hier - nicht um die Auswahl zwischen Zustands- und Handlungsstörern geht. Es mag zutreffen, dass zum damaligen Zeitpunkt mehrere Störer anzutreffen waren. Selbst dann ist es - auch wenn es der Kläger subjektiv abweichend bewerten mag - nicht zu beanstanden, wenn die Polizei aufgrund zweifelsohne bestehender Vorerkenntnisse über den Kläger und dessen Verhaltensweisen gerade diesen auswählt, um die Gefahr von Auseinandersetzungen effektiv zu verhindern, was im vorliegenden Fall in der Folge der Maßnahme auch der Fall war. Eine Störerhaftung wegen der Gesinnung vermag das Gericht daher nicht zu erkennen.
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Das Gericht lässt es demzufolge dahinstehen, ob - wie dies zumindest im Hinblick auf die auf dem Foto rechtsstehende Person von einem der beteiligten Polizeibeamten gesehen wurde - der Kläger und seine Begleiter tatsächlich vor einem geschichtlich belasteten Ort und an einem geschichtlich belasteten Datum (und den Platzverweis seinerseits rechtfertigend) durch ihr Tun Anhaltspunkte für eine Verherrlichung der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft zeigten. Jedenfalls aber wird dies durch das von Klageseite vorgelegte Foto entgegen der Beobachtung Dritter und eines Polizeibeamten nicht von vornherein und gleichsam selbstredend widerlegt, da es sich dabei allenfalls um eine Momentaufnahme in einem Verhaltenszusammenhang handelt.
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Die Klage war daher unter der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO und mit dem Ausspruch der vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO abzuweisen.