Inhalt

VG München, Beschluss v. 10.05.2022 – M 27 S 22.2039
Titel:

Falsche Angaben zu Vorstrafen im Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5
AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 2
AufenthG § 54 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a
Leitsätze:
1. Das Vorliegen eines Ausweisungsinteresses iSv § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG erfordert keine hypothetische Ausweisungsprüfung. Voraussetzung für die Erteilung eines Aufenthaltstitels ist in der Regel, dass kein Ausweisungstatbestand vorliegt, der gegenwärtig tatsächlich besteht und rechtlich noch verwertbar ist. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ausnahmefall von der Regel des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ist nur gegeben, wenn ein atypischer Geschehensablauf vorliegt, der so bedeutsam ist, dass er das jedenfalls sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regelvoraussetzung beseitigt. Es muss sich um eine Abweichung handeln, die die Anwendung des Regelfalls nach Sinn und Zweck und unter Beachtung höherrangigen Rechts als derart unverhältnismäßig erscheinen ließe, dass es unzumutbar wäre, an ihr festzuhalten (vgl. VGH München BeckRS 2017, 103788). (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Verwaltungsgerichte dürfen ohne weiteres in aller Regel von der Richtigkeit der Verurteilung ausgehen und die darin getroffenen Feststellungen ihrer Entscheidung zugrunde legen (vgl. VGH München BeckRS 2020, 30396). (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ausländerrecht, Vorliegen eines Ausweisungsinteresses, Falsche Angaben in Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis, Erfolgloser Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage, Ausnahmefall, Regelvoraussetzung, schwerwiegendes Ausweisungsinteresse, Ausweisungstatbestand, Verurteilung, langfristig Aufenthaltsberechtigter
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 20.01.2023 – 10 CS 22.1382
Fundstelle:
BeckRS 2022, 41987

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragsteller haben gesamtschuldnerisch die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf EUR 10.000,-- festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragsteller, kosovarische Staatsangehörige, begehren mit ihrem Antrag die Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnisse.
2
Der am … … … geborene Antragsteller zu 1 reiste am 10. Dezember 2012 erstmals in die Bundesrepublik Deutschland ein. Er hatte in der Republik Slowenien nach Aktenlage die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten inne (Bl. 12 der Behördenakte - BA -). Auf seinen Antrag hin wurde ihm am 12. Februar 2013 erstmals eine Aufenthaltserlaubnis nach § 38a AufenthG erteilt, die in der Folgezeit regelmäßig verlängert und zuletzt bis zum 21. November 2020 befristet wurde.
3
Die am … … … geborene Antragstellerin zu 2, die Ehefrau des Antragstellers zu 1, reiste am 17. August 2017 erstmals in die Bundesrepublik Deutschland ein. Auf ihren Antrag hin wurde ihr am 17. Oktober 2017 erstmals eine Aufenthaltserlaubnis nach § 30 AufenthG zum Familiennachzug erteilt, die in der Folgezeit regelmäßig verlängert und zuletzt bis zum 21. November 2020 befristet wurde.
4
Die Antragstellerin zu 3, Tochter der Antragsteller zu 1 und zu 2, wurde am … … 2019 in M. geboren. Am 7. Juni 2019 wurde ihr erstmals vom Landratsamt M. (Landratsamt) eine Aufenthaltserlaubnis nach § 33 AufenthG erteilt, die zuletzt bis zum 21. November 2020 befristet wurde.
5
Am 23. Oktober 2020 beantragten die Antragsteller zu 1 und zu 2 für sich und für die Antragstellerin zu 3 beim Landratsamt die Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnisse (Bl. 206 BA).
6
Der Antragsteller zu 4, Sohn der Antragsteller zu 1 und zu 2, wurde am … … 2021 in M. geboren. Mit Schreiben vom 16. Dezember 2021 wurde auch für ihn beim Landratsamt ein Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gestellt.
7
Ein gegen den Antragsteller zu 1 eingeleitetes Ermittlungsverfahren wurde von der Staatsanwaltschaft …  mit Verfügung vom 27. August 2019 nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. In dem Verfahren wurde dem Antragsteller vorgeworfen, eine andere Person beauftragt zu haben, für ihn den B1-Sprachtest abzulegen (Bl. 148 BA).
8
Mit seit dem 11. Juli 2020 rechtskräftigem Strafbefehl des Amtsgerichts … vom 18. Juni 2020 (Az. … … …19) wurde gegen den Antragsteller zu 1 wegen Anstiftung zur Urkundenfälschung eine Geldstrafe in Höhe von 90 Tagessätzen zu je € 30,00 verhängt (Bl. 169ff BA). Dem Strafbefehl liegt im Wesentlichen zu Grunde, dass der Antragsteller zu 1 im Jahr 2018 eine andere Person damit beauftragt hatte, für ihn den Sprachtest B1 zu absolvieren. Die andere Person legte hierzu den Ausweis des Antragstellers zu 1 vor, der mit dem Lichtbild der anderen Person überklebt worden war.
9
Mit Schreiben vom 5. August 2020 wurde der Antragsteller zu 1 ausländerrechtlich belehrt.
10
Mit seit dem 18. Oktober 2021 rechtskräftigem Strafbefehl des Amtsgerichts … vom 11. Juni 2021 (Az. … … …21) wurde gegen den Antragsteller zu 1 wegen Erschleichens eines Aufenthaltstitels eine Geldstrafe in Höhe von 120 Tagessätzen zu je € 30,00 verhängt (Bl. 265ff. BA). Dem Strafbefehl liegt im Wesentlichen zu Grunde, dass der Antragsteller zu 1 bei der Beantragung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis am 23. Oktober 2020 unrichtige Angaben gemacht und die Verurteilung aus dem Verfahren … … …19 nicht angegeben hatte.
11
Mit Schreiben vom 18. November 2021, dem Bevollmächtigten am 20. November 2021 zugestellt, und E-Mail vom 19. Januar 2022 wurden die Antragsteller angehört. Mit Schreiben vom .... Februar 2022 führte der Bevollmächtigte aus, der Tatbestand des schwerwiegenden Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG sei nicht erfüllt. Das versehentlich falsche Ausfüllen von Anträgen könne die öffentliche Sicherheit nicht gefährden. Der Antragsteller zu 1 habe nicht die Absicht gehabt, durch falsche Angaben einen Aufenthaltstitel zu erlangen. Es würden auch schwerwiegende Bleibeinteressen nach § 55 AufenthG, insbesondere § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG, bestehen. Der Antragsteller sei aufgrund seines langjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet überdurchschnittlich integriert und verfüge über Sprachkenntnisse auf dem Niveau B1. Bei der Familie sei eine Integration in das soziale und kulturelle Leben erfolgt. Bindungen zum Heimatland würden nicht mehr bestehen. Die Bleibeinteressen würden die Ausweisungsinteressen überwiegen.
12
Mit E-Mail vom 14. Februar 2022 fragte das Landratsamt beim Slowenischen Generalkonsulat M. nach, ob der Antragsteller zu 1 weiterhin die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten innehabe.
13
Mit Bescheid vom 15. März 2022 (Bl. 305ff. BA), zugestellt an den Bevollmächtigten am 18. März 2022, lehnte das Landratsamt die Anträge der Antragsteller zu 1 bis 3 auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis (Ziff. 1 und 2) sowie den Antrag des Antragstellers zu 4 auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ab (Ziff. 3). Die Antragsteller wurden verpflichtet, das Bundesgebiet innerhalb von 30 Tagen nach Vollziehbarkeit des Bescheids zu verlassen (Nr. 4). Für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde die Abschiebung in den Kosovo angedroht (Nr. 5). Ferner wurde für den Fall der Abschiebung ein Einreise- und Aufenthaltsverbot für ein Jahr, beginnend mit der Ausreise, angeordnet (Nr. 6). Zur Begründung wurde ausgeführt, die Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 38a Abs. 1 AufenthG komme nicht in Betracht, da der Antragsteller zu 1 nicht mehr in Besitz der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten sei. Nach Art. 9 Abs. 4 der RL 2003/108/EG sei die Rechtsstellung verloren gegangen, da er sich sechs Jahre lang nicht im slowenischen Hoheitsgebiet aufgehalten habe. Dem Amtsermittlungsgrundsatz sei ausreichend Rechnung getragen worden. Zudem sei der Lebensunterhalt nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG nicht gesichert. Der Antragsteller zu 1 habe gegen die Mitwirkungspflichten nach § 82 Abs. 1 AufenthG verstoßen. Ein atypischer Ausnahmefall liege nicht vor. Darüber hinaus bestünden Ausweisungsinteressen nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG i.V.m. § 53 Abs. 1 AufenthG, die nach § 54 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a, Nr. 9 AufenthG schwer wiegen. Der Antragsteller zu 1 habe falsche oder unvollständige Angaben zur Erlangung eines deutschen Aufenthaltstitels gemacht.
14
Mit Schriftsatz vom .... April 2022 erhob die jetzige Bevollmächtigte der Antragsteller für diese Klage gegen den Bescheid vom 15. März 2022 mit dem Ziel, diesen aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die Aufenthaltserlaubnisse der Antragsteller zu verlängern (M 27 K 22.2038). Zugleich beantragte sie,
15
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
16
Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, die Verurteilung wegen Erschleichens eines Aufenthaltstitels sei zu Unrecht erfolgt, da nicht der tatsächliche Sachverhalt ermittelt worden sei. Sie verwies auf anliegende eidesstattliche Versicherungen der Antragsteller zu 1 und zu 2 vom 6. April 2022. Dem Antragsteller zu 1 seien keine falschen Angaben vorzuwerfen, da dieser sich einer anwaltlichen Vertretung bedient habe und darauf vertrauen habe können, dass dieser die Anträge ordnungsgemäß ausfülle und prüfe. Im Strafverfahren habe der Antragsteller zu 1 darauf vertraut, dass sein Rechtsanwalt die Sache für ihn kläre. Es liege auch ein atypischer Fall vor. Wenn man von einem Erlöschen des slowenischen Aufenthaltsrechts ausginge, käme die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis in Betracht, die beantragt werden werde. Der Antragsteller zu 1 habe nachgewiesen, dass er seit 10 Jahren bei dem gleichen Arbeitgeber tätig sei. Daher sei auch ohne Vorlage aktueller Gehaltsnachweise von einer Sicherung des Lebensunterhalts auszugehen. Auch bei Unterstellung eines Ausweisungsinteresses wäre ein Abweichen von der Regel angezeigt, da der Antragsteller sich bis auf die beiden Verurteilungen straffrei verhalten habe und seit 10 Jahren bei demselben Arbeitgeber beschäftigt sei. Die Antragstellerin zu 2 lebe seit fast 5 Jahren im Bundesgebiet und habe im Sommer 2022 die Möglichkeit, eine Niederlassungserlaubnis zu erhalten. Die beiden Kinder der Familie seien hier geboren, es sei ein sehr harter Einschnitt, in den Kosovo ausreisen zu müssen. Der Ausgang des Klageverfahrens sei zumindest als offen zu beurteilen.
17
Mit E-Mail vom .... April 2022 beantragte die Bevollmächtigte zudem beim Landratsamt, dem Antragsteller zu 1 eine Niederlassungserlaubnis zu erteilen. Mit weiterer E-Mail vom selben Tag übersandte sie dem Landratsamt Gehaltsnachweise des Antragstellers zu 1 vom 1. Dezember 2021 (Auszahlungsbetrag € 3.078,96) und 9. März 2022 (Auszahlungsbetrag € 2.090,51) (Bl. 340 BA).
18
Mit Schriftsatz vom 25. April 2022 beantragte der Antragsgegner,
19
den Antrag abzulehnen.
20
Er führte im Wesentlichen aus, es wäre dem Antragsteller zu 1 möglich gewesen, die Umstände, die er in der eidesstattlichen Versicherung vom 6. April 2022 nennt, vor dem Amtsgericht … vorzubringen. Die Ausführungen böten keine Gewähr dafür, dass nicht von der Richtigkeit der strafgerichtlichen Entscheidung auszugehen sei. Es liege auch bei keinem der Antragsteller zu keinem Punkt ein atypischer Ausnahmefall vor. Die Rückkehrentscheidung belaste die Familie auch nicht unverhältnismäßig. Der Lebensunterhalt sei weiterhin nicht gesichert. Zwar seien mit E-Mail vom .... April 2022 Gehaltsabrechnungen vorgelegt worden, jedoch liege das monatliche Bruttogehalt aus Februar 2022 unterhalb des nach den Bestimmungen des Zweiten Buch Sozialgesetzbuch monatlichen Bedarfs der Antragsteller als Bedarfsgemeinschaft in Höhe von € 2.578,00. In Hinblick auf den mit E-Mail vom .... April 2022 gestellten Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis sei auf das Anhörungsschreiben vom 11. April 2022 (Bl. 343f BA) zu verweisen. Es sei beabsichtigt, diesen Antrag abzulehnen. Der kosovarische Reisepass der Antragstellerin zu 2 habe am 19. März 2022 seine Gültigkeit verloren. Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung überwiege das Interesse der Antragsteller an der Aussetzung der Vollziehung.
21
Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes auf die Akten des Verfahrens M 27 K 22.2038 sowie die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
22
Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO hat keinen Erfolg.
23
I. Der Antrag ist zulässig, jedoch unbegründet.
24
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung einer Klage ganz oder teilweise anordnen oder wiederherstellen. Hierbei trifft das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung, bei der es das private Interesse des Antragstellers an der Aussetzung der Vollziehung gegen das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheids abzuwägen hat. Wesentliches Indiz für eine Interessenabwägung sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache. Ergibt die im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO allein erforderliche summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage, dass die Klage voraussichtlich erfolglos bleiben wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid schon bei kursorischer Prüfung als rechtswidrig, so besteht kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei einer allgemeinen Interessenabwägung.
25
Nach der im Eilverfahren gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtslage im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ergibt sich, dass die Klage der Antragsteller voraussichtlich keinen Erfolg haben wird. Es überwiegt daher das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung. Auf die Begründung in dem angefochtenen Bescheid, der das Gericht folgt, wird entsprechend § 117 Abs. 5 VwGO Bezug genommen. Im Übrigen gilt Folgendes:
26
1. Der Antragsteller zu 1 hat nach summarischer Prüfung keinen Anspruch auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis nach § 38a AufenthG.
27
1.1. Es ist schon nicht ersichtlich, dass der Antragsteller zu 1 weiterhin die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten in Slowenien nach § 38a AufenthG innehat.
28
Nach Art. 9 Abs. 4 Unterabs. 2 der RL 2003/109/EG (Daueraufenthaltsrichtlinie) verliert eine Person ihre Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten, wenn sie sich sechs Jahre lang nicht im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats aufgehalten hat. Der Antragsteller zu 1 lebt nach Aktenlage seit dem 10. Dezember 2012 im Bundesgebiet. Er hat trotz Hinweis des Landratsamts auf diesen Umstand nicht nachgewiesen, dass seine Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten in Slowenien weiterhin besteht. Die Anfrage des Landratsamts beim Slowenischen Generalkonsulat M. vom 14. Februar 2022, ob der Antragsteller zu 1 weiterhin die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten innehabe, blieb nach Aktenlage unbeantwortet.
29
1.2. Darüber hinaus steht der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis entgegen, dass die Regelerteilungsvoraussetzung des Nichtbestehens eines Ausweisungsinteresses nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nicht erfüllt ist, da nach den §§ 53 Abs. 1, 54 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a AufenthG ein schwer wiegendes Ausweisungsinteresse besteht. Ein Ausweisungsinteresse wiegt nach § 54 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a AufenthG schwer, wenn der Ausländer in einem Verwaltungsverfahren, das von Behörden eines SchengenStaats durchgeführt wurde, im In- oder Ausland falsche oder unvollständige Angaben zur Erlangung eines deutschen Aufenthaltstitels gemacht hat.
30
Im vorliegenden Fall ist der Tatbestand des § 54 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a AufenthG erfüllt. Der Antragsteller zu 1 hat gegenüber der Ausländerbehörde bei der Antragstellung auf Erteilung eines deutschen Aufenthaltstitels am 23. Oktober 2020 im Antragsformular auf die konkrete Frage hin falsche Angaben zu seiner strafrechtlichen Vita gemacht. Der Antragsteller zu 1 hat die im Antragsformular enthaltene Frage, ob er wegen Rechtsverstößen verurteilt worden sei, verneint, obwohl gegen ihn mit rechtskräftigem Strafbefehl des Amtsgerichts … vom 18. Juni 2020 (Az. … … …19) wegen Anstiftung zur Urkundenfälschung eine Geldstrafe in Höhe von 90 Tagessätzen zu je € 30,00 verhängt worden war.
31
1.2.1. Das Vorliegen eines Ausweisungsinteresses im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG erfordert keine hypothetische Ausweisungsprüfung. Voraussetzung für die Erteilung eines Aufenthaltstitels ist in der Regel, dass kein Ausweisungstatbestand vorliegt, der gegenwärtig tatsächlich besteht und rechtlich noch verwertbar ist. Die Prüfung von Ausweisungsinteressen bei der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis dient dem Zweck, aktuell zu befürchtende Beeinträchtigungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung oder sonstiger erheblicher Interessen der Bundesrepublik Deutschland im Sinne von § 53 Abs. 1 AufenthG abzuwenden.
32
Eine gegenwärtige Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, die das schwer wiegende Ausweisungsinteresse nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 54 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a AufenthG begründet, ist im vorliegenden Fall, dass der Antragsteller zu 1 die zur Entscheidung berufene Ausländerbehörde über einen schwerwiegenden Belang betreffend die öffentliche Sicherheit und Ordnung getäuscht hat. Das Ausweisungsinteresse durch das Verschweigen, respektive die falsche Angabe zu der abgeurteilten Straftat stellt auch eine gegenwärtige Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dar, denn die Verurteilung des Antragstellers ist nicht tilgungsreif und somit bei der Prüfung des Ausweisungsinteresses nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG verwertbar (§ 58 i.V.m. § 53 Bundeszentralregistergesetz - BZRG).
33
Der Antragsteller zu 1 wurde zudem darauf hingewiesen, dass in dem Antrag alle Vorstrafen anzugeben sind und das Verschweigen von Vorstrafen strafrechtlich verfolgt werden kann (Bl. 206 BA) sowie, dass er bei falschen oder unvollständigen Angaben ausgewiesen werden kann (Bl. 208 BA). Gleichzeitig versicherte er mit seiner Unterschriftsleistung, seine vorstehenden Angaben nach bestem Wissen und Gewissen und vollständig gemacht zu haben (Bl. 208 BA).
34
1.2.2. Im Fall des Antragstellers zu 1 ist - in Bezug auf das sich aus § 54 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a AufenthG ergebende Ausweisungsinteresse - nicht ausnahmsweise von der Regel des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG abzuweichen. Ein derartiger Ausnahmefall ist nur gegeben, wenn ein atypischer Geschehensablauf vorliegt, der so bedeutsam ist, dass er das jedenfalls sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regelvoraussetzung beseitigt. Es muss sich um eine Abweichung handeln, die die Anwendung des Regelfalls nach Sinn und Zweck und unter Beachtung höherrangigen Rechts als derart unverhältnismäßig erscheinen ließe, dass es unzumutbar wäre, an ihr festzuhalten (vgl. BayVGH, B.v. 14.2.2017 - 10 ZB 15.2059 - juris Rn. 17 mit Verweis auf die Rspr. des BVerwG und die std. Rspr. des BayVGH).
35
Soweit die Bevollmächtigte der Antragsteller vorbringt, dem Antragsteller zu 1 seien keine falschen Angaben vorzuwerfen, da dieser sich bei der Antragstellung einer anwaltlichen Vertretung bedient habe und darauf vertrauen habe können, dass der damalige Rechtsanwalt die Anträge ordnungsgemäß ausfülle und prüfe, führt dies nicht zur Annahme eines atypischen Falles. Der Antragsteller zu 1 hat sich ein Verschulden seines Rechtsanwalts grundsätzlich wie eigenes Verschulden zurechnen zu lassen (vgl. § 85 Abs. 2 ZPO). Etwas Anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass der Antragsteller zu 1 sich auf eine Verkettung unglücklicher Umstände bei der Antragstellung beruft. Insbesondere besteht auch keine Beratungspflicht der Ausländerbehörde bei der Beantragung eines Aufenthaltstitels durch einen Ausländer.
36
Auch der Vortrag des Antragstellers zu 1, die Verurteilung wegen Erschleichens eines Aufenthaltstitels sei zu Unrecht erfolgt, verfängt nicht. Die Verwaltungsgerichte dürfen ohne weiteres in aller Regel von der Richtigkeit der Verurteilung ausgehen und die darin getroffenen Feststellungen ihrer Entscheidung zugrunde legen (vgl. BayVGH, B.v. 26.10.2020 - 10 ZB 20.2140 - juris Rn. 7). Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass nicht von der Richtigkeit der strafgerichtlichen Entscheidung auszugehen ist, wurden nicht dargetan. Die Umstände, die die Antragsteller zu 1 und 2 in den eidesstattlichen Versicherungen vom 6. April 2022 nennen, hätten sie in dem Strafbefehlsverfahren vor dem Amtsgericht … vorbringen können. Das Vorbringen des Antragstellers zu 1, er habe im Strafverfahren darauf vertraut, dass sein Rechtsanwalt die Sache für ihn kläre, ändert daran nichts.
37
Entgegen den Ausführungen der Bevollmächtigten der Antragsteller ist ein Abweichen von der Regel auch nicht aus dem Grund angezeigt, dass der Antragsteller zu 1 sich bis auf die beiden Verurteilungen straffrei verhalten hat. Zu einer anderen Beurteilung führt auch nicht der Umstand, dass er seit 10 Jahren bei demselben Arbeitgeber beschäftigt sein soll. Auch das Vorbingen des früheren Bevollmächtigten, der Antragsteller zu 1 sei aufgrund seines langjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet überdurchschnittlich gut integriert und verfüge über Sprachkenntnisse auf dem Niveau B1, die Familie sei sozial und kulturell integriert, führt nicht zu einem Abweichen von der Regel. Umstände, aufgrund derer eine Rückkehr in den Kosovo unverhältnismäßig wäre, sind nicht ersichtlich. Selbst wenn der Antragsteller zu 1 vor seiner Einreise in das Bundesgebiet in Slowenien gelebt hat, ist davon auszugehen, dass die Verbindungen zum Land seiner Staatsangehörigkeit, in dem er nach seinen eigenen Angaben 17 Jahre gelebt hat, nicht vollkommen abgerissen sind. Eine Entfremdung ist nicht ersichtlich.
38
1.3. Zudem besteht ein schwer wiegendes Ausweisungsinteresse nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG i.V.m. §§ 53 Abs. 1, 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG aufgrund eines nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoßes gegen Rechtsvorschriften.
39
Der Antragsteller zu 1 ist bereits zwei Mal strafrechtlich in Erscheinung getreten, so dass kein vereinzelter Verstoß gegen Rechtsvorschriften vorliegt. Bei den mit rechtskräftigen Strafbefehlen des Amtsgerichts … vom 18. Juni 2020 und 11. Juni 2021 verhängten Geldstrafen von 90 und 120 Tagessätzen ist auch von einer Geringfügigkeit nicht auszugehen. Ein atypischer Fall liegt nicht vor (s.o.).
40
1.4. Dahinstehen kann nach alledem, ob der Lebensunterhalt als Regelvoraussetzung nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 2 Abs. 3 AufenthG gesichert ist.
41
Die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis für den Antragsteller zu 1, die am 6. April 2022 per E-Mail beantragt wurde, ist im vorliegenden Verfahren nicht streitgegenständlich. Der Beklagte hat über den Antrag auch noch nicht entschieden.
42
2. Die Antragstellerinnen zu 2 und zu 3 haben nach summarischer Prüfung keinen Anspruch auf Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnisse nach § 30 AufenthG und § 34 AufenthG. Ihr Aufenthaltsrecht zum Familiennachzug leitet sich von dem Aufenthaltsrecht des Antragstellers zu 1 ab.
43
Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aus dem Vortrag der Bevollmächtigten der Antragsteller, dass die Antragstellerin zu 2 seit fast 5 Jahren im Bundesgebiet lebe und im Sommer 2022 die Möglichkeit habe, eine Niederlassungserlaubnis zu erhalten. Für die Entscheidung ist auf den Sach- und Streitstand im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen. Es ist auch nicht davon auszugehen, dass die Antragstellerin zu 2, die bis zum Jahr 2017 im Kosovo gelebt hat, sich diesem Land inzwischen völlig entfremdet fühlt.
44
Hinsichtlich der Antragstellerin zu 3 ist auch unter Berücksichtigung der Umstände, dass diese im Bundesgebiet geboren ist und eine Ausreise einen harten Einschnitt darstellt, kein Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ersichtlich. Auch die vorgetragene soziale und kulturelle Integration der Familie führt zu keinem anderen Ergebnis.
45
3. Der am … … 2021 im Bundesgebiet geborene Antragsteller zu 4 hat nach summarischer Prüfung keinen Anspruch auf Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis. Dieser war noch nie im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis, so dass eine Verlängerung nicht in Betracht kommt. Die Ablehnung des Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für ihn in Nummer 3 des Bescheids ist im Übrigen auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass der Antragsteller zu 4 im Bundesgebiet geboren ist und eine Ausreise einen harten Einschnitt darstellt, rechtmäßig. Auch er leitet sein Aufenthaltsrecht von dem Antragsteller zu 1 und der Antragstellerin zu 2 ab. Da beide seit dem 22. November 2020 nicht mehr in Besitz eines gültigen Aufenthaltstitels sind, kommt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 33 AufenthG oder § 32 AufenthG nicht in Betracht.
46
Nach alledem überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung das Interesse der Antragsteller an der Aussetzung der Vollziehung.
47
4. Die Abschiebungsandrohung und die den Antragstellern zur freiwilligen Ausreise gesetzte Frist in den Nummern 4 und 5 des Bescheids beruhen auf §§ 58 Abs. 1 und 59 Abs. 1 AufenthG und sind nicht zu beanstanden.
48
5. Die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots in Nr. 6 des streitgegenständlichen Bescheids gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist nach summarischer Prüfung ebenfalls rechtmäßig.
49
Nach § 11 Abs. 2 Satz 3, Abs. 3 Satz 1 AufenthG wird über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Ermessen entschieden. Sie darf gemäß § 11 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. Abs. 5 AufenthG fünf Jahre nur in besonderen Fällen überschreiten. Die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf ein Jahr ist rechtlich nicht zu beanstanden. Ermessensfehler im Sinne von § 114 VwGO sind nicht ersichtlich. Gegebenenfalls bestehende besondere Härten können durch die Ausnahmegenehmigung nach § 11 Abs. 8 AufenthG gemildert werden.
50
II. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 1, 159 S. 1 VwGO.
51
III. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GVG i.V.m. Nrn. 1.1.1, 1.5 und 8.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.