Titel:
Abwägungsfehlerhafter Bebauungsplan - Sonderopfer eines privaten Grundstückseigentümers
Normenketten:
BauGB § 1 Abs. 7, § 2 Abs. 3, § 34 Abs. 1, § 35
VwGO § 47 Abs. 2 S. 1
Leitsätze:
1. Die Beschränkung der Nutzungsmöglichkeiten eines Grundstücks muss von der Gemeinde als ein wichtiger Belang privater Eigentümerinteressen in der nach § 1 Abs. 7 BauGB gebotenen Abwägung beachtet werden. Dabei erfordert das Abwägungsgebot auch ein Abwägen der privaten Belange untereinander. Bei der planerischen Festsetzung von Verkehrsflächen müssen die beteiligten privaten Rechtsträger möglichst gleich belastet werden. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Abwägungsergebnis eines Bebauungsplans ist rechtlich zu beanstanden, wenn eine fehlerfreie Nachholung der erforderlichen Abwägung schlechterdings nicht zum selben Ergebnis führen könnte, weil andernfalls der Ausgleich zwischen den von der Planung berührten Interessen und Belangen in einer Weise vorgenommen würde, der zu ihrer objektiven Gewichtigkeit außer Verhältnis steht und deshalb die Grenzen der planerischen Gestaltungsfreiheit überschritten sind. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
3. Baumreihen oder Hecken sind, selbst wenn sie optisch markant in Erscheinung treten und/oder ihr Bestand dauerhaft gesichert sein sollte, nicht geeignet, den Eindruck der Geschlossenheit und Zugehörigkeit einer Fläche zum Bebauungszusammenhang zu erzeugen. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
4. Wird durch die Festsetzung einer öffentlichen Verkehrsfläche zur Erschließung von Bauparzellen, die im Eigentum Dritter stehen, dem Eigentümer eines Grundstücks ein Sonderopfer abverlangt, ohne dass für ihn die Planung vorteilhaft ist, werden die privaten Belange der betroffenen Grundstückseigentümer untereinander nicht in einen angemessenen Ausgleich gebracht und die Grenzen der planerischen Gestaltungsfreiheit überschritten. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Inanspruchnahme eines Grundstücks für Erschließung einer Hinterliegerbebauung, Abwägungsfehler, Abgrenzung Innen-/Außenbereich, Normenkontrolle, Bebauungsplan, Festsetzung einer öffentlichen Verkehrsfläche, Abwägen der privaten Belange untereinander, Sonderopfer, Baumreihen oder Hecken, Gesamtunwirksamkeit
Fundstelle:
BeckRS 2022, 41986
Tenor
I. Der Bebauungsplan „Ortsmitte O.“ vom 7. Februar 2017, zuletzt bekanntgemacht am 22. Februar 2019, ist unwirksam.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
1
Der Antragsteller wendet sich gegen den Bebauungsplan „Ortsmitte O.“, den die Antragsgegnerin im beschleunigten Verfahren nach § 13a BauGB am 7. Februar 2017 als Satzung beschlossen und am 10. März 2017 bekanntgemacht hat. Der Bebauungsplan wurde im Rahmen eines ergänzenden Verfahrens zur Behebung eines Ausfertigungssowie eines Bekanntmachungsfehlers am 11. Februar 2019 erneut ausgefertigt und am 22. Februar 2019 erneut bekanntgemacht.
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Das Planungsgebiet befindet sich im Bereich des Ortskerns des Ortsteils O. Der Bebauungsplan überplant eine ca. 8.740 m² große Fläche bestehend aus den Grundstücken FlNr. …, …1, …2, und …2, Gemarkung O., sowie den angrenzenden Straßenflächen. Nördlich wird es von der E. Straße, südlich von der R.straße und östlich von der S.-Straße eingefasst. Entlang der westlichen Grenze des Planungsgebiets befindet sich eine dichtbewachsene Baumreihe, westlich hiervon schließen sich landwirtschaftliche Flächen an.
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Der Bebauungsplan gliedert das Planungsgebiet in ein Dorfgebiet (MD1) im südlichen Teil und in ein Dorfgebiet (MD2) im nördlichen Teil. Im MD1 befindet sich eine landwirtschaftliche Hofstelle (sog. Dreiseithof). Im MD2 ist parallel zur E. Straße auf dem Grundstück FlNr. …1 ein Dreispänner errichtet; die weiteren Flächen im MD2, bestehend aus dem Grundstück FlNr. …2 und der nördlich des Dreiseithofs gelegenen Fläche auf dem Grundstück FlNr. …, sind - abgesehen von einem kleineren, ehemaligen landwirtschaftlichen Nebengebäude auf dem Grundstück FlNr. …2 - unbebaut. Nach den textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans sind im MD1 Wirtschaftsstellen land- und forstwirtschaftlicher Betriebe und die dazugehörigen Wohnungen/Wohngebäude zulässig, im MD2 sind sonstige Wohngebäude, Einzelhandelsbetriebe, Schank- und Speisewirtschaften, sowie Betriebe des Beherbergungsgewerbes und sonstige Gewerbebetriebe zulässig. Der Bebauungsplan sieht im MD1 Baufenster bzw. Baulinien vor, die dem bisherigen Bestand der Hofstelle entsprechen. Im MD2 werden insgesamt vier Baufenster ausgewiesen. Das Baufenster auf dem Grundstück FlNr. …1 entspricht im Wesentlichen der dortigen Bestandsbebauung und sieht dort eine Grundfläche von 209 m² und maximal drei Wohneinheiten vor. Auf dem Grundstück FlNr. …2 ist ein Baufenster für ein Gebäude mit maximal zwei Wohneinheiten sowie eine zulässige Grundfläche von 180 m² festgesetzt. Südlich der Grundstücke FlNr. …1 und …2 und nördlich des Dreiseithofs sind auf dem Grundstück FlNr. … zwei Baufenster (Bauparzelle 3 und 4) für eine Hinterliegerbebauung mit jeweils einer Wohneinheit und einer zulässigen Grundfläche von jeweils 120 m² vorgesehen, die über eine Stichstraße von der E. Straße her erschlossen werden sollen. Der Bebauungsplan weist hierzu eine 4,1 m breite und rund 35 m lange öffentliche Verkehrsfläche nebst Straßenbegrenzungslinie entlang der westlichen Grundstücksgrenze auf dem Grundstück FlNr. …2 aus. Weiter sieht der Bebauungsplan entlang der westlichen Grundstücksgrenze auf dem Grundstück FlNr. … eine private Grünfläche vor, auf der sich im Bestand eine Wegfläche für die landwirtschaftliche Nutzung befindet.
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Nach der Begründung zum Bebauungsplan liegt der Grundgedanke der Planung in der Erhaltung und Stärkung der städtebaulichen Strukturen mit seinen prägenden meist giebelständig zur Haupterschließungsstraße - S*. Straße - orientierten zweigeschossigen Gebäuden, die sich oft zu einer, für diese Region typischen Dreiseithofanlage gruppierten. Des Weiteren ist zum Erhalt der städtebaulichen Qualität eine Nutzungsmischung gewünscht. Diese Nutzungsmischung von derzeit Landwirtschaft, Arbeiten und Wohnen soll langfristig erhalten und gestärkt werden.
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Der Antragsteller ist Eigentümer der Grundstücke FlNr. …1 und FlNr. …2.
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Am 8. März 2018 stellte er einen Normenkontrollantrag und beantragte zuletzt,
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Der Bebauungsplan der Gemeinde N. „Ortsmitte O.“, in der geänderten und zuletzt ortsüblich bekanntgemachten Fassung vom 22. Februar 2019, wird für unwirksam erklärt.
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Der Bebauungsplan sei unwirksam, da er städtebaulich nicht erforderlich und zudem abwägungsfehlerhaft sei. Weder sei die Einbeziehung der Grundstücke FlNr. …1 und …2 städtebaulich erforderlich noch seien es die einzelnen für die Grundstücke getroffenen Festsetzungen. Das Grundstück FlNr. …1 sei bereits bebaut. Bei dem Grundstück FlNr. …2 handele es sich um eine Baulücke; die Bebaubarkeit und die Art der Nutzung richte sich nach § 34 BauGB. Die Planung diene keinem Allgemeinwohlbelang, sondern beschränke bestehendes Baurecht. Die Erschließungsstraße (Stichstraße) sei nicht erforderlich. Die auf dem Grundstück FlNr. … festgesetzten Baufenster könnten über den westlichen Streifen von Norden erschlossen werden, weiter sei eine Erschließung von Osten oder Süden über die R.straße im westlichen Teil des Grundstücks möglich. Der Bebauungsplan sei zudem abwägungsfehlerhaft. Durch die Erschließungsstraße werde ihm wertvolle Bau- bzw. Gartenfläche im Umfang von ca. 120 m² entzogen. Er werde faktisch enteignet, seinem Eigentumsinteresse ständen keine entsprechenden gewichtigen Allgemeinwohlbelange gegenüber. Das Eigentumsgrundrecht sei im Rahmen der Abwägung nicht ausreichend berücksichtigt worden. Ein milderes Mittel bestehe hier zudem über die anderweiten Erschließungsmöglichkeiten, die von der Antragsgegnerin aber nicht in Erwägung gezogen worden seien, zumal bei Erschließung über den westlich gelegenen Grünstreifen dieser teilweise erhalten bleiben könnte. Im Übrigen seien auch die Festsetzungen zum Maß und zu der Anzahl der Wohneinheiten abwägungsfehlerhaft.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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Der Normenkontrollantrag wird abgelehnt.
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Der Bebauungsplan sei rechtmäßig, insbesondere sei er städtebaulich erforderlich. Ziel der Gemeinde sei es, die städtebaulichen Strukturen sowie die Nutzungsmischung zu erhalten und zu stärken. Das Vorbringen der Antragsteller betreffe nicht die städtebauliche Erforderlichkeit des Bebauungsplans, sondern die Abwägung der getroffenen Festsetzungen. Der Bebauungsplan sei aber auch nicht abwägungsfehlerhaft. Die Gemeinde habe sich im Aufstellungsverfahren ausführlich mit der Frage der Erschließung der Baugrundstücke im Bebauungsplangebiet auseinandergesetzt und hierbei die öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abgewogen. Die Festsetzung der Grünstruktur an der Westgrenze des Grundstücks FlNr. … sei abwägungsgerecht. Der Grünzug sei bereits vorhanden und markiere prägend den Übergang zum Außenbereich. Es sei wichtig gewesen, diesen Grünzug im Bebauungsplan festzusetzen, um so eine harmonische, der zukünftigen Nutzung angepasste Einbindung und Verknüpfung zwischen Innen- und Außenbereich herzustellen. Aufgabe der Bauleitplanung sei es, die Erschließung der Baugrundstücke im Bereich des Planungsgebiets zu sichern. Dabei habe sie in ihre Abwägung eingestellt, dass für die Erschließung der beiden in zweiter Reihe festgesetzten Bauräume eine Erschließung in Form einer Stichstraße unerlässlich sei. Insbesondere in der Gemeinderatssitzung vom 23. Februar 2016 habe sie sich mit den Einwendungen gegen die Erschließungsstraße explizit auseinandergesetzt. Hiernach sei eine Erschließung über das MD1 nicht möglich, da die Hofstelle erhalten werden solle. Eine Erschließungsstraße zum MD2 über die S.-Straße oder die R.straße würde die Hofstelle erheblich beeinträchtigen. Eine Erschließung im Westen über die E. Straße entfalle sowohl aus naturschutzrechtlichen und ökologischen Gründen als auch aus städtebaulichen Gründen. Aus naturschutzrechtlicher und ökologischer Sicht müsse der Grüngürtel, der für den Planungsbereich prägend sei, erhalten bleiben. Dieser solle auch aus städtebaulichen Gründen erhalten bleiben. Eine Erschließungsstraße am Ortsrand entspreche nicht den Planungszielen der Gemeinde. Zudem läge eine Erschließung am Ortsrand nicht im Innenbereich und entspreche auch nach baurechtlichen Gesichtspunkten nicht einer städtebaulich sinnvollen Erschließung. Weiter habe sie sich mit den Eigentümerinteressen auseinandergesetzt. Der ursprünglich vorgesehene Wendehammer sei entfallen, um weniger in das private Eigentum einzugreifen. Da die Grundstücke unterschiedlichen Eigentümern gehörten, sei die Festsetzung einer öffentlichen Verkehrsfläche erfolgt. Auch in Bezug auf die Festsetzungen des Maßes der baulichen Nutzung sowie der Wohneinheiten sei die Abwägung nicht zu beanstanden. Sie habe aufgrund des Gewichts ihrer Planungsziele gegebenenfalls entstehende Einschränkungen des Baurechts nach § 34 BauGB in Kauf genommen.
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Der Senat hat am 2. November 2022 eine Ortseinsicht genommen. Für die dortigen Feststellungen und die gefertigten Fotos sowie den Verlauf der mündlichen Verhandlung vom 2. November 2022 wird auf die jeweiligen Protokolle verwiesen. Im Übrigen wird ergänzend auf die Gerichtsakte und die Normaufstellungsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Der zulässige Normenkontrollantrag hat Erfolg. Der am 7. Februar 2017 beschlossene und am 22. Februar 2019 erneut bekannt gemachte Bebauungsplan ist unwirksam.
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1. Der Normenkontrollantrag ist zulässig.
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Der Antragsteller ist antragsbefugt. Gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist im Normenkontrollverfahren jede natürliche oder juristische Person antragsbefugt, die geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Der Antragsteller muss hinreichend substantiiert Tatsachen vortragen, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, dass er durch die Festsetzungen des Bebauungsplans in einem Recht verletzt wird. Eine solche Rechtsverletzung kommt regelmäßig in Betracht, wenn sich der Eigentümer eines im Plangebiet liegenden Grundstücks gegen bauplanerische Festsetzungen wendet, die unmittelbar sein Grundstück betreffen. Denn bei den Festsetzungen eines Bebauungsplans handelt es sich um Inhalts- und Schrankenbestimmungen im Sinn des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG. Diese muss der Eigentümer nur hinnehmen, wenn der Bebauungsplan rechtmäßig ist (vgl. BVerwG, B.v. 31.1.2018 - 4 BN 17.17 u.a. - BauR 2018, 814).
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Damit ist die Antragsbefugnis des Antragstellers als Eigentümer von Grundstücken, für die der Bebauungsplan Festsetzungen trifft, gegeben.
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2. Der Normenkontrollantrag ist begründet. Der Bebauungsplan erweist sich als abwägungsfehlerhaft und ist daher unwirksam.
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Der Bebauungsplan ist im Hinblick auf die festgesetzte öffentliche Verkehrsfläche auf dem Grundstück FlNr. …2 abwägungsfehlerhaft (2.1). Dies führt zur Gesamtunwirksamkeit des Bebauungsplans (2.2).
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2.1 Bei der Aufstellung der Bauleitpläne sind die Belange, die für die Abwägung von Bedeutung sind (Abwägungsmaterial), zu ermitteln und bewerten (§ 2 Abs. 3 BauGB). Denn die Berücksichtigung aller bedeutsamen Belange in der Abwägung nach § 1 Abs. 7 BauGB setzt deren ordnungsgemäße Ermittlung und zutreffende Bewertung voraus (vgl. BVerwG, B.v. 12.6.2018 - 4 B 71.17 - ZfBR 2018, 601). Gemäß § 1 Abs. 7 BauGB sind die öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen. Das Abwägungsgebot ist verletzt, wenn eine Abwägung überhaupt nicht stattfindet oder in die Abwägung an Belangen nicht eingestellt wird, was nach Lage der Dinge in sie eingestellt werden muss, oder wenn der Ausgleich zwischen den von der Planung berührten Belangen in einer Weise vorgenommen wird, der zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht. Innerhalb des so gezogenen Rahmens wird das Abwägungsgebot jedoch nicht verletzt, wenn sich die Gemeinde in der Kollision zwischen verschiedenen Belangen für die Bevorzugung des einen und damit notwendig für die Zurückstellung eines anderen entscheidet (vgl. BVerwG, U.v. 5.5.2015 - 4 CN 4.14 - NVwZ 2015, 1537; B.v. 15.5.2013 - 4 BN 1.13 - ZfBR 2013, 573). Der Satzungsgeber muss ebenso wie der Gesetzgeber bei der Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums die schutzwürdigen Interessen des Eigentümers und die Belange des Gemeinwohls in einen gerechten Ausgleich und ein ausgewogenes Verhältnis bringen. Insbesondere ist er an den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebunden (vgl. BVerfG, B.v. 19.12.2002 - 1 BvR 1402/01 - NVwZ 2003, 727). Die Beschränkung der Nutzungsmöglichkeiten eines Grundstücks muss von der Gemeinde als ein wichtiger Belang privater Eigentümerinteressen in der nach § 1 Abs. 7 BauGB gebotenen Abwägung beachtet werden (vgl. BVerwG, B.v. 15.5.2013 a.a.O.). Dabei erfordert das Abwägungsgebot nicht nur ein Abwägen der öffentlichen mit den betroffenen privaten Belangen, sondern auch der privaten Belange untereinander. Die gerechte Abwägung dieser Belange muss von dem Bestreben getragen sein, im Rahmen des Planungsziels einen Interessenausgleich herzustellen. Die berührten privaten Belange dürfen nicht ohne sachliche Rechtfertigung ungleich behandelt werden. Bei der planerischen Festsetzung von Verkehrsflächen müssen die beteiligten privaten Rechtsträger daher möglichst gleich belastet werden. Dies gilt auch für die Beschränkung der baulichen Nutzbarkeit (vgl. BVerfG, B.v. 19.12.2002 - 1 BvR 1402/01- NVwZ 2003, 727 unter Bezugnahme auf BGH, U.v. 11.11.1976 - III ZR 114/75 - NJW 1977, 388; BVerwG, B.v. 3.6.1998 - 4 BN 25.98 - NVwZ-RR 1999, 425; OVG LSA, U.v. 4.12.2019 - 2 K 23/18 - juris Rn. 66; BayVGH, U.v. 17.12.2013 - 2 N 12.682 - juris Rn. 16). Das Abwägungsergebnis eines Bebauungsplans ist rechtlich zu beanstanden, wenn eine fehlerfreie Nachholung der erforderlichen Abwägung schlechterdings nicht zum selben Ergebnis führen könnte, weil andernfalls der Ausgleich zwischen den von der Planung berührten Interessen und Belangen in einer Weise vorgenommen würde, der zu ihrer objektiven Gewichtigkeit außer Verhältnis steht und deshalb die Grenzen der planerischen Gestaltungsfreiheit überschritten sind (BVerwG, U.v. 1.9.2016 - 4 C 2.15 - NVwZ 2017, 720; U.v. 22.9.2010 - 4 CN 2.10 - BVerwGE 138, 12).
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Die Inanspruchnahme von Flächen des Grundstücks FlNr. …2, das im Eigentum des Antragstellers steht, zur Erschließung der bislang im Außenbereich gelegenen Bauparzellen 3 und 4 zugunsten der Antragsteller im Parallelverfahren 1 N 18.500 widerspricht diesen Grundsätzen und führt zu einem rechtswidrigen Abwägungsergebnis.
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Bei dem Grundstück FlNr. …2 handelt es sich nach dem im Rahmen des Augenscheins gewonnen Eindruck des Senats jedenfalls im nördlichen Bereich in der Flucht zu den Hauptgebäuden auf den Grundstücken FlNr. …1 und FlNr. … zweifelsfrei um eine Baulücke und damit bauplanungsrechtlich um einen Innenbereich nach § 34 BauGB. Die Bauparzellen 3 und 4 auf dem Grundstück FlNr. … befinden sich hingegen - bei Hinwegdenken des Bebauungsplans - bauplanungsrechtlich im Außenbereich.
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Die Kriterien für die Abgrenzung des Bebauungszusammenhangs im Sinn von § 34 Abs. 1 BauGB zum Außenbereich (§ 35 BauGB) sind obergerichtlich geklärt. Danach ist ausschlaggebend für das Bestehen eines Bebauungszusammenhangs, inwieweit die aufeinanderfolgende Bebauung trotz etwa vorhandener Baulücken nach der Verkehrsauffassung den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt und die zur Bebauung vorgesehene Fläche (noch) diesem Zusammenhang angehört. Der Bebauungszusammenhang endet regelmäßig am letzten Baukörper. Örtliche Besonderheiten können es im Einzelfall aber ausnahmsweise rechtfertigen, ihm noch bis zu einem Geländehindernis, einer Erhebung oder einem Einschnitt ein oder mehrere unbebaute Grundstücke zuzuordnen, die unbebaut sind oder trotz des Vorhandenseins von Baulichkeiten sonst nicht zur Prägung der Siedlungsstruktur beitragen (vgl. BVerwG, B.v. 8.10.2015 - 4 B 28.15 - ZfBR 2016, 67; U.v. 30.6.2015 - 4 C 5.14 - BVerwGE 152, 275; B.v. 17.1.2005 - 4 B 3.05 - juris Rn. 7; U.v. 12.12.1990 - 4 C 40.87 - NVwZ 1991, 879). Eine unbebaute Fläche ist - als Baulücke - Teil des Bebauungszusammenhangs, wenn sie von der angrenzenden zusammenhängenden Bebauung so stark geprägt wird, dass die Errichtung eines Gebäudes auf dieser Fläche als zwanglose Fortsetzung der vorhandenen Bebauung erscheint. Bebauung im Sinn von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist nicht jede beliebige Anlage. Den Bebauungszusammenhang selbst herstellen oder zu seiner Entwicklung beitragen können nur Bauwerke, die optisch wahrnehmbar sind und ein gewisses Gewicht haben, so dass sie geeignet sind, ein Gebiet als einen Ortsteil mit einem bestimmten Charakter zu prägen. Hierzu zählen grundsätzlich nur Bauwerke, die dem ständigen Aufenthalt von Menschen dienen. Baulichkeiten, die nur vorübergehend genutzt werden oder in einem weiteren Sinn „Nebenanlagen“ zu einer landwirtschaftlichen, (klein-) gärtnerischen oder sonstigen Hauptnutzung sind, sind in aller Regel keine Bauten, die für sich genommen ein für die Siedlungsstruktur prägendes Element darstellen (vgl. BVerwG, B.v. 16.7.2018 - 4 B 51.17 - NVwZ 2018, 1651; B.v. 5.4.2017 - 4 B 46.16 - ZfBR 2017, 471; U.v. 19.4.2012 - 4 C 10.11 - BauR 2012, 1626; BayVGH, B.v. 13.5.2020 - 1 ZB 19.1663 - juris Rn. 4; B.v. 31.3.2020 - 1 ZB 19.1961 - juris Rn. 5).
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Gemessen an diesen Maßstäben geht der Senat vorliegend nach den örtlichen Gegebenheiten, von denen er sich beim Augenschein einen umfassenden Eindruck verschafft hat, davon aus, dass die Flächen der Bauparzellen 3 und 4 nicht mehr durch die umliegende Bebauung geprägt werden. Als prägende Bebauung ist hier im nördlichen Bereich der Dreispänner auf dem Grundstück FlNr. …1 sowie die Wohnbebauung auf den Grundstücken FlNr. … und FlNr. … anzusehen. Dem nördlichen Gebäude auf dem Grundstück FlNr. … kommt ebenfalls eine prägende Wirkung zu. Zwar dient nur der kleinere, östliche Wohnteil dieses Gebäudes dem ständigen Aufenthalt von Menschen. Allerdings handelt es sich bei dem westlich an das Wohngebäude angebauten Stallteil um einen unselbständigen Teil des insgesamt als bauliche Einheit in Erscheinung tretenden Gebäudes (vgl. zum sog. Einfirsthof, BVerwG, U.v. 30.8.2016 - 4 C 7.15 - BVerwGE 157, 1). Dem landwirtschaftlichen Nebengebäude im Südwesten kommt hingegen keine prägende Wirkung zu. Die vorgenannte, als prägend anzusehende Bebauung vermittelt für den Bereich der Bauparzellen 3 und 4 keinen Bebauungszusammenhang. Dieser großflächige Bereich zwischen den Gebäuden auf dem Grundstück FlNr. …1, FlNr. …, FlNr. … und dem nördlichen Gebäude auf dem Grundstück FlNr. … stellt sich bei der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht mehr als Baulücke dar, sondern als Verlängerung der sich westlich anschließenden Freiflächen. Eine frühere Nutzung als Bauerngarten oder Mistlege im Anschluss an das Stallgebäude wurde aufgegeben; die Fläche ist zugewachsen und verwildert. Eine andere Beurteilung rechtfertigt sich auch nicht im Hinblick auf die Baumreihe entlang der westlichen Grenze des Planungsgebiets. In der Rechtsprechung ist geklärt, dass Baumreihen oder Hecken, selbst wenn sie optisch markant in Erscheinung treten und/oder ihr Bestand dauerhaft gesichert sein sollte, nicht geeignet sind, den Eindruck der Geschlossenheit und Zugehörigkeit einer Fläche zum Bebauungszusammenhang zu erzeugen (vgl. BVerwG, B.v. 8.10.2015 - 4 B 28.15 - juris Rn. 7). Denn bei solchen Bewüchsen handelt es sich um typische Bestandteile der freien Landschaft. Zudem weisen auch Bäume nur eine begrenzte Lebensdauer auf und können aufgrund natürlicher Einflüsse, wie z.B. Stürme oder Schädlinge, auch vorzeitig absterben (BayVGH, B.v. 15.10.2020 - 1 ZB 18.149 - juris Rn 9; U.v. 13.4.2015 - 1 B 14.2319 - juris Rn. 21). Nichts anderes ergibt sich im Hinblick auf den nicht asphaltierten Wirtschaftsweg entlang der westlichen Grenze des Grundstücks FlNr. …, der ebenfalls keine städtebauliche Zäsur darstellt.
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Durch den Bebauungsplan wird auf den nach den vorstehenden Ausführungen bislang im Außenbereich gelegenen Flächen der Bauparzellen 3 und 4 zugunsten der Antragsteller im Parallelverfahren 1 N 18.500 erstmals Baurecht für eine nichtprivilegierte bauliche Nutzung geschaffen. Zwar ist es nicht zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin aus städtebaulichen Gründen sowie aus ökologischen Gründen die Erschließung der Bauparzellen 3 und 4 nicht über den vorhandenen Wirtschaftsweg am Westrand des Planungsgebiets führt. Auch eine Erschließung über die Ostseite ist auf Grund der örtlichen Verhältnisse nicht vorzugswürdig. Lehnt sie allerdings anderweitige Erschließungsmöglichkeiten ab bzw. bestehen sie nicht, so hätte sie von einer Ausweisung von Baurecht auf den Bauparzellen 3 und 4 absehen müssen. Denn sie verlangt durch die Festsetzung der öffentlichen Verkehrsfläche dem Antragsteller als Eigentümer des Grundstücks FlNr. …2 ein Sonderopfer ab, da die Planung einseitig der Schaffung von Baurecht auf dem Nachbargrundstück unter Inanspruchnahme von Flächen seines Grundstücks dient, ohne dass für ihn die Planung vorteilhaft ist. Damit hat die Antragsgegnerin die privaten Belange der betroffenen Grundstückseigentümer untereinander nicht in einen angemessenen Ausgleich gebracht, sondern einseitig den privaten Interessen der Antragsteller im Verfahren 1 N 18.500 den Vorrang eingeräumt und damit die Grenzen ihrer planerischen Gestaltungsfreiheit überschritten.
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2.2 Die Unwirksamkeit der Festsetzung der öffentlichen Verkehrsfläche auf dem Grundstück FlNr. …2 führt zur Unwirksamkeit des Planbereichs MD2 und in der Folge zur Gesamtunwirksamkeit des Bebauungsplans.
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Die Unwirksamkeit einzelner Festsetzungen führt nur dann nicht zur Gesamtunwirksamkeit eines Bebauungsplans, wenn die übrigen Festsetzungen für sich betrachtet noch eine den Anforderungen des § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB gerecht werdende, sinnvolle städtebauliche Ordnung bewirken können und wenn außerdem hinzukommt, dass die Gemeinde nach ihrem im Planungsverfahren zum Ausdruck gekommenen Willen im Zweifel auch einen Plan dieses eingeschränkten Inhalts beschlossen hätte (vgl. BVerwG, B.v. 24.4.2013 - 4 BN 22.13 - juris Rn. 3 m.w.N.).
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Nach diesem Grundsatz kann sich die Unwirksamkeitserklärung des Bebauungsplans nicht auf die festgesetzte öffentliche Verkehrsfläche auf dem Grundstück FlNr. …2 beschränken, da sie einen zentralen Aspekt der Planung im MD2 darstellt und nach den Vorstellungen der Antragsgegnerin nur über diese Fläche eine Erschließung der Bauparzellen 3 und 4 erfolgen soll. Die Unwirksamkeit des Planbereichs MD2 hat die Gesamtunwirksamkeit des Bebauungsplans zur Folge, da der Planbereich MD1 auf Grund des Ausschlusses gewerblicher Nutzungen nicht isoliert rechtmäßig fortbestehen kann. Mit dem Gebietscharakter und der allgemeinen Zweckbestimmung eines Dorfgebiets ist es nicht vereinbar, dass die Nutzung „nicht wesentlich störende Gewerbebetriebe“ im MD1 vollständig ausgeschlossen wird, § 1 Abs. 5 BauNVO (vgl. VGH BW, U.v. 20.1.2022 - 8 S 2898/19 - NVwZ-RR 2022, 334; BayVGH, U.v. 18.04.2013 - 2 N 11.1758 - BauR 2014, 61).
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Die Antragsgegnerin trägt gemäß § 154 Abs. 1 VwGO als unterlegene Partei die Kosten des Verfahrens. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V. mit §§ 708 ff. ZPO.
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Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.
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Gemäß § 47 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO muss die Antragsgegnerin die Ziffer I der Entscheidungsformel nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils in derselben Weise veröffentlichen wie die angefochtene Satzung (§ 10 Abs. 3 BauGB).