Titel:
Unwirksame Kündigung eines Beratervertrages
Normenketten:
BGB § 288 Abs. 2, § 291, § 615, § 626, § 812 Abs. 1 S. 1
AktG § 84 Abs. 1 S. 5, Abs. 3 S. 5, § 87 Abs. 1 S. 1, § 93 Abs. 2 S. 2, § 112 Abs. 1
EStG § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4, Nr. 4a S. 1
Leitsätze:
1. Schwerwiegende Pflichtverletzungen aus dem Bereich des organschaftlichen Pflichtenkreises und gravierende - nicht selten auch strafrechtlich relevante - Verletzungen der Loyalitätspflichten gegenüber der Gesellschaft können wichtige Gründe für eine Kündigung darstellen. (Rn. 37 – 40) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die inhaltliche Fehlerhaftigkeit einer transparent gestellten Abrechnung begründet keine gravierende Pflichtverletzung, welche eine fristlose Kündigung rechtfertigen würde. (Rn. 64) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Beratervertrag, Vergütung, Kündigung, Kündigungsgründe, Pflichtverletzungen, privater Fahrdienst
Vorinstanz:
LG München I, Endurteil vom 15.03.2021 – 15 HK O 7564/20
Fundstellen:
AG 2023, 628
BeckRS 2022, 41906
LSK 2022, 41906
NZG 2023, 1363
Tenor
1. Auf die Berufung beider Parteien wird das Endurteil des Landgerichts München I vom 15.03.2021, Az. 15 HK O 7564/20, abgeändert und zur Klarstellung insgesamt neu gefasst.
2. Das Vorbehaltsurteil des Landgerichts München I vom 16.11.2020, Az. 15 HK O 7564/20, wird in Ziff. 1 in Höhe eines Betrages von 3.477,97 € nebst Zinsen hieraus aufgehoben.
3. Im Übrigen (d.h. in Ziff. 1 in Höhe von 26.272,03 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 08.07.2020 sowie in den Ziff. 2-4 in vollem Umfang) wird das Vorbehaltsurteil unter Wegfall des Vorbehalts aufrechterhalten.
4. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin weitere 89.250 € nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus jeweils 14.875 € seit dem 15.02.2021, seit dem 15.03.2021, seit dem 15.04.2021, seit dem 15.05.2021, seit dem 15.06.2021 und seit dem 15.07.2021 zu zahlen.
5. Im Übrigen werden die Klage ab- und die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
6. Die Beklagte hat die weiteren Kosten des Verfahrens erster Instanz sowie die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
7. Das Endurteil des Landgerichts München I vom 15.03.2021, Az. 15 HK O 7564/20 im Umfang seiner Bestätigung sowie dieses Urteil sind vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte kann eine Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leistet.
8. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 256.579,64 € festgesetzt.
Entscheidungsgründe
1
Die Parteien streiten um Vergütung aus einem Beratervertrag nach außerordentlicher Kündigung des Vertrages durch die Beklagte für die Monate April 2020 bis Juni 2021.
2
Die Klägerin ist eine Gesellschaft, deren alleinige Gesellschafterin und Geschäftsführerin Frau M. O. ist. Die Beklagte, nunmehr infolge Rechtsformwandels eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, war zuvor eine Aktiengesellschaft, ihre alleinige Aktionärin war die K. Beteiligungsgesellschaft mbH. Bei dieser ist Frau Dr. W. (einzelvertretungsberechtigte) Geschäftsführerin. Sie hält zugleich 78,75% der Geschäftsanteile an ihr. Die weiteren Geschäftsanteile halten ihr Ehemann (Dr. K. W.) mit 16,25% und Frau O. zu 5%. Die Beklagte war 2016/2017 ein maroder Arzneimittelvertrieb ohne eigene Herstellung mit abgewirtschafteten Marken, aber Immobilienbesitz in attraktiver Lage. Frau O. und Frau Dr. W. waren anfänglich befreundet.
3
Die Beklagte bestellte Frau O. am 22.02.2017 zunächst bis zum 31.12.2018 zu ihrem Vorstand. Am 14.09.2017 verlängerte sie die Bestellung von Frau O. als Vorstand bis zum 21.02.2022. Ebenfalls am 14.09.2017 wurde zwischen der Klägerin und der Beklagten ein Beratervertrag (Anlage K8) abgeschlossen. Nach dessen Ziffer 1.3 werden die nach diesem Vertrag geschuldeten Leistungen betreffend die Ausübung des Vorstandsamtes bei der Gesellschaft ausschließlich durch Frau M. O. höchstpersönlich und weisungsunabhängig erbracht. Gemäß Satz 3 gehen die Parteien davon aus, dass, soweit im folgenden von „Berater“ gesprochen wird, dieser Begriff gleichbedeutend auch für Frau M. O. als Person verwendet wird.
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Das Honorar sollte monatlich € 12.500 zuzüglich der gesetzlich geschuldeten Umsatzsteuer betragen (Ziff. 3.1), die Klägerin über im abgelaufenen Monat geleistete, angefallene Beraterdienstleistung eine Rechnung stellen (Ziff. 3.2). Diese war spätestens 14 Tage nach Zugang auszugleichen (Ziff. 3.2). Die Vertragsparteien beabsichtigten zusätzlich eine variable Vergütung zu bezahlen, die jedoch unter dem Vorbehalt des Abschlusses einer gesonderten Vereinbarung stand. Außerdem war geregelt (Ziff. 3.4): „Der Berater erhält Ersatz aller notwendigen Auslagen, die durch Geschäftsreisen oder sonstige Aufwendungen im Interesse der Gesellschaft entstehen, gemäß den jeweils gültigen steuerlichen Richtlinien. Abweichend werden für Fahrtkosten mit dem eigenen Fahrzeug je gefahrenen km € 0,50 netto zzgl. der jeweils gültigen Umsatzsteuer erstattet, soweit diese anfällt.“
5
Der Vertrag sollte gemäß Ziffer 6.1 am 21.02.2022 enden und konnte während seiner Laufzeit nur aus wichtigem Grund gekündigt werden. Der Widerruf der Organstellung bleibe hiervon unberührt (Ziff. 6.1). Der Widerruf der Organstellung berühre [jedoch] nicht den Beratervertrag (Ziff. 6.2). Lediglich dem Berater - also der Klägerin - stand im Falle des Widerrufs ein außerordentliches Kündigungsrecht zu (Ziff. 6.2).
6
Der Vertrag unterlag einer sogenannten doppelten Schriftformklausel (Ziffer 7.1).
7
Im Jahr 2019 veräußerte die Beklagte ihren Geschäftsbetrieb. Das Altlager wurde an die Firma K. P. V. GmbH (im Folgenden: K.) abverkauft. Die ab diesem Zeitpunkt überschaubare steuerliche Tätigkeit wurde auf eine andere Steuerkanzlei übertragen. Dies führte zu einer Prüfung der Unterlagen durch Herrn C., zugleich Mitglied des Aufsichtsrats der Klägerin.
8
Im März 2020 wurde der Klägerin ein Aufhebungsvertrag angeboten. Im April 2020 strebte der Aufsichtsrat eine Änderung der Vergütung der Klägerin an. Mit Email vom 21.04.2020 lud Herr C. zu einer telefonischen Aufsichtsratssitzung. Hierzu teilte er mit, dass in der Buchhaltung keine Rechnungen der Klägerin zu Tantiemen 2017 und 2018, zur Nachberechnung Beratungshonorare März bis Juli 2017 und zu Reisekosten 2017 bis 2019 vorlägen. Auch wies er auf nicht abrechenbare Verpflegungsmehraufwendungen als Reisekosten für Mai und September 2017 sowie brutto statt netto abgerechnete Reisekosten für die Monate Februar bis Mai 2017 hin (Anlage B 31). Am 21.04.2020 widerrief die Beklagte die Ernennung von Frau O. als Vorstand und kündigte mit Schreiben vom selben Tag, der Klägerin zugegangen am 23.04.2020, den Beratervertrag außerordentlich. Im Kündigungsschreiben (Anlage K10) forderte Herr C. die Rückgabe sämtlicher Geschäfts- und Arbeitsunterlagen sowie sämtlicher Arbeits- und Betriebsmittel, insbesondere Schlüssel, PC, Dienstwagen, Handy und dergleichen. Die Geschäftsführerin der Klägerin antwortete mit Email vom 22.04.2020, dass sie keinen Dienstwagen, Handy oder PC von T. gehabt habe (Anlage B 18). Am 27.04.2020 gab die Klägerin diverse technische Geräte, darunter einen Laptop, der Beklagten zurück.
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Vorsorglich widerrief die Beklagte erneut am 30.04.2020 die Bestellung von Frau O. als Vorstand und kündigte den Beratervertrag ebenfalls erneut fristlos (Anlage B4). Hintergrund sei, dass Frau O. doch technische Geräte der Beklagten im Besitz gehabt habe; ferner habe die Beklagte, vertreten durch Frau O., mit der G. I. GmbH (im Folgenden: G.), an der Frau O. 80% der Anteile hält (20% hält Frau Dr. W.) und deren Geschäftsführerin sie ist, Schokoladenlieferungen in Höhe eines Einkaufsvolumens von 17.822,23 € getätigt, ohne den Aufsichtsrat einzuschalten (Anlage B 32).
10
Eine bei Frau O. zu Hause auf Kosten der Beklagten installierte Telefonanlage wurde eigeninitiativ durch die Klägerin im Mai 2020 der Beklagten mitgeteilt und zurückgegeben.
11
Die Klägerin ist der Rechtsansicht, dass die Kündigung unwirksam sei. Sie machte (zunächst) im Urkundsverfahren bereits bei Klageerhebung fällige Beratervergütungen für den Zeitraum April und Mai 2020 sowie zukünftige Vergütungen für den Zeitraum Juni bis Dezember 2020 geltend; für die Monate ab Juli 2020 stellte sie eine Dauerrechnung (Anlage K16).
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 29.750 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt an die Klägerin am 14.07.2020 14.875 € sowie am 14.08.2020, 14.09.2020, 14.10.2020, 14.11.2020, 14.12.2020 und 14.01.2021 jeweils 14.500 € nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 14.875 € seit 15.07.2020 und aus jeweils 14.500 € seit 15.08.2020, 15.09.2020, 15.10.2020, 15.11.2020, 15.12.2020 und 15.01.2021 zu bezahlen.
13
Die Beklagte beantragte,
die Klage abzuweisen, hilfsweise die Ausführung der Rechte im Nachverfahren vorzubehalten.
14
Die Beklagte ist der Ansicht, die außerordentliche Kündigung sei zu Recht erfolgt und die Beklagte könne den Beweis hierfür mit zulässigen Beweismitteln im Urkundsverfahren führen.
15
Als Kündigungsgründe machte sie geltend: die unerlaubte Nutzung eines Fahrservices durch die Firma Sch., die Begründung der Mitgliedschaft der Beklagten im „Senat der Wirtschaft“ mit monatlichen Beiträgen von 400 €, die eigenmächtige Gewährung einer Unfallversicherung im Jahr 2017 (geleistete Beiträge: 773,11 €) sowie unberechtigte Entnahmen der Klägerin in Höhe von 161.602,87 € (Nachberechnung der Beratungshonorare März bis Juli 2017 in Höhe von 37.500 € netto, vom Aufsichtsrat genehmigte Tantiemen für 2017 und 2018 in Höhe von jeweils 50.000 € netto, Beratungshonorare für die Monate Januar bis März 2020 über 37.500 € sowie Reisekosten für die Jahre 2017 bis 2019 über 11.602.87 € netto), die Abrechnung von Verpflegungsmehraufwendungen im Jahr 2017 iHv 1.009,12 €, die Abrechnung von Reisekosten brutto statt netto 2017 (später beziffert mit 158,50 €), die Geschäfte mit der G. sowie die versuchte Aneignung von Vermögensgegenständen.
16
Das Landgericht hat dem Klageantrag mit Vorbehaltsurteil vom 16.11.2020, auf dessen Tatbestand und Entscheidungsgründe Bezug genommen wird (§ 540 Abs. 1 ZPO) in vollem Umfang stattgegeben und dabei näher begründet, dass die von der Beklagtenseite dargelegten Gründe keinen wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung des Beratervertrages darstellten. Der Beklagten wurden ihre Rechte im Nachverfahren vorbehalten. Die Beklagte legte gegen das Vorbehaltsurteil Berufung ein; das Berufungsverfahren (7 U 7189/20; im Akt enthalten) wurde nach Erlass des landgerichtlichen Schlussurteils vom 15.03.2021 übereinstimmend für erledigt erklärt.
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Im Nachverfahren erweiterte die Klägerin die Klage um Vergütungsansprüche für die Monate Januar bis Juni 2021.
18
Sie beantragte zuletzt,
das Vorbehaltsurteil vom 16.11.2020 wird für vorbehaltlos erklärt.
19
Klageerweiternd beantragte sie:
die Beklagte wird verurteilt an die Klägerin am 14.02.2021, 14.03.2021, 14.04.2021, 14.05.2021, 14.06.2021 und 14.07.2021 jeweils 14.875 € nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus jeweils € 14.875 seit 15.02.2021, 15.03.2021, 15.04.2021, 15.05.2021, 15.06.2021 und 15.07.2021 zu bezahlen.
20
Die Beklagte beantragte,
die Klage abzuweisen und das Vorbehaltsurteil aufzuheben.
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Als neue Kündigungsgründe, die sie nachschiebt, führt sie an: Die Geschäftsführerin der Klägerin habe angeordnet, dass nur noch Arzneimittel von der Firma H. Services GmbH überprüft werden sollten, von dieser aber keine Betreuung der Kosmetikprodukte erfolge. Deshalb sei das f. med Sprühpflaster nicht mehr durch die genannte Firma, sondern durch eine Mitarbeiterin der Beklagten überprüft worden. Entgegen der üblichen Praxis sei das Ablaufdatum nicht mehr in der Schreibweise Jahr/Monat, sondern Jahr/Kalenderwoche aufgedruckt worden. Die Käuferin des Geschäftsbetriebes, die Firma K., sehe hierin das Risiko, dass aufgrund der unklaren Deklaration ein Rückruf drohen könne.
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Die E. Retro Fußcreme, deren Herstellung im Dezember 2017 beauftragt worden sei und die 2018 auf den Markt gebracht werden sollte, enthalte das Parfümöl „K.Florale“ mit den Stoffen Lyral und Lilial, die aufgrund der Verordnung (EU) 2017/1410 der Kommission vom 2. August 2017 zur Änderung der Anhänge II und III der Verordnung (EG) Nr. 1223/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates über kosmetische Mittel ab dem 23.08.2019 nicht mehr in den Verkehr gebracht werden dürften. Im Rahmen des Lagerverkaufs an die Firma K. hat diese von der Beklagten 29.390 Packungen gekauft. Den Kaufpreis in Höhe von 0,71 € pro Packung, gesamt 20.866,90 €, habe die Beklagte der Firma K. zurückerstatten müssen. Bezüglich weiterer 101.167 Packungen, die die Firma K. auf Kommissionsbasis übernommen habe, stehe zu befürchten, dass diese nicht mehr in Verkehr gebracht werden könnten.
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Schließlich führt die Beklagte die unerlaubte Nutzung eines weiteren Fahrdienstes (des Fahrdienstes Hartmann) an.
24
Das Landgericht hat mit Endurteil vom 15.03.2021, auf dessen Tatbestand und Entscheidungsgründe ebenfalls Bezug genommen wird (§ 540 Abs. 1 ZPO), das Vorbehaltsurteil in der Sache für vorbehaltlos erklärt, die Beklagte verurteilt, an die Klägerin weitere 14.875 € nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten seit 15.02.2021 zu zahlen, und im Übrigen die Klage abgewiesen. Zur Begründung führte das Landgericht aus: Soweit die Beklagte der Ansicht sei, dass eine unzutreffende Bewertung des Sachverhalts im Vorbehaltsurteil erfolgt sei, sei dieser Einwand einer Überprüfung im Nachverfahren aufgrund der Regelung in § 598 ZPO nicht zugänglich. Auch die übrigen geltend gemachten Zusatztatsachen rechtfertigten keine andere Bewertung. Schließlich griffen die im Nachverfahren neu vorgetragenen Gründen nicht durch. Die Klageerweiterung habe - auch unter dem Blickwinkel des § 259 ZPO - nur insoweit Erfolg, als die geltend gemachten Ansprüche bereits entstanden seien. Dies sei nur für die Vergütung für den Januar 2021 der Fall, nicht jedoch für die aus Annahmeverzug geltend gemachte Vergütung der Monate ab Februar 2021.
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Gegen das ihnen jeweils am 18.03.2021 zugestellte Urteil hat die Klägerin mit elektronischem Schriftsatz vom Montag, den 19.04.2021, Berufung eingelegt und diese im selben Schriftsatz begründet. Die Beklagte legte Berufung mit elektronischem Schriftsatz vom 12.04.2021 ein und begründete diese mit Schriftsatz vom 17.05.2021.
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Die Klägerin wendet sich mit ihrer Berufung gegen die Verneinung der Voraussetzungen für eine Verurteilung zu künftiger Leistung, im Übrigen verteidigt sie die erstinstanzliche Entscheidung.
das Urteil des Landgerichts München I vom 15.03.2021, Az. 15 HK O 7564/20, teilweise abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, über den erstinstanzlich zuerkannten Betrag hinaus an die Klägerin weitere EUR 29.750,00 nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus jeweils EUR 14.875,00 seit 15.03.2021 sowie 15.04.2021 und darüber hinaus am 14.05.2021, 14.06.2021 und 14.07.2021 jeweils EUR 14.875,00 nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus jeweils EUR 14.875,00 seit 15.05.2021, 15.06.2021 und 15.07.2021 zu bezahlen.
28
Die Beklagte beantragt,
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 15.03.2021, Az. 15 HK O 7564/20, aufgehoben.
2. Die Klage wird abgewiesen.
Hilfsweise: Der Rechtsstreit wird insoweit an eine andere Kammer des Landgerichts München I zurückverwiesen.
29
Beide Parteien beantragen jeweils die Zurückweisung des gegnerischen Rechtsmittels.
30
Die Beklagte verfolgt unter Wiederholung und Vertiefung ihres bisherigen Vortrags ihr Ziel weiter, eine vollständige Klageabweisung zu erreichen, weil sie die außerordentliche Kündigung für gerechtfertigt erachtet. Hilfsweise rechnet sie in der Berufung mit folgenden Positionen auf: unberechtigte Nutzung des Fahrdienstes Sch. iHv 8.923 €, unberechtigte Nutzung des Fahrdienstes H. iHv 3.974,01 €, unberechtigte Gewährung einer Versicherung iHv 773,11 €, unberechtigt abgerechneter Verpflegungsmehraufwand iHv 1.009,12 €, unberechtigte Abrechnung von Reisekosten brutto für netto iHv 158,50 € - die genannten Positionen gestützt auf § 812 BGB - sowie Schadensersatz wegen des Verkaufs von 29.390 Packungen E. iHv 20.866,90 €.
31
Der Senat hat über die Berufungen der Parteien am 16.11.2022 mündlich verhandelt. Auf die Sitzungsniederschrift sowie die gewechselten Schriftsätze wird ergänzend Bezug genommen.
32
Die Berufung der Beklagten hat nur hinsichtlich eines Teils der in der Berufungsinstanz erstmals und zulässig geltend gemachten Hilfsaufrechnung Erfolg (dazu unter II.). Dagegen hat das Landgericht zu Recht angenommen, dass die außerordentliche Kündigung mangels eines wichtigen Grundes unwirksam ist und der Klägerin damit Vergütung für die Vertragslaufzeit, soweit geltend gemacht, zusteht (dazu unter I.). Die Berufung der Klägerin, mit der sie die Vergütung für die Monate Februar bis Juni 2021 einklagt, hat Erfolg.
33
Die Klägerin hat für den eingeklagten Zeitraum Anspruch auf die vereinbarte Vergütung von 12.500 € zzgl. Umsatzsteuer, d.h. für die Monate April bis Juni 2020 aufgrund des Umsatzsteuersatzes von 19% 14.875 € (§ 12 Abs. 1 UStG), für die Monate Juli bis Dezember 2020 wegen des zur Abmilderung der Folgen der Pandemie abgesenkten Steuersatzes von 16% (§ 28 Abs. 1 UStG) 14.500 €, für die Folgemonate wieder 14.875 €. Die außerordentliche Kündigung der Beklagten war unwirksam. Die Beklagte schuldet daher die vereinbarte Vergütung ab Ausspruch der Kündigung aus § 615 BGB.
34
1. Der Beratervertrag vom 14.09.2017 lief (Ziff. 6.1) befristet bis zum 21.02.2022. Die Beklagte meint, der Beratervertrag sei durch außerordentliche Kündigung vom 21.04.2020, zugegangen am 23.04.2020, beendet worden. Die zeitanteilige Vergütung für den Zeitraum 01.04.2020 bis 23.04.2020 ist somit wegen unstreitig bestehenden Vertrages (und erbrachter Leistungen) geschuldet.
35
2. Anders als die Beklagte meint, hat die Kündigung der Beklagten - weder diejenige vom 21.04.2020 noch diejenige vom 30.04.2020 - den Beratervertrag beendet, da es an einem wichtigen Grund für die Kündigung fehlt.
36
a. Wie der Vertrag ausdrücklich regelt, kann eine Kündigung des Beratervertrages nur aus wichtigem Grunde erfolgen (Ziff. 6.1., vgl. auch § 626 BGB). Der Widerruf der Bestellung von Frau O. als Vorstand an der Beklagten änderte hieran nichts (Ziff. 6.2). Lediglich der Klägerin, nicht aber der Beklagten stand in diesem Fall ein (außerordentliches) Kündigungsrecht zu.
37
b. Es fehlt an einem wichtigen Grund.
38
aa. Maßstab für die Kündigung des Beratervertrages, der hier an die Stelle eines Anstellungsvertrages trat, aus wichtigem Grund ist - wie das Aktienrecht ausdrücklich regelt, § 84 Abs. 3 Satz 5 AktG - § 626 BGB. Danach kann jeder Vertragsteil das Dienstvertragsverhältnis ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kündigen, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen ab dem Zeitpunkt erfolgen, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Dies ist im vorliegenden Fall der Aufsichtsrat (vgl. § 84 Abs. 1 Satz 5 AktG). Insbesondere eine grobe Pflichtverletzung und die Unfähigkeit zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung - Gründe, die den Aufsichtsrat zur organschaftlichen Abberufung einer Person als Vorstand ermächtigen, § 84 Abs. 3 Satz 1 und 2 AktG - können einen solchen wichtigen Grund darstellen, wenn die Gesamtwürdigung und -abwägung dies zulässt. Schon aus dieser gesetzlichen Wertung heraus wird deutlich, dass - anders als die Beklagte in der mündlichen Verhandlung meint - nicht jede Pflichtverletzung genügt, eine Kündigung aus wichtigem Grund auszusprechen. Insbesondere schwerwiegende Pflichtverletzungen aus dem Bereich des organschaftlichen Pflichtenkreises und gravierende - nicht selten auch strafrechtlich relevante - Verletzungen der Loyalitätspflichten gegenüber der Gesellschaft können demnach wichtige Gründe für eine Kündigung darstellen. An einer solchen hinreichend gravierenden Pflichtverletzung, die die Fortsetzung der Tätigkeit von Frau O. unzumutbar machen würde, fehlt es vorliegend sowohl bei einer Einzelbetrachtung als auch bei einer Gesamtbetrachtung der Vorwürfe (vgl. Grigoleit in ders., AktG, 2. Aufl., § 84 AktG Rn. 76, 79).
39
Für den wichtigen Grund trägt die Beklagte als Kündigende die Darlegungs- und Beweislast (BGH, Urteil vom 28.10.2002 - II ZR 353/00, juris-Rn. 13); die Erleichterung des § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG findet keine Anwendung (Fleischer in BeckOGK, § 84 AktG Rn. 201 [Stand: 01.07.2022]).
40
Im Einzelnen ist - in der Reihenfolge der Kündigungsgründe, wie in der Berufungsbegründung geltend gemacht (Berufungsbegründung, S. 6ff., Bl. 287ff. d.A.) - auszuführen:
41
bb. Der Vorwurf der eigenmächtigen Gewährung einer Gruppenversicherung, hier einer Unfallversicherung für Frau O., für die die Beklagte Versicherungsbeiträge von 773,11 € zahlte (bei einem Jahresbeitrag von 268,33 €), begründet keinen wichtigen Grund.
42
Die Beklagte hatte für die Vorgängerin der Frau O. als Vorstand eine (Gruppen-)Unfallvesicherung abgeschlossen. Mit Schreiben vom 21.08.2017 schrieben die Sparkassen Versicherungen (Anlage B14) an die Beklagte, diese habe eine Vertragsänderung, nämlich den Ausschluss von Frau P. und den Einschluss von Frau O., mitgeteilt. Die Klägerin hat bereits in der Replik (Schriftsatz vom 25.09.2020, S. Bl. 67 d.A.) bestritten, dass Frau O. die Ummeldung veranlasst habe. Frau O. habe erstmals im Rahmen der Klageerwiderung von der Existenz der Gruppen-Unfallversicherung erfahren. Die Beklagte hat für das Gegenteil keinen Beweis angeboten. Ihre Spekulation (in der Duplik, Schriftsatz vom 08.10.2020, S. 6f., Bl. 85f. d.A.), wer sonst hätte die Meldung (ggf. ohne Wissen von Frau O.) veranlassen sollen, ersetzt den notwendigen Beweis nicht. Es war jedenfalls anderes Personal vorhanden. Die Umschreibung einer Gruppen-Versicherung im Rahmen einer Funktionsnachfolge ist kein außergewöhnlicher Vorgang, der die Einbindung des Vorstands ohne Weiteres nahelegen würde. Auch hat die Klägerin (aaO) unwidersprochen vorgetragen, Frau O. verfüge seit über 12 Jahren über eine eigene Unfallversicherung; ein Eigeninteresse von Frau O. ist nicht zu erkennen. Im Übrigen hätte der Beklagten freigestanden, sich bei der Sparkasse zu erkundigen, wer die Meldung veranlasst hat. Nichts anderes gilt, soweit die Beklagte meint, Frau O. habe die Versicherung zu ihren Gunsten zumindest geduldet. Dazu hätte sie von der Versicherung zu ihren Gunsten wissen müssen. Das ist nicht bewiesen.
43
Letztlich kommt es auf die Frage nicht einmal an. Selbst unterstellt, Frau O. hätte die Umschreibung veranlasst, läge darin trotz des Fehlens eines Aufsichtsratsbeschlusses (vgl. § 87 Abs. 1 Satz 1, § 112 Abs. 1 AktG) und damit einhergehender objektiver Pflichtwidrigkeit kein hinreichend schwerer Pflichtenverstoß, der eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen könnte. Es handelte sich - bei äußerst überschaubaren Beträgen -, wie ausgeführt, um eine Umschreibung im Rahmen einer bestehenden (Gruppen-)Versicherung aufgrund Funktionsnachfolge. Das ist keineswegs vergleichbar mit dem Versuch einer untreueähnlichen Selbstbereicherung und begründet weder einen strafrechtlich relevanten noch einen gravierenden Loyalitätsverstoß.
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Vor diesem Hintergrund kann dahinstehen, ob der Kündigungsgrund schon deshalb ausgeschlossen ist, weil weder vorgetragen noch ersichtlich ist, dass der Aufsichtsrat jemals mit diesem Thema als Kündigungsgrund befasst war - vgl. hierzu die Anlagen B 31 und B 32, in denen das Thema nicht genannt ist -, und deshalb erhebliche Zweifel daran bestehen, ob dieser Kündigungsgrund nachgeschoben werden konnte (vgl. Spindler in MüKo AktG, 5. Aufl., § 84 Rn. 148 iVm 200).
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cc. Hinsichtlich der Inanspruchnahme eines privaten Fahrdienstes gilt:
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(1) Ausweislich Ziff. 3.4 des Beratervertrages erhält die Klägerin Ersatz aller notwendigen Auslagen, die durch Geschäftsreisen oder sonstige Aufwendungen im Interesse der Gesellschaft entstehen, gemäß den jeweils gültigen steuerlichen Richtlinien.
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Die Beklagte leitet daraus her, die Klägerin sei nicht zu einer Inanspruchnahme von privaten Fahrdiensten befugt gewesen. Dies trifft in dieser Pauschalität nicht zu. Nicht zu beanstanden ist die Inanspruchnahme etwa für Geschäftsreisen. Diese unterliegen auch keinem steuerlichen Abzugsverbot - § 4 Abs. 5 EStG enthält ein solches nicht (vgl. für Werbungskosten von Arbeitnehmern § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4a Satz 1 EStG; Krüger in Schmidt, EStG, 41. Aufl., § 9 Rn. 211) -, soweit es sich, wie hier, um tatsächliche Aufwendungen handelt. Dass die Inanspruchnahme unwirtschaftlich gewesen sei, behauptet die Beklagte nicht und ist auch nicht ersichtlich, insbesondere im Vergleich zu Taxikosten. Damit aber liegt keine Pflichtverletzung vor, soweit Frau O. einen Fahrdienst etwa für Fahrten zum Flughafen oder für Fahrten zu einem Bahnhof eingesetzt hat, um von dort weiterzureisen. Ebenso wenig ist zu beanstanden, wenn die Beklagte - im Rahmen kaufmännischen Ermessensspielraums - einen Fahrdienst für dienstliche Belange der Klägerin einsetzt.
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(2) Anders liegen die Dinge bei Fahrten von der Privatwohnung zum Büro. Nach allgemeinen Grundsätzen tragen Arbeitnehmer und damit auch Geschäftsführer und Vorstände Kosten für die An- und Abreise zum Dienstort selbst, weil dort der Erfüllungsort der Leistung liegt. Dies gilt auch vorliegend. Eine Erstattung von Kosten für An- und Abfahrt zum und vom Dienstort ist vorliegend nicht vereinbart. Dies folgt zum einen aus einem Gegenschluss dazu, dass - nur - für Geschäftsreisen eine Erstattung angeordnet ist. Zum anderen wird der Befund dadurch gestützt, dass das Steuerrecht sowohl für Gewerbetreibende (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG) als auch für Arbeitnehmer (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG) die Abzugsfähigkeit beschränkt; der Beratervertrag nimmt hierauf Bezug. Die Inanspruchnahme der Fahrdienste für diese Zwecke auf Kosten der Beklagten war daher pflichtwidrig. Die Billigung durch Frau Dr. W. ändert daran nichts, weil für die Erstattungsfähigkeit einzig der Beratervertrag maßgeblich ist, der einer doppelten Schriftformklausel unterliegt und nicht unter Mitwirkung des für die Beklagte insoweit vertretungsbefugten (§ 112 AktG) Aufsichtsrats geändert wurde.
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Die pflichtwidrige Inanspruchnahme des Fahrdienstes für diese Fahrten genügt jedoch nicht für den Ausspruch der fristlosen Kündigung. Der Grad des vorwerfbaren Verschuldens ist nämlich vorliegend erheblich dadurch gemildert, dass Frau Dr. W. die Inanspruchnahme der Fahrdienste initiierte. Die Klägerin hat zum Fahrdienst Sch. vorgetragen (Schriftsatz vom 25.09.2020, S. 13f., Bl. 61f. d.A.), sie sei von Frau Dr. W. angesprochen worden: „Mensch, M., nutze doch einfach auch einen Fahrservice, das ist doch viel bequemer als selber Auto zu fahren und hat vor allem den unschlagbaren Vorteil, dass man während der Fahrt ungestört arbeiten kann. Die Rechnung kannst Du natürlich auf T. schreiben lassen. Da gibt es den Herrn H., oder noch besser, den Herrn Sch, der in Deiner Nähe wohnt.“ Der Vortrag ist auch dadurch unterlegt, dass Frau O. auf der ersten Rechnung des Fahrdienstes Sch. vermerkte (Rechnung vom 01.05.2017, Anlagenkonvolut B8): „Absprache mit Susanne W.!“. Die Beklagte ist dem Vortrag nicht konkret entgegengetreten, sondern hat lediglich darauf hingewiesen, dass allein maßgeblich die Vertragsgestaltung sei, Frau O. aus der Inanspruchnahme eines Fahrdienstes von Frau Dr. W. nicht ableite könne, dass auch ihr ein Fahrdienst zustehe, bzw. dass irrelevant sei, ob Frau O. im Verlauf der Bekanntschaft mit dem Ehepaar W. im Auftrag und auf Rechnung des Ehepaars W. ein Fahrservice gestellt wurde (Schriftsatz vom 08.10.2020, S. 7, Bl. 86 d.A.; ebenso wenig im Schriftsatz vom 07.01.2021, S. 7f., Bl. 154f d.A.). Ein Bestreiten der Ermutigung durch Frau Dr. W. zur Inanspruchnahme eines Fahrservice liegt darin nicht. Zur Inanspruchnahme des Fahrdienstes Hartmann hat die Beklagte vorgetragen, dass Frau Dr. W. Frau O. gegenüber erwähnt habe, Herr H. schreibe fast nur Rechnungen an die Kanzlei, der Frau Dr. W. angehöre; für die Kanzlei ergebe sich das Problem der Scheinselbständigkeit. Frau Dr. W. habe Frau O. gebeten, Herrn H. einzusetzen, wenn es etwas zu tun gebe (Schriftsatz vom 22.01.2021, S. 4, Bl. 174 d.A.). Auch diesem Vortrag ist die Beklagte nicht konkret entgegengetreten.
50
Damit liegt die Billigung der (mit knapp 80% Anteilsbesitz) mehrheitlichen mittelbaren wirtschaftlichen Eigentümerin der Beklagten vor, zu deren Lasten die Inanspruchnahme im Ergebnis geht. Hinzu kommt, dass Frau Dr. W. zur Überzeugung des Senats auch im Übrigen Einfluss auf die Aktiengesellschaft und ihren Aufsichtsrat nahm, sich also keineswegs auf eine passive Aktionärsrolle beschränkte. Dies zeigt sich namentlich in ihrer Einflussnahme auf den Aufsichtsrat, wie er in den Mails der Anlagen K20 und K21 zum Ausdruck kommt, aber auch in der engen Abstimmung zwischen Frau Dr. W. und Frau O. (vgl. Anlagen K34 und K35). Die Billigung durch den - aktiven - wirtschaftlichen (Mehrheits-)Eigentümer in der personalistisch organisierten Beklagten (mit nur einer Aktionärin, an der wiederum nur 3 Gesellschafter beteiligt waren) mindert den Unrechtsgehalt des Handelns der Beklagten nachhaltig. Allein der (eher formelle) Verstoß gegen die aktienrechtliche Kompetenzordnung genügt für eine fristlose Kündigung nicht.
51
Auf den Umstand, dass die Klägerin zu einzelnen Fahrten Umstände vortragen lässt, die die Inanspruchnahme in noch milderem Licht erscheinen lassen - auf die Ausführungen unter II. wird insoweit Bezug genommen -, kommt es demnach nicht einmal an, auch nicht auf die überschaubare Höhe der für Fahrdienste verauslagten Beträge (wie unter II. näher begründet, legt die Beklagte nur für Fahrten im Umfang von 2.468,85 € eine objektive Pflichtwidrigkeit hinreichend dar).
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(3) Auch die vorgetragene private Inanspruchnahme des Fahrdienstes für Fahrten von I. (Frau O. wohnt in S.bach, das Teil der Gemeinde W. ist und in unmittelbarer Nähe von I. liegt) - an eine Privatadresse in F. (bei L.) durch den Fahrservice H. ändert an der Bewertung nichts.
53
(a) Die Klägerin kann insoweit schon eine private Veranlassung der Fahrt nicht beweisen.
54
Zur Fahrt am 22.06.2017 (für 77 € netto; ausweislich der Abrechnung in K33 zwischen 16:00 und 19:30 Uhr) unterstellt der Senat den durch Einvernahme des Herrn H. unter Beweis gestellten, von der Beklagten bestrittenen Vortrag, Herr H. habe seiner Erinnerung nach ein Paket im Auftrag der Beklagten an eine Privatadresse abgeliefert. Daraus folgt nicht, dass die Paketlieferung privat veranlasst war. Die Beklagte - die behauptet und durch Unterlagen (Anlage K50) belegt, dass sie am 22. und 23.06.2017 in Essen bei einer Konferenz war - bestreitet bereits die Beauftragung. Folgerichtig macht sie keine Angaben zu der Veranlassung der Fahrt. Selbst wenn man annehmen wollte, dass der Zeuge H. entgegen der Erinnerung der Frau O. eine Beauftragung durch Frau O. bestätigen würde, stünde damit der Zweck der Fahrt nicht fest. Man kann insoweit auch schwerlich erwarten, dass ein Vorstand an einen derart untergeordneten Vorgang, der mittlerweile mehr als fünf Jahre her ist, eine Erinnerung hat. Die Lieferung an eine Privatanschrift mag ein Indiz für eine private Veranlassung darstellen; zwingend ist die Schlussfolgerung nicht (z.B. bei einer Lieferung an einen befreundeten Geschäftspartner). Schließlich ist nicht einmal ein Abrechnungsversehen auszuschließen, wenn tatsächlich eine private Veranlassung vorgelegen hätte und die Klägerin verabsäumt hätte, dies bei Bezahlung richtigzustellen. Frau O. zeigte zwar - wie im Folgenden noch gezeigt wird - durchaus gewisse Nachlässigkeiten im Umgang mit Reisekostenabrechnungen, mit einem klassischen Griff in die Kasse ist der Fall nicht vergleichbar.
55
Hinsichtlich der Fahrt am 06.07.2017 (für 100 € netto, am Vormittag zwischen 8 und 12 Uhr) bestreitet die Beklagte die Inanspruchnahme des Fahrdienstes und verweist darauf, dass sie ausweislich der Reisekostenabrechnung für den Monat Juli 2017 (vorgelegt als Teil der Anlage B36) ganztägig in München gewesen sei. Dem tritt die Beklagte nicht entgegen. Sie stellt auch nicht - anders als zur Fahrt am 22.06.2017 (Schriftsatz vom 29.01.2021, S. 3f., Bl. 187f. d.A.) - unter Beweis, dass konkret Frau O. die Beauftragung anordnete. Das mag naheliegend erscheinen, ist jedoch ebenfalls nicht zwingend. Im Übrigen gilt dasselbe, was schon zur Fahrt vom 22.06.2017 ausgeführt wurde: in keinem Fall ist tauglicher Beweis für eine private Veranlassung der Fahrt angeboten.
56
(b) Letztlich kommt es auf die Frage der Nachweisbarkeit dem Senat nicht entscheidend an. Selbst eine pflichtwidrige Inanspruchnahme des Fahrdienstes unterstellt, rechtfertigte dies vorliegend nicht eine außerordentliche Kündigung, wie sich aus der Gesamtschau ergibt. Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass eine Gesellschaft sich auf die Loyalität ihres Vorstandes verlassen können muss, weswegen die zweckwidrige Verwendung von Geldern auch in nur geringem Umfang grundsätzlich eine Kündigung rechtfertigen kann.
57
Hier sind jedoch Besonderheiten zu beachten: Es handelt sich um äußerst geringe Beträge (weniger als 200 € netto), es liegt keine Verschleierung vor (die Abrechnungen in der Anlage B33 benennen das Fahrtziel offen), die Inanspruchnahme ist lange her. Hinzu kommt außerdem, dass die Inanspruchnahme des Fahrdienstes H. - wie schon des Fahrdienstes Sch. - maßgeblich von Frau Dr. W. initiiert wurde, die offenbar um eine Inanspruchnahme regelrecht bat. In Übereinstimmung mit der Wertung, die der BGH in seinem Urteil vom 28.10.2002 - II ZR 353/00, juris-Rn. 10 getroffen hat (private Inanspruchnahme eines Autoreisezugs und urlaubsbedingte Parkgebühren im Umfang von knapp 700 DM), verneint der Senat auch im vorliegenden Fall aufgrund der genannten besonderen Umstände einen fristlosen Kündigungsgrund.
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(4) Im Übrigen ist eine Befassung des Aufsichtsrats mit der Inanspruchnahme der beiden Fahrservices weder vorgetragen noch erkennbar, erst recht nicht, dass der Kündigungsgrund wegen der Inanspruchnahme des Fahrservices H. - der erst im Nachverfahren eingeführt wurde - innerhalb der 2-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB geltend gemacht wurde.
59
dd. Den Vorwurf der Auszahlung von Geldern in Höhe von 162.142,87 € ohne Grundlage konnte die Beklagte nicht nachweisen.
60
Bezüglich der Nachberechnung des Honorars für März bis Juli 2017 in Höhe von 12.500 € netto, der Tantiemen 2017 und 2018 aufgrund Aufsichtsratsbeschlusses in Höhe von insgesamt 100.000 € netto und Beratungshonoraren Januar bis März 2020 in Höhe von 37.500 € steht unstreitig fest, dass die Vergütung materiell geschuldet war. Gestritten wird allein um die Frage, ob vor Auszahlung Rechnungen vorlagen. Die Klägerin hat im Prozess lückenlos die - jeweils zeitnah datierten - vermissten Rechnungen vorgelegt (Anlage K51). Sie behauptet, die Originale seien dem damaligen Steuerberater vorgelegt worden. Die Beklagte behauptet das Gegenteil und stellt unter Beweis, dass sie fehlende Rechnungen nicht vom vormaligen Steuerberater erhalten habe. Das genügt nicht (und bildet auch kein für die Überzeugungsbildung des Senats hinreichendes Indiz), wie bereits das Landgericht im Endurteil vom 15.03.2021 (LGU 6) ausführt. Unter Beweis hätte gestellt werden müssen, dass beim vormaligen Steuerberater die Belege nicht vorlagen, etwa durch dessen Benennung als Zeugen. Dies gilt umso mehr, als sich aus dem Vortrag der Beklagten ergibt (vgl. auch Anlage B31), dass die Vorsteuer geltend gemacht wurde; es erscheint aber in der Tat, wie die Klägerin vorträgt, fernliegend, dass ein Steuerberater diese ohne die für die Geltendmachung vorgeschriebene Rechnung (§ 15a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 2 UStG) bucht.
61
Bezüglich der Reisekosten gilt nichts anderes. Auch hier hat die Klägerin zwischenzeitlich sämtliche vermissten Rechnungen vorgelegt (Anlage K51); die Beklagte bleibt den Nachweis schuldig, dass die Rechnungen nicht dem damaligen Steuerberater vorgelegen hatten.
62
Dass die Klägerin schon vorgerichtlich die Reisekostenbelege (Rückscheine der Einschreiben in K41 und K42), darunter sind die von der Beklagten partiell selbst vorgelegten (Anlage B15), übersandt hat, räumt die Beklagte in ihrer Duplik (S. 7, Bl. 86 d.A.) ein. Sollte der Vortrag im Schriftsatz vom 07.01.2021, S. 8f., Bl. 155f. d.A., (gleichwohl) dahin zu verstehen sein, dass auch Reisekostenabrechnungen fehlen, kann dies allenfalls einen Teil der dort genannten Reisekosten betreffen, wie die Anlage B15 zeigt. Es fehlt trotz entsprechender Ausführungen im Vorbehaltsurteil (LGU 12) schriftsätzlich - die nicht näher ausgeführte Benennung der Anlage B34 als Beweismittel genügt insoweit nicht - jeder weiterer Vortrag dazu, welche konkreten Belege vermisst werden. Letztlich kann auch dies auf sich beruhen, denn für diese Belege gilt nichts anderes als für die Rechnungen. Die Klägerin hat vorgetragen, die Belege hätten dem damaligen Steuerberater vorgelegen. Die Beklagte hat insoweit keinen tauglichen Beweis angeboten.
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Ergänzend sei bemerkt: Selbst wenn Raum bleiben sollte für die Annahme - wie tatsächlich nicht -, dass in Einzelfällen die Auszahlung ohne Rechnungsstellung (zB bei der laufenden Vergütung) erfolgt wäre, begründet ein derartiger, allenfalls fahrlässiger Verstoß keinen Grund für eine außerordentliche Kündigung, zumal die Kontrollmechanismen der Buchhaltung hätten greifen müssen.
64
ee. Zu Recht beanstandet die Beklagte, dass Frau O. in den Monaten Februar bis Mai 2017 sowie August bis Dezember 2017 Verpflegungsmehraufwand in Höhe von 12 € pro Tag auch für solche Tage abgerechnet hat, in denen sie sich in München aufgehalten hat. Dies ergibt einen Nettobetrag von 848 €, brutto 1.009,12 €. Nach den vertraglichen Bestimmungen, wie bereits dargelegt, kann Aufwand nur abgerechnet werden, soweit dieser steuerrechtlich berücksichtigungsfähig ist. Die Tätigkeit an der Betriebsstätte begründet jedoch keinen Verpflegungsmehraufwand. Dieser setzt gemäß § 9 Abs. 4a Satz 2 EStG (in der 2017 geltenden Fassung) eine Tätigkeit außerhalb von Wohnung und erster Tätigkeitsstätte voraus. Korrespondierend erlaubt § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 EStG Unternehmern den Abzug für Verpflegungsmehraufwand des Steuerpflichtigen nur nach Maßgabe des § 9 Abs. 4a EStG bei einer vorübergehend von der Wohnung und dem Mittelpunkt der dauerhaft angelegten betrieblichen Tätigkeit entfernt ausgeübten Tätigkeit. Daran fehlt es. Der Pflichtverstoß erscheint jedoch nicht hinreichend gravierend, um eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. In den Abrechnungen ist die Tätigkeit mit Tätigkeitsort München korrekt ausgewiesen. Es liegt daher keine Verheimlichung der zugrunde liegenden Tatsachen vor. Die inhaltliche Fehlerhaftigkeit einer transparent gestellten Abrechnung begründet keine gravierende Pflichtverletzung, die - auch unter dem Aspekt der Loyalität, auf die sich die Beklagte bei ihren Vorständen verlassen können muss - eine fristlose Kündigung rechtfertigen würde (vgl. BGH, Urteil vom 28.10.2002 - II ZR 353/00, Leitsatz 1). Dies gilt umso mehr, als es sich um einen untergeordneten Betrag von etwa 1.000 € (brutto) handelt. Hinzu kommt - ohne dass dies für den Senat entscheidend wäre -, dass die Klägerin unwidersprochen vorgetragen hat (Schriftsatz vom 25.09.2020, S. 20, Bl. 68 d.A.), dass 2017 geplant gewesen sei, dass Frau O. die Tätigkeit tatsächlich nicht vom Büro der Beklagten, sondern vom Büro ihrer eigenen Firma aus hätte führen sollen. Dies macht erklärlich, warum die Klägerin meinte, eine Verpflegungspauschale beanspruchen zu können. Auch der Steuerberater hat keine Einwendungen erhoben; dies ist unbestritten und steht im Übrigen auch deshalb zur Überzeugung des Senats fest, weil dieser im Zusammenhang mit der Vorsteuer mit den Abrechnungen befasst gewesen sein muss.
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ff. Dahinstehen kann, ob die Klägerin gegenüber der Beklagten Reisekosten als Brutto- und nicht als Nettobeträge abgerechnet hat. Es fehlt schon an jeder schlüssigen Darstellung von konkreter Pflichtverletzung und Schaden. Nach eigenem Vorbringen beträgt der fehlerhafte vereinnahmte Betrag nur 158,50 €, wie sich aus der Hilfsaufrechnung ergibt. Selbst eine Pflichtverletzung unterstellt, spricht alles dafür, dass es sich um ein bloßes Versehen mit finanziell völlig untergeordneten Folgen handelt. Auch die bewusste Absicht einer Bereicherung liegt im unternehmerischen Verkehr aufgrund des Mechanismus von Steuer und Vorsteuer grundsätzlich fern.
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gg. Der Abschluss von Verträgen mit der G. I. GmbH, die im überwiegenden, aber nicht im alleinigen Eigentum von Frau O. steht, mit einem Volumen von € 17.822,23 brutto ohne Einschaltung des Aufsichtsrats begründet aus Sicht des Senats jedenfalls keinen schuldhaften, erst recht keinen gravierenden Pflichtenverstoß.
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Erst mit seinem Urteil vom 15.01.2019 - II ZR 392/17, BGHZ 220, 377, hat der Bundesgerichtshof geklärt, dass Aktiengesellschaften bei Verträgen, die sie mit einer Gesellschaft im Alleineigentum des Vorstandes schließen, nicht vom Vorstand, sondern gemäß § 112 AktG vom Aufsichtsrat vertreten werden. Die Frage, ob dies auch gilt, wenn der Vertragspartner - wie hier - im bloßen Mehrheitseigentum des Vorstandes steht, hat der BGH ausdrücklich offengelassen (BGH aaO, juris-Rn. 27). Selbst wenn man die Frage aus Gründen des Schutzzwecks bejaht (und man bezüglich der zwei Rechnungen vom 16.02.2017 über jeweils 2.380 € brutto, Anlage B17, den Anwendungsbereich auf Vertragsschlüsse vor Bestellung von Frau O. zum Vorstand erstreckt, vgl. BGH, aaO Rn. 32f.), der Abschluss der Verträge durch Frau O. demnach objektiv pflichtwidrig gewesen sein sollte, erfolgte der Verstoß aus Sicht des Senats schuldlos, weil die gegenteilige Auffassung gut vertretbar ist. Für Vertragsschlüsse vor der BGH-Entscheidung ergibt sich dies zwanglos daraus, dass die Frage - wie im BGH-Urteil dargelegt (BGH, aaO, juris-Rn. 13ff.) - zwischen Literatur und Obergerichten völlig umstritten war. Auch nach der BGH-Entscheidung erscheint die Sichtweise, dass es bei bloßem Mehrheitseigentum des Vorstandes einer Aktiengesellschaft beim Geschäftspartner zu keiner Verlagerung der Vertretungsbefugnis für die Aktiengesellschaft vom Vorstand auf den Aufsichtsrat kommt, gut vertretbar. Selbst wenn man dies - wie nicht - anders sehen wollte, handelte die Beklagte allenfalls leicht(est) fahrlässig im Hinblick auf die fehlende Kenntnis der Entscheidung und der (unterstellt) fehlerhaften Schlussfolgerung. Das Verhalten der Klägerin begründet daher mit Sicherheit keinen gravierenden Pflichtenverstoß, der eine fristlose Kündigung rechtfertigen würde. Dies gilt umso mehr, als die Geschäftsbeziehung bereits vor der Bestellung von Frau O. begründet wurde und überdies die mittelbare Mehrheitsaktionärin der Beklagten, Frau Dr. W., die an der Genesis ebenfalls beteiligt ist, eingebunden war (vgl. Schriftsatz der Klägerin vom 25.09.2020, S. 21, Bl. 69 d.A.). Materielle Einwände gegen die Geschäfte erhebt auch die Beklagte nicht.
68
hh. Der Senat vermag keine versuchte Aneignung von Vermögensgegenständen im Sinne einer versuchten Unterschlagung zu erkennen.
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(1) Dies gilt namentlich hinsichtlich des Laptops. Zutreffend ist, dass ein Laptop auf Rechnung der Beklagten angeschafft wurde, dieser somit zurückzugeben war. Der Senat ist jedoch nicht davon überzeugt, dass die Klägerin versucht hat, diesen der Beklagten vorsätzlich vorzuenthalten. Nur ein solches vorsätzliches Verhalten könnte als gravierende Pflichtverletzung die zweite Kündigung durch die Beklagte am 30.04.2020 rechtfertigen. Die Klägerin war im Zusammenhang mit der ersten Kündigung aufgefordert worden, sämtliche Arbeits- und Betriebsmittel wie PC, Dienstwagen und Handy zurückzugeben (Anlage K10). Die Klägerin schrieb am 22.04.2020, Anlage B18, zurück, dass sie keinen Dienstwagen, Handy oder PC von Togal gehabt habe. Einen Dienstwagen hatte die Klägerin - entgegen der Aufforderung durch die Beklagte, wie diese auch sehr wohl wusste, jedenfalls wissen musste - nicht. Bereits am 24.04.2020, also nur zwei Tage später, räumte sie nach Rücksprache mit dem IT-Beauftragten F. ein, es habe sich herausgestellt, dass der Laptop T. gehöre. Die Klägerin erklärt dies damit, dass sie einen eigenen, gemischt genutzten Laptop ersetzt habe, dabei geglaubt habe, dass der Ersatz für ihre Firma und nicht für T. angeschafft worden sei. Dieser Vortrag ist keineswegs lebensfremd, sondern durchaus plausibel, erst recht ist der Vortrag nicht widerlegt. Dabei kommt es nicht darauf an, ob Herr F. zuvor von der Beklagten mit einer Überprüfung beauftragt wurde oder sich die Klägerin an ihn wandte. Schon der zeitliche Ablauf - ein schnelles Einräumen der Eigentumsverhältnisse, ohne dass die Klägerin seitens der Beklagten mit Unterschlagungsvorwürfen konfrontiert worden war - spricht indiziell für die Klägerin. Im Übrigen erscheint es dem Senat wenig wahrscheinlich, dass eine Geschäftsfrau versucht, einen Laptop zu unterschlagen, von dem sie wissen muss, dass er bei der Beklagten inventarisiert ist. Auch der bloße Verdacht genügt für die Kündigung nicht. Unbeschadet der Frage der Notwendigkeit einer Anhörung der Klägerin, tragen die Verdachtsmomente, wie gerade ausgeführt, nicht.
70
Die Nutzung dieses Laptops auch für eigene Zwecke in dem Glauben, dieser gehöre gar nicht der Beklagten, begründet - anders als die Beklagte meint - keinen weiteren Kündigungsgrund. Für die Ehrlichkeit der Klägerin spricht im Übrigen auch der nachfolgende weitere Umstand, den die Beklagte als weiteren Kündigungsgrund heranzuziehen versucht.
71
(2) Die Beklagte wirft der Klägerin vor, sie habe einen Router, einen Drucker sowie Telefone (2 Handapparate) der Beklagten bei sich verbauen lassen und diese nicht unverzüglich zurückgegeben.
72
Die Rückgabe erfolgte - unstreitig - vollständig eigeninitiativ, ohne dass der Beklagten die Existenz dieser Geräte bekannt gewesen wäre (vgl. Schreiben der Klägervertreterin vom 12.05.2020, Anlage B23). Eine versuchte Aneignung von Vermögenswerten liegt somit fern. Plausibel ist auch, dass die Klägerin - gerade in der Ausnahmesituation nach einer zweifellos belastenden fristlosen Kündigung - die Zuordnung dieser Geräte vergessen hatte. Schließlich begründet der Einbau der Geräte keinen Kündigungsgrund. Es ist schon zweifelhaft, ob die Ausstattung als betriebliche Zusatzleistung der Genehmigung des Aufsichtsrats bedurft hätte, wie die Beklagte meint. Die Beklagte stellt nicht in Abrede, dass Home Office der Beklagten bekannt und geduldet war. Auch aus dem Beratervertrag ergibt sich, dass nicht ohne Weiteres von einer Tätigkeit in den Geschäftsräumlichkeiten der Beklagten ausgegangen wurde (vgl. Ziff. 2.2: „Soweit die Durchführung der Tätigkeit in den Geschäftsräumen der Gesellschaft erfolgt, …“). Es ist nachvollziehbar, dass Frau O. nicht die eigene (private) Telefonnummer für die Geschäftstätigkeit nutzen wollte. Die (nicht kostenintensive) Anschaffung diente damit der Herstellung einer effektiven Arbeitsfähigkeit. Selbst wenn zutreffen sollte, dass die Anschaffung pflichtwidrig erfolgte, begründete dies jedenfalls keinen schweren Pflichtenverstoß der Frau O.
73
ii. Die Beklagte trifft auch nicht der - soweit erkennbar, vom Aufsichtsrat ebenfalls nicht behandelte - Vorwurf einer Verletzung der Organisations- und Überwachungspflichten.
74
Frau O. hat - nachvollziehbar - aus Kostengründen die Überwachung von Kosmetikprodukten der Firma H. Pharma Services entzogen (die weitaus „kritischere“ Überwachung im Bereich Arzneimittel dort jedoch belassen). Es steht jedoch zur Überzeugung des Senats fest, dass damit nicht einherging, dass die Überwachung des Kosmetikbereichs vollständig in die eigene Hand genommen werden sollte. Die Klägerin hat jedenfalls das Angebot einer Eingangskontrolle für kosmetische Produkte mit der Firma P. Consulting (K53 = BB3) und den Entwurf für einen Projektvertrag zur Prüfung von Produkttexten auf Verpackungen und Beipackzetteln (K56 = Bb6) vorgelegt. Es mag zutreffen, wie die Beklagte ausführt, dass diese Verträge nicht geschlossen wurden. An der einzelfallbezogenen Einbindung der Firma P. Consulting besteht jedoch kein Zweifel (K54 = BB4). Dass die Klägerin ihre Organisations- und Überwachungspflichten im Bereich Kosmetikprodukte verkannt und vernachlässigt hätte, ist damit widerlegt (vgl. auch die Schulung im Bereich Qualitätssicherung durch die Firma H., Anlage K52 = BB2).
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Die Vorwürfe bezüglich des Sprühpflasters und E. rechtfertigen ebenfalls keinen Vorwurf an die Klägerin:
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(1) Hinsichtlich des Sprühpflasters unterstellt der Senat zugunsten der Beklagten, dass die Freigabe durch die Mitarbeiterin G. erfolgte (die Anlage B47 belegt im Übrigen den mehrstufigen Ablauf der Freigabe einschließlich einer Prüfung durch den Kosmetikbeauftragten). Aus diesem Vorgehen folgt nicht, dass ein Vorstand damit hätte rechnen müssen, dass Mitarbeiter das Ablaufdatum in der - aus Sicht des Senats angesichts der ständigen Praxis in diesem Bereich fernliegenden - Schreibweise Jahr und Kalenderwoche statt Jahr und Monat (so auch § 10 Abs. 7 AMG) aufdrucken lassen bzw. freigeben würden.
77
(2) Bezüglich der Fußcreme E. Retro geht der Senat aufgrund der Bestätigung der Herstellerin davon aus, dass das dort verwendete Parfumöl tatsächlich Lyral enthält (vgl. Anlage B43). Produkte mit diesem Stoff dürfen aufgrund der Verordnung (EU) 2017/1410 vom 02.08.2017 letztmalig am 22.08.2019 in den Verkehr gebracht werden; der Verkauf in Verkehr gebrachter Produkte ist mit Wirkung vom 23.09.2021 verboten. Die Herstellung wurde bei der Firma M. im Dezember 2017 - also nach Erlass der Verordnung, jedoch zu einem Zeitpunkt, in dem der Vertrieb von L. noch keinen Beschränkungen unterlag - in einem Umfang von 195.900 Stück beauftragt (Anlage B42). Angedacht war ein Vertrieb anlässlich des 80-jährigen Jubiläums der Marke E. 2018. Demnach fiel der geplante Abverkauf nicht in die Zeit von Produktbeschränkungen. Die Entscheidung, eine Menge von 195.900 Stück von der Creme zu bestellen, stellt eine kaufmännische Entscheidung dar, die nicht zu beanstanden ist. Substantiierte Einwände gegen die bestellte Menge erhebt auch die Beklagte nicht.
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Hinzu kommt - und damit bricht der Vorwurf der Beklagten einer Bestellung einer zu großen Menge endgültig in sich zusammen -, dass aus Sicht des Senats für Frau O. nicht zu erkennen war, dass das Produkt eine mittelfristig Vertriebsbeschränkungen unterliegende Zutat enthielt. Das Verhalten der Klägerin war daher schuldlos, erst recht fehlt es an einer gravierenden Pflichtverletzung. Die Liste der Inhaltsstoffe durch den Hersteller enthält das Parfumöl nicht (K57 = BB7), musste dies nach Angaben des beauftragten Prüfers auch nicht (Anlage B48). Das Produkt wurde durch Herrn Dr. (Dipl.-Biologe) W. J. B. sicherheitsbewertet (K58 = Anlage BB8). Ausdrücklich heißt es dort: „In der Rezeptur konnten von mir keine verbotenen Stoffe und keine geregelten Stoffe in zu hohen Dosierungen festgestellt werden.“ In die Freigabe von E. waren sowohl die erwähnte Firma P. Consulting als auch die Firma H. - deren Kündigung die Beklagte beanstandet - eingebunden (Anlagen K54 = BB 4 und K59 = BB9). Vor diesem Hintergrund einer umfassenden Prüfung vermag der Senat den Vorwurf einer Pflichtwidrigkeit nicht erkennen.
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Selbst wenn man von einem Verstoß ausgehen wollte, ist dieser nicht hinreichend gravierend, um eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin grundsätzlich Überwachungspflichten anerkannt und Prüfschritte eingeleitet hat, mithin keine gravierende Pflichtverletzung vorliegt. Hinzu kommt, dass der Geschäftsbetrieb abverkauft ist. Die Beklagte betreibt keinen eigenen Arzneimittel- und Kosmetikbereich mehr; es besteht nicht die Besorgnis einer Wiederholung von entsprechenden Pflichtverstößen. Beides lässt einen (ohnehin nur unterstellten) Pflichtenverstoß in einem milderen Licht erscheinen.
80
jj. Zweitinstanzlich nicht mehr angeführt wird der beim Landgericht noch erhobene Vorwurf, Frau O. habe für die Beklagte eine Mitgliedschaft im „Senat für Wirtschaft“ (auch dieser Gesichtspunkt wurde nicht vom Aufsichtsrat behandelt), ein Forum für Unternehmer, begründet und dafür überhöhte Beiträge (400 statt eigentlich geschuldeter 300 € pro Monat) entrichtet. Die Begründung der Mitgliedschaft in einer solchen Vereinigung als Möglichkeit der Vernetzung (vgl. dazu den klägerischen Vortrag vom 25.09.2020, S. 17ff., Bl. 65 ff. d.A.) ist vom unternehmerischen Ermessen eines Vorstandes gedeckt. Die Klägerin hat überdies widerlegt, dass überhöhte Beiträge gezahlt wurden. Begründet wurde nicht eine „einfache“ Mitgliedschaft für 300 €, sondern eine Mitgliedschaft einschließlich der sog. Gemeinschaftsanzeigen (Anlage K40). Schließlich hat sie nachgewiesen, dass sie die Rechnung für einen Heurigen-Abend und einen Hofburg-Ball an ihre Privatadresse übersenden ließ (Anlage K38) und dass sie Hotelkosten selbst zahlte (Anlage K39).
81
kk. Auch in einer Gesamtschau der geltend gemachten Kündigungsgründe ergibt sich kein Grund für eine fristlose Kündigung.
82
ll. Vor diesem Hintergrund muss der Senat nicht vertiefen, ob die Beklagte mit den Kündigungsgründen Gewährung einer Versicherung, Nutzung des Fahrservices Sch. Entnahmen ohne Rechnung, Abrechnung von Verpflegungsmehraufwendungen, Reisekosten auf Basis Brutto statt Netto, Eigengeschäfte mit der Firma G. ohne Zustimmung des Aufsichtsrats, versuchte Aneignung von Vermögensgegenständen und Senat für Wirtschaft für den Vergütungszeitraum April 2020 bis Dezember 2020 schon deshalb ausgeschlossen ist, weil das Landgericht diese Kündigungsgründe im Vorbehaltsurteil aus Gründen zurückgewiesen hat, die außerhalb der Besonderheiten des Urkundsverfahren liegen. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung wirkt eine derartige Zurückweisung von Einwendungen endgültig, weil insoweit gerade keine Zurückweisung der Einwendung als im Urkundsverfahren nicht statthaft erfolgte (§ 598 ZPO). Die Beklagte hat das Vorbehaltsurteil insoweit durch ihre Erledigungserklärung des Berufungsverfahrens rechtskräftig werden lassen. Dieser Ausschluss würde freilich in keinem Fall für die Ansprüche wirken, die erst im Rahmen des Nachverfahrens im Wege der Klageerweiterung eingeführt wurden (Vergütung für die Monate Januar bis Juli 2021; vgl. BGH, Urteil vom 25.08.2022 - VII ZR 86/20).
3. Die Beklagte schuldet für die Zeit nach dem 23.04.2020 (dem Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung) die Vergütung aus Annahmeverzug, § 615 BGB, da Frau O. der Kündigung unverzüglich widersprochen hat - schon darin kann ein hinreichendes Angebot der Dienstleistung im Sinne von § 295 BGB liegen, ebenso in der Erhebung der Gehaltsklage (vgl. Grüneberg in ders., BGB, 82. Aufl., § 295 Rn. 2 mwN) - und sich sogar explizit leistungsbereit erklärt hatte, so bereits im Anwaltsschreiben vom 23.04.2020, Anlage K11, ebenso in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht am 08.02.2021. Zweifel an der Ernsthaftigkeit hegt der Senat nicht, zumal nicht geltend gemacht ist, dass Frau O. ihrer Tätigkeit nach Verkauf des Geschäftsbetriebs 2020 bis zur Kündigung durch die Beklagte nicht nachgekommen wäre. Es liegt daher ein Leistungsangebot im Sinne von § 295 ZPO vor. Im Übrigen war auch das wörtliche Angebot entbehrlich, weil die Beklagte zu erkennen gegeben hat, sie werde Frau O. unter keinen Umständen weiterbeschäftigen (vgl. dazu BGH, Urteil vom 09.10.2000 - II ZR 75/99). Dies leitet der Senat aus der mehrfachen Kündigung in kurzem zeitlichem Abstand (u.a. wegen des Vorwurfs der Unterschlagung), dem Umstand, dass Frau O. sämtliche Betriebsmittel einschließlich Schlüssel zurückgeben sollte - sie sollte offenkundig weder von daheim noch vom Firmensitz aus tätig werden - und aus der Auswechslung von Frau O. als Vorstand durch Frau Dr. W. (im Handelsregister bereits am 29.04.2020 eingetragen) her.
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4. Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 291 BGB iVm § 288 Abs. 2 BGB in Zusammenschau mit der vertraglichen Fälligkeitsregelung.
84
Die erst in der Berufungsinstanz gegen die Vergütungsforderung geltend gemachte Hilfsaufrechnung der Beklagten (Berufungsbegründung, S. 36, Bl. 317 d.A.) hat, wie mit den Parteien in der Verhandlung erörtert, im Umfang von 3.477,97 € Erfolg. Die Einführung erst in der zweiten Instanz begegnet keinen Bedenken (§ 533 ZPO), da die Klägerin der Einführung als solches nicht widersprochen hat, die Behandlung die Bereinigung des Rechtsstreits überdies fördert, die Behandlung somit zugleich sachdienlich ist, und die geltend gemachten Gegenansprüche auf bereits erstinstanzlich gebrachtem Tatsachenvortrag beruhen. Im Einzelnen ist auszuführen:
85
1. Hinsichtlich der Nutzung des Fahrservices Sch. ist die Gegenaufrechnung in Höhe von 735,02 € begründet.
86
Wie bereits oben unter B.I.2.b.cc ausgeführt, war die Inanspruchnahme von Fahrdiensten nicht per se pflichtwidrig; es liegt vielmehr im Ermessen der Geschäftsleitung, dienstlich veranlasste Fahrten entsprechend der kaufmännischen Verantwortung durchzuführen. Daher ist es nicht zu beanstanden, wenn Fahrdienste für Geschäftsreisen (oder Teile derselben, etwa für Fahrten zum Münchener Flughafen oder nach München-Pasing, um dort einen Fernzug zu besteigen) in Anspruch genommen werden. Nicht vom Beratervertrag gedeckt waren jedoch Fahrten zwischen Privatwohnung und Arbeitsstätte.
87
Soweit die Fahrten zu Unrecht in Anspruch genommen wurden, schuldet die Klägerin die Erstattung zum einen aus Schadensersatz gemäß § 93 Abs. 2 AktG wegen einer fahrlässigen - weil nach dem Vertrag erkennbaren - Pflichtverletzung, zum anderen schuldet sie Wertersatz aus § 812 Abs. 1 Satz 1, § 818 Abs. 2 BGB, weil die Beklagte mit der Beförderung eine nach dem Beratungsvertrag nicht geschuldete, somit rechtsgrundlose Leistung erbracht hat. Als Wertersatz ist der objektive Wert der Leistung anzusetzen, den der Senat mangels anderweitiger Erkenntnisse mit dem seitens der Fahrdienste in Rechnung gestellten Betrag bemisst.
88
Daran gemessen ergibt sich:
a. Die Beklagte wirft der Klägerin Fahrten vom Wohnhaus zu den Geschäftsräumen der Beklagten an folgenden Tagen vor (Berufungsbegründung, S. 8, Bl. 289 d.A.): am 21.02.2018, am 21.12.2018, am 18.09.2019, am 25.09.2019, am 02.10.2019 und am 29.10.2010 vor. Dies ist indes nur teilweise richtig:
89
aa. Bei der Fahrt am 21.02.2018 (à 521,01 €) handelte es sich, wie sich aus der Rechnung der Personenbeförderung G. Sch. vom 02.03.2018 (im Anlagenkonvolut B8), um eine Dienstreise von Frau O.r nach V. (mit Rückfahrt). Die Klägerin hat vorgetragen (Schriftsatz vom 25.09.2020, Seite 16, Bl. 64 d.A.), dass sie dort die Firma L. GmbH & Co.KG, eine Kundin der Beklagten, besucht habe. Dem ist die Beklagte in der Folge nicht mehr entgegengetreten. Hier durfte die Klägerin nach den obigen Ausführungen einen Fahrdienst in Anspruch nehmen. Dass die Fahrt über den Geschäftssitz erfolgte, ändert daran nichts, zumal die Klägerin - wiederum ohne dass die Beklagte dem noch konkret entgegengetreten ist - vorgetragen hat, dass sie von der Mitarbeiterin C. begleitet worden sei. Ein Erstattungsanspruch besteht daher nicht.
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bb. Die Fahrt am 21.12.2018 (à 151,26 € zzgl. USt) erfolgte, weil Frau O. nach eigenen Angaben vergessen hatte, Weihnachtspräsente für die Belegschaft der Kanzlei zu übergeben. Dieser Einwand ändert nichts daran, dass es sich gleichwohl um eine Fahrt vom Wohnort zur Arbeitsstätte handelte, für die die Klägerin selbst aufzukommen hat. Die Fahrt ist zu erstatten.
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cc. Nicht zu erstatten ist die Fahrt am 18.09.2019. Es handelt sich ausweislich des unwidersprochenen klägerischen Vortrags und des damit übereinstimmenden handschriftlichen Vermerks auf der Rechnung vom 09.10.2019 (ebenfalls im Anlagenkonvolut B8) um die Fahrt nach München-Pasing, von wo aus die Beklagte die Zugfahrt zur M.-Messe in Karlsruhe antrat (vgl. Schriftsatz der Klägerin vom 25.09.2020, S. 15, Bl. 63 d.A.). Es handelt sich somit um Kosten für eine Geschäftsreise, für die Fahrdienste in Anspruch genommen werden durften.
92
dd. Zu erstatten sind die Fahrten zwischen Wohnort und Büro am 25.09.2019, am 02.10.2019 (zu jeweils 163,87 € zzgl. USt) und am 29.10.2019 (zu 67,23 €). Die Klägerin verteidigt (aaO, S. 15f., Bl. 63f. d.A.) die Anspruchnahme des Fahrdienstes, weil Frau O. wegen Schwindels bzw. einer oralen OP fahrunfähig, teilweise eigentlich sogar arbeitsunfähig gewesen sei. Diese Einlassung ändert nichts am Erstattungsanspruch der Beklagten: Es handelt sich um Fahrten vom Wohnort zum Büro, die nach dem Beratungsvertrag schlicht nicht erstattungsfähig sind. Es lag in der Entscheidung von Frau O., das Büro - trotz Krankheit unter erschwerten Bedingungen - aufzusuchen oder dies zu unterlassen; auf die Erstattungsfähigkeit der Kosten hat dies keine Auswirkungen.
93
b. Ferner wirft die Beklagte der Klägerin zwei Besorgungsfahrten Inning - München ohne erkennbare betriebliche Veranlassung vor (Berufungsbegründung, S. 8, Bl. 289 d.A.). Ein Erstattungsanspruch besteht jedoch nur für die Fahrt am 14.09.2018, nicht für die Fahrt am 15.10.2018:
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aa. Die Fahrt am 14.09.2018 (zu 71,43 € netto) erfolgte nach Angabe der Klägerin, weil sie ihren Laptop daheim vergessen hatte und daher Herrn Sch damit beauftragte, diesen zu holen. Damit handelt es sich um eine Wegstrecke Arbeitsstätte - Wohnort, den die Klägerin „aus eigener Tasche“ zu bezahlen hat. Insoweit ist Ersatz geschuldet.
95
bb. Die Fahrt am 15.10.2018 diente dagegen nach dem unwidersprochenen Vortrag der Klägerin (aaO, S. 16, Bl. 64 d.A.) der Übersendung von Genesungswünschen an den an Darmkrebs erkrankten Aufsichtsratsvorsitzenden und ist daher dienstlich veranlasst.
96
c. Insgesamt kann die Beklagte aus der Inanspruchnahme des Fahrdienstes Sch. - vgl. die Beträge unter a.bb., a.dd. und b.aa, - 617,66 €, brutto somit € 735,02 € beanspruchen.
97
Zu weiteren Fahrten hat die Beklagte schon keinen konkreten Vortrag gehalten. Da sie relevante Fahrten in den erstattungsfähigen Kategorien „Fahrt zur Arbeit“ bzw. „ungeklärte Fahrten“ konkret benannt hat, bedurfte es auch keines ergänzenden Hinweises. Im Übrigen wäre ein Hinweis auch deshalb entbehrlich gewesen, weil es sich bei den inmitten stehenden Beträgen im Verhältnis zur Klageforderung um einen untergeordneten Betrag handelt, der wirtschaftlich einer Nebenforderung entspricht, bei der die Hinweispflicht entfällt (§ 139 Abs. 2 ZPO; Seiler in Thomas/Putzo, ZPO, 43. Aufl., § 139 Rn. 24).
98
2. Aus der Inanspruchnahme des Fahrdienstes H. kann die Beklagte von der Klägerin einen Betrag von 1.733,83 € verlangen. Auch insoweit hat die Beklagte konkrete Fahrten benannt, bei der sie die Einschaltung des Fahrdienstes für pflichtwidrig hält (Berufungsbegründung, S. 10, Bl. 291 d.A.). Zu diesen Fahrten ist auszuführen:
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a. Hinsichtlich der Fahrten von I. nach F. am 22.06.2017 und am 06.07.2017 (77 € und 100 € zzgl. USt) - vgl. bereits die Ausführungen zu diesen Fahrten unter B.I.2.b.cc.(3), dort allerdings mit anderer Beweislastverteilung - schuldet die Klägerin Erstattung, weil es ihr nicht gelingt, sich vom Vorwurf einer Pflichtverletzung zu entlasten. Frau O. hat entweder Herrn H. beauftragt oder aber die Abrechnung freigegeben; dies schließt der Senat daraus, dass die Inanspruchnahme von echten Fahrdiensten (anders als der Einsatz für die Verwaltung von Immobilien) zur Überzeugung regelmäßig nur von Frau O. veranlasst wurde, folglich davon auszugehen ist, dass sie - wenn sie Herrn H. nicht selbst beauftragt hat - sie zumindest die Abrechnung von Herrn H. freigeben musste. Die Ordnungsmäßigkeit der Geschäfte muss nach § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG Vorstand, vorliegend also die Klägerin, darlegen und beweisen. Sie hat jedoch schon nicht hinreichend vorgetragen, erst recht keinen Beweis dafür angeboten, dass diese Fahrten dienstlich veranlasst waren.
b. Die Beklagte moniert des Weiteren die Fahrten von I. nach München am 23.08.2017, am 10.11.2017 und am 24.01.2018. Die Angaben zu den Fahrten, auf die sich der Senat im Folgenden bezieht, sind den Abrechnungen von Herrn H. im Anlagenkonvolut B33 entnommen.
100
aa. Bei der Fahrt am 23.08.2017 handelt es sich zur Überzeugung des Senats - wie einer Zusammenschau der Angaben in der Abrechnung von Herrn H., die so häufiger vorkommen (vgl. dazu unter c.), und den angegebenen Uhrzeiten zu entnehmen ist - zum einen um eine Arbeitswegefahrt der Klägerin (hin und zurück), zum anderen um die Betreuung der L.straße, einer Immobilie der Beklagten. Die dienstliche Veranlassung im Aufgabenkreis der Beklagten, soweit Herr H. mit der Betreuung der Immobilienbetreuung beauftragt war, zieht auch die Beklagte nicht in Zweifel. Der Beklagten zu erstatten ist aber der Zeitanteil, der auf den Arbeitsweg von Frau O. entfällt.
101
Diesen Zeitanteil schätzt der Senat (§ 287 ZPO) auf zwei Stunden pro Fahrt. Er greift dabei darauf zurück, dass für solche Fahrten am 16.01.2018, 20.03.2018, am 17.07.2018 und am 04.02.2019 jeweils zwei Stunden abgerechnet wurden. Es handelt sich um einen belastbaren Durchschnittswert, wobei der Senat zur Kenntnis genommen hat, dass in einzelnen Fällen kürzere oder längere Zeiten angefallen sind.
102
Von den anzusetzenden 4 Stunden entfallen eine halbe Stunde auf den erhöhten Stundentarif von 30 € netto (also 15 €) und 3,5 Stunden auf den Normaltarif von 25 € (87,50 €). Zu erstatten sind demnach 102,50 € zzgl. USt.
103
bb. Hinsichtlich der Fahrt am 10.11.2017 ist als Ziel - anders als sonst - eine Druckerei in I. angegeben; das passt ebenso wenig zu einer Fahrt vom und zum Büro wie die angegebene Uhrzeit (11:00 bis 13:00 Uhr). Eine Erstattungsfähigkeit scheidet aus.
104
cc. Zu erstatten ist die Fahrt (zu 175 € netto) von Inning zur Pinakothek und (über die T.werke) nach Inning. Es mag sein, dass es sich beim Besuch der Pinakothek um einen Besuch der Frau O. (auch) im Interesse der Beklagten handelte. Das aber genügt nicht, die Fahrt zu einer Geschäftsreise zu machen, für die die Beklagte aufzukommen hätte.
105
c. Für aus den Rechnungen ersichtliche Fahrten zwischen dem Wohnort von Frau O. (W.see) und dem Büro geht der Senat von Arbeitswegekosten aus, für die Frau O. den Fahrdienst nicht in Anspruch nehmen durfte. Die Beklagte hat auf Seite 10 ihrer Berufungsbegründung (Bl. 291 d.A.) - wie schon erstinstanzlich - konkrete Fahrten benannt. Die Klägerin hätte sich hierzu, anders als sie meint, konkret einlassen können und müssen. Dies hat sie nicht gemacht. Der Vortrag, es handele sich um Arbeitswegefahrten, ist damit unstreitig. Hinsichtlich der Höhe legt der Senat die angegebenen Zeiten zugrunde, soweit Herr H. ausschließlich für den Arbeitsweg gebucht wurde. Bei „gemischter“ Beauftragung (etwa Arbeitsweg und Immobilienbetreuung) schätzt der Senat, wie oben ausgeführt, den Zeitanteil des Arbeitswegs auf zwei Stunden pro Fahrt. Daraus ergeben sich folgende der Beklagten zu erstattende (Netto-)Beträge:
jeweils 100 € für 2x2 Stunden der Inanspruchnahme des Fahrdienstes am 03.01.2018 und am 15.01.2018, exakte 50 € für die Fahrt am 16.01.2018, jeweils geschätzte 50 € am 08.02.2018 und am 12.03.2018, jeweils exakte 50 € am 20.03.2018 und am 17.07.2018, geschätzte 100 € (für 2x2 Stunden) am 22.08.2018, exakte 65 € am 06.09.2018 (2,5 Stunden, davon 0,5 Stunden zum Stundentarif von 30 €), exakte 37,50 € am 02.10.2018, exakte 125 € am 23.11.2018 (nicht 23.10.2018, wie in der Berufungsbegründung angegeben), exakte 87,50 € am 31.01.2019, exakte 50 € am 04.02.2019, exakte 37,50 € am 13.03.2019 und geschätzte 50 € am 28.08.2019.
106
Nicht zu erstatten ist die Fahrt am 12.06.2018. Hier handelt es sich um eine Dienstreise.
107
d. Insgesamt ergibt sich für die Inanspruchnahme des Fahrdienstes H. ein der Beklagten zuzusprechender Nettobetrag von 1.457 €, brutto somit 1.733,83 €.
108
3. Hinsichtlich der Versicherungsprämie besteht kein Anspruch der Beklagten auf Rückzahlung. Eine pflichtwidrige Handlung (oder auch nur Duldung) von Frau O. ist, wie oben ausgeführt, nicht zu erkennen. Der auf Bereicherung, § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB, gestützte Anspruch ist ebenfalls nicht begründet. Zwar trifft zu, dass Versicherungsleistungen für den Vorstand einen Teil seiner Gesamtbezüge bilden (vgl. § 87 Abs. 1 Satz 1 AktG), die vom Aufsichtsrat festzusetzen sind. Insofern erfolgte die Leistung ohne Rechtsgrund. Die Klägerin ist jedoch nicht bereichert bzw. muss eine etwaig bestehende objektive Bereicherung, weil aufgedrängt und ohne Nutzen für sie, nicht gegen sich gelten lassen. Es ist schon zweifelhaft, ob die Klägerin durch eine Versicherung für ihre Geschäftsführerin persönlich überhaupt eine Bereicherung erfährt. Jedenfalls erfolgte die Bereicherung ohne nachgewiesenes Zutun von Frau O. und damit aufgedrängt. Die Klägerin hat unwidersprochen vorgetragen, dass Frau O. bereits über einen Unfallversicherungsschutz verfügte. Ein Nutzen aus der Versicherung ist nicht zu erkennen.
109
4. Hinsichtlich des Verpflegungsmehraufwandes in Höhe von 1.009,12 € ist die Aufrechnung begründet. Wie oben ausgeführt, erfolgte die Inrechnungstellung des (Brutto-)Betrages durch die Klägerin im Rahmen der Reisekostenabrechnung unberechtigt, die Leistung durch die Beklagte an die Klägerin daher rechtsgrundlos, § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB.
110
5. Keinen Erfolg hat die Aufrechnung der Beklagten mit einem Betrag von 158,50 € wegen unberechtigter Bruttostatt Nettoabrechnung bei den Reisekosten. Selbst unterstellt, die Klägerin hat tatsächlich in den Monaten Februar bis Mai 2017 angefallene Reisekosten als Brutto- und nicht als Nettobeträge abgerechnet, fehlt jede schlüssige Darstellung, wie die Beklagte zu dem geltend gemachten Betrag gelangt. Aus der Anlage B15 ergibt sich keine nachvollziehbare Berechnung des Differenzbetrages. Eines Hinweises nach § 139 ZPO bedurfte es, weil es sich um einen (völlig) untergeordneten Betrag und damit wirtschaftlich um eine Nebenforderung handelt, entsprechend Abs. 2 der zitierten Vorschrift nicht (vgl. Seiler in Thomas/Putzo, ZPO, 43. Aufl., § 139 Rn. 24).
111
6. Unbegründet ist die Hilfsaufrechnung bezüglich der Schadensersatzposition Verkauf von E. an die Firma K.
112
Es wurde bereits oben gezeigt, dass der Senat keinen Pflichtenverstoß von Frau O. hinsichtlich der Produktion von E. sieht. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der Beweislastverteilung des § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG. Schon von daher scheiden Schadensersatzansprüche aus. Im Übrigen fehlt es, wie in der mündlichen Verhandlung dargelegt, an einem Schaden. Die Beklagte trägt vor, sie habe 29.390 Packungen E. zu einem Einzelkaufpreis von 0,71 € an die Firma K. verkauft. Diesen habe sie zurückzahlen müssen. Damit ist kein Schaden dargelegt; es erfolgte lediglich eine Rückzahlung eines zuvor vereinnahmten Betrages. Diesen Betrag hätte die Beklagte nach dem eigenen Vortrag der Beklagten überhaupt nicht mehr vereinnahmen dürfen, wenn E. wegen des enthaltenen Wirkstoffs Lyral ab August 2019 dem Verbot eines erstmaligen Abverkaufs aus dem Lager des Herstellers unterlag.
113
7. Aus der Addition der unter 1., 2. und 4. genannten Beträge ergibt sich, dass die Aufrechnung der Beklagten in Höhe von 3.477,97 € begründet ist.
114
Die Aufrechnung der Beklagten ist, soweit sie Erfolg hat, vorliegend auf die älteste der „Vergütungsforderungen“ anzurechnen (vgl. § 366 Abs. 2 iVm § 396 Abs. 1 Satz 2 BGB); in dieser Höhe ist das Vorbehaltsurteil in Ziff. 1 aufzuheben (Ziff. 1 des Tenors des Senatsurteils) und die Klage abzuweisen (Ziff. 5 des Tenors des Senatsurteils, vgl. § 302 Abs. 4 Satz 2, § 600 Abs. 2 ZPO). Im Übrigen hat das Vorbehaltsurteil Bestand, ist folglich aufrechtzuhalten. Insoweit hat die Berufung der Beklagten keinen Erfolg und ist zurückzuweisen. Ebenfalls zurückzuweisen ist die Berufung der Beklagten, soweit das Landgericht der Klageerweiterung im Nachverfahren (in Höhe von 14.875 €) stattgegeben hat.
115
Die Berufung der Klägerin hat in vollem Umfang Erfolg. Da die Kündigung unwirksam war, kann die Klägerin auch die Vergütung für die Monate Februar bis Juni 2021 (in Höhe von 5x 14.875 €, also 74.375 €) beanspruchen. Dabei kann dahinstehen, ob das Landgericht in seinem Endurteil - anders als noch im Vorbehaltsurteil - die Klage auf im Entscheidungszeitpunkt zukünftige Vergütung zu Recht abgewiesen hat, da es die Voraussetzungen des § 259 ZPO als nicht erfüllt angesehen hat. Zwischenzeitlich ist der Anspruch fällig, so dass es auf die Voraussetzungen des § 259 ZPO nicht mehr ankommt. Aus redaktionellen Gründen hat der Senat den Zuspruch der gesamten Klageerweiterung in Höhe von 89.875 € (14.875 €, wie bereits vom Landgericht zugesprochen, zzgl. 74.375 €) in Ziffer 4 seines Urteils zusammengefasst.
116
Die Kostenentscheidung für beide Instanzen beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Danach trägt die Beklagte die gesamten Kosten des Verfahrens, da ihr Obsiegen mit 3.477,97 €, bezogen auf den Streitwert, geringfügig ist. Der Senat hat durch die Neufassung des landgerichtlichen Urteils die Kostenentscheidung des Vorbehaltsurteils zu Lasten der Beklagten wiederhergestellt (Ziff. 3 des Senatsurteils), der Beklagten folgerichtig die weiteren Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens (aus dem Nachverfahren) auferlegt und sie auch in die Berufungskosten verurteilt (Ziff. 6 des Senatsurteils). Keiner Abänderung bedurfte die Kostenentscheidung nach § 91a ZPO im Senatsbeschluss vom 13.09.2021 (Bl. 366ff. d.A.), durch den der Beklagten die Kosten des übereinstimmend für erledigt erklärten Berufungsverfahrens zum Vorbehaltsurteil auferlegt wurden.
117
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
118
Die Zulassung der Revision war nicht veranlasst, da es sich - insbesondere bei der Frage des Vorliegens eines wichtigen Grundes - um eine alle Umstände des Einzelfalls berücksichtigende, nicht verallgemeinerungsfähige Fragestellung ohne Grundsatzbedeutung (§ 543 Abs. 2 ZPO) handelt.
119
Der Streitwert für das Berufungsverfahren setzt sich, da über die erhobene Hilfsaufrechnung in vollem Umfang entschieden wurde (§ 45 Abs. 3 GKG), zusammen aus der durch die wechselseitigen Rechtsmittel (§ 45 Abs. 2 GKG) in Streit stehenden Gesamtsumme der geltend gemachten Vergütungsansprüche in Höhe von 220.875 € und dem zur Hilfsaufrechnung gestellten Betrag von 35.704,64 €, gesamt: 256.579,64 €.