Titel:
Erfolgloser Eilantrag gegen Zustimmung des Integrationsamts zur ordentlichen Schwerbehindertenkündigung
Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3, Abs. 5
SGB IX § 168, § 171 Abs. 4, § 174 Abs. 3
SGB X § 20, § 22 Abs. 3
Leitsätze:
1. Um die nach §§ 168 ff. SGB IX erforderliche Ermessensentscheidung sachgerecht treffen zu können, muss das Integrationsamt anknüpfend an den Antrag des Arbeitgebers und von ihm ausgehend von Amts wegen all das ermitteln und sodann auch berücksichtigen, was erforderlich ist, um die gegensätzlichen Interessen des Arbeitgebers und des schwerbehinderten Arbeitnehmers gegeneinander abwägen zu können. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Integrationsamt unterliegt keinem zeitlichen Druck bei der Verbescheidung eines Antrags auf Zustimmung zu einer ordentlichen Kündigung. (Rn. 43) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Schwerbehindertenrecht, Zustimmung zur Kündigung, Offene Erfolgsaussichten, Interessensabwägung, Integrationsamt, Zustimmung, ordentliche Kündigung, Schwerbehinderte, offene Erfolgsaussichten, Interessenabwägung
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 01.02.2023 – 12 CS 23.8
Fundstelle:
BeckRS 2022, 41610
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
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Der Antragsteller ist seit dem 2. Mai 2006 bei der Beigeladenen als Konstruktionsmechaniker Schweißtechnik beschäftigt. Er hat einen Grad der Behinderung von 30 und wurde durch die Bundesagentur für Arbeit einem schwerbehinderten Menschen gestellt.
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Mit Schreiben vom 22. Juli 2022 beantragte die Beigeladene die Erteilung der Zustimmung zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus verhaltensbedingten Gründen. Dies wurde im Wesentlichen damit begründet, dass der Antragsteller am 1. Juni 2022 mit einem Gabelstapler mit erhöhter Geschwindigkeit gegen eine Energiebrücke im Betrieb der Beigeladenen gefahren sei und dadurch erheblichen Schaden sowohl am Gabelstapler als auch an der Energiebrücke verursacht habe. Der Antragsteller habe sich verweigert, das zugehörige Schadensprotokoll zu unterzeichnen. Im Rahmen eines diesbezüglichen Gesprächs habe der Antragsteller vor Zeugen erklärt, den Unfall absichtlich herbeigeführt zu haben. Überdies sei das Arbeitsverhältnis bislang auch nicht beanstandungsfrei verlaufen und der Antragsteller sei mehrfach abgemahnt worden.
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Mit Bescheid vom 29. September 2022 erteilte der Antragsgegner nach vorheriger Anhörung des Antragstellers, des Betriebsrats und der Schwerbehindertenvertretung die Zustimmung zur ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung. Dies wurde im Wesentlichen damit begründet, dass zwischen den anerkannten Behinderungen des Antragstellers und dem von der Beigeladenen vorgeworfenen Verhalten kein zwangloser Zusammenhang bestehe. Der geltend gemachte Kündigungsgrund sei auch erkennbar nicht lediglich vorgeschoben.
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Unstreitig sei es am 1. Juni 2022 zum Anfahren der Energiebrücke mittels eines Staplers gekommen, woraus ein Schaden für die Beigeladene resultiert habe. Der Antragsgegner könne nicht im Umfang eines Gerichts ermitteln. Im möglichen Rahmen habe der Antragsgegner den Sachverhalt ermittelt und schriftliche wie telefonische Zeugenaussagen berücksichtigt. Für den Antragsgegner ergebe sich das Bild, dass der Antragsteller wohl geäußert habe, dass er vorsätzlich gegen die Energiebrücke gefahren sei, wenn er diese Aussage auch kurz später revidiert habe. Es bleibe fraglich, ob es sich um einen schlechten Scherz gehandelt habe, der gegebenenfalls auch dem Umstand einer subjektiv gefühlten Drucksituation geschuldet sei oder ob der Antragsteller die Wahrheit gesagt habe und die Aussage revidiert habe, als ihm bewusst geworden sei, was dies für Auswirkungen haben könnte. Der Antragsteller habe nicht davon ausgehen können, dass die Beigeladene eine solche Aussage tolerieren werde, insbesondere da das Arbeitsverhältnis bereits in der Vergangenheit vorbelastet gewesen sei. Der Vorwurf, dass ihm „eine Falle“ gestellt worden sei, lasse sich nicht näher belegen, wenn es auch wahrscheinlich sei, dass der Antragsteller aufgrund der Vorkommnisse in der Vergangenheit zumindest unter genauerer Beobachtung der Beigeladenen gestanden habe. Nähere Prüfungen blieben allerdings der Arbeitsgerichtsbarkeit vorbehalten, sofern es zu einem arbeitsgerichtlichen Verfahren komme. Ob eine Abmahnung als milderes Mittel erforderlich wäre, sei schlussendlich auch einer gerichtlichen Prüfung vorbehalten. Die Interessenabwägung, bei der aufgrund des fehlenden Zusammenhangs von einem niedrigen behinderungsrechtlichen Schutzniveau des Antragstellers auszugehen sei, falle zu Gunsten der Beigeladenen aus. Für den Antragsteller sprächen sein Alter von 50 Jahren und die Betriebszugehörigkeit seit dem 2. Mai 2006 mit einer Dauer von 16 Jahren, wenn diese Zeit auch nicht immer störungsfrei verlaufen sei. Aufgrund des Lebensalters und der vorliegenden Schwerbehinderung des Antragstellers sei davon auszugehen, dass für ihn große Schwierigkeiten bestünden, einen adäquaten Ersatzarbeitsplatz auf dem ersten Arbeitsmarkt zu finden, was mit einem Absinken des Lebensstandards einhergehen könne.
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Für die Beigeladene spreche hingegen die Schwere des geltend gemachten Fehlverhaltens und dass, wie bereits erläutert, die Beigeladene von einer vorsätzlichen Tat ausgehe, welche zwar nicht vollumfänglich bestätigt werden könne, aber auch nicht ausgeschlossen werden könne. Zusätzlich werde die Gefährdung von Kollegen geltend gemacht. Dies werde aber von keinem der Zeugen benannt. Der geltend gemachte Schaden sei für den Antragsgegner nachvollziehbar dargelegt. Zu berücksichtigen sei auch, dass es erst einen Monat vorher zu einem „Parkrempler“ mit einem Gabelstapler gekommen sei. Dieser Unfall allein sei zwar nach Ansicht des Antragsgegners für die Beigeladene hinzunehmen, da dies eher im Rahmen des „allgemeinen Arbeitgeberrisiko[s]“ zu sehen sei, da solche kleineren Unfälle jedem Mitarbeiter jederzeit passieren könnten. Das Vertrauensverhältnis, das (auf beiden Seiten wohl) schon längere Zeit angekratzt gewesen sei, habe durch den Unfall am 2. Mai 2022 aber erneut gelitten. Durch das neue Fehlverhalten am 1. Juni 2022 sei nun für die Beigeladene die Grenze des Zumutbaren erreicht. Schlussendlich bleibe die Streitigkeit eindeutig im arbeitsrechtlichen Bereich angesiedelt. Ein Zusammenhang mit der anerkannten Behinderung schließe der Antragsgegner aus. Auch sei dies vom Antragsteller beziehungsweise von seinem Vertreter nicht geltend gemacht worden. In der Gesamtabwägung sei daher die Zustimmung zu der beantragten Kündigung zu erteilen, insbesondere, da wie dargestellt kein Behinderungszusammenhang gegeben sei und daher nur ein niedriges behinderungsrechtliches Schutzniveau vorliege. Aufgrund dieser Sach- und Rechtslage komme der Antragsgegner bei der Abwägung der beiderseitigen Interessen zu dem Ergebnis, dass der Beigeladenen die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Antragsteller erteilt werden könne.
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Mit Schreiben vom 19. Oktober 2022 hat die Beigeladene das mit dem Antragsteller bestehende Arbeitsverhältnis ordentlich gekündigt. Hiergegen hat der Antragsteller am 21. Oktober 2022 Kündigungsschutzklage zum Arbeitsgericht Würzburg - Kammer Aschaffenburg - erhoben.
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Am 26. Oktober 2022 erhob der Antragsteller im Verfahren W 3 K 22.1578 Klage gegen den Bescheid vom 29. September 2022 zum Verwaltungsgericht Würzburg und ließ diesbezüglich bereits am 21. Oktober 2022 im vorliegenden Verfahren wie folgt beantragen,
Die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage des Antragstellers gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 29. September 2022 (Geschäftszeichen: …), mit dem der Antragsgegner der Firma … … die Zustimmung zur verhaltensbedingten ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Antragstellers erteilt hat, wird wiederhergestellt. Dies wurde im Wesentlichen damit begründet, dass der Zustimmungsbescheid vom 29. September 2022 rechtswidrig sei. So habe die Beigeladene dem Antragsteller nicht mitgeteilt, dass und aus welchen Gründen er bei der Benutzung eines Gabelstaplers mit hohem Hubmast ausschließlich einen Weg benutzen dürfe, der nicht mit der Unterquerung der Energiebrücke verbunden sei. Überdies sei der Antragsteller in der Vergangenheit - teilweise längerfristig - arbeitsunfähig erkrankt gewesen. Am 2. Mai 2022 habe er mit der Wiedereingliederung in das Berufsleben begonnen und sei durch die Beigeladene als Staplerfahrer eingesetzt worden. Am Tag des Unfalls vom 1. Juni 2022 sei durch vorgesetzte Mitarbeiter der Firma Linde keine konkrete Einweisung des Antragstellers in die Art und Weise der Benutzung des Gabelstaplers mit hohem Hubmast erfolgt. Es sei deshalb davon auszugehen, dass sich die Beigeladene mit der beabsichtigten und zwischenzeitlich ausgesprochenen Kündigung des Antragstellers als ein für die Beigeladene lästig gewordener Arbeitnehmer entledigen wolle, der in der Vergangenheit durch Phasen auch längerfristiger Erkrankungen „aufgefallen“ sei. Es sei offensichtlich, dass die Motivation der Beigeladenen nicht darin bestanden habe, den Unfall vom 1. Juni 2022 in irgendeiner Form zu sanktionieren, sondern sich endgültig von einem gesundheitlich angeschlagenen Mitarbeiter zu trennen. Die Interessenabwägung des Antragsgegners hätte daher zu Gunsten des Antragstellers ausfallen müssen.
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Der Antragsgegner beantragte,
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Dies wurde im Wesentlichen damit begründet, dass dem Antragsteller das Rechtsschutzbedürfnis fehle. Ein erfolgreicher Aussetzungsantrag nach § 80 Abs. 5 VwGO hemme nur die Vollziehbarkeit eines Verwaltungsaktes, nicht aber seine Wirksamkeit. Voraussetzung für die Kündigung sei nach § 168 SGB IX nicht eine „vollziehbare“ Zustimmung, sondern lediglich eine wirksame. Zum Prüfungsmaßstab eines etwaigen arbeitsrechtlichen Verfahrens gehöre demzufolge nur die Frage, ob eine Zustimmung des Inklusionsamtes vorliege und gerade nicht, ob die Zustimmung rechtmäßig erteilt worden sei. Eine Auswirkung auf eine arbeitsgerichtliche Entscheidung über einen vorläufigen Weiterbeschäftigungsanspruch könne also eine Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO nur dann haben, wenn sie einen Anhaltspunkt dafür biete, ob die angegriffene Zustimmung rechtswidrig sei und deshalb wohl absehbar aufgehoben werde, was wiederum die Rechtswidrigkeit der Kündigung nach § 168 SGB IX zur Folge hätte. Der einstweilige Rechtsschutz vor den Verwaltungsgerichten habe allerdings schon grundsätzlich nicht den Sinn, als „Kurzgutachten über die Rechtmäßigkeit der Zustimmung des Inklusionsamtes“ für die Entscheidung eines arbeitsgerichtlichen Verfahrens zu dienen. Die Frage der Rechtmäßigkeit der Zustimmung werde im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO nicht abschließend beantwortet, sondern lediglich summarisch geprüft und in die Abwägung der Vollzugsfolgen eingestellt. Eine darüberhinausgehende Verwendung dieser summarischen Prüfung als Anhaltspunkt dafür, ob auch im Hauptsacheverfahren eine Rechtswidrigkeit angenommen werde, sei jedoch nicht vom Sinn und Zweck des Eilrechtsschutzes umfasst. Dieser solle gerade nur einen Interessensausgleich in den Verzugsfolgen treffen und nicht als vorläufige, überschlägige Überprüfung der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes dienen. Der Antragsteller könne daher mit seinem Antrag keine rechtliche Besserstellung erreichen. Mangels Rechtsschutzbedürfnisses sei der Antrag unzulässig und daher abzulehnen. Der Antrag sei zudem unbegründet, da die Hauptsache keinen Erfolg haben werde und somit jedenfalls das Vollzugsinteresse das Aussetzungsinteresse des Antragstellers überwiege. Ein Aufhebungsanspruch des Antragstellers bestehe nicht. Die Entscheidung des Antragsgegners sei materiell rechtmäßig. Insbesondere seien vorliegend keine Ermessensfehler ersichtlich. Die Grenzen des Ermessens seien gewahrt worden und im Hinblick auf den Sinn und Zweck des schwerbehindertenrechtlichen Sonderkündigungsschutzes unter Abwägung der für und gegen die Erteilung der Zustimmung streitenden Gesichtspunkte zu dem vertretbaren Ergebnis gekommen, dass die Ermessensentscheidung zugunsten der Beigeladenen ausfalle.
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Die Beigeladene beantragte,
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen angeführt, dem Antragsteller fehle das Rechtsschutzbedürfnis. Die Beigeladene habe dem Antragsteller nach Erteilung der Zustimmung zur verhaltensbedingten ordentlichen Kündigung mit Schreiben vom 19. Oktober 2022, zugestellt am 20. Oktober 2022, gekündigt. Unter diesem Aspekt komme es nach diesseitiger Einschätzung auf den weiteren Sachvortrag des Antragstellers nicht mehr an. Der Antragsteller könne kein Rechtsschutzbedürfnis vorweisen. Falls die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage gegen die Zustimmungserklärung angeordnet werde, habe dies keinen Einfluss auf die mit Schreiben vom 19. Oktober 2022 gegenüber dem Antragsteller ausgesprochene Kündigung, die nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts schwebend unwirksam bleibe und dem Antragsteller für die von ihm erhobene Kündigungsschutzklage keinen rechtlichen Vorteil bringen würde. Überdies sei der verfahrensgegenständliche Bescheid nicht rechtswidrig und verletze den Antragsteller auch nicht in seinen Rechten. Die Ermessensentscheidung des Antragsgegners sei nicht zu beanstanden. Der vorgebrachte Kündigungsgrund stehe in keinem Zusammenhang mit der anerkannten Behinderung des Antragstellers. Die Erwägungen des Antragsgegners im Rahmen des streitgegenständlichen Bescheids seien rechtlich nicht zu beanstanden. Bestritten werde, dass davon auszugehen sei, dass sich die Beigeladene mit der beabsichtigten und zwischenzeitlich ausgesprochenen Kündigung des Antragstellers als ein für sie lästig gewordener Arbeitnehmer entledigen wolle.
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Im Übrigen wird auf das weitere schriftsätzliche Vorbringen der Parteien, auf den Inhalt der Gerichtsakte im vorliegenden Verfahren sowie auf den Inhalt der Gerichtsakte im Verfahren W 3 K 22.1578 sowie auf die Behördenakten des Antragsgegners, welche Gegenstand des Verfahrens waren, Bezug genommen.
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Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist bei gebotener Auslegung gemäß §§ 122 Abs. 1, 88 VwGO das Begehren des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung seiner unter dem Aktenzeichen W 3 K 22.1578 geführten Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 29. September 2022 anzuordnen. Mit diesem hat der Antragsgegner der Beigeladenen die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung des Antragstellers aus verhaltensbedingten Gründen erteilt.
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Der Antrag ist erfolglos. Er ist zulässig, aber unbegründet.
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Der vorliegende Antrag ist zulässig.
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Die aufschiebende Wirkung der Klage entfällt im vorliegenden Fall aufgrund gesetzlicher Anordnung gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 171 Abs. 4 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. Juni 2001 (BGBl I, S. 1046), zuletzt geändert durch Gesetz vom 23. Mai 2022 (BGBl I, S. 760) - SGB IX.
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Dem Antragsteller fehlt auch nicht das Rechtsschutzbedürfnis für die begehrte Entscheidung.
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Unabhängig von der Frage nach der im Einzelfall statthaften Klagebeziehungsweise Antragsart erfordert eine jede Klage und ein jeder Antrag ein allgemeines Rechtsschutzbedürfnis. Damit wird zum Ausdruck gebracht, dass nur derjenige, welcher mit dem von ihm angestrengten gerichtlichen Rechtsschutzverfahren ein eigenes rechtschutzwürdiges Interesse verfolgt, einen Anspruch auf eine gerichtliche Sachentscheidung hat und beim Fehlen eines solchen Interesses das prozessuale Begehren als unzulässig abgewiesen werden muss. Obwohl der Terminus des Rechtsschutzbedürfnisses in der Verwaltungsgerichtsordnung nicht erwähnt wird, besteht heute weitgehend Einigkeit darüber, dass es sich bei dem Rechtsschutzbedürfnis um eine allgemeine Sachentscheidungsvoraussetzung für alle Verfahrensarten handelt. Das Erfordernis des Rechtsschutzbedürfnisses gilt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts für alle Klagebeziehungsweise Antragsarten. Das Rechtsschutzbedürfnis ist primär auf solche Verfahren zugeschnitten, die dem Schutz eigener subjektiver Rechte dienen. Es spielt keine Rolle bei Verfahren, die als objektive Kontrollverfahren ausgestaltet sind. Erscheint die gerichtliche (Eil-)Entscheidung jedoch für den Kläger beziehungsweise Antragsteller von vornherein nutzlos, fehlt das Rechtsschutzbedürfnis ausnahmsweise (W.-R. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 28. Aufl. 2022, Vorb. § 40 Rn. 30, 31 m.w.N.; Schoch in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Werkstand: 42. EL Februar 2022, § 80 Rn. 492 m.w.N.).
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Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass die Beigeladene gegenüber dem Antragsteller bereits am 20. Oktober 2022 eine Kündigung ausgesprochen hat.
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Für diesen Fall ist die Rechtslage umstritten.
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Nach einem Teil der Rechtsprechung, dem sich der Antragsgegner und die Beigeladene anschließen, soll das Rechtsschutzbedürfnis entfallen, weil alleine die Wirksamkeit der Zustimmung des Integrationsamtes Voraussetzung für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses sei und diese Wirksamkeit durch die Anordnung der aufschiebenden Wirkung jedoch nicht berührt werde (etwa OVG Hamburg, B.v. 19.5.2015 - 4 Bs 56/15 - juris).
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In der Literatur wird demgegenüber zum Teil vertreten, dass durch die Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen eine solche Zustimmungsentscheidung die Wirksamkeit eben dieser vorläufig gehemmt werde und damit ein Rechtsschutzbedürfnis für die begehrte richterliche Anordnung bestehe (W.-R. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 28. Aufl. 2022, § 80 Rn. 136 m.w.N.).
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Ebenfalls wird in der Literatur die Rechtsauffassung vertreten, dass stets von einem Rechtsschutzbedürfnis für einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung auszugehen sei. Nur für den Fall eines übereinstimmenden Auflösungsantrages nach § 9 KSchG sei dies zu verneinen (Düwell in Dau/Düwell/Joussen/Luik, SGB IX, 6. Aufl. 2022, Vorbem. § 168 Rn. 19 m.w.N.).
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Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs besteht ein Rechtsschutzbedürfnis deswegen, weil nicht auszuschließen sei, dass sich für den Antragsteller aus der begehrten Anordnung auch nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses positive rechtliche Folgen ergeben könnten. Denn es genüge, dass sich die Rechtsstellung des Antragstellers in dem von ihm unstreitig geführten arbeitsrechtlichen Verfahren durch die begehrte Anordnung verbessern könne (BayVGH, B.v. 17.12.2009 - 12 CS 09.2691 - juris; VG Würzburg, B.v. 20.2.2018 - W 3 S 18.74 - BeckRS 2018, 21645; Kreitner in Schlegel/Voelzke in jurisPK-SGB IX, 3. Aufl. 2018, Stand: 20.4.2022, § 171 Rn. 45; Gutzeit in Rolfs/Giesen/Meßling/Udsching, BeckOK Sozialrecht, § 171 Rn. 18 m.w.N.).
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Das Gericht schließt sich der letztgenannten Auffassung an. So überzeugt es, bei der Inanspruchnahme von gerichtlichem Rechtschutz das Rechtsschutzbedürfnis sehr weit auszulegen und es nur in den Fällen zu verneinen, in denen ein gerichtliches Verfahren gänzlich nutzlos wäre. In der Konsequenz greifen die diesbezüglichen Ausführungen des Antragsgegners und des Bevollmächtigten der Beigeladenen zu kurz, da sie denkbare positive rechtliche Folgen der begehrten Anordnung auch nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses unbeachtet lassen. Allein die diesbezügliche Möglichkeit erscheint für das Gericht - gerade auch in Hinblick auf die verfassungsrechtliche Garantie aus Art. 19 Abs. 4 GG - ausreichend, um im vorliegenden Verfahren entgegen der Rechtsauffassung des Antragsgegners und der Beigeladenen ein allgemeines Rechtsschutzbedürfnis für die begehrte richterliche Anordnung anzunehmen.
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Der Antrag ist jedoch unbegründet.
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Im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO trifft das Gericht eine eigene Abwägungsentscheidung. Für die Frage, wann die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs anzuordnen oder wiederherzustellen ist, ist zum einen auf die Normstruktur des § 80 VwGO mit der Grundregel der aufschiebenden Wirkung in § 80 Abs. 1 VwGO, den gesetzlichen Ausnahmen von diesem Grundsatz in § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 VwGO sowie der Möglichkeit der Behörde in § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO abzustellen, bei Vorliegen eines besonderen Vollzugsinteresses die sofortige Vollziehung eines Verwaltungsakts anzuordnen. Daneben finden sich materiell-rechtliche Kriterien in § 80 Abs. 4 VwGO, der die Aussetzungsentscheidung durch die Verwaltung regelt, sowie - vereinzelt - auch in den Fachgesetzen, die der behördlichen Entscheidung zugrunde liegen. Schließlich ergibt sich aus der Funktion des vorläufigen Rechtsschutzes und seinem sichernd akzessorischen Charakter zum Hauptsacheverfahren, dass die Erfolgsaussichten der Hauptsache eine wesentliche Rolle spielen müssen. Nach dem in der Rechtsprechung absolut herrschenden Stufensystem wird hierfür in einem ersten Prüfungsschritt nach den Erfolgsaussichten der Hauptsache gefragt. Ist der angefochtene Verwaltungsakt „offensichtlich“, das heißt mit einer bereits im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu prognostizierenden hinreichenden Sicherheit rechtswidrig und verletzt er den Antragsteller auch in seinen Rechten, wird die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs stets angeordnet oder wiederhergestellt, da bei einem mit dieser Sicherheit rechtswidrigen Verwaltungsakt ein vorläufiges Vollzugsinteresse der Behörde nicht gegeben ist. Lassen sich die Erfolgsaussichten der Hauptsache noch nicht hinreichend klar beurteilen, findet in einem zweiten Schritt ergänzend eine „echte“ Abwägung der für beziehungsweise gegen eine sofortige Umsetzung des Bescheides sprechenden öffentlichen und privaten Interessen statt, bei der zwischen den einzelnen Konstellationen des § 80 Abs. 2 VwGO - und gegebenenfalls fachgesetzlichen Besonderheiten - differenziert wird. Bei dieser Interessensabwägung ist neben dem Zweck des jeweils maßgeblichen materiellen Rechts auch die gesetzgeberische Grundentscheidung für den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Klage zu berücksichtigen. Daraus ergibt sich einerseits, dass der Gesetzgeber in diesen Fällen von einem grundsätzlichen Vorrang des Vollziehungsinteresses ausgeht und andererseits, dass es für eine richterliche Anordnung zur Anordnung der aufschiebenden Wirkung besonderer Umstände bedarf (Bostedt in Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 80 Rn. 151, 152 m.w.N.; Schoch in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Werkstand: 42. EL Februar 2022, § 80 Rn. 372 ff.; Hoppe in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 80 Rn. 85 ff.; W.-R. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 28. Aufl. 2022, § 85 Rn. 114, 152a).
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In diesem Zuge legt das Gericht einen summarischen Prüfungsmaßstab bei der Beurteilung der Sach- und Rechtslage an. Die Entscheidung kann dabei auf die von den Beteiligten vorgelegten oder in angemessener Zeit erreichbaren Beweismittel sowie auf glaubhaft gemachte Tatsachen und überwiegende Wahrscheinlichkeiten gestützt werden. Zwar wird gefordert, dass die Sach- und Rechtslage hinsichtlich der Hauptsache dann besonders intensiv geprüft werden müsse, wenn die Vollziehung für den Antragsteller besonders gewichtige Nachteile hervorriefe und die Folgen des Verwaltungsakts nur schwierig oder gar nicht mehr rückgängig zu machen wären. Dies gilt aber nur, soweit das Gericht im Einzelfall dazu auch die nötige Zeit hat. Eine Vollprüfung der materiellen Rechtslage der Hauptsache bereits im vorläufigen Rechtsschutzverfahren kann, wenn sie einen hohen Zeitaufwand erfordert, dem Beschleunigungserfordernis entgegenstehen. Die Prüfung hat sich von dem Grundsatz leiten zu lassen, dass der Rechtsschutzanspruch des Bürgers umso stärker ist, je schwerer die ihm auferlegte Belastung wiegt und je mehr die Maßnahmen der Verwaltung Unabänderliches bewirken können. Ist dem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage wegen der Eilbedürftigkeit nicht möglich, hat es anhand einer Folgenabwägung unter umfassender Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Antragstellers zu entscheiden. Unsicherheiten in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht sind dabei entsprechend der Schwere der für den Antragsteller drohenden Nachteile zu seinen Gunsten zu berücksichtigen (Puttler in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 80 Rn. 136 m.w.N.).
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Bei Anlegung der zuvor dargelegten Maßstäbe lassen sich die Erfolgsaussichten der Hauptsache nicht hinreichend klar beurteilen.
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Rechtsgrundlage für den in der Hauptsache streitgegenständlichen Bescheid vom 29. September 2022 ist § 168 SGB IX. Danach bedarf die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen durch den Arbeitgeber der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes bzw. in Bayern des Inklusionsamts gemäß Art. 66a Gesetz zur Ausführung der Sozialgesetze in der Fassung der Bekanntmachung vom 8. Dezember 2006 (GVBl. S. 942, BayRS 86-7-A/G), zuletzt geändert durch Gesetz vom 10. Mai 2022 (GVBl. S. 182) - AGSG.
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In formeller Hinsicht begegnet der Zustimmungsbescheid des Antragsgegners vom 29. September 2022 keinen rechtlichen Bedenken. Insbesondere wurden sowohl der Antragsteller als auch der Betriebsrat und die Schwerbehindertenvertretung gemäß § 170 Abs. 2 SGB IX vor der Entscheidung angehört bzw. die Möglichkeit eingeräumt, eine Stellungnahme abzugeben.
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In materiell-rechtlicher Hinsicht lässt sich hingegen nicht zweifelsfrei feststellen, dass der in der Hauptsache streitgegenständliche Bescheid vom 29. September 2022 frei von Rechtsfehlern ist.
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Zunächst ist festzustellen, dass nach § 168 SGB IX die Erteilung der Zustimmung zur Kündigung im Ermessen der zuständigen Behörde, hier des Antragsgegners, steht. Der streitgegenständliche Bescheid vom 29. September 2022 unterliegt damit gemäß § 114 Satz 1 VwGO einer eingeschränkten verwaltungsgerichtlichen Kontrolle auf Ermessensfehler. Diese Prüfung erstreckt sich insbesondere auch darauf, ob die Behörde von einem ausreichend ermittelten und zutreffenden Sachverhalt ausgegangen ist und ob sie die gesetzlichen Grenzen des Ermessens beachtet und von der ihr eingeräumten Entscheidungsbefugnis in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (BayVGH, U.v. 31.1.2013 - 12 B 12.860 - juris Rn. 27).
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Bei seiner Ermessensentscheidung hat das Integrationsamt die widerstreitenden Interessen des schwerbehinderten Arbeitnehmers an der Erhaltung seines Arbeitsplatzes und das Interesse des Arbeitgebers an der Wahrung seiner Gestaltungsmöglichkeiten gegeneinander abzuwägen.
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Dabei sind an die Zumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses besonders hohe Anforderungen zu stellen, wenn die Kündigung auf Gründe gestützt werden soll, die mit der Behinderung in Zusammenhang stehen. Das Bundesverwaltungsgericht hat mehrfach betont, dass der Schwerbehindertenschutz an Gewicht gewinnt, wenn die Kündigung des Arbeitsverhältnisses auf Gründe gestützt wird, die in der Behinderung selbst ihre Ursache haben, und dass infolgedessen an die bei der interessenabwägenden Ermessensentscheidung zu berücksichtigende Zumutbarkeitsgrenze für den Arbeitgeber besonders hohe Anforderungen zu stellen sind, um dem im Schwerbehindertenrecht zum Ausdruck kommenden Schutzgedanken der Rehabilitation angemessen Rechnung zu tragen (BVerwG, U.v. 19.10.1995 - 5 C 24/93 - juris Rn. 16 m.w.N.). In Ausnahmefällen kann der Arbeitgeber deshalb sogar verpflichtet sein, den schwerbehinderten Arbeitnehmer „durchzuschleppen“ (zu alledem BayVGH, U.v. 31.1.2013 - 12 B 12.860 - juris Rn. 28 m.w.N.).
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Um die nach §§ 168 ff. SGB IX erforderliche Ermessensentscheidung sachgerecht treffen zu können, muss das Integrationsamt anknüpfend an den Antrag des Arbeitgebers und von ihm ausgehend von Amts wegen all das ermitteln und sodann auch berücksichtigen, was erforderlich ist, um die gegensätzlichen Interessen des Arbeitgebers und des schwerbehinderten Arbeitnehmers gegeneinander abwägen zu können. Es darf den Vortrag des Arbeitgebers keiner bloßen Schlüssigkeitsprüfung unterziehen, sondern muss sich selbst eine Überzeugung von der Richtigkeit der für die Entscheidung wesentlichen Behauptungen verschaffen. Es muss sicherstellen, dass die Kündigungsgründe tatsächlich bestehen und nicht bloß vorgeschoben sind. Die dem Integrationsamt in § 20 SGB X auferlegte Aufklärungspflicht gewinnt ihre Konturen und Reichweite aus dem materiellen Recht. Soweit ein Umstand materiell-rechtlich für die gebotene Interessenabwägung Bedeutung hat, unterliegt er der Aufklärungspflicht. Die Grenzen der Sachverhaltsermittlung gehen einher mit der eingeschränkten Überprüfbarkeit der geltend gemachten Kündigungsgründe. Das Integrationsamt hat dabei im Zustimmungsverfahren grundsätzlich nicht zu prüfen, ob die beabsichtigte Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Schwerbehinderten im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt ist. Es muss jedoch der Frage einer Mitverantwortung des Schwerbehinderten für Spannungen bei seinem Arbeitgeber nachgehen, derentwegen dieser die Kündigung beabsichtigt. Das Integrationsamt ist bei seiner Prüfung darauf beschränkt, ob die arbeitsrechtliche Unwirksamkeit der Kündigung ohne jeden vernünftigen Zweifel in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht offen zu Tage liegt und sich jedem Kundigen geradezu aufdrängt. An einer in diesem Sinne offensichtlich rechtsmissbräuchlichen Antragstellung fehlt es immer dann, wenn die vom Arbeitgeber genannten Gründe geeignet sind, eine ordentliche Kündigung zu tragen. (BVerwG, U.v. 2.7.1992 - 5 C 51.90 - BeckRS 1992, 30440201; BVerwG, U.v. 19.10.1995 - 5 C 24/93 - juris Rn. 15 m.w.N.; BVerwG, B.v. 24.11.2009 - 5 B 35/09 - juris Rn. 4 m.w.N.; BayVGH, U.v. 31.1.2013 - 12 B 12.860 - juris Rn. 31 m.w.N.; vgl. BayVGH, B.v. 1.3.2012 - 12 ZB 10.587 - juris Rn. 9 m.w.N.).
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In diesem Zusammenhang ermittelt das Verwaltungsgericht den Sachverhalt auch nicht selbst nach, da das Gericht nicht zu einer eigenen Ermessensentscheidung berechtigt ist. Die Verpflichtung des Gerichts beschränkt sich darauf, zu ermitteln, ob die von der Behörde herangezogenen Erwägungen ausreichen, die getroffene Verwaltungsentscheidung zu tragen. Stellt sich in diesem Zuge heraus, dass die Sachverhaltsermittlung unvollständig war, ist die Zustimmung zur Kündigung ermessensfehlerhaft. Denn erst auf Basis einer vollständigen Überprüfung des Kündigungssachverhalts ist eine Bewertung möglich, in wessen Verantwortungsbereich die „Zerrüttung“ fällt, was wiederum bei der Ermessensentscheidung zu berücksichtigen ist. Kommt das Integrationsamt zu dem Ergebnis, dass es an „objektivierbaren Kündigungsgründen“ fehle, „Aussage gegen Aussage“ stehe, eine Zerrüttung des Arbeitsverhältnisses vom Kläger nicht nachvollzogen werden könne, die Argumente der Arbeitgeberseite „teilweise pauschaliert und nicht immer konkret beschrieben“ seien und die Häufigkeit des Fehlverhaltens des Arbeitnehmers „zum Teil nicht hinreichend belegt“ sei, so besteht ein Ermittlungsdefizit (vgl. BayVGH, B.v. 22.2.2016 - 12 ZB 16.173 - BeckRS 2016, 4..3545 Redaktionelle Leitsätze 1 bis 3).
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Maßgeblich für die Beurteilung eines bestehenden, gegen das Interesse des Schwerbehinderten abzuwägenden Kündigungsinteresses des Arbeitgebers ist der der Kündigung zugrunde liegende historische Sachverhalt. Grundsätzlich beurteilt sich die Frage, ob ein Kündigungssachverhalt vorliegt, aus dem der Arbeitgeber das seinem Antrag zugrunde liegende Kündigungsinteresse herleitet, nach dem historischen Sachverhalt, der den Kündigungsgrund bildet und bis zum Zugang der Kündigungserklärung vorliegt (BVerwG, B.v. 7.3.1991 - 5 B 114/89 - NZA 1991, 511; BayVGH, B.v. 20.6.2006 - 9 ZB 06.930 - BeckRS 2006, 16084). Für diesen Zeitpunkt hat die Behörde für ihre Entscheidungsfindung all diejenigen Umstände zu berücksichtigen, die von den Beteiligten an sie herangetragen worden sind oder die sich ihr sonst hätten aufdrängen müssen. Denn nur die vom Arbeitgeber geltend gemachten Kündigungsgründe sind mit dem Schutzinteresse des behinderten Arbeitnehmers abzuwägen. Tatsachen und Umstände, die erst nach diesem Zeitpunkt eingetreten sind, gehören daher nicht zu dem zugrunde zulegenden Sachverhalt. Andernfalls würde die Behörde die Zustimmung zu einer Kündigung bestätigen oder versagen, die sich auf nicht vom Arbeitgeber geltend gemachte Kündigungsgründe stützen würde (BayVGH, U.v. 18.6.2008 - 12 BV 05.2467 - BeckRS 2008, 28070 Rn. 43, 47).
39
Bei der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage lässt es sich für das Gericht nicht zweifelsfrei feststellen, ob der Antragsgegner im vorliegenden Fall seine Befugnisse zur Sachverhaltsermittlung verkannt, den Sachverhalt nicht hinreichend ermittelt und damit im Ergebnis eine ermessensdefizitäre Entscheidung getroffen hat.
40
So ermittelt die Behörde nach § 20 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Halbsatz 1 SGB X den Sachverhalt von Amts wegen und bestimmt dabei Art und Umfang der Ermittlungen. Dabei bedienst sie sich gemäß § 21 Abs. 1 SGB X der Beweismittel, die sie nach pflichtgemäßen Ermessen zur Ermittlung des Sachverhalts für erforderlich hält. Dabei kann sie insbesondere Auskünfte jeder Art, auch elektronisch und als elektronisches Dokument, einholen (Nr.1), Beteiligte anhören, Zeugen und Sachverständige vernehmen oder die schriftliche oder elektronische Äußerung von Beteiligten, Sachverständigen und Zeugen einholen (Nr. 2), Urkunden und Akten beiziehen (Nr. 3) und den Augenschein einnehmen (Nr. 4).
41
Maßgeblich für die Reichweite der Amtsermittlung ist der jeweilige Gegenstand des Verwaltungsverfahrens. Es müssen alle Tatsachen ermittelt werden, die für die Verwaltungsentscheidung wesentlich, das heißt entscheidungserheblich sind. Welche Tatsachen entscheidungserheblich und zu beweisen sind, beurteilt sich aus Sicht der Behörde im Rahmen des ihr obliegenden Verfahrensermessens. Sie handelt folglich nur dann rechtsfehlerhaft, wenn sie Ermittlungen unterlässt, die nach ihrer eigenen Rechtsauffassung entscheidungserheblich sind (Siefert in Schütze, SGB X, 9. Aufl. 2020, § 20 Rn. 5 m.w.N.).
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Dem Antragsgegner wäre es daher grundsätzlich möglich gewesen, im Verfahren selbst Zeugen für den maßgeblichen Vorfall zu vernehmen.
43
Überdies wäre es unter Hinweis auf § 22 SGB X auch unproblematisch möglich gewesen, das örtlich zuständige Sozial- oder Verwaltungsgericht um die Durchführung einer eidlichen Vernehmung der jeweiligen Zeugen zu ersuchen. In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass der Antragsgegner auch keinem zeitlichen Druck bei der Verbescheidung eines Antrags auf Zustimmung zu einer ordentlichen Kündigung unterliegt. Dies ergibt sich aus § 171 Abs. 1 SGB IX. Danach soll das Integrationsamt die Entscheidung, falls erforderlich, auf Grund mündlicher Verhandlung, innerhalb eines Monats vom Tag des Eingangs des Antrages an, treffen. Trotz ausdrücklicher Zeitvorgabe für die Dauer eines Zustimmungsverfahrens handelt es sich um eine die Verwaltung nicht bindende Soll-Vorschrift. Dies ergibt sich auch aus der Zusammenschau mit § 174 Abs. 3 SGB IX, wonach im Falle der außerordentlichen Kündigung die Zustimmung als erteilt gilt, sofern über den Antrag nicht innerhalb von zwei Wochen vom Tag seines Eingangs an entschieden worden ist. Eine derartige Regel fehlt für das Verfahren zur Erteilung einer Zustimmung zu einer ordentlichen Kündigung.
44
Danach wäre es für den Antragsgegner auch prinzipiell möglich gewesen, einzelne Zeugenaussagen beeidigen zu lassen und so deren Beweiswert zu steigern.
45
In seinem Bescheid vom 29. September 2022 hat der Antragsgegner erklärt, nicht im Umfang eines Gerichts ermitteln zu können, insbesondere weder Zeugen einvernehmen noch vereidigen zu können. Er hat sich bei der Ermittlung des Sachverhalts im Wesentlichen auf schriftliche wie telefonische Zeugenaussagen, die die Beigeladene beigebracht hat, sowie auf die jeweiligen Schilderungen der Verfahrensbeteiligten bezogen.
46
Ebenfalls hat der Antragsgegner im Bescheid vom 29. September 2022 die Formulierung des „geltend gemachte[n] Kündigungsgrund[es]“ beziehungsweise des „geltend gemachten Fehlverhaltens“ gewählt und zudem ausgeführt, dass die Beigeladene von einer vorsätzlichen Tat ausgehe, welche zwar nicht vollumfänglich bestätigt werden, aber auch nicht ausgeschlossen werden könne.
47
Es wäre daher im vorliegenden Fall denkbar, dass der Antragsgegner dadurch seiner Verpflichtung, den Sachverhalt zu ermitteln, nicht hinreichend nachgekommen sein könnte. Unterlässt der Antragsgegner im Zustimmungsverfahren nach § 168 SGB IX die notwendige Sachverhaltsermittlung, ist die Zustimmungsentscheidung unter Bezugnahme auf die vorherigen Ausführungen ermessensfehlerhaft.
48
Gleichwohl stehen Art und Umfang der Sachverhaltsermittlung gemäß § 20 Abs. 1 SGB X im Ermessen des Antragsgegners. Dieses ist erst dann verletzt, wenn der Antragsgegner Ermittlungen unterlässt, die nach seiner eigenen Rechtsauffassung entscheidungserheblich sind.
49
Nach der Überzeugung des Gerichts bedarf es zur Klärung dieser Rechtsfrage weiterer Aufklärung. Unter Berücksichtigung der summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage sowie der Vorläufigkeit der Entscheidung im Rahmen des vorliegenden Eilverfahrens sind daher die Erfolgsaussichten der Hauptsache - auch in Hinblick auf den Beschleunigungsgrundsatz - als offen zu beurteilen.
50
Aufgrund dieser offenen Erfolgsaussichten tritt das Gericht in eine Ermessensabwägung ein, wobei es das Interesse des Antragstellers an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen das Interesse des Antragsgegners an der Vollziehbarkeit der in der Hauptsache streitgegenständlichen Entscheidung vom 29. September 2022 abwägen muss.
51
Diese Abwägung geht zulasten des Antragstellers.
52
Das Gericht stellt zugunsten des Antragstellers in die Abwägung ein, dass die vorliegende Streitigkeit auch den Fortbestand seines Beschäftigungsverhältnisses berührt. Darüber hinaus können sich für den Antragsteller im Falle einer Anordnung der aufschiebenden Wirkung positive Folgen für das arbeitsgerichtliche Verfahren bzw. weitere arbeitsrechtliche Ansprüche ergeben.
53
Demgegenüber ist die in § 171 Abs. 4 SGB IX getroffene gesetzgeberische Grundsatzentscheidung zu berücksichtigen, dass Widerspruch und Klage gegen Zustimmungsbescheide schlechthin nie aufschiebende Wirkung entfalten. Der Gesetzgeber selbst hat damit deutlich gemacht, dass er das Vollzugsinteresse in diesen Fällen in der Regel über das Aussetzungsinteresse des Antragstellers stellt. Dem Vollzug von Zustimmungsentscheidungen im Rahmen der §§ 168 ff SGB IX räumt der Gesetzgeber damit grundsätzlich unabhängig von der konkreten Fallgestaltung im Einzelfall den Vorzug ein. Zur Anordnung der aufschiebenden Wirkung bedarf es unter Bezugnahme auf die vorherigen Ausführungen besonderer Umstände. Derartige Umstände wurden allerdings weder durch den Antragsteller noch durch seinen Bevollmächtigten vorgetragen und sind für das Gericht auch nicht ersichtlich.
54
Überdies ist es Sinn und Zweck der Regelungen über den besonderen Kündigungsschutz für schwerbehinderte Menschen beziehungsweise Menschen, die diesen gleichgestellt sind, diese vor den spezifischen behinderungsbedingten Nachteilen bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu bewahren. Der vom Schutzbereich der §§ 168 ff SGB IX umfasste Mensch soll im Falle der Kündigung nicht ins Hintertreffen geraten. Für das Gericht sind im vorliegenden Falle keine diesbezüglichen Anhaltspunkte ersichtlich. Selbst wenn man den Vortrag des Antragstellerbevollmächtigten als wahr unterstellt, dass die Beigeladene sich in Wirklichkeit des Antragstellers entledigen und den Vorfall vom 1. Juni 2022 gar nicht sanktionieren wollte, ist dies nicht vom Schutzauftrag der Regelungen des besonderen Kündigungsschutzes umfasst. Denn das Risiko, Opfer einer ungerechtfertigten Kündigung zu werden, trifft alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gleichermaßen und gänzlich unabhängig von deren gesundheitlichen und körperlichen Einschränkungen.
55
Da der Antragsteller mit seinem Begehren nicht obsiegen konnte, hat er nach § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen.
56
Die Kostenentscheidung bezüglich des Beigeladenen beruht auf § 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, dem Antragsteller die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen, weil diese einen Antrag gestellt und sich damit einem Kostenrisiko ausgesetzt hat.
57
Die Gerichtskostenfreiheit beruht auf § 188 Satz 2, Halbsatz 1 VwGO.