Titel:
Klage einer Wohnungseigentümergemeinschaft gegen Umbau eines Müllraums zu Treppenraum
Normenketten:
VwGO § 42 Abs. 2
WEG § 20
BGB § 249, § 280 Abs. 1, § 823 Abs. 1, § 861, § 862, § 866, § 1004 Abs. 1 S. 1
BayBO Art. 59, Art. 60
Leitsätze:
1. Wohnungseigentümer sowie Wohnungseigentümergemeinschaften sind nicht zur Anfechtung von Genehmigungen klagebefugt, mit denen bauliche Maßnahmen am gemeinschaftlichen Eigentum der Wohnungseigentümer, dh Maßnahmen an demselben Grundstück, gestattet werden. Interne Konflikte zwischen den einzelnen Wohnungseigentümern ein und desselben Grundstücks sowie der Wohnungseigentümergemeinschaft sind nach den Sondervorschriften des WEG zu lösen. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
2. Wohnungseigentümer und Wohnungseigentümergemeinschaften sind nur dann klagebefugt iSd § 42 Abs. 2 VwGO, wenn eine Genehmigung für ein „fremdes“, dh tatsächlich benachbartes Grundstück angegriffen wird. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
3. Anspruchsgrundlage für die Beseitigung einer unzulässigen baulichen Veränderung am Gemeinschaftseigentum ist § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB. Die Vornahme unzulässiger baulicher Veränderungen am Gemeinschaftseigentum kann darüber hinaus schuldrechtliche Schadenersatzansprüche wegen Verletzung von Pflichten aus dem Gemeinschaftsverhältnis iVm § 280 Abs. 1 BGB, deliktsrechtliche Schadensersatzansprüche aus §§ 823 Abs. 1 BGB, 249 BGB sowie Ansprüche wegen Besitzentziehung oder Besitzstörung aus § 861, § 862, § 866 BGB auslösen. (Rn. 44 – 45) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
(fehlende) Klagebefugnis einer Wohnungseigentümergemeinschaft, Verhältnis des Wohnungseigentumsrecht zum öffentlichen Baurecht, Klagebefugnis im öffentlichen Baurecht bei Drittanfechtungsklagen, Prüfungsumfang im Baugenehmigungsverfahren, Verhältnis des Wohnungseigentumsrechts zum öffentlichen Baurecht, unzulässige bauliche Veränderung am Gemeinschaftseigentum, Gesundheitsgefahr
Fundstelle:
BeckRS 2022, 41460
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen. Das Urteil ist insoweit vorläufig vollstreckbar.
3. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Die Klägerin wendet sich gegen den Bescheid vom 14. April 2021, mit welchem dem Beigeladenen der Umbau eines Müllraums zu einem Treppenraum bauaufsichtlich genehmigt wurde.
2
Die Klägerin ist eine Wohnungseigentümergemeinschaft, in deren Eigentum das Grundstück FlNr. …, Gemarkung … (…) steht. Ausweislich des in der Planmappe befindlichen Schnittes A-A (Behördenakte „…“) ist das Grundstück mit einem Gebäude mit Kellergeschoss, Erdgeschoss, drei Obergeschossen sowie einem Dachgeschoss bebaut. Das Grundstück grenzt im Nordwesten unmittelbar an die … und im Südosten unmittelbar an die … Der Beigeladene ist Miteigentümer an dem Grundstück. Zudem steht die Nutzungseinheit im Erdgeschoss des Gebäudes in seinem Sondereigentum. Der Beigeladene betreibt dort die Shisha-Bar „…“. Im Schnitt A-A sind die Räumlichkeiten mit „Nutzungseinheit Erdgeschoss“ bezeichnet und mit einer Bruttogeschossfläche von 218,48 qm angegeben. Die Nutzungseinheit besteht ausweislich des Grundrisses Erdgeschoss aus zwei Gasträumen mit 31 bzw. 18 Sitzplätzen, einer Küche sowie WC-Räumen mit Vorräumen und mehreren Korridoren.
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Mit Formblättern vom 25. August 2020 (Behördenakte „…“, Seiten 2 ff.) beantragte der Beigeladene bei der Beklagten eine Baugenehmigung für die „Nutzungsänderung Müllraum in Treppenraum“ für das betroffene Grundstück. Auf Seite 16 der Behördenakte findet sich das „Beiblatt - Beteiligte Nachbarn“, auf dem die insgesamt acht (Mit-)Eigentümer des Grundstücks mit der Anmerkung „Eigentümer Baugrundstück“ handschriftlich durchgestrichen wurden.
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Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 14. April 2021 erteilte die Bauordnungsbehörde der Beklagten dem Beigeladenen die Genehmigung zur Nutzungsänderung eines Müllraums in einen Treppenraum sowie zur Vornahme der entsprechenden baulichen Änderungen. Ausweislich der Behördenakte wurden der Klägerin sowie den (Mit-)Eigentümern des betroffenen Grundstücks, die Baugenehmigung nicht zugestellt.
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Der streitgegenständliche Bescheid wird wie folgt begründet. Für das Vorhaben müsse die Genehmigung nach Art. 68 Abs. 1 BayBO erteilt werden, da öffentlich-rechtliche Hinderungsgründe nicht entgegenständen und daher ein Anspruch auf Genehmigung bestehe. Das Vorhaben sei nach Art. 55 BayBO genehmigungspflichtig. Es handele sich um einen Sonderbau nach Art. 2 Abs. 4 BayBO. Die Auflagen der Baugenehmigung seien Bestandteil der Genehmigung und zur ordnungsgemäßen Durchführung des Vorhabens erforderlich. In den Auflagen heißt es unter Ziffer 6: „Der Brandschutznachweis vom 18.08.2020, erstellt von der …, ist Bestandteil der Baugenehmigung. Die darin enthaltenen Anforderungen und Maßnahmen sind zu beachten soweit nicht die baubehördlichen Auflagen Anderes oder Weitergehendes bestimmen.“
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Ausweislich der genehmigten Bauvorlagen erfasst die Baugenehmigung ausschließlich eine gemeinschaftlich genutzte Fläche im Erdgeschoss des Gebäudes. So ist im bauaufsichtlich genehmigten Grundriss Erdgeschoss einzig ein Raum in der Mitte des Stockwerks farblich dargestellt. Zwei der bestehenden Türen dieses Raums sind im Grundriss gestrichen und mit der Anmerkung „vorh. Tür ausbauen“ versehen. Zudem finden sich für den Raum die Anmerkungen „Entfall Müllraum“ und „Rettungswegführung Neu, Länge < 35m“.
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Der Raum ist nicht Teil der Nutzungseinheit des Beigeladenen, wird aber von dessen Nutzungseinheit im Norden, Süden und Osten umgeben. Der Raum grenzt im Westen unmittelbar an eine Treppe und im Süden unmittelbar an den Hausflur. An den Hausflur schließt sich am nordwestlichen Ende die Hauseingangstür zur … an. Die Nutzungseinheit des Beigeladenen ist mit der Anmerkung „Bestand - Keine Änderung!!“ überschrieben.
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Gegen den streitgegenständlichen Bescheid vom 14. April 2021 hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 14. April 2022 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach erheben lassen, welche am selben Tag bei Gericht einging.
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Der streitgegenständliche Bescheid sei rechtswidrig und verletze die Klägerin in nachbarschützenden Rechten. Wohnungseigentümergemeinschaften, wie die Klägerin, seien selbst Träger von Rechten und Pflichten und damit hinsichtlich Beeinträchtigungen des Gemeinschaftseigentums, aber auch im Hinblick auf Leib und Leben der Hausbewohner klagebefugt. Der VGH Mannheim habe öffentlich-rechtliche Schutzansprüche innerhalb der Wohnungseigentümergemeinschaft bejaht, soweit mit ihnen Gesundheitsgefahren für die Bewohner abgewehrt würden.
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Der bisherige Müllraum stehe ausweislich der Teilungserklärung im Gemeinschaftseigentum der Klägerin. Der Beigeladene habe den Bauantrag ohne Kenntnis und Genehmigung der Klägerin bei der Bauordnungsbehörde der Beklagten eingereicht. Kenntnis von der streitgegenständlichen Baugenehmigung habe die Klägerin erst erlangt, als der Beigeladene die ersten beiden Seiten der Baugenehmigung sowie ein handschriftliches Dokument mit der Aufschrift „Ab jetzt keine Mülltonne hier rein machen 30.12.2021“ im Gebäude ausgehängt habe.
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Der bisherige Müllraum, welcher nach der Baugenehmigung in einen Treppenraum umgenutzt werden dürfe, sei die einzige Abstellmöglichkeit für die Mülltonnen des Hauses gewesen. Nunmehr würden die Mülltonnen im Hausflur des Erdgeschosses stehen. Zum Nachweis legt die Klägerin ein Lichtbild vor, auf welchem der Hausflur im Erdgeschoss sichtbar ist, in welchem sich auf der linken Seite eine blaue, eine gelbe sowie drei schwarze Mülltonnen befinden. Die Mülltonnen nehmen augenscheinlich etwa die halbe Breite des Hausflurs ein. Neben der unerträglichen Geruchsbelästigung und dem unschönen Eindruck beim Betreten des Objektes sei der notwendige Flucht- und Rettungsweg nicht mehr gewährleistet. Die Bauaufsichtsbehörde der Beklagten hätte im Rahmen des durchgeführten Baugenehmigungsverfahrens prüfen müssen, ob öffentlich-rechtliche Vorschriften dem Vorhaben entgegenständen. Hierzu würden auch brandschutztechnische Vorschriften zu Rettungswegen, Art. 43 BayBO sowie die Abfallwirtschaftssatzung der Beklagten zählen.
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Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Stadt …, v. 14. April 2021 (…) aufzuheben.
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Die Beklagte beantragt,
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Die Klägerin sei bereits nicht klagebefugt. Das Sondereigentum nach WEG schließe öffentlich-rechtliche Nachbarschutzansprüche innerhalb der Gemeinschaft der Miteigentümer ein und desselben Grundstücks aus. Die vonseiten der Klägerin angeführte Rechtsprechung des VGH Mannheim verfange nicht, da vorliegend kein Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten sondern eine Drittanfechtungsklage inmitten stehe. Dessen ungeachtet sei die Baugenehmigung auch deshalb nicht aufzuheben, weil mit der Umnutzung des Müllraums in einen Treppenraum die Mülltonnen aufgrund der örtlichen Gegebenheiten nur noch im Hausflur aufgestellt werden könnten. Gegenstand der Baugenehmigung sei ausschließlich die Nutzung des ehemaligen Müllraums als Treppenraum, nicht aber die Nutzung des Hausflurs als Abstellflächen für Mülltonnen. Auch seien die Bestimmungen der Abfallwirtschaftssatzung der Beklagten nicht Gegenstand des bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahrens. Vorliegend sei der Beigeladene gut beraten von der streitgegenständlichen Baugenehmigung keinen Gebrauch zu machen, wenn er weder im Gebäude noch auf den Außenflächen einen geeigneten Aufstellplatz für die Mülltonnen finden könne.
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Der Beigeladene beantragt,
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Er schließt sich dem Vortrag der Beklagtenseite an. Alleine aufgrund der fehlenden Klagebefugnis scheitere die Klage, ohne dass materiell in eine Sachprüfung eingestiegen werden müsse.
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Die Bauordnungsbehörde der Beklagten hat den Beigeladenen nach einer Ortseinsicht vom 20. Juli 2022 mit Schreiben vom 22. Juli 2022 dazu aufgefordert, die Mülltonnen im Hausflur des Erdgeschosses zu entfernen. In dem Schreiben heißt es:
„Aufgrund des Bauzustandes sind aktuell folgende Forderungen zu stellen:
1. Einhaltung der Auflage Nr. 6 des Genehmigungsbescheides vom 14.04.2021: Mit dem Beginn der Maßnahme wurde durch Aufstellung der Mülltonnen im Treppenraum ein mangelhafter Zustand des Brandschutzes verursacht. Die Aufstellung der Mülltonnen im Treppenraum ist nicht zulässig. Die Mülltonnen sind bis zum 03.08.2022 aus dem Treppenraum zu beseitigen. (…).
Sollte die Frist ungenutzt verstreichen, sind wir leider gezwungen unsere Forderung mittels Verwaltungszwang durchzusetzen.“
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Mehreren Terminverlegungsgesuchen des Klägervertreters wurde vonseiten des Gerichts nicht nachgekommen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten sowie Behördenakten und das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Streitgegenstand ist ausschließlich die vonseiten der Klägerin begehrte Aufhebung des Baugenehmigungsbescheides der Beklagten vom 14. April 2021.
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Der Streitgegenstand bildet sich nach § 88 VwGO aus dem klägerischen Antrag sowie dem zugrundeliegenden Lebenssachverhalt. Demnach ist nur über die begehrte Aufhebung des Baugenehmigungsbescheides, nicht aber über einen klägerischen Anspruch gegen die Beklagte auf bauaufsichtliches Einschreiten zu entscheiden.
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Die Klägerin hat namentlich nur die Aufhebung des Baugenehmigungsbescheides beantragt. Zwar ist das Gericht an die Fassung der Anträge nicht gebunden, § 88 VwGO. Das Gericht darf aber über das Klagebegehren nicht hinausgehen. Auch dem klägerischen Sachvortrag sowie den Rechtsausführungen ist jedoch nicht zu entnehmen, dass klägerseitig ein bauaufsichtliches Einschreiten der Beklagten gegenüber dem Beigeladenen begehrt wird. Vielmehr beschränken sich die Ausführungen der Klägerin auf vermeintliche Fehler der Beklagten im Baugenehmigungsverfahren (s. bspw. Schriftsatz vom 23.06.2022 „Die Baubehörde hat im Rahmen eines genehmigungspflichtigen Vorhabens zu prüfen, ob dem öffentlich-rechtliche Vorschriften entgegenstehen.“; Schriftsatz vom 03.08.2022 „Solange diese Baugenehmigung existiert, wird der aus einem anderen Kulturkreis stammende Beigeladene sich weiterhin auf diese Baugenehmigung berufen. (…) Genehmigung ist für diese Menschen Genehmigung.“). Ein Anspruch auf ein bauaufsichtliches Einschreiten wird mithin nicht geltend gemacht. Vielmehr ist dem klägerischen Sachvortrag wohl gerade zu entnehmen, dass klägerseitig ein bauaufsichtliches Einschreiten für nicht erfolgversprechend angesehen wird (vgl. Zitat oben; Schriftsatz vom 03.08.2022).
23
Das Gericht konnte auch trotz Ausbleiben der Klägerin bzw. ihres Bevollmächtigten mündlich verhandeln und entscheiden, da in der Ladung vom 15. September 2022 auf diese Möglichkeit hingewiesen wurde, § 102 Abs. 2 VwGO.
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Den klägerischen Terminverlegungsgesuchen vom 15. September und 6. Oktober 2022 musste vonseiten der Kammer nicht nachgekommen werden. Im Mittelpunkt der Ablehnung dieser Verlegungsgesuche steht das - an den Bevollmächtigten der Klägerin gerichtete - Verlangen der Kammer, angesichts der vorgetragenen, nicht aber glaubhaft gemachten Terminkollision einen anwaltlichen Vertreter mit der Terminwahrnehmung zu beauftragen. Hierbei handelt es sich um ein von der obergerichtlichen Rechtsprechung gebilligtes Vorgehen, welches keinesfalls geeignet ist, eine sachwidrige Benachteiligung der vertretenen Klägerin zu begründen.
25
Die Rechtsprechung hat sogar eine vom Gericht begehrte Unterbevollmächtigung durch eine als Einzelanwältin tätige Bevollmächtigte als zulässiges Vorgehen anerkannt, sofern für den Unterbevollmächtigten noch ausreichend Zeit zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung vorhanden ist (VGH Mannheim, B.v. 30.01.1998 - A 12 S 157/98; so auch VG München, B.v. 11.04.2018 - 21 K 17.42896). Nichts anderes kann gelten, wenn - wie vorliegend - die im Verwaltungsverfahren vorgelegte Vollmacht auf eine Kanzlei mit 13 Berufsträgern lautet.
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Die Klage ist unzulässig und unbegründet. Sie war daher abzuweisen.
27
I. Die Klage ist mangels Klagebefugnis der Klägerin bereits unzulässig.
28
Voraussetzung für die Klagebefugnis eines Nachbarn im öffentlichen Baurecht nach § 42 Abs. 2 VwGO ist regelmäßig, dass die Möglichkeit besteht, dass der klagende Nachbar durch die Baugenehmigung in einer nachbarschützenden Norm verletzt wird (BVerwG, U.v. 09.12.1983 - 4 C 44/80; VGH Mannheim, U.v. 08.08.1989 - 9 S 2042/88). Vorliegend ist die Klägerin nicht „Nachbar“ im Sinne des öffentlichen Baurechts.
29
1. Die Klägerin wendet sich als Wohnungseigentümergemeinschaft gegen die bauaufsichtliche Genehmigung zum Umbau eines Müllraums in einen Treppenraum. Der streitgegenständliche Raum steht nach dem übereinstimmenden Sachvortrag, für dessen Unwahrheit die Kammer keine Anhaltspunkte sieht, im Gemeinschaftseigentum der Klägerin. Die Baugenehmigung wurde dem Beigeladenen als Mit- bzw. Sondereigentümer erteilt.
30
Ein potentiell berechtigter Dritter nachbarschützender Vorschriften des öffentlichen Baurechts kann nur derjenige sein, der (dingliche) Rechte an einem anderen Grundstück als dem Baugrundstück innehat. Daher sind Wohnungseigentümer sowie Wohnungseigentümergemeinschaften nicht zur Anfechtung von Genehmigungen klagebefugt, mit denen bauliche Maßnahmen am gemeinschaftlichen Eigentum der Wohnungseigentümer, das heißt Maßnahmen an demselben Grundstück, gestattet werden (so zutreffend BeckOK BauordnungsR Bayern/Edenharter, BayBO Art. 66 Rn. 22). Interne Konflikte zwischen den einzelnen Wohnungseigentümern ein und desselben Grundstücks sowie der Wohnungseigentümergemeinschaft sind daher nach den Sondervorschriften des WEG zu lösen (BVerwG, U.v. 14.10.1988 - 4 C 1/86; VGH München, U.v. 12.05.1986 - 14 B 85 A. 588).
31
Wohnungseigentümer und Wohnungseigentümergemeinschaft sind nur dann klagebefugt im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO, wenn - anders als im vorliegenden Fall - eine Genehmigung für ein „fremdes“, das heißt tatsächlich benachbartes Grundstück angegriffen wird (NK-VwGO/ Sodan, VwGO § 42 Rn. 437). Eine Wohnungseigentümergemeinschaft kann sich daher den verwaltungsgerichtlichen Rechtsbehelfen des öffentlichen Baurechts nur dann wirksam bedienen, wenn sie sich gegen eine Genehmigung für das „fremde“ Grundstück eines Dritten wendet.
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2. Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aus den Rechtsausführungen des Klägervertreters.
33
a) Der Klägervertreter führt an, dass die dargelegten Grundsätze dann keine Anwendung fänden, wenn Gesundheitsgefahren für Anwohner und Besucher - hier vermeintlich durch das Versperren des Rettungsweges mit Mülltonnen - inmitten ständen.
34
Der Verwaltungsgerichtshof Mannheim hat sich in diesem Zusammenhang auf den Standpunkt gestellt, dass der Ausschluss öffentlich-rechtlicher Schutzansprüche innerhalb der Wohnungseigentümergemeinschaft jedenfalls nicht für Ansprüche aus den §§ 24, 25 BImSchG gelte, soweit mit ihnen Gesundheitsgefahren abgewehrt werden. Der Abwehranspruch, der sich aus diesen Bestimmungen ergebe, sei namentlich personen- und nicht grundstücksbezogen. Im zugrundeliegenden Fall war die Bewertung belästigender Rauchgasimmissionen aus Wohnungskaminen streitgegenständlich (VGH Mannheim, B.v. 21.09.1993 - 10 S 1735/91).
35
Das Oberverwaltungsgericht Münster ist gleichermaßen davon ausgegangen, dass ein Mitglied einer Wohnungseigentümergemeinschaft nicht auf den Zivilrechtsweg verwiesen werden könne, wenn eine Verpflichtung der Bauaufsichtsbehörde anzunehmen sei, gegen eine Gefahrensituation einzuschreiten (OVG Münster, U.v. 03.05.2007 - 7 A 3350/06). Dies setze nach Ansicht des Senats allerdings eine „unmittelbare Gefährdung besonders wichtiger Rechtsgüter” voraus (siehe zu alledem auch Fricke/Wolter, ZfBR 2013, Seiten 218 ff.).
36
b) Für die vorliegende Fallgestaltung hält die Kammer die dargelegte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Mannheim sowie des Oberverwaltungsgerichts Münster nicht für anwendbar.
37
Denn vorliegend ist nicht ein Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten streitgegenständlich, sondern die Anfechtung einer Baugenehmigung, welche höchstens reflexartig, d.h. nicht vom Genehmigungsumfang umfasst (s. hierzu Ziffer II.3.), eine etwaige Gesundheitsgefahr für die Bewohner begründen könnte. In derartigen Fällen verneinte beispielsweise auch das Oberverwaltungsgericht Koblenz zutreffend die Klagebefugnis einer Wohnungseigentümergemeinschaft (OVG Koblenz, U.v. 26.02.2019 - 8 A 11076/18.OVG).
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In einem solchen Fall (Anfechtung einer Baugenehmigung für bauliche Änderungen am Gemeinschafts- oder Sondereigentum) muss es allerdings beim Vorrang des Wohneigentumsrechts bleiben, welches das öffentliche Baurecht hinsichtlich baulicher Veränderungen innerhalb der Wohneigentümergemeinschaft verdrängt (s. hierzu ausführlich die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts BVerwG, U.v. 12.03.1998 - 4 C 3/97 zum alten WEG-Recht).
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Denn das Wohneigentumsrecht sieht (nunmehr) in § 20 WEG ein fein ausdifferenziertes System von Maßnahmen zum Erhalt und zur Veränderung der baulichen Substanz vor, welches durch die Vorschriften des öffentlichen Baurechts nicht umgangen werden darf. So bestimmt § 20 Abs. 1 WEG, dass Maßnahmen, die über die ordnungsmäßige Erhaltung des gemeinschaftlichen Eigentums hinausgehen (bauliche Veränderungen) beschlossen oder einem Wohnungseigentümer durch Beschluss gestattet werden können. § 20 Abs. 2 WEG definierte bestimmte privilegierte bauliche Veränderungen, auf dessen Vornahme dem einzelnen Wohnungseigentümer ein Anspruch zusteht. § 20 Abs. 4 WEG definiert bestimmte bauliche Veränderungen (grundlegende Umgestaltung der Wohnanlage sowie unbillige Benachteiligung eines Eigentümers), welche nicht beschlossen oder gestattet werden dürfen. Eine Umgehung dieses ausdifferenzierten Systems durch Rechtsbehelfe des Verwaltungsrechts wird dem Willen des Bundesgesetzgebers nicht gerecht, welcher sich gerade für dieses System der baulichen Veränderungen im WEG entschieden hat.
40
So soll eine Wohnungseigentümergemeinschaft öffentlich-rechtlich nicht gegen eine bauliche Maßnahme vorgehen dürfen, welche einem Sondereigentümer beispielsweise nach § 20 WEG bereits ohne Beschluss einer Eigentümerversammlung kraft Gesetzes erlaubt ist. Auch verwaltungsrechtliche Klagen eines in der Eigentümerversammlung unterlegenen Sondereigentümers gegen eine in der Versammlung beschlossene bauliche Veränderung des Gemeinschaftseigentums sollen so verhindert werden.
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3. Aus dieser Auffassung ergibt sich auch keine unsachgemäße Schlechterstellung von Wohnungseigentümergemeinschaften sowie Sondereigentümern im Hinblick auf den Rechtsschutz. Im Einzelnen gilt hier das Folgende:
42
a) Verfassungsrechtlich ist ein allumfassender öffentlich-rechtlicher Rechtsschutz einer klagenden Partei nicht geboten. Art. 19 Abs. 4 GG enthält zwar das Gebot effektiven Rechtsschutzes, setzt jedoch für die Gewährung des Rechtsschutzes voraus, dass der jeweilige Kläger durch die öffentliche Gewalt in seinen eigenen Rechten verletzt ist (siehe zu alledem BeckOK GG/Enders, GG Art. 19 Rn. 60-62). Wie weit die jeweiligen subjektiven öffentlichen Rechte hierbei reichen, bestimmt regelmäßig das einfachgesetzliche Recht (BeckOK GG/Enders, GG Art. 19 Rn. 60; Schoch/Schneider/Wahl VwGO Vor § 42 Abs. 2 Rn. 98 ff.). Die Beschränkung der Klagebefugnis auf diejenigen Kläger, welche in eigenen Rechten möglicherweise verletzt sind, meint im öffentlichen Baurecht aber gerade eine Beschränkung auf die von der Genehmigung betroffenen Nachbarn.
43
b) Werden nach Wohnungseigentumsrecht unzulässige bauliche Veränderungen vorgenommen, so stehen den Eigentümern bzw. der Gemeinschaft zudem verschiedene zivilrechtliche Ansprüche zu (BeckOGK, WEG § 20 Rn. 1). In Betracht kommen vor allem Ansprüche auf Beseitigung oder Unterlassung.
44
Anspruchsgrundlage für die Beseitigung einer unzulässigen baulichen Veränderung am Gemeinschaftseigentum ist § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB. Hierbei maßgeblich ist auch, dass behördliche Erlaubnisse in aller Regel keine Duldungspflicht der Eigentümer nach § 1004 Abs. 2 BGB begründen (Staudinger/Thole, § 1004 Rn. 522; MüKoBGB/Raff, § 1004 Rn. 218). Dies gilt insbesondere auch für Baugenehmigungen (Staudinger/Thole, § 1004 Rn. 522; BeckOGK/Spohnheimer, BGB § 1004 Rn. 215). Auch kann aus der Erteilung einer Baugenehmigung nicht darauf geschlossen werden, dass damit verbundene Immissionen ortsüblich im Sinne des § 1004 BGB seien (BeckOGK/Spohnheimer, BGB § 1004 Rn. 215).
45
Die Vornahme unzulässiger baulicher Veränderungen am Gemeinschaftseigentum kann darüber hinaus schuldrechtliche Schadenersatzansprüche wegen Verletzung von Pflichten aus dem Gemeinschaftsverhältnis i.V.m. § 280 Abs. 1 BGB, deliktsrechtliche Schadensersatzansprüche aus §§ 823 Abs. 1 BGB, 249 BGB (BGH, U.v. 07.02.2014 - V ZR 25/13) sowie Ansprüche wegen Besitzentziehung oder Besitzstörung aus §§ 861, 862, 866 BGB auslösen (siehe zu alledem BeckOGK/Kempfle, WEG § 20 Rn. 278).
46
c) Da die hier etwaig geschaffene Gesundheitsgefahr für die Wohnungseigentümer aus der Nutzung des Hausflurs im Erdgeschoss nicht vom Genehmigungsumfang der Baugenehmigung umfasst ist (siehe hierzu noch Ziffer II.3.), besteht zudem auch weiterhin die grundsätzliche Möglichkeit eines Anspruchs der Klägerin gegen die Beklagte auf bauaufsichtliches Einschreiten. Hierbei hat die Klägerin die Anforderung der Rechtsprechung an die diesbezügliche Klagebefugnis zu wahren.
47
Freilich ist es der Beklagten zudem nicht verwehrt, auch ohne ein Verlangen der Klägerin oder einzelner Eigentümer, bauaufsichtlich tätig zu werden. Hier ist die Beklagte bereits mit Schreiben vom 22. Juli 2022 gegenüber dem Beigeladenen tätig geworden und hat diesen aufgefordert, die Mülltonnen bis zum 3. August 2022 aus dem Treppenraum zu beseitigen und die etwaige Durchsetzung der Forderung mittels Verwaltungszwangs angekündigt.
48
4. Nach alledem ist die Klagebefugnis der Klägerin vorliegend zu verneinen und die Klage daher bereits als unzulässig abzuweisen.
49
II. Die Klage ist zudem auch unbegründet.
50
Die dem Beigeladenen mit Bescheid vom 14. April 2021 erteilte Baugenehmigung verletzt die Klägerin nicht in drittschützenden Vorschriften.
51
Die Anfechtungsklage eines Dritten hat unter zwei Voraussetzungen Erfolg: Zum einen muss der angefochtene Verwaltungsakt - hier die streitgegenständliche Baugenehmigung - rechtswidrig sein. Zum anderen muss der Verwaltungsakt den jeweiligen Kläger in dessen subjektiv-öffentlichen Rechten verletzen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Folglich führt eine etwaige objektive Verletzung einer Rechtsnorm allein nicht zum Erfolg einer Nachbarklage. Vielmehr muss die Rechtsverletzung zum Prüfungsumfang des bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahrens gehören. Ferner muss sich die Rechtswidrigkeit auch aus einer Norm ergeben, die dem Schutz des Nachbarn dient (Schutznormtheorie, VGH München, B.v. 24.03.2009 - 14 CS 08.3017). Das gerichtliche Verfahren bildet insofern keine allumfassende Rechtmäßigkeitskontrolle. Die gerichtliche Prüfung beschränkt sich auf die Prüfung drittschützender Vorschriften, die dem Nachbarn einen Abwehranspruch gegen das Vorhaben vermitteln (VGH München, B.v. 24.03.2009 - 14 CS 08.3017).
52
1. Die Klage stellt sich bereits als unbegründet dar, weil die Klägerin nicht „Nachbarin“ im Sinne des öffentlichen Baurechts ist und daher auch nicht Trägerin nachbarschützender Rechte sein kann. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO korrespondiert insoweit mit § 42 Abs. 2 VwGO, der für die Zulässigkeit einer Anfechtungsklage die Möglichkeit einer Rechtsverletzung fordert (siehe oben Ziffer I.). Die Begründetheit der Klage ist dem folgend davon abhängig, dass tatsächlich eigene Rechte des Klägers verletzt sind (Eyermann/Schübel-Pfister, VwGO § 113 Rn. 25). Träger der nachbarschützenden Vorschriften des öffentlichen Baurechts sind jedoch nur die jeweils erfassten „Nachbarn“ des Bauvorhabens, zu deren Kreis die hiesige Klägerin nicht zählt.
53
2. Soweit der Klägervertreter ausführt, dass das Abstellen der Mülltonnen im Hausflur Löscharbeiten behindern könnte und ein etwaiger Brand daher leichter auf Nachbargebäude übergreifen könnte, ist bereits unklar, wie dies eigene Rechte der Klägerin verletzen soll. Die Klägerin ist ausweislich ihres Sachvortrags, für dessen Unwahrheit die Kammer keine Anhaltspunkte sieht, nur Eigentümerin des betroffenen Grundstücks, nicht aber der Nachbargrundstücke.
54
3. Die Unbegründetheit der Klage folgt zudem auch aus dem (begrenzten) Genehmigungsumfang der streitgegenständlichen Baugenehmigung.
55
Der Genehmigungsumfang der Baugenehmigung ist räumlich beschränkt. Ausweislich des bauaufsichtlich genehmigten Grundrisses für das Erdgeschoss erfassen die genehmigten baulichen Änderungen lediglich den bisherigen Müllraum, welcher nach der Genehmigung in einen Treppenraum umgebaut werden darf. Weder zum Hausflur des Erdgeschosses noch dazu, dass die Mülltonnen des Gebäudes in dem Hausflur stehen dürfen, trifft die Baugenehmigung eine Aussage. Die Genehmigungswirkung ist daher auf den bisherigen Müllraum beschränkt. Etwaige Gesundheitsgefahren, welche aus der Nutzung anderer Räume des Gebäudes folgen könnten, sind daher rein „reflexartig“ und nicht vom Genehmigungsumfang der Baugenehmigung umfasst. Den Gesundheitsgefahren wäre daher vonseiten der Klägerin durch ein Verlangen nach bauaufsichtlichem Einschreiten gegenüber der Beklagten zu begegnen, welches vorliegend aber nicht Klagegegenstand ist.
56
Der Genehmigungsumfang der Baugenehmigung ist zudem auch sachlich beschränkt. Da die streitgegenständliche Baugenehmigung keine Aussage dazu trifft, wo die Mülltonnen zukünftig aufzubewahren sind, kann - entgegen der Auffassung des Klägervertreters - auch kein Verstoß der Baugenehmigung gegen Art. 43 BayBO (Anforderungen an die Aufbewahrung fester Abfallstoffe) sowie gegen die Abfallwirtschaftssatzung der Beklagten festgestellt werden.
57
Auch aus Art. 60 BayBO ergibt sich eine relevante Beschränkung des bauaufsichtlichen Genehmigungsumfangs. Denn dieser bestimmt, dass die Bauaufsichtsbehörde lediglich die bauplanungsrechtliche (Nr. 1) und die bauordnungsrechtliche Zulässigkeit eines Vorhabens (Nr. 2) sowie andere öffentlich-rechtliche Anforderungen zu prüfen hat, soweit wegen der Baugenehmigung eine andere öffentlich-rechtliche Entscheidung entfällt, ersetzt oder eingeschlossen wird (Nr. 3). Auch hieraus folgt, dass die Abfallwirtschaftssatzung der Beklagten nicht vom Genehmigungsumfang der Baugenehmigung umfasst ist, da die Satzung keine Genehmigungspflicht für das Aufstellen von Mülltonnen vorsieht.
58
Nach alledem war die Klage abzuweisen.
59
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO. Der Beigeladene hat einen Antrag gestellt, so dass es im Hinblick auf das Kostenrisiko der Billigkeit entspricht, seine außergerichtlichen Kosten der Klägerin aufzuerlegen.
60
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.