Titel:
Kein BAföG nach Überschreiten der Altersgrenze
Normenketten:
SGB X § 44 Abs. 1 S. 1
BAföG § 2 Abs. 1, § 7 Abs. 3, § 10 Abs. 3 S. 2 Nr. 1, Nr. 3
Leitsätze:
1. Der Ausnahmetatbestand des § 10 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 BAföG betrifft nur diejenige Ausbildung, für die auf dem Zweiten Bildungsweg die Zugangsvoraussetzungen erworben wurden und nicht die Ausbildung im Zweiten Bildungsweg selbst. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es fehlt an einem wichtigen Grund für den Abbruch einer zweiten Ausbildung, wenn die Fortsetzung der Ausbildung nicht tatsächlich unzumutbar ist, weil lediglich die Tätigkeit in einer konkreten Ausbildungsstätte nicht fortgeführt werden konnte, aber der BAföG-Antragsteller nicht darlegt, dass er sich überhaupt (rechtzeitig) um eine andere praktische Ausbildungsstelle tatsächlich bemüht hätte. (Rn. 43) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Zugunstenverfahren, Ausbildungsförderung nach Überschreiten der Altersgrenze (verneint), fehlender wichtiger Grund für Abbruch der zweiten Ausbildung, Ausbildungsförderung, BAföG, Altersgrenze, zweiter Bildungsweg, wichtiger Grund, Abbruch, Ausbildung
Fundstelle:
BeckRS 2022, 41458
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
4. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Die Beteiligten streiten um die Bewilligung von Ausbildungsförderung.
2
Am 27. Juli 2020 beantragte der am … 1989 geborene Kläger bei der Beklagten die Bewilligung von Ausbildungsförderung für den Besuch der 1. Klasse des …Kollegs in Vollzeit mit dem angestrebten Abschluss des Abiturs.
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Bezüglich seines schulischen und beruflichen Werdegangs gab der Kläger dabei sinngemäß Folgendes an:
September 2001 bis August 2007
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…, Realschulabschluss
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September 2007 bis April 2008
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…, Praktikum zur Orientierung zur Ausbildung …, unentgeltlich
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Mai 2008 bis August 2008
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…, Orientierungspraktikum, unentgeltlich
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August 2008 bis August 2010
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…, Helfer in der … für monatlich ca. 350,00 EUR brutto
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September 2010 bis Februar 2012
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Fachschule für Heilerziehungspflege …, Ausbildung Heilerziehungspfleger, nicht abgeschlossen
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März 2012 bis November 2012
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arbeitssuchend
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November 2012 bis Februar 2013
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…, …kraft für monatlich ca. 1.100,00 EUR brutto
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März 2013 bis November 2013
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…, …kraft für monatlich ca. 1.000,00 EUR brutto
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Dezember 2013 bis August 2014
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Berufliche und persönliche Orientierung
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September 2014 bis Februar 2017
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Fachakademie für Sozialpädagogik …, Erzieherausbildung, nicht abgeschlossen
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März 2017
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Berufliche Neuorientierung
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April 2017 bis September 2017
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…, Helfer … für monatlich ca. 1.100,00 EUR brutto
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Oktober 2017 bis Februar 2020
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…-Zusatzqualifikation 09/17-05/18 und berufliche Neuausrichtung, …-Zertifikat
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4
Dem Antrag ferner beigefügt war eine „Begründung der Überschreitung der Altersgrenze“ vom 26. Februar 2020. Hierin führte der Kläger aus, er habe bereits einige berufliche Optionen ausprobiert. Sein Traumberuf sei lange Zeit in der sozialen Branche verhaftet gewesen, weshalb er eine Ausbildung zum Erzieher begonnen habe. Leider sei man ihm in der Ausbildungsstätte auf Grund eines medialen Vorfalls nicht mehr wohlwollend begegnet. Die Eltern seien einem männlichen Erzieher sehr kritisch und skeptisch gegenübergestanden, so dass er sich gezwungen gesehen habe, einen neuen Weg einzuschlagen. Auf Grund eines schwerwiegenden, massiv einschneidenden persönlichen Erlebnisses im Jahr 2017 habe er sich erst einmal im privaten Bereich mit therapeutischer Unterstützung neu ausrichten müssen. Dann habe er sich soweit stabil gefühlt, dass eine weitere berufliche Neuausrichtung habe erfolgen können. Sein großer Wunsch sei es, ab September 2020 das …Kolleg in … zu besuchen, sein Abitur nachzuholen und anschließend ein Studium im Bereich … zu beginnen. Eine Einschreibung bis September 2020 sei ohne Probleme möglich. Um seine schulische Laufbahn weiter fortsetzen zu können, bitte er um die Gewährung von Ausbildungsförderung trotz Überschreiten der Altersgrenze. Ferner beigefügt war ein Bescheid des Jobcenters …, wonach dem Kläger für die Zeit vom ... November 2019 bis … Oktober 2020 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts bewilligt würden.
5
Am 27. August 2020 ging bei der Beklagten ein ärztliches Attest ein, wonach sich der Kläger vom … April 2018 bis zum ... Mai 2018 stationär wegen einer depressiven Anpassungsstörung und anschließend bis heute ambulant bei einem Psychotherapeuten wegen einer posttraumatischen Belastungsstörung in Behandlung befunden habe. Deswegen habe er die Umschulung zum … 2017 bis 2018 nicht abschließen können. Ferner ging bei der Beklagten ein Schreiben vom … Mai 2018 ein, nach dem die … den am … September 2017 geschlossenen Weiterbildungsvertrag kündige. Auf Grund der krankheitsbedingten Fehlzeiten des Klägers und infolgedessen mangelnder Leistung sei ein erfolgreicher Abschluss der Umschulung nicht mehr zu erwarten.
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Mit Schreiben vom 28. Juli 2020 teilte die Beklagte dem Kläger mit, sie benötige von ihm die ärztlichen Atteste darüber, warum es ihm nicht mehr möglich gewesen sei, in seinem Beruf zu arbeiten, sowie eine Bescheinigung über die Dauer der Erkrankung.
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Mit Bescheid vom 3. September 2020 lehnte die Beklagte den Antrag auf Gewährung von Leitungen der Ausbildungsförderung kostenfrei ab. Der Kläger habe bei Beginn der Ausbildung bereits das 30. Lebensjahr vollendet. Ausnahmetatbestände seien nicht erfüllt.
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Mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 7. Dezember 2020 ließ der Kläger bei der Beklagten beantragen, den Bescheid vom 3. September 2020 nach § 44 SGB X zu überprüfen, zu korrigieren und ihm Ausbildungsförderung entsprechend dem Antrag vom 27. Juli 2020 für die begonnene Ausbildung im …Kolleg zu gewähren. Zur Begründung brachte er vor, er sei notfallmäßig am … April 2018 nach Selbstmordversuchen und zum Eigenschutz im … stationär aufgenommen und bis ... Mai 2018 behandelt worden. Festgestellt worden seien Anpassungsstörungen, eine Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung sowie eine Persönlichkeitsstörung. In der Folge habe er sich bis heute einer Psychotherapie beim … unterzogen. Eine Kopie des Arztberichtes des Klinikums von ... Mai 2018 sowie des Therapievertrages seien beigefügt, ein Attest des behandelnden Psychotherapeuten angefordert. Es lägen insbesondere persönliche Umstände vor, die ihn daran gehindert hätten, die streitgegenständliche Ausbildung zu beginnen bzw. habe er noch keine Ausbildung, die nach dem BAföG gefördert werde, berufsqualifizierend abgeschlossen. Hierfür sei eine einschneidende Veränderung seiner persönlichen Verhältnisse verantwortlich. Es liege ein Ausnahmetatbestand nach § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 bzw. Nr. 4 BAföG vor. Eine Bestätigung des Psychotherapeuten des Klägers über Behandlungen im Oktober und November 2018 nebst Diagnosen wurde mit Schreiben vom 10. Dezember 2020 eingereicht.
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Auf Nachfrage der Beklagten erklärte das …Kolleg mit Schreiben vom 16. Dezember 2020 sinngemäß, für die Aufnahme in die Klasse I sei eine abgeschlossene Berufsausbildung oder eine mindestens zweijährige Berufstätigkeit, im Schuljahr der Anmeldung ein Mindestalter von 18 Jahren und ein mittlerer Schulabschluss erforderlich. Zur Berufstätigkeit könne eine durch Bescheinigung der Agentur für Arbeit nachgewiesene Arbeitslosigkeit berücksichtigt werden. Der Kläger habe folgende Unterlagen vorgelegt: befristeter Arbeitsvertrag (.. …..) vom … November 2012 mit einer zugehörigen Abmeldung bei der Sozialversicherung zum … November 2013 (12 Monate), zwei Arbeitsverträge (.. …..) mit Kündigungen, davon ein Arbeitsvertrag vom ... April 2017 bis … Mai 2017 und der andere vom … Mai 2017 bis ... August 2017 (mehr als 3 Monate), einen Bescheid des Jobcenters vom … November 2019 über die Bewilligung von Leistungen für den Zeitraum November 2019 bis Oktober 2020, den das Kolleg nur für 9 Monate (November bis einschließlich Juli) angerechnet habe, da der Kläger im September beim Kolleg begonnen habe. Ferner habe der Kläger weitere Bescheinigungen über Tätigkeiten, z.B. ein Berufspraktikum als Erzieher mit Ausbildungsvergütung eingereicht, die aber nicht von Belang seien, da bereits mit den o.g. Unterlagen die erforderlichen zwei Jahre nachgewiesen seien. Der Kläger habe darüber hinaus ein Zeugnis über den mittleren Bildungsabschluss und eine Geburtsurkunde eingereicht, die ein Alter über 18 Jahre ausweise. Er erfülle spätestens seit 1. August 2020 die Voraussetzungen für den Besuch des Kollegs.
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Auf Nachfrage der Beklagten gab die Bundesagentur für Arbeit mit Schreiben vom 17. Februar 2018 für die Jahre 2017 und 2018 einen Leistungszeitraum betreffend Arbeitslosengeld vom … August 2017 bis … November 2018 an.
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Weiter bat die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 21. Dezember 2020, einen Versicherungsnachweis der deutschen Rentenversicherung über Zeiten der Berufstätigkeit und Bruttoeinkünfte einzureichen. Die vorgetragene psychische Erkrankung stelle sicherlich einen wichtigen Grund dar. Ob allerdings eine Förderung nach Vollendung des 30. Lebensjahres möglich sei, hänge davon ab, ob das Unverzüglichkeitsgebot nach § 10 Abs. 3 Satz 3 BAföG eingehalten worden sei. Dafür werde der geforderte Nachweis benötigt. Mit Schreiben vom 7. Januar 2021 übersandte der Kläger einen Versicherungsverlauf der Deutschen Rentenversicherung vom 29. November 2016.
12
Mit Bescheid vom 21. Januar 2021 lehnte die Beklagte den Antrag auf Überprüfung des Ablehnungsbescheides vom 3. September 2020 nach § 44 SGB X kostenfrei ab. Zur Begründung ist sinngemäß ausgeführt, der ablehnende Bescheid vom 30. September 2020 sei rechtmäßig. Der Kläger habe im Juli 2007 seinen Realschulabschluss erlangt und am.. …2007 das 18. Lebensjahr vollendet. Eine abgeschlossene Berufsausbildung könne der Kläger nicht nachweisen, sodass eine mindestens zweijährige Berufstätigkeit nachzuweisen sei. Nach § 9 Abs. 6 Satz 3 GSO-G8 könne eine durch Bescheinigung der Agentur für Arbeit nachgewiesene Arbeitslosigkeit berücksichtigt werden. Laut Versicherungsverlauf der Deutschen Rentenversicherung seien folgende Versicherungszeiten gemeldet: vom … September 2010 bis … Februar 2012: 17 Monate und 17 Tage Berufstätigkeit, vom … Februar 2012 bis … November 2012: 6 Monate gemeldete Zeiten der Bundesagentur für Arbeit, vom … November 2012 bis … November 2013: 12 Monate Berufstätigkeit. Somit habe der Kläger mindestens seit Beginn des Schuljahres 2013/2014 die Voraussetzungen für die Aufnahme in die Jahrgangsstufe I des Kollegs erfüllt. Wie dem Lebenslauf zu entnehmen sei, habe der Kläger bis November 2013 gearbeitet, sich von Dezember 2013 bis August 2014 beruflich und persönlich orientiert, von September 2014 bis Februar 2017 die Ausbildung zum Erzieher ohne Abschluss absolviert, von April 2017 bis September 2017 gearbeitet und von Oktober 2017 bis Mai 2018 eine …-Zusatzqualifikation absolviert. Nachweise über die psychischen Krankheiten lägen erst ab … April 2018 vor. Es wäre dem Kläger offensichtlich auch zu einem früheren Zeitpunkt möglich gewesen, das Kolleg mit dem Ziel des Abiturs zu beginnen. Das Unverzüglichkeitsgebot sei nicht eingehalten.
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Am 25. Februar 2021 ließ der Kläger Widerspruch gegen den Bescheid erheben und ausführen, Hintergrund für die späte Aufnahme der schulischen Ausbildung sei eine Unterbrechung der Berufsausbildung infolge Erkrankung. Er habe im Juli 2007 den Realschulabschluss erlangt und eine Lehre als Erzieher begonnen, die er unverschuldet nicht habe abschließen können und im Februar 2017 beendet habe. Von Oktober 2017 bis Mai 2018 habe er eine Umschulung zum … absolviert. Infolge einer schweren psychischen Erkrankung habe er diese Umschulung nicht beenden können. Die Erkrankung habe im April 2018 zu einem stationären Aufenthalt nach mehreren Suizidversuchen im … geführt, wo er bis … Mai 2018 behandelt worden sei. Im Übrigen entsprach das Vorbringen im Wesentlichen dem Vorbringen mit Schreiben vom 7. Dezember 2020.
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Mit Schreiben vom 30. April 2021 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dem Widerspruch sei nicht abzuhelfen. Das Unverzüglichkeitsgebot der Ausnahmetatbestände sei nicht erfüllt, da es dem Kläger möglich gewesen wäre, das Kolleg mindestens seit Beginn des Schuljahres 2013/2014 zu besuchen. Er habe auch nicht unverzüglich nach dem Eintritt der Bedürftigkeit infolge einschneidender Veränderungen seiner persönlichen Verhältnisse die Ausbildung aufgenommen. Der Kläger habe bereits seit dem … August 2017 Arbeitslosengeld erhalten. Im Falle des Vorliegens der Tatbestandsvoraussetzungen des § 10 Abs. 3 Nr. 4 BAföG und um das Unverzüglichkeitsgebot einzuhalten hätte der Kläger spätestens im Schuljahr 2018/2019 die Ausbildung am Kolleg beginnen können.
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Mit Schreiben vom 31. Mai 2021 ließ der Kläger mitteilen, er sehe das Unverzüglichkeitsgebot nicht als verletzt an. Er habe im Jahr 2013 gearbeitet und im Jahr 2014 seine Ausbildung zum Erzieher aufgenommen. Es treffe daher nicht zu, dass er seit Beginn des Schuljahres 2013/2014 die Möglichkeit gehabt habe, die Ausbildung am Kolleg zu beginnen. Im September 2013 sei er noch berufstätig gewesen. Soweit die Beklagte anführe, er hätte im Schuljahr 2018/2019 mit der Ausbildung beginnen können, treffe dies infolge seiner schweren psychischen Erkrankung nicht zu. Die im Herbst 2018 begonnene Therapie dauere bis heute an. Im Vorfeld habe er auf einen Behandlungstermin warten müssen und sei bis Herbst 2018 auf einer Warteliste gestanden.
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Mit Bescheid vom 1. Juli 2021 wies die Regierung von … den Widerspruch zurück (Ziff. 1 des Bescheides). Die Kosten des Verfahrens wurden dem Kläger auferlegt und die Zuziehung eines Rechtsanwalts für nicht notwendig erklärt (Ziff. 2 des Bescheides). Verfahrenskosten wurden nicht erhoben (Ziff. 3 des Bescheides). Zur Begründung ist ausgeführt, der Bescheid vom 3. September 2020 sei mangels eingelegten Rechtsbehelfs rechtskräftig geworden und nicht offensichtlich rechtswidrig. Der Kläger habe die Altersgrenze mit Ablauf des … 2019 überschritten. Zwar könnte § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 BAföG in Erwägung gezogen werden. Allerdings fordere das Gesetz eine lückenlose Kette von Hinderungsgründen bis zum Erreichen der Altersgrenze. Laut klägerischen Angaben habe ein einschneidendes persönliches Erlebnis im Jahr 2017 dazu geführt, dass er sich neu habe ausrichten müssen. Diese Zeitangaben stimmten auch mit den Ausführungen zu den Erkrankungen überein. Dieser Zeitraum von 2017 bis 2020 decke jedoch nicht den gesamten Zeitraum ab, der dem Kläger für die Ausbildungsaufnahme zur Verfügung gestanden habe. Die Aufnahme am Kolleg sei nach einer zweijährigen Berufstätigkeit möglich gewesen, laut den vorliegenden Unterlagen wäre dies zumindest im Jahr 2013 der Fall gewesen. Der Kläger hätte im September 2013 am Kolleg beginnen können. Dass er zu diesem Zeitpunkt gearbeitet habe, sei kein ausreichender Grund, um die Ausbildung nicht in Angriff zu nehmen. Es sei einem jungen Menschen zuzumuten, sich nach der schulischen Ausbildung Gedanken über seine berufliche Ausbildung zu machen und einen geeigneten Ausbildungsweg einzuschlagen. Soweit dies nicht in Angriff genommen werde, führe dies nicht dazu, dass die Ausschlussgrenze des 30. Lebensjahres nicht mehr gelte. Die krankheitsbedingt eingeschränkte Erwerbsfähigkeit führe ggf. ab 2017 dazu, dass eine Ausbildung nicht mehr aktiv betrieben werden könne. Sie diene jedoch nicht als Begründung dafür, dass die Ausbildung am Kolleg in den Jahren 2013 bis 2016 nicht hätte aufgenommen werden können. Ob und inwieweit die ambulante Therapie eine Ausbildungsmöglichkeit zumindest im Jahr 2019 zugelassen hätte, sei damit nicht mehr zu beurteilen.
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Auch § 10 Abs. 3 Nr. 4 BAföG sei nicht erfüllt. Die Erkrankung im Jahr 2017/2018 erfülle den Tatbestand nicht, da der Kläger im Anschluss an die Erkrankung einen Wechsel in seinen Neigungen festgestellt habe. Dieser „einfache“ Neigungswandel stelle jedoch kein derart unerwartetes Ereignis dar, das zu einer völligen Änderung der Lebensführung verpflichtet hätte. Die Entscheidung, welche Ausbildung seinen Neigungen entsprochen hätte, wäre dem Kläger auch bereits bis zum Jahr 2017 bzw. bis zu seinem 28. Lebensjahr zumutbar gewesen.
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Am 9. August 2021 hat der Kläger Klage erhoben. Zur Begründung lässt er über sein Vorbringen im Verwaltungsverfahren hinaus im Wesentlichen vortragen, Hintergrund für die späte Aufnahme seiner schulischen Ausbildung sei eine Unterbrechung der Berufsausbildung infolge Erkrankung gewesen. Das Unverzüglichkeitsgebot sei nicht verletzt. Es sei schon nicht ersichtlich, wie die Beklagte zu der Annahme komme, seine Erkrankung läge erst ab dem … April 2018 vor. Aus den ärztlichen Unterlagen ergebe sich, dass er behandlungsbedürftig auf Grund eines Vorfalls im Jahr 2017 gewesen sei, darüber hinaus, dass die zu Grunde liegenden Erkrankungen bereits seit früher Jugend bei ihm vorlägen. Er habe ab Beginn des Schuljahres 2013/2014, zu dem die Beklagte die Aufnahme der jetzigen Ausbildung als möglich unterstelle, ein berufliches Orientierungsjahr absolviert und sodann eine Ausbildung zum Erzieher aufgenommen. Dass er diese nicht habe abschließen können, sei für ihn zum damaligen Zeitpunkt nicht erkennbar gewesen. Auch soweit die Beklagte meine, er hätte im Schuljahr 2018/2019 mit der jetzigen Ausbildung beginnen können, treffe dies nicht zu. Zu diesem Zeitpunkt habe seine schwere psychische Erkrankung noch vorgelegen und sei behandelt worden. Er sei daher krankheitsbedingt und aus persönlichen Gründen im Sinne des § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 BAföG bis zur Aufnahme der hier streitgegenständlichen Ausbildung nicht in der Lage gewesen, diese zu beginnen, die er auch mit hoher Motivation, zielstrebig und erfolgreich absolviere.
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Der Kläger beantragt wörtlich,
den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger unter Aufhebung des Bescheides vom 21.01.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.07.2021 - Az. … den Bescheid vom 03.09.2020 aufzuheben und dem Kläger ab 01.09.2020 Ausbildungsförderung nach dem BAföG für den Besuch des …Kollegs in … antragsgemäß zu gewähren.
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Die Beklagte beantragt
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Sie begründet dies damit, in der Klagebegründung würden keine bisher nicht bekannten Argumente aufgeführt. Ein Nachweis, ab wann die psychische Erkrankung des Klägers eine Ausbildung unmöglich gemacht habe, habe der Kläger bisher nicht erbracht. Das erstdatierte Attest über eine Erkrankung, die den Besuch der Ausbildungsstätte unmöglich mache, sei der Arztbericht des … und benenne als Behandlungsbeginn den … April 2018. Gegen die Ausführungen, dass es dem Kläger ab Abbruch der Fachakademie für Sozialpädagogik im Februar 2017 unmöglich gewesen sei, eine Ausbildung zu beginnen, spreche die Tatsache, dass er von April 2017 bis September 2017 einer Helfertätigkeit bei der Firma … nachgegangen sei. Die Zugangsvoraussetzungen zum …Kolleg seien spätestens im Jahr 2013 erfüllt gewesen. Auf die Frage, wieso es dem Kläger in den Jahren 2013 bis 2016 nicht möglich gewesen sei, das …Kolleg zu besuchen, werde in der Klagebegründung nicht eingegangen. Somit sei der Beginn der psychischen Erkrankung, ob 2017 oder 2018, für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen des § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 BAföG vorlägen, ohne Bedeutung. Es sei daher nicht dargelegt worden, warum es dem Kläger unmöglich gewesen sei, die Ausbildung am Kolleg vor Erreichen der Altersgrenze zu beginnen.
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Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat das Gericht mit den Beteiligten hinsichtlich des Sach- und Streitstands insbesondere die Fragen erörtert, ob der Kläger vor Erreichen der Altersgrenze die Chance gehabt hatte, die streitgegenständliche Ausbildung zu beginnen, und ob er nach zwei abgebrochenen Ausbildungen noch förderungsfähig war. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte, insbesondere auf die Sitzungsniederschrift vom 12. April 2022, und auf die beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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I. Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Der Bescheid der Beklagten vom 3. September 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides der Regierung von … vom 1. Juli 2021 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in eigenen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Rücknahme des bestandskräftigen Ablehnungsbescheides vom 3. September 2020 und keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung, § 113 Abs. 5 VwGO.
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1. Rechtsgrundlage für das begehrte Zugunstenverfahren ist § 44 SGB X. Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, gem. § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Aus der systematischen Zusammenschau mit § 44 Abs. 2 SGB X ergibt sich, dass Abs. 1 allein nicht begünstigende Verwaltungsakte betrifft (vgl. Merten in Hauck/Noftz, SGB X, Werkstand 1. EL 2022, § 44 Rn. 11). Wie sich im Umkehrschluss aus § 45 Abs. 1 SGB X ergibt, ist ein ablehnender Bescheid als nicht begünstigender Bescheid i.S.d. § 44 SGB X zu sehen (vgl. Merten in Hauck/Noftz, SGB X, Werkstand 1. EL 2022, § 44 Rn. 12).
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2. Danach liegen die Voraussetzungen nach § 44 SGB X nicht vor, da der ablehnende Bescheid vom 3. September 2020 rechtmäßig ist. Sozialleistungen wurden zu Recht nicht erbracht, da der Kläger keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung hat. So hat der Kläger die förderrechtliche Altersgrenze überschritten, ohne dass Ausnahmetatbestände einschlägig sind (a). Außerdem steht § 7 Abs. 3 Satz 1 BAföG der begehrten Förderung entgegen (b).
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a) Gem. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BAföG wird zwar Ausbildungsförderung für den Besuch von Kollegs geleistet. Gem. § 10 Abs. 3 Satz 1 BAföG wird jedoch Ausbildungsförderung für eine Ausbildung an einem Kolleg nicht geleistet, wenn der Auszubildende bei Beginn des Ausbildungsabschnitts, für den er Ausbildungsförderung beantragt, das 30. Lebensjahr vollendet hat. Die Norm verstößt weder gegen die RL 2000/78/EG noch gegen Verfassungsrecht (vgl. BayVGH, B.v. 10.8.2020 - 12 ZB 19.2041 - juris).
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Der Kläger hatte unstreitig bei Aufnahme der Ausbildung am …Kolleg das 30. Lebensjahr bereits vollendet. Zwar sieht § 10 Abs. 3 Satz 2 BAföG Ausnahmetatbestände vor, nach denen die Altersgrenze des § 10 Abs. 3 Satz 1 BAföG keine Anwendung findet. Allerdings liegt kein solcher Ausnahmetatbestand vor.
29
aa) § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BAföG ist nicht einschlägig. Danach gilt die Altersgrenze nicht, wenn der Auszubildende die Zugangsvoraussetzungen für die zu fördernde Ausbildung an einer in § 7 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Buchst. a BAföG genannten Ausbildungsstätte, durch eine Nichtschülerprüfung oder durch eine Zugangsprüfung zu einer Hochschule oder zu einer Akademie im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 BAföG erworben hat. Der Ausnahmetatbestand betrifft demnach nur diejenige Ausbildung, für die auf dem Zweiten Bildungsweg die Zugangsvoraussetzungen erworben wurden und nicht die Ausbildung im Zweiten Bildungsweg selbst (Roggentin in Rothe/Blanke, BAföG, 5. Aufl., Stand März 2011, § 10 Rn. 11). Sie bezieht sich somit nicht schon auf den Besuch einer Ausbildungsstätte des Zweiten Bildungsweges, mithin vorliegend des Kollegs, sondern erst auf einen darauf aufbauenden Ausbildungsabschnitt (vgl. BVerwG, U.v. 10.10.1985 - 5 C 14.83 - juris). Sind die schulischen Voraussetzungen für die Durchführung der zu fördernden Ausbildung also nicht in einer Ausbildungsstätte des Zweiten Bildungsweges erworben worden, ist für die Anwendung des § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BAföG kein Raum (Roggentin a.a.O.). Vorliegend hat der Kläger die Zugangsvoraussetzungen für das Kolleg jedoch gerade nicht auf dem Zweiten Bildungsweg, d.h. nicht durch den Besuch einer Ausbildungsstätte nach § 7 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Buchst. a BAföG, erlangt, sondern durch vorangegangene Berufstätigkeit. Genauso wenig handelt es sich bei dem Besuch des Kollegs um eine Ausbildung, die auf dem Zweiten Bildungsweg aufbaut.
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bb) Auch der Ausnahmetatbestand des § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 BAföG greift vorliegend nicht. Danach gilt die Altersgrenze nicht, wenn Auszubildende aus persönlichen oder familiären Gründen gehindert waren, den Ausbildungsabschnitt rechtzeitig zu beginnen. Derartige Gründe liegen hier jedoch nicht vor.
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(1) Voraussetzung für die Bejahung des § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 Halbs. 1 BAföG ist, dass der Auszubildende aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen eine objektiv gegebene Chance, eine seiner Neigung und Eignung entsprechende Ausbildung zu beginnen, bis zum Erreichen der Altersgrenze nicht wahrnehmen konnte (BVerwG, U.v. 10.10.1985 - 5 C 14.83 - juris). Für die Feststellung eines Hinderungsgrundes ist grundsätzlich auf den gesamten Zeitraum bis zum Erreichen der Altersgrenze abzustellen. Für Zeiträume, die jedoch weit vor dem Erreichen der Altersgrenze liegen, sind weniger strenge Anforderungen an das Gewicht der Hinderungsgründe zu stellen. Die Anforderungen werden allerdings mit zunehmendem Alter des Auszubildenden an Gewicht in dem Maße ansteigen, in dem dieser hinlänglich Zeit und die Chance hatte, vor Erreichen des 30. Lebensjahres eine Ausbildung zu beginnen (vgl. hierzu im Ganzen Roggentin in Rothe/Blanke, BAföG, 5. Aufl., 45. Lfg. März 2019, § 10 Rn. 19).
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(2) Die Tatsache, dass der Kläger nicht von vornherein über die Zugangsvoraussetzungen zum Kolleg verfügte, führt für sich genommen noch nicht zu einem wichtigen Grund i.S.d. § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 Halbs. 1 BAföG.
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Gem. Art. 10 Abs. 3 des Bayerischen Gesetzes über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (BayEUG) ist das Kolleg ein Gymnasium besonderer Art, das Erwachsene, die sich bereits im Berufsleben bewährt haben, im dreijährigen Unterricht zur allgemeinen Hochschulreife führt. Die Aufnahme in die Jahrgangsstufe I des Kollegs setzt gem. § 9 Abs. 1 der Schulordnung für die Gymnasien in Bayern (Gymnasialschulordnung - GSO) eine abgeschlossene Berufsausbildung oder eine mindestens zweijährige Berufstätigkeit (Nr. 1), im Schuljahr der Anmeldung ein Mindestalter von 18 Jahren (Nr. 2), einen mittleren Schulabschluss oder das erfolgreiche Durchlaufen des Vorkurses oder das erfolgreiche Ablegen einer Aufnahmeprüfung in entsprechender Anwendung von § 6 Abs. 1 GSO (Nr. 3) und das Bestehen der Probezeit (Nr. 4) voraus. Indem der Gesetzgeber in § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BAföG ausdrücklich eine Ausnahme von der Altersgrenze vorsieht, wenn etwa ein Studium trotz Überschreitens der Altersgrenze aufgenommen wird und die Hochschulzugangsberechtigung erst durch den vorhergehenden Besuch eines Kollegs erworben wurde, hat er deutlich gemacht, dass der notwendige Erwerb der Zugangsvoraussetzungen für die Ausbildung an einem Kolleg selbst noch keine Ausnahme von der Altersgrenze rechtfertigt. Allein die Notwendigkeit, vor Besuch des Kollegs eine Ausbildung oder Berufstätigkeit zu absolvieren, kann daher nach dem Willen des Gesetzgebers, wie er in § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BAföG zum Ausdruck kommt, nicht als wichtiger Grund i.S.d. § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 BAföG angesehen werden.
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(3) Auch im Übrigen liegt kein hinreichender persönlicher oder familiärer Grund vor, der den Kläger gehindert hätte, seine Ausbildung am Kolleg vor Erreichen der Altersgrenze zu beginnen.
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Für die Frage, ob ein Hindernis im Sinne von § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 BAföG vorliegt, ist entscheidend, ob es dem Kläger möglich und zumutbar war, die Zugangsvoraussetzungen für den Besuch des Kollegs vor Erreichen der Altersgrenze zu erwerben und die Ausbildung dort zu beginnen. So sah § 10 Abs. 3 BAföG i.d.F. v. 26. August 1971 eine Ausnahme von der Altersgrenze vor, wenn die Art der Ausbildung oder die Lage des Einzelfalls die Überschreitung der Altersgrenze rechtfertigte. Hierzu hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden (U.v. 10.2.1983 - 5 C 66/80 - juris), dass im Fall der begehrten Förderung eines Hochschulstudiums nach Überschreitung der Altersgrenze nach der Lage des Einzelfalls darauf abzustellen sei, ob es dem Auszubildenden zuvor möglich und zumutbar gewesen sei, die Zugangsvoraussetzungen zu erwerben, um noch vor Erreichen der Altersgrenze mit dem Studium zu beginnen. Dieser Gedanke ist auf den Tatbestand des § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 Halbs. 1 BAföG übertragbar. Denn § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 BAföG stellt mit der Frage nach persönlichen oder familiären Gründen letztlich auch auf die Lage des Einzelfalles ab.
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Danach kann hier dahinstehen, ob für den gesamten Zeitraum ab Oktober 2017 ein persönlicher, krankheitsbedingter Grund i.S.d. § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 Halbs. 1 BAföG anzunehmen ist. Denn dem Kläger war es bereits weit vor diesem Zeitraum möglich und zumutbar, die Voraussetzungen für den Besuch des Kollegs zu schaffen und dort eine Ausbildung aufzunehmen. Zwar hat die Prozessbevollmächtigte des Klägers in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, dass betreffend den Zeitraum 2017 auch berücksichtigt werden müsse, dass die Selbstmordversuche lediglich Höhepunkte einer Monate, vielleicht auch Jahre zuvor bestehenden Krankheit gewesen seien. Ferner wurde vorgetragen, dass der Kläger bereits seit seiner frühen Jugend erkrankt sei. Aus dem Arztbericht vom … Mai 2018 geht ab einem Alter von vier Jahren jedoch allein eine Erkrankung mit ADHS und ab dem Alter von acht Jahren eine entsprechende medikamentöse Behandlung hervor. Diese ist für sich genommen nicht geeignet, einen wichtigen Grund nach § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 Halbs. 1 BAföG darzutellen. Insbesondere war der Kläger auch in der Vergangenheit in der Lage, zwei Ausbildungen zu beginnen und zu arbeiten. Betreffend den Vortrag der Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung ist zu sehen, dass der Kläger auch noch von April 2017 bis September 2017 einer Tätigkeit bei der … nachging und im Oktober 2017 noch eine …-Zusatzqualifikation begann. Auch unter Berücksichtigung einer gewissen Findungsphase nach dem Schulabschluss im Jahr 2007 bleibt es daher dabei, dass es dem Kläger in der Zwischenzeit bis September 2017 möglich und zumutbar war, als einzig fehlende Zugangsvoraussetzung für den Besuch des Kollegs zwei Jahre berufstätig zu sein. Gleiches gilt für die Zugangsvoraussetzung der abgeschlossenen Berufsausbildung, zumal der Kläger für die abgebrochene Erzieherausbildung, wie noch zu zeigen sein wird, keinen wichtigen Grund dartun konnte.
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cc) Schließlich liegt auch die Ausnahme von der Altersgrenze nach § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 BAföG nicht vor. Danach gilt die Altersgrenze nicht, wenn der Auszubildende infolge einer einschneidenden Veränderung seiner persönlichen Verhältnisse bedürftig geworden ist und noch keine Ausbildung, die nach diesem Gesetz gefördert werden kann, berufsqualifizierend abgeschlossen hat. Hierbei muss es sich um ein Ereignis handeln, das zu einem Neubeginn der Lebensführung, zu einer wesentlichen Neuorientierung zwingt (vgl. OVG Bautzen, B.v. 23.11.2010 - 1 A 154/10 - BeckRS 2011, 45212), wie etwa eine Erkrankung, die die Ausübung des bisherigen Berufes unmöglich macht oder eine unfallbedingte Berufsunfähigkeit (vgl. S.weg in Ramsauer/Stallbaum, BAföG, 7. Aufl. 2020, § 10 Rn. 38). Eine derartige einschneidende Veränderung der Lebensführung liegt nicht vor. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass die Krankheit des Klägers ihn zu einem Neubeginn der Lebensführung zwang, oder eine Ausübung der bisherigen Tätigkeiten unmöglich machte.
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b) Ferner scheitert ein Anspruch auf Bewilligung von Ausbildungsförderung auch an § 7 Abs. 3 BAföG. Insofern erweisen sich die beiden zuvor ohne Abschluss beendeten Ausbildungen des Klägers als förderschädlich.
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aa) Hat der Auszubildende eine vorherige Ausbildung abgebrochen, so wird Ausbildungsförderung für eine andere Ausbildung gem. § 7 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 1 BAföG nur geleistet, wenn der Abbruch aus wichtigem Grund (Nr. 1) oder aus unabweisbarem Grund (Nr. 2) erfolgte. Ein Auszubildender bricht die Ausbildung ab, wenn er den Besuch von Ausbildungsstätten einer Ausbildungsstättenart einschließlich der im Zusammenhang hiermit geforderten Praktika endgültig aufgibt. Beim erstmaligen Abbruch der Ausbildung wird gem. § 7 Abs. 3 Satz 4 BAföG in der Regel vermutet, dass die Voraussetzungen nach § 7 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 1 Nr. 1 BAföG erfüllt sind. Ob die Ausbildung vor dem Abbruch nach dem BAföG gefördert wurde, ist unerheblich. Ausreichend ist vielmehr, dass diese lediglich abstrakt förderfähig war (vgl. hierzu im Ganzen BVerwG, B.v. 22.6.1989 - 5 C 42/88 - NVwZ 1990, 61).
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bb) Danach scheidet hier eine Förderung auch mit Blick auf die Ausbildungsabbrüche des Klägers aus.
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Die Ausbildung des Klägers als Heilerziehungspfleger an der Fachschule … war nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 der Verordnung über die Ausbildungsförderung für soziale Pflegeberufe (SozPflegerV) vom 30. August 1974 (BGBl. I S. 2157), zuletzt geändert durch Art. 9 PflegeberufereformG vom 17.7.2017 (BGBl. I S. 2581), abstrakt förderfähig. Dass der Kläger tatsächlich keine Ausbildungsförderung bezogen hat, ist insoweit unerheblich. Indem der Kläger die Ausbildung an der Fachschule vorzeitig beendete, brach er diese ab. Da es sich jedoch um die Erstausbildung des Klägers handelte, wird gem. § 7 Abs. 3 Satz 4 BAföG vermutet, dass ein wichtiger Grund für den Abbruch vorlag.
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Die darauffolgende Ausbildung als Erzieher war nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BAföG ebenfalls abstrakt förderfähig. Bei der vom Kläger besuchten Fachakademie für Sozialpädagogik handelte es sich zwar mangels Vermittlung eines „gehobenen“ Bildungsabschlusses weder um eine Höhere Fachschule noch um eine Akademie i.S.v. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BAföG (vgl. BayVGH, U.v. 20.8.2012 - 12 BV 12.901 - BeckRS 2012, 55611 Rn. 26 f.), jedoch um eine unechte, d.h. eine abgeschlossene Berufsausbildung nicht zwingend voraussetzende Fachschulklasse, die förderungsrechtlich den Berufsfachschulklassen gem. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BAföG gleichzusetzen ist. Denn maßgebend für die Zuordnung des besuchten Ausbildungsganges im Rahmen von § 2 Abs. 1 BAföG sind Art und Inhalt der Ausbildung, § 2 Abs. 1 Satz 2 BAföG. Förderungsrechtlich relevant ist der in den jeweiligen Studien- und Prüfungsordnungen näher festgelegte Inhalt des Ausbildungsgangs. Hinsichtlich der Art und des Inhalts der Ausbildung differenziert § 2 Abs. 1 Satz 1 BAföG nach Berufsfachschul- und Fachschulklassen, deren Besuch eine abgeschlossene Berufsausbildung nicht voraussetzt (Nr. 2), sowie Fach- und Fachoberschulklassen, deren Besuch eine abgeschlossene Berufsausbildung voraussetzt (Nr. 3) (vgl. hierzu im Ganzen BayVGH, U.v. 20.8.2012 - 12 BV 12.901 - BeckRS 2012, 55611 Rn. 16 unter Verweis auf BVerwG, B. v. 2.7.1984 - 5 C 3/82 -, FamRZ 1985, 112; U. v. 10.10.1985 - 5 C 9/83 -, FamRZ 1986, 395; U. v. 3.6.1988 - 5 C 49/84 -, FamRZ 1989, 220; st. Rspr.). Damit ist hinsichtlich der Einordnung nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 oder Nr. 3 BAföG auf die konkreten Zugangsvoraussetzungen der vom Auszubildenden besuchten Ausbildungsstätte abzustellen. Nach der zum maßgeblichen Zeitpunkt der Ausbildung des Klägers einschlägigen Schulordnung für die Fachakademien für Sozialpädagogik (Fachakademieordnung Sozialpädagogik - FakOSozPäd) vom 4. September 1985 in der Fassung vom 25. Oktober 2010, hatten Auszubildende, wie auch der Kläger, auch dann die Möglichkeit, im Rahmen der Ausbildung als staatlich anerkannter Erzieher eine Fachakademie für Sozialpädagogik zu besuchen, wenn sie keine abgeschlossene Berufsausbildung nachweisen konnten. Vielmehr war gem. § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c und d FakOSozPäd eine Aufnahme in das erste Studienjahr etwa auch durch ein zweijähriges erfolgreich abgeschlossenes Sozialpädagogisches Seminar oder eine einschlägige berufliche Tätigkeit von mindestens vier Jahren möglich. Insofern erscheint es vorzugswürdig, eine Ausbildung zum Erzieher an einer Fachakademie einer Ausbildung an einer Berufsfachschule gleichzusetzen (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BAföG). Letztlich kann die Frage aber offen bleiben, da die Ausbildung des Klägers an der von ihm besuchten Fachakademie unabhängig davon (abstrakt) förderfähig war, ob die Ausbildungsstätte förderrechtlich den Ausbildungsstätten nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 oder Nr. 3 BAföG gleichzusetzen ist.
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Indem der Kläger die Ausbildung an der Fachakademie ebenfalls vorzeitig beendete, brach er auch diese ab. Da es sich um den zweiten Abbruch einer Ausbildung handelt, besteht keine Vermutung eines wichtigen Grundes mehr. Einen solchen konnte der Kläger auch in der mündlichen Verhandlung nicht dartun. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts liegt ein wichtiger Grund vor, wenn die Fortsetzung der bisherigen Ausbildung nach verständigem Urteil unter Berücksichtigung aller im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes erheblichen Umstände und der beiderseitigen die Förderung berührenden Interessen nicht mehr zugemutet werden kann (BVerwG, U.v. 12.2.1976 - V 86.74 - BeckRS 1976, 30430044). Im Rahmen der Antragstellung bei der Beklagten sprach der Kläger lediglich pauschal davon, dass man ihm in der Ausbildungsstätte auf Grund eines „medialen Vorfalls“ nicht mehr wohlwollend begegnet sei. Die Eltern seien einem männlichen Erzieher sehr kritisch und skeptisch gegenübergestanden, sodass er sich gezwungen gesehen habe, einen neuen Weg einzuschlagen. In der mündlichen Verhandlung schilderte der Kläger, dass er die Ausbildung zum Erzieher nicht beendet habe, weil die Eltern keinen männlichen Erzieher gewollt hätten und er nicht rechtzeitig eine andere Ausbildungsstelle gefunden hätte. Auch hätten ihm die Kollegen gesagt, dass er öfters mal etwas vergesse. Er hätte zwar an einem anderen Ort weitermachen können, sei jedoch zu spät dran gewesen. Die Ausbildungsstellen woanders seien schon besetzt gewesen. Man habe auch nicht eine Zeit lang aussetzen können. Der Kläger verwies demnach lediglich pauschal darauf, dass männliche Erzieher an der konkreten, zu diesem Zeitpunkt besuchten bzw. zu besuchenden praktischen Ausbildungsstelle nicht gewollt gewesen seien. Die Problematik berührte demnach nicht die Ausbildung an der Fachakademie als solche, sondern lediglich die Tätigkeit in einer konkreten Ausbildungsstätte. Die Ausführungen des Klägers blieben insoweit jedoch vage. Auch legte er nicht dar, dass er sich überhaupt (rechtzeitig) um eine andere praktische Ausbildungsstelle tatsächlich bemüht hätte. Vor diesem Hintergrund hat der insoweit darlegungs- und beweispflichtige Kläger (vgl. BVerwG, U.v. 12.2.1976 - V C 86.74 - BeckRS 1976, 30430044) nicht dargetan, dass ihm eine Fortsetzung der bisherigen Ausbildung tatsächlich unzumutbar war.
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II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 161 Abs. 1, § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist nach § 188 Satz 2 Halbs. 1 VwGO gerichtskostenfrei. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, §§ 711, 713 ZPO.