Inhalt

VG Ansbach, Urteil v. 13.12.2022 – AN 18 K 21.00259
Titel:

Corona - Entschädigung wegen Verdienstausfalls eines Angestellten

Normenketten:
IfSG § 2, § 56 Abs. 1, § 66 Abs. 1 S. 1 Nr. 2
EntgFG § 3
Leitsätze:
1. Eine Einstufung als Kranker, dh als eine Person mit „einschlägigen“ Symptomen, schließt die Einordnung als (anspruchsberechtigen) Ausscheider iSd § 56 Abs. 1 S. 1 IfSG aus. (Rn. 22) (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. Allein das Fehlen einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung als solche indiziert zunächst keine  maßgeblichen Zweifel am Vorliegen des Tatbestandsmerkmals „krank“ iSv § 2 IfSG. So genügen insoweit auch leichte Symptome wie etwa Schnupfen oder leichter Husten. Diese müssen nicht zwingend zur Arbeitsunfähigkeit iSv § 3 EntgFG führen. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Corona, Entschädigung wegen Verdienstausfalls, Arbeitnehmer, im Rahmen von § 56 Abs. 1 IfSG a.F. kein Anspruch auf Erstattung im Falle der Einstufung des Arbeitnehmers als krank iSv § 2 Nr. 4 IfSG
Fundstelle:
BeckRS 2022, 41453

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist insoweit vorläufig vollstreckbar.
4. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Die Klägerin begehrt die Verpflichtung des Beklagten, ihr eine Entschädigung gem. § 56 IfSG für den Verdienstausfall ihres Angestellten, Herrn …, in Folge behördlich angeordneter Quarantäne zu gewähren. Dieser blieb im Zeitraum vom 14. Oktober bis zum 24. Oktober 2020 aufgrund behördlich angeordneter Quarantäne der Arbeit fern.
2
Mit Schreiben vom 16. Oktober 2020 bestätigte das Landratsamt … „zur Vorlage beim Arbeitgeber“, dass sich Herr … seit dem 14. Oktober 2020 „mit dem Status: erkrankt“ zu Hause in Absonderung befinde und unter Beobachtung gestellt worden sei (Bl. 9 der Behördenakte). Die Absonderung erfolge voraussichtlich bis zum 24. Oktober 2020. Herr … war zuvor positiv auf eine Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus getestet worden. Herr … ist als Hausverwalter im Wohnungsamt bei der Klägerin beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis finden die Vorschriften des TVöD Anwendung.
3
Mit Antragsformular „Erstattung von Arbeitgeberaufwendungen nach §§ 56 Abs. 1 und 57 IfSG“ vom 11. November 2020 - beantragte die Klägerin bei der Regierung von Mittelfranken für Herrn … die Erstattung des Verdienstausfalls für die Zeit der Quarantäne vom 14. Oktober bis zum 24. Oktober 2020 in Höhe des Nettoarbeitsentgelds von 504,03 Euro zuzüglich Sozialabgaben in Höhe von insgesamt 405,84 Euro. Gemäß den Angaben der Klägerin unter Ziff. 5. und 6. könne die ausgeübte Tätigkeit nicht im Homeoffice verrichtet werden, weil der Mitarbeiter in der Verwaltung tätig sei und Zugriff auf Akten/Dateien benötige und als Hausverwalter auch im Außendienst arbeiten müsse.
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Unter dem 15. Januar 2021 erließ der Beklagte folgenden Bescheid: „Die oben genannte Person wurde im Zeitraum der Absonderung von der zuständigen Kreisverwaltungsbehörde als erkrankte Person i.S.v. § 2 Nr. 4 IfSG eingestuft. In diesem Fall besteht kein Anspruch auf eine Verdienstausfallentschädigung nach § 56 Abs. 1 IfSG.“
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Mit bei Gericht am 15. Februar 2021 eingegangenem Schriftsatz erhob die Klägerin gegen den Bescheid vom 15. Januar 2021 Klage und begründete diese in der Folgezeit vor allem damit, dass der Arbeitnehmer während der behördlich angeordneten Quarantäne nicht arbeitsunfähig gewesen sei und seinen arbeitsvertraglichen Verpflichtungen ausschließlich deshalb nicht habe nachkommen können, weil er sich aufgrund behördlicher Anordnung in Quarantäne befunden habe. Damit habe allein die Quarantäne das Leistungshindernis begründet, nicht hingegen eine Erkrankung. Erkrankungen festzustellen, obliege dem behandelnden Arzt und setze regelmäßig eine körperliche Untersuchung voraus. Wie das Gesundheitsamt den Status „erkrankt“ festgestellt habe, sei nicht bekannt. Möglicherweise liege der Einstufung als erkrankt lediglich die Feststellung einer Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus auf der Grundlage einer labordiagnostischen Untersuchung von Abstrichmaterial zugrunde. Die Klägerin sei der Auffassung, dass zur Feststellung, ob eine Person „krank“ i.S.d. § 2 Nr. 2 IfSG und damit aus dem Kreis der Entschädigungsberechtigten des § 56 Abs. 1 IfSG ausgenommen sei, die Feststellung einer Infektion allein nicht ausreichend sei. Dafür spreche, dass das IfSG in § 2 begrifflich zwischen „Infektion“ (Nr. 2) und „übertragbarer Krankheit“ (Nr. 3) unterscheide und als „krank“ gem. § 2 Nr. 4 IfSG nur Personen definiere, die an einer solchen übertragbaren Krankheit erkrankt seien. Mithin lasse das IfSG für die Feststellung von „Kranken“ die Infektion allein offenbar nicht genügen. Maßgeblich sei, ob die Person arbeitsunfähig sei. Denn im Falle einer Arbeitsunfähigkeit, welche ja im vorliegenden Fall gerade nicht gegeben gewesen sei, bestünde ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung, und ein Verdienstausfall, der zu entschädigen wäre, läge nicht vor. Allerdings habe vorliegend bei Herrn … gerade keine Arbeitsunfähigkeit bestanden, so dass er angesichts seiner absonderungsbedingten Nichtleistung keinen Entgeltanspruch für den Zeitraum der Absonderung habe und daher in diesem Zeitraum einen Verdienstausfall erlitten habe.
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Die Klägerin beantragte zuletzt,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids der Regierung von Mittelfranken vom 15. Januar 2021 zu verpflichten, der Klägerin die mit Schreiben vom 13. November 2020 beantragte Verdienstausfallentschädigung infolge behördlich angeordneter Quarantäne nach § 56 Abs. 1 IfSG für Herrn … zu erstatten.
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Der Beklagte wandte sich mit Schriftsatz vom 2. August 2021 gegen die Klage und beantragte
Klageabweisung.
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Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Arbeitnehmer der Klägerin bereits nicht zu dem, zum damaligen Zeitpunkt nach § 56 Abs. 1 IfSG a.F. anspruchsberechtigten Personenkreis gehört habe. Anspruchsberechtigt seien damals gem. § 56 Abs. 1 IfSG lediglich Ausscheider, Ansteckungsverdächtige, Krankheitsverdächtige sowie sonstige Träger von Infektionskrankheiten i.S.v. § 31 Satz 2 IfSG gewesen. Ausweislich der Bestätigung der zuständigen Fachbehörde Landratsamt … (Staatliches Gesundheitsamt) vom 16. Oktober 2020 sei der Arbeitnehmer der Klägerin im Absonderungszeitraum jedoch als Kranker i.S.v. § 2 Nr. 4 IfSG eingeordnet worden. Kranke i.S.v. § 2 Nr. 4 IfSG seien jedoch vom Anspruch des § 56 Abs. 1 IfSG in der damals gültigen Fassung nicht erfasst gewesen. Kranke seien gemäß der Leitidee des Entschädigungsanspruchs bereits nicht anspruchsberechtigt (unter Hinweis auf BeckOK InfSchR, Eckart/Kruse, 5. Ed. 1.5.2021, IfSG § 56 Rn. 27 mit Verweis auf BGH NJW 1972, 632 zum damaligen Bundesseuchengesetz). Personen, die im Zeitpunkt des Erwerbstätigkeitsverbots Kranke i.S.v. § 2 Nr. 4 IfSG seien, würden bereits nach dem eindeutigen Wortlaut nicht zu dem nach § 56 Abs. 1 Satz 1 IfSG entschädigungsberechtigten Personenkreis gehören. Sie erführen hierdurch auch keine unbillige Benachteiligung, jedenfalls soweit die Erkrankung zur Arbeitsunfähigkeit führe. Einmal führten hier andere Gründe als ein Erwerbstätigkeitsverbot zu einem etwaigen Verdienstausfall. Und weiter stünden den Betroffenen dann regelmäßig bereits aufgrund gesetzlicher Vorschriften oder eines privaten Versicherungsverhältnisses Ansprüche auf Entgeltfortzahlung oder Versicherungsleistungen zu. Für eine Billigkeitsentschädigung nach § 56 bestehe dann kein Bedürfnis (unter Hinweis auf Kießling/Kümper, 2. Aufl. 2021, IfSG § 56 Rn. 9 m.w.Nachw.). Doch auch soweit der Betroffene krank i.S.v. § 2 Nr. 4 IfSG, aber nicht arbeitsunfähig sei, scheide sowohl ein Anspruch nach § 56 Abs. 1 IfSG als auch ein Anspruch aus § 3 Abs. 1 EntgFG oder aus anderen an die Arbeitsunfähigkeit anknüpfenden Vorschriften aus (unter Hinweis auf BeckOK InfSchR, Eckart/Kruse, aaO, Rn. 27.1). In dieser Fallkonstellation könne nicht auf den allgemeinen Aufopferungsanspruch zurückgriffen werden, da dessen Anwendungsbereich angesichts seiner Beschränkung auf nicht vermögenswerte Rechte stark eingeschränkt sei (unter Hinweis auf Kluckert, Neues Infektionsschutzrecht, 2. Aufl. 2021, Bachmann/Hornberger 15 Rn. 21). Ebenso könne der Anwendungsbereich des § 56 Abs. 1 IfSG a.F. teleologisch nicht auf Fälle von Kranken, bei denen die Krankheit nicht zur Arbeitsunfähigkeit führe (und deshalb möglicherweise auch kein Anspruch auf Krankengeld bzw. Entgeltfortzahlung bestehe), erweitert werden, da der Gesetzgeber mit seinen Legaldefinitionen in § 2 Nr. 4-7 IfSG ein umfangreiches System der Abstufung zwischen den verschiedenen Infektionsstadien einer Person geschaffen habe. Dieses orientiere sich am Vorliegen von Symptomen und nicht am Vorliegen einer Arbeitsunfähigkeit, so dass symptomlos Infizierte (z.B. bei nachgewiesener SARS-CoV-2-Infektion ohne Symptome) als Ausscheider gem. § 2 Nr. 6 IfSG und Infizierte mit Symptomen als Kranke einzustufen seien. Auf die Schwere der Symptome oder, ob diese zu einer Arbeitsunfähigkeit führen könnten, werde gerade nicht abgestellt. Insoweit sei für die Frage einer möglichen Verdienstausfallentschädigung nach IfSG entgegen des klägerischen Vortrags auch unerheblich, ob für den Arbeitnehmer der Klägerin im beantragten Zeitraum eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausgestellt worden sei. Gegen eine teleologische Erweiterung des Anwendungsbereichs des § 56 Abs. 1 IfSG a.F. auf Fälle von Kranken, bei denen die Krankheit nicht zur Arbeitsunfähigkeit führe, spreche weiterhin, dass der Gesetzgeber im Rahmen der Corona-Krise das IfSG - und im Speziellen auch § 56 IfSG - mehrfach überarbeitet und erst mit der zum 31. März 2021 erfolgten Änderung des § 56 Abs. 1 Satz 2 IfSG einen Anspruch auf Verdienstausfallentschädigung für Kranke geschaffen habe. So könnten nun zwar auch Kranke i.S.v. § 2 Nr. 4 IfSG beim Vorliegen entsprechender Voraussetzungen einen Anspruch auf Verdienstausfallentschädigung geltend machen, jedoch sollten, „soweit dieses Gesetz neue Ansprüche begründet, (diese erst) mit dem Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes“ (vgl. BT Drucksache 19/27291 S. 56) entstehen. Dem Gesetzgeber sei das Problem somit bekannt gewesen, eine Rückwirkung auf vorherige Fälle jedoch nicht gewollt (unter Hinweis auf VG Bayreuth, U.v. 21.6.2021, 7 K 21.110, BeckRS 2021, 18067). Ergänzend werde darauf hingewiesen, dass sich der Beklagte an die Einschätzung durch die zuständige Fachbehörde, des Staatlichen Gesundheitsamtes des Landratsamtes …, des Arbeitnehmers der Klägerin als Kranken i.S.d. § 2 Nr. 4 IfSG als gebunden ansehe. Denn für Maßnahmen nach den §§ 28 ff. IfSG gem. § 54 IfSG i.V.m. § 65 Satz 1 ZustV Bayern seien in Bayern die Kreisverwaltungsbehörden zuständig. Mit den Eingriffsbefugnissen der Kreisverwaltungsbehörden gehe einher, dass im Rahmen solcher Maßnahmen diese auch für die tatbestandliche Einschätzung der jeweils betroffenen Person als Kranker, Krankheitsverdächtiger, Ausscheider oder Ansteckungsverdächtiger zuständig sei. Eine allgemeine Nachforschungspflicht der für die Entschädigung zuständigen Behörde, ob die Entscheidungen der Ausgangsbehörde rechtmäßig seien, könne im Rahmen der Antragsprüfung auf Verdienstausfall nicht gefordert werden. Dies würde zunächst zu einer „Zweitprüfung“ des infektionsschutzrechtlichen Status nach § 2 Nr. 4-7 IfSG führen und damit die klare Zuständigkeitsverteilung nach der ZustV Bayern konterkarieren. So sei festzuhalten, dass die für die Entschädigung zuständigen Behörden nicht dieselben fachlichen Ressourcen wie die zuständigen Fachbehörden vor Ort besitzen würden, so dass eine Nachprüfung nicht in adäquater Weise erfolgen könne und schlussendlich die Verfahrensdauer nicht unerheblich in die Länge gezogen würde.
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Durch Beschluss der Kammer vom 14. November 2022 wurde der Rechtsstreit der Berichterstatterin zur Entscheidung als Einzelrichterin übertragen.
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In der mündlichen Verhandlung am 12. Dezember 2022 wiederholten die Parteien ihre schriftsätzlich gestellten Anträge.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakte (auch im Verfahren AN 18 K 21.00260) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige, insbesondere fristgemäß erhobene Klage erweist sich als unbegründet, da der Bescheid der Regierung von Mittelfranken vom 15. Januar 2021 rechtmäßig ist und die Klägerin keinen Anspruch auf Erstattung der Verdienstausfallentschädigung für ihren Arbeitnehmer hat, § 113 Abs. 5 VwGO.
13
1. Streitgegenständlich ist nach sachgerechter Auslegung des Klageantrags (§ 88 VwGO) der Zeitraum für die Dauer der durch das Gesundheitsamt angeordnete Absonderung des Arbeitnehmers der Klägerin vom 14. Oktober bis zum 24. Oktober 2020.
14
2. Rechtsgrundlage für den vorliegend geltend gemachten Entschädigungsanspruch ist § 56 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Satz 1 IfSG i.d.F. v. 19.6.2020 (im Folgenden § 56 IfSG a.F.). Danach erhält eine Entschädigung in Geld, wer sich aufgrund dieses Gesetzes als Ausscheider, Ansteckungsverdächtiger, Krankheitsverdächtiger oder als sonstiger Träger von Krankheitserregern absondern muss und dadurch einen Verdienstausfall erleidet.
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Anspruchsinhaber ist zunächst der Arbeitnehmer, wenn er unter eine der in § 56 Abs. 1 Satz 1 IfSG a.F. genannten Personengruppen fällt. Allerdings ist er gemäß § 56 Abs. 5 Satz 2 IfSG a.F. nicht berechtigt, den entsprechenden Entschädigungsantrag selbst zu stellen. Die gesetzliche Konzeption sieht hier vielmehr eine Auszahlung der Entschädigung durch den Arbeitgeber an den Arbeitnehmer und einen anschließenden Erstattungsantrag des Arbeitgebers vor (vgl. dazu BeckOK InfSchR, Eckart/Winkelmüller, 13. Edition 1.11.2022, IfSG § 56 Rn. 73 - beck-online).
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Die Regierung von Mittelfranken ist für die Entscheidung über den gestellten Erstattungsantrag der Klägerin vom 13. November 2020 zuständig (§ 54 i.V.m. § 69 Abs. 1 Satz 1 Zuständigkeitsverordnung (ZustV)).
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3. Der Freistaat Bayern ist passivlegitimiert für die vorliegende Klage auf Entschädigung wegen Verdienstausfalls, § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 IfSG.
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Die Voraussetzungen für den hier geltend gemachten Erstattungsanspruch gemäß § 56 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Satz 1 IfSG a.F. liegen jedenfalls insoweit nicht vor, als der Arbeitnehmer der Klägerin während des streitgegenständlichen Zeitraums vom 14. Oktober bis zum 24. Oktober 2020 nach Überzeugung der hier erkennenden Einzelrichterin (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) krank i.S.v. § 2 Nr. 4 IfSG gewesen ist und damit nicht - jedenfalls aufgrund der hier anzuwendenden Fassung des IfSG - zum anspruchsberechtigten Personenkreis i.S.v. § 56 Abs. 1 Satz 1 IfSG a.F. gehörte.
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Das Gericht entscheidet gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Die Bildung der richterlichen Überzeugung setzt zunächst die ausreichende Erforschung des maßgeblichen Sachverhalts gemäß § 86 Abs. 1 VwGO voraus. Anhand der ermittelten Tatsachen hat das Gericht sodann zu entscheiden, ob diese ausreichen, die von der Klage geltend gemachte Rechtsfolge zu tragen. Bezogen auf den vorliegenden Fall war demnach zu prüfen, ob der Arbeitnehmer der Klägerin entgegen den Feststellungen der Regierung von Mittelfranken nicht als erkrankt, sondern aufgrund der positiven Testung auf SARS-CoV2-2 als Ausscheider i.S.v. § 56 Abs. 1 Satz 1 IfSG a.F. und damit als anspruchsberechtigte Person einzustufen war. Dies ist jedoch nach Überzeugung des Gerichts gerade nicht der Fall.
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3.1 Wer krank im Sinne des Infektionsschutzgesetzes ist, bestimmt § 2 Nr. 4 IfSG: „eine Person, die an einer übertragbaren Krankheit erkrankt ist“. Erkrankt ist eine Person i.S.v. § 2 Nr. 4 IfSG, wenn sie die Symptome einer bestimmten übertragbaren Krankheit aufweist und diese Symptome diagnostisch bestätigt sind (vgl. Gerhardt, IfSG, 6. Auflage 2022, § 2 Rn. 33 - beck-online).
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Ausscheider ist hingegen gemäß § 2 Nr. 6 IfSG: „eine Person, die Krankheitserreger ausscheidet und dadurch eine Ansteckungsquelle für die Allgemeinheit sein kann, ohne krank oder krankheitsverdächtig zu sein“. Ein Ausscheider darf nach dem eindeutigen Wortlaut also weder krank noch krankheitsverdächtig sein. „Sobald die betroffene Person Symptome aufweist, die einer bestimmten übertragbaren Krankheit zugeordnet werden können, sind die vorrangigen begrifflichen Einordnungen des Kranken (Nr. 4) und Krankheitsverdächtigen (Nr. 5) einschlägig.“
(BeckOK InfSchR/Gabriel, 13. Ed. 1.11.2022, IfSG § 2 Rn. 35 - beck-online)
22
Eine Einstufung als Kranker, d.h. als eine Person mit „einschlägigen“ Symptomen, schließt die Einordnung als (anspruchsberechtigen) Ausscheider mithin aus.
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3.2 Die Klägerin ist jedoch vorliegend der Meinung, dass der betroffene Arbeitnehmer nicht krank gewesen sei. Allerdings wird dies im Wesentlichen mit dem Fehlen einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung begründet. Hingegen wird nicht ausgeführt, dass der Arbeitnehmer etwa keine Symptome gehabt habe. Allerdings indiziert allein das Fehlen einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung als solche zunächst keine hier maßgeblichen Zweifel am Vorliegen des Tatbestandsmerkmals „krank“ i.S.v. § 2 IfSG. So genügen insoweit auch leichte Symptome wie etwa Schnupfen oder leichter Husten. Diese müssen nicht zwingend zur Arbeitsunfähigkeit i.S.v. § 3 EntgFG führen.
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3.3 Die Klägerin bezweifelt darüber hinaus - im Ergebnis jedoch nicht hinreichend konkret und substantiiert - die Validität der Feststellung des zuständigen Gesundheitsamtes. Der Beklagte hat sich daher im Ergebnis zu Recht auf die Statusmitteilung des im vorliegenden Verfahren zuständigen Gesundheitsamtes, wonach der Arbeitnehmer im gesamten hier streitgegenständlichen Zeitraum krank gewesen ist, bezogen.
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Zwar kann eine solche Statusmitteilung des zuständigen Gesundheitsamtes, wie sie vorliegend mit dem Status „erkrankt“ inmitten steht, nach Auffassung des Gerichts durchaus widerlegt werden. Allerdings ist - auch angesichts der Tatsache, dass es sich um ein Massenverfahren handelt - nicht zu beanstanden, dass sich der Beklagte zunächst auf die von den Gesundheitsämtern mitgeteilten Feststellungen für die Bearbeitung der Erstattungsanträge i.R.v. § 56 IfSG stützt. Zumal der Beklagte in der mündlichen Verhandlung genau dargelegt hat, wie die Gesundheitsämter gerade in der Anfangszeit der Pandemie im Jahre 2020 den jeweiligen Status ermittelt haben. So wurden die Betroffenen regelmäßig angerufen und nach etwaigen Symptomen befragt. Die Beobachtungen flossen sodann in die Statusfeststellungen ein. Solange dem Beklagten keine Umstände mitgeteilt werden, welche eine Statusfeststellung möglicherweise in Frage stellen können, besteht auch keine Veranlassung i.R.d. Amtsermittlung etwa tätig zu werden oder nicht auf die Statusfeststellung zurückzugreifen.
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Da die Klägerin aber auch im gerichtlichen Verfahren keine näheren Angaben machen konnte, welche geeignet wären, die Statusfeststellung vorliegend zu entkräften, steht der Status „erkrankt“ des Arbeitnehmers der Klägerin hier zur Überzeugung der Einzelrichterin fest.
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3.4 Nach der auf den streitgegenständlichen Zeitraum anzuwendenden Fassung von § 56 Abs. 1 IfSG fällt der kranke Arbeitnehmer nicht unter den anspruchsberechtigten Personenkreis. Dies hat seinen Grund darin, dass nach der ursprünglichen Leitidee des § 56 IfSG a.F. welcher auf die Vorgängerregelungen in § 49 Bundesseuchengesetz und § 28 Reichsseuchengesetz zurückzuführen ist, diejenigen Personen, die nicht krank sind, aber dennoch ihrer Erwerbstätigkeit nicht nachgehen dürfen aufgrund eines Verbots oder einer Absonderungsanordnung, den Erkrankten, welche in aller Regel über ihren Arbeitgeber bzw. ihre Krankenkasse sozial abgesichert sind, gleichgestellt werden sollten (vgl. BeckOK Infektionsschutzrecht, aaO, Rn. 1 - beck-online). In einigen - eher seltenen - Fällen kann sich eine Regelungslücke zu Lasten derjenigen ergeben, welche zwar krank i.S.v. § 2 Nr. 4 IfSG sind, jedoch nicht arbeitsunfähig i.S.v. § 3 EntgFG. Zwar wurde diese Lücke, welche möglicherweise auch im vorliegenden Fall des Arbeitnehmers der Klägerin vorgelegen haben mag, durch das „Gesetz zur Fortgeltung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite betreffenden Vorschriften“ vom 29. März 2021, BGBl. l 370, BT-BDS 19/27291, 61 geschlossen. Allerdings hat der Gesetzgeber hier gerade keine Rückwirkung vorgesehen, sodass es im vorliegenden Verfahren streitentscheidend auf die Frage ankam, ob der Arbeitnehmer der Klägerin krank i.S.d. Infektionsschutzgesetzes war.
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4. Nach alledem gehört der Arbeitnehmer der Klägerin bereits nicht zum anspruchsberechtigten Personenkreis i.S.v. § 56 Abs. 1 Satz 1 IfSG a.F., sodass der ablehnende Bescheid des Beklagten vom 15. Januar 2021 sich als rechtmäßig erweist und die Klage daher abzuweisen war. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 1, 711 ZPO, der Streitwert auf § 52 Abs. 3 GKG.