Inhalt

BayObLG, Beschluss v. 16.11.2022 – 201 AR 111/22
Titel:

Zur Frage der Zuständigkeit des BayObLG für die Verbindung zusammenhängender Bußgeldsachen  

Normenketten:
EGGVG § 9
AGGVG Art. 12
OWiG § 46 Abs. 1, § 68
StPO § 4 Abs. 2 S. 2, § 13 Abs. 2 S. 2
Leitsätze:
1. Die Frage der Verbindung zusammenhängender Bußgeldsachen berührt lediglich die örtliche Zuständigkeit, so dass nur eine Verbindung nach § 13 Abs. 2 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG in Betracht kommt. Demgegenüber setzt die Verbindung nach § 4 StPO voraus, dass für mehrere Strafsachen Gerichte unterschiedlicher Ordnung zuständig sind, weshalb die Vorschrift in allgemeinen Bußgeldsachen mit Blick auf § 68 Abs. 1 OWiG nicht zum Tragen kommen kann. (Rn. 6)
2. Das Bayerische Oberste Landesgericht ist in Straf- bzw. Bußgeldsachen nicht gemeinschaftliches oberes Gericht für die Verbindung von bei verschiedenen Amtsgerichten anhängigen Bußgeldverfahren nach § 13 Abs. 2 Satz 2 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG. (Rn. 3)
Schlagworte:
Bußgeldverfahren, Verbindung, Vereinbarung, Zuständigkeit, örtlich, sachlich, gemeinschaftliches oberes Gericht, Abgabe, Abgabebeschluss
Fundstelle:
BeckRS 2022, 41447

Tenor

I. Das Bayerische Oberste Landesgericht ist nicht als gemeinschaftliches oberes Gericht zur Entscheidung über die Verbindung der Bußgeldverfahren des Amtsgerichts Bayreuth und des Amtsgerichts Wunsiedel berufen.
II. Die Akten werden an das Amtsgericht Bayreuth zurückgegeben.

Gründe

1
Die Vorlage betrifft die Verbindung zweier nach Ansicht des vorlegenden Amtsgerichts zusammenhängender Bußgeldverfahren durch das gemeinschaftliche obere Gericht gemäß § 4 Abs. 2 Satz 2 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG.
I.
2
Die Verwaltungsbehörde hat mit Bußgeldbescheid vom 29.04.2022 gegen den Betroffenen wegen einer am 02.03.2022 um 16.52 Uhr begangenen fahrlässigen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 20 km/h eine Geldbuße von 70 Euro festgesetzt. Nach Einlegung des Einspruchs und Vorlage der Akten an das Amtsgericht Bayreuth hat der Verteidiger darauf hingewiesen, dass dem Betroffenen in einem weiteren Bußgeldverfahren vor dem Amtsgericht Wunsiedel zur Last liege, am 02.03.2022 um 16:49 Uhr auf derselben Staats straße die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften von 80 km/h um 24 km/h überschritten zu haben, weshalb gegen ihn mit Bußgeldbescheid der Verwaltungsbehörde vom 02.05.2022 eine weitere Geldbuße in Höhe von 100 Euro festgesetzt wurde. Aus Sicht der Verteidigung liege nur eine Tat vor. Die Staatsanwaltschaft Bayreuth hat unter dem 16.08.2022 beantragt, die beiden Verfahren vor dem Amtsgericht Bayreuth bzw. dem Amtsgericht Wunsiedel zu verbinden. Unter dem 08.09.2022 hat das Amtsgericht Bayreuth die Akten dem Bayerischen Obersten Landesgericht „zur Entscheidung hinsichtlich Zuständigkeit bei Verbindung und Verbindungsbeschluss mit Parallelverfahren AG Wunsiedel gem. § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 4 Abs. 1, Abs. 2 StPO“ vorgelegt. Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit Stellungnahme vom 09.11.2022 beantragt, die Sache an das vorlegende Amtsgericht Bayreuth zur weiteren Sachbehandlung zurückzugeben.
II.
3
Der Senat ist nicht zur Entscheidung über die Verbindung der im Beschlusstenor näher bezeichneten Bußgeldverfahren berufen. Das Bayerische Oberste Landesgericht ist nicht das „gemeinschaftliche obere Gericht“ der Amtsgerichte Bayreuth und Wunsiedel im Sinne von § 4 Abs. 2 Satz 2 StPO und darüber hinaus auch nicht im Sinne von § 13 Abs. 2 Satz 2 StPO. Im Übrigen ist hier - über § 46 Abs. 1 OWiG - weder § 4 Abs. 2 Satz 2 StPO einschlägig noch liegen die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Verbindung nach § 13 Abs. 2 Satz 2 StPO vor.
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1. Mit der Wiedereinführung des Bayerischen Obersten Landesgerichts durch das Gesetz zur Errichtung des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 12.07.2018 (GVBl Nr. 13/2018, 545) hat Bayern jeweils von der Ermächtigung in §§ 9, 25 Abs. 2 EGGVG sowie § 121 Abs. 3 Satz 1 GVG Gebrauch gemacht und dem Bayerischen Obersten Landesgericht mit Wirkung vom 01.02.2019 auf strafrechtlichem Gebiet die Zuständigkeit für die Entscheidung über Revisionen und Rechtsbeschwerden in Straf- und Bußgeldsachen bei erstinstanzlicher Zuständigkeit der Amtsgerichte (Art. 12 Nrn. 1 und 2 AGGVG) zugewiesen, ferner die Entscheidung bei der Anfechtung von Justizverwaltungsakten nach § 23 Abs. 1 EGGVG (Art. 12 Nr. 3 AGGVG) sowie schließlich durch § 54a Satz 1 GZVJu die Entscheidung über Rechtsbeschwerden gegen Entscheidungen der Strafvollstreckungskammern nach §§ 50 Abs. 5, 116, 138 Abs. 3 StVollzG und der Jugendkammern nach § 92 Abs. 2 JGG.
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Hierunter fällt nicht die Bestimmung des zuständigen Gerichts (vgl. BayObLG, Beschluss vom 16.05.2019 - 201 AR 812/19 bei juris zu § 42 Abs. 3 Satz 2 JGG = NStZ 2020, 48). § 9 EGGVG gestattet nur die Zuweisung von Entscheidungen in Strafsachen, die zur Zuständigkeit der Oberlandesgerichte gehören. Durch diese Zuweisung wird das Bayerische Oberste Landesgericht weder ein den anderen Oberlandesgerichten übergeordnetes Gericht (vgl. hierzu KK/Mayer StPO 8. Aufl. § 9 EGGVG Rn. 3; MüKo/Gerhold StPO § 9 EGGVG Rn. 1), noch übernimmt es außer den ihm durch die vorgenannten Bestimmungen ausdrücklich zugewiesenen Aufgaben solche, die dem jeweiligen Oberlandesgericht verbleiben. Vorliegend ist damit auch nach Wiedereinführung des Bayerischen Obersten Landesgerichts das zuständige gemeinschaftliche obere Gericht für die Amtsgerichte Bayreuth und Wunsiedel unverändert das Oberlandesgericht Bamberg, weshalb der Senat nicht zur Entscheidung über die Verbindung der beiden hier inmitten stehenden Bußgeldverfahren berufen ist.
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2. Im Übrigen weist die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 09.11.2022 zutreffend darauf hin, dass § 4 Abs. 2 StPO Teil der Regelungen über die sachliche Zuständigkeit der Gerichte und daher nur anwendbar ist, wenn Gerichte unterschiedlicher Ordnung zuständig sind (vgl. BGHR StPO § 4 Verbindung 14; KK/Scheuten a.a.O. § 4 Rn. 5). Die Vorschrift kann deshalb in allgemeinen Bußgeldsachen nie zum Tragen kommen, weil über diese nach einem Einspruch gegen den Bußgeldbescheid in der Eingangsinstanz stets das Amtsgericht entscheidet, § 68 Abs. 1 OWiG (vgl. KK/Lampe OWiG 5. Aufl. § 46 Rn. 55). Sind - wie vorliegend - mehrere Bußgeldverfahren bei unterschiedlichen Amtsgerichten anhängig, so geht es lediglich um die örtliche Zuständigkeit, für die über § 46 Abs. 1 OWiG die Vorschrift des § 13 Abs. 2 StPO gilt (Göhler/Seitz/Bauer OWiG 18. Aufl. vor § 67 Rn. 7 und § 68 Rn. 3a, 19; KK/Lampe a.a.O.; allgemein zum Verhältnis von § 4 Abs. 2 Satz 2 StPO und § 13 Abs. 2 Satz 2 StPO vgl. auch BGH, Beschluss vom 25.05.2022 - 2 AR 78/22 bei juris = BeckRS 2022, 16065; Beschluss vom 08.06.2021 - 4 StR 68/21 bei juris = NStZ-RR 2021, 251; Beschluss vom 14.03.2006 - 2 ARs 23/06 = BeckRS 2006, 3652; BeckOK StPO/Larcher [45. Ed., Stand: 01.10.2022] § 4 Rn. 12; KK/Scheuten a.a.O.).
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Die Verbindung nach § 13 Abs. 2 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG erfolgt durch eine den Anträgen der beteiligten Staatsanwaltschaften, die sich mithin über die Verbindung einig sein müssen, entsprechende Vereinbarung der beteiligten Gerichte. Dem Erfordernis der Antragstellung ist genügt, wenn jede der beteiligten Staatsanwaltschaften der Verbindung ausdrücklich zustimmt. Die Vereinbarung besteht in einem förmlichen Abgabebeschluss (vgl. BGH, Beschluss vom 15.05.2002 - 2 ARs 127/02 = BeckRS 2002, 4262).
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Der Anrufung des gemeinschaftlichen obersten Gerichtes bedürfte es gemäß § 13 Abs. 2 Satz 2 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG nur dann, wenn eine Vereinbarung auf Antrag der beteiligten Staatsanwaltschaften nicht zustande kommt.
9
Lediglich ergänzend weist der Senat jedoch darauf hin, dass auch im Rahmen einer einheitlichen Fahrt mehrere Taten im verfahrensrechtlichen Sinne anzunehmen sind, wenn dabei in unterschiedlichen Verkehrslagen mehrfach gegen Verkehrsvorschriften verstoßen wurde (BayObLGSt 2001, 134).