Titel:
Voraussetzungen für die Anwendung der Härteklausel bei Verlust der Versorgungsbezüge durch eine Straftat
Normenkette:
VersAusglG § 18 Abs. 2, § 27
Leitsätze:
1. Eine bewusste und in Schädigungsabsicht vorgenommene Verkürzung der erworbenen und im Versorgungsausgleich auszugleichenden Anrechte durch einen Ehegatten zum Nachteil des anderen Ehegatten kann eine grobe Unbilligkeit im Sinn des § 27 VersAusglG darstellen. (Rn. 26)
2. Der Umstand, dass mit der Begehung einer Straftat eine Entlassung aus dem Beamtenverhältnis und den Verlust der Versorgungsbezüge zumindest in Kauf genommen wurde, reicht hierfür nicht aus. (Rn. 26)
3. Die Nichtzahlung von Trennungsunterhalt aufgrund Inhaftierung begründet grundsätzlich keine grobe Unbilligkeit i. S. d. § 27 VersAusglG. (Rn. 29)
Eine grobe Unbilligkeit iSv § 27 VersAusglG liegt nur vor, wenn eine rein schematische Durchführung des Versorgungsausgleichs unter den besonderen Gegebenheiten des konkreten Falles dem Grundgedanken des Versorgungsausgleichs, nämlich eine dauerhaft gleichmäßige Teilhabe beider Ehegatten an den in der Ehezeit insgesamt erworbenen Versorgungsanrechten zu gewährleisten, in unerträglicher Weise widersprechen würde (Anschluss an BGH BeckRS 2015, 18144 Rn. 20 mwN; stRspr). (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Voraussetzungen für die Anwendung der Härteklausel bei Verlust der Versorgungsbezüge durch eine Straftat, Versorgungsausgleich, Härteklausel, Straftat, Strafhaft, Inhaftierung, Schädigungsabsicht, grobe Unbilligkeit, Nichtzahlung von Unterhalt
Vorinstanz:
AG Bad Neustadt, Beschluss vom 21.02.2022 – 002 F 153/19
Fundstellen:
FamRZ 2023, 685
BeckRS 2022, 41429
LSK 2022, 41429
NJOZ 2023, 259
Tenor
1. Auf die Beschwerde des Antragsgegners vom 15.03.2022 und die Anschlussbeschwerde der Antragstellerin vom 04.05.2022 hin wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Bad Neustadt a. d. Saale vom 21.02.2022 in Tenor Ziffer 2 Absatz 2 und 3 aufgehoben und wie folgt neu gefasst:
Im Wege der internen Teilung wird zu Lasten des Anrechts des Antragsgegners bei der Deutschen Rentenversicherung Nordbayern (Vers. Nr. …) zugunsten der Antragstellerin ein Anrecht in Höhe von 9,1619 Entgeltpunkten auf das vorhandene Konto … bei der Deutschen Rentenversicherung Bund, bezogen auf den 30.04.2019, übertragen.
Im Übrigen findet ein Versorgungsausgleich nicht statt.
2. Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben. Die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.
3. Der Beschwerdewert wird auf 4.016,70 Euro festgesetzt.
Gründe
1
Die am … geborene Antragstellerin und der am … geborene Antragsgegner haben am … die Ehe geschlossen. Der Scheidungsantrag der Antragstellerin wurde dem Antragsgegner am 10.05.2019 zugestellt.
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Das Amtsgericht - Familiengericht - Bad Neustadt a. d. Saale hat mit Endbeschluss vom 21.02.2022 die Ehe der beteiligten Ehegatten geschieden und dabei den Versorgungsausgleich durchgeführt.
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1. In Bezug auf die Anrechte des Antragsgegners wurde im Tenor Ziffer 2 Abs. 2 der Versorgungsausgleich wie folgt geregelt:
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Im Wege der externen Teilung wird zu Lasten des Anrechts des Antragsgegners beim Landesamt für Finanzen (Vers. Nr. …) zugunsten der Antragstellerin ein Anrecht in Höhe von 717,99 € monatlich auf dem vorhandenen Konto … bei der Deutschen Rentenversicherung Bund, bezogen auf den 30.04.2019, begründet. Der Ausgleichswert ist in Entgeltpunkte umzurechnen.
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2. In Bezug auf die Anrechte der Antragstellerin wurde der Versorgungsausgleich im Tenor Ziffer 2 Absatz 1 bzw. Absatz 3 wie folgt geregelt:
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Im Wege der internen Teilung wird zu Lasten des Anrechts der Antragstellerin bei der Deutschen Rentenversicherung Bund (Vers. Nr. …) zugunsten des Antragsgegners ein Anrecht in Höhe von 11,7947 Entgeltpunkten auf das vorhandene Konto … bei der Deutschen Rentenversicherung Nordbayern, bezogen auf den 30.04.2019, übertragen.
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Ein Ausgleich des Anrechts der Antragstellerin bei der B. L. AG (Vers. Nr. …) findet nicht statt.
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3. Gegen den ihm am 23.02.2022 zugestellten Beschluss legte der Antragsgegner mit Schreiben vom 15.03.2022, eingegangen beim Amtsgericht-Familiengericht-Bad Neustadt a. d. Saale am 17.03.2022, Beschwerde ein.
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Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Entscheidung über die Anrechte des Antragsgegners beim Landesamt für Finanzen unzutreffend sei, da sich inzwischen Änderungen ergeben hätten. Der Antragsgegner sei wegen einer Straftat zu einer Haftstrafe bis 2025 verurteilt worden. Aufgrund dieser Haftstrafe sei er aus dem Beamtenverhältnis entlassen worden und habe seine Pensionsansprüche verloren. Die Umstände seien bei der Auskunftserteilung durch das Landesamt für Finanzen für den Versorgungsausgleich noch nicht eingetreten gewesen und hätten demzufolge nicht berücksichtigt werden können. Der Antragsgegner habe seine gesamten Anwartschaften verloren, somit auch die Teile, die vor dem Ende der Ehe liegen würden. Es sei eine neue Rechnung zu erstellen.
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Das Landesamt für Finanzen teilte mit Schreiben vom 04.04.2022 mit, dass der Antragsgegner wegen der Verurteilung zu einer mehrjährigen Haftstrafe zum …2022 kraft Gesetzes aus dem Beamtenverhältnis entlassen worden sei und dadurch seine Anwartschaft auf Versorgung nach dem Beamtenversorgungsgesetz verloren habe. Die Voraussetzungen für die Nachversicherung in der Deutschen Rentenversicherung seien erfüllt.
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Mit Schreiben vom 13.04.2022 teilte die Deutsche Rentenversicherung Nordbayern mit, dass der Antragsgegner unter Vers. Nr. … in der allgemeinen Rentenversicherung einen Ehezeitanteil von 18,3238 Entgeltpunkten erworben habe. Hieraus ergebe sich ein Ausgleichswert von 9,1619 Entgeltpunkten mit einem korrespondierenden Kapitalwert von 66.291,42 € und einer Monatsrente i. H. v. 293,46 Euro.
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4. Die Antragstellerin legte mit Schreiben vom 04.05.2022 Anschlussbeschwerde ein mit dem Antrag, dass ein Ausgleich des Anrechts der Antragstellerin bei der Deutschen Rentenversicherung Bund (Vers. Nr. …) nicht stattfinden solle.
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a. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Antragstellerin durch den Verlust der Beamtenpension und der Nachversicherung in der Deutschen Rentenversicherung nur noch lediglich ein Anrecht in Höhe von 9,1619 Entgeltpunkten zu erwarten habe, wohingegen sich das Anrecht der Antragstellerin aus der Beamtenversorgung des Antragsgegners auf monatlich 717,99 € belaufen habe. Eine Teilung der erworbenen Anrechte der Antragstellerin bei der Deutschen Rentenversicherung Bund würde daher eine grobe Unbilligkeit i. S. d. § 27 VersAusglG darstellen. Die Antragstellerin sei aufgrund des Wegfalls der zu erwartenden Anrechte aus der Beamtenversorgung des Antragsgegners und geringeren Ausgleich über die Anrechte aus der Nachversicherung des Antragsgegners bei der Deutschen Rentenversicherung wirtschaftlichen dringend auf den vollständigen Verbleib ihrer Anrechte aus ihrer eigenen Versorgung bei der Deutschen Rentenversicherung angewiesen. Es entspreche ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass eine grobe Unbilligkeit des Versorgungsausgleichs nicht nur durch wirtschaftlich relevante Verhältnisse begründet werde, sondern sich auch aus einem Fehlverhalten eines Ehegatten im persönlichen Bereich ergeben könne. Zwar liege hier kein Fehlverhalten im Rahmen der Begehung einer Straftat gegenüber der Antragstellerin vor, jedoch werde dem Antragsgegner als ehemaligen Polizeibeamten zuzurechnen sein, dass er mit Begehung der Tat eine Entlassung aus dem Beamtenverhältnis und damit den Verlust der Versorgungsbezüge, und in Folge ein quasi illoyales Verhalten gegenüber der Antragstellerin zumindest in Kauf habe nehmen müssen. In die Billigkeitsabwägung sei im Übrigen auch mit einzubeziehen, dass die Antragstellerin mit Geburtsjahr 1960 und aufgrund ihrer Erkrankung bereits seit einigen Jahren eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bei der Deutschen Rentenversicherung beziehe. Sie könne aufgrund ihres Gesundheitszustands zukünftig vermutlich keiner beruflichen Tätigkeit mehr mit dem Ziel einer Erhöhung ihrer eigenen Rentenanwartschaften nachgehen. In der Gesamtabwägung scheine daher die Durchführung des Versorgungsausgleichs bezüglich des Anrechts der Antragstellerin aus der Rentenversicherung nicht gerechtfertigt. Zu berücksichtigen sei auch, dass der Antragsgegner seit Dezember 2021 den titulierten Trennungsunterhalt i. H. v. 500,00 Euro monatlich nicht geleistet habe.
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b. Mit Schreiben vom 18.05.2022 wies die Antragstellerin zudem auf Unterlagen zu zwei Direktversicherungen bei der C. Versicherung hin und führte insoweit aus, dass sie bislang der Ansicht gewesen sei, dass es sich im Hinblick auf die Übernahme der ehemaligen Verträge der B. L. AG durch die C. Versicherung um den bereits im Versorgungsausgleich beim Amtsgericht angegebenen und berücksichtigen Vertrag bei der B. L. AG mit der Vers. Nr. …01 gehandelt habe. Aufgrund der unterschiedlichen Versicherungsnummern sei aber wohl von unterschiedlichen Verträgen auszugehen.
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Mit Schreiben vom 16.11.2022 hat die C. L. AG mitgeteilt, dass die Antragstellerin unter Vers. Nr. …02 ein Anrecht aus einer betrieblichen Altersversorgung in Form einer Zusage auf Kapitalleistungen aus einer Direktversicherung mit einem Ehezeitanteil von 3.722,25 € erworben habe. Der vorgeschlagene Ausgleichswert wurde unter Berücksichtigung der Kosten der internen Teilung i. H. v. 350,00 € auf 1.686,13 € beziffert. Da der Ausgleichswert geringer als 120% der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 Abs. 1 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch sei, solle wegen Geringfügigkeit auf einen Ausgleich verzichtet werden.
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Die C. L. AG teilte dabei auch mit, dass die B. L. AG am 26.06.2020 in C. L. AG umfirmiert worden sei.
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Die Antragstellerin hat insoweit beantragt, das Anrecht gem. § 18 Abs. 2 VersAusglG vom Versorgungsausgleich auszuschließen.
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c. Der Antragsgegner hat beantragt, die Anschlussbeschwerde zurückzuweisen und zur Begründung ausgeführt, dass eine Teilung der erworbenen Anrechte der Antragstellerin bei der Deutschen Rentenversicherung Bund keine grobe Unbilligkeit gemäß § 27 VersAusglG darstelle. Der Verlust der Versorgungsbezüge aufgrund der Entlassung aus dem Beamtenverhältnis sei kein Fehlverhalten, welches die Annahme einer groben Unbilligkeit rechtfertigen würde. Eine Straftat gegenüber der Antragstellerin liege nicht vor. Es werde bestritten, dass die Antragstellerin aufgrund des Wegfalls der zu erwartenden Anrechte aus der Beamtenversorgung und einen geringen Ausgleich über die Anrechte aus der Nachversicherung bei der Deutschen Rentenversicherung wirtschaftlich nunmehr dringend auf den vollständigen Verbleib der Anrechte aus der eigenen Versorgung angewiesen sei. Im Übrigen würde dies auch keinen Grund für eine grobe Unbilligkeit begründen. Eine Unbilligkeit sei auch nicht darin zu sehen, dass der Antragsgegner seiner Unterhaltspflicht seit Dezember 2021 nicht mehr nachgekommen sei. Eine Unterhaltspflichtverletzung müsse schuldhaft erfolgen, dies setze eine Leistungsfähigkeit voraus. Der Antragssteller sei jedoch nicht leistungsfähig, da er aufgrund seiner Inhaftierung kein Einkommen erzielen könne.
19
Die weiteren Beteiligten hatten rechtliches Gehör.
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1. Die Beschwerde des Antragsgegners und die Anschlussbeschwerde der Antragstellerin sind nach §§ 58 ff, 217 ff FamFG zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt.
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2. Die Beschwerde des Antragsgegners ist vollumfänglich begründet, während die Anschlussbeschwerde der Antragstellerin nur in Bezug auf ihr Anrecht bei der B. L. AG begründet war.
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a. Nach der Auskunft des Landesamtes für Finanzen vom 04.04.2022 wurde der Antragsgegner aufgrund einer Verurteilung zu einer mehrjährigen Haftstrafe, rechtskräftig seit …2022, kraft Gesetzes zum …2022 aus dem Beamtenverhältnis entlassen und hat dadurch seine Anwartschaft auf Versorgung nach dem Beamtenversorgungsgesetz verloren. Die Voraussetzungen für die Nachversicherung der Deutschen Rentenversicherung sind erfüllt. Dieser Umstand war bei Erlass des Endbeschlusses durch das Amtsgericht - Familiengericht - Bad Neustadt a. d. Saale noch nicht bekannt. Nach der unbeanstandet gebliebenen Auskunft der Deutschen Rentenversicherung Nordbayern vom 13.04.2022, an deren Richtigkeit kein Anlass zu Zweifeln besteht, hat er unter Vers. Nr. … während der Ehe 18,3238 Entgeltpunkte erworben, was einem Ausgleichswert von 9,1619 Entgeltpunkten entspricht. Das Anrecht des Antragsgegners bei der Deutschen Rentenversicherung Nordbayern ist daher nach § 10 Abs. 1 VersAusglG durch interne Teilung mit einem Ausgleichswert von 9,1619 Entgeltpunkten zugunsten der Antragsstellerin auszugleichen. Der Endbeschluss des Amtsgerichts Familiengericht Bad Neustadt an der Saale vom 21.02.2022 war daher in Tenor 2 Abs. 2 wie geschehen abzuändern.
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b. Das Anrecht der Antragstellerin bei der C. L. AG (VersNr. …02) ist gem. § 18 Abs. 2 VersAusglG vom Versorgungsausgleich auszuschließen, da dieses unter Berücksichtigung des in der Auskunft vom 16.11.2022 mitgeteilten Ausgleichswertes gering i. S. d. § 18 Abs. 3 VersAusglG ist. Der Endbeschluss des Amtsgerichts Familiengericht Bad Neustadt an der Saale vom 21.02.2022 war daher in Tenor 2 Abs. 3 wie geschehen abzuändern, denn der Ausschluss betrifft auch das Anrecht der Antragstellerin bei der (vormaligen) B. L. AG.
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c. Soweit die Antragstellerin begehrt, den Versorgungsausgleich hinsichtlich ihres Anrechts bei der Deutschen Rentenversicherung Bund gem. § 27 VersAusglG auszuschließen, ist die Anschlussbeschwerde nicht begründet, da die Voraussetzungen des § 27 VersAusglG nicht vorliegen.
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(1) § 27 VersAusglG ist eine nur äußerst selten anzuwendende Ausnahmevorschrift. Die Härteklausel ist ein Gerechtigkeitskorrektiv, von dem nur sehr zurückhaltend Gebrauch zu machen ist (BGH FamRZ 2015, 1004). Eine grobe Unbilligkeit liegt nur vor, wenn eine rein schematische Durchführung des Versorgungsausgleichs unter den besonderen Gegebenheiten des konkreten Falles dem Grundgedanken des Versorgungsausgleichs, nämlich eine dauerhaft gleichmäßige Teilhabe beider Ehegatten an den in der Ehezeit insgesamt erworbenen Versorgungsanrechten zu gewährleisten, in unerträglicher Weise widersprechen würde (st. Rspr. des BGH, vgl. nur BGH FamRZ 2016, 35). Daraus wird deutlich, dass die Durchführung des Versorgungsausgleichs der Regelfall ist und ein selbst teilweiser Ausschluss desselben nur in ganz besonderen Ausnahmefällen veranlasst sein kann (BGH FamRZ 2015, 1004).
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(2) Eine bewusste und in Schädigungsabsicht vorgenommene Verkürzung der erworbenen und im Versorgungsausgleich auszugleichenden Anrechte durch einen Ehegatten zum Nachteil des anderen Ehegatten kann eine grobe Unbilligkeit im Sinn des § 27 VersAusglG darstellen (vgl. BGH FamRZ 1989, 42 und FamRZ 1989, 1058). Dies ist hier allerdings schon nach dem Vortrag der Antragstellerin nicht gegeben. Der Umstand, dass der Antragsgegner mit Begehung der Straftat eine Entlassung aus Beamtenverhältnis und den Verlust der Versorgungsbezüge zumindest in Kauf genommen hat, reicht hierfür nicht aus.
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(3) Auch liegt keine gegenüber der Antragstellerin begangene schwerwiegende Straftat vor, so dass auch insoweit eine grobe Unbilligkeit im Sinn des § 27 VersAusglG nicht gegeben ist (vgl. Siede in Grüneberg, BGB, 82. Aufl, § 27 VersAusglG, Rdnr. 24 m. w. N.).
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(4) Soweit die Antragstellerin geltend macht, sie könne aufgrund ihrer Erkrankung künftig vermutlich keine weitere berufliche Tätigkeit mit Ziel der Erhöhung ihrer Rentenanwartschaften ausüben, weshalb sie auf ihre erworbenen Anrechte angewiesen sei, stellt dies allein keinen ausreichenden Grund dar, gem. § 27 VersAusglG von der Durchführung eines Versorgungsausgleichs abzusehen. Eine Kürzung oder ein Ausschluss des Versorgungsausgleichs kommt vielmehr nur in Betracht, wenn der Ausgleichsberechtigte über ausreichendes Einkommen oder Vermögen verfügt, durch das seine Altersversorgung uneingeschränkt abgesichert ist und der Ausgleichspflichtige auf die von ihm erworbenen Anrechte zur Sicherung seines Unterhalts im Alter oder im Fall der Erwerbsminderung dringend angewiesen ist (vgl. Breuers in: Herberger/Martinek/ Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 10. Aufl., § 27 VersAusglG (Stand: 15.11.2022). Dies ist vorliegend erkennbar nicht der Fall.
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(5) Ebenso stellt der Umstand, dass der Antragsgegner seiner Pflicht zur Zahlung des Trennungsunterhalts ab Dezember nicht nachgekommen ist, vorliegend keine grobe Unbilligkeit i. S. d. § 27 VersAusglG dar. Erforderlich wäre insoweit ein Verschulden (vgl. Siede, a. a. O., Rdnr. 35). Dies hat aber die insoweit darlegungsbelastete Antragstellerin (vgl. Siede, a. a. O., Rdnr. 38) schon nicht dargelegt; während der Antragsgegner darauf hingewiesen hat, dass er aufgrund seiner Inhaftierung nicht in der Lage sei, den Unterhalt zu bezahlen.
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Soweit nicht ein Ausgleich wegen § 18 VersAusglG zu unterbleiben hat, verbleibt es daher im Ergebnis bei dem Grundsatz des § 1 VersAusglG, wonach alle in der Ehezeit (hier: 01.12.1998 bis 30.04.2019) erworbenen Anteile von Anrechten jeweils zur Hälfte zwischen den geschiedenen Ehegatten zu teilen sind (OLG Hamm, Beschluss vom 1. Oktober 2012 - II-3 UF 186/11 -, juris).
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Der Senat hat von einer mündlichen Erörterung der Sache (§ 221 Abs. 1 FamG) in der Beschwerdeinstanz nach § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG abgesehen, da hiervon bei den gegebenen Umständen keine weitergehenden entscheidungserheblichen Erkenntnisse (§ 26 FamFG) zu erwarten waren.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 20 FamGKG, 81 Abs. 1 FamFG.
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Die Festsetzung des Wertes für das Beschwerdeverfahren richtet sich nach §§ 40, 50 Abs. 1 FamGKG. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts betrug das in drei Monaten erzielte Nettoeinkommen der Ehegatten zu Beginn des Verfahrens 13.383,00 Euro. Da in der Beschwerdeinstanz drei Anrechte zu überprüfen war, ist der Verfahrenswert auf 4.016,70 Euro festzusetzen.
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Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor (§ 70 Abs. 2 FamFG).