Inhalt

AG München, Beschluss v. 05.12.2022 – 866 XIV 361/22 L (PAG)
Titel:

Unterbindungsgewahrsam

Normenkette:
PAG Art. 17 Abs. 1 Nr. 2, Art. 20 Abs. 2
Leitsatz:
Es ist nicht vertretbar, einen kürzeren als den nach dem Gesetz längst möglichen Gewahrsam von einem Monat zu verhängen, wenn der Betroffene in Wort und Tat deutlich gemacht hat, dass er von wiederholten neuen Straftaten nicht Abstand nehmen wird und seine Entlassung aus einem fast dreiwöchigen Gewahrsam gerade mal zehn Tage zurückliegt. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Freiheitsentziehung, höchstzulässige Dauer, kürzerer Gewahrsam, wiederholte Straftaten
Fundstelle:
BeckRS 2022, 41331

Tenor

1. Die von der Antragstellerin am 06.12.2022 um 13:58 Uhr angeordnete Freiheitsentziehung gegen den Betroffenen wird für zulässig erklärt und deren Fortdauer bis längstens 05.01.2023 um 16:30 Uhr angeordnet. Der Gewahrsam wird für die Weihnachtsfeiertage von 24.12.2022, 15:00 h, bis 27.12.2022, 9h00 h, ausgesetzt.
2. Die Freiheitsentziehung ist sofort zu beenden, sobald der Grund für die Maßnahme weggefallen ist.
3. Die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung wird angeordnet.
4. Von der Erhebung der Kosten wird abgesehen.

Gründe

I.
1
Der Betroffene wurde am 06.12.2022 um 13 h 58 Uhr in Gewahrsam genommen. Bezüglich des Sachverhalts wird auf den anliegenden Antrag des Polizeipräsidiums M. und dessen Anlagen verwiesen. Insbesondere wird hinsichtlich des grundsätzlichen Sachverhalts auf Ziffer 1.a)/b) der Begründung des Antrags sowie hinsichtlich des individuellen Beitrags der Betroffenen auf Ziffer 1. c) der Begründung Bezug genommen.
2
Die Antragstellerin hat nach Art. 97 Abs. 1 PAG richterliche Entscheidung über Zulässigkeit und Fortdauer der Freiheitsentziehung beanträgt.
3
Weitere Freiheitsentziehung ist unerlässlich, um die Fortsetzung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit zu verhindern.
4
Das Gericht hat den Betroffenen zu diesem Antrag persönlich angehört, Art. 96 Abs. 1 PAG i.V. m. § 420 Abs. 1 FamFG.
II.
5
Das Amtsgericht München ist örtlich und sachlich zuständig (Art. 97, 98 Abs. 2 Nr. 1 PAG, § 22c Abs. 1 S. 1 GVG).
6
Der Antrag ist zulässig. Der Antrag enthält die gemäß Art. 96 Abs. 1 PAG, § 417 Abs. 2 S. 2 FamFG erforderliche Begründung, insbesondere zur erforderlichen Dauer des Gewahrsams.
III.
7
Die bisherige Freiheitsentziehung gegen d. Betroffenen ist für zulässig zu erklären und ihre Fortdauer anzuordnen.
8
Die Freiheitsentziehung ist gem. Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 PAG zulässig. Sie ist unerlässlich, um die unmittelbar bevorstehende Begehung einer Straftat und Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit zu verhindern.
9
Der Betroffene wurde in jüngster Vergangenheit mehrfach aus nahezu gleichgelagerten Anlässen bei der Begehung von Straftaten als Störer betroffen. Es ist nach den Umständen eine Wiederholung dieser Verhaltensweise zu erwarten.
10
Der Betroffene befand sich nach wiederholt gleich motivierten und ähnlich gelagerten Straftaten in jüngster Vergangenheit bereits drei mal, von 28.10.2022 bis 01.11.2022, von 03.11.2022 bis 04.11.2022 sowie von 07.11.2022 bis 27.11.2022 in polizeilichem Gewahrsam. Bereits anlässlich jener Zugriffe hatte er angekündigt, seine Aktionen zur Durchsetzung seiner politischen Ziele fortzusetzen. Auch heute kündigte der Betroffene dies gegenüber der Polizei und dem Gericht explizit an.
11
Die Fortdauer der Freiheitsentziehung wird längstens bis zu dem im Tenor angegebenen Zeitpunkt angeordnet, weil dies zur Abwehr der Gefahr unerlässlich ist. Weniger beeinträchtigende Maßnahmen, die die Freiheitsentziehung entbehrlich machen könnten, sind nicht ersichtlich.
12
Nach Sachlage hält das Gericht es auch nicht für vertretbar, einen kürzeren als den nach dem Gesetz längst möglichen Gewahrsam von einem Monat zu verhängen. Der Betroffene hat in Wort und Tat deutlich gemacht, dass er von wiederholten neuen Straftaten nicht Abstand nehmen wird. Die Entlassung aus einem fast dreiwöchigen Gewahrsam liegt gerade mal zehn Tage zurück.
13
Auch stellt sich der angeordnete Freiheitsentzug sowohl dem Grunde als auch dem Umfang nach im Hinblick auf die Unbelehrbarkeit des Betroffenen als verhältnismäßig dar.
14
Lediglich im Hinblick auf die Aussage des Betroffenen, Weihnachten mit seinem Sohn verbringen zu wollen, konnte der Gewahrsam wie angeordnet ausgesetzt werden.
15
Der Betroffene verstößt bewusst fortwährend, hartnäckig und in nicht unerheblicher Art und Weise in der Absicht gegen die Rechtsordnung, die Bundesregierung zur Durchführung der seiner eigenen Auffassung nach unverzichtbaren Maßnahmen zur Reduzierung der Erderwärmung zu zwingen. Er bricht hierdurch mit den fundamentalen Regeln, auf deren Einhaltung der Rechtsstaat zur Erhaltung der freiheitlich demokratischen Grundordnung nicht verzichten darf.
16
Das Gericht verkennt hierbei keineswegs, dass die Motivation des Betroffenen als solches durchaus achtenswert ist. Dieser Umstand kann aber nicht maßgeblich sein, wenn es - wie bei dem hier zu prüfenden Unterbindungsgewahrsam - darum geht, konkret bevorstehende Straftaten und Ordnungswidrigkeiten zu unterbinden. Auch im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist allein ausschlaggebend, ob die drohende(n) Straftat(en) bzw. Ordnungswidrigkeit(en) Freiheitsentzug rechtfertigen. Dies ist zweifelsfrei der Fall.
17
Das Gericht ist - was die Dauer des angeordneten Gewahrsams angeht - auch nicht an den Antrag der Polizei gebunden, hat vielmehr selbst auch insoweit die Erforderlichkeit und die Verhältnismäßigkeit zu prüfen und entsprechend zu entscheiden.
IV.
18
Die Entscheidung, dass von der Auferlegung der Kosten abgesehen wird, beruht auf Art. 97 Abs. 6 S. 1 PAG, §§ 81 Abs. 1, 2, 430 FamFG, § 2 Abs. 3 S. 1 GNotKG.
V.
19
Die Entscheidung über die sofortige Wirksamkeit beruht auf Art. 96 Abs. 1 PAG, § 422 Abs. 2 FamFG.
VI.
20
Dieser Beschluss ist von der Antragstellerin als der zuständigen Verwaltungsbehörde zu vollziehen (Art. 96 Abs. 1 PAG, § 422 Abs. 3 FamFG). Die Antragstellerin ist im Rahmen des Vollzugs dieses Beschlusses insbesondere auch für die Herstellung und Gewährleistung der jederzeitigen Gewahrsamsfähigkeit d. Betroffenen verantwortlich.